Читать книгу Gittas Bilder - Sabine Rydz - Страница 6

2. Kapitel
Eine Vaporetto-Fahrt über den Canal Grande

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Bloß gut, dass nicht so viele Leute auf das Vaporetto strömten, so hatte ich einen wunderbaren Platz in der ersten Reihe ergattert, so dass ich alles fotografieren konnte. War ja wichtig, weil so auf die Schnelle konnte man sich die Paläste ja nicht einprägen.

Und als ich so elegant über den Canal Grande schipperte, wie wir in Berlin sagen, musste ich wieder an unsere Portraits denken. Weshalb sie überhaupt nach Venedig durften? Denn nur die Fürsprache des Verbandes konnte es allein nicht gewesen sein, aber vielleicht waren unsere Portraits gut für das DDR-Image – arbeitende Frauen in einem Sozialstaat, das ist natürlich eine gute Werbung. Ja das könnte die Erklärung sein, denn Erich Honecker tat ja fast alles für die makellose Anerkennung der DDR im kapitalistischen Ausland.

Ja, vielleicht hofften unsere Kulturbonzen damals, dass unsere Bilder Millionen einbringen könnten, denn Gitta wurde ja von unseren Kunstkritikern in Ostberlin als der weibliche Vincent van Gogh bezeichnet. Doch von den sensationellen Summen des wirklichen Vincent van Gogh waren Gittas Gagen natürlich Lichtjahre entfernt. Aber zur Ausstellungseröffnung in Venedig wären sicherlich auch Elton John, Isabella Rosselini, Wolfgang Joop und auch Karl Lagerfeld gekommen, jeder würde mit Gitta kommunizieren wollen, Mikrofone und Handys flimmerten und piepsten, das Allerwelts-Geplapper lief auf Hochtouren, Agenten würden die Bilder ordern wollen und der hingehauchte Charme der Prominenz würde den Wert unserer Bilder ins unermessliche steigern, so dass wir uns später in der Karibik-Sonne bräunen könnten. Keiner hätte bei uns mehr DDR-Winterblässe erkennen können und auch keine Sorgenfalten über das System, makellos schön wären wir geworden, und das sogar ohne eine Schönheitsklinik in der Schweiz aufzusuchen.

Ja, Erfolg macht einfach jung und schön, ob Kapitalismus oder Sozialismus – und vor allem erotisch. Das konnte aber nur gelingen, weil Gitta für uns im Prenzlauer Berg die Inkarnation der begabten Malerin war. Und sie kannte ihre Vorzüge und Begabungen, aber sie stand auch zu ihren Fehlern und sie hat das höchste Lob verdient. Sie war einfach menschlich, aber wo verdammt noch mal ist bloß der Palast, dieser ominöse Palast, der unsere Portraits beherbergt hat? Ich werde hier noch verrückt, er muss doch hier in der Nähe sein – ich kam mir vor wie in einem verzauberten Wald von Palästen.

Ich beruhigte meine Nerven und aß einen Apfel, schaute aber immer wieder gebannt auf die Paläste, die majestätisch wie Trutzburgen aus dem Wasser ragten und an uns vorbei schwebten, aber sie verrieten mir nicht ihr Geheimnis. Sie waren in der Regel dreigeschossig, aber jeder Palast hatte eine andere Ornamentik. Insgesamt aber bestand ein Zusammenklang zwischen ihnen, es war wie bei einer Symphonie, deren unterschiedliche Töne ineinander spielten.

Aber ich musste das wichtige Detail finden, woran man erkennen konnte, dass es der damalige Palast der Bilder war. Es war fast wie eine Prüfung im Märchen, aber wenn mir schon die Götter nicht helfen, dann doch wenigstens eine gute Fee oder der Teufel mit den drei goldenen Haaren, aber hoffen und harren tun nur die Narren. Ich musste einfach weiter suchen, aus basta.

Aber egal, die kunstsinnigen Venezianer haben sicherlich, als die Bilder ausgestellt waren, die Schönheit der sozialistischen Frauenportraits erkannt, vor allem die Meisterlichkeit ihrer Pinselführung bewundert, fast wie bei Albrecht Dürer. Denn Gittas Bilder haben auch die grüblerische Tiefe wie der große Meister aus Nürnberg, der zu seiner Zeit den höchsten Lebensstandard in Nürnberg besaß, fast genauso wie Gitta. Das hätte sie auch leicht schaffen können bei uns im Prenzlauer Berg, aber so richtig mit Geld konnte sie eben nicht umgehen, aber es reichte trotzdem für das Leben im allgemeinen und auch im besonderen, denn Lebensmittel und Mieten waren ja spottbillig, und für kostspielige Reisen brauchten wir ja auch kein Geld, denn es gab sie nicht für DDR-Bürger – so einfach konnte das Leben sein. Deshalb fehlten Gitta auch exotische Motive im Hinter- und auch im Vordergrund, aber das tat ihrer Kunst keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Unsere sozialistischen Künstler nahmen ihre Umgebung stärker wahr, so rückten eben Häuser, Gärten, belebte Straßen und Plätze in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, und Portraits von Freunden und Bekannten, wie bei Gitta und Bärbel und anderen Malern der Ex-DDR. Es gab aber auch künstlerische Weiterbildungsveranstaltungen, die bei Malern und Bildhauern beliebten Plenair. Da durften Künstler nach Bulgarien in einen Steinbruch reisen, machten wochenlang figurine Bildhauertätigkeiten oder Open-Air-Malerei. Aber es haben auch wüste Nächte mit fast tödlichen Trinkgelagen stattgefunden, wo es an die Schmerzgrenze ging, und zum Frühstück sind die Künstler barfuß und nur in Tunika erschienen, aber es hat auch seligmachende Sonnenuntergänge gegeben, die sie mit Bleistift festhielten.

Gitta hätte sich in ihrem künstlerischen Schaffensprozess vielleicht noch mehr auf erotische Motive konzentrieren sollen. Sie hätte uns alle als „Sexy Clips“ der spätsozialistischen Welt malen sollen, das hätte später auch den Erfolg auf dem internationalen Kunstmarkt gebracht. Wir hätten hier auf dem Markusplatz Champagner bis zum Abwinken trinken können, ach was sage ich, in Champagner hätten wir gebadet und Bananenblütensalat dazu gegessen. Gitta wäre die reichste Frau Ostberlins geworden, und ich wäre fest als taffe Managerin an ihrer Seite. Ja, das sind Perspektiven, keine romantischen Träume.

In einem anziehend-fordernden Chanel- oder Valentino-Kostüm hätte ich überall auf der Welt Vernissagen organisiert, aber wir wären nicht nur auf Bilderausstellungen aufgetreten, nein auch aufregende, nie dagewesene Disco-Sound und Rockstar-Glamour-Sezessionen hätten wir in Ostberlin für den Rest der Welt veranstaltet. Das können sie mir glauben! Oder wir wären vielleicht alle in Bautzen im Stasi-Knast gelandet, weil alles zu dekadent gewesen wäre. Vor allem alles an den Bedürfnissender Arbeiterklasse vorbei. Ja, Bautzen war seinerzeit sicherlich in Reichweite für uns alle, vor allem natürlich für Bärbel, die im Dauerklinsch auf Grund ihrer permanenten Kritik mit dem Verband Bildende Künste lag, aber auch mit der hohen politischen Administration. Bärbel Bohley war die mutigste DDR-Frau, sie ließ sich nicht unterkriegen …

Immer wieder schaute ich auf die Paläste, konnte aber nichts Auffälliges, was für meine Recherche wichtig gewesen wäre, erkennen. Alles hatte sich gegen mich verschworen!

Irgendwie hätte ich mich auf diese Reise besser vorbereiten sollen, im Vorfeld Briefe an offizielle Stellen schreiben sollen, an die Stadtverwaltung hier in Venedig oder an die Italienische Botschaft in Berlin. Da hatten wir ja damals Gittas großes Puppenbild hingebracht, weil die Italienische Botschaft es von ihr über den Verband Bildender Künstler in Ostberlin abgekauft hatte. Wie der Deal zustandegekommen ist – bis heute weiß ich nichts Genaues darüber. Aber für Gitta war es ein nicht nur prestigemäßiger Erfolg.

Ja, die Palast-Suche wäre konstruktiv gewesen, wenn ich die Italienische Botschaft aufgesucht hätte, aber hinterher ist man immer schlauer. Alles lamentieren hilft auch nicht weiter, jetzt muss gesucht werden, und zwar der richtige Palazzo. Aber bitte keine Hysterie, keine Hektik, jetzt ist spirituelle Aufgeschlossenheit in jede Richtung nötig, unbeirrbares Vertrauen in die eigene Kraft und Bereitschaft war angesagt. Hoffentlich ist die ganze Sache lösbar, aber eine gewisse Ambivalenz lag in der Luft.

Optimistisch wollte ich jetzt sein, doch leider bin ich keine Hellseherin, aber wer sucht, der findet, vor allem die bekannte Nadel im Heuhaufen. Traumverloren saß ich auf dem Vaporetto und steuerte den stolzen Palästen entgegen. Jetzt müsste mir hier Beuys begegnen, das wäre der Hype, es würde die Situation schlagartig ins Positive verwandeln. Er könnte mir sofort helfen, sein Charisma und seine Kunst haben auch Gitta und Bärbel schwer beeindruckt. Ich fand ihn immer irgendwie skurril, und dass er eine tragende Säule der avantgardistischen Kunst war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber egal, unser Vaporetto fuhr selig weiter, und wir kamen zum Palazzo Manin-Dolfin, er wurde 1538 bis 40 gebaut von Sansovino, aber nur eine klassizistische Fassade ist erhalten geblieben. Das Innere ließ Ludovico Madin, letzter Doge von Venedig vollständig umbauen, aber leider nicht zu einer Kunstgalerie. Ein gutes Refugium für unsere Bilder wäre es schon gewesen, aber vielleicht doch zu feudal für die bescheidenen Portraits von zwei Frauen aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, einem Arbeiter- und Bauern-Staat? Ich ertappte mich selber beim Träumen und beim spontanen Hunger nach Erfolg und Anerkennung und hoffte intensiv auf die Abbildung unserer Bilder in internationalen Hochglanzmagazinen, doch plötzlich wurde ich von einer Stimme wild aus meinen Träumen herausgerissen. Ein junger Mann sprach mich an: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich kenne Sie, Sie arbeiten beim Hugendubel in München-Neuperlach?“

„Ja, stimmt, ich kann mich erinnern, erst vorgestern habe ich Sie bedient“, sagte ich stereotyp und etwas geschockt von dieser etwas merkwürdigen Charme-Offensive.

Aber eigentlich konnte ich mich nicht an ihn erinnern, denn mir bleiben nur Kunden im Gedächtnis, die assoziativ den gleichen literarischen Geschmack haben oder eine intellektuelle Triebfeder ausstrahlen oder ein außergewöhnliches Outfit tragen. Das muss nicht der letzte Schrei sein, sondern einfach passender Stil, der die Persönlichkeit unterstreicht.

Schade eigentlich, dass ich mich nicht an diesen Kunden erinnern kann, denn er macht eigentlich einen passablen Eindruck. Es muss ja nicht immer George Clooney sein, aber schön wäre es doch vor allem in Venedig, wo sich doch hier die Seele und der Blick erweitern.

Aber angenehm wäre es schon, wenn man hier jemanden als Reise-Begleitung hat. Zu dieser Erkenntnis war ich immerhin als überzeugter Single gekommen.

„Wäre doch nett, wenn wir Venedig gemeinsam erkunden könnten, ich lade Sie natürlich auch zum Kaffee ein, wenn Sie mögen“, sagte er jetzt liebenswürdig zu mir und schaute mich dabei an.

„Ja, das wäre super, da haben Sie recht. Wenn wir zwei Münchener hier schon unterwegs sind, sollten wir die Stadt auch gemeinsam genießen, keine schlechte Idee“, antwortete ich sofort, um meine Nervosität zu überspielen, denn eigentlich hatte ich ja andere Pläne, aber was sollte ich jetzt machen, dann suchen wir eben gemeinsam den Palast.

Aber es war so ein wunderbarer frischer Morgen, und die Bilderbuch-Stadtansicht wirkte so, als hätte Canaletto sie just in diesem Moment gerade gemalt. Beeindruckende Aussichten auf dem Canal Grande. Die Suche durfte ich nicht vernachlässigen, bloß weil ich einen Kunden getroffen hatte, das wäre ja Verrat an der Sache und Verrat ist die degoutanteste aller Eigenschaften.

„Achtung, gleich passieren wir die Rialtobrücke; sie überspannt auf wunderbare Weise den Canal Grande“, sagte ich euphorisiert zu ihm.

„Ja, sie ist einzigartig in ihrem Stil, ein erhebendes Gefühl diese Brücke in voller Schönheit zu sehen und hindurchzufahren, diese Eleganz unübertrefflich“, rief er mir programmatisch zu.

Das konnte ich nur bestätigen, ja und Gitta und Bärbel hätten das genauso empfunden, es wäre auch ihr Traum gewesen, hier bei stahlblauen Himmel über den Canal Grande zu schweben, es hätte sie enorm inspiriert, zu Canalettas wären sie hier transformiert. Ich warf einen lockeren Blick nach oben, als hätte jemand meinen Namen gerufen, aber das war natürlich eine Illusion, aber ich war hingerissen von dem Anspruch und der Qualität der Paläste, einfach von der ganzen Szenerie, am liebsten wäre ich vor Freude in den Canal Grande gesprungen, leicht und unbeschwert wie am Meer kam ich mir jetzt vor, ja ich war ja am Meer, aber auch gleichzeitig in der bizarrsten Stadt der Welt, ich hatte jetzt eine emotionale Meer-Stadt-Beziehung, diese Stadt hat alles zu allen Zeiten erlebt und ist trotzdem immer wieder für eine Überraschung gut, vor allem für so schwärmerische Fans wie mich, aber auch Moralisten, Philosophen, Musiker, Maler, Sportler, Astronauten, Filmemacher und Opernregisseure sind gleichermaßen beeindruckt, aber nicht durch irgendwelche Highlights, sondern durch die Stadt selber, sie ist der Star. Aber ich fühlte mich jetzt von dem jungen Mann beobachtet, dieser Vorgang des Beobachtetwerdens hat auch etwas Magisches für die Psyche, man fühlt sich irgendwie erkannt in seinen Gedanken und Gefühlen oder ist es doch bloß ein Bluff? Ich wusste es nicht, war mir im Zweifel, aber Lob des Zweiflers, wie Brecht uns das so schön gelehrt hat. Ich wusste nicht, ob ich mit diesem Mann über meine Probleme und Sehnsüchte sprechen konnte, ob er sensibel genug dafür wäre? Mit Gitta konnte ich über alles reden, nicht nur über Kunst und Literatur, nein vor allem über Männer im Allgemeinen und im Besonderen, sie war eine Sinnsucherin bei Männern, währenddessen ich glücklich war, wenn ich erobert wurde, aber das ist wohl auch normal, typisch Frau. Oder?

Nicht gerade emanzipiert war ich damals, heute sehe ich das natürlich auch anders. Aber unser Geschnatter früher über Männer, Liebe, Mode, Kunst und alle möglichen und unmöglichen Dinge des Lebens gingen immer weiter und weiter, Tag und Nacht, Sommer und Winter, natürlich wurde dabei Rotwein getrunken, nicht zu knapp, und Platten haben wir nächtelang gehört, die Mamas und Papas oder André Heller, wir waren schwer begeistert von all diesen Songs, Gitta spielte auch Gitarre und sang dazu, und ich sang mit ihr zusammen, wenn uns der Liebeskummer aufzufressen drohte, und in solch verzweifelten Nächten malte sie mich, stand mit dem Pinsel vor der Leinwand, mischte schnell ein paar Farben zusammen, das war dann wirkliches Power-Play der Malerei, wie besessen war sie, wenn sie malte, rauchte, trank, ihr Atelier in der Dänenstraße war ihr Refugium, ein weicher Rausch musste sich bei all diesen Tätigkeiten innerlich in ihr abgespielt haben, stolz war ich, dass ich ihre Muse war, vielleicht, ihre Allure, nein natürlich nicht, aber sie war eine Bekennerin der leuchtenden Farben, neben klassischen Naturtönen blitzen aber auch seltsame Gemische auf, Liebeserklärungen an Flora und Fauna, aber vor allem an die Menschen, an die Farben des Lebens, so oder ähnlich sind viele ihrer Bilder entstanden, und ihre Bilder haben auf seltsame Weise das Leben umgriffen, in ihrer schillernden Leidenschaft, da kannte sie keine Krankheiten und Seelenkrisen.

An manchen Tagen gingen wir in unser „Wiener Café“ auf der Schönhauser Allee, heute ein langweiliger Spielsalon, zu DDR-Zeiten ein aufregendes Szenelokal, wo sich die gesamte künstlerische Prominenz vom Prenzlauer Berg traf, Biografien und Kultfiguren wurden hier geboren, aber manche Helden balancierten hier stets am Abgrund des Scheiterns ihrer glamourösen Träume, leider wurde das stolze Café von der Stasi durchsetzt, wie man nach der Wende schmerzhaft erfuhr, oh je, wenn man das früher nur geahnt hätte, aber schweigen wir, dieses Thema macht mich nur aggressiv, betrachten wir lieber noch einmal die schöne Rialtobrücke, die wir schon längst passiert hatten, doch unser Vaporetto machte plötzlich eine scharfe Biegung, diese Stelle der Krümmung nennt man auch „La volta del Canal“, und diese schöne Kurve ist seit jeher Zielabschnitt der alljährlichen Regata Storica, das entnahm ich gerade meinem Reiseführer, und es soll an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben.

Jetzt konzentrierte ich mich aber wieder auf die Paläste, ich erspähte den Palazzo Capello-Malpiero, ein schwer gotischer Palast, der 1622 wieder errichtet wurde, nachdem er wohl mal abgebrand war, daneben passierten wir gleich den Campo di San Samuele, dort steht natürlich auch die Kirche San Samuele mit einem venezianisch-byzantinischen Glockenturm, auch ein Mega-Bauwerk wie man unschwer erkennen konnte, auch ohne kunstgeschichtliche Vorkenntnisse oder Ahnungen, aber dort konnten unsere Portraits auch nicht ausgestellt worden sein, weil dort einfach keine Ausstellungen stattfinden, aber vielleicht sollte ich mal jemanden hier auf dem Vaporetto fragen, manchmal gibt es konstruktive Hinweise.

Leider war auch kein Signore Carabinieri an Bord und auch von Kommissar Brunetti weit und breit keine Spur, na ja der sucht nur Leichen und keine Bilder-Paläste. Für den Moment hatte ich die Orientierung verloren, dafür aber erschnupperte ich vermischte Düfte von Vanille oder Rosmarin, Vanille erkenne ich genau, weil es ein Parfum „Cashmir“ gibt, dass ganz stark nach Vanille riecht, betört muss man schon sagen, es ist für uns Frauen die Verführung total, vielleicht befindet sich in einem der alten Paläste eine Parfum-Manufaktur, wäre möglich, wenn schon keine Bilder ausgestellt werden, dann werden eben Duftwässerchen produziert.

Mein neuer Reisebegleiter, der die Palastszenerie auch andächtig betrachtete, fragte mich plötzlich: „Haben Sie denn gar keinen Hunger?“

„Nein, im Moment nicht, ich muss einen bestimmten Palast suchen, bitte stören Sie mich nicht“, erwiderte ich mit dem Brustton der Überzeugung, ich war ja nicht nach Venedig gekommen, um hier pausenlos zu essen oder zu trinken, das musste ich ihm schon mitteilen, und ich wollte ihn auch nicht unbedingt kennenlernen, ich brauchte hier und jetzt Konzentration, ich hoffe, dass er das begreift und mich in Ruhe lässt.

Wir fuhren zu einer Vaporetto-Haltestelle, es strömten eine Menge Touristen an Bord, hektisch wurde es, aber es störte mich nicht, es gehört zum Flair, aber auf der Fahrt zog wieder diese Power-Play-Architektur an uns vorbei, prächtige Palazzi, die in ihrer Zeit sicherlich schon Furore gemacht haben, hier haben Liebhaber ihre Damen hofiert und verführt, aber auch heimliche Schwulen-Parties haben hier stattgefunden und sind von der Inquisition verfolgt worden, gemeint war wohl das bunte Treiben im Palazzo Grassi, der um 1730 erbaut wurde, sein Besitzer war ein großer Musik-Fan, und auch Georg Friedrich Händel hat in einem der Grassi-Paläste bei seinen Gastspielen gewohnt. Aber nach der großen Flutwelle von 1984 wurde dieser Palast, man höre und staune, von Fiat gekauft und in ein Ausstellungszentrum verwandelt. Ja hier müssen die Bilder gehangen haben, in solch einem Ausstellungszentrum, das ist ja logisch, da hätte ich schon früher drauf kommen müssen, das wäre auch für die Bilder der richtige Rahmen, ich hoffte es innerlich, dass es noch spezielle Indizien geben würde, die verrieten, dass hier unsere Portraits gehangen haben, aber ich war mir natürlich wie immer nicht sicher, konnte ich ja auch nicht sein, alles Wissen bestand ja nur aus Aneinanderreihungen von Fantasien und Vermutungen, na ja immerhin es waren Ansätze, ich war fast überzeugt, dass es dieser Palast sein musste, aber wen sollte ich jetzt fragen, an wen sollte ich mich wenden, ich wollte sofort aussteigen, aber es ging nicht mehr, das Vaporetto fuhr bereits weiter und weiter.

Entspannung war jetzt angesagt.

Ich schloss die Augen und rief mir irgendein Erlebnis aus der Jugendzeit ins Gedächtnis zum Träumen zurück, einen Jugendschwarm, einen glücklichen Augenblick, doch plötzlich sah ich all diese Paläste in Dunst gehüllt, in verschwommenen blau, darauf orange und gold leuchtend, der vergangene Glanz funkelte vor meinen Augen, einfach grandios, und wie ich traumverloren auf die welke Pracht schaute, fiel mir doch tatsächlich wieder Farinelli ein, der war doch auch oft in Venedig, er war auf allen europäischen Opernbühnen zu Hause, aber besonders gern war er natürlich in Venedig. Farinelli hieß ein Kastrat mit einer Engelsstimme, ein Kunstgeschöpf, Idol der Androgynen-Szene. Entmannt und doch Sexprotz für Primadonnen, Kardinäle und Könige, aber er war letztlich ein glückloser Liebhaber, niemals in seinem Ruhm zur Ruhe kommend. Er führte das Leben eines Popstars der Barockzeit, und in Venedig hatte er eben auch einen Palast, aber wo war der nun gleich wieder, ja solche pikanten Details erfährt man ja leider auch nicht durch einen Reiseführer, aber es gibt einen überbordenden biografischen Roman, den hatten wir auch lange Zeit in der Buchhandlung, daran kann ich mich noch erinnern, ich wollte ihn auch lesen, aber dazu ist es leider nicht gekommen, jetzt dämmerte es wieder in meinem Gehirn.

Für Sekunden entlud sich bei mir eine unheimliche Leidensintensität, ich hätte jetzt heulen können und auch müssen, um den Druck loszuwerden, aber hier auf dem Vaporetto einfach so loszuheulen, das wäre ja auch peinlich geworden, ich wollte mir ja auch vor dem jungen Mann, der mich zum Kaffee eingeladen hatte, keine Blöße geben, er schaute schon nach meiner uncharmanten Abfuhr ein bisschen zornig drein, na ja alles wird gut, wie uns eine geniale Moderatorin über Jahre versprach, dabei wird leider nicht alles gut im Leben, alles wird immer komplizierter, viele sprechen analog und andere digital, aber sie können sich nicht verstehen, wie man jetzt schmerzhaft an dem Projekt „Stuttgart 21“ beobachten kann.

Ja, und ich kann weder analog sprechen, noch digital denken, denn ich hatte jetzt die Orientierung über die wichtigen Paläste total verloren, oh je, ich brauchte keinen Schlichter oder Vermittler, nein ein venezianischer Palast-Spezialist wäre für mich und meine Seele gut oder ein Charterhubschrauber, dass man Venedig von oben sieht, aber ob ich den richtigen Palast aus der Vogelperspektive erkenne, war auch noch fraglich, aber einen Versuch könnte man schon wagen, es wäre ein spektakuläres Fest, Happening, fast wie das Flamenco-Fieber-Fest von Sevilla, wo eine Woche lang nur gesungen, getanzt und getrunken wird und Paare in andalusischer Tracht auf prachtvollen Pferden reiten, ja danach wäre mir jetzt auch. Aber ich musste weiter suchen. Aber so eine Orientierungslosigkeit kann auch inspirierend sein, das hoffte ich zumindest, die ganze Aktion musste jetzt ein besseres Timing erhalten, und da hoffte ich auch auf kosmische Unterstützung, oder sollte ich mich mehr an den stumm schimmernden Andachtsfiguren und Madonnen orientieren, die an den Palästen prangten, für den Moment wusste ich es wirklich nicht, aber abwegig konnte diese Idee nicht sein, denn Madonnen sind doch in einer ständig lauter schreienden und dümmer daherredenden Zeit ein gutes Anti-Stress-Programm, der heutige Name für die ehemaligen Madonnen ist Model – das vorbildhafte Muster einer Sache oder eines Lebewesens. Dass diese Vorbilder heute alle übrige Prominenz an Strahlkraft übertreffen, ist doch eine Demonstration gegen den Übermut der Worte, die uns überall versuchen zu peinigen.

Aber die Schönheit der heutigen Models macht sie zu Göttinnen der Neuzeit. Also schipperten wir weiter auf dem so herrlichen Canal Grande, die Sonne lacht, also Blende acht im Fotoapparat, so hatte ich das seinerzeit beim Fernsehen der DDR, Bereich Dramatische Kunst von meinem Kameramann gelernt, oh Gott, wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich gleich Schüttelfrost. Aber jetzt hielt ich permanent Ausschau nach den mittelalterlichen Madonnen, die an den Palästen als Trostbringerinnen hoffentlich zu sehen waren, ich konnte aber momentan keine stumme Gottesmutter oder andere Heilige erkennen oder identifizieren, leider, war ja auch für eine Atheistin eine schwierige fast übermenschliche Aufgabe, dem Symbol der Unerreichbarkeit zu begegnen, hören kann man sie auch nicht, weil sie zwar schöne Lippen haben, aber schweigen, sie sind ja keine Sirenen, wie die antiken Verführerinnen genannt wurden, an denen selbst der kühne Held Odysseus nicht vorbei kam, diese Art Verführung würde mir heute erspart bleiben, aber wer weiß, was mir noch passiert?

Für männliche Verführung der besonderen Art war auch ich sehr empfänglich, vor allem hier in Venedig, wo das Verführen zum guten Ton gehört, und vor allem zum sozialen Aufstieg führt, denn alle Frauen sind gleich, sie wollen angebetet werden, auch im Zeitalter der Emanzipation, gerade da kann diese Kulthandlung nicht ausgelassen werden, jede Verführung gibt Menschliches, Allzumenschliches preis, davon war ich überzeugt.

Die Paläste auf die ich gerade wieder starrte boten mir ihre ganze Schönheit an.

Eigentlich war es wie ein engmaschiges Netz von Gesichtern, die stolzen Paläste, die zu Stein gewordene Kultur einer anderen Zeit, eben das New York der Renaissance, hier spielte sich seinerzeit das wirtschaftliche und kulturelle Leben ab, und mit flimmernden Herzen wurde hier geliebt, gelebt, gespielt, natürlich auch gemordet, es gab chinesisches Porzellan und Seide, aber auch Opiumwaagen in Hülle und Fülle, und falsche Zungenschläge von der Kirche noch und nöcher, aber Gott sei Dank gab es noch keine Big Mac’s und auch keinen Döner Kebab, aber die Lieblingsspeisen der Venezianer sind Spaghetti oder Pasta in verschiedenen Variationen oder Risotto mit Meeresfrüchten oder dicke Eiernudeln mit Sardellen und Zwiebeln oder Artischocken und Garnelen oder, oder …

Doch plötzlich tauchte der Palazzo Moncenigo vor meinen Augen auf, er besteht eigentlich aus vier Palästen, und ist mit einer Gedenktafel für den englischen Dichter-Aristokraten Lord Byron verziert, die wir natürlich nicht sehen nur ahnen konnten, er lebte von 1816 bis 1819 in Venedig, der Glückliche konnte ich dazu nur bemerken.

Aufregend muss sein Leben gewesen sein, er konnte in völliger Präsenz als Hedonist hier die freie Liebe praktizieren, anders als in Merry old England zu dem Zeitpunkt, und der zwischenmenschliche Energie- und Liebesfluss lief hier in Venedig natürlich ungezügelt, und mit wem er es hier wohl getrieben hat, würde mich auch interessieren, aber alles top secret.

Leider war damals noch nicht das Informationszeitalter angebrochen, kein Handy, keine aktuellen TV-Interviews, kein Mut zur Beziehungs-Lücke und leider auch noch keine „Bunte“, denn Bunte-Leser wissen ja bekanntlich immer mehr. Oder?

Aber wir wollen uns ja nicht mit Tratsch und Klatsch beschäftigen, sondern mit Kunst und Malerei, und Malern und deren Geheimnissen, die bei Nacht die Pinsel in eindrucksvoller Weise geschwungen haben, die außer ihren Bildern keine anderen Bedürfnisse und Sehnsüchte hatten, das ist vielleicht ein Klischee, aber manche Klischees stimmen, andere eben nicht, aber flanierende Menschen auf Brücken und verliebte Paare, die sich küssen haben sie sicherlich auch gemocht und auch gemalt.

Gitta sagte immer: „Nur der wache Sinn erkennt das Neue im Bekannten“, wenn sie über bestimmte Probleme in der Kunst nachdachte, wie Turner hätte sie hier die Sonnenuntergänge betrachtet und gemalt, und von Canalettos Stadtansichten hätte sie sich auch eine Scheibe abschneiden können, überhaupt von den venezianischen Meistern, aber Venedig war ja für die DDR-Führungs-Mannschaft ein dekadenter Ort, der mit sozialistischer Kunst gereinigt werden musste, und deshalb wurden ja auch unsere Bilder dort ausgestellt, so quasi als späte Katharsis.

Jetzt wurde es interessant, wir passierten die Vaporetto-Station Ca’Regazzonio, ja und hier in unmittelbarer Nähe musste ja auch der berühmte Loredan Palazzo sein, so war er mir jedenfalls noch in Erinnerung, schade meinen First-Class-Reiseführer fand ich in diesem Moment nicht, um ein paar Passagen nachzulesen, aber egal ich irre mich selten in solchen Fällen. „Dort, das ist der Loredan Palast, es soll der prächtigste Palast in ganz Venedig sein“, sagte ich zu meinem jungen Reisebegleiter, um die eingeschlafenen Konversation anzukurbeln.

„Ja, da haben Sie recht“, sagte er rasch, und ich echt verwundert war, dass er dieses so wichtige Detail wusste.

Mir war aber in diesem Moment klar, dass hier unsere Portraits natürlich nicht gehangen haben konnten, weil in diesem Palast hängen höchstens Bilder von Tintoretto, Tizian oder anderen Meistern, aber nicht irgendwelche Werke von unbekannten Malerinnen und schon gar nicht aus der ehemaligen DDR, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, somit konnte ich diesen Palast auch abhaken.

Und wie wir so wunderbar weiter schipperten, passierten wir doch tatsächlich das Guggenheim-Museum, ich war irgendwie sehr berührt, tres touché wie die Franzosen sagen, das wäre die richtige Location für unsere Bilder gewesen, keine Frage, und Peggy Guggenheim hätte ihnen auch sicherlich hier einen gebührenden Platz verschafft, dachte ich mir voller Trauer, weil es ja leider nicht dazu gekommen ist, weder das sich die beiden Damen kennenlernen durften, noch das Gittas Bilder hier ausgestellt wurden, leider.

„Hier in der Nähe muss auch ein berühmter Palast eines Schriftstellers gewesen sein, dessen Geliebte verprasste in wenigen Jahren sein gesamtes Vermögen, feierte wilde Partys und führte zwei Geparden an diamantenen bestickten Leinen über den Markusplatz, dass hat sie aber nicht allein zum Stadtgespräch gemacht, sondern unter ihrem teuren Nerzcape war die Lady splitternackt“, sagte mein jugendlicher Begleiter genüsslich, weil es ihn wohl anmachte, typisch Playboy-Verschnitt, aber wer der leidgeprüfte Schriftsteller war, wusste er natürlich nicht. Aber ich.

„Ja, das ist der Palast des Schriftstellers D’Annuzio Canova, und der Palast heißt Casetto del la Rosa und ist vis-à-vis vom legendären Guggenheim Museum, also auf der anderen Seite des Canal Grande, das versteht sich von selbst, ist natürlich teuerste venezianische Immobilien-Lage, damals wie heute“, sagte ich selbstbewusst, denn Wissen ist Macht.

Die Sonne war so bekömmlich hier in Venedig, dass man eigentlich nur Vaporetto fahren wollte, na ja, und das tat ich ja auch, nur leider fand ich nicht den richtigen Palast, den Wald sah ich vor lauter Bäumen nicht oder wie man sonst solche Formen geistiger Blockaden nennt. Plötzlich musste ich wieder an die Novelle „Tod in Venedig“ denken, dieser Film bewegt mich heute noch, wenn Georg von Aschenbach übers Wasser, übers Meer, so wie ich jetzt nach Venedig fährt und auf der Anfahrt Mahler gespielt wird, da bekomme ich unweigerlich Gänsehaut, diese Filmmusik, oscarverdächtig, einfach hinreißend, in meinem Gehirn sah ich die schwebenden Personen miteinander sprechen, sah vor allem den bildschönen Jüngling, der wie ein Gott den älteren wohlsituierten Herrn, um nicht zu sagen, Bourgois Aschenbach systematisch in den Wahnsinn trieb.

„Liebe kann so weh tun, doch sie gibt auch viel“, sang Marianne Rosenberg so leidensvoll in meiner Jugend, und recht hatte die Gute, Liebe schafft Leiden, davon schrieb ja so innig unser Dichterfürst Goethe in seinem Schmachtwerk „Werther“, aber das ist ja Schnee von gestern oder doch noch aktuell, für den Moment war ich am Zweifeln.

In Venedig braucht man keine Bücher, hier braucht man nichts zu lesen, hier kann man nur seine Eindrücke niederschreiben, hier vergisst man alle Nebensächlichkeiten, hier hat man nur den Blick für die morbide Sinnlichkeit der Paläste.

„Sie schauen ja so angespannt auf die Paläste“, sagte der junge Mann plötzlich zu mir, der mich mit der nackten Lady doch irgendwie geschockt hatte.

Aber es war ja doch ein interessantes Detail, also sagte ich ganz freundlich zu ihm: „Ja, ich suche einen bestimmten Palast, aber sehen Sie nur, dass ist der Palast Falier, er war in früherer Zeit natürlich der Haupt-Wohnsitzdes Dogen Martin Falier, der wie man sicher munkelte durch dunkle Machenschaften Herrscher von Venedig wurde. Durch einen dummen Zufall oder durch eine Intrige ist die ganze Affäre aufgeflogen, später wurde er dann geköpft, zur Abschreckung natürlich, Korruption muss man in den Anfängen bekämpfen.“

„Na Sie kennen sich ja bestens aus“, sagte er wie vom Donner gerührt.

Ja, da war er baff, der lässige junge Mann, Wissen ist eben Macht, da hat Lenin auch mal ausnahmsweise recht, ein Zitat aus meiner ruhmreichen sozialistischen Schulzeit, aber dieses Zitat hat noch heute seine Gültigkeit. Unlängst wurde es sogar von dem Spitzen-Fernsehmoderator Claus Kleber zitiert, aber Herr Kleber ist ja nicht nur bürgerlich-intellektuell, sondern auch die Mainzer Antwort auf George Clooney.

„Schön, dass Sie mein Wissen so positiv empfinden“, erwiderte ich dankbar meinem jungen Reisebegleiter aus Neuperlach.

„Sie haben mich positiv motiviert, ich werde mich jetzt auch intensiver mit den schönen Palästen beschäftigen“, sagte er noch, um mich vielleicht wie Casanova zu umgarnen, na ja, Casanova umgarnte nicht nur, sondern legte gleich flach, da wurde die Wahrheit gleich konkret, egal wo und wann, Zeit war für ihn Sex und nicht Geld, aber Geld ist für die meisten Männer wiederum heutzutage Sex, aber eben nicht für Signore Casanova, mein Gott ist die Welt verrückt.

Aber jetzt musste ich erst mal wieder meinen unkonventionellen Gedanken nachgehen, da fiel mir ein, dass Gitta so gerne mal in ein Guggenheim-Museum gegangen wäre, ob nun in Venedig oder New York, das wäre egal gewesen, sie fand Peggy Guggenheim wahnsinnig cool, wie man heute neudeutsch sagt, eine durch und durch künstlerische Lady, Queen of Art, würde man sie wohl heute nennen, verführerische Lippenbekenntnisse in Sachen Kunst gab sie von sich, genauso wie Gitta, beide unheimlich sexy, immer provokant, manchmal surreal, aber dazu richtig warmherzig, schade, dass sie sich nie kennenlernen konnten, aber ich kannte ja Gitta und hatte ja auch die Möglichkeit ihre künstlerischen Werke mitzuerleben, und zwar live, und vor allem in Farbe, und mit Farbe, und ich wurde von ihr als Model auf die Leinwand gebracht und zwar nicht als Evergreen sondern als Hit, so dass beim Betrachter die Phantasie angeregt wurde. Oder? Ohne Stolz und Vorurteil wären sich diese beiden Kunst-Diven begegnet, und Peggy Guggenheim hätte sicherlich einige Bilder von Gitta in ihr Museum aufgenommen, da bin ich mir sicher, denn sie liebte emotionale Malerei, vor allem von Frauen, sie war eine einzigartige Bildjägerin, Heldin der Arbeit, nein, wir sind ja nicht mehr im Sozialismus, Heldin der Bilder natürlich.

„Hier schauen Sie mal, das dort ist der Palazzo Vernier del Leoni, der 1749 gebaut wurde, aber nicht fertiggestellt werden konnte, aber ich weiß nicht aus welchen Gründen“, sagte er jetzt ganz aufgeregt, obwohl es dafür keinen Anlass gab, denn unser Vaporetto ging ja nicht unter.

„Die Gründe sind eigentlich immer die gleichen, das Geld fehlte mein Lieber, heute wie damals, dann muss der Bau einfach ruhen, c’est la vie, aber Peggy Guggenheim brachte trotzdem ihre Sammlung ‚modern art’ in diesem nicht fertiggestellten Palazzo unter, ihr gefiel eben dieser Palast, egal ob da ein paar Steine fehlten oder nicht, das ist eben wahre Leidenschaft für die Kunst“, sagte ich überzeugend, um auch mein Rest-Wissen an den Mann zu bringen.

„Ja, ja, der Meinung bin ich auch, erstaunlich diese Frau“, murmelte er so vor sich hin.

Interessant zu bemerken wäre noch, dass neben dem aufregenden Guggenheim-Museum ein Palast zu sehen ist, den die Venezianer sicherlich nicht ohne Grund den Unglückspalast nennen, fetzig sah er schon aus mit stahlverstärktem Selbstbewusstsein schob er sich aus dem Wasser, aber wenn es in dem Palast spukt oder er den Menschen Pech gebracht hat, dann wird ihn sicherlich auch kein reicher Amerikaner kaufen wollen, weil die wollen doch immer alles kaufen und Business machen, ja, ja die Ergebnisse hat man ja letztes Jahr erfahren, Immobilien-Pleite schlechthin, alles Geld einfach verbrannt, aber bei spukenden Palästen muss ich immer an den Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ denken, ein wunderbares Film-Kunst-Werk mit Donald Sutherland und Julie Christi in den Hauptrollen.

„Kennen Sie eigentlich den Kastraten Farinelli?“, wollte ich jetzt von ihm wissen.

„Ja, selbstverständlich, er war doch der berühmteste Kastrat und hat hier große Opern-Triumphe gefeiert, er war auch der Schwarm vieler Frauen.“

„Na, Sie haben ja wirklich Ahnung“, konnte ich nur noch kurz erwidern.

„Na ja, Ahnung von einer Sache haben, ist auch noch etwas anderes, aber ich habe mal Kunstgeschichte studiert, und da sind eben einige Zusammenhänge hängen geblieben“, sagte er locker leicht, um mir zu imponieren, und dabei schipperten wir weiter auf dem Canal Grande stromaufwärts und passierten die Accademia-Brücke. Der Anblick dieser modernistischen Brücke bot sich uns jetzt mit voller Wucht, ich staunte irgendwie, denn ich hatte sie mir eigentlich noch hässlicher vorgestellt, denn sie passte auch irgendwie nicht zu dieser glamourösen Palast-Architektur hier direkt am Canal Grande.

„Diese Brücke wurde 1932 als Provisorium anstelle einer Einsenbahnbrücke aus dem 19. Jahrhundert gebaut. Aber auf allgemeinen Wunsch der Venezianer blieb sie dann einfach stehen, und Holz ist ja mittlerweile ein alternativer Baustoff geworden“, sagte er ernsthaft.

„Ja, das haben Sie gut erkannt, man muss doch heute umweltbewusst bauen, vor allem hier in Venedig“, erwiderte ich sofort, um auch mein Wissen zu Protokoll zu geben.

Nach diesem nicht ganz zu Venedig passenden Bauwerk fuhren wir munter weiter auf unserem Vaporetto und sahen plötzlich wie ein Fels in der Brandung, den Palazzo Francetti Cavalli.

„Dieser fetzige Palast gehörte einstmals dem berühmten Erzherzog Friedrich, der hier 1836 starb“, sagte er jetzt fast ein bisschen traurig, als ob er ihn persönlich kannte, aber ob es hier aufregende Partys gab, wagte ich zu bezweifeln?

„Ja, ich möchte eben auch in Venedig sterben, in dieser morbiden Atmosphäre fallen Krankheit und Tod nicht auf, es gehört zu dieser Stadt wie zu keiner anderen, hier haben Krankheit und Sterben etwas Menschliches, sie finden ein Plädoyer, und hier wird eben auch das Beste in uns mobilisiert, Optimismus, Lebenslust und Kühnheit“, sagte ich jetzt selbstbewusst, damit er merkte, dass ich mich auch geistig mit dieser Stadt beschäftigt hatte, denn ich wollte ja auch unsere Konversation am Laufen halten, seine Worte sollten später auf mich regnen, er sollte sensibler für die künstlerischen Produkte und Kreationen gemacht werden, dieser kleine junge Mann inspirierte mich einfach. Warum? Ich kann es nicht konkret sagen. Vielleicht weil er ein verzerrtes oder einseitiges Frauenbild hat, was ich geraderücken wollte, will. Oder vielleicht war es die Mutterrolle. Keine Ahnung.

Außerdem fuhr unser Vaporetto auch weiter, herrlich und bizarr war das alles, ich starrte auf den Star, auf die Stadt Venedig selbst, die immer wieder schrille Ideen ins Leben übersetzt, warmherzig und vertraut ist sie natürlich auch im Umgang mit Kameras und Schauspielern, sie haucht selbstbewusst ihre leisen und lauten Töne in die Kamera, es ist Venedig selbst, das uns verrückt macht, plötzlich merkte ich wie das Fieber in mir stieg, wie der Puls raste, dennoch musste ich schmunzeln, ein zärtlicher Traum oder Alptraum durchzuckt mein Gehirn, keiner kann es genau sagen, nur ahnen, aber mit freiem Auge sah ich jetzt Santa Maria della Salute, diese hinreißende Barock-Kirche hat ja wirklich monumentale Ausmaße, sie soll auf einem Fundament von 100.000 Holzpfählen entstanden sein.

Sie wurde zum Dank für das Ende der Pest Epidemie von 1630 erbaut und ist das Werk des Meisters Baldessare Longbena, ein Gipfeltreffen der Barock-Architektur findet in Venedig statt, heute wie damals. Vertraut wie alte Freunde fallen sich die einzelnen Werke in die Arme und sind für jedes Fotoshooting bereit, aber nicht nur das, Venedig ist eine Liebe fürs Leben …

Doch plötzlich sprach mich der junge Mann wieder an und sagte salbungsvoll: „Würden Sie mir die Freude machen und nach unserer Vaporetto-Fahrt einen Kaffee mit mir auf dem Markusplatz trinken, ich lade Sie natürlich ein.“

In dem Moment, als er das zu mir gesagt hatte, blitzten seine Augen auf, so dass ich spürte, dass er mich doch irgendwie interessant fand.

„Ja, natürlich, das können wir gern machen“, antwortete ich lachend, weil ich mich über seine Einladung freute, so konnte man ja auch noch mehr ins Gespräch kommen, nicht um Rezepte auszutauschen, sondern um sich vielleicht ineinander zu verlieben, um später verführerisch zu kochen oder um einfach nur Erfahrungen auszutauschen, das kann bei älteren Frauen therapeutische Wirkung haben, aber vielleicht war seine Freundlichkeit nur getarnte Überheblichkeit? Vielleicht ist er Banker und hatte gerade eine Gier-Krise oder Schockpause nötig, möglich wäre es ja, diese Herren treten doch immer so aalglatt auf, und unter dem Deckmäntelchen der Freundlichkeit saugen sie dich, in dem Fall mich, aus, um ihr Selbstwertgefühl wieder nach oben zu bringen, das gibt ihnen dann den ultimativen Kick, aber nicht mit mir, mein Lieber, das hatte ich mir jetzt felsenfest vorgenommen, eigentlich hätte ich ihm programmatisch zurufen müssen: „Kürzertreten, mein Lieber, Anspruchsdenken abgewöhnen und endlich mal soziale Kompetenz, neue Bescheidenheit, keine aggressiven Profit-Instinkte mehr hochkochen.“

Vielleicht war er aber auch ganz anders? Ja, nein, ich wusste es einfach nicht, vielleicht hatte er auch nur eine klassische Borderline-Störung und wollte sich in Venedig entspannen, therapieren, ich werde es ja erleben. Ich durfte aber jetzt die Palastsuche nicht vernachlässigen.

Nun war ich doch mächtig gespannt auf unsere gemeinsame Kaffeepause. Vielleicht hatte er interessante Ansichten, mit einer Spur Wildheit und innerer Zerrissenheit wie ich es bei Männern liebe, wenn sie hektisch gestikulieren, um ihre Meinung zu unterstreichen, vielleicht begegnet er bürgerlichen Themen respektlos und nicht so devot, wie ich es oft erlebe, aber hoffentlich hat er keine Profilneurosen oder Versagensängste, die sollen ja zu sexuellen Blockaden führen. Ununterbrochen würde ich ihn beobachten, währenddessen ich genüsslich Kaffee trinke und seiner etwas verklemmten Konversation folgte, na, hoffentlich ist er großzügig, gentlemanlike eben, und ich muss nicht zum Schluss als emanzipierte Frau die Rechnung zahlen, weil ihm schlecht geworden ist und er blitzartig das Etablissement verlassen muss, na ja, wir wollen nicht orakeln. Eigentlich wollte ich ihm ja gefallen wie alle Frauen, will man Männern imponieren, dass ist nicht nur modern, sondern vor allem normal auch im Zeitalter der Emanzipation, wir wollen einfach ein bisschen Versteckspielen, aber natürlich als eine Art Basismotivation, und das mobilisiert das Beste in uns, und darüber kann man dann auch Bücher schreiben oder Filme drehen oder beides, als Gegengift zu den langweiligen Krimis, schade, dass Gitta nicht dabei sein kann, sie hätte ihm schwer auf den Zahn gefühlt, das konnte sie meisterhaft, sie hätte sofort sein Anspruchsdenken entlarvt, und wir hätten nach den Sternen greifen können, na ja, mal sehen wie sich das alles so entwickelt. Im Moment schipperten wir ja noch über den Canal Grande, aber gleich war unsere wunderbare Rundfahrt vorbei, am liebsten wäre ich gleich wieder losgedüst, jetzt aber war Ende mit der mediterranen Lässigkeit, leider …

Der schöne fremde Mann, den Conny Francis seinerzeit so erfolgreich besungen hat, sagte selbstbewusst mit einem Quantum an Stolz: „Wollen wir Kaffee trinken oder Essen gehen, wenn wir wieder an Land sind?“

„Natürlich gehen wir ins berühmte ‚Caffe Florian’ und trinken stilvoll Kaffee, das hat Kult-Charakter, ist Magie, das Sonnenlicht fällt unter den Arkaden nicht direkt ins Gesicht, und innen sind Lüster und Büsten, da müssen wir hin“, erwiderte ich laut und glücklich, weil dieses Café für mich einfach „Endstation Sehnsucht“ ist, egal wann und mit wem, es ist das klügste und schönste Ziel, das man in Venedig haben kann, denn wer auf dem Markusplatz sitzt, ist auch in der Lage den Mount Everest zu bezwingen, zumindest anpeilen.

Ja der Markusplatz, das Vorzeigestück ist ein einzigartiges Treibhaus der Kreativität, dieser sensationelle Platz mit der Basilika San Marco, den Campanile und der Redutenarchitektur ist für mich die renommierteste Inspirationsquelle, sowie für alle fantasiebegabten Menschen und die sich dafür halten, einfach für alle, Ode an die Freude und Schönheit. Hier füllen sich künstlerische Szenen mit dem Leben.

„Oder wollen wir nicht doch erst lieber noch eine Gondelfahrt machen und später Kaffee trinken gehen, bitte machen Sie mir doch die Freude, Gondelfahren durch die Gassen von Venedig ist mein Traum, ich möchte jetzt unbedingt gondeln“, sagte er fast bittend und mit zärtlicher Stimme, diese Art Sensibilität hätte ich ihm eigentlich gar nicht zugetraut. Nein, es liegt an Venedig, hier verändern sich Männer, sie werden sensibler, davon war jetzt überzeugt, deshalb fahren die verheirateten Paar auf Hochzeitsreise in die Lagunenstadt, das ist das Geheimnis, jetzt hatte auch ich es kapiert.

Ja, was sollte ich jetzt gegen diese fast Liebeserklärung sagen, ich musste ja einwilligen, es war ja schon fast emotionale Erpressung, aber alleine wollte ich nicht Kaffee trinken gehen, wenn ich schon so ein äußerst moralisches Angebot hatte, hier am Kap des Glücks.

„Ja, okay, wenn Sie erst noch eine Gondelfahrt machen wollen, werde ich mich nicht dagegenstellen, ist ja egal, ob wir Kaffee trinken gehen oder vorher noch mit der Gondel fahren, ihr Wunsch ist mir Befehl“, erwiderte ich freundlich, obwohl ich etwas enttäuscht war, weil ich wollte mich jetzt eigentlich kulinarisch stärken, aber Frauen geben eben immer nach, dabei war es kein verführerisches Lippenbekenntnis, sondern einfach nur eine Bitte, aber es lag ein gewisser Zwang in der Luft, aber egal, jetzt hatte ich ja gesagt, da konnte ich nicht wieder nein sagen, sonst macht man sich lächerlich oder wird als Zicke abgetan, aber darauf war ich auch nicht scharf. Oh Gott, die Palastrecherche hatte ich auch völlig vergessen, ich war seinem Charme erlegen, aber Bärbel und Gitta hätten das verstanden, sie hatten ja auch ein Faible für jünge Männer.

Also Schiff oder Gondel ahoi. …

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