Читать книгу Gittas Bilder - Sabine Rydz - Страница 5
1. Kapitel
Venedig, Markusplatz – „Grand Caffé Quadri“
ОглавлениеHeute Ausstellungs-Eröffnung in Venedig: „Sozialistische Frauen-Portraits aus der DDR.“
So oder so ähnlich lautete wohl vor 25 Jahren eine Schlagzeile in der venezianischen Lokal-Presse, die für unsere Bilder Werbung machen sollte, unglaublich aber wahr, zwei Portraits von meiner verstorbenen Maler-Freundin Gitta durften seinerzeit die kühne Reise über die „Berliner Mauer“ zu einem fast olympischen Bilder-Wettbewerb nach Venedig antreten.
Für Gitta bedeutete es zum damaligen Zeitpunkt die Erfüllung eines künstlerischen Traumes, den sie nie gewagt hätte zu träumen, weil man ja schon bei dem Gedanken nach Venedig reisen zu wollen an der Passkontrolle am Flughafen Berlin-Schönefeld festgenommen wurde, so unmenschlich und schizophren waren das DDR-System und seine Machthaber in der bitterschweren Zeit.
Für mich war es, als hätte sich mein Portrait inbrünstig in den Louvre gebohrt und als würde jemand ein Drehbuch darüber schreiben, einen Film drehen, in dem sich Gittas Kunst für Momente offenbart, aber eigentlich wollte ich jetzt sofort nach Paris, um eine Model-Karriere zu starten, doch leider wie immer in diesem Land nur eine Illusion, eine Extravaganz, aber mein Portrait ging fast auf Weltreise. Nur Bärbel saß traurig auf dem Sofa und zerknüllte die Entscheidung des Verbandes Bildender Künstler, dass ihre Bilder nicht in Venedig ausgestellt werden können, als wir sie am Nachmittag in ihrer Wohnung besuchten, aber die Gründe blieben natürlich geheim, alles top secret, aber jeder im Prenzlauer Berg wusste, dass der Verband sie damit nur wieder demütigen wollte, weil sie gewagt hatte, den sozialistischen Staat zu kritisieren.
Das Imperium schlug aus kurzer Entfernung zurück, und ließ ihre Bilder nicht außer Landes, sondern ordnete strikt an, sie könne demnächst Bau-Zäune im Stadtbezirk Mitte bemalen, dass wäre auch eine lohnende künstlerische Aufgabe für eine Malerin.
Wir tranken Rotwein und schauten uns immer wieder fassungslos an. Bärbel sagte plötzlich leise zu Gitta: „Ich werde diese Tätigkeit nicht annehmen, da kann der Verband machen, was er will.“
„Da hast du recht, lass dich nicht unterkriegen“, erwiderte Gitta zögerlich, weil sie nicht wusste, was sie vor Wut denken oder machen sollte?
Sicherlich würde Bärbel in den nächsten Tagen verschiedene Haltungen gegenüber dem Verband ausprobieren, aber hoffentlich hatte sie sich nicht künstlerisches Versagen eingebildet, denn dazu bestand ja kein Anlass. Aber man hadert in solchen Situationen mit sich und der Welt.
Nach diesem grausam-deprimierenden Thema wechselten wir zu Belanglosigkeiten, um unseren Schock abzureagieren. Aber natürlich war das kein Abreagieren, sondern nur eine simple Verdrängung. In Wirklichkeit beschämte uns Bärbels Absage zutiefst. Gitta klammerte sich mit beiden Händen an das Rotweinglas, und ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, um meine Nerven zu beruhigen, denn wir waren unglücklich, verzweifelt und wütend zugleich, weil unter solchen Bedingungen keine Freude mehr über die bevorstehende Ausstellung in Venedig aufkommen konnte.
Aber eigentlich war es für den Prenzlauer Berg eine echte Sensation, denn damals war er noch nicht zum Yuppie-Wohn-Bezirk mit Loft-Wohnungen avanciert, sondern stachelte als Kunst- und politischer-Widerstands-Bezirk die gesamte DDR an, sehr zum Leidwesen der Administration. Unser Prenzlauer Berg war die Keimzelle der „Friedlichen Revolution“. Tage- und nächtelang kursierte aber Gittas aufregende Bilder-Reise durch Cafés und Kneipen, sogar an der Curry-Wust-Bude auf der Schönhauser Allee wurde darüber gesprochen. Und tatsächlich Wochen später verpackten Gitta und ich unsere Bilder und bereiteten sie auf ihre abenteuerliche Reise vor.
Mit geheimnisvoller Leidenschaft sprachen wir über Venedig. Diese Stadt war für uns weiter weg als der Mond, verheißungsvoll und Lichtjahre von uns entfernt, aber unsere Euphorie borderte über, denn ohne diese übersteigerte Freude hätte es für uns keine Ideen, keine Inspiration und kein Lebensziel mehr gegeben, es keimte Hoffnung auf politische Veränderung auf.
Eine bizarre Ausstellung in einer für uns außerirdischen und unerreichbaren Stadt hatte uns wie ein Stromschlag aufgeweckt, wachgeküsst, und uns verwandelt in sinnlich-erotische wie auch tugendhafte Nymphen. Reflexe dieser Kultfiguren durchzogen unser Fühlen und Denken, und für mich war es fast wie die verspätete Geburt der Venus, und der Auftritt unserer Portraits würde sich nie mehr wiederholen, aber es begann eine Transformation unserer Persönlichkeiten, eine Emanzipation der besonderen Art sollte es werden. Gitta würde möglicherweise bis ans Ende ihrer Tage zur Meisterin der modernen Portraitmalerei avancieren. Von unseren Portraits mussten wir Abschied nehmen, denn wir bekamen vom Kultur-Ministerium keine Bordkarten für den Flug, deshalb brauchten wir auch nicht hektisch einen Gepäckschalter zu suchen. Wir als Personen durften natürlich nicht in die Lagunenstadt reisen, um der Serinissima unsere Aufwartung zu machen. Schon der leise Gedanke daran erfüllte in der bitter-schweren Zeit den Straftatbestand des Vaterlandsverrats, so schizophren und grausam war dieser Staat. Aber diese Zeiten sind Dank der „Friedlichen Revolution“ vorbei, und ich kann jetzt auch immer nach Venedig reisen, wann ich will.
Ja und so war ich eben wieder nach strapaziöser Busfahrt von München quer über die Alpen in Venedig gelandet, in meiner Traumstadt, wo es keinen Unterschied gibt zwischen Touristen und Stars. Das Notwendige ist hier angenehm, und das Unangenehme ist in Venedig erträglich, hier beobachtet man nicht, sondern man wird positiv beeinflusst, aber nicht um zu konsumieren, sondern um zu reflektieren. Fotografen werden zu Ethnographen, und Abenteurer entwickeln sich zu Forschern und gehen hier auf Recherche. So wie ich heute, das war mein angesagtes Ziel, endlich den Palast der Bilder, wo sie vor 25 Jahren ausgestellt waren, zu finden. Aber wo?
Glücklich ließ ich mich erst einmal auf einem der vornehmen Plätze dieses ehrwürdigen Grand Caffé Quadri fallen. Erholen musste ich mich von den Reise-Strapazen, aber ohne Kampf kein Sieg, und ohne Engagement gibt es keine Ergebnisse. Diese kulinarische Stärkung sollte der Worm-up für meine Recherche-Tätigkeit sein. Aber ohne Hektik und Stress geht es in Venedig nicht und schon gar nicht auf dem Markusplatz, wo sich jeder Tourist Tag und Nacht selbst inszenieren möchte und in Glanz und Schönheit versinkt.
Aber nach Selbstinszenierung war mir im Moment nicht, sondern ich las die Speisekarte hoch und runter. Leider war sie nur in italienisch – auch nicht gerade sehr gastfreundlich, aber Italiener haben keine Übersetzungen nötig, genauso wie die Franzosen. Oder aber es ist eine raffinierte gastronomische Methode, um den Umsatz zu steigern. Na ja, ohne etwas von den venezianischen Spezialitäten verstanden zu haben, bestellte ich mir Minuten später beim gutaussehenden Kellner Cappuccino und einen Apfelstrudel, das war ich mir einfach schuldig. Nach der langen Reise musste das jetzt sein, egal wie teuer alles werden würde, Geld spielte heute keine Rolle. Ein Mineralwasser gehörte auch noch zu meiner Bestellung, denn vornehm geht die Welt zu Grunde, vor allem in der Hauptstadt des Größenwahns. Hier war ja der Meeting-Point der historischen Trendsetter wie Casanova, Vivaldi und dem Androgyn-Kastrat Farinelli, die hier nicht nur Triumphe feierten, sondern auch dunkle Ringe unter den Augen hatten und von ihrem Elend mit heruntergezogenen Mundwinkeln sprachen. Dabei klangen ihre Stimmen nach Schmerz und Entsagung, denn ohne Geld boten auch die stadtbekannten Kurtisanen ihre Dienste nicht mehr feil, leider. Dumm gelaufen würde man heute sagen, aber ich wollte ja keine Kommentare zum kapriziösen Lebenswandel von Barock-Größen abgeben. Ich lechzte nicht nach ihnen, doch nach Casanova schon, aber der Palast der Bilder musste gesucht und gefunden werden, und das war schon ein schweres Unterfangen.
Die fragile Dynamik des Suchens kam mir wie eine schwere Zauberformel vor, die aber heute unbedingt eingelöst werden musste. Dabei hatte ich immer die grandiose Endzeit-Sinfonie von Gustav Mahler aus „Tod in Venedig“ im Ohr. Was ging mir jetzt nicht alles durch den Kopf, wirre Gedanken schwirrten so durch die venezianische Luft, unbeschreiblich, aber wen haben wohl seinerzeit unsere „Sozialistischen Frauen-Portraits“ interessiert und wer hat sie sich angesehen? Diese Frage eröffnete sich jetzt, denn die Museen und die stolzen venezianischen Paläste sind doch voll bis unter die Decken gefüllt mit den frühen Symbolen befreiter Malerei: Klimt, Renoir, Corbet, ganz zu schweigen von den Lokal-Matadoren Tintoretto, Canaletto und Tizian, könnte ich ein Original sehen, würde ich vor Glück schreien, lachen, weinen oder sofort ohnmächtig werden, selbst Heilige würden dafür ihre Seele verkaufen, nicht nur Gitta, Bärbel und ich.
Eigentlich ist doch die ganze Recherche ein sinnloses Unterfangen, die bekannte und unbekannte Nadel im Heuhaufen. Sisyphos ließ grüßen, aber beim Stein nach oben rollen, soll man ja zu brauchbaren Erkenntnissen kommen.
An allen Tischen saßen Touristen und bestellten Leckereien beim Kellner. Es kam mir vor wie eine moderne Opernaufführung, aber ohne Partitur einfach so, aus dem Stehgreif. Die Stimmen der Menschen bekamen einen freundlichen Unterton, wenn sie Cappuccino bestellten, und der Kellner lächelte ebenfalls, wenn er servierte. Der Markusplatz war eben die Avantgarde-Opernbühne der Welt und zwar für alle Menschen. Jeder wollte und konnte hier mitspielen und auch mitsingen, das war mir jetzt zum ersten Mal klar geworden, nur die farbige Stimme von Super-Tenor Pavarotti fehlte für das feierliche Finale, leider.
Aber ich musste mich jetzt auf meine Recherche vorbereiten, bei meinen Vorreisen hatte ich ja schon alle wichtigen Paläste fotografiert und alles gesammelte Material zu Hause ausgewertet, aber ich kam zu keinem konstruktiven Ergebnis. Dieser Palast könnte es gewesen sein oder jener, vielleicht auch nicht. Ich sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie man diese Art Begriffsstutzigkeit nennt. Meine Hände klammerten sich jetzt um das Mineralwasserglas, und ich starrte auf die Basilika und konnte das innere Gespräch einfach nicht fortsetzen, es machte sich die allgemeine Recherche-Depression breit bei mir. Schrecklich, ich schaute jetzt gebannt zum Dogenpalast, und mir fiel ein, dass die ehrwürdigen Dogen während ihrer Amtszeit Venedig nicht verlassen durften. Fast wir in der ehemaligen DDR – nur bei uns durfte das einfache Volk nicht das Land in Richtung Westen verlassen, dafür die Bonzen und ein paar systemtreue Künstler, die den Sound des Politbüros sangen. Verkehrte Welt – einfach paradox. Leider konnte ich diesbezüglich niemanden fragen, schon gar nicht den Kellner, der mir aber endlich den duftenden Cappuccino und auch den Apfelstrudel brachte, mir fiel ja auch schon fast der Magen heraus. Doch ich traute meinen Augen nicht, der teure Apfelstrudel, der mir elegant serviert wurde, war nicht nur alt, sondern asbach uralt, um nicht zu sagen vertrocknet. Bloß gut, dass er noch nicht den Aggregatzustand gewechselt hatte. In Berlin oder München hätte ich ihn sofort zurückgegeben, aber hier in Venedig wollte ich mir selber nicht die Laune verderben, also biss ich herzhaft hinein, denn der Hunger war unerträglich. Bloß gut, dass ich mir nicht noch einen Zahn ausgebrochen hatte, Gott sei Dank, so extrem wurde die Situation dann doch nicht. Na ja, nachdem ich einen Schluck vom köstlichen Cappuccino genommen hatte, war ich glücklich, wollte auch nichts mehr kritisieren, sondern lächelte milde und genoss die Atmosphäre einer zu Stein gewordenen Kultur. Doch plötzlich sah ich Desdemona und Othello, wie sie am Dogenpalast vorbei gingen, verliebt wie einst, als sie von Herrn Shakespeare erschaffen wurden. Dass sie so backstage unterwegs sind – gerne hätte ich mich mit Othello unterhalten, ob er sich für den Fall der „Berliner Mauer“ genauso engagiert hätte wie gegen die Türken – doch sie waren genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren – ein Tagtraum oder hatte ich schon bereits Halluzinationen? Nein, natürlich nicht, aber wer interessiert sich heute schon für Othello? Ein paar Theater-Fans und ich natürlich, denn ich bin ja Literatur-Fan. Ganz im Gegensatz zu Gitta und Bärbel – sie waren ja nicht so literaturbegeistert. Na ja, die beiden Meister-Malerinnen sind mehr in Kooperation zu Farben und Leinwänden, sowie Modellen und Museen gegangen. Nein, das werte ich auch nicht als Arroganz, sondern das sind die menschlichen Dramen von Malerinnen.
In dieser so entspannten Situation musste ich unbedingt noch ein paar Postkarten an Bekannte und Verwandte schreiben. Und wie ich so schrieb und in der anderen Hand die Cappuccino-Tasse hielt, fing eine Live-Kapelle zu spielen an – eine wunderbare Untermalung für meine Schreibtätigkeit. Stundenlang hätte ich hier sitzen können bei „Arreviderci Roma“ oder „Oh solo mio“ auf dem schönsten und teuersten Platz Europas, denn als die Rechnung kam, wurde ich fast ohnmächtig. Aber als Dame von Welt habe ich mir nichts anmerken lassen, im Gegenteil, ich bin ja auch größenwahnsinnig und habe dem Kellner noch ein ordentliches Trinkgeld gegeben – was soll der Geiz, in meiner Traumstadt lasse ich mich nicht lumpen.
Während ich den letzten Schluck des Cappuccinos schlürfte, überlegte ich nun ernsthaft in welchem Palast unsere Bilder wohl gehangen haben könnten? Na, hier um den Markusplatz herum konnte die Ausstellung nicht stattgefunden haben, es musste schon in einem der hochherrschaftlichen Stadtpaläste am Canal Grande gewesen sein. Da war ich mir sicher!
Also auf in den Kampf, wäre doch gelacht, wenn wir Preußen nicht das erreichen, was wir uns vorgenommen haben!
Hektisch sprang ich auf, weil ich natürlich innerlich aufgewühlt war. Ich stand unter Erfolgsdruck, auch Gitta zu Liebe wollte ich den ominösen Palast finden. Eilig lief ich durch die wild-romantischen Gassen an kleinen Brücken vorbei, über Hinterhöfe. Die Orientierung in Venedig fällt schwer, weil man sich die Linienführung des Canal Grande nicht einprägen kann. Es handelt sich nämlich um zwei Halbkreise, die gegenläufig verlaufen. Das konnte mich aber nicht abhalten, denn als ich jetzt um die Ecke bog, war ich endlich an einer Vaporetto-Haltestelle angekommen.