Читать книгу E-Mail an Georg Friedrich Händel - Sabine Rydz - Страница 6

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Hallo, verehrter Georg Friedrich!

Heute endlich bin ich mutig genug, um dir eine E-Mail in den Musik-Himmel zu schicken, damit wir uns endlich kennenlernen und virtuell mit einander kommunizieren können, denn du musst wissen, das entspricht heute unserem Zeitgeist.

Oh Gott, na hoffentlich kannst du meine E-Mail auch verstehen, aber deine Bereitschaft und ein freundlicher Blick sind mir doch hoffentlich sicher?

Ja, aber diese E-Mail, mein Lieber, soll natürlich auch eine liebevolle multi-mediale Hommage an dich und deine wunderbaren Kompositionen sein, denn ich bin ein glühender Fan deiner coolen Opern-Werke, die sich hier auf der Erde größter Beliebtheit erfreuen, ja da staunst du? Aber ich will dir auch Informationen aus er heutigen Zeit übermitteln, gewissermaßen als Stimmungsaufheller, falls du mal in depressive Verstimmungen verfällst, denn im Himmel ist ja auch nicht immer alles Gold, was da so glänzend durch die Atmosphäre fliegt? Jetzt habe ich nur die Hoffnung, dass wir sofort intensiv in E-Mail Kontakt treten und so könnte moderne Literatur einmal das sein, was der Leser sich immer von ihr wünscht: interessant, authentisch, relevant und unterhaltsam.

Aber vielleicht ist es doch bloß eine Fiktion, aber auf jeden Fall eine unverhüllte Informations-Begierde, denn ohne Phantasien und mutige Aufbrüche in die Zukunft hättest auch du keine Opern schreiben können, mein Lieber, aber deine aufregende Biographie soll dennoch realistisch sein, und nicht durch den romantischen Dunst schweben, und schon gar nicht durch die rosarote Brille betrachtet werden, das kann ich dir jetzt hier und heute schon versprechen.

Aber für das spezielle innere Fan-Glühen gibt es auch in der Moderne noch keine Immunisierung. Gott sei Dank.

Dir zu schreiben fällt mir irgendwie nicht leicht, es ist für mich so abenteuerlich wie ein inspirierter Erstbesteigungsversuch des Mount Everest, der hoffentlich auch glücklich endet, denn wir sind heute süchtig nach Inspiration und Ermutigung, suchen ständig Orte der Kraft, du wirst es nicht glauben, aber wir lieben auch exotische Pflanzen und Gärten, wo wir unsere Batterien so richtig wieder aufladen können, aber vor allem brauchen wir ständig Musik, die berührend wirkt, und uns hinreißende Konzertabende beschert, wo wir von Glück erfüllt werden, also von deiner tollen Musik, vor allem die herrlich-melodiös klingenden Opern, jene ultimativen Helden, die auch in der Moderne unsterblich geworden sind: Rinaldo, Rodolinda, Poro, Almira, Ariodante, Xerxes, Giulio Cesare. All deine Werke sind mehr Wert als alle Aktien dieser Welt, das musste ich dir unbedingt mailen, egal wo du gerade in der Stratosphäre schwebst …

Aber wusstest du eigentlich mein Lieber, dass bei manchen Männern nur der Vorname genügt: Michelangelo, Leonardo, Elvis und natürlich Georg Friedrich, und man hat sofort ihr Bild, ihre Werke oder Kompositionen im Kopf.

Das bloße Erleben eurer Werke ist für uns heute ein unglaublicher Zauber, sowie ein herrliches Vergnügen, weil das Publikum damals wie heute unentrinnbar in den Bann genommen wird, damit werden auch tiefe Emotionen transportiert, vor allem aber ist eine einzigartige Sinnlichkeit in unser Leben inszeniert worden wie ein wundersames Serum, dass uns modernen Menschen Freude und Stützkraft gibt, verstehst du mein Lieber, das musste ich Dir unbedingt mitteilen, egal wie, manchmal muss Mann oder Frau eben neue Kommunikationswege finden, ist vielleicht genauso aufregend wie „Die Vermessung der Welt“?

Ihr seid für uns Helden, und es gab in eurem Leben keine arglistige Bemäntelung von Selbstbereicherung, keine Lügen, keinen Betrug, keinen Wucher, keine Vorurteile, aber die Entzauberung eines einseitigen Weltbildes, und natürlich die wirklich diebische Freude, etwas Einzigartiges geschaffen zu haben, das hat euch über die Jahrhunderte keiner nachgemacht, das kannst du mir wirklich glauben.

Nichts habt ihr bedauert in eurem Leben, denn ihr seid einer wie der andere zu einmaligen Trendsetter eurer Zeit geworden. Wunderkinder ist wohl ein strapazierter Begriff, aber bei euch Mega-Stars muss man dieses Wort sofort anwenden, denn Publikum und Kritiker empfanden euch alle gleichermaßen wie ein Mirakel, und der Erfolg war für euch nicht nur eine hochkarätige Glanzparade schlechthin, sondern das Salz auf eurer Haut, gewissermaßen das betörende Parfum eures Lebens mein Lieber oder wie würdest du das interpretieren?

Ja, aber wo soll man bei euch Genies, vor allem bei dir mit dem Schreiben beginnen, natürlich mit dem Anfang wie Brecht so richtig bemerkte.

Ja, also du Georg Friedrich wurdest genauso wie ich am romantischen Saale-Srand der sächsisch-anhaltinischen Stadt Halle geboren, da staunst du was, ja aber es stimmt, ich gebe zu, ich bin stolz darauf.

Ja, und rein biographisch gesehen, kommst du genauso wie ich, weder aus einem. Hinterhof noch aus der Hochfinanz, ganz zu schweigen vom Hochadel, und du warst auch kein Kleinbürgerkind, die immer das Billige bevorzugen, und permanent Turnschuhe mit dicken Sohlen tragen, denn: „Geiz ist ja jetzt geil“, aber immer geil sein macht impotent, sagen zumindest unsere modernen Sexualforscher, ja und die müssen es ja wissen.

Also Georg Friedrich, du entstammtest wie wir heute modern sagen aus der „Bürgerlichen Mitte“, das ist heute der neue und passende Ausdruck für diese besondere Schicht des gehobenen Bürgertums, ja da staunst du mein Lieber, diese Definition hättest du nicht erwartet? Oder?

Aber die Herkunft ist sekundär bei Genies. Fakt ist, dass du mein Lieber weder Techno-Freak gewesen bist, und auch keine Elektronik-Musik gehört hast, es war einfach nicht deine Zeit, aber das spielt keine Rolle für dein Leben, denn du hast ja ununterbrochen richtig coole Musik selbst komponiert, phasenweise hat sie dich in totale Ekstase und völlige Erschöpfung gebracht, aber ja, das hast du dir selber zuzuschreiben, man kann es auch übertreiben mit der Musik.

Eigentlich wolltest du es nicht anders, du warst ja gewissermaßen damals schon ein richtiger Workoholic, da blieb nicht viel Zeit für romantische Sinnlichkeit mit jungen attraktiven Damen im Mondenschein.

Aber uns gehen heute wie damals deine herrlichen musikalischen Werke, dein spezieller Sound total unter die Haut, aber vor allem in die Ohren, das ist einfach der Hammer wie junge Leute heute sagen, wenn sie von etwas total begeistert sind, aber ich sage das natürlich auch, weil ich will ja auch noch jung sein und mitreden.

Wir Händel-Fans wie wir uns heutzutage liebevoll nennen, bekommen schwingende Herzen und Schultern, und möchten eigentlich die Hüften bei deiner Musik bewegen, aber ich gestehe, ich getraue mich das nicht in der Oper oder beim Konzert.

Ja, aber dass ist eben das Tolle, das Gigantomanische, uns elektrisieren deine Arien, Kantaten, Capricci, und Chöre, wir fühlen uns wie mit Einstein im Fahrstuhl, weil du ein globales Musik-Laboratorium in deinem Gehirn entwickelt hast, das fabelhafte Kreationen zaubern konnte, wie Monumental-Bauten oder die Halleluja-Berge in den Alpen, und deine fetzigen Oratorien, gar nicht zu reden von den zahlreichen sorgfältig ausgearbeiteten Arien und Instrumental-Passagen mit Oboe und Flöte, einfach zum dahin schmelzen.

Wenn wir deine Vokalisen, deine stahlharten Rhythmen und sieghaften Märsche in den Opern hören, lächelt uns deine Virtuosität an, und so fühlen wir uns sofort glücklich, weil Serotonin ins Gehirn befördert wird, das ist quasi das ultimative Mittel gegen Gehirn- und Musikverfall, Mann oder Frau wollen immer deine herrlichen Opern hören, zu jeder Zeit und Stunde, all over the world, auch ohne Armani-Anzug oder Versace-Ball-Kleid mit Tüllgardine vor dem Gesicht oder auf dem Kopf, verstehst du mein Lieber, wir sind süchtig nach deiner coolen Musik.

Ja, und ich erinnere mich noch genau an eine Weihnachtsfeierbeim Fernsehen der DDR, Bereich Dramatische Kunst, wo ich vor der Wende jahrelang gearbeitet habe.

Der Großinquisitor und sozialistischer Chef-Ideologie Karl-Eduard von Schnitzler spielte inbrünstig einige Takte aus deiner „Feuerwerksmusik“ auf dem Klavier, das sich auf einem kleinen Podest befand, richtig feierlich wurde es plötzlich in unserer tristen Kantine in Berlin-Adlershof, aber nicht etwa wegen Karl-Eduard von Schnitzler, nein natürlich nicht, sondern wegen deiner einzigartigen traumhaften Musik.

Deine Musik hat mich damals schwer beeindruckt, richtig majestätisch hörten sich die Klänge an, und mir war sofort bewusst, Georg Friedrich, du musstest ein wunderbarer Musiker gewesen sein.

Aber man stelle sich vor, die Kultur-Administration unserer ehemaligen DDR hatte deine „Feuerwerksmusik“ nicht als Dissidenten-Sound oder Spießervariante der Klassischen Musik eingestuft, sondern als ikonographische Populärmusik, die für „Würde“ und „Feierlichkeit“ stand, und sicherlich jetzt aktuell nach neuesten Erkenntnissen auch in der islamischen Welt anerkannt ist, Gott sein Dank, du wirst jetzt die ganzen Zusammenhänge sicherlich nicht verstehen, aber das erkläre ich dir später, versprochen.

Ein gewisser Stolz erfüllt mich schon, dass ich genauso wie du, der berühmte Maestro in Halle an der Saale geboren wurde.

Wenn ich bloß an dich denke, werden meine Knie weich, ich beginne wie wild zu träumen, zu fantasieren, Georg Friedrich, du muss ja auch ein unheimlich attraktiver Mann gewesen sein, nicht nur eben genial und mit musikhistorischer Relevanz, sondern ein irrerschräger Typ mit langer Mähne, wie unsere coolen 68-Männer, und du hattest schon in jungen Jahren dieses beeindruckende Charisma, sowie einschmeichelnde Grandezza, eben Sex-Appeal, dem sich keine Frau oder Mann entziehen konnte.

Ja, verehrter Georg Friedrich, du wurdest seinerzeit eigentlich nur von Signore Casanova getoppt, aber nicht als Musiker, sondern natürlich als Kavalier oder warst du vielleicht heimlich bei Nacht und Nebel in den venezianischen Gassen und schwer reichen Residenzen als Womanizer unterwegs, und hast diesbezüglich bei den vornehmen aufgebrezelten Damen des Adels so richtig mit melancholischen Augenaufschlägen Händchen gehalten haben?

Nein bitte nicht, das kann ich mir zumindest nicht vorstellen, und vor allem nicht glauben, das würde mich schwer enttäuschen, du bist ja schließlich nicht Richard Gere, und auch „Kein Mann für gewisse Stunden“, sondern für äußerst feierliche musikalische Abende und Nächte, vielleicht aber gingst du manchmal undercover versteht sich in die Senke von Promi-Talk-Shows, wo über assyrische Löwen stundenlang sinnlos getalkt wurde, aber egal, das könnten wir dir doch lässig verzeihen, mein lieber Georg Friedrich.

Aber interessieren würde mich und sicherlich auch Donna Leon und auch alle anderen Fans, welches Rasierwasser unser Georg Friedrich heute bevorzugen würde, und ob er Anzüge von Hugo Boss oder doch lieber Armani getragen hätte, vielleicht würden formschöne Designer-Möbel in seinem Haus in der Brook Street stehen oder doch lieber teure Antiquitäten, aber für die Boulevard-Presse wäre sicher wichtig, ob es Trend-Affären gab? Vor allem wann, und mit wem?

Und überhaupt wollen wir alles über dein Privatleben wissen, teuerster Georg Friedrich, denn, das muss ich dir schon gestehen, ich bin im Zweitberuf Paparazza, überall würde ich dich fotografieren, hoch geknipst hätte ich dich, verstehst du, daraus hätte ich mir einen Sport gemacht, mein Lieber, und bei seriösen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF hätten deine Bilder die Einschaltquoten super geputscht.

Aber leider alles umsonst, wir können all unsere Fragen an den Maestro stellen, aber du wirst sie mir sicherlich nicht beantworten, weil du nicht darüber sprechen möchtest, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, und zu Fernseh-Interviews bist du auch nicht bereit, und schon gar nicht, würdest du live zu einer Publicity-Show gehen, aber ich kann das eigentlich nicht verstehen, du bist doch so ein kommunikativer Typ, das erwarten die Fans einfach, versteh doch mal, das gehört zum Musik-Business dazu, das wird dir jeder Manager sagen, ach so ja, du hattest ja gar keinen Manager angestellt für die PR-Arbeit, du hast ja alles selber organisiert.

Na ja, ist schon gut, ich verstehe dich, aber eigentlich sehr schade, wenn ich das noch bemerken dürfte, weil du bist für uns wie der Sonnenkönig, da interessiert uns eben alles über dein Leben.

Aber egal, Fakt ist, dass du unser Georg Friedrich tatsächlich schon als virtuoser Jüngling auf die Orgel und das Cembalo so eingehämmert hast, dass die Tasten und Pedalen nur so tanzten und hüpften, du hast sicherlich mit Klangfarben und Rhythmen experimentiert, sicherlich auch wie wild und verrückt gegroovt, und brachtest die Orgel so zum Stöhnen, Heulen, Wimmern, Ächzen, dass den hohen Fürsten nicht nur der Atem stockte, heute wären deine Auftritte vielleicht zu vergleichen mit dem höchst smarten Violin-Virtuosen David Garrett, wo die Damen auch nach dem Konzert nicht nur Champagner trinken, sondern ohnmächtig die Taschentücher fallen lassen, um sehnsuchtsvoll von einem Blind-Date mit dem jungen Shooting-Star zu träumen, ja da hat sich über die Jahrhunderte in der weiblichen Entwicklungs-Psychologie nichts geändert, ja da staunst du mein Lieber, das hättest du von der modernen Musikwelt nicht erwartet?

Aber komisch, schöne und geniale Musiker werden von den Rating-Agenturen immer ganz hoch gehandelt, für Schönheit und Genialität gibt es kein Verfallsdatum oder Paradigmenwechsel, liegt das nun an der Schönheit oder an Genialität?

Keine Ahnung, wahrscheinlich aber an der Schönheit, denn sie ist heute die höchste Göttergabe, nicht nur bei jeder Art von Promis und Kamera-Künstlern.

Aber Georg Friedrich, du brauchtest weder eine Rating-Agentur noch einen Manager, denn du besaßt ja jede Menge Verstand, weil du das, was du über die Sinne erfahren hast auch mit deinem Verstand begreifen konntest, du hattest eben ein emotionales Raster im Langzeitgedächtnis.

Du konntest also je nach Sachlage ein passendes Selbstbild von dir abrufen, du warst also ein so genannter Neurodidaktiker und außerdem besaßt du schon damals in der Barock-Zeit die ultimative Hollywood-Silhouette, ja da staunst mein lieber Georg Friedrich, was die moderne Psychologie so alles von uns Menschen herausgefunden hat, vor allem außerordentliche Talente, Hochbegabungen wie bei dir.

Jetzt will ich aber mit dem kategorischen Imperativ á la Kant sagen, dass du, unser Georg Friedrich tele- und natürlich auch fotogen bis in die Haarspitzen warst, die modernen Kameras würden dich heute lieben und pausenlos umgarnen. Du konntest dich eben schon als Teenager glamourös selbst inszenieren, das hat dir keiner nachgemacht in all den Jahrhunderten, du warst unbestritten der Favorit an den Königshöfen, dein Schick und Charme frappierte Damen wie Herren des Adels gleichermaßen, da sind unsere heutigen Stars und Mimoplastiker billige Amateure in ihrem taktischen Bemühen, geradezu guerillamäßig versuchen sie sich in die Bresche in Feindesland zu schlagen, um immer wieder auf sich aufmerksam zu machen, und wenn sie als echte Proleten mit der Tür ins Haus stürzen, möchte man ihnen mitleidig zu rufen: „Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei …“

Aber unser Georg Friedrich war richtig Weltniveau, ein wahrer Gentleman, ein Kulturereignis an sich, heute wäre er der Hype und ein absoluter Exportschlager, wie in der ehemaligen DDR solche künstlerischen Ausnahmeleistungen schlagkräftig tituliert wurden bei kulturrevolutionären Auseinandersetzungen im Politbüro, da können auch die beliebten und wohlschmeckenden Halloren-Kugeln nicht ganz mithalten, obwohl sie zur gleichen Zeit in Halle an der Saale kreiert wurden wie unser Wunderkind Georg Friedrich Händel.

Aber was dich wirklich einzigartig machte, du avanciertest bereits in jungen Jahren in Halle zu einer urbanen bürgerlichen Musik-Größe, mit Festanstellung und nicht nur Zeitvertrag, meine Herren Arbeitgebet, Qualität rentiert sich immer, nicht nur in der Konjunktur-Phase, das wusste Karl Marx bereits schon vor 200 Jahren.

Er kam eben in London auch auf ganz revolutionäre Gedanken, das muss an der Stadt liegen, dass die Leute da alle so kreativ werden? Oder?

Aber du Georg Friedrich warst ja bereits oh Wunder schon höchst kreativ mit 17 Jahren. Als Organist warst du ja bereits im Teenager-Alter an der hiesigen Domkirche in Halle an der Saale engagiert, ja der Gute hat auch bescheiden angefangen, aber später konnte er leger in der musikalischen Champions League mitspielen, und einzigartige hypnotische Signale aus der Orgel herausholen, da gab es kein Entrinnen, da sind die weiblichen Fans fast zu Täterinnen und auch gleichzeitig zu Opfern geworden, ja so aufregend war Halle an der Saale in der Barock-Zeit, da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich, wie man in der Ex-DDR in solchen Situationen immer süffisant bemerkte.

Ja, wenn ich heute Georg Friedrichs majestätische Musik höre, empfinde ich sie wie eine persönliche Botschaft, so quasi die heimliche Offenbarung des Maestros an eine Hallenserin, so aus alter Verbundenheit versteht sich, das bringt mich fast um den Verstand, aber vor allem aus meinem labilen Gleichgewicht, denn seine Werke haben es mir emotional schwer angetan, es geht mir fast so wie der berühmten Schriftstellerin Donna Leon, nur das ich nicht für jedes Konzert halb ohnmächtig und auf stolzen Beinen nach New York düsen kann, aber dafür bin ich auch in Halle wie der Maestro geboren, Signora Leon, verstehen sie, ich habe den gleichen Lebensrhythmus wie Georg Friedrich, und auch diese erfrischende Subversivität von Revolutionären und Dissidenten, aber es ist schon beachtlich, dass zwei Frauen gleichzeitig von Venedig und von dir Georg Friedrich schwärmen, wir sind richtig seelenverwandt. Vielleicht sollten wir mal gemeinsam etwas über Georg Friedrich schreiben, Signore Leon?

Wenn ich als Hallenserin Georg Friedrichs Musik höre, dann fühle ich, als würde sich ein Stromschlag durch meinen Körper bohren, eben wie Paris am 14. Juli oder Berlin am 9. November, dieses revolutionäre Gefühl das in einem Frontstadt-Bewohner nie verglühen wird, und während seiner Konzerte beginnen meine Nerven urplötzlich zu flattern, der Pulsschlag erhöht sich rasant schnell, Herz und Seele fliegen hoch hinaus, und an diesen musikalischen Abenden habe ich das untrügliche Gefühl, dass das Tollhaus des Lebens nicht nur Stress und Nervenkitzel bedeutet, sondern auch ergreifende Glückseligkeit, ob das Signora Donna Leon auch so empfindet, das würde mich jetzt wirklich mal interessieren?

Ja, aber wie soll ich dieses coole Lebensgefühl beschreiben, irgendwie bizarr, aber der Konzertmeister meines Lebens hat mich eben in der gleichen Stadt wie der geniale Hofkomponist: Georg Friedrich Händel in Halle an der Saale zur Welt kommen lassen. Aber natürlich nicht zur gleichen Zeit und Stunde, versteht sich, sondern fast 300 Jahre später, aber die ganze Sache mutet doch wie eine kosmische Vision an oder eine schicksalhafte Fügung auf hohem Niveau, die mir noch atemberaubende Herausforderungen bescheren wird, bzw. schon hat, denn an Dramatik in meinem Leben kann ich mich auch nicht beschweren, da stehe ich dem verehrten Maestro in keiner Weise nach, das wollen wir mal festhalten, denn eigentlich waren Georg Friedrich und ich ja auch Nachbarskinder, er war meine Buddelkasten-Liebe, unsere Eltern waren befreundet, im Sommer wurde immer im Garten zusammen gegrillt wie das so in der Bürgerlichen Mitte üblich war und jetzt wieder ist, stundenlang wurden scherzhafte mitternächtliche Reden auf Geburtstags-Partys gehalten, König Alkohol floss nur so in Strömen in Halle an der Saale zu allen Zeiten, vor allem natürlich in der ehemaligen DDR, weil es ja die einzige Droge war, die wir frei konsumieren durften, quasi der Soundtrack eines Terrorstaates …

Ja mein lieber Georg Friedrich mit der ehemaligen DDR ist dir und deiner Familie der blanke Psycho-Terror erspart geblieben, dass kannst du mir wirklich glauben, deine Musik hätten die Machthaber möglicherweise jahrelang verboten, musikalische Schweigepflicht und politische Prozesse hätten auf dich gewartet oder vielleicht ein Arbeitslager im Kohlebergbau wären auch möglich gewesen, und verdrängte Traumata hätten dich immer wieder eingeholt, aber davon vielleicht später mehr. Nein lieber nicht, das deprimiert so!!!

Ja, so oder so ähnlich hat sich das bei uns früher in Halle abgespielt, aber eben vielleicht doch nicht mit der Familie Dr. Georg Händel, aber ich kann mich einfach an die Namen und Details in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht mehr erinnern.

Leider haben nach der Wende diese Stasi-Spitzel auch immer so primitiv argumentiert, dass sie sich an nichts erinnern können, ja das ist eben eine traurige Geschichte, die mich einfach nicht loslässt, die uns auch nicht loslassen darf.

Wir dürfen diesbezüglich im Umgang mit unserer DDR-Geschichte nicht Alzheimer bekommen, niemals, verstehst du? Nein, das kannst du nicht verstehen, wer das nicht erlebt hat, kann es nicht nachvollziehen, es existiert leider kein griechischtragisches Wort dafür?

Aber ich schwöre, dass unsere Geburtshäuser in Halle an der Saale nur wenige Straßen voneinander entfernt liegen, und irgendwo sind wir uns natürlich auch begegnet oder eben an einander vorbei gelaufen. Du könntest ja heute unter uns leben, aber wir würden dich ja gar nicht erkennen, ist ja auch kein Wunder, bei dem Verkehr, bei der Hektik und gefühlsmäßigen Kälte, die jetzt auch nach der Wende in Halle herrscht, ja mein Lieber, da würdest du dich wundern, anders als zu DDR-Zeiten und erst recht zu deiner geliebten Barockzeit, aber Long time Ego.

Komm doch mal aus dem Olymp zurück nach Halle an der Saale, wir würden uns alle sehr freuen mein Lieber, dein Geburtshaus würdest du nicht wieder erkennen – es ist so wunderschön geworden, ein Kleinod der Architektur, wie ein Lampion der in der Nacht leuchtet und von deiner Genialität kündet.

Jeder Besucher kann sich mit Intensität in euer damaliges Leben hineinversetzen, ein Zustand, der den ganzen Tag anhält, und auch keine Sekunde schwindet, das kannst du mir wirklich glauben, mein Lieber. Wenn ich entspannt durch euer tolles Wohnhaus gehe, überwuchert mich eine Fülle von glücklichen Empfindungen, Hoffnungen, so dass ich mich intensiv in deine Musik hineinfühlen kann, aber vor allem beflügelt mich, dass du mir unentwegt jene Kraft ins Ohr flüsterst, die meine Nervosität und phasenweise Mutlosigkeit kraftvoll besiegen kann, ich spüre sogar deine physische Anwesenheit, es breitet sich dann über meinem Leben ein magischer Zauber aus, der von unseren gemeinsamen Seelen ausgeht, dass muss jetzt sofort gefeiert werden …

E-Mail an Georg Friedrich Händel

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