Читать книгу Im Namen des Prinzen - Sabine Keller - Страница 6

3

Оглавление

In England hatte König Henrys Justiziar Richard de Lucy ganz ähnliche Sorgen wie Henry in der Normandie. Auch de Lucy konnte nur abwarten, was der Kronprinz zu unternehmen gedachte, und das gleiche galt für den zweiten, auf der Lauer liegenden Feind, König William von Schottland. Die einzige im Augenblick tatsächlich stattfindende kriegerische Handlung auf der Insel war die Belagerung von Leicester in Mittelengland und das war nur eine lokale Aktion. Richard de Lucy hatte die Stadt samt der Festung des geächteten Grafen Beaumont durch königstreue Truppen vom Umland abschotten lassen. Unter der Leitung von Herzog Edward de Tourneau und dessen Sohn Robert wurde Graf Beaumonts ehemaliger Besitz so lückenlos bewacht, dass keine Maus ungesehen hinein- oder hinausgelangen konnte.

Früher, unter dem alten Grafen von Leicester, dem verstorbenen Vater des jetzigen Rebellen, hatte noch ein vollkommen anderer Wind geweht. Der Bucklige, so wurde er genannt, war ein absolut treuer, loyaler Mann gewesen. Er hatte sein Leben ganz König Henry verschrieben und war damals dessen oberster Justiziar gewesen, Richard de Lucys Vorgänger. Sein leichtfertig veranlagter Sohn hingegen war aus gänzlich anderem Holz geschnitzt. Von klein an hatte er sich widerspenstig und respektlosgezeigt, und sein Vater hatte ihn schließlich an den königlichen Hof geschickt, in der Hoffnung, dass der Sohn dort Disziplin und Verantwortung lernen würde.

Leider war der Schuss nach hinten losgegangen. Der junge Graf hatte sich schnell der Clique des Kronprinzen angeschlossen und Gefallen gefunden an deren ausschweifendem Leben. Die freigiebige und lebenslustige Einstellung des Prinzen war eher nach seinem Geschmack gewesen als Gehorsam und Königstreue. Auch nach dem Tod des alten Grafen hatte sich daran nichts geändert, und nun musste seine Stadt die Folgen ausbaden.

Leicester und die in der südwestlichen Ecke der Stadt hoch aufragende Festung wurden von einer massiven Mauer umgeben, und an der Westseite strömte der Fluss Soar direkt am Fuß der Stadtmauer entlang und sorgte dort für zusätzlichen Schutz. An dieser Seite waren keine direkten Angriffe möglich und Sir Edward ließ nur den Fluss und das gegenüberliegende Ufer überwachen, um Lebensmittellieferungen oder Fluchtversuche zu verhindern. Aber vor allen übrigen Stellen der Mauer rund um die gesamte Stadt waren für alle sichtbar, Belagerungstürme und schlagkräftige Katapulte, die Bliden, aufgefahren. Rammböcke für die Stadttore und lange Sturmleitern zum Entern der Mauer lagen bereit, und überall sah man bis an die Zähne bewaffnete Männer. Dass die meisten davon keine Kämpfer waren, sondern aus dem niederen Volk rekrutiert worden waren, und ihre Waffen teilweise nur aus Mistgabeln, Steinschleudern und Eichenknüppel bestanden, war dabei nebensächlich. Auf die Masse kam es an.

Direkte Angriffe gegen die dicht mit Verteidigern besetzten Mauern gab es allerdings eher selten. Herzog Edward verfolgte einen anderen Plan: Er wollte die Eingeschlossenen durch die überwältigende Masse seiner Krieger und die Gefährlichkeit seiner Kriegsmaschinerie einschüchtern, ihnen den Mut nehmen und sie zum Aufgeben bringen. Also setzte er auf Drohung, auf die Demonstration seiner beeindruckenden Kampfkraft und der Unbesiegbarkeit der königlichen Truppen nach dem Motto: Wir könnten euch jederzeit dem Erdboden gleichmachen, wenn wir nur wollten!

Das stimmte auch, er konnte durchaus. Die Mittel dazu hatte er. Nur würden sich die Städter natürlich mit aller Macht verteidigen. Jeder ernsthafte Frontalangriff hätte zwangsläufig hohe Verluste unter den angreifenden Männern zur Folge, und das wollte Herzog Edward möglichst vermeiden. Diese Belagerung war nur eine Strafaktion gegen einen abtrünnigen Grafen, und dafür sollten nicht unnötig Menschenleben geopfert werden.

Glücklicherweise war ein schneller Sieg hier auch nicht nötig und Herzog Edward konnte es sich daher leisten, so zu handeln. Sie waren ja nicht auf einem Eroberungszug, bei dem es auf den Zeitfaktor ankam, sie mussten nicht möglichst schnell möglichst viel Boden gewinnen. Stattdessen war Abwarten angesagt. Alles, was sie brauchten, war Geduld, bis die Verteidiger von Leicester den Mut verloren oder ihnen die Vorräte ausgingen.

Nicht jeder teilte Sir Edwards Meinung. Für einige seiner Mitstreiter war dessen Taktik einfach nur reine Zeitverschwendung. Hatten sie nicht alle Besseres zu tun? Statt sich zu Hause in ihren behaglichen Burgen um die eigenen Geschäfte zu kümmern, lungerten sie seit Wochen tatenlos hier herum, hausten in zugigen Zelten und drehten Däumchen!

Allen voran der einflussreiche Reginald de Dunstanville, der Graf von Cornwall, ein hagerer Mann fortgeschrittenen Alters, hatte vom ersten Tag an darauf gedrängt, einen massiven Angriff auf die Stadt zu starten. Was machte es denn schon, wenn ein paar Männer dabei draufgingen? Es würde doch nur unbedeutende Bauern und Knechte treffen.

Der Graf war ein Mann ohne große Hemmungen und für sein kaltherziges Auftreten bekannt. Dieses leichte Geplänkel zum Angsteinjagen, wie Sir Edward es machte, war nicht nach seinem Geschmack. Er würde Brandgeschosse einsetzen. Das trockene Sommerwetter wäre geradezu ideal, und von den Katapulten über die Mauer hinweg auf die hilflosen Bürger geschleuderte Feuerkugeln fänden in der Stadt schnell Nahrung. Selbst wenn es schlecht lief, konnten auf diese Art immer ein paar Gegner getötet und einige Viehställe und Vorratsspeicher vernichtet werden, und mit ein wenig Glück sogar ganze Stadtviertel samt deren Bewohnern ausradiert werden.

Gleichzeitig dann ein geballter Einsatz von Sturmleitern und Belagerungstürmen, während die Eingeschlossenen abgelenkt und mit der Brandbekämpfung beschäftigt waren, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die Mauern erstürmt wären! Klar, es würden natürlich viele der Männer mit den Leitern und auf den Türmen dabei den Tod finden. Aber das machte nichts. Den Belagerern standen genügend Männer zur Verfügung.

Doch dummerweise hatte nun einmal Sir Edward die Befehlsgewalt hier, und der wollte kein Blutvergießen. Graf Reginald musste sich fügen, widerwillig, und nicht, ohne bei jeder Besprechung erneut einen sofortigen Angriff zu fordern. Mit Höflichkeiten hatte er nie Zeit verschwendet, und er war auch Sir Edward gegenüber nicht sehr feinfühlig bei der Wahl seiner Worte, was dieser anfangs schlichtweg ignorierte. Erst als der Graf anzügliche Bemerkungen fallen ließ über zartbesaitete Weichlinge, die kein Blut sehen könnten, rief Sir Edward den Mann nachdrücklich zur Ordnung. Er pochte selten auf seine Autorität, doch Respektlosigkeit duldete er nicht. .

Normalerweise nahm Sir Edward durchaus Ratschläge seiner Mitstreiter an, wenn sie sinnvoll waren, doch durch den ungehobelten Grafen ließ er sich nicht beirren. Er wusste, dass er mit seiner Strategie richtig lag. Richard de Lucy hatte ihm das Kommando übergeben gerade weil hier kein blutrünstiger Kriegstreiber, sondern ein besonnener Kopf gebraucht wurde. Die Strafaktion gegen den Stammsitz des abtrünnigen Grafen Beaumont war nicht zu vermeiden, aber mit einem unnötig brutalen Vorgehen machte man sich keine Freunde in der Bevölkerung. Sir Edward leitete hier die königlichen Truppen, was er tat, würde auf den König zurückfallen. Und der brauchte nicht noch mehr Gegner.

Also hielt Sir Edward die Belagerung aufrecht und baute weiter auf Drohgebärden ohne Angriffe, egal, was Graf Reginald oder andere darüber denken mochten. Irgendwann würde der Hunger die Eingeschlossenen zum Aufgeben zwingen. Wie gut die Städter und die Besatzung von Graf Beaumonts Burg, was die Vorräte anging, ausgerüstet waren, und wie lange sie entsprechend durchhalten konnten, wusste niemand. Aber für Sir Edward spielte das auch keine Rolle. Die Belagerer mussten nur den Ring dicht halten, damit kein Nachschub an Nahrung angeliefert werden konnte, und aufpassen, dass die Städter nicht etwa einen Ausfall versuchten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Eingeschlossenen tatsächlich einen Ausfall wagen würden, war allerdings eher gering. Von den Mauern aus hatten die Bürger einen guten Überblick über die Ausmaße des Heerlagers und die beeindruckende Truppenstärke der Gegner, und das dürfte ihnen die Lust auf einen Kampf vergällen. Sir Edward hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, einen gefährlichen Eindruck zu erwecken. Er hatte nicht wirklich so viele Männer vor Ort, wie es den Anschein hatte, aber es gab genügend Tricks, wie man ein Heerlager optisch ein wenig vergrößern konnte. Beispielsweise hatte er deutlich mehr Zelte und Hütten als nötig errichten lassen, diese weit auseinandergezogen und über das ganze Areal verteilt. Dann gab es Herdfeuer an allen Ecken und Enden, genügend um ein doppelt so großes Heer zu verköstigen. Und zu jeder Zeit streiften Krieger zu Fuß oder zu Pferd durch die Zeltreihen, mal im Osten, dann am entgegengesetzten Ende, und täuschten Truppenbewegungen vor. Von der Stadt aus gesehen musste ein Ausbruchsversuch wie reiner Selbstmord erscheinen.

Vielleicht hofften die Eingeschlossenen aber auch auf Hilfe von außen, von ihrem Lehnsherrn Graf Beaumont beispielsweise. Gerüchte über dessen Anrücken hörte man genug, doch es gab keine gesicherten Berichte über eine tatsächliche Rettungsabsicht des Grafen. Ebenso möglich war eine Aktion des rebellierenden Kronprinzen, wie etwa eine groß angelegte Invasion, die ganz England treffen würde, und auch darüber wurde im Land eifrig diskutiert. Zuzutrauen war das dem wütenden Prinzen durchaus, und in dem Fall hätte Sir Edward mit dem königlichen Heer tatsächlich Dringenderes zu erledigen, als sich um Leicester zu kümmern.

Bisher war aber keine feindliche Flotte an englischen Küsten gelandet, weder von Graf Beaumont angeführt, noch vom Prinzen. Es gab einen regen Informationsaustausch zwischen Richard de Lucy und Sir Edward und, wenn der Wind mitspielte, auch mit König Henry auf dem Festland. Falls es irgendeinen militärisch wichtigen Vorfall geben sollte, dann würde Sir Edward schnell darüber Bescheid wissen. Solange also keine aktuelle Gefahr von außen drohte, konnten die Belagerer ohne größeres Risiko in aller Ruhe abwarten.

Ein Problem gab es allerdings dabei und das waren die eigenen Kämpfer. Sir Edward und seine Unterführer mussten darauf achten, die Männer bei der Stange zu halten, denn wenn sich Langeweile breitmachte, konnte das gefährliche Nebenwirkungen haben. Schon jetzt kam es immer häufiger zu Streitereien um irgendwelche Nichtigkeiten, es wurde gepöbelt und gestichelt, dann wurden Beleidigungen daraus und schon gab es Schlägereien.

Einige suchten sich auch selbst Beschäftigung, machten Ausflüge in die Umgebung und plünderten und stahlen alles, was sich tragen ließ. Solche Streifzüge waren verboten, schließlich hatte das Landvolk keine Schuld an Graf Beaumonts Verrat. Die diesbezüglichen Befehle des Herzogs waren eindeutig, und wer erwischt wurde, musste mit einer harten Strafe rechnen, aber mittlerweile schreckte das immer weniger Männer ab.

Langsam häuften sich die Vorfälle und schließlich rief Sir Edward seinen Sohn zu einer Besprechung in sein Kommandozelt. Sir Edward wartete schon und sah dem jungen Ritter entgegen, als der sich durch den für seine hochgewachsene Gestalt zu niedrigen Zelteingang duckte. In seinem Kettenhemd, das Schwertgehänge am Gürtel und zusätzlich mit einem Dolch bewaffnet, umgab ihn eine Aura von Gefahr und das durchaus zu Recht, denn Robert war ein ausgezeichneter Krieger. Es gab nicht viele Gegner, die ihm standhalten konnten.

„Was gibt es denn, Vater?“ Als Robert seinen Vater fragend anlächelte, veränderte sich der Eindruck vollkommen und statt des waffenstarrenden Kämpfers sah Sir Edward jetzt den sympathischen, freundlichen jungen Burschen, der unter der Kampfmontur steckte.

„Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir die Streitereien unter unseren Kämpfern eindämmen können“, antwortete Sir Edward. „Die Disziplin im Lager lässt mir zu sehr nach. Anscheinend sind unsere Beschäftigungsmaßnahmen nicht mehr ausreichend.“

„Ja, ich weiß, aber ich muss zugeben, mir gehen langsam die Ideen aus.“ Robert setzte sich auf einen grob gezimmerten Hocker, griff nach dem Krug, der auf einem provisorischen Tisch aus oberflächlich geglätteten Holzplanken stand, und goss sich etwas von dem frischen Wasser in einen Becher. „Wir schicken Aufklärungspatrouillen in die Umgebung, machen regelmäßig Waffenübungen und trainieren alle erdenklichen Kampftechniken und Angriffsformationen, außerdem sind Gruppen zur Beschaffung von Brennholz unterwegs. Dann gibt es noch Jagdtrupps, die das Einerlei der Lagermahlzeiten ein wenig auflockern, und weitere Männer angeln drüben am Fluss. Wenn du noch einen guten Einfall hast, dann lass hören.“

„Wir könnten noch mehr Pfeile, Bögen und Speere anfertigen lassen.“

Robert zuckte die Achseln und nahm einen Schluck aus seinem Becher. „Könnten wir, aber unser Vorrat an Pfeilen und auch an Speeren reicht jetzt schon für mehrere Kriege.“

„Hm. Vielleicht sollten wir dann doch einfach einen Teil der Männer nach Hause schicken“, überlegte sein Vater. „Nur sollten wir unauffällig vorgehen und vermeiden, dass die Städter unsere Truppenreduzierung mitbekommen, sonst durchschauen sie unseren Bluff und wir provozieren vielleicht einen Ausfall.“

Robert nickte. „Die Blockade der Stadt können wir auch mit deutlich weniger Kämpfern aufrechterhalten und vor allem die Bauern, die hier im Lager Kriegsdienst leisten, werden anderweitig gebraucht. Das Wetter ist gerade ideal für das Einbringen von Heu und die Getreideernte steht auch bald an. Wenn die Ernte nicht hereinkommt, werden wir im Winter Probleme bekommen.“

„Richtig. Stadtbürger und Handwerker können leichter ohne zu große negative Auswirkungen noch eine Weile hier die Stellung halten. Also sind wir uns einig?“, hakte Sir Edward nach. “Gut. Dann schicken wir einen Teil unserer Bauern zurück, und das gilt natürlich auch für die anderen Landbesitzer, die uns hier mit ihren Leuten unterstützen.“

„Die Männer werden froh sein das zu hören. Wir sollten sie aber trotzdem auf jeden Fall auf Abruf halten. Wir dürfen neben unserer Belagerung hier nicht den Kronprinzen vergessen“, antwortete Robert. „Wenn der Prinz zu uns herüber kommt, wird es hart. Dann brauchen wir jeden einzelnen Mann, der eine Waffe halten kann, und das schnell. Vielleicht sollten wir sogar zusätzlich für schnell verfügbare Verstärkung sorgen.“

„Viele Möglichkeiten gibt es da nicht mehr. Die meisten Königstreuen sind schon eingespannt und unterstützen mit ihren Männern Richard de Lucy. Du weißt ja, der stellt ein Heer zum Schutz der Südküste auf als Vorsichtsmaßnahme gegen eine Invasion der Kronprinzen und ein weiteres oben im Norden gegen König William von Schottland.“

„Mein Freund Duncan hat sich bisher herausgehalten, mit dem könnte ich mal sprechen“, bot Robert an.

Mit Duncan war Sir Duncan Belwood, der Graf von Oxton, gemeint, ein junger Angelsachse, der gemeinsam mit Robert mehrere Jahre am Hof von König Henry als Ritter Dienst getan hatte. In dieser Zeit hatten sie verschiedene Kampfeinsätze zusammen durchgeführt und waren dabei enge Freunde geworden.

„Ja, das kann nicht schaden. Ich wollte sowieso vorschlagen, dass du auch für ein paar Tage nach Hause reitest. Es ist unnötig, dass wir ständig beide hier sind, während zu Hause die Arbeit liegen bleibt. Und richte deiner schönen Verlobten meine Grüße aus.“ Sir Edward zwinkerte seinem Sohn lächelnd zu. „Die Gelegenheit für einen Besuch bei Lady Joan wirst du dir doch sicher nicht entgehen lassen, hab´ ich recht?“

Sir Edward mochte die lebhafte, mutige Angelsächsin, die demnächst seine Schwiegertochter werden würde. Glücklicherweise hatte Robert nicht so eine arrogante Ziege voller Standesdünkel erwählt, sondern sein Herz an ein warmherziges, kluges Mädchen verloren, das mit seiner Fröhlichkeit für frischen Wind in der Burg sorgen würde.

Robert grinste nur und blieb beim eigentlichen Thema. „Wenn wir schon Leute abziehen, dann kann es auch gleich sein. Mit unseren Mitstreitern besprichst du besser selbst, wer wie viele Bauern nach Hause schicken kann. Schließlich bist du hier der Boss.“

Sir Edward erwiderte das Lächeln zufrieden. Er war stolz auf seinen Erben, und wenn ihn irgendwann der Tod ereilte, würde er sein Herzogtum in fähigen Händen wissen.

„Also, dann werde ich mal die Männer auswählen, die nach Hause gehen.“ Robert leerte seinen Becher mit einem tiefen Zug, stellte ihn vorsichtig auf die unebenen Tischplanken zurück und stand auf.

„Ich werde gleich morgen früh mit ihnen aufbrechen.“

Damit verließ er das Zelt, während er im Geiste schon die infrage kommenden Kandidaten für die Heimreise durchging. Die Männer würden sich freuen, heil zu ihren Familien zurückzukehren, ohne dass es zu einem echten Kriegseinsatz gekommen war. Ohne Kampfausbildung, brauchbare Schutzkleidung und gute Waffen waren die einfachen Männer des Fußvolkes, die die Hauptmasse jeden Heeres ausmachten, bei jedem Gefecht besonders gefährdet. Aber diesmal hatte es keine Verluste gegeben. Jedenfalls noch nicht.

Er hielt einen Ritter auf, der seinen Weg kreuzte, und schickte ihn los, die Auserwählten zu benachrichtigen. Die Männer sollten ihre Ausrüstung zusammenpacken und sich morgen noch vor Tagesanbruch, bei Dunkelheit, unauffällig nach Osten aus dem Lager schleichen und hinter dem Wald für den Abmarsch sammeln. Von dort aus konnten sie dann ungesehen aufbrechen.

Dann musste er nur noch seinem Kammerdiener Bescheid geben, der ihn, wie in aristokratischen Kreisen üblich, immer begleitete. Schließlich musste sich ja jemand um Kleidung und Waffen kümmern und das elegante Zelt in Ordnung halten. Auch jetzt würde sein persönlicher Diener natürlich mit zurück zu ihrer Festung bei Grantham kommen, aber nur er. Die übrigen Diener und Knechte, die er und sein Vater hier im Lager hatten, benötigte er für den kurzen Ausflug nicht. Zu Hause gab es mehr als genug Personal.

Robert freute sich über diese Unterbrechung der täglichen Routine im Heerlager. Sie waren jetzt schon eine ganze Weile hier vor Ort und auf die Dauer war so eine Belagerung eine recht langweilige Angelegenheit. Außerdem behinderte diese Strafaktion des Königs gegen den Grafen von Leicester seine eigenen Pläne, denn eigentlich hatte diesen Sommer seine Hochzeit mit Lady Joan Ashby, der Schwester von Graf Brian, stattfinden sollen. Das konnte Robert jetzt erst einmal vergessen. Der Befehl des Königs hatte Vorrang und solange Leicester nicht eingenommen war, konnte er sich nicht um persönliche Belange kümmern.

Zum Leidwesen seiner Verwandtschaft hatte er ausgerechnet eine Angelsächsin ausgewählt. Zugegeben, für ein Mitglied des normannisch-stämmigen Hochadels war das tatsächlich recht ungewöhnlich. Üblicherweise bewegten sich Angelsachsen und Normannen in ihren eigenen Kreisen und pflegten wenig gesellschaftliche Kontakte untereinander. England war sozusagen zweigeteilt. König Henry gab sich alle Mühe die Völker zu vereinen und versuchte, die seit der Eroberung der Insel durch Wilhelm den Eroberer praktizierte Bevorzugung der siegreichen Normannen abzuschaffen. Er hatte für Alle gleichermaßen gültige Gesetze eingeführt, doch leider reichten Gesetze alleine nicht aus, und in der Praxis konnte er damit bisher noch keine großen Erfolge verzeichnen.

Für die Normannen bestand allerdings auch wenig Anreiz für eine Gleichstellung mit den unterdrückten Angelsachsen, denn dann würden sie ja ihre uneingeschränkte Vormachtstellung verlieren. In der Oberschicht gaben sie den Ton an, schon weil nach den langen Jahren normannischer Herrschaft nur noch wenige Adelige angelsächsischer Herkunft übrig geblieben waren, die den großspurigen Normannen Paroli bieten konnten. Und jetzt sollten die Angelsachsen nach König Henrys Willen plötzlich gleichberechtigt sein? Da fiel die Annäherung doch etwas schwer, auf beiden Seiten. Die eingefahrenen Gewohnheiten der Vergangenheit, und die schlechten Erfahrungen der Unterdrückten, saßen einfach zu tief.

Erst in der jüngeren Generation setzte ganz langsam ein Umdenken ein. Robert, der eine weltoffene, tolerante Erziehung genossen hatte, sah in der Abstammung eines Menschen, ebenso wie sein Vater, kein Problem. Seine Ehefrau würde ihm gleichgestellt sein, war sie nun Angelsächsin oder nicht. Mochte die missgünstige Verwandtschaft doch denken, was sie wollte.

Der Aufenthalt zu Hause gab ihm die willkommene Möglichkeit, seiner Verlobten einen Besuch abzustatten. Schade nur, dass er die Schnelligkeit seines Pferdes nicht nutzen konnte, sondern auf das langsame Tempo der Bauern Rücksicht nehmen musste. Immerhin waren die Männer am nächsten Morgen pünktlich am Treffpunkt und sie konnten ohne Verzögerung aufbrechen, sobald die Helligkeit des neuen Tages für den Marsch über den unebenen Boden ausreichte. Der Weg war weit, aber wenn man zeitig aufbrach und zügig marschierte, konnte man Grantham zu Fuß durchaus an einem Tag erreichen. Ein Nachtlager war nicht geplant und sie hatten auch keine Zelte oder Decken mitgenommen, da das zusätzliche Gewicht nur das Marschtempo verringern würde.

Robert gab von Anfang an ein ordentliches Tempo vor, sonst würden sie Mühe haben, das Ziel vor Dunkelheit zu erreichen. Zum Schutz der Gruppe hatte er auch einige kampferprobte Ritter aus Sir Edwards Gefolge mitgenommen, die mit ihren Pferden neben der Reihe entlang ritten. Zu leicht könnten sonst irgendwelche Sympathisanten des Kronprinzen auf den Gedanken kommen, die Truppe zu überfallen, um so das königliche Heer ein wenig zu dezimieren. Davon abgesehen würde Robert, als Sohn des Heerführers, eine gute Geisel für die Gegner abgeben, und darauf konnte er gut verzichten.

Es wurde ein langer Tag über staubige Waldwege, felsige Hügel und durch sumpfige Flussauen. Die Sonne, nur selten von ein paar zarten Schleierwolken gedämpft, zeigte sich von ihrer besten Seite und selbst im schattigen Wald wurde es schnell drückend warm. An harte Feldarbeit in der Sommerhitze waren die Bauern gewöhnt, doch ausgedehnte Fußmärsche gehörten üblicherweise nicht zu ihrem Tageswerk. Schnell klagten die ersten über Blasen und Druckstellen, und einige zogen sich bei Stürzen Schürfwunden zu, wenn sie erschöpft über eine Wurzel oder einen Stein stolperten. Die Kolonne zog sich zusehends auseinander, und obwohl sie mehrere kurze Pausen einlegten, hatten Robert und seine Ritter alle Hände voll zu tun, die müden Nachzügler immer wieder anzutreiben.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie endlich die Ländereien von Grantham und nach und nach verließen die Männer, die ihre Farmen in der durchwanderten Gegend hatten, die Gruppe. Es wurde immer dunkler, aber jetzt war es nicht mehr weit. Außerdem befanden sie sich auf bekanntem Gebiet, die Meisten kannten das Gelände und den ausgetretenen Weg recht gut und das machte einen Marsch im schwindenden Licht leichter.

Die Gruppe schrumpfte zusehends zusammen, dann passierten sie die Stadt Grantham und wandten sich der schwach beleuchteten Silhouette der herzoglichen Festung zu, die im Halbdunkel vor ihnen auftauchte. Neben den Rittern waren nur noch eine Handvoll Bauern übrig, die ihre Felder am anderen Ende der herzoglichen Ländereien hatten. Robert beschloss, sie mit in die Burg zu nehmen und ihnen dort ein Nachtlager im Gesindetrakt zu geben. Sie konnten ihre Heimreise morgen fortsetzen, ohne die Gefahr sich im Finstern die Beine zu brechen oder die Köpfe an tief hängenden Ästen einzurennen.

Robert hatte einen Reiter vorausgeschickt, der ihr Kommen angekündigt hatte, trotzdem war die Zugbrücke hochgezogen. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn nach Sonnenuntergang konnten die Wachen nicht genau erkennen, ob wirklich der Hausherr nahte oder vielleicht eine Abteilung Feinde. Kaum in Hörweite wurden sie sofort von den Wachleuten angerufen. Erst als Robert sich zu erkennen gab, senkte sich die Brücke mit lautem Getöse und sie konnten den Burggraben passieren. Das Fallgitter auf der anderen Seite allerdings blieb unten und wurde erst hochgezogen, nachdem der Hauptmann der Wachen Robert im Licht einiger Fackeln genau in Augenschein genommen und identifiziert hatte.

„Sir Robert, willkommen zu Hause.“ Der erfahrene Kämpfer war schon einige Jahre im Dienst des Herzogs und gehörte inzwischen fast zur Familie. Er nahm seine Aufgabe sehr ernst und eben deshalb hatte Herzog Edward ihm den Schutz der Festung übertragen.

„Danke, Sir Charles. Es tut gut, das Zeltlager für eine Weile gegen feste Mauern einzutauschen. Hat es irgendwelche ungewöhnlichen Vorfälle gegeben?“

„Nein.“ Der Ritter schüttelte den Kopf. „Nur die üblichen Sachen: Ein Händler wollte uns schlechte Waren andrehen, zwei Bauern aus dem Dorf Oakhill streiten sich um einen Ochsen und in den westlichen Hügeln haben sich Wegelagerer niedergelassen und überfallen die Durchreisenden.“

Robert grinste. „Also alles wie immer. Den Alltagsproblemen ist es egal, ob man vielleicht anderweitig beschäftigt ist.“

„Ach ja, ein Bote aus London war hier und hat Sir Edward gesucht. Er ist nach Leicester weitergeritten“, fügte der ältere Ritter noch hinzu.

„Ja, der war im Heerlager und hatte es sehr wichtig mit einem Schreiben von König Henry. Aber so weltbewegend, wie er tat, war es wohl nicht.“ Robert zuckte die Achseln und wies dann auf seine Begleiter. „Ich habe einen Teil unserer Bauern mit zurückgebracht, schließlich muss sich ja irgendwer um die Ernte kümmern. Diese hier müssen noch ein Stück weiter, aber für die letzte Wegstrecke ist es heute schon zu spät. Sorgt bitte dafür, dass sie ein Nachtlager und Essen bekommen.“

Müde und froh, endlich wieder zu Hause zu sein, ritt er durch den engen Zwinger weiter in den inneren Ring der Festung. Die Ritter seiner Eskorte und sein Diener folgten ihm zum Haupthaus und ließen sich vor der großen Freitreppe von den Pferden rutschen. Um die staubbedeckten, erschöpften Tiere brauchten sie sich nicht selbst kümmern, das übernahmen mehrere Stallknechte, die schon von den großen Ställen herüber rannten. Auf die Knechte kam an diesem Abend noch eine Menge Arbeit zu, denn die Pferde mussten abgerieben werden und brauchten Heu und Wasser. Bevor nicht jedes einzelne der wertvollen Tiere gut versorgt war, ließ der Stallmeister keinen seiner Leute schlafen gehen.

Robert war kaum von seinem Braunen gestiegen, da sprang ein dunkler Schatten die Treppe hinunter, drängte sich durch die Reiter und stieß ihn schwanzwedelnd mit seiner feuchten Nase an.

„Hallo, alter Freund. Hast du mich vermisst?“ Lachend beugte er sich hinunter und klopfte Achilles, dem großen Jagdhund seines Vaters, den Rücken, dann stieg er mit dem Hund an seiner Seite die Stufen zur großen Eingangspforte hinauf.

Bei diesem schönen Sommerwetter stand die Tür ebenso wie alle Fenster weit offen, um möglichst viel Wärme in die Räume zu lassen. Später, in der Kühle der Nacht würden die Hausdiener die Öffnungen wieder schließen, aber jetzt herrschten noch angenehm warme Temperaturen. Oben angekommen hieß der Haushofmeister den Sohn des Burgherrn höflich willkommen und fragte nach Anweisungen. Robert blieb kurz stehen, während die Ritter schon die Halle betraten und ihren, in einem Seitenflügel gelegenen Unterkünften zustrebten, um sich für das Mahl zu waschen und frische Kleidung anzulegen.

„Wir sprechen morgen, Cecil. Heute möchte ich nur einen ruhigen Abend verbringen. Ist das Mahl vorbereitet? Ich bin sehr hungrig.“

„Natürlich, Mylord.“

Der Haushofmeister wies mit einer angedeuteten Verbeugung auf die bereitstehenden Tische im Hintergrund, die schon mit Geschirr gedeckt waren. Nur die Speisen fehlten, aber die Küchenmägde standen sicher schon auf Abruf. Der Anblick alleine brachte Roberts Magen zum Knurren. Da sein Kommen bekannt war, hatten die Burgbewohner mit dem Essen auf den Hausherrn gewartet und waren sicher ebenso hungrig wie die Ankömmlinge. Er wollte die Ritter und ihre Damen nicht unnötig warten lassen, also eilte er die Treppe hinauf in seine persönlichen Gemächer und machte sich für das Mahl bereit.

Am nächsten Morgen schickte er als erste Handlung, noch vor dem Morgenmahl, einen Reiter mit einer Nachricht nach Sleaford und bat Lady Ann darum, ihre Tochter Joan besuchen zu dürfen. Er hatte seine Verlobte einige Wochen nicht gesehen und wäre am liebsten einfach auf sein Pferd gestiegen und losgeritten. Aber das ging natürlich nicht. Solange Robert und Joan nicht verheiratet waren, musste er brav um Erlaubnis ersuchen, wenn er seine Zukünftige sehen wollte. In Abwesenheit von Sir Brian war dessen Mutter Lady Ann die Herrin der Grafschaft und musste erst ihre Einwilligung geben. An Tagen wie heute verfluchte Robert die lästige Etikette, besonders da die Heiratsverträge längst unterzeichnet waren und seine Anfrage eine bloße Formsache war. Doch wenn er Joans guten Ruf nicht gefährden wollte, hatte er keine andere Wahl.

Erst nachdem er den Boten auf dem Weg nach Sleaford wusste, wandte er sich den vielfältigen Aufgaben eines Burgherren zu. Wegelagerer gehörten in einem Herzogtum schon fast zu den üblichen Problemen, und streitende Bauern, Handwerker oder Stadtbürger waren sowieso Alltag. Irgendwer beschwerte sich immer, und meist über ziemlich unwichtige Kleinigkeiten. Glücklicherweise ließ sich für solche Fälle aber auch recht leicht eine Lösung finden.

Die meiste Zeit jedoch benötigten trockene, langweilige Verwaltungsangelegenheiten, die niemand gerne erledigte, und Robert bildete da keine Ausnahme. Aber als ältester Sohn des Herzogs und Erbe des Titels und der Ländereien konnte er sich nicht davor drücken. Sich um wirklich alles persönlich zu kümmern war allerdings kaum möglich, deshalb übernahm üblicherweise der Haushofmeister einige Aufgaben. Und Sir Edward hatte für den Schriftverkehr auch einen Schreiber angestellt.

Hilfe war auch nötig, besonders weil sowohl Sir Edward als auch Robert nicht immer vor Ort sein konnten. Wenn sie wieder einmal im Auftrag des Königs unterwegs waren, durfte natürlich nicht die ganze Verwaltung wochenlang unerledigt bleiben. Dann übernahm Haushofmeister Cecil, unterstützt von Hauptmann Sir Charles, die Vertretung des Hausherrn. Allerdings hatten beide natürlich nur bedingte Befehlsgewalt, und es blieb immer mehr als genug Arbeit liegen, die aufgearbeitet werden musste.

Also verdrängte Robert die Gedanken an Joan und machte sich an die Arbeit. Am frühen Nachmittag kam der ausgeschickte Reiter zurück und brachte die Antwort von Lady Ann. Natürlich bekam Robert seine Erlaubnis und eine herzliche Einladung für das nächste Wochenende.

Bis dahin waren es nur noch drei Tage und die verbrachte er damit, die dringendsten Angelegenheiten zu regeln. Besonders diesen dreisten Wegelagerern musste unbedingt das Handwerk gelegt werden, deshalb schickte Robert einen jungen Hausknecht hinaus, der den Hauptmann zu ihm rufen sollte. Kurz darauf kam der Junge zurück und hielt Sir Charles die Tür zum Arbeitszimmer auf, das Robert und sein Vater gemeinsam nutzten. Zwischen massiven Regalen, die sämtliche Wände bedeckten und sich unter unzähligen Papieren, Büchern und Schriftrollen bogen, blieb gerade noch Platz für die Schreibtische der beiden und ein paar einfache Stühle.

Achilles, der Robert nicht mehr von der Seite gewichen war und sich auf einem abgenutzten Hirschfell vor dem feuerlosen Kamin niedergelassen hatte, sah kurz auf und schnupperte in Richtung der Tür. Dann hatte er Sir Charles erkannt und ließ den breiten Kopf beruhigt wieder auf die Pfoten sinken. Eigentlich für die Jagd ausgebildet, war der Hund aber auch der beste Leibwächter, den sich ein Mann nur wünschen konnte, und er nahm seine Aufgabe sehr ernst. Kein Fremder würde ohne Erlaubnis auch nur in Roberts Nähe kommen, ohne einen Angriff zu riskieren.

Sir Charles war kein Fremder, also durfte er ungehindert eintreten. Selbst Aristokrat, aber als jüngerer Sohn ohne Anspruch auf die Ländereien seines Vaters, bestritt Sir Charles schon seit jungen Jahren seinen Lebensunterhalt als Ritter im Dienst verschiedener Herren. Er war ein erfahrener Krieger, hatte für König Henry in der Normandie und in Irland gekämpft und sich zum Truppenführer hochgearbeitet. Dann hatte Roberts Vater ihn nach Grantham geholt, weil er einen guten Mann für die Sicherheit seiner Familienfestung brauchte.

„Sir Robert, Ihr wolltet mich sprechen?“

„Setzt Euch, bitte.“ Robert wies auf einen Hocker neben dem weit geöffneten Fenster. „Wir müssen etwas gegen diese Banditen unternehmen, die sich in den Hügeln bei Sedgebrook eingenistet haben.“

„Ja, langsam häufen sich die Beschwerden.“ Der Hauptmann setzte sich auf einen Hocker an der Wand und lehnte sich entspannt gegen ein Regal neben dem Fenster, die krummen Reiterbeine ausgestreckt. „Alle paar Tage wird aufs Neue ein Überfall gemeldet. Die Kerle sind von einem anderen Schlag als die sonst üblichen Strauchdiebe, die ab und zu einem unvorsichtigen Reisenden ein paar Münzen abnehmen und bei Gegenwehr sofort das Weite suchen. Es hat schon mehrere Verletzte gegeben, und das, obwohl die Überfallenen nur wenig Widerstand geleistet haben. Ihr habt die Berichte sicher gelesen.“

Robert nickte. „Habe ich. Alle Opfer sagen übereinstimmend, dass es sich um eine recht große Gruppe Kerle handelt, die ihre Fäuste sehr locker sitzen haben und auch ihre Waffen ohne Skrupel einsetzen. Und sie können mit ihren Waffen gut umgehen. Zu gut für gewöhnliche Landstreicher, die ihr Geld ein wenig aufstocken wollen.“

„Für mich klingt das ganz nach Söldnern“, meinte Sir Charles. „Ich denke, die ganzen Gerüchte um eine Invasion des Kronprinzen locken viele zwielichtige Gestalten ins Land, die auf leichte Beute hoffen. Und die Invasion ist nicht alles, außerdem wird ja auch noch behauptet, ein Krieg mit Schottland stünde unmittelbar bevor. Nur, solange es nicht tatsächlich Kämpfe gibt, haben Söldner keine Arbeit. Also betätigen sich einige davon eben als Banditen und hoffen, wir hätten andere Sorgen, als uns um einige ausgeraubte Reisende zu kümmern.“

„Kann gut sein. Aber eigentlich spielt es keine große Rolle, wer da die Leute überfällt. Auf unseren Ländereien werden wir das nicht dulden. So brutal, wie die Bande vorgeht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die ersten Toten gibt, und soweit darf es nicht kommen. Wenn die Kerle ungeschoren plündern und morden können, wie es ihnen gefällt, wird sich das in Windeseile herumsprechen und Nachahmer animieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass marodierende Banden auf die Dauer mehr Schaden anrichten, als es ein feindliches Heer je könnte.“

„Also blasen wir zur Jagd?“ Sir Charles richtete sich gerade auf, schon voller Tatendrang. „Ich werde schnell ein paar Männer zusammentrommeln und dann zeigen wir den Kerlen, wie man sich bei uns zu benehmen hat! Wir nehmen genug Leute mit, durchkämmen die Gegend und scheuchen sie wie die Füchse aus ihrem Bau!“

„Ich fürchte, das würde nicht helfen. Sobald wir in die Nähe der Kerle kommen, verstecken die sich irgendwo in den unwegsamen Hügeln und spielen Verstecken mit uns. Der Wald ist dort stellenweise undurchdringlich.“

„Schon, aber sie können sich nicht ewig verkriechen. Irgendwann würden wir sie kriegen“, versicherte Sir Charles. „Wenn wir Fährtenhunde einsetzen, finden wir ihr Versteck auch im dichtesten Gestrüpp.“

„Dann verlegen sie ihr Lager eben woanders hin und wir fangen von vorne an. Das braucht viel zu viel Zeit. Außerdem, wenn die Kerle wirklich Fremde sind, können sie sich einfach absetzen und in einem anderen Distrikt weitermachen.“ Robert klopfte nachdenklich mit den Fingern auf die zernarbte Platte seines Schreibtisches. „Nein, wir sollten ihnen eine Falle stellen.“

„Ja! Das ist gut! Wir halten ihnen einen Köder vor die Nase, und wenn sie danach schnappen, greifen wir uns die Kerle!“

„Genau. Einer fetten Beute werden die Banditen hoffentlich nicht widerstehen können.“

„Hm, mal sehen. Am besten wäre wohl ein Händler, der ein bisschen nach etwas aussieht. Teure Kleidung, Schmuck, voll beladene Packpferde und so. Und ein Knecht, der sich um die Pferde und die Handelswaren kümmert.“ Sir Charles war sofort Feuer und Flamme.

„Vielleicht noch einen Wachmann, schließlich haben wir unsichere Zeiten und da reist ein Händler mit halbwegs wertvoller Ware nicht ohne Schutz. Wir dürfen aber nicht übertreiben, sonst werden sie misstrauisch“, fügte Robert hinzu.

„Dann also drei Männer. Unter unserer Burgbesatzung sind einige Ritter von auswärts, die hier in der Gegend nicht bekannt sind und für so einen Einsatz infrage kommen. Wählt drei Männer aus, und die stecken wir dann in passende Verkleidung. Der Waliser, Sir Tristan, zum Beispiel“, überlegte Sir Charles. „Der würde mit seiner rundlichen Figur einen guten Händler abgeben. Und der grobschlächtige Bursche aus Yorkshire mit seinen schlechten Manieren könnte den Knecht mimen. Außer den Männern, die die Köder spielen, brauchen wir noch, sagen wir zwei Packpferde, ein paar Säcke und Kisten als Handelsware und ein paar Ritter, die im Hinterhalt warten.“

„Ich sehe schon, das ist eine Aufgabe für Euch“, lachte Robert. Der Enthusiasmus des Hauptmannes gefiel ihm. „Übernehmt Ihr das. Ich überlasse Euch die Einzelheiten. Passt aber auf, schließlich werden die Banditen mit Verfolgung rechnen und entsprechend die Gegend beobachten. Wenn die Kerle Verdacht schöpfen, sind sie über alle Berge.“

„Natürlich. Ich bleibe mit der Schutztruppe auf Schleichwegen und umgehe alle Siedlungen und Gehöfte. Wir werden so unsichtbar sein wie die Waldgeister.“ Sir Charles stand auf, zog sein Wams gerade und ging zur Tür. „Die Kerle haben wir ganz schnell, versprochen.“

Robert sah ihm einen Augenblick lächelnd nach, bevor er sich wieder dem Papierstapel auf dem Tisch widmete. Diese Angelegenheit war schon so gut wie erledigt. Der Hauptmann war wie ein Bullterrier: Einmal in die Sache verbissen, würde er nicht locker lassen, bis die Kerle gefangen waren.

Nach zwei weiteren arbeitsreichen Tagen, die auch einige Ritte in die umliegenden Ortschaften einschlossen, wo er verschiedene Streitigkeiten um irgendwelche Nichtigkeiten schlichten musste, kam endlich das Wochenende. Robert erwachte am Samstag wie immer schon früh, aufgeweckt von den durchdringenden Rufen der Mauersegler, die auf der Jagd nach Insekten um die Gebäude und Zinnen der Festung flitzten. Seine Privaträume gingen nach Osten und an einem sonnigen Tag wie heute leuchteten die warmen Strahlen schon kurz nach Sonnenaufgang durch das weit geöffnete Fenster in sein Schlafgemach.

Einen Augenblick ließ er die Gedanken schweifen und genoss die Ruhe, die noch nicht vom Lärm des Tagesgeschäftes gestört wurde. Dann schlug er die leichte Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Heute würde er Joan wiedersehen! Seinen Freund Duncan wollte er auch noch besuchen, aber das hatte Zeit bis nächste Woche. Er gähnte herzhaft und reckte die langen Glieder, dann trat er zu einem kleinen Tisch neben der Tür und griff nach dem kunstvoll bemalten Tonkrug. Vorsichtig goss er etwas frisches Brunnenwasser in die daneben stehende Schale und wusch sich schnell. Kühl und angenehm erfrischend vertrieb das Wasser schnell die letzte Müdigkeit. Die Reitkleidung war schnell angezogen, dann rief er seinen Kammerdiener herein, um sich mit den eng sitzenden Lederstiefeln helfen zu lassen.

Ein Schatten ließ ihn ans Fenster treten und einen Blick hinauf zum Himmel werfen. Während der Nacht waren einzelne Wolken aufgezogen und brachten etwas Weiß in den blassblauen Morgenhimmel. Sie wirkten wie freundliche Schönwetterwolken und hatten auch keinen großen Einfluss auf die sommerliche Wärme, die aus dem Innenhof zu ihm hinauf stieg. Aber das waren wohl die Vorboten für den Wetterumschwung, den ihm wetterkundige Bauern gestern schon angekündigt hatten.

Robert verzog missmutig das Gesicht. Schade, die ungewöhnlich lange Schönwetterperiode der letzten Zeit war schon sehr angenehm gewesen. Im Stillen hatte er gehofft, die Bauern würden sich ausnahmsweise einmal irren. Doch wie es aussah, würde er seinen Regenumhang mitnehmen müssen, der in seinem feuchten Heimatland meist sowieso zur Standardausrüstung gehörte. Die einheimischen Angelsachsen mit ihrer hellen Hautfarbe hatten den Regen schon wieder herbeigesehnt, doch Robert war eher ein Mensch, der Wärme vorzog.

Regen würde die Belagerung von Leicester nicht angenehmer machen, dachte er kurz mit einem Schaudern. Triefende Zelte, klamme Kleidung, die nie richtig trocken wurde, feuchtes Essen und ein aufgeweichter Boden, der durch die unzähligen Füße und Pferdehufe schnell zu knöcheltiefem Morast werden würde. Doch dann schob er den Gedanken wieder zur Seite. Damit würde er sich noch lange genug herumschlagen müssen. An diesem Wochenende würde er sich einzig und allein um seine sowieso schon viel zu kurz gekommenen Privatangelegenheiten kümmern.

Er stieß sich vom Fensterbrett ab, setzte sich auf einen dreibeinigen Hocker und ließ sich gründlich rasieren, schließlich wollte er seiner Verlobten ja nicht wie ein Landstreicher entgegentreten. Erst nachdem auch wirklich jede Bartstoppel dem Rasiermesser seines Kammerdieners zum Opfer gefallen war, ging er zum Frühstück hinunter.

Im Namen des Prinzen

Подняться наверх