Читать книгу E-Mail an Georg Friedrich Händel - Sabine Rydz - Страница 10

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„Wie lange soll ich bloß noch hier in Halle an Saale ausharren“, das wirst du dich pausenlos als talentierter junger Mann gefragt haben, denn unser schönes Halle war ja in der Barock-Zeit nicht gerade die ultimative Musik-Hochburg, und auch nicht das Dissidenten-Zentrum der ehemaligen DDR.

Ja, du wolltest einfach mehr, nicht das Meer, aber eben hinaus in die Welt, endlich Freiheit spüren, du hattest keine Angst oder Skepsis gegenüber fremden Ländern, ganz im Gegenteil, du wolltest endlich Reisen, Aufbruch um jeden Preis, um die euphorischen Ankunft in einer neuen Welt zu erleben.

Dieser Wunsch hatte sich ganz fest in dein aufnahmebereites Gehirn eingebrannt, sonst hättest du sicherlich auch Neurosen bekommen, ein Schreckensbild der Normalität, nicht nur bei Hochbegabten und Genies.

Ein junger Mann deines Schlages verwandelt doch in der Fremde den Wind in Stürme, und wer sächsisch kann, ist überall in der Welt zu Hause, vor allem natürlich als genialer junger Musiker und Avantgard-Künstler, da spielt auch misstönender Gesang, ob Ost oder West keine Rolle, weil in der Kunst oder Musik geht es nicht nur um Geld, sondern um Provokation gepaart mit Durchsetzung von Talent, Kreativität. Oder? Was hast du für eine Position über Musik und Kreativität, würde mich sehr interessieren, kannst du nicht mal aus dem Olymp eine Mail schicken?

Interessant wäre noch, ob unser Georg Friedrich zu diesem Zeitpunkt in Halle an der Saale lange blonde Haare trug, als er als junger zorniger Mann unterwegs war, aber keiner kann es genau sagen, oh pardon, er war ja nicht zornig, und mit Polizisten war er auch nicht in Straßenschlachten verwickelt, und schon gar nicht hat er die Hymne der amerikanischen Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung gesungen. „The Anser ist blowing in the wind …“ von Bob Dylan.

Vielleicht doch? Mayby, sometimes?

Ja, aber unser Georg Friedrich und Bob Dylan, sie wären gemeinsam der musikalische Hype zu allen Zeiten gewesen, wenn sie sich 1987 in Berlin zur 750 Jahrfeier kennen gelernt hätten. Zwei, die sich von assyrischen Gipslöwen und vom antiimperialistischen Kulturgut befreit haben und zwar schon in ihrer Jugend, und sie hätten sich auch mit Erfolg von der „Ensemble Musik“ strikt distanziert, wie sich das linientreue musikalische Treiben in der ehemaligen DDR nannte, und in Berlin im „Haus der Jungen Talente“, kurz Hdj T live abspielte.

Aber plötzlich passiert etwas Unerwartetes im Leben von Georg Friedrich, ein starkes Rütteln aus dem Nichts. Es gibt eine kryptische Durchsage in seinem Gehirn, die da lautet: Ich will reisen, reisen, reisen und unterwegs sein, es ist das ultimative Lebensmotiv aller Sachsen, unsere DNA gewissermaßen, ich bin genauso reisewahnsinnig.

Aber nicht nur Georg Friedrichs Reise- und Lebenslust kennzeichnete seinen Charakter, sondern vor allem sein lebendiges Bedürfnis zu musizieren und zu komponieren, erzählt von menschlichen Gefühlen. Er beschwört geradezu die Notwendigkeit von Schönheit und Kreativität, aber nicht nur im stillen Kämmerlein, nein du brauchtest jetzt unbedingt einen fähigen Musiklehrer, denn dein unstillbares Bedürfnis Musik zu schaffen, musste sofort befriedigt werden, in diesen Momenten hattest du ungeheure Kraft, die umgewandelt werden musste in musikalische Taten, da gab es keinen Weg zurück. Dabei kamst du, wie bereits bemerkt, gar nicht aus einer musikalischen Familie, die riesige Stammbäume von erfolgreichen Musikern aufweisen konnte. Nein ganz im Gegenteil, deine Mutter war Pastorentocher durch viele Generationen hindurch, evangelisch versteht sich im Kern-Lutherland, und dein gestrenger Herr Papa war erfolgreich als Barbier und Arzt pausenlos unterwegs, und Zeit seines Lebens auch als Retter überall im Ausland tätig.

Als er dann zum zweiten Mal heiratete, war er zwanzig Jahre älter als seine blutjunge Frau, deine Mutter, mit der er noch vier Kinder bekam. Alle Achtung, eigentlich hattet ihr eine ganz moderne, interessante Familienkonstellation, wie sie heute fast normal ist, zumindest in der Bürgerlichen Mitte wie wir heute gerne die mittlere Schicht der Bourgeoisie nennen.

Ja, da staunst du, Patch-Work-Familien sind heute nicht nur Lebens- und Trainings-Trends, sondern sogar Life-Style, mein Lieber, nicht nur in London, nein auch in Halle an der Saale.

Ja, und was ich auch für die damalige Zeit verblüffend finde, dass dein Vater ununterbrochen als engagierter Barbier und Wundarzt arbeitete, was zu jener Zeit ein echter Knochenjob war, und eine Art Dienstleistung darstellte, und kein privilegiertes Leben versprach, unglaublich.

Aber dein Herr Papa ist in Europa viel herumgekommen, und über Arbeitsmangel konnte er sich im Dreißigjährigen Krieg nicht gerade beklagen. Jahre später arbeitete er als Feldarzt im sächsischen Regiment, danach avancierte er doch tatsächlich zum höhergestellten Schiffsbarbier und Arzt und war pausenlos in Hamburg und Lübeck unterwegs. Später segelte er bis nach Portugal, man könnte sagen, er war also schon damals so eine spezielle Art oder der Vorläufer von „Ärzte ohne Grenzen“, irgendwie bewundernswert, dass muss ich neidlos anerkennen.

Interessant zu bemerken an dieser Stelle, dass der Vater des Maestro auch schon diese typische sächsische Lebenseinstellung praktizierte: Immer auf Reisen, immer unterwegs, um sich permanent im Transitzustand zu befinden, eine Abfahrt mit stets offenen Ausgang, Risiko spüren, aber ohne abgetrennte Zonen für Business-Reisende. Ja, das war und ist wohl das Motto, Lebensprogramm aller Sachsen, auch mein Vater war mit dem Sport der ehemaligen DDR lebenslang im Ausland unterwegs, aber er konnte schon vor den Flügen Drinks, Snacks und Speisen zu sich nehmen, und im Flugzeug hinter getönten Fensterscheiben las er intensiv Zeitungen. Ein lesender Sportfunktionär war er und in Sachen Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften auch ganz ohne Grenzen unterwegs, dabei kam er aus einem kleinen Land, dass eine einzige unmenschliche Grenze darstellte, wo ihre Bewohner, eigentlich Gefangene waren und pausenlos indoktriniert wurden, Tag und Nacht, Sommer wie Winter, eben immer, irgendwie bizarr, aber auch grausam, für die, die eben nicht reisen durften, konnten, sollten – wie eben auch ich und Millionen andere.

Ja unsere Väter waren immer auf Achse, und permanent hektisch mit dem Koffer in der Hand unterwegs, und so groovten sie sich durch Europa, manchmal sind im Trubel der Heiterkeiten Koffer abhanden gekommen, leider mit unseren Souvenirs, na ja das konnte dir später auf deinen Reisen natürlich nicht passieren, denn du hattest ja eine Entourage, die alles für dich organisierte, denn du mein guter Georg Friedrich bist ja für die damalige Zeit recht komfortabel gereist, aber nicht so komfortabel wie mein Vater. Dafür wohntest und lebtest du in „Bella Italia“ luxuriöser, als mancher Fürst in Deutschland, und als jeder Sportfunktionär aus der ehemaligen DDR auf jeden Fall, aber gerade das finde ich bizarr, und ist auch die gerechte Belohnung, weil du so coole Musik komponieren konntest, und dass wussten und wissen die Italiener eben zu schätzen.

Für sie war deine Musik wie aus einem Zaubergarten, du Georg Friedrich konntest eben wie kein Zweiter die Kunst, nein die Gunst der Stunde nutzen, und wenn du erst nach England kommst. dann fliegen dir die Royals und Celebrities nur so zu, da erlebst du ein heißes Blitzlichtgewitter ohne Ende, eine Öffentlichkeit vom Feinsten, da wirst du tatsächlich zu Everybody’s Darling gekürt, vor allem wäre Georg Friedrich heute mit William and Harry befreundet, in stilvoller Country-Fashion könnte man sich locker bei der Queen auf dem Lande zur Tea-Party eingeladen, sie wäre very emused. Du solltest, müsstest natürlich nach dem Small Talk auch ein bisschen Orgel spielen, später würde dich Prinz Charles und Camilla zu Opern-Premieren, Dinner-Partys und zu Frühlingsfahrten für Gourmets einladen, aber das wäre für dich natürlich eine Herzenssache. Oder?

Natürlich, du lechzt ja geradezu danach mit den Royals in die Shakespeare-Stadt, Stratford on Avon, Oxford oder Bath zu reisen, das kann ich ja auch alles verstehen. Du möchtest nicht nur ihre Schafherden bewundern, sondern mit ihnen auch das königliche Landleben pur genießen. Good Luck, mein Lieber.

Aber jetzt nicht vorgreifen, sondern noch mal Back to the Roods. Der erste Tatort unseres kleinen Georg Friedrich in Halle an der Saale war der elterliche Dachboden.

Dort oben konntest du des nachts ungestört wie wild und verrückt auf dem Clavichord klimpern, bis dein nächtliches musikalisches Treiben entdeckt wurde, dein Vater war richtig wütend, und verbot dir jegliche Aktivitäten diesbezüglich, denn er wollte auf keinen Fall, dass du, sein Sohn Musiker wird.

Er hatte wie schon erwähnt die höhere Beamten-Karriere für dich fest im Visier. Du solltest verständlicherweise Rechtswissenschaft studieren, um als Anwalt erfolgreich die Quadratur der Prozesse zu gewinnen. Sofort solltest du zum Bürger 1. Klasse avancieren, mit Ferienhaus auf den Kykladen-Inseln, der nicht darum buhlt anerkannt zu werden, sondern der einfach anerkannt ist, also um jeden Preis wollte dein Vater eine Musikerkarriere verhindern, weil Musiker zu jener Zeit eben nur bessere Dienstboten waren, man kann ja deinen den Vater im Grunde verstehen, alle verantwortungsvollen Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder, aber oftmals ist es eben nicht das Beste, was Eltern dafür halten. Ja, so war das eben auch bei dir.

E-Mail an Georg Friedrich Händel

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