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Gefährliches Spiel

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Daniel und ich waren den ganzen Tag unterwegs. Ich stellte es als das Checken der Korruptionsbereitschaft unserer Unterhändler dar, die für unseren Boss Walter den Drogenhandel mit den anderen großen Städten koordinieren. Ich hatte Daniel in dem Glauben gelassen, dass ich immer noch vorhabe, unseren Boss Walter zu bescheißen und einen eigenen Drogenring aufzuziehen. Aber es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Daniel weiß nichts von den Problemen in unserem Drogenmilieu, in dem es offenbar ein schwarzes Schaf gibt, dass die Ware aus Berlin abfängt und in Osnabrück verkauft. Also genau das tut, was ich eigentlich mit Hamburg vorgehabt hatte, und von dem Daniel ausgeht, dass ich das immer noch vorhabe.

Walter ist sowas wie mein Patenonkel und der Drogenboss in Osnabrück. Dabei ist Osnabrück noch ein kleiner Fisch. Hamburg und Berlin sind die Machthabenden und in Hamburg hatte ich erfolglos versucht einen Nebenzweig zu eröffnen.

Ich dachte anfangs, dass ich dazu in der Lage bin und als Walters Patenkind als unantastbar gelte und machen kann, was ich will. Aber ich hatte mich geirrt. Und nun sieht es tatsächlich so aus, als wenn die Ware von Berlin uns nicht mehr vollständig erreicht und anderweitig von irgendwem vertickt wird. Mich macht das schrecklich wütend, weil ich das nicht bin. Zumindest glaubt Daniel, dass ich deshalb den ganzen Tag so schlecht drauf war.

Aber es gibt etwas, was mich noch viel wütender macht.

Nach jahrelanger Gefühlskälte den Frauen gegenüber, die ich nur in mein Bett zog, um mich abzureagieren und um sie hinterher hinauszuwerfen, hatte ich mich einer Frau geöffnet. Ich hatte Gefühle zugelassen, mich zum Kasper gemacht und mich von ihr demütigen lassen. Ich hatte meine Zeit geopfert, um sie zu erobern und sie aus einer Beziehung mit einem Fußballgott zu reißen, der einem Modemagazin entsprungen sein könnte. Ich bin sogar bis zur Selbstaufgabe vor ihr zu Kreuze gekrochen und hatte ihr mein Leben und meine Gefühle vor die Füße gelegt. Und sie hat alles niedergemäht und mich in den Staub getreten. Sie sagte, sie will mich nicht mehr sehen.

Nun bin ich in mein altes, gefühlsloses Leben zurückgekehrt und werde das tun, was ich kann. Ich werde weiter Drogen verkaufen, Geld für meinen Boss eintreiben und schauen, wer so viel schlauer war als ich und einen eigenen Drogenzweig aufstellen konnte. Und ich lasse meinen Freund Daniel denken, dass ich es immer noch drauf anlege, selbst Geschäfte zu machen.

Er ist entsetzt darüber, lässt mich aber dennoch nicht im Stich. Ihn treibt die Angst, nicht da zu sein, wenn ich mal wieder meinen Arsch in Gefahr bringe. Aber es geht ihm dabei bestimmt nicht um mich, sondern um meine Schwester Ellen, in die er sich verliebt hat. Sie hatte ihren Freund vor zwei Jahren durch eine Überdosis verloren und er möchte nicht, dass sie noch einmal einen Tod beklagen muss, auch wenn es nur meiner ist.

Also waren Daniel und ich heute Morgen aufgebrochen, um erneut die Fühler auszustrecken. Daniel meint, nach einem eigenen Drogenzweig. Aber es geht doch nur darum, den eines anderen Abtrünnigen aufzudecken.

Ich hatte mit Karl, einem der Verteiler aus Bielefeld, gesprochen, der mir bereitwillig Auskunft gab. Er weiß, dass ich so etwas wie ein Sohn für den Boss bin. Außerdem weiß er wie ich, dass einige Lieferungen nicht beim Empfänger ankamen und hier und da etwas unterwegs hängengeblieben war. Ich spürte seine Unsicherheit und Angst, dass ich ihn kontrollieren wollte. Er weiß, dass dies heißen würde, dass wir ihm nicht mehr vertrauen und so etwas endet schnell tödlich.

Mir ist natürlich klar, dass es auch für mich böse enden kann, wenn unser Boss Walter von meiner Neugierde erfährt und sie falsch interpretiert oder jemand nervös wird und mir eine Kugel verpasst, bevor ich etwas herausfinden kann.

Daniel war den ganzen Tag sehr in sich gekehrt. Ich bin mir nicht sicher, ob er wütend auf mich ist oder mich einfach nur für völlig übergeschnappt hält. Aber dennoch blieb er unerschütterlich an meiner Seite, wohl um Ellen Leid zu ersparen. Dabei konnten Ellen und ich uns lange nicht ausstehen und ich war gegen ihre Beziehung. Aber dann brachte sie Carolin in mein Leben und es änderte sich einiges. Doch das ist nun vorbei. Carolin hat sich als eine dumme Hure herausgestellt, die ich hassen sollte.

Aber etwas in mir will sie nicht so sehen und das macht mich wütend.

Nun ist es schon Abend und wir fahren noch bei Sam vorbei. Ich brauche noch etwas, um den Abend zu überstehen und Daniels Laune etwas aufzupolieren. Weil Ellen heute mit Carolin unterwegs ist und ich mich weigere, auch nur in ihre Nähe zu kommen, muss er auf seine Freundin verzichten. Und er verzichtet auf noch mehr, als mir lieb ist. Er will kein Speed und keine Pillen. Er will gar nichts.

Ich kann ihn zumindest dazu überreden, mit mir in den Hyde Park zu fahren und ich werfe mir im Auto noch eine weitere Pille ein.

Daniel schüttelt nur den Kopf und murmelt was von: „… langsam völlig am Durchdrehen.“

Aber mir ist egal, was er vor sich hinbrabbelt. Ich will Party machen und der Hyde Park ist zumindest ein Ort, an dem Carolin nicht aufkreuzen wird. Ellen will mit ihr im Alando bleiben, weil Carolin anscheinend auch keinen Wert auf meine Gesellschaft legt.

Soll sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.

Der Hyde Park ist wie immer gut besucht und wir treffen viele von unseren Bekannten. Ich gebe alles, um zu vergessen, dass mein Leben einem Haufen Scheiße gleicht. Aber hier unter meinesgleichen finde ich zumindest ein klein wenig Anerkennung. Etwas, was mir weder die Hamburger noch Carolin entgegenzubringen bereit sind. Aber ich glaube mittlerweile, und da kann auch die Pille nichts dran ändern, Carolins Ablehnung trifft mich schwerer.

Es ist noch gar nicht so spät, als Daniel sich neben mich schiebt. Ich stehe mit Timo und Sandra an der Theke.

Sandra ist süß. Ihre langen schwarzen Haare und Tätowierungen lassen sie interessant wirken. Außerdem hat sie schöne blaue Augen.

Sie hängt an meinem Arm und lacht immer wieder ziemlich laut. Ich habe sie geküsst, bin aber sicher, dass ich mich nicht dazu durchringen werde, sie mit nach Hause zu nehmen. Obwohl, warum nicht? Carolin ist auch mit Tim ins Bett gegangen.

Ich kann es immer noch nicht fassen. Dass sie mit Marcel schlief, weil sie mit ihm zusammenlebte, war klar. Und da verließ sie sogar der Elan, wie sie mir sagte. Es war halt etwas besonders mit uns und wirkte sich auf ihre Beziehung aus. Das hatte mich dann auch ein Stück weit aufgebaut und auch echt angemacht. Aber das sie nach Marcel und mir gleich mit Tim ins Bett gegangen ist …

Scheinbar hat ihr das mit mir nicht genug bedeutet. Dann bedeutet mir das mit ihr auch nichts mehr.

„Hey!“, säuselt Sandra in mein Ohr, und reißt mich aus meinen Gedanken, die an diesem Abend immer wieder um Carolin kreisen. „Weißt du, was ich jetzt will?“

Ihr Blick sagt nur zu genau, an was sie denkt. Ihre Hand schiebt sich dabei unter mein Hemd und streicht über meine Rückenmuskulatur.

Daniel baut sich vor uns auf. Er sieht besorgt aus. „Erik, ich muss weg. Kann ich dich hierlassen oder soll ich dich, oder euch, eben zu Hause absetzen?“, fragt er ernst und sieht erst mich und dann Sandra an. Für ihn scheint festzustehen, dass ich sie mitnehmen werde.

„Warum musst du weg?“, blaffe ich ihn an.

„Ellen hat angerufen. Es gibt einen Notfall. Ich muss eben zum Alando“, sagt er mit einem seltsam zurückhaltenden Unterton in der Stimme, als wolle er eigentlich nicht darüber sprechen.

Einen Notfall? Mein Kopf ist viel zu benebelt, um eins und eins zusammenzuzählen.

„Geh man. Das passt schon. Ich bleibe noch.“

Daniel nickt nur und geht.

Sandra hängt sich an meinen Hals und küsst mich.

Erst ganz langsam schiebt sich die Sache mit Ellens Notfall in meinen Kopf. Was mag bloß passiert sein? Hat Ellen sich zu sehr volllaufen lassen oder irgendwelche Drogen eingeworfen?

Und während ich dieses Mädchen an die Theke dränge und meine Zunge mit ihrer ringt, kommt mir ein anderer Gedanke. Geht es um Carolin? Ist ihr etwas passiert?

Ich gebe Sandra frei, die sich aber weiter an mich schmiegt wie eine Katze.

„Lass das!“, brumme ich und sie sieht mich verunsichert an. „Ich muss telefonieren“, erkläre ich und lasse sie stehen. Die Theke ist direkt neben der Tanzfläche und dort ist es unglaublich laut. Deshalb gehe ich zum Ausgang und greife nach meinem Handy. Aber wen soll ich anrufen? Ellen? Daniel?

Ich rufe Ellen an. Es klingelt lange, als sie endlich abnimmt: „Erik?“

„Was ist los? Daniel sagte, dass du ein Problem hast und er dir helfen muss.“

„Erik, ich kann jetzt nicht. Ich rufe dich später zurück. Okay?“

Sie legt auf und ich starre auf mein Handy, als wäre das schuld daran.

Arme schlingen sich von hinten um mich und ein Körper schiebt sich an meinen. Ich drehe mich um und Sandras blauen Augen sehen mich an. „Hey Süßer, so schnell lasse ich mich nicht abspeisen“, säuselt sie.

Aber ich bin viel zu sehr in Gedanken verstrickt, was bei Ellen abgeht. Sie klang gestresst und auch ein wenig wütend. Aber eins ist klar. Sie ist nicht der Notfall.

Ohne Sandra weiter zu beachten, die ihre feuchten Lippen in meinen Nacken drückt und ihre langen Finger unter mein Hemd und über meinen Bauch schiebt, rufe ich Daniel an.

„Erik, später!“, knurrt der nur und legt wieder auf.

Ich hätte doch mitfahren sollen. Aber nun ist es zu spät und die Unruhe, die mich packt, ist unerträglich.

Ich ziehe Sandra vor meine Füße.

Sofort legen sich ihre Lippen wieder auf meine.

Vielleicht ist das die beste Möglichkeit, die Zeit zu überbrücken, bis ich erfahre, was da los ist.

Aber es dauert lange. Sandra hat da nicht so viel Geduld und will schnell mehr. Da wir schon am Ausgang sind, zieht sie mich ganz nach draußen.

„Hast du ein Auto hier?“, fragt sie mit samtweicher Stimme.

„Nein.“

Sie sieht sich um und zieht mich über den Parkplatz ins Dunkle.

Ich lasse sie gewähren.

An einem alten Bulli presst sie sich an mich und wir küssen uns wieder. Ihre Hände sind schnell an meiner Hose und öffnen sie ohne Umschweife.

Ich reagiere sofort auf ihre fordernden Finger und sie zieht ihren Slip aus, der rot im Mondlicht leuchtet. Sie greift nach meinen Händen, schiebt sie unter ihren Rock und drückt sie auf ihre prallen Pobacken. Dabei verschlingt sie mich fast und presst sich an mich.

Ich gebe mich geschlagen. Langsam hebe ich sie hoch, während sie ihren Rock hochzerrt und drehe mich mit ihr an den Bus.

Ihre Beine schlingen sich um mich und ich schiebe mich in sie. Sie winselt auf wie ein getretener Hund.

Wir küssen uns erneut und ich presse sie in einem stetigen Rhythmus immer wieder an den Bus.

Sie stöhnt in mein Ohr und beißt mich ins Ohrläppchen, woraufhin ich meine Lippen an ihrem Hals versenke und kräftiger zustoße.

Ihre Hände verfangen sich in meinen Locken und sie wird ziemlich laut.

Ich sehe mich kurz um, ob wir weit genug von dem Trubel vor dem Zelt weg sind und hoffe, keiner hört ihr unkontrolliertes Stöhnen und Keuchen. Ich küsse sie, um ihr Gestöhne zu stoppen. Das ist mir wirklich zu viel.

Mit dem Klingeln meines Handys, wirft sie den Kopf zurück und schreit laut: „Ja, ja!“ in den Himmel.

Das ist fast schon peinlich.

Ich ziehe mich schnell aus ihr zurück und setze sie ab. Das Klingeln hört auf und ich mache mir schnell meine Hose zu.

Sandra lehnt am Bus und sieht mich an, als wolle sie mich fressen. Ihre Hand legt sich auf meine Wange und sie säuselt: „Oh Mann, können wir das gleich noch mal machen?“

Ich drehe mich von ihr weg und schaue nach, wer mich angerufen hat. Es war Ellen. Ich checke die Zeit. Eine halbe Stunde haben sie mich warten lassen. Nah, Danke.

Ihre Nummer drückend, rufe ich sie zurück. Sie geht sofort ran. „Erik, was wolltest du?“, fragt sie und klingt müde und genervt.

„Ihr habt einen Notfall?“, frage ich ungeduldig und spüre schon wieder die Arme, die mich erneut umschlingen.

„Ist nicht so schlimm. Wir haben alles im Griff“, meint Ellen zurückhaltend und wenig mitteilsam. Aber ich habe nicht vor, mich von ihr so schnell abspeisen zu lassen. „Was ist passiert?“

Ellen antwortet nicht mir, sondern jemand anderem: „Hast du noch ein paar Decken? Das reicht so nicht.“ Ich höre Daniel im Hintergrund.

„Ellen, was ist los?“, fauche ich.

Sie wendet sich mir wieder zu. „Ich sagte doch, alles halb so schlimm. Wir kümmern uns schon.“

„Um was?“, knurre ich und schiebe Sandra energisch von mir weg, die sich langsam wieder von hinten nach vorne schiebt und ihre Lippen an meinem Hals entlanggleiten lässt.

Ich weiß, dass Ellen mir nicht sagen will, was los ist. Sonst würde sie nicht so herumdrucksen. Aber dann entschließt sie sich dazu, doch mit der Wahrheit herauszurücken.

„Carolin. Sie hat etwas viel getrunken.“

„Und? Habt ihr sie nach Hause gebracht?“

„Es weiß doch keiner, wo sie wohnt und sie sagt es nicht“, raunt Ellen frustriert.

„Habt ihr sie nach uns gebracht?“, frage ich und schiebe erneut Sandra von mir weg, die sich immer wieder anpirscht.

„Nein, zu Daniel.“

Warum bringen sie Carolin zu Daniel? Was soll das denn? Unsere Eltern sind nicht zu Hause, da ist doch wohl klar, dass Carolin bei uns besser aufgehoben wäre.

„Sie wollte wegen dir nicht zur Villa gebracht werden. Also haben wir sie zu Daniel gebracht. Das war das Einzige, was sie mit sich machen ließ. Die ist völlig fertig und ich muss jetzt wieder zu ihr. Der geht es echt schlecht“, erklärt Ellen.

Was soll ich dazu sagen?

„Gut, dann weiß ich Bescheid“, sage ich nur und lege auf.

Carolin wollte also wegen mir nicht in der Villa schlafen. Jetzt ist sie bei Daniel. Schläft sie heute bei ihm im Bett, oder was?

Sandra säuselt mir ins Ohr, dass ich mit zu ihr gehen soll.

Ich schüttele nur den Kopf und schiebe sie wieder energisch weg. „Ich brauche ein Taxi“, zische ich nur und wähle eine Nummer, die mich mit der Taxizentrale verbindet.

Zehn Minuten später sitze ich im Taxi. Sandra ließ sich nur schwer wieder abwimmeln und auch erst, nachdem ich ihr unmissverständlich klarmachte, dass sie nicht mehr von mir zu erwarten hat. Aber sie war stur wie ein Esel und ich irgendwie nicht hartnäckig genug. Die Geschichte mit Carolin wallte zu durchdringend durch meinen Kopf. So konnte ich nicht mal verhindern, dass Sandra mir ihre Telefonnummer zusteckte.

Im Taxi öffne ich das Fenster einen Spalt und lasse das Deckelstück ihrer Zigarettenschachtel, auf die sie ihre Nummer gekritzelt hatte, mit dem Wind davonsegeln.

Kurze Zeit später halten wir vor Daniels Haus. Erst will ich dem Taxifahrer sagen, er soll warten. Aber dann überlege ich, dass ich auch später nach Hause laufen kann. Ich will nur sehen, ob die alles im Griff haben.

Statt zu klingeln, rufe ich Daniel an. Er raunt: „Ja?“

„Ich bin unten an der Tür. Machst du auf?“

Es ist Ellen, die mir die Haustür öffnet. „Du hättest nicht kommen brauchen. Wir kommen schon klar.“

Sie wirkt trotz ihrer Worte besorgt und geht mir voran nach oben.

Daniel kommt aus einem der zwei unbenutzten Zimmer und legt den Zeigefinger auf die Lippen, dass wir keinen Krach machen sollen. „Sie schläft“, sagt er mit viel zu weicher Stimme.

Ich sehe ihn herausfordernd an. Ganz im Gegensatz zu mir scheint Ellen kein Problem mit seinem Gesäusel zu haben. „Danke Daniel“, sagt sie und wirft sich in der Küche auf einen Stuhl.

Ich gehe schnurstracks zu dem Zimmer, aus dem Daniel gekommen war und öffne die Tür. Unter einem Berg von Decken sehe ich einen blonden Schopf auf einem Kissen gebettet auf einer Matratze liegen. Ich denke sofort, dass das Zimmer viel zu trostlos für sie ist.

Daniels Hand legt sich um mein Handgelenk. „Lass sie jetzt schlafen.“

Was meint er denn, was ich vorhabe?

Ich schließe die Tür wieder und gehe mürrisch hinter ihm her in die Küche. Ellen hat uns allen dreien eine Cola hingestellt. Ich hole mir lieber ein Bier, um die Wut herunterzuspülen, weil Daniel sich hier so aufspielt.

„Was soll das mit den Decken?“, knurre ich.

„Ich glaube, deine Kleine hat eine Alkoholvergiftung. Die friert, als wenn sie in einen zugefrorenen See gefallen wäre“, antwortet Daniel und ich sehe ihn an. Sein Glück, dass er nicht vergessen hat, dass sie eigentlich zu mir gehört. Das bringt mich wieder etwas runter.

„Was ist denn passiert? Sie macht das doch sonst nicht“, frage ich Ellen.

Sie grinst frech und antwortet: „Tja, alle wollten mit ihr das neue Sololeben feiern. Und dann kam auch noch Christoph und hat ihr den Rest gegeben. Wenn er sie nicht wieder an die Theke gelockt hätte, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm geworden.“

„Christoph?“, frage ich nach.

„Ja, du weißt doch, der aus meiner alten Klasse. Der kam zufällig auch ins Alando.“

Ich weiß, wen sie meint. Aber warum stürzt der sich gleich auf Carolin? Gab es da keine anderen Weiber?

Ellen sieht meinen und auch Daniels fragenden Blick, was Christoph mit Carolin zu tun hat und sie erklärt: „Ich hatte sie an dem Tag mitgenommen, als wir uns alle in unserer Stammkneipe trafen und die beiden hatten gleich einen Draht zueinander. Das war an dem Abend, als ihr euch auch das erste Mal mit uns im Alando getroffen habt.“

Mir fällt unser Zusammentreffen dort ein, und dass dieser Typ Carolin immer wieder auf die Tanzfläche gezogen hatte. Aber letztendlich tanzte sie mit mir. Sie hatte ihre Hände auf meine Brust gelegt und dabei ihre Finger ganz vorsichtig über meine Narben gleiten lassen und mich damit unglaublich aus der Fassung gebracht.

Den Gedanken daran schicke ich augenblicklich in die Wüste.

„Und was wollte der Typ heute von ihr?“, brumme ich.

„Oh, einiges!“, sagt Ellen grinsend. „Aber in erster Linie wollte er, dass sie ihren Vorsatz über Bord wirft.“

Daniel sieht sie an: „Ihren Vorsatz?“

„Das war den ganzen Abend lang der Gag des Tages. Carolin hat jedem erzählt, dass sie ein männerfreies Leben anstrebt. Zwei Monate lang. Wir wollten schon Wetten abschließen“, sagt Ellen belustigt. „Und Christoph hatte sie schon so weit, diesen Vorsatz zum Teufel zu jagen. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, dass er sie in Ruhe ließ. Aber als sie dann draußen zusammenbrach, musste ich dich anrufen“, sagt sie zu Daniel. „Der wollte sie mit zu sich nach Hause nehmen und sie wollte auch mitgehen.“ Ellen sieht mich an und raunt: „Weil sie Angst hatte, sonst auf dich zu treffen. Gut, dass Daniel allein gekommen ist. Ich hätte sie sonst gar nicht ins Auto gekriegt.“

„Ich hatte auch Besseres zu tun, als so eine Schnapsleiche nach Hause zu bringen“, knurre ich wütend.

Was war wichtiger? So eine Tussi an einem Bus zu nageln?

Langsam stehe ich auf und raune: „Ich hau dann wieder ab. Man sieht sich morgen.“

„Wo willst du hin?“, fragt Daniel und steht auch auf.

„Nach Hause.“

„Ich bringe dich eben.“

Als ich bei Daniel im Auto sitze, fragt er: „Was ist passiert?“

Ich sehe ihn verständnislos an. Meint er eben im Hyde Park?

„Was ist zwischen dir und Carolin passiert? Du warst Montag so gut drauf. Ich schwör dir, ich habe dich noch nie so gesehen“, sagt Daniel ernst und lenkt den BMW durch die Stadt.

Ich will das alles nicht hören. Es ist vorbei. Sie will mich nicht und ich sie nicht. Unsere Welten liegen Lichtjahre voneinander entfernt. Außerdem habe ich sie echt nicht nötig, wie ich eben im Hyde Park wieder einmal feststellen konnte. Und Sandras gibt es wie Sand am Meer.

Wir fahren vor das Tor der Villa. „Sie ist solo und wenn dir nur ein bisschen an dem Mädel liegt, dann schnapp sie dir jetzt“, sagt Daniel immer noch total ernst.

„Sag mal, gehts noch? Was soll ich mit der? Ich bin für so etwas echt nicht geschaffen“, raune ich und steige schnell aus. Die Tür laut hinter mir zuknallend, gehe ich zur Haustür. Daniel sieht mir nur kopfschüttelnd hinterher.

Und ich kann über mich auch nur den Kopf schütteln.

Nach einer ziemlich beschissenen Nacht fahre ich am nächsten Vormittag wieder zu Daniel. Es geht mir nicht um Carolin. Ich will mit Daniel noch später bei Walter vorbeifahren, um mal zu horchen, wie die Lage dort ist. Vielleicht gibt es Neuigkeiten.

Natürlich weiß ich, dass ich Daniel dann auch stecken muss, weswegen wir wirklich am vergangenen Tag nach Bielefeld gefahren waren.

Ich klingele rücksichtslos und Daniel macht mir auf. Ich finde ihn und Ellen beim Frühstücken.

„Magst du auch einen Kaffee und ein Brötchen?“, fragt Ellen und sieht mich seltsam an.

Ich werfe mich neben sie auf einen Stuhl und nicke. Es ist Daniel, der aufsteht und mir einen Teller, ein Messer und eine Tasse Kaffee holt.

„Danke“, raune ich und kann mir nicht verkneifen zu fragen: „Und was macht der Notfall? Ist die schon nach Hause gefahren?“

Die ist immer noch ziemlich tot“, sagt Daniel und legt die Betonung auf mein abweisendes Die.

Ich ignoriere das. Sie ist also noch da. Ich würde gerne nach ihr sehen und das macht mich wütend. Warum zieht sie mich so magisch an?

Nach dem Frühstücken gehen wir ins Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Ich bin nervös und kann nicht sitzen bleiben. Immer wieder zieht mich etwas in den Flur und ich lehne mich an die Küchentür und folge der Unterhaltung von Ellen und Daniel, die noch einmal aufrollen, wie es Carolin gestern ergangen war.

Dass all meine Sinne auf die Tür des Zimmers ausgerichtet sind, in dem sie liegt, merke ich daran, weil ich sofort merke als die Türklinke langsam heruntergedrückt wird.

Vorsichtig schleicht Carolin aus ihrer Höhle und wirkt völlig verunsichert, orientierungslos und so hilflos, dass sich etwas in meiner Brust zusammenzieht.

Sie blinzelt und schließt benommen die Augen. Ihre Bluse ist völlig zerknautscht und sie hat nur eine wirklich knappe Hotpants an. So war sie also gestern Abend losgewesen. Da wundert einen nichts mehr.

„Oh ha, so sieht also deine Solokarriere aus? Nah super“, brumme ich und Daniel und Ellen werden aufmerksam.

Carolin sinkt, nach einem kurzen Kampf, um sich aufrecht zu halten, an den Türrahmen ihres Zimmers.

„Lass das!“, faucht Ellen mich wütend an und geht an mir vorbei in den Flur. An unseren Notfall gewandt, fragt sie mit samtweicher Stimme: „Nah, geht’s? Du stehst immer noch schlimm zu.“

„Ellen, ich sterbe gerade“, jammert Carolin leise auf.

„So siehst du auch aus.“ Ellen packt sie am Arm und zieht sie an mir vorbei in die Küche. Sie drückt sie auf einen Stuhl. „Komm, trink erst mal was. Du musst schrecklichen Durst haben. Du hast dich gestern ganz schön abgeschossen.“

Ich folge ihnen und hole ein Glas Wasser. Als ich es vor Carolin auf den Tisch stelle, sieht Ellen mich lächelnd an. Sie soll jetzt bloß nicht wer weiß was denken.

Carolin greift danach und trinkt. Dabei zittert ihre Hand, als wäre sie auf Entzug.

Daniel lässt sich auch auf einen Stuhl fallen, während ich mich lieber wieder an die Tür lehne. Diesmal habe ich eher das Gefühl, so eventuell schneller gehen zu können, wenn ich glaube, gehen zu müssen.

„Das war kurz vor einer Alkoholvergiftung, würde ich sagen“, meint Daniel grinsend. „Hammer!“, fügt er noch hinzu.

„Toilette?“, stammelt Carolin plötzlich.

„Komm, ich zeige sie dir“, sagt Ellen mitleidig und zieht sie vom Stuhl.

Ich weiß nicht warum, aber ich schiebe mich in den Türrahmen und verstelle ihnen den Weg. Dabei knurre ich aufgebracht: „Sei froh, dass Ellen da war. Du wärst sonst heute Morgen wer weiß wo aufgewacht.“

„Lass sie in Ruhe. Das kann sie jetzt echt nicht gebrauchen“, brummt Ellen und schiebt mich an die Seite, um Carolin an mir vorbei zu dirigieren.

Daniel lacht nur und ruft hinter ihnen her: „Dann wäre es schon vorbei … mit deinem „männerfreien“ Vorsatz.“

„Was?“, murmelt Carolin verunsichert, bevor Ellen sie durch die Tür ins Badezimmer schiebt.

„Die weiß nichts mehr. Ob das wirklich nur Alkohol war?“, frage ich.

„Keine Ahnung. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie das überstanden hat. Zeitweise habe ich heute Nacht gedacht, ich muss sie doch noch ins Krankenhaus bringen“, antwortet Daniel und sieht mich seltsam an.

Ich habe meinen Killerblick aufgesetzt, damit er nicht denkt, dass ich auch nur ein bisschen Mitleid mit Carolin habe.

Die Badezimmertür geht auf und Ellen schiebt das blasse Etwas direkt vom Flur wieder in das Zimmer, in dem sie die Nacht geschlafen hatte. Scheinbar geht es Carolin zu schlecht und sie muss sich wieder hinlegen.

Als Ellen wieder zurückkommt, wirkt sie besorgt. Sie lässt sich wieder auf den Küchenstuhl sinken und meint: „Die ist noch immer völlig fertig. Der ganze Stress und der viele Alkohol …, ich weiß gar nicht, wie wir die wieder auf die Füße bringen sollen. Und keiner weiß, wo sie wohnt. Auch wenn sie hierbleibt, braucht sie für morgen etwas zum Anziehen und ihre Schulsachen.“

„Die hat doch bestimmt ihr Handy dabei?“, frage ich Ellen und sie nickt.

„Gib es mir. Ich finde schon raus, wo sie wohnt.“

Ellen sieht mich überrascht an, steht dann aber auf und kommt wenig später mit Carolins Handy wieder.

Ich finde schnell, was ich suche. Die beiden wissen nicht, was ich weiß. Ich rufe Tim an.

„Hey, Süße“, säuselt der nach ein paarmal Klingeln ins Telefon. Der kann so froh sein, dass er nicht in der Nähe ist, sonst würde ich ihm jetzt eine reinhauen.

„Nein, ich bin es, Erik“, knurre ich deshalb auch ziemlich barsch.

Daniel und Ellen sehen mich beunruhigt an.

Um nicht lange mit dem Schleimer reden zu müssen, bringe ich gleich auf den Punkt, was los ist. „Carolin war gestern Abend unterwegs und hat sich so betrunken, dass sie fast eine Alkoholvergiftung hatte. Ellen und Daniel haben sie mitgenommen und nun müssen wir wissen, wo wir sie hinbringen sollen, wenn es ihr nachher etwas bessergeht.“

Tim scheint völlig irritiert zu sein. Er sagt keinen Ton.

„Tim?“, brumme ich ungehalten und weiß, dass Ellen und Daniel sich gerade fragen, warum ich ausgerechnet den anrufe. Wahrscheinlich dachten sie, ich rufe Marcel an.

„Ich weiß nicht“, raunt Tim abwehrend.

„Du kannst dir das überlegen. Entweder ich bringe sie zu Marcel oder in deine Wohnung. Mir ist das scheißegal“, knurre ich wütend.

Tim lenkt ein. „Ne, bringt sie bitte in meine Wohnung. Da wohnt sie jetzt.“

„Ich weiß!“, schnaube ich. „Und wo ist die?“

„Hast du ein Navy in deinem Mustang?“

„Sicher! Also gib mir einfach die Adresse und fertig.“ Je länger ich mit dem Typ spreche, umso mehr geht mir die Galle hoch, weil er Carolin in seine Wohnung verfrachtet hatte und sie dort auch noch vernaschte. Der bloße Gedanke daran lässt etwas in mir zum Tier werden. Sein Glück, dass er unerreichbar weit weg auf einer Musicaltour ist.

„Aber ich weiß wirklich nicht …“

„Verdammte Scheiße, gib mir jetzt die Adresse oder es passiert was!“, tobe ich los.

Tim lenkt ein. „Schon gut.“

Er sagt mir die Straße und die Hausnummer und erklärt mir kurz den Weg.

Carolin ist also in Alfhausen. Ich kenne den Ort nur vom Durchfahren.

„Alles klar“, brumme ich.

„Kann ich Carolin eben sprechen?“, fragt Tim vorsichtig.

„Nein, die schläft wieder“, fauche ich, füge aber ein „Danke!“, hinzu, dass mir wirklich schwerfällt und lege auf.

Ellen und Daniel sitzen nur da und starren mich an. Meine Schwester fängt sich als erstes. „Woher weißt du, dass sie in Tims Wohnung wohnt?“

„Ist doch völlig egal!“, fauche ich auch sie an. „Daniel, ich wollte mit dir noch zu Walter fahren, die Lage checken. Hier können wir eh nichts tun“, wende ich mich brüsk an ihn.

Der steht langsam und unschlüssig auf und Ellen meint: „Ich halte hier die Stellung.“ Sie scheint froh zu sein, dass ich gehe und das scheint für Daniel ein Anlass zu sein, mich besser schnellstmöglich aus der Wohnung zu bringen.

Er gibt ihr einen Kuss und raunt ihr zu, dass sie anrufen kann, wenn etwas ist.

Säusel, säusel … Mich kotzt das ziemlich an.

Es ist noch zu früh, um zu Walter zu fahren. So steuere ich den Mustang auf die Bundesstraße nach Alfhausen und wir schauen, wo die Adresse ist, zu der Carolin gebracht werden muss.

„Da hätten wir auch gleich den Schlüssel mitnehmen und ihre Sachen für morgen holen können“, murmelt Daniel.

Ich sage nichts dazu. Will er sie unbedingt noch eine Nacht bei sich behalten?

Wir machen noch einen größeren Schlenker und ich erzähle Daniel endlich, warum ich bei Walter schauen will, was los ist. Ich will Daniel wieder auf meine Seite ziehen. Er ist schließlich mein Freund und daher mir gegenüber verpflichtet … und lässt die Finger von Carolin.

So berichte ich ihm, dass jemand das gleiche Geschäft macht, was eigentlich ich aufziehen wollte. Plötzlich liegt mir daran, dass er weiß, dass ich auf der Seite der Guten stehe und nicht einen eigenen Drogenring aufbauen will. Ich halte es für besser, er weiß das. Mir ist plötzlich wichtig, dass er sich auf keinen Fall von mir abwendet.

„Wer?“, fragt Daniel und wirkt erleichtert.

„Das wissen sie nicht und ich habe auch überhaupt keine Ahnung. Aber wir sind es definitiv nicht“, sage ich. Uns hatte Daniel schließlich ausgebremst, als die Hamburger da waren. Heute können wir froh darüber sein.

Bei Walter finden wir an diesem Nachmittag nichts heraus. Er ist gar nicht da und auch Sam und Teddy scheinen unterwegs zu sein. Sie sind Walters richtigen Söhne und wie er Zuhälter. Aber während Walter ein Bordell führt, haben sich die beiden auf den Straßenstrich spezialisiert.

Ich finde ihre Abwesenheit ziemlich ungewöhnlich, weil eigentlich immer einer von denen im Haus ist und schaut, dass alles seine Richtigkeit hat und nicht irgend so ein Flachwichser einen der Nutten böse angeht.

Wir fahren zu Daniel zurück und setzen uns zu Ellen, die sich eine DVD von To fast and to furios anschaut. Es gibt auch noch zwei weitere Teile und ich sitze auf dem Sofa und sehe sie mir in Seelenruhe mit an.

Die beiden wären vielleicht gerne allein, aber das interessiert mich nicht. Ich tue so, als möchte ich diese Filme unbedingt sehen. Aber meine Antennen sind auf das Zimmer gerichtet, das neben der Küche liegt. Ich muss mich zwingen, nicht aufzustehen und nach Carolin zu sehen, die immer noch dort ihren Rausch ausschläft. Und ich rauche viel zu viele Zigaretten.

Am Abend kocht Ellen Spaghetti mit Tomatensoße.

„Sollen wir Carolin holen, damit sie wieder auf die Beine kommt?“, frage ich und lege gleich wieder eine gehörige Portion Gehässigkeit in meine Stimme, damit keiner denkt, dass ihre Lage mich irgendwie trifft oder ich langsam nicht mehr länger warten will, dass sie aufsteht.

„Lass sie noch ein bisschen schlafen. Sie kommt schon von allein und dann mache ich ihr etwas warm“, sagt Ellen und ich habe ein wenig das Gefühl, sie will Carolin meinen Anblick ersparen. Wahrscheinlich hofft sie, dass ich gleich gehe. Aber das kann sie vergessen. Ich will noch ein wenig genießen, dass es Carolin so richtig dreckig geht. Verdient hat sie es.

Es ist Daniel, der meint noch Zigaretten holen zu müssen und mich hochzieht. „Komm Alter, wir drehen noch eine Runde. Die Mädchen kommen schon klar.“

Was soll ich tun? Ich kann ihm nur folgen, wenn ich es nicht so aussehen lassen will, als wäre ich wegen Carolin hier.

Wir fahren zu einem Kiosk in Lüstringen, der immer bis Mitternacht aufhat und Daniel holt sich seine Zigaretten. Er hat es nicht eilig wieder zurückzufahren und ich frage mich, ob er mich nur aus dem Haus haben wollte. Gut, dass mein Mustang bei ihm vor der Tür steht, sonst würde er mich glatt einfach bei mir zu Hause absetzen.

Es ist schon nach acht, als wir wieder bei Daniel auf den Hof fahren.

Wir gehen hoch in seine Wohnung und mein Herz wird etwas unruhig. Ob Carolin noch da ist oder hat Ellen sie aus dem Haus geschmuggelt, während ich mit Daniel Zigaretten kaufte?

„Hallo!“, ruft Daniel und geht vor mir her durch den Flur.

Ellen antwortet: „Wir sind in der Küche.“

Daniel steuert die Küche an und grinst, als er Carolin zusammengekauert mit einer Tasse Tee auf ihrem Stuhl hocken sieht. Ich bleibe nur in der Tür stehen und warte darauf, dass sie mich bemerkt.

„Tee? Vielleicht hilft ein neuer Wodka O-Saft besser“, sagt Daniel und grinst.

„Erwähne das bitte nicht. Da wird mir gleich wieder schlecht“, raunt Carolin betroffen.

Daniel setzt sich auf einen Stuhl und zündet sich eine Zigarette an. Ellen bietet er auch eine an. Zu Carolin sagt er nur: „Du hast schon genug über die Stränge geschlagen“, und gibt ihr keine Zigarette. Sein Blick wandert fragend zu mir und ich schüttele den Kopf.

Carolin folgt seinem Blick und sieht mich in der Tür stehen. Sofort rafft sie sich auf und setzt sich ordentlich hin, ihre Tasse schnell leer trinkend.

„Magst du noch einen?“, fragt Ellen fürsorglich und steht auf, um Carolin einen neuen Tee zu kochen.

Als sie mit der Tasse zum Tisch kommt und sie vor Carolin abstellt, brumme ich: „Da muss noch Zucker rein.“

„Zucker?“, fragt Ellen Carolin.

Die schüttelt nur den Kopf.

Die brauch jetzt Energie. Sonst kommt die gar nicht auf die Füße. Die hat bestimmt nicht mal was gegessen“, knurre ich, weil sie einfach nicht tut, was ich sage. Das bringt mich sofort wieder in Rage.

Carolin sieht mich an, als hätte ich sie gerade böse beschimpft. Ich muss mich zusammenreißen, damit mir mein Killerblick nicht abhandenkommt.

Langsam stellt sie die Tasse ab und steht auf. Sie geht an mir vorbei zum Badezimmer und schließt hinter sich ab.

„Kannst du sie nicht einfach in Ruhe lassen?“, zischt Ellen kopfschüttelnd. „Dass du sie hier ständig anpflaumst kann sie echt nicht gebrauchen.“ Sie steht auf und geht auch zum Badezimmer. „Carolin?“, ruft sie. „Alles in Ordnung?“

„Ja, ich komme gleich.“

Ihre weinerliche Stimme versetzt mir einen Dolchstoß.

Um etwas zu tun zu haben, gehe ich zu ihrer Tasse, hole den Teebeutel heraus, greife mir den Zucker und schütte zwei große Löffel voll hinein. Ihn umrührend, stelle ich ihn wieder an ihren Platz. Daniel sieht mir schmunzelt zu.

Ich baue mich wieder an der Tür auf.

Als sie endlich wieder aus dem Badezimmer kommt, schaffe ich es kaum noch, den bösen Gangster zu mimen. Sie ist so blass und wirkt so erschreckend zerbrechlich. Ihre großen Augen mit den langen, schwarzen Wimpern sind auf den Boden gerichtet, als sie an mir vorbeigeht. Sie wirkt so unglaublich traurig, dass es mir fast wehtut.

Sie setzt sich vor ihren Tee und nimmt einen Schluck. Ihr Blick fällt auf Ellen, die nur die Schultern hebt und mich ansieht.

Carolin stellt die Tasse ab, schiebt sie von sich weg und verschränkt aufmüpfig die Arme vor der Brust.

Ich stoße mich von dem Türrahmen ab, als Ellen mir kopfschüttelnd andeutet, dass ich jetzt einfach ruhig bleiben soll. Aber wie soll das gehen, wenn Carolin mich ständig provoziert?

Die dreht sich um und schaut zur Küchenuhr. Sie steht langsam auf und greift nach ihrem Handy, das auf dem Tisch liegt. Ich sehe es jetzt erst und frage mich, warum. Ich hatte es dort nicht liegen gelassen.

„Ich muss jetzt los. Danke für alles“, raunt Carolin und lächelt Ellen und Daniel zu.

Mich ignoriert sie völlig.

Ellen nimmt einen letzten Schluck aus ihrer kleinen Colaflasche und steht auch auf. „Was hast du jetzt vor?“, fragt sie besorgt.

„Ich nehme gleich den letzten Zug. Es wird jetzt echt Zeit. Wir sehen uns morgen in der Schule“, antwortet sie meiner Schwester.

Die sieht Daniel an, dann mich.

Daniel steht auch auf und sagt: „Ich bringe dich hin.“

„Das brauchst du nicht. Ich laufe eben. Das ist gar kein Problem“, meint Carolin und kann kaum stehen.

Sie muss an mir vorbei, um an ihre Sachen zu kommen und ich sehe sie nur an. Meint sie wirklich, sie schafft es so bis zum Bahnhof?

„Ellen, wo sind denn meine Tasche und meine Jacke?“, ruft sie meiner Schwester zu, die aufsteht und ihr alles holt.

„Danke“, murmelt sie und geht wieder an mir vorbei über den Flur zur Wohnungstür.

Ich folge ihr automatisch und Daniel kommt auch hinter uns her. Er will sie zum Bahnhof bringen oder nach Hause. Dass er bei ihr auf einmal so hilfsbereit ist, stört mich wieder gewaltig.

Carolin dreht sich plötzlich um und will etwas sagen. Aber ich bin direkt hinter ihr und sie bleibt erschrocken stehen.

Ich bringe dich!“, knurre ich in einem Ton, der keinerlei Widerrede duldet.

„Brauchst du nicht“, antworte sie trotzdem, nicht weniger brummig.

„Das ist mir scheißegal, ob du das willst oder nicht“, murmele ich und versuche, das Tier in mir sich nicht entfesseln zu lassen. Aber das fällt mir immer schwerer. Ich packe sie am Arm und schiebe sie durch die Tür.

Ellen ruft mir hinterher: „Erik, bitte!“ Aber da fällt hinter uns auch schon die Tür ins Schloss.

Ich schiebe Carolin unsanft die Treppe hinunter und zum Auto. Erst als sie auf dem Beifahrersitz sitzt, beruhige ich mich wieder ein wenig.

Ich fahre rückwärts aus der Einfahrt auf die Straße und mit quietschenden Reifen prügele ich den Mustang über den Asphalt Richtung Innenstadt. Sie sieht so aus, als wenn ihr das schon den Rest gibt. Aber sie sagt nichts. Auch nicht, als ich die Bundesstraße Richtung Bramsche nehme.

Sie sieht die ganze Fahrt über aus dem Seitenfenster und ignoriert mich, bis kurz vor ihrem alten Wohnort, wo sie mit Marcel wohnte.

„Lässt du mich bitte in Bramsche beim Bahnhof raus?“, fragt sie leise.

„Warum?“, zische ich mürrisch und sehe sie an. Will sie zu Marcel?

„Ich fahre von da aus mit dem Fahrrad weiter“, erklärt sie noch leiser.

„Vergiss es! Das kannst du morgen holen, wenn es dir bessergeht. Ich bringe dich nach Hause“, brumme ich.

Wir fahren an Bramsche vorbei Richtung Alfhausen. Ich spüre, wie sie unruhig wird und mir sogar einen schnellen, verunsicherten Blick zuwirft. Sie weiß schließlich nicht, dass ich ihr neues Wohndomizil bei Tim kenne.

Als wir in Alfhausen an der Ampel kurz anhalten müssen, wirft sie mir erneut einen Blick zu. Es macht mir fast Spaß, endlich links abzubiegen und zu sehen, wie ihre Augen größer werden. Ich lenke den Mustang bei der Hauptstraße in den Ortskern und bald darauf in eine Seitenstraße, um vor Tims Garage zu parken.

Carolin sitzt wie versteinert in dem Autositz und starrt auf das Garagentor.

„So, alles klar?“, raune ich und lasse den Motor ausgehen. Es bereitet mir eine gewisse Genugtuung, sie dermaßen vorzuführen. Und sie hatte gedacht ich bekomme nie heraus, wo sie ihr neues Domizil aufgeschlagen hat.

„Woher weißt du, wo ich wohne?“, fragt sie so leise, dass ich sie fast gar nicht verstehe.

„Von Tim! Was meinst du denn? Du hast dich letzte Nacht wer weiß wie heftig abgeschossen, bist beinahe bei wer weiß wem gelandet und warst den ganzen Tag kaum in der Lage zu irgendwas. Ich habe Tim angerufen und mir erklären lassen, wo ich dich in deinem maroden Zustand hinbringen soll. Er hatte die Wahl zwischen Marcels Wohnung oder seiner. Er hat sich dafür entschieden, dass ich dich zu seiner bringen soll“, erkläre ich ihr mürrisch.

„Das war mein Panikraum“, jammert sie betroffen.

Ihre Worte gehen mir durch und durch. Wie kann sie glauben, so etwas zu brauchen?

„Den du nicht brauchst. Zumindest nicht wegen mir. Also reg dich ab“, brumme ich aufgebracht und erneut schnürt mir die Wut die Luft ab. Was geht in dem Mädchen plötzlich vor sich, dass sie mich so als Feind sieht und warum regt mich das so auf?

„Tut mir leid“, sagt sie leise und krallt sich an ihrer Tasche fest, als wäre das ihr Rettungsboot.

Die ganze Situation, ihre traurige Gestalt in dem großen Auto und ihre gehauchten Worte lassen mich nicht kalt. Und das sie meint, einen Panikraum für sich erschaffen zu müssen, erst recht nicht.

„Was tut dir leid?“, frage ich und meine Stimme hat schnell alle Wut verloren. Alles drängt mich danach, sie in die Arme zu ziehen und vor der Welt zu beschützen.

„Alles!“, seufzt sie auf. „Das ich so viel getrunken habe, dass ich euch so viel Stress mache, dass mein Leben so drunter und drüber ist und ihr das alles mitbekommt.“

Ich sehe sie fassungslos an. „Genau das muss dir nicht leidtun“, murre ich aufgebracht. Warum macht sie sich darum Sorgen? Es gibt ganz andere Sachen, die ihr zu denken geben sollten und es schmerzt mich, dass sie das nicht tut.

„Aber dass du dir eine männerfreie Zone schaffst, um gleich mit dem Erstbesten wieder loszuziehen, und dass du deinen Freunden nicht sagen wolltest, wo du wohnst und uns nicht einbeziehst, wenn du Probleme hast … und ich hatte dich mal um eine einzige Sache gebeten - dass du mich nicht ignorierst. Und genau das tust du. Ich verstehe dich nicht. Du machst mit deinem Typen Schluss und brichst auch gleich mit mir, warum auch immer? Und am wütendsten macht mich, dass du jedem anderen ohne weiteres deine Zeit schenkst und mit denen sogar in die Kiste springst“, fahre ich sie an und kann einfach das Tier in mir nicht mehr zurückhalten.

Sie sieht mich entsetzt an. „Bin ich doch gar nicht“, sagt sie und scheint es auch noch ernst zu meinen.

„Ach nein? Und was ist mit Tim? Und letzte Nacht wolltest du auch lieber mit diesem Typ mitgehen als mit Ellen. Und das wegen mir! Damit du nicht auf mich treffen musst! Nah Danke.“ Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Alles bricht aus mir hervor, was mich die letzten Tage quälte.

Carolin nickt nur verstehend, greift nach dem Türöffner und steigt kurz darauf aus.

Die Dämmerung wird langsam von der aufsteigenden Nacht vertrieben. Ich sehe ihr unschlüssig hinterher.

„Tut mir leid“, sagt sie erneut und wirkt völlig niedergeschlagen. Leise drückt sie die Autotür zu und geht gebeugt wie ein Häufchen Elend um den Mustang herum. Dabei beginnt sie in ihrer Handtasche zu wühlen. Scheinbar sucht sie ihren Schlüssel.

Ich sehe sie nur an und kann das Gefühl nicht unterdrücken, dass sie beständig in mir auslöst. Ihre Hände zittern und dann fällt ihr auch noch die Tasche aus der Hand. Sie steht nur da und starrt auf den Boden.

Ich schiebe meine Tür auf und steige aus. Der Inhalt ihrer Tasche ergießt sich vor meinem Auto über das Pflaster und sie bückt sich und beginnt nach den ersten Teilen zu greifen.

„Manometer, nicht zu fassen!“, knurre ich, um sie nicht merken zu lassen, wie sehr mich ihre hilflose Art berührt.

Meine Worte machen sie wohl wütend. Sie beginnt alles in die Tasche zu pfeffern. Gerade als ich mich bücke, um ihr zu helfen, streicht sie sich fahrig über die Wangen. Ihre Hand greift nach einem Kajalstift und einem Feuerzeug und ich sehe die Feuchtigkeit auf ihrem Handrücken blitzen.

Verdammt, sie weint doch nicht etwa?

Ich will schnell ins Auto zurückkehren, den dumpfen Motor aufbrummen lassen und wegfahren. Aber ich greife nach ihrer Zigarettenschachtel, die vor meinen Füßen liegt und reiche sie ihr. Dabei versuche ich ihr ins Gesicht zu schauen, um meine Befürchtung bestätigt zu sehen. Ist sie vielleicht doch nicht so kalt? Ist das auch bei ihr alles nur Fassade?

Sie dreht den Kopf weg und steht auf. Sie schwankt leicht und schließt die Augen, was einen Sturzbach über ihre Wangen treibt.

„Hey komm, weine doch nicht“, raune ich leise und mache einen Schritt auf sie zu. Sie sieht auf und ich kann nicht anders. Ich ziehe sie in meine Arme und halte sie nur fest.

Ihre Finger krallen sich in mein T-Shirt und sie schluchzt ungehalten auf.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Kopf sagt mir, dass ich gehen sollte. Und zwar schnell. Aber etwas in meinem Bauch will sie einfach nur für immer so festhalten. Doch mir ist klar, dass das nicht in unsere Welt passt. Nicht in ihre Männerfreie und nicht in mein Beziehungsfreie. Wir sind mittlerweile zwei Gestrandete auf einer Insel der Unmöglichkeiten.

„Geht’s wieder?“, frage ich leise und schiebe sie von mir weg.

Sie nickt und lässt ihre Hände sinken.

Uns wird gerade beiden klar, dass es auf dieser Insel keine Möglichkeit gibt zusammenzufinden. Aber es fällt mir trotzdem schwer, sie sich selbst zu überlassen und ich streiche eine Träne von ihrer Wange.

Sie sieht auf und macht einen energischen Schritt zurück, das Unmögliche auf dieser Insel mir damit klar vor Augen führend.

Ich hebe die Hände, um ihr zu signalisieren, dass ich auch nicht vorhabe, weiter zu gehen.

„Danke fürs Fahren“, sagt sie und dreht sich schnell zur Tür um.

„Das ist selbstverständlich unter Freunden“, sage ich unmissverständlich und fange ihren Blick auf.

„Ich bin auch froh, dass ich euch habe“, sagt sie leise.

„Ach ja?“ Das kann ich ihr kaum glauben.

„Ja, Ellen, Daniel und du … ihr seid Gold wert“, sagt sie etwas lauter, geht zur Tür und schließt auf. „Tschüss und danke.“ Sie sieht mich nicht mehr an und ich eile in mein Auto. Es gleicht einer Flucht. Schnell werfe ich den Motor an und setze vom Hof, während sie im Haus verschwindet. Ich muss schnell wegfahren, sonst kann ich es nicht mehr. Es fällt mir so schon unglaublich schwer.

Die ganze Autofahrt hindurch versuche ich herauszufinden, was mit mir los ist. Vielleicht machen die Drogen mich langsam völlig konfus oder ist es, weil mein Leben immer nur so unglaublich beschissen läuft? Kann es nicht einmal etwas besser werden?

Erneut kriecht diese kalte Wut in mir hoch, die mich seit einigen Tagen wieder so fest umklammert hält.

Ich fahre wieder zu Ellen und Daniel. Nach Hause will ich nicht. Wenn ich Pech habe, sind unsere Eltern schon da. Ich habe keine Lust, denen mit dieser Wut im Bauch zu begegnen. Das kann schnell böse enden.

Daniel macht mir die Tür auf und raunt: „Und, abgeliefert? Dauerte lange!“

„Ich habe sie nach Hause gebracht.“

„Das habe ich mir schon gedacht und ist auch gut so. Die war echt noch ziemlich fertig“, sagt Daniel und klingt mir viel zu mitfühlend.

Wir gehen zur Küche.

„Dann soll sie nicht so viel saufen. Ich weiß sowieso nicht, was das soll. Dass die sich nicht ein bisschen zusammenreißen kann. Die ist erst siebzehn und führt sich auf, als wäre sie schon fünfundzwanzig.“

Ellen erscheint hinter mir in der Küchentür. „Ach so! Willst du uns erzählen, dass sie sich so bescheuert aufführt wie du? Das ist doch wohl weit gefehlt.“ Sie klingt wütend. „Sie hat gerade alles verloren, was ihr mal wichtig war und ihr Leben ist auch kein Zuckerschlecken. Und dann muss sie sich auch noch mit solchen Typen wie dir herumschlagen, die ständig über ihren Schwanz stolpern und ansonsten gar nicht wissen, was sie mit dem Rest anfangen sollen. Ich kann vollkommen verstehen, dass sie von niemandem mehr etwas wissen will.“

Daniel sieht mich besorgt an und ich weiß warum. Das Ellen mich so zusammenfaltet, lässt meine Wut weiter aufkochen.

„Was habe ich mit ihrem Scheiß zu tun? Und was ich mit meinem Schwanz mache, kann dir scheißegal sein. Ich brauche sie nicht. Ich finde immer willige.“

Ellen scheinen meine Worte noch mehr aufzuregen. „Ach wirklich? Nah super. Herzlichen Glückwunsch. Bis zum ersten Kind oder zur ersten Geschlechtskrankheit. Wahrscheinlich bist du auch noch so hirnlos und vögelst alles ohne Kondom.“

Was will sie von mir? Spinnt die?

Und in meinen Kopf schiebt sich die Erinnerung an gestern mit dieser Sandra am Bulli vor dem Hyde Park hoch, und ich hatte das Kondom vergessen. Scheiße!

Dass ich so dumm und kopflos war, macht mich noch wütender und dass Ellen recht hat.

„Ach, halt doch die Klappe!“, fauche ich sie an.

Daniel versucht uns zu beruhigen. „Hey Leute, bleibt mal locker. Kommt, wir trinken ein Bier und kommen mal wieder runter.“

Aber ich bin viel zu wütend und dass er selbst heute so um Carolin herumgeschlichen war und den Hilfsbereiten mimte, lässt ihn in diesem Augenblick in meinen Augen zum Feind werden.

„Bleib du mal locker und halt dich mal bei Carolin etwas zurück!“, donnere ich.

Ellen und Daniel erstarren. Aber es ist Ellen, die mich mit schneidender Stimme anfährt: „Der hat ihr nur geholfen und er ist dazu fähig, ohne mit dem Schwanz zu denken.“

Ich weiß, Ellen hat recht. Aber mir das jetzt reinzudrücken ist unklug.

„Ach ja, Daniel der Übermensch! Seit er an deinem Rockzipfel hängt, wird er weich und unerträglich. Vielleicht wäre es besser, er würde sich mal wieder daran erinnern, was wichtig im Leben ist“, zische ich herablassend.

Daniel sieht mich bloß sprachlos an.

Ellen knurrt: „Als wenn du weißt, was wichtig im Leben ist. Du bist echt der dümmste Kerl auf diesem Planeten. Weißt du, was dein großes Problem ist? Deine Unfähigkeit! Glaub nicht, dass wir nicht wissen, dass du dich in Carolin verschossen hast. Du hast in den letzten Wochen allen möglichen Scheiß gemacht, um in ihrer Nähe zu sein. Aber jetzt, wo sie frei ist, ziehst du ängstlich den Schwanz ein und willst uns erzählen, dass du der harte Kerl bist, der weiß, was wichtig im Leben ist. Du bist doch nur ein hirnloser Versager!“, brüllt sie mich aufgebracht an.

Ich schnappe nach Luft und balle meine Fäuste, die zuschlagen wollen.

Daniel legt seine Hand beruhigend auf meinen Arm und raunt: „Erik, du hast alles drangesetzt, damit sie ihren Kerl verlässt. Jetzt hast du es geschafft und kneifst. Was ist bloß mit dir los?“

Ich will das alles nicht hören und es ist ja auch gar nicht wahr.

„Ich wollte nicht, dass sie ihren Macker verlässt“, raune ich aufgebracht.

„Ach nein? Und was glaubst du was passiert, wenn sie denkt, er hat eine andere? Was meinst du? Diese ganze Nummer mit den SMSen und dem Bild. Es war doch klar, dass das nach hinten losgehen kann“, faucht Daniel und ist mittlerweile auch wütend.

Ich weiß, wenn ich jetzt nicht klein beigebe, wird er Ellen stecken, dass ich das mit der Sabrina auf Marcels Handy war. Das will ich auf keinen Fall. Das würde Carolin mir nie verzeihen.

„Ach, lasst mich doch in Ruhe“, knurre ich und an Daniel gewandt zische ich: „Pass auf, was du sagst.“

Damit schieße ich an den beiden vorbei und gehe. Ich höre Ellen noch fragen: „Was ist mit SMSen und einem Bild?“

„Nichts!“, knurrt Daniel nur, als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse.

Aber meiner Wut ist Enttäuschung gewichen. Ellen, die ich gerade erst in einer ertragbaren Weise als meine Schwester toleriert hatte, und mein bester Freund, haben sich heute gegen mich verschworen. Das trifft mich schwer. Und noch viel schwerer trifft mich, dass sie mit jedem Wort recht haben. Warum hatte ich den kleinen Falter die letzten Wochen ständig belagert und tyrannisiert? Um jetzt einfach klein beizugeben, weil sie wegen ihrem Typ verletzt ist und alle Männer zum Teufel schicken will? Oder zumindest die, die ihr etwas bedeuten?

Dieser Gedanke trifft mich wie ein Messerstich ins Herz und ich frage mich, warum ich das nicht früher geschnallt habe. Sie hatte es doch klar gesagt. Sie kommt mit dem ganzen Gefühlschaos nicht mehr klar.

Ich lenke den Mustang durch die Straßen zur Autobahnauffahrt und presche die Fahrbahn hoch. Sofort fädele ich mich auf der linken Spur ein und gebe Gas. Ich muss mich irgendwie abreagieren und irgendwie diesem neuen Gedanken einen Raum schaffen. Ich sehe ihren traurigen Blick vor mir, als sie in Daniels Badezimmer verschwand, höre ihre weinerliche Stimme und sehe ihre Tränen, als sie ihre Sachen vor meinem Auto zusammenklaubte. Und ich habe wieder dieses erschreckende Gefühl, wieder bei ihr sein zu wollen. Ich wollte noch nie bei jemandem sein. Zumindest nicht auf diese Art und ständig.

„Verflucht!“, brumme ich und schlage mit meiner immer noch ziemlich schlimm aussehenden Hand auf das Lenkrad. Die Schnitte durch den Spiegel, den ich im Drogendelirium zertrümmerte, sind immer noch nicht besser und es durchfährt mich ein Schmerz, wie eine Warnung. Ich brauchte Carolin schon einmal, um gerettet zu werden. Warum habe ich nie geschnallt, dass sie vielleicht viel mehr kann, als mich aus meinen Tiefs zu holen?

In mir vibriert alles und ich bekomme schlecht Luft. Bei dem nächsten Parkplatz steche ich heraus und halte hinter einem LKW an, der noch darauf zu warten scheint, endlich losfahren zu dürfen. Es ist noch nicht zweiundzwanzig Uhr, aber er steht schon in den Startlöchern und wartet darauf, dass die Wochenendfahrsperre für LKWs aufgehoben wird.

Ich ziehe meine Zigarettenschachtel heraus und stecke mir eine Zigarette an. Meine Hand zittert. Den Kopf an die Kopfstütze lehnend, schließe ich die Augen und atme tief den Zigarettenrauch ein.

Aber Carolin wird irgendwann erfahren, dass ich das bei Marcel war. Und sie wird mich hassen. Ich habe meine Chance bei ihr damit sowieso verspielt. Unwiderruflich.

Verdammt, verdammt, verdammt.

Seltsam davon niedergedrückt fahre ich nach Hause. Meine Eltern sind nicht da und ich bin darüber unendlich froh. Scheinbar kommen sie erst Morgen.

Ich gehe sofort in meine Wohnung und weiß, ich brauche etwas zur Beruhigung und um das aufrührende Gefühl loszuwerden, dass mich ergriffen hat. Und ich finde unter meinem Sofa in einer kleinen Tasche das, was mir kurze Zeit später alles erträglich macht.

Am nächsten Morgen treffe ich Daniel in der Uni. Er gibt sich kühl und reserviert und ich bin auch nicht gerade gut aufgelegt. Langsam wirken die Drogen nicht mehr vernünftig oder das Zeug war scheiße. Deshalb habe ich eine beschissene Nacht hinter mir.

Wir gehen zwar zusammen hinein, aber reden kaum miteinander. Erst mittags taut er ein wenig auf, was ich erleichtert registriere. Es behagt mir nicht, wenn er sauer auf mich ist. So versuche ich seine Laune etwas mehr aufzubessern, indem ich ihm vorschlage, am Abend noch einmal bei Walter vorbeizufahren.

„Wir sollten auf dem Laufenden bleiben, was die Sache mit den Hamburgern und Berlinern angeht. Nicht, dass wir noch das wirklich Wichtige im Leben aus den Augen verlieren“, erkläre ich und erinnere mich daran, dass wir den Satz gestern schon in Gebrauch hatten.

Ich habe für mich beschlossen, wieder der alte Erik zu werden, der seine Prioritäten ganz sicher nicht zwischen den Beinen eines Mädchens sucht. Ich will mich mit ganzer Kraft allem widmen, bloß nicht mehr dem weiblichen Geschlecht. Sie werden wieder das werden, was sie waren. Nichts weiter als Materie zum Abreagieren.

Daniel sieht mich unbeeindruckt an.

Ich schlage mit der geballten Faust freundschaftlich an seinen Arm und sage: „Ey Alter, komm! Die Weiber können es nicht sein.“

Scheinbar treffe ich da auf einen wunden Punkt.

„Ist dir schon mal, bei all der Scheiße, die aus deinem Mund quillt, der Gedanke gekommen, dass du wirklich von nichts eine Ahnung hast?“, knurrt er. Wütend geht er zu seinem Auto, steigt ein und fährt weg.

Fassungslos sehe ich ihm nach. Er hielt bisher immer zu mir. Egal wofür und wogegen.

Am Abend kann ich nicht anders. Ich fahre zu ihm und er lässt mich missmutig in seine Wohnung.

„Fahren wir zu Walter?“, frage ich und versuche so zu tun, als wäre mittags nichts gewesen.

Ellen erscheint hinter ihm und sieht mich wütend an. „Sag mal, kannst du auch noch etwas anderes, als Ärger machen?“, knurrt sie.

Ich werfe ihr einen bösen Blick zu und weiß gar nicht, was sie von mir will. Warum mischt sie sich überhaupt ein? Hat die auch etwas zu sagen? Wohl kaum.

Daniel raunt: „Ellen lass gut sein.“

Mir wird klar, als ich den Blick sehe, den sie ihm zuwirft, dass die beiden Stress miteinander haben. Das steigert meine Laune erheblich. Mir geht ihr Zusammengehörigkeitsding sowieso ziemlich auf die Nerven und es tut gut, dass Daniel auch wohl langsam schnallt, dass es Wichtigeres gibt.

Ellen faucht Daniel an: „Warum? Er macht alles kaputt! Wenn er sich zerstören will, dann soll er doch. Aber er soll dich mit seinen Spinnereien in Ruhe lassen. Der bringt euch beide noch mit seinem ganzen Scheiß in den Knast. Und dann? Was hast du dann? Nichts. Mal einen verblödeten Kumpel gehabt, der es echt nicht wert ist, dass du auch nur eine Minute mit ihm verschwendest.“ Sie ist so wütend, dass sie rot anläuft.

Ich weiß gar nicht, was plötzlich los ist. Dass Ellen sich hier so aufplustert finde ich ungeheuerlich.

„Ellen, lass es jetzt“, zischt Daniel und ich sehe einen Lichtblick am Horizont.

„Geht dir die Schnepfe auf den Geist?“, frage ich und schlage ihm freundschaftlich auf den Rücken. „Komm, wir fahren. Es gibt echt Wichtigeres als dieses Weibergefasel und Beziehungsgeplänkel. Das kann doch echt keiner ertragen.“

Daniels Blick wird dunkel und alle seine Gesichtsmuskeln spannen sich an, als er knurrt: „Lass mich heute bloß mit deinem Scheiß in Ruhe. Ihr seid doch beide völlig durchgeknallt!“

Ich starre ihn verunsichert an und Ellen wird noch röter. Aber sie wendet sich gegen mich. „Verdammt Erik, halt dich doch mal zurück! Es geht nicht immer nur um dich! Und bloß, weil du zu blöd bist, mit deinem Leben klarzukommen, nur mit Drogen deinen Alltag geschissen bekommst und deinen Schwanz in alles schiebst, was hirnlos Ja sagt, heißt das noch lange nicht, dass du mein und Daniels Leben kaputt machen darfst. Er ist nicht wie du!“ Und dann wendet sie sich an Daniel und raunt: „Du musst diesem Penner nicht immer hinterherkriechen. Keiner hat dich dazu verpflichtet, ihm immer wieder die Hand vor den Arsch zu halten.“

Das ist zu viel für mich. Ich sehe rot und packe zu. Meine Hand legt sich wie ein Schraubstock um ihr Handgelenk und ich reiße sie von Daniel weg.

Der ist mit einem Schritt bei mir und packt mich am Kragen. „Lass Ellen los. Sie hat doch recht!“, brüllt er mich an.

Erschrocken darüber gebe ich Ellens Handgelenk frei. Sie reibt es sich mit schmerzverzerrtem Gesicht und Tränen in den Augen und Daniel lässt mich los und zieht sie an sich.

Fassungslos sehe ich von einem zum anderen. Wie können die sich so gegen mich stellen? Wie kann Daniel das tun?

Ich will ein für alle Male einen Keil zwischen die beiden treiben und zische: „Du bist so ein Arsch! Ellen kennt dich nur nicht! Wenn sie wüsste, wie du um Carolin herumschleichst und was du getan hast, damit sie ihren Typ verlässt.“ Ich weiß, ich pokere hoch und rechne damit, dass Ellen mir glaubt. Auch wenn es nur um ein popliges Bild aus dem Internet geht, um das ich ihn bat. Aber sie hatte doch selbst gesehen, was er am Wochenende alles für Carolin getan hat und das muss ihr doch jetzt alles klar vor Augen führen.

„Du bist hier der Arsch“, murrt Daniel aufgebracht. „Und es war allein deine Idee … mit dieser Sabrina.“

Ich habe keine Chance, ihm wegen seinem unbedachten Ausspruch eine reinzuhauen. Ellen springt zwischen uns und haut ihre Fäuste auf meine Brust. „Raus!“, schreit sie hysterisch. „Du bist echt das Letzte! Verschwinde!“

Ich sehe Daniel an, aber sein Blick sagt mir, dass ich von ihm nichts mehr zu erwarten habe. Er legt seine Hände auf Ellens Schulter und zieht sie zurück, um sich vor ihr aufbauen zu können. Mir wird klar, dass er sie beschützt und zu ihr hält.

Wutentbrannt stürme ich an ihnen vorbei aus der Wohnung, werfe mich in mein Auto und fahre vom Hof. Nach Hause kann ich nicht. Heute sind unsere Eltern wieder da und ich will denen so nicht begegnen. Deshalb fahre ich zu Sam. Er hat in seiner Wohnung eine riesige Muckibude, an der ich mich auspowern muss, sonst gibt es heute noch Tote.

Es geht schon auf Mitternacht zu, als Sam sich in der Tür aufbaut.

„Erik? Meinst du nicht, es ist genug?“

Es ist genug. Ich bin völlig am Ende. Drei Stunden war ich jetzt von einem Gerät zum Nächsten gegangen und hatte mich fast bis zum Umfallen ausgepowert.

„Hier, trink mal was.“ Sam hält mir eine Wasserflasche hin, die ich auch gleich zur Hälfte leere.

„Gibt es einen Grund für dein selbstzerstörerisches Auspowerprogramm?“ Er klingt tatsächlich etwas beunruhigt, zumal er weiß, dass ich selbst zu Hause über eigene Trainingsgeräte verfüge.

Aber Sam ist nicht der richtige Gesprächspartner für meine Probleme. Für ihn gibt es nur die Familie. Freundschaften existieren für ihn nicht und Mädels sind zum Poppen und Geldanschaffen da. Etwas anderes hatte er nie gelernt. Oder zumindest hatte er es noch nie gezeigt, wenn ihm eine wirklich mal wichtig war. Denn es gibt wohl kaum eine, die seine Zuneigung erwidern würde.

„Schon okay. Ich musste mich bloß mal wieder richtig abreagieren“, murmele ich zurückhaltend.

Obwohl ich vor Schweiß triefe, kann ich mich nur mit einem Handtuch abtrocknen und nach Hause fahren, um zu Duschen.

„Danke, dass ich mich hier austoben durfte. Jetzt fahre ich nach Hause und kann dort etwas ruhiger meinen Alten unter die Augen treten. Sie sind wieder da.“

Sam nickt nur und denkt bestimmt, sie sind der Grund für diese Aktion hier.

„Das Handtuch bringe ich dir wieder mit“, sage ich noch und wickele es mir um meinen Nacken.

„Passt schon“, raunt Sam und geht mit mir noch zum Auto. „Wenn du ein Problem hast, Kleiner, wir sind immer für dich da“, sagt er noch, während ich mich hinter das Lenkrad fallen lasse.

„Danke, ich weiß das“, raune ich und überlege, ob ich schon einen so erbärmlichen Eindruck mache, dass selbst Sam sich zu so etwas wie einer Gefühlsregung herablässt.

Ich fahre nach Hause. In meinem Kopf ist alles leer. Ich hatte drei Stunden lang die Gedanken pariert, die auf mich eingedroschen waren. Angefangen von Daniel und Ellen, die mich die letzten zwei Tage so zur Sau gemacht haben, dass ich fast versucht bin, ihnen das eine oder andere zu glauben, bis hin zu Carolin, die ihre männerfreie Zone errichtete, um wahrscheinlich in zwei Monaten Tim um den Hals zu fallen, wenn er von seiner Tour zurück ist.

Und es ist diese schleichende Sehnsucht, die sich in ruhigen Momenten immer wieder an mich heranpirscht und mir Ellens und Daniels Worte auf meiner Seele brennen lässt. Sie und ihre Beziehung zueinander.

Ich hatte heute ernsthaft versucht, Daniel vor ihr schlecht zu machen. Diese billige Aktion zeigt mir zu genau, wie tief ich schon gesunken bin und Daniels Rache war begründet. Er hatte mich gewarnt, dass ich es bereuen werde, sollte ich ihn und Ellen jemals versuchen auseinanderzubringen. Nun weiß Ellen, dass ich Sabrina war und dass Marcel nichts verbrochen hat. Sie wird das Carolin stecken und das wars.

Ich kann nicht umhin, mir klar zu machen, dass es völlig verständlich ist, dass alle sich von mir abwenden, wenn ich ihnen gegenüber so zum Schwein werde. Das wird sogar mir in solch lichten Momenten wie diesem klar.

Mein Vater kommt mir im Flur der Villa entgegen. „Erik, schön das wenigstens einer von euch hier heute mal vorbeischaut. Das Haus steht noch, sehe ich.“

„Was habt ihr denn gedacht“, brumme ich nur und gehe die Treppe hoch. Mein Vater wird mir nicht folgen. Da oben ist unser Reich und er würde sich niemals dazu herablassen, das zu betreten.

Ich will nur noch Duschen und diesen scheiß Tag abhaken.

Am nächsten Morgen treffe ich Daniel vor der Uni. Er sieht mir schon entgegen, eine Zigarette in der Hand und ich atme tief durch. Als ich auf seiner Höhe bin, ist sein Blick immer noch nachdenklich auf mein Gesicht gerichtet. Ich weiß, dass Daniel sich fragt, was in meinem kranken Hirn abgeht, dass ich die letzten zwei Tage so quergeschossen habe.

Ich bleibe vor ihm stehen und sehe mich um. Da niemand von unseren Leuten in der Nähe ist, nehme ich auch eine Zigarette, zünde sie an und raune: „Wegen gestern … tut mir leid.“

„Das sollte es auch. Das war echt eine scheiß Aktion!“

Ich nicke nur.

„Erik, erklär mir was los ist? Du drehst in letzter Zeit nur noch über. Wir wissen gar nicht, was wir noch mit dir machen sollen! Erst tyrannisierst du Ellens Freundin, dann sperrst du dich tagelang ein und bringst dich fast ins Grab und jetzt das. Ellen war gestern total fertig, weil du dich wieder so verändert hast. Ich sage dir …“, knurrt er ernst und mit durchdringendem Blick, „… du warst echt einige Zeit gut zu ertragen und wir dachten wirklich, dass du und Carolin …“

„Es gibt kein ich und Carolin. Du hast Ellen gestern gesagt, dass ich daran schuld bin, dass sie mit Marcel Schluss gemacht hat. Was meinst du wohl?“, brumme ich aufgebracht.

Daniel sieht zu Boden. „Ich war sauer, weil du Ellen versucht hast einzureden, dass ich auf Carolin stehe.“ Sein Blick wandert wieder in mein Gesicht. „Du bist völlig abgedreht deswegen. Dabei dachte ich, dir ist Carolin scheißegal!“

Ich schlucke. Drei Stunden Muckibude hatten mir einige Weisheiten beschert und eine ist, dass Carolin mir nicht egal ist. Wenn sie doch bloß diese männerfreie Scheiße nicht durchziehen wollte, bis dieser Tim wieder da ist. Zwei Monate hatte sie gesagt. Das ist genau die Zeitspanne, bis er hier wieder aufläuft. Und jetzt wird sie auch noch erfahren, dass ich Sabrina bin. Es ist gelaufen. Sie wird mich hassen.

Wo das jetzt so klar ist, packt mich die Verzweiflung darüber. Sie wirklich für immer verloren zu haben, rührt mir meine Innereien um, wie in einem Zementmischer, was mich völlig fassungslos macht. Warum können meine Gedanken nicht einmal präzise eine Richtung nehmen, damit ich weiß, was in mir vor sich geht? Machen mich die Drogen schon so kaputt oder was ist los? Ich kenne mich nicht mehr aus.

„Lassen wir das. Die Sache ist durch. Ich habe die letzten Tage viel Mist gemacht und ich wäre froh, wenn wir das vergessen können“, raune ich resigniert und Daniels Blick verliert seinen mürrischen Ausdruck. Aber er sagt nichts. Sein Nicken beruhigt mich allerdings ein wenig. Wenn er sich auch noch gegen mich gewandt hätte … Aber Daniel wäre nicht Daniel, wenn er mich so schnell fallen lassen würde.

Als wir uns auf den Weg in die Schulungsräume machen, brummt er aber leise: „Versuche niemals wieder, mich und Ellen auseinanderzubringen. Dann ist echt der Teufel los! Das verspreche ich dir!“

Seine Worte gehen mir an die Nieren. Sie zeigen, wie wichtig ihm Ellen ist und dass er sich eventuell gegen mich entscheiden würde.

Ich nicke nur. Ich werde damit leben müssen, dass ich auch bei ihm nur noch zweite Wahl bin, wie überall.

Am Nachmittag fahre ich zu Sam. Er hatte mich angerufen und ich soll mit ihm für Walters Bar einige neue Hocker holen. Als wir in dem kleinen Transporter zu dem Möbelgeschäft fahren, wo Walter die Hocker bestellt hat, fragt Sam mich erneut, ob ich Probleme habe.

Mir ist klar, er hätte Walters Bestellung auch allein abholen können, aber er will einfach wissen, ob ich etwas bereden möchte. Da das überhaupt nicht seine Art ist, bin ich mir gar nicht sicher, ob er mich nicht auch nur aushorchen will. Vielleicht glaubt er, dass ich die Drogen an ihnen vorbei verticke und nun mit einem schlechten Gewissen kämpfe.

Aber er ist immer noch nicht der Gesprächspartner, der mich auch nur im Entferntesten verstehen kann. Das kann keiner aus diesem Milieu.

So holen wir nur die Hocker und ich bin froh, als ich wieder gehen kann.

Ich fahre bei Daniel vorbei und habe mir vorgenommen, mit Ellen zu sprechen - sollte sie mich zu Wort kommen lassen. Vielleicht hat sie Carolin noch nichts gesagt.

Eine winzige Hoffnung beschleicht mich und ich wäre bereit, mich dafür sogar zu etwas hinreißen zu lassen, was ich eigentlich kaum über mich bringe und doch in den letzten Wochen tatsächlich schon mehrmals gemacht habe – nämlich mich bei jemandem wie Ellen entschuldigen.

Aber bei Daniel ist niemand zu Hause und es geht auch niemand ans Handy. So setze ich mich in meinen Mustang und fahre nur ziellos durch die Gegend.

Ein seltsames Gefühl beschleicht mich immer mehr. Das Gefühl eines nicht leicht wegzusteckenden Verlustes. Carolin fehlt mir. Ich hatte eine Aufgabe, als ich mich in ihr Leben stahl und über sie wachte. Jedes Gespräch, jede SMS, jede gemeinsam verbrachte Minute hatte irgendwie mein Leben bereichert.

Mein Handy klingelt und ich gehe ran.

„Magst du vorbeikommen? Ich habe was zum Probieren“, sagt Daniel und klingt wieder etwas besser gelaunt. Er verzeiht mir wenigstens meine durchgeknallten Aktionen der letzten Tage.

„In fünfzehn Minuten“, raune ich und steuere die nächste Abfahrt an, um wieder zurück nach Osnabrück zu fahren.

Es ist kurz vor sechs, als Daniel mir die Tür seiner Wohnung öffnet. Ich hatte etwas darauf gehofft, dass Ellen auch da ist und dass ich so erfahre, ob sie mich bei Carolin schon an den Pranger gestellt hat. Aber sie ist nicht da und ich mag nicht nach ihr fragen.

Daniel wirft sich grinsend auf einen seiner Küchenstühle und legt eine kleine Tüte auf den Tisch.

Ich sehe ihn verwirrt an. Er nimmt eigentlich nur ausgesprochen ungern in der Woche Drogen. Aber heute scheint ein Ausnahmefall zu sein.

„Das Zeug habe ich von Teddy. Es soll besonders gut sein“, sagt er und ich frage mich, wie er dazu kommt, extra zu Teddy zu fahren, um Speed zu holen. Er ist mit dem, was er bei unseren Deals bekommt, schon sehr geizig. Dass er losfährt und etwas für sich holt, ist nicht seine Art.

Mit seiner Kreditkarte schiebt er wenig später das weiße Pulver in zwei Teile und jeden Haufen in zwei Linien.

„Eine für dich und eine für mich“, raunt er und zieht sich erst die eine Hälfte in ein Nasenloch und schnell die zweite in das andere. Er lässt sich auf dem Stuhl nach hinten fallen und hält sich die Nase zu, die Augen schließend.

Ich höre auf zu grübeln und zu analysieren und lasse mich nicht lange bitten.

Zwei Stunden später sitzen wir immer noch auf seinem Sofa und faxen herum. Es ist wie in alten Zeiten und Daniel frischt schon seit einer Stunde alte Geschichten auf. Mir ist eher nach traurig vor mich hin sinnieren. Aber er lässt mich nicht.

Irgendwann klingelt sein Handy, und er sagt nur: „Okay, alles klar.“

Er wendet sich grinsend mir zu: „Komm Alter, wir beide gehen einen trinken.“

Ich will nicht, möchte ihm aber nichts ausschlagen. Er ist so bemüht, mich mit guter Laune zu überschütten, dass ich ihm seine nicht vermiesen möchte.

Wir gehen in die Innenstadt und Daniel scheint ein bestimmtes Lokal anzustreben, denn an unserer Kneipe gehen wir vorbei.

Mein Handy meldet sich und zeigt eine SMS an. Ich erstarre. Sie ist von Carolin.

Ich lese sie, während mein Herz zu einem Klumpen zu werden droht. „Hallo Erik, oder nennst du dich jetzt lieber Sabrina? Ich glaube, ich habe ein echt großes Problem mit dir. Lass Ellen und Daniel doch wenigstens zusammen sein. Bloß weil du keine Beziehung eingehen kannst, heißt das nicht, dass auch andere keine haben dürfen, oder?“

Ich bleibe verdattert stehen.

Daniel sieht mich beunruhigt an. „Was ist?“, fragt er.

„Nichts!“, murmele ich nur und versuche in meinem Kopf ihre Worte richtig zu verstehen. Sie weiß also Bescheid. Aber sie beschimpft mich nicht und sie hat ein Problem mit mir. Wieder etwas, was sie sich von mir angeeignet hat. Ich hatte diese Problemnummer immer vorgeschoben, um mich weiter mit ihr auseinandersetzen zu können. Dazu diese Bitte, wenigstens Daniels und Ellens Beziehung nicht auch noch zu zerstören. Ist das alles an Vorwürfe, die sie mir machen will?

Ich beschließe ihr zurückzuschreiben, wenn ich gleich mit meinem Bier irgendwo sitze und in Ruhe schreiben kann. So sehe ich mich nicht in der Lage dazu.

Ich werde von Daniel in eine Seitenstraße gezogen, die zum Sonnendeck führt. Ich war früher schon mal Stammgast in der Scene-Bar, in der viele Studenten und Schüler sich ein Stelldichein geben.

Daniel hält mir die Tür auf und ich sehe ihn verunsichert an. Was will er hier?

Keine zwei Minuten später weiß ich es, als ich Ellen an der Theke mit einigen alten Schulfreunden sprechen sehe.

„Erik, dass es dich noch gibt! Ich dachte, die lassen dich gar nicht wieder raus“, ruft Rene, den ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen habe. Ich dachte, er studiert in Hannover.

Langsam dreht sich der Hocker neben Ellen in meine Richtung und ich sehe in Carolins verdatterte Augen. Ich bin nicht weniger überrascht sie zu sehen und nur meine Drogen lassen mich cool bleiben.

Ich stelle mich zu der kleinen Gruppe von alten Mitschülern, die vorher noch mit Ellen gesprochen hatten. Meine Schwester sieht mich nur durchdringend an, als wolle sie mir direkt in mein Gehirn sehen.

Der Barkeeper nimmt mit mürrischer Miene Carolins Hand in seine, mit dem sie das Glas hält und putzt unter ihrem Glas die Theke sauber. Was war passiert?

Sie wirft mir einen schnellen Blick zu und ich sehe sie nur fragend an. Ist sie wütend auf mich? Ich kann es ihrem Blick nicht entnehmen.

Aber sie dreht sich wieder zur Theke um und starrt in ihr Glas.

Daniel und Ellen begrüßen sich, als hätten sie sich tagelang nicht gesehen. Das lässt die anderen stutzig werden. Einige wissen vielleicht noch, dass Ellen damals mit Alex zusammen gewesen war. Ihren Neuen kennt keiner von ihnen.

Carolin wirft Ellen einen bösen Blick zu, der mir nicht entgeht. Mir schiebt sich ein Gedanke in den Kopf, der sie auch wohl gerade überkommt. Haben Daniel und Ellen das Ganze hier arrangiert?

Ich sehe Daniel fragend ins Gesicht und er zwinkert mir zu. Damit habe ich die Gewissheit.

Eigentlich sollte ich jetzt wütend auf ihn sein. Aber ich bin es nicht.

Ich schiebe mich an Rene und David vorbei, die mich verunsichert mustern, und beuge mich zu Carolin hinüber, die hinter ihnen sitzt. Mir ist klar, dass dies hier eine Chance für mich ist, Carolins Gemütszustand auszuloten und mich bei ihr wieder ins Spiel zu bringen. Dass sie mich in der SMS nicht böse zusammenstauchte und Daniel und Ellen dieses Treffen guten Gewissens zulassen, lässt mich hoffen, dass unser Spiel noch nicht vorbei ist.

Ich nehme das Glas von Carolin in die Hand und rieche daran. „So, das geht also wieder? Nicht zu fassen!“, spiele ich den Aufgebrachten und füge leise hinzu, auf ihre SMS anspielend: „Nenn mich weiter Erik.“

Sie sieht mich an und schüttelt ungläubig den Kopf.

Ich weiß nicht, wie sie damit umgehen wird, dass ich dazu stehe, dass ich Marcel das mit der Sabrina reindrückte. Aber sie stand schon immer auf meine ehrliche Art und das Speed macht mich draufgängerisch.

Rene zieht mich wieder in ihren Kreis und legt seinen Arm freundschaftlich um meine Schulter. Dabei macht er einen angedeuteten Faustschlag in meinen Bauch. „Hey, Alter! Komm, erzähl mal! Was ist damals passiert? Wir haben uns völlig aus den Augen verloren.“ Scheinbar freut er sich darüber, mich wiederzusehen. Wir waren früher mal so was wie Freunde.

Er und David ziehen mich an einen der Tische und wir setzen uns.

Daniel kommt zu uns und stellt mir ein Bierglas vor die Nase. Dann kehrt er zu Ellen zurück.

In weiser Voraussicht hatte ich mich so hingesetzt, dass ich die Theke im Auge behalten kann und sehe, wie Carolin mich mustert, als hätte sie mich noch nie gesehen.

Erneut versuche ich Wut in diesem Blick auszumachen. Aber da ist nichts. Das verwirrt mich völlig. Da können die Drogen nicht mal etwas gegen ausrichten.

Langsam dreht sie sich wieder zur Theke und nippt an ihrem Glas.

Ich stehe weiter Rene und David Rede und Antwort. Ich war damals mit ihnen in der elften Klasse. Bei einer Schlägerei, die für den Typ, der mich blöd angemacht hatte, nicht gut ausging, wurde ich sofort eingeknastet. Da ich bis dahin schon einiges angestellt hatte, blieb ich bis zur Verhandlung in Untersuchungshaft und bekam für ein halbes Jahr Jugendarrest aufgebrummt. Danach musste ich auf eine andere Schule wechseln, weil ich in der Eliteschule kein gern gesehener Schüler mehr war. Rene und David hatten davon zwar gehört, bekamen aber nun die Gewissheit.

Rene raunt nach meiner Erzählung aufgebracht: „Mensch Erik! Ich wollte das damals gar nicht glauben. Aber als du dann nicht mehr aufgetaucht bist, wussten wir, dass etwas an der Geschichte dran sein musste.“

David fügt hinzu: „Das war echt der Hammer! Wir waren vollkommen platt. Und unser Lehrer meinte damals, dass du nicht in die Klasse zurückkehren wirst.“

Ich nicke nur. Ja, das waren wilde Zeiten.

Mein Blick läuft zur Theke, aber Carolin ist weg. Ich sehe mich um, kann sie aber nirgends ausmachen. Dafür steuert Ellen meinen Tisch an und sagt seltsam freundlich: „Daniel und ich gehen ein wenig tanzen.“

Hä? Warum erzählt sie mir das? Ich sehe ihr hinterher. Ellen ist echt komisch. Aber zumindest tobt sie nicht wieder herum und schnauzt mich an.

Rene und David sehen ihr hinterher. „Die Kleine hat sich ganz schön gemacht“, meint David schmunzelnd. „Und dass ihr jetzt miteinander loszieht … Damals wart ihr wie Hund und Katz.“

Carolin kommt wieder und sieht sich an der Theke um, als suche sie etwas.

Ich atme erleichtert auf. Fast hatte ich schon gedacht, sie wäre gegangen. Rene erzählt gerade von seinem Studium, und das er eine Verlobte hat, die er nächstes Frühjahr heiraten wird, als Carolin plötzlich auf uns zusteuert.

Mir stockt der Atem. Ist es jetzt soweit? Will sie mich jetzt zur Rede stellen?

Aber sie bückt sich nur und greift direkt neben meinem Bein nach etwas. Mit ihrer Tasche geht sie wieder, ohne ein Wort oder einen weiteren Blick.

Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ihre Tasche in meiner Obhut war. Die muss Ellen dort platziert haben.

Ich starre ihr hinterher, was Rene und David grinsen lässt. Sie winkt Daniel und Ellen auf der Tanzfläche kurz zu und geht zur Tür.

Rene lacht: „Was war das denn? Deine persönliche göttliche Erscheinung?“

Ich schiebe mich, ohne zu antworten, aus der Bank und gehe auch zur Tür. Ich sehe noch Daniel und Ellen, die mir beunruhigt hinterhersehen. Aber mir ist das egal. Ich fühle mich wieder wie von einem Magnet angezogen und reiße die Tür auf.

Carolin steht, sich unschlüssig umsehend, auf dem Fußgängerweg und hat sich wohl gerade entschlossen, welchen Weg sie einschlagen will - und es ist definitiv der Falsche.

„Hey, gehst du schon?“, rufe ich ihr nach.

Sie dreht sich langsam zu mir um, als wäre das schwerstarbeit und nickt nur.

„Soll ich nicht besser mitgehen, damit du dich nicht verläufst?“, höre ich mich fragen und in mir vibriert etwas flattrig wie ein Kolibri.

„Ich gehe zum Bahnhof. Den Weg finde ich wohl allein“, murmelt sie und sieht sich um.

Mit ein paar Schritten bin ich bei ihr: „Aber nicht, wenn du dort langgehst.“ Ich nicke in die Richtung, in die sie sich gewandt hatte. „Du kennst dich immer noch keinen Deut hier aus, kleine Landpomeranze“, sage ich und höre wieder diesen Unterton, der mich bei ihr immer überfällt und so seltsam sanft klingt.

Und ihre Reaktion ist besser, als ich mir erhoffen konnte. „Dann zeig mir den Weg“, sagt sie und sieht mich herausfordernd an.

Es ist alles wieder da. Unsere Zusammengehörigkeit und meine Sehnsucht, sie zu berühren. Ich ziehe ihr die Tasche von der Schulter und lege stattdessen meinen Arm darum.

„Dein Zug fährt um zehn?“, frage ich und meine Stimme ist wie ein Rauschen im Wind. Wow, bei ihr werde ich zu einem sanften Südföhn.

Sie murmelt genauso leise: „Ja.“

Wir gehen den Bürgersteig entlang zur Fußgängerzone. In meinem Kopf baut sich die Frage auf, warum sie keinen Aufstand wegen meiner Sabrina macht. Ich kann nicht anders. Ich muss sie fragen.

„Bist du gar nicht wütend, weil ich deinem Marcel eins mit der Sabrina reingedrückt habe?“

Die Besorgnis, dass ihre Antwort nicht gut für mich ausfallen wird, lässt meinen Arm sich fester um ihre Schulter ziehen.

„Doch, aber es gibt Schlimmeres“, antwortet sie nur.

„Schlimmeres?“, raune ich unsicher. Was kann es Schlimmeres geben, als dass sie ihre große Liebe verloren hat? Den Fußballgott, der doch angeblich alles für sie war.

Sie nickt, sagt aber nichts weiter. Ich werde ungeduldig. „Was Schlimmeres?“, hake ich noch mal nach.

Ihre Antwort kommt wie ein schneidender Nordwind über ihre Lippen: „Ich finde es schlimmer, dass du Ellen und Daniel ihr Glück nicht gönnst. Dass du Ellen wieder wehtust. Dass du wieder so unausstehlich bist. Ich verstehe dich gar nicht mehr. Du hast mir so viel von dir erzählt. Du warst der, mit dem ich Marcel betrogen habe und der, der dafür gesorgt hat, dass wir uns getrennt haben. Und damit meine ich nicht nur die Sache mit deinen blöden SMSen an Marcel. Und plötzlich bist du nur noch fies zu mir. Hast du schiss, dass ich jetzt Ansprüche stelle?“

Ihre Antwort haut mich um.

Ich bleibe stehen, weil meine Beine nicht mehr gehorchen wollen und scheinbar mein Kopf alle Willenskraft in sich vereint, um ihre Worte erfassen zu können. Die scheiß Drogen scheinen mir Stolpersteine in den Weg zu legen und mich daran zu hindern, meinen Kopf vernünftig zu gebrauchen. Ich brauche einige Zeit, bis ich wechseln kann. Denn mit nichts von dem, was sie sagte, rechnete ich.

Du hast gesagt, ich soll dich in Ruhe lassen, und dass du mich nicht mehr sehen willst. Dass du zwei Monate ein männerfreies Leben führen willst, bis dieser Tim wieder da ist. Du wohnst in seiner Wohnung und bist natürlich gleich mit dem ins Bett gehüpft. Ich habe tatsächlich mein halbes Leben vor dir ausgebreitet, alles was ich denke und fühle, und du haust alles zusammen, bloß weil du Stress mit deinem Typ hast und hängst dich an Tim, mich völlig außen vor lassend“, antworte ich ihr aufgebracht.

Sie sieht mich nicht an, als sie murmelt: „Den Stress, den du verursacht hast. Wie bist du nur auf diese blöde Idee gekommen? Und Tim interessiert mich nicht. Wie kommst du darauf, dass ich auf den warten will?“

Ihre Worte kriechen nur langsam in mein Gehirn, verursachen dann aber einen Granateneinschlag.

„Nicht? Du willst nichts von Tim?“, frage ich völlig verdutzt.

Sie sieht mir so kerzengerade in die Augen und schüttelt den Kopf, dass ich es auch glauben muss. Tim ist ihr also völlig egal. Und Marcel?

„Hm, und das mit deinem Typen …“, beginne ich zu erklären. „Ich wollte sehen, ob er wirklich der Superheld ist, der es wert ist, dass du ihm dein ganzes Leben schenkst. Du hast dich nach seinen Arbeitszeiten gerichtet, ihm hinterhergeputzt, sein Fellvieh versorgt, den Garten gemacht und was weiß ich nicht noch alles. Du bist das ganze Wochenende zu Hause geblieben … für ihn, und bist mit ihm zum Fußballspiel gegangen. Alles für ihn!“ Die letzten Sätze kommen ziemlich aufgebracht über meine Lippen und ich bin selbst über die Gefühle, die dazu in meinem Inneren toben, überrascht.

Sie dreht sich einfach um und geht weiter.

Unsicher folge ich ihr und als ich auf ihre Höhe komme, sagt sie leise: „Ich habe ihn für dich zu Hause stehen gelassen, als du dich eingesperrt hast.“

Sieht sie das so?

„Nach vier Tagen bist du erst gekommen. Ich dachte, du lässt mich da verrecken!“, brause ich auf. Für mich war es unerklärlich, wie sie mich allen Ernstes nach unserem Dark Room Erlebnis einfach ignorieren konnte.

Jetzt bleibt sie stehen. „Erik, ich dachte doch, dass du mich nie mehr wiedersehen willst. Du hattest deinen One-Night-Stand und fertig. So warst du bisher mit solchen Situationen immer umgegangen und ich wusste nicht, dass du es auf einmal anders wolltest.“

Ihre Erklärung erschüttert mich, weil sie so offensichtlich ist. Was sollte sie auch anderes denken? Ich hatte es mein Leben lang so gehalten.

Ich nicke verstehend.

Carolin geht weiter.

Ich eile wieder an ihre Seite. „Doch, ich wollte dich wiedersehen. Das war auch für mich völlig neu. Ich hatte nicht einen Moment das Gefühl, dass ich dich nicht länger ertragen kann. Du glaubst gar nicht, wie mich das durcheinandergebracht hat. Aber du warst an diesem Abend unausstehlich zu mir, als ich dich nach Hause brachte und als ich dich den Sonntag mit ihm gesehen habe, wusste ich, dass ich so eine Zusammengehörigkeit auch mal erleben möchte.“

Mein Bekenntnis haut mich scheinbar mehr um als sie. Sie sieht mich nur an, unschlüssig und unsicher, ob sie mir das glauben soll. Leise raunt sie: „Du hast eine seltsame Art, das zu zeigen.“

Es muss der Tag der großen Bekenntnisse sein, denn ich antworte ihr: „Ich wollte das auch nicht zeigen. Ich wollte mich schützen. Vor dir und diesen Gefühlen. Und ich dachte, das ist der richtige Weg. Das klappt sonst auch, wenn ich mit etwas nicht klarkomme. Dann gehe ich in meine Wohnung und schließe die Tür, dröhne mich zu und warte, bis alle Probleme an Gewicht verloren haben und fertig. Aber diesmal merkte ich, dass ich da nicht mehr rauskomme, wenn du mich nicht rausholst. Das Gefühl, dich bei mir haben zu wollen, war viel zu stark. Du willst, dass Ellen und Daniel zusammen sein können? Von mir aus. Ich stehe ihnen nicht im Weg. Und auch dir und deinem Marcel nicht, wenn er alles ist, was du willst. Du weißt jetzt, dass es diese Sabrina nicht gibt.“

Es versetzt mir einen Stich in den Bauch, dass sie deshalb jetzt zu ihm zurückkehren wird. Deswegen ist sie nicht wütend. Es gibt keine Sabrina und somit keinen Grund, nicht wieder in seine Arme zurückzufallen. Sie muss ihm schließlich nichts von mir sagen.

Vor uns taucht der Bahnhof auf.

Ich sehe, wie ihre Augen sich fest auf ihr Ziel richten. Leise raunt sie: „Ich habe Marcel nicht nur deswegen verlassen. Zwar habe ich es vor ihm so hingestellt, aber es war wegen etwas anderem.“ Sie schluckt und sieht weiter auf das große Bahnhofsgebäude, als hätte sie Angst, es würde sich auflösen, wenn sie es aus den Augen verliert.

„Nicht? Wegen was dann?“, frage ich und sehe auch auf das große Gebäude, dessen näherkommen unsere Zeit mit erschreckender Geschwindigkeit begrenzt.

„Wegen uns“, antwortet sie. „Ich schlafe nicht einfach so mit jemandem. Das ist nicht meine Art. Und mit dir war es oft genug, um mir klarzumachen, dass ich nicht mehr bei Marcel bleiben konnte. Die Liebe zu ihm ist wohl nicht stark genug gewesen, um mich von dir fernzuhalten. Und ich war wütend auf mich … und auf dich, weil du das ausgelöst hast. Und dass, obwohl dir nichts an einer Beziehung oder Zweisamkeit liegt. Ich habe letztendlich nur die Konsequenz gezogen.“

Wir gehen über den Vorplatz zu der Haupttür und durch die Vorhalle.

Sie sieht mich an, als ich nichts antworte und murmelt: „Ich habe Marcel verlassen, um ihm nicht noch mehr wehzutun, wenn er von uns erfährt, und dich, weil du keinen Wert auf ein Zusammensein legst. Und Tim? Tim ist einfach immer dann da, wenn mein Leben in Scherben liegt und fegt die Überreste zusammen.“

Wir kommen an den Bahnsteig und sie nimmt mir ihre Tasche ab. „Jetzt weißt du Bescheid. Darum männerfreie Zone. Dieses hin und her macht mich kaputt. Ich musste das beenden.“

In meinen Kopf laufen viele Filme gleichzeitig. Auf einmal verstehe ich so viel von dem, was passiert ist und doch auch gar nichts.

„Um zu überleben, hast du geschrieben“, sage ich nachdenklich. „Und ich habe das ausgelöst. Wir sind beide das Chaos für den anderen.“

Diese Einsicht ist fast zu viel für mich. Ich schaue auf den Zug, der schon wartet.

Sie sieht mich an. Ihr Zeigefinger streicht mir sanft eine Locke über dem Auge an die Seite und dann dreht sie sich um und steigt die Treppe in das Abteil hoch. Sofort schließt sich hinter ihr die Tür, als hätte der Zug nur darauf gewartet, dass sie endlich einsteigt.

Ich gehe einen Schritt zurück und sehe den Waggon anfahren und sich langsam an mir vorbeischieben. Ich starre dem Zug hinterher, bis er ganz aus meinem Sichtbereich verschwunden ist und greife nach meinem Handy. Meine kleine Sucht.

Während ich durch die Bahnhofshalle gehe, warte ich, bis abgenommen wird. Als es endlich soweit ist, frage ich: „Warst du eigentlich bei deinem Bruder? Du wolltest den doch besuchen.“

„Erik!“, höre ich Carolin entgeistert sagen.

„Ja?“, murmele ich.

„Oh Mann, was? Mein Bruder! Ach nein, da bin ich nicht mitgefahren, weil ich nicht zu ihm gedurft hätte, weil er Täter und ich Opfer bin … oder so und damit er mich nicht beeinflusst. Außerdem ist seine Verhandlung jetzt noch zwei Wochen später und ich habe eine Vorladung bekommen.“

„Oh, alles klar“, kann ich nur antworten und weiß nicht, was ich sonst dazu sagen soll.

Nach einer kleinen Pause sagt Carolin mit weicher Stimme: „Erik, ich muss jetzt auflegen. Ich bin gleich da.“

„Wo?“, frage ich.

„In Bramsche.“

„Was willst du in Bramsche?“

Oh Mann, sie fährt zu Marcel.

„Der Zug hält nicht in Alfhausen und ich will Tims Fahrrad wieder mitnehmen. Das steht noch am Bahnhof“, erklärt sie.

Ich muss erst mal schnallen, dass sie angeblich nur das Fahrrad holen will.

„Fährst du direkt nach Hause?“, frage ich nach.

„Ja, was meinst du denn?“

Ja, was meine ich?

„Marcel ist da doch gleich um die Ecke“, sage ich vorsichtig, weil ich sie nicht gerne daran erinnere.

„Nah und? Ich will nur noch nach Hause und ins Bett“, antwortet sie und ich kann es nicht glauben. Sie weiß doch jetzt, dass Marcel nichts gemacht hat und sie ist nur eine Straße von ihm entfernt und will nur nach Hause?

Ich höre den Zug im Hintergrund rattern.

„Okay! Und du lügst mich nicht an?“, frage ich verunsichert, ob sie die Wahrheit sagt.

„Nein, wie kommst du da drauf? Wieso sollte ich dich anlügen?“, fragt sie.

Ich kann ihr darauf keine Antwort geben. Ich habe auch gar nicht das Recht, irgendwas zu fordern.

„Erik, ich muss jetzt auflegen. Wir können ein anderes Mal noch mal telefonieren. Ich muss jetzt das Fahrrad aufschließen und will nach Hause. Ich fahre fast eine halbe Stunde. Also bitte“, sagt sie eindringlich.

„Ja, gut. Hast du Licht am Fahrrad?“ Mir wird klar, ich will nicht, dass sie auflegt.

„Natürlich!“

„Okay, bis bald.“

„Bis bald“, sagt sie und legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann.

Ich behalte mein Handy in der Hand, während ich über den Vorplatz des Bahnhofes wieder Richtung Innenstadt gehe. Ich weiß nicht, wohin mich meine Füße tragen. Aber es ist mir auch egal. Ich warte nur ab. Unschlüssig und unsicher, worauf. Zwischendurch checke ich die Zeit. Nach fünfundzwanzig Minuten und fast bei unserer Stammkneipe angekommen, wähle ich erneut ihre Nummer.

Sie geht nicht ran.

Ich versuche es sofort noch einmal und verdränge die Gedanken, die mich Carolin in Marcels Armen versinken sehen.

„Oh Mann, was ist denn jetzt?“, brummt sie in ihr Handy und das Bild wird zu einer Standaufnahme.

„Bist du jetzt in der Wohnung in Alfhausen?“, frage ich nervös.

„Ja, gerade reingekommen. Warum?“

Das Bild verpufft.

„Nur so“, sage ich und komme mir ein wenig dämlich vor.

„Erik, ich bin gut angekommen, nicht bei Marcel vorbeigefahren und will nur noch ins Bett. Die Nacht ist kurz“, sagt sie und bringt es auf den Punkt.

„Stehst du wieder um fünf auf?“, frage ich sie, weil mir einfällt, dass Daniel das erwähnte. Ellen hatte ihm das wohl erzählt. Völlig verrückt.

„Ja, ich muss schließlich auch mal was für die Schule tun. Und wie ist es bei dir? Wann tust du mal was für dein Studium? Oder lernst du nie?“ Sie klingt wie meine Mutter.

„Doch, natürlich! Aber nicht morgens um fünf“, antworte ich ihr und muss schmunzeln.

Sie fragt mit strenger Stimme: „Lügst du mich auch nicht an?“

Dass sie mich immer zitiert und damit völlig durcheinanderbringt, verschlägt mir die Sprache.

Da ich nicht antworte, grummelt sie: „Also doch. Erik, haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass du so nichts werden kannst?“

Wieder mein Spruch.

In mir baut sich ein Gefühl auf, dass mich nur noch in ihre Nähe wünscht. Ich will sie berühren, sie ansehen und ihr diese Flausen austreiben.

„Erik, bist du noch da?“, höre ich sie verunsichert fragen.

„Darf ich zu dir kommen?“, spreche ich das Einzige aus, was mein Kopf noch denken kann.

Kurz scheint sie völlig irritiert zu sein. Dann ruft sie fast panisch: „Nein, es ist schon viel zu spät! Ich muss jetzt ins Bett und schlafen. Du weißt doch, um fünf ist meine Nacht zu Ende.“

„Bitte, ich kann in zwanzig Minuten da sein“, dränge ich und überlege mir schon den kürzesten Weg zu meinem Auto.

„Das geht nicht“, antwortet sie energisch. „Du bist völlig zugedröhnt und darfst so gar nicht fahren.“

Ihre Worte treffen mich wie ein Faustschlag. Sie wusste das die ganze Zeit und hat mich doch mit sich mitgehen lassen und mit mir geredet.

Mit sanfter Stimme bittet sie mich: „Bitte, fahr heute kein Auto mehr. Das ist viel zu gefährlich. Versprich mir das!“

Sie hat recht. Aber mein Kopf will das nicht hören. Nur die Einsicht, dass sie weiß, dass ich unter Drogen stehe, etwas, was sie niemals tolerieren wird, wie sie sagte, lässt mich einlenken. „Gut.“

Sie scheint wirklich froh zu sein und ich kann nur hoffen, es ist wirklich nur, weil sie sich Sorgen macht, mir könne etwas passieren.

„Ich muss jetzt auflegen. Ich bin müde und völlig fertig. Wir sehen uns bestimmt mal irgendwo. Vielleicht am Wochenende. Ja? Jetzt müssen wir aber Schluss machen“, sagt sie.

Scheinbar ist es doch wegen der Drogen. Ich antworte zurückhaltend: „Okay, bis dann.“

„Bis dann, Erik“, erwidert sie und klingt so süß wie Honig. Aber das folgende Besetztzeichen sagt mir, dass sie das Gespräch trotzdem knallhart beendet hat.

Ich gehe zu Daniel, um das Auto zu holen. Sie ahnt zu meinem Glück nicht, dass ich trotzdem den Wagen mit nach Hause nehme und sie weiß auch nicht, dass ich oft unter Drogen Auto fahre. Sie weiß so wenig von mir.

Und ich kenne mich auch nicht mehr. Ein Ton von ihr und ich wäre zu ihr geflogen. Ganz sicher.

Nur mit Mühe schaffe ich es, Carolin am nächsten Tag nicht anzurufen. Das liegt daran, dass ich nicht weiß, was ich ihr sagen soll. Wir hatten gestern alles voreinander ausgebreitet und ich muss das erst mal verkraften. Dass ich sie auch noch anflehte, zu ihr fahren zu dürfen, haut mich immer noch um. Sie muss wirklich so etwas wie ein Racheengel sein, denn sie löst bei mir das aus, was ich sonst bei den Frauen auslöste.

Daniel fragte mich natürlich, wohin ich am Abend zuvor so schnell verschwunden war. Ich antwortete ihm nur, dass ich Carolin zum Bahnhof gebracht habe, damit sie sich nicht verläuft und ich erwähnte noch, dass sie wegen Marcel und meiner Sabrina nicht mal sauer ist.

„Vielleicht ist sie froh, dass es vorbei ist. Vielleicht hat sie sich in jemand anderen verliebt?“, murmelt Daniel und als ich ihn verunsichert ansehe, grinst er mich an.

Ich antworte ihm nicht, weil ich mit all diesen Gedanken und Gefühlen immer noch hadere.

Die Narben aus der Vergangenheit

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