Читать книгу Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen - Страница 4
Kann Unmögliches möglich werden?
ОглавлениеDonnerstagnachmittag kommt Daniel mit der glorreichen Idee, dass wir später Ellen abholen, die weiß wo Carolin arbeitet und wir alle gemeinsam etwas trinken gehen können. Ich sage sofort zu.
Ich wundere mich ein wenig, dass Ellen nicht im Geringsten wütend auf mich ist. Schließlich hatten wir uns Sachen an den Kopf geworfen, wie in unseren Kindertagen, als es noch hieß: Du oder ich.
Aber sie scheint alles gesagt zu haben.
Wir gehen zu dem kleinen Cafe und ich freue mich darauf, Carolin zu sehen. Natürlich zeige ich das niemandem. Ganz im Gegenteil. Ich setze meine Killermiene auf und sage nicht viel, während Ellen und Daniel Hand in Hand neben mir hergehen und sich irgendwelche Geschichten ins Ohr säuseln.
Wir kommen bei dem kleinen Cafe an und Ellen geht hinein. Ich bin so nervös, dass ich mir eine Zigarette an der aufgerauchten anzünde und Daniel nimmt sich auch eine.
Ellen kommt mit bedröppelter Miene zurück und brummt: „Die ist schon weg. Sie wurde schon abgeholt.“
Ich sehe sie ungläubig an. Sie hatte gesagt, Carolin arbeitet immer bis halb acht und es ist noch nicht so spät. Und wer hat sie abgeholt?
„Was machen wir jetzt?“, fragt Daniel.
Ich bin sprachlos. All meine Hoffnung auf einen annehmbaren Abend fällt ins Bodenlose.
„Wir gehen einmal die Fußgängerzone rauf und runter und sehen dann“, knurrt Ellen und fügt hinzu: „Wenn wir sie nicht finden, rufe ich sie an.“
Mir wird klar, dass auch bei ihr eine Hoffnung stirbt, obwohl ich nicht weiß, worauf sie genau gehofft hat.
Wir gehen los. Die Stimmung hat sich schlagartig geändert. Ellen und Daniel sind auch nicht mehr so gut gelaunt.
Auf Hälfte der Fußgängerzone kommt uns Ellens ehemaliger Klassenkamerad Christoph mit zwei anderen Typen entgegen. Er grinst Ellen an und begrüßt sie mit den Worten: „Hey Ellen! Ihr müsst euch schon ein wenig beeilen, wenn ihr Carolin noch einholen wollt.“
Ich sehe mir den Typ genauer an, der Carolin am Samstag mit zu sich nehmen wollte. Mir juckt es in den Fingern, aber ich halte mich zurück. Schließlich hat er sie eben getroffen und weiß, wo sie hingegangen ist.
„Wir suchen sie. Wann hast du sie gesehen?“, fragt Ellen und lässt sich nicht anmerken, dass sie eigentlich sauer ist.
„Ach, das ist schon bestimmt eine viertel Stunde her. Ich weiß nicht, wo sie mit ihrem Typ hinwollte.“
Ellens Blick gleitet sofort beunruhigt in mein Gesicht und ich atme tief durch. Sie knurrt ungehalten: „Ihr Typ? Welcher Typ?“
„Nah, ihr Ex! Der, wegen dem sie sich die männerfreie Zone auferlegt hat“, sagt dieser Christoph lachend und in meinem Kopf rotiert der Gedanke, dass sie mit Marcel unterwegs sein muss.
Ich schnappe mir Ellens Arm und ziehe sie weiter. Sie dreht sich schnell zu Christoph um und ruft. „Alles klar! Bis bald mal.“
Daniel folgt uns und schüttelt den Kopf. In meinem schwirren die Gedanken wie ein Schwarm Hornissen durcheinander.
„Scheiße, Marcel ist hier“, knurrt Ellen nur. Im selben Moment greift sie nach ihrem Handy. Wir bleiben stehen und sie lässt es klingeln. Dann brummt sie: „Carolin! Wo bist du? Wir wollten dich abholen und deine Chefin sagt, du bist schon abgeholt worden. Kannst du nicht mal vorher Bescheid sagen?“ Ihre Augen blitzen wütend.
In mir kriecht auch ein Orkan hoch. Sie war am Dienstag nicht zu Marcel gefahren. Warum trifft sie sich heute mit ihm? Ich will nicht, dass die beiden wieder zusammenkommen.
Ich greife nach Ellens Handy, die erschrocken aufblickt.
„Mit wem bist du unterwegs?“, zische ich. „Doch nicht wirklich mit Marcel? Und lüg mich nicht an. Wir haben gerade diesen Christoph getroffen.“ Ich kann meine Wut nicht unterdrücken. Sie überrennt mich völlig unkontrolliert wie eine Büffelherde.
„Doch“, höre ich ihre Stimme leise sagen. „Wir sind etwas zusammen essen gegangen und wollen noch einiges bereden.“
Warum tut sie das? Sie soll weder mit ihm etwas essen noch mit ihm reden - den Rest ihres Lebens. Und was will sie mit ihm bereden? Dass ich Sabrina war und alles wieder in Ordnung kommt?
„Sag ihm gleich, dass er in meine Falle getappt ist, der Blödmann. Außerdem kannst du ihm gleich erklären, warum ich das getan habe und vielleicht auch noch, was wir zusammen gemacht haben. Dann weiß er wenigstens, dass du ihm schon lange nicht mehr allein gehört hast. Und vielleicht erwähnst du Tims Beitrag auch noch“, knurre ich wütend und sehe in die verdatterten Gesichter von Ellen und Daniel.
Meine Schwester dreht sich weg und lehnt sich an Daniel, der seinen Arm um sie legt. Die beiden haben überhaupt keine Ahnung, was eigentlich läuft. Nicht zwischen mir und Carolin, nicht zwischen ihr und Marcel und auch nicht zwischen ihr und Tim.
„Ich muss jetzt Schluss machen. Wir können morgen noch mal reden“, stammelt Carolin betroffen und ich höre das blanke Entsetzen in ihrer Stimme.
„Leg jetzt bloß nicht auf!“, knurre ich aufgebracht und drehe mich von Ellen und Daniel weg. Mir ist klar, sie bekommen hier gerade die ganze Bandbreite meiner wirklichen Gefühle mit.
„Nein“, haucht Carolin nur.
Ich atme tief durch und versuche mich zu beruhigen.
„Okay, esst was und redet miteinander. Aber du fährst nicht mit ihm nach Hause. Hast du mich verstanden? Wenn ihr mit eurem Plausch fertig seid, rufst du mich an und ich fahre dich. Ist das klar?“, sage ich und weiß, alles andere könnte ich nicht ertragen. Ich kann und will nicht mehr dagegen ankämpfen, was mich innerlich zerreißt, wenn ich dem nicht langsam nachgebe.
„Ist gut. Ich hatte das auch nicht vor“, raunt sie leise.
„Gut, also bis dann“, sage ich beruhigter.
„Bis dann.“ Carolin legt auf.
Ich reiche Ellen ihr Handy, die mich mit einem Blick ansieht, als hätte ich mich gerade ausgezogen.
„Kommt, wir gehen da eben etwas trinken“, raune ich leise und gehe zu einer kleinen Kneipe, in der ich noch nie drinnen war, deren offene Tür uns aber einladend entgegenwinkt.
Ellen und Daniel folgen mir, ohne zu murren.
Ich bestelle den beiden Wodka O-Saft und trinke selbst eine Cola. Ellen sieht zu Daniel, als ich die Bestellung aufgebe. Keiner der beiden macht aber diesbezüglich einen blöden Spruch.
„Warum Carolin sich mit Marcel trifft, weiß ich nicht“, sagt Ellen niedergeschlagen.
„Vielleicht will sie sich mit ihm versöhnen?“, sage ich und klinge, als hätte mir gerade einer vors Schienbein getreten. Ich sehe Daniel an und dann Ellen, die meinen Blick ernst erwidern. Mir wird klar, ich sollte einiges erklären.
„Carolin und ich sind mehr als nur einmal aneinandergeraten“, sage ich leise, während die Kellnerin uns die Getränke hinstellt. „Dreimal, wenn ihr es genau wissen wollt.“
Ellen wirft Daniel einen schnellen, vielsagenden Blick zu und ich weiß, was der heißen soll: Ich wusste es doch. Bei ihr ist alles anders.
Keiner sagt aber ein Wort und ich fahre fort: „Ich wollte es nicht wahrhaben, aber ihr habt recht. Bei ihr geht es mir gut. Aber sie hat immer so von Marcel geschwärmt und das hat mich die vier Tage in meinen Panikraum getrieben. Nur sie konnte mich da wieder rausholen. Die Sache mit der Sabrina war eigentlich nicht wirklich so geplant. Ich wollte ihr nur zeigen, dass ihr Marcel auch ein Arsch ist. Sie hat aber gleich alles hingeworfen, weil sie selbst nicht mehr an die Heimchennummer glauben konnte, nachdem sie mit mir … Naja, und dann kam Tim. Er hat sie von Marcel weggeholt, wie schon einmal, und in seine Wohnung gebracht. Und ihr wisst ja, wie der drauf ist. Carolin hat daraufhin beschlossen, eine männerfreie Zone um sich zu errichten. Ich dachte, sie meint mich persönlich. Aber sie kam wohl mit dem ganzen Gefühlsscheiß nicht mehr klar. Sie hat sich nicht mal aufgeregt, weil ich das mit Sabrina war. Und sie will nichts von den anderen“, sage ich und trinke meine Cola. Den letzten Satz hatte ich hingeschleudert, in der Hoffnung, ihn auch selbst glauben zu können. Als ich aufsehe, blicken mich vier verwirrte Augen an.
„Scheiße“, murmelt Ellen und ein mitleidiger Gesichtsausdruck legt sich über ihr Gesicht. Aber sie sieht mich nicht an und ich weiß nicht, wem ihr Mitleid gelten soll. Carolin oder mir?
„Was machen wir jetzt?“, fragt Daniel und er ist klar auf meiner Seite.
Ich sehe ihn unschlüssig an und dann weiß ich plötzlich, was ich machen muss. Mein Handy aus der Hosentasche klaubend, rufe ich Carolin an.
„Ja, was ist?“, brummt sie barsch.
„Fertig mit eurem Plausch? Ich denke, ihr hattet Zeit genug. Wo soll ich dich abholen?“, knurre ich.
Jetzt wo Ellen und Daniel Bescheid wissen, habe ich keine Hemmungen mehr, Carolin klar zu machen, was ich will.
„Nein, wir sind noch nicht fertig. Ich melde mich dann schon.“
„Aber nicht mehr so lange, sonst suchen wir euch und dann zeige ich deinem Landei mal, wie hier in der Stadt gespielt wird“, brumme ich bedrohlich und es juckt mir in den Fingern.
„Das lässt du bleiben“, höre ich sie murmeln und dann ist die Verbindung unterbrochen.
Ich atme tief ein und Ellen legt eine Hand auf meinen Arm. „Weißt du was?“, raunt sie leise. „Sie wird nicht zu ihm zurückkehren. Von Anfang an hat sie etwas in dir gespürt, dass ich nicht mal erkannte. Sie hat mir immer gesagt, dass du lieb und süß bist. Von Anfang an. Glaub jetzt einfach mal dran, dass ihr beiden füreinander bestimmt seid, wie Daniel und ich.“
Ich sehe sie groß an und dann Daniel. Aber auch er starrt Ellen an, als wäre sie der Weihnachtsmann. Er trinkt den Rest seines Glases aus und murmelt: „Kommt Leute, hier herumsitzen bringt gar nichts.“ Er wirft fünfzehn Euro auf den Tisch und steht auf. Ellen und ich folgen ihm.
Draußen, in der Fußgängerzone, erklärt er uns: „Wir holen jetzt die Autos und suchen den Penner. Was hast du gesagt? Er fährt so einen alten Golf … in rot? Ich wette, den finden wir. Er hat bestimmt in der Nähe des Cafés geparkt. So viele Parkplätze gibt es hier in der Innenstadt nicht.“
Ich halte das für Unsinn. Aber da ich lieber etwas zu tun habe, folge ich Daniel, der entschlossen Ellens Hand nimmt.
Beim Dom, gegenüber vom Theater, ist der erste Parkplatz, an dem wir fast vorbeikommen, und wir machen einen kleinen Abstecher dort hin. Tatsächlich sehe ich den roten Golf schon von weitem.
„Da steht er“, sage ich und nicke in die Richtung. Mir zieht sich mein Magen zusammen.
Daniel und Ellen folgen meinem Blick. „Du hast recht. Das ist die Karre, mit der er Carolin damals von der Schule wegholte“, sagt Ellen.
„Was machen wir?“, fragt Daniel.
„Die Autos holen. Wenn er Carolin mitnehmen will, wird er sein blaues Wunder erleben“, antworte ich.
Ellen sieht uns besorgt an. „Das können wir nicht machen.“
Ich knurre nur: „Du nicht. Du bist ihre Freundin. Aber wir können das schon.“
So bleibt Ellen bei Daniel zu Hause. Wir wollen auf keinen Fall, dass sie zwischen die Fronten gerät. Sie muss, sollte das schiefgehen, die Verbindung zu Carolin aufrechterhalten, auch wenn die uns wegen unserer Aktion in die Hölle wünscht.
Wir fahren mit beiden Autos zu dem Parkplatz zurück und haben Glück, dass zwei freie Parkbuchten auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes frei sind. Von dort haben wir einen freien Blick auf den Golf.
Wir stehen noch nicht lange wartend an unsere Autos gelehnt da, als Carolin und Marcel auf dessen Auto zugehen. Es versetzt mir einen Stich, die beiden zusammen zu sehen und Daniel nickt mir beruhigend zu.
Marcel wirkt, als hätte er eine Zentnerlast auf den Schultern. Mit Unbehagen fällt mir erneut auf, dass er eine echt gute Figur abgibt. Aber den Gedanken verdränge ich in dem Moment, als er Carolin in die Arme zieht und sie küsst. Ich weiß nicht, ob auf die Wange oder sonst wohin.
Ich greife sofort nach meinem Handy und rufe sie an.
Die beiden lösen sich voneinander und Carolin zieht ihr Handy aus der Tasche und blafft ein „Ja!“ hinein.
Marcel fährt sich mit der Hand durchs Gesicht. Es ist eine Geste der aufkeimenden Hoffnungslosigkeit.
„Der soll jetzt seine Finger von dir lassen und nach Hause fahren. Sonst schiebe ich seinen popligen Golf an die nächste Hauswand“, knurre ich wütend.
Carolin sieht auf und lässt ihre Augen über den Parkplatz wandern. Unsere Blicke treffen sich.
Sie schaltet das Handy aus und steckt es in die Tasche zurück.
Erneut redet sie mit Marcel und wir zünden uns eine Zigarette an. Meine Nerven sind wie Drahtseile gespannt und Daniel sagt nichts zu all dem.
Dieser Marcel redet und redet und hält scheinbar nur die Klappe, um ihre Hand an seine Lippen zu drücken.
Carolin putzt ihm über die Wange. Jetzt heult der auch noch. Verdammt! Der fährt das volle Programm auf.
Erneut redet er auf sie ein und sie nickt nur. Dann zieht er endlich seinen Autoschlüssel aus der Tasche und ich atme auf.
Er wischt sich mit beiden Händen fahrig über die Augen und steigt in sein Auto.
So ganz kalt lässt mich das nicht. Und als Carolin sich auch über die Wange streicht, bin ich verunsichert.
Marcel setzt aus der Parklücke und fährt langsam weg. Endlich!
Ich sehe Carolin auf uns zukommen und werfe Daniel einen schnellen Blick zu. An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass auch ihn die Szene mit Marcel verunsichert.
Die Zigarette austretend, gehe ich ihr langsam entgegen.
Carolin wischt sich noch einmal über die Wange und sieht mir mit großen Augen beunruhigt entgegen. Als sie dicht genug ist, strecke ich meine Hand aus und ziehe sie in meine Arme. „Hey, weine doch nicht. Was ist denn los? Ist der dir blöd gekommen?“, frage ich besorgt.
Sie schüttelt den Kopf, löst sich etwas aus meiner Umarmung und sieht auf. „Er ist so traurig und unglücklich. Ich kann das gar nicht haben. Das macht mich ganz fertig. Er tut mir so leid“, sagt sie traurig.
Ich kann sie nur wieder in meine Arme ziehen und leise raunen: „Du bist aber auch so was von gefühlsduselig. Er wird das schon überstehen.“
Ich sollte wütend auf sie sein, aber da ist nichts außer dem warmen Gefühl, dass sie bei mir auslöst.
„Du kennst ihn nicht“, murmelt sie und ich spüre ihre Tränen, die mein T-Shirt durchnässen.
Ich höre Daniels BMW starten und sehe auf. Er nickt uns noch einmal zu und zieht langsam aus seiner Parklücke.
Carolin winkt kurz.
„Komm!“, sage ich und sehe ihr ins Gesicht. „Und hör auf, wegen dem zu heulen. Das kann sich keiner mitansehen.“
Ich greife nach ihrer Schultasche und ziehe sie zu meinem Mustang. „Möchtest du nach Hause oder noch irgendwo etwas trinken gehen?“
Sie schüttelt den Kopf. „Nach Hause.“
Als ich den Mustang aus der Parklücke gleiten lasse, stelle ich etwas Musik an. Leise und nicht zu aufdringliche. Und ich fahre langsam und gemächlich durch die Straßen Osnabrücks. In meinem Kopf laufen die Gedanken Amok, dass ich nun alles in der Hand habe. Sie ist bei mir im Wagen, traurig und in ihre eigenen Gedanken versunken und ich muss entscheiden, was jetzt das Beste für uns ist. Aber in meinem Kopf läuft alles durcheinander. Ich will, dass sie nicht mehr traurig ist. Ich will, dass sie ihren Ex vergisst und nur noch an mich denkt. Und ich will sie.
Aber sofort beschleicht mich die Angst, dass ich zu viel will oder dass ich gar nicht wirklich weiß, was ich will. Vielleicht gaukeln meine Gefühle, die sich mir so neu und aufdringlich offenbaren, mir auch nur etwas vor, das sich dann als falsch herausstellt. Dann könnte es sein, dass ich ihr noch mehr wehtue, als sie jetzt schon ertragen muss. Was, wenn ich nur nicht schnalle, dass es doch nur mein Ego ist, das bei ihr noch nicht die Chance auf seinen eigenen Racheakt hatte.
Ich spüre eine sachte Angst durch meinen Kopf huschen, dass ich sie nicht mehr will, sobald sie sich mir ganz hingibt und es so wird, wie bei allen anderen. Aber ich verdränge das schnell. Das, was jetzt meinen Kopf und mein Innerstes regiert, will daran nicht denken.
„Hey!“, versuche ich mich und sie aus den Gedanken zu reißen. „Bist du so traurig?“
Dass sie wegen diesem Kerl so betrübt ist, gefällt mir nicht. Aber zu meiner Überraschung erklärt sie nur lapidar: „Marcel ist so unglücklich, das hat wohl abgefärbt“, und winkt ab.
Ich nicke. Sie ist wirklich ein Stehaufmännchen, wie Daniel sagte und ich beschließe, alles Weitere auf mich zukommen zu lassen.
Wir fahren bald durch Alfhausen hindurch und ich parke den Mustang vor der Garage von Tims Wohnung.
„Danke Erik, dass du mich gefahren hast“, raunt sie leise und wirkt immer noch viel zu traurig.
Ich möchte nicht, dass es hier endet. Ich will nicht wieder in meine Welt zurückkehren, die mir in diesem Moment unglaublich trostlos erscheint.
Ich steige aus und sie sieht mich verdutzt an. Mir wird klar, dass sie denkt, dass auf alle Fälle hier jetzt alles Enden muss.
Ich gehe um den Wagen herum zu ihrer Tür und öffne sie.
„Komm!“, sage ich. „Und bedank dich nicht immer bei mir. Glaub bloß nicht, dass ich mir die Fahrt nicht bezahlen lasse.“ Ich lächele sie an und hoffe, sie schickt mich jetzt nicht gnadenlos weg.
„Ach, die Bezahlung …“, murrt sie aber nur resigniert.
Sie steigt aus und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Also lasse ich, nachdem sie die Autotür ins Schloss fallen ließ, die Verriegelung zuschnappen und nehme ihr die Tasche ab. Da sie mir die überlässt, bin ich bereit für den nächsten Schritt.
Ich lege all meine Überzeugungskraft in meine Stimme und werfe alle Unsicherheit über Bord, als ich raune: „Ich bleibe heute bei dir.“
So, jetzt habe ich ausgesprochen, was ich will und um was wir gar nicht herumkommen. Ich kann sie hier nicht allein lassen und sie darf mich nicht wegschicken.
Aber sie wirkt verunsichert und zurückhaltend.
„Komm!“ Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und ziehe sie zur Haustür. „Widerstand ist zwecklos.“
Es gibt keinen Widerstand und ich grinse sie an, um meine eigene Unsicherheit zu überspielen, die mich die ganze Zeit gefangen hält und nur langsam von mir abfällt.
Plötzlich sieht sie auf und bleibt stehen. „Erik, das geht nicht! In der Wohnung herrscht absolutes Männerverbot.“
Es trifft mich wie ein Keulenhieb.
„Wer sagt das?“
„Tim will das so und das ist seine Wohnung“, erklärt sie voller Überzeugung.
Ihre großen Augen sehen mich an, als wären wir Kinder und sie versucht mir gerade ein völlig absurdes Verbot von ihren Eltern aufzudrücken.
Ich lache auf, kann aber nichts daran lustig finden. Tim, dieser elende Scheißkerl.
„Nah, das ist klar, dass er dir ein Männerverbot auferlegt hat. Und er ist die große Ausnahme, nehme ich mal an“, brumme ich. „Die Entscheidung liegt ganz bei dir.“
Es ist gewagt. Was mache ich, wenn sie Tims Entscheidung unbedingt respektieren will?
„Das ist Tims Wohnung, und ich musste ihm das hoch und heilig versprechen“, antwortet sie und an ihrem Blick sehe ich, dass sie selbst damit kämpft, dieses Versprechen einhalten zu müssen. Und ich schiebe das Weichei, das ich bei ihr immer werde, beiseite und hole den Gangster raus, mit all seiner Gerissenheit und Gewissenlosigkeit. Eins ist doch wohl klar, ich respektiere Tims Wunsch nicht.
„Gut“, sage ich völlig selbstlos. „Dann gib mir den Schlüssel, damit ich dir wenigstens eben die Tür aufschließen kann.“
Sie sieht mich an, als höre sie nicht richtig. Ist da ein Hauch Enttäuschung, der sich über ihr Gesicht legt. Mich ermutigt das noch mehr und ich weiß, es ist vorbei. Nichts hält mich mehr auf.
Sie kramt den Schlüssel aus ihrer Tasche und ich nehme ihn ihr ab, zurückhaltend lächelnd. „Komm, ich lass dich eben ins Haus.“
Sie nickt und lässt mich an die Tür.
Ich schließe auf, gebe der Tür einen Tritt, drehe mich zu ihr um, sehe an ihr vorbei nach draußen, ob auch keiner uns sieht, schenke ihr ein Lächeln und packe zu. Dabei zische ich leise: „Glaubst du, Tims Verbot interessiert mich auch nur eine Sekunde?“ Ich bücke mich und werfe sie mir über die Schulter, wie ich es immer mache, wenn sie nicht will, was ich will.
„Erik, was tust du?“ Es ist ein Aufschrei, aber leise genug, um niemanden etwas mitbekommen zu lassen und sie klingt eher erleichtert, als ungehalten.
„Nach was sieht es denn aus?“, frage ich, lasse die Tür ins Schloss fallen, sehe mich in einem winzigen Flur mit einer Treppe stehen und gehe die Stufen mit ihr hoch. „Ich sagte doch, ich bleibe heute bei dir.“
Vor der nächsten Tür stelle ich sie auf die Füße und stecke den anderen Schlüssel ins Schloss. Als mein Blick in ihr Gesicht fällt, sieht sie mich mit leuchtenden Augen an und ein Schmunzeln liegt in ihren Mundwinkeln.
Wie konnte ich nur eine Sekunde denken, dass sie mich ernsthaft wegschicken wollte? Sie will mich genauso wie ich sie.
Ich stoße die Tür auf, schiebe meine Hand unter ihre weichen Haare in ihren Nacken und ziehe sie in die Wohnung. Mit einem Tritt lasse ich die Tür wieder ins Schloss krachen. Ihr Blick hat alle meine Gefühle entfesselt.
„Du willst dich doch nicht gegen mich wehren? Oder? Kleine Maus“, raune ich und schiebe sie an die Wand. Meine Hände legen sich um ihr Gesicht und ich küsse sie.
Ihre Lippen empfangen mich süß und willig und über mich schwappt eine Welle hinweg, die ich kaum zügeln kann. Ich weiß, das ist was ich die ganze Zeit gebraucht habe.
Ihre Hände schieben sich in meine Haare und sie küsst mich mit einer Ungeduld, dass mir schwindelig wird. Unsere Körper scheinen sich nacheinander zu sehnen. Als sich ihre Hand unter mein T-Shirt schiebt, bin ich von ihrer entfesselten Gier wie elektrisiert. Ich hebe sie hoch, ohne meine Lippen von ihren zu nehmen und trage sie, meinen Weg suchend, durch die Küche ins Schlafzimmer.
Draußen geht der Tag langsam zu Ende und alles liegt in einem seichten Licht der untergehenden Sonne.
Ich beende den Kuss und lasse sie auf das Bett sinken. Ein Blick in die Runde und ich raune verächtlich: „Hm, kann unser Luxusjunge dir nicht mehr bieten?“
Sie sieht sich auch um und erklärt: „Mir reicht es.“
„Und mich interessiert nur der menschliche Inhalt dieser Bruchbude“, antworte ich und beuge mich über sie, nehme ihr süßes Gesicht in meine Hände und küsse sie mit all der Leidenschaft, die mich heiß umspült. Mich hält nichts mehr auf. Sie gehört wieder mir. Endlich.
Ich schiebe eine Hand unter ihr T-Shirt, lasse sie über ihren weichen Bauch gleiten und erspüre jeden Millimeter. Ihre Hände fühle ich sanft und heiß auf meiner Haut.
Unsere Küsse werden hingebungsvoller und unsere Körper drängen sich dichter aneinander. Mich hat die Begierde gepackt und ich will sie ganz. Mit einer Hand versuche ich ihren Gürtel zu öffnen. Sie sagt nichts dagegen und ich beende den Kuss, sehe sie an und beschließe sie auszuziehen.
Ich schiebe mich auf die Knie und sie setzt sich auf und hebt ihre Arme über ihren Kopf. Ich streiche ihr das T-Shirt aus und sie lässt sich auf die Matratze zurücksinken und bietet mir mit sehnsuchtsvollem Blick ihren Körper dar. Ich öffne ihren Gürtel und ihren Hosenknopf und ziehe langsam den Reisverschluss herunter.
Sie sieht mich nur an.
Ich steige aus dem Bett und greife nach ihrem Hosenbund und ziehe ihn langsam herunter, während sie ihre Hüfte anhebt.
Das ist ein klares Zeichen dafür, dass sie will, was ich will.
Ich lasse ihren Slip folgen und in mir peitschen Gefühle hoch, die mich hochpuschen wie eine Droge. Aber als ich nach meinem T-Shirt greife, um es auszuziehen, beschleicht mich einen Moment lang ein seichtes Unbehagen, das ihr Blick aber wegwischt und ich schiebe mein T-Shirt über meinen Kopf und lasse es zu Boden sinken. Sie ist die eine, der ich mich ganz zeige und die meine Narben kennt.
Carolin setzt sich auf, schiebt sich langsam zur Bettkante und legt ihre Hände auf meinen Bauch.
Meine Muskeln ziehen sich unter ihrer Berührung zusammen und ihr Blick, der über meinen Oberkörper in mein Gesicht läuft, versetzt in mir alles in eine sehnsuchtsvolle Schwingung, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet.
Ihre Hände gleiten zu meinem Hosenknopf, den sie langsam öffnet, während sie weiter hoch in mein Gesicht sieht.
Ich lasse meine Finger durch ihr Haar streichen und recke ihr unwillkürlich meine Hüfte entgegen. Alles in mir ist angespannt und drängt zu ihr.
Sie öffnet den Reisverschluss und ihre Berührungen an meinem sich gegen den Stoff drängenden Freund versetzen mir Stromstöße. Sie zieht die Hose langsam herunter und lässt sie auf meine Füße fallen. Sofort greift sie nach meiner Boxershort und lässt sie meiner Hose folgen.
Mein Penis springt ihr erwartungsvoll entgegen und sie legt eine Hand darum, vorsichtig und sanft.
Mir nimmt das den Atem.
Es gab Frauen, die mir einen blasen wollten. Ich wollte das nicht. Es setzt eine Angst in mir frei, meine verletzlichste Stelle jemandem zu überlassen, der somit in der Lage wäre, mich schlimm zu verletzten. Ich glaubte bisher, jede Frau würde das sofort machen, wenn ich ihnen die Gelegenheit dazu gebe.
Aber Carolin so dicht vor mir zu haben, versetzt mich nicht in Panik. Ein Blick in ihre Augen und ich vertraue mich ihr an. Und es ist diese Wärme in meinem Bauch und in meinem Herz und in meinem Kopf, dem mein volles Vertrauen entspringt. Es fühlt sich an, als wären wir beide in einer leuchtenden Blase gefangen, die alles Böse ausschließt.
Als sich ihre Lippen um meine empfindliche Eichel legen und ich die sanfte Berührung ihrer Zunge spüre, schließe ich die Augen. In mir pulsiert mein heißes Blut. Wenn ihre Zähne mich berühren, pocht doch eine hintergründige Furcht durch mein Innerstes, die ich mit aller Macht zu unterdrücken versuche.
Ich öffne die Augen und sehe ihren sanften Blick. Er spiegelt so viele Emotionen und Zuneigung wider und beruhigt mich. Ich lasse das Gefühl, dass sie in mir auslöst, wirken und in mir peitscht das Verlangen auf, sie fühlen zu wollen, sie unter mir zu begraben, sie zu besitzen.
Ich mache einen Schritt zurück, um mich ihr zu entziehen, dränge sie auf die Matratze und schiebe mich dicht an sie heran. Ich will alles gleichzeitig tun, sie berühren, sie spüren, sie küssen, sie lieben …
Das ist besser als alle Drogen der Welt und ich will sie jetzt und mit aller Macht.
„Du machst mich so unglaublich an“, surre ich in ihr Ohr und küsse ihren Hals, ihre Brustwarzen, die der BH nur widerwillig frei gibt und ihren warmen weichen Mund, während meine Hand über ihre Haut streicht und sie erobert. Ihre Arme schlingen sich um meinen Körper und sie zieht die Knie an und schiebt mich damit ganz zwischen ihre Beine. Mein Herz schlägt noch schneller und sie drängt ihren Körper mir lustvoll entgegen. Sie ist so voller Leidenschaft und schenkt mir eine Bandbreite ihrer Zuneigung, die mein Innerstes warm umspült und mich in ungeahnte Höhenflüge versetzt.
Ich dringe langsam in ihre feuchte Hitze ein, während ich mich auf meine Ellbogen abstütze, ihr Gesicht mit beiden Händen umfasse und sie zärtlich küsse. Sie stöhnt unter mir auf und ich lasse meine Zunge mit ihrer verschmelzen. Dabei schiebe ich mich in einem sanften Rhythmus immer wieder auf ihr hoch. Ihre Hände streichen dabei über meine Muskeln und ich spüre sie wie sanfte Seide, die über meine Haut streicht. Es ist wie ein Rausch, den sie durch meinen Körper schickt und ich weiß, ich will das für immer.
Irgendwo springt ein Wecker an, aber es ist nicht meiner. Ich spüre eine Bewegung neben mir und bleibe einfach in der Wärme liegen, die mich noch umfangen hält. Ich möchte mich der tröstlichen Umarmung einer angenehmen Nacht noch nicht entziehen und lasse mich wieder in sie hineingleiten.
Aber dann steige ich doch aus einem Traum empor, dessen Welt sich in meinem Kopf sofort verflüchtigt, sobald ich die Augen öffne.
Ich finde mich in einem Raum wieder, der mir unbekannt ist. Langsam fällt mir ein, dass ich bei Carolin bin und ich schließe einen Moment benommen die Augen. Meine Hand erfühlt das kalte Laken neben mir.
Ich hebe den Arm, um auf meine Uhr zu schauen. Es ist kurz vor sechs und seichtes Tageslicht schiebt sich schwach und träge durch das Fenster in den Raum.
Unschlüssig steige ich aus dem Bett und gehe zur Tür. In der angrenzenden Küche sehe ich Carolin über ihre Schulsachen gebeugt am Tisch sitzen. Ihre Haare sind noch feucht und sie hat nur ein Handtuch um ihren Körper geschlungen.
Ich gehe zu meiner Hose und greife nach der Zigarettenschachtel. Mir eine Zigarette anzündend, lehne ich mich nackt an den Türrahmen der Küchentür. Es ist ein seltsames Gefühl mich ihr heute Morgen so zu präsentieren. Es ist wie eine Herausforderung von etwas, dass ich nicht benennen kann. Wie eine Aufforderung zu einer Regung.
Carolin sieht auf und lässt langsam ihr Schulbuch zuklappen. Ihr Blick läuft über meinen Körper und ich weiß, ich wollte diesen Blick herausfordern. Ich wollte sehen, wie sie mich ansieht. Und es fühlt sich seltsam an, mich vollkommen nackt zu zeigen, wo ich mein Leben lang mich niemals ohne T-Shirt zeigte. Niemandem. Und es fühlt sich bedrückend an, wie Anfangs ihre Berührungen auf meinen Narben. Aber ich sehe erneut keine Spur von Abneigung oder Abscheu in ihrem Blick.
Ich ziehe an meiner Zigarette und lasse den Gedanken durch meinen Kopf rollen, dass ich immer noch bei ihr bin und es sich immer noch in Ordnung anfühlt. Am Anfang meiner nächtlichen Eskapaden blieb ich manchmal bis morgens. Es kam auch vor, dass ich eine erst im Morgengrauen vor die Tür setzte. Aber das war sehr selten. Ich war da noch gefangen von dem, was mir der Sex bot. Das mit den Rachegelüsten kam erst später, als sich alles in zu vielen durchwälzten Lacken abgenutzt hatte. Also ist das heute in vielerlei Hinsicht eine Premiere.
Carolin packt ihre Schulsachen in ihre Tasche und sieht erneut auf. „Stimmt etwas nicht?“, fragt sie verunsichert.
„Doch! Aber ich habe Ellen nicht geglaubt, dass du um fünf aufstehst und deine Hausaufgaben machst.“
„Auch mein Tag hat nur vierundzwanzig Stunden und das sind entschieden zu wenig“, sagt sie lächelnd und checkt ihre Tasche, ob auch alles drin ist, was sie für den Tag braucht. Dabei murmelt sie leise: „Ich darf heute auf gar keinen Fall vergessen meine Pille zu holen.“
„Deine Pille?“, frage ich und gehe auf sie zu, mir immer noch des Umstands bewusst, dass ich nichts anhabe. Es fühlt sich etwas beklemmend an und verunsichert mich, was ich aber zu ignorieren versuche. Heute Morgen fühlt sich alles wie aus einem anderen Leben an.
„Ja, die letzte Packung ist leer. Ich hole sie mir auf dem Weg zur Arbeit“, sagt sie und lässt ihren Blick erneut über meinen Körper laufen.
Ich würde zu gerne wissen, was sie denkt.
„Pille wofür?“, frage ich und stelle mich dumm. Es ist ein Versuch, mich von meinen Gedanken abzulenken, die mir meine Unzulänglichkeit vor Augen halten wollen.
„Verhütung. Meinst du, ich kann einfach so mit dir ins Bett gehen, ohne zu verhüten? Du scheinst dir darüber wenig einen Kopf zu machen“, raunt sie und klingt etwas ungehalten.
„Stimmt, da denke ich wenig drüber nach. Bisher ist nichts passiert“, tue ich so, als wäre ich in dieser Hinsicht völlig gedankenlos. Und leider bin ich das auch manchmal, so wie bei Sandra am Samstag. Ich verdränge den Gedanken schnell.
„War klar! Deshalb kümmere ich mich darum. Bisher hat noch keiner von den Männern sich wirklich darum geschert“, knurrt sie.
Dieser Ausspruch verdient einen Arschvoll. Sie ist siebzehn und soll nicht so reden, als wenn sie eine Studie darüber ausgearbeitet hat und zu diesem Zweck hunderte von Probanden testete.
Ich lege meinen Finger unter ihr Kinn und zwinge sie mich anzusehen. Ihr Blick wirkt verdrossen und ich sage: „Ganz so ist es nicht. Ich nehme eigentlich immer Kondome. Aber ich wusste von Ellen, dass du die Pille nimmst. Nach der Geschichte, die Tim über dich und Marcel erzählt hat, wo Marcel glaubte, Vater zu werden, habe ich Ellen danach gefragt. Sonst hätte ich nicht mit dir ohne Kondom geschlafen, glaub mir“, lüge ich, ohne rot zu werden.
Fast sieht es so aus, als will sie mir das nicht abkaufen. Aber dann brummt sie beschwichtigend: „Ich glaube dir ja“, und fügt schneidend hinzu: „Du kannst nichts mit einer Beziehung anfangen. Was willst du dann mit einem Kind?“
„Stimmt“, sage ich und lasse ihr Kinn los. Dieses Thema sollten wir besser beenden. Es beginnt auszuarten und scheint sie gegen mich aufzubringen. Das will ich auf keinen Fall.
„Und … fertig mit deinen Hausaufgaben?“
Sie nickt und steht auf. „Kaffee?“, fragt sie.
„Nein“, antworte ich und meine Hand schließt sich um ihr Handgelenk. Sie wird von meinen seltsamen Empfindungen gelenkt, weil heute so viel anders ist, als es in meinem bisherigen Leben der Fall war.
„Ich mache uns ein Frühstück“, murmelt Carolin verunsichert.
„Nicht jetzt“, raune ich und versuche meine Gefühle zu durchschauen. In den letzten Minuten reichten sie von unbehaglich, weil ich mich ihr nackt präsentierte, bis gequält, weil ich mir meiner Unvollkommenheit völlig bewusst war, bis hin zu Verdruss, was unser Gespräch anging.
„Es ist noch zu früh, um schon loszufahren. Oder willst du schon gehen? Ich kann mit dem Bus zur Schule fahren“, erklärt sie schnell.
Ich schüttele den Kopf. Mich überkommt das ungute Gefühl, dass sie mir entgleiten wird. Und ich bin nicht bereit, das zuzulassen. „Wir fahren später zusammen. Ich möchte kein Frühstück und keinen Kaffee. Ich möchte nur einen Quicky.“
Etwas in mir will nicht, dass es endet. Sie gehört immer noch mir und in mir schleicht die Sehnsucht an die Oberfläche, sie erneut fühlen zu wollen. Ich möchte noch einmal austesten, ob sie wirklich beständig die Macht hat, mich in den Himmel zu befördern.
Sie ins Schlafzimmer zurückziehend, setze ich mich auf das Bett. „Komm!“, raune ich leise und ziehe sie mit mir auf die Matratze und auf mich. „Du oben.“
Sie versenkt ihren Blick in meinen und setzt sich auf meinen Bauch. Ich spüre ihre feuchte Hitze und es erregt mich so unglaublich, dass ich tief einatmen muss, um genug Luft zu bekommen.
Ihre Hände gleiten über meine Brust, streicheln mich sanft, während sie mich einfach nur ansieht. Meine Narben scheinen sie wirklich nicht abzustoßen und meine Muskeln liebt sie offensichtlich. Als sie mir ins Gesicht sieht, wird ihr Blick so weich und ihre Augen leuchten, dass ich spüre, dass sie wirklich mag, was sie sieht.
Das schickt erneut eine warme Welle durch mein Innerstes, wie in der letzten Nacht schon und gibt mir das Gefühl von Anerkennung und Zuneigung.
Ich lasse meine Hände über ihre Oberschenkel wandern und will sie überall berühren.
Sie beugt sich zu mir runter und beginnt ihre Lippen über meine Haut gleiten zu lassen, bis sie ihre Zunge zwischen meine Lippen schiebt. Dabei stützt sie sich auf meiner Brust ab und hebt etwas das Becken, um sich langsam auf mich zu schieben.
Ich umfasse ihre Hüfte und drücke sie ganz auf mich. Ich will sie bis zum Anschlag fühlen und ich will sie ausfüllen und sie fühlen lassen, was ich für sie empfinde.
Sie stöhnt auf und ihre Hände gleiten über meine Muskeln. Mit sachten Bewegungen schiebt sie sich immer wieder auf mich und beugt sich zu mir runter, um mich zu küssen oder setzt sich wieder auf, um ihre Hände über meine Brust und meinen Bauch gleiten zu lassen.
Auch meine Hände wandern über ihre weichen Formen und legen sich um ihre Hüfte, um sie aufrecht zu halten. Ich sehe ihr ins Gesicht und spüre eine sanfte Wärme, die mich in einen Strudel aus unglaublich tiefreichender Zuneigung reißt. Bei ihr erfüllt mich ein Gefühl, dass ich mich wie mit ihr verbunden fühle und als wenn hundert weiche Tücher um uns zwei gehüllt sind, die uns in einen Kokon aus Zusammengehörigkeit einschließen. Es ist unbeschreiblich.
Die Gefühle, die sie in mir auslöst, lassen mich Worte murmeln, als hätte ich ein Wahrheitsserum eingeflößt bekommen. „Es ist unglaublich … ich liebe es … oh, verdammt.“
Sie hebt ihre Hüfte mehr an und schiebt sich mit einer unbändigen Leidenschaft immer wieder auf mich, dass es sogar das ganze Bett erschüttert.
Ich spüre das Rauschen in meinen Ohren und dann schießt eine Hitze durch meinen Körper, ohne aufgehalten werden zu können. Ich bäume mich unter ihr auf, schnappt nach Luft, presse die Lippen zusammen, um nicht zu laut zu werden und ziehe sie auf mich, damit sie aufhört, mich mit diesem Gefühlschaos zu quälen, das mich in meinen Grundfesten erschüttert. Dabei schiebe ich meine Hand in ihren Nacken, ziehe sie auf mich und küsse sie. Mein Becken dränge ich ein letztes Mal ihr entgegen, bevor alle Spannung aus mir weicht und sie stöhnt ergeben auf. Sie sinkt auf mir zusammen und ich schlinge meine Arme um sie und drücke sie an mich. Es ist unglaublich. Bei ihr laufe ich fast Gefahr, zu schnell zu kommen. Aber es geht. Ohne Drogen und ohne stundelangen Einsatz, der eher einem Glückspiel gleichkommt, bei dem man zu neunzig Prozent verliert.
„Es funktioniert!“, kann ich nur fassungslos stammeln und möchte sie nie wieder loslassen.
Sie hat die Augen geschlossen und lässt sich ganz in meine Wärme sinken.
„Hey, nicht einschlafen“, murmele ich leise und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
Sie dreht den Kopf und schaut auf den Radiowecker. Es ist sieben. „Owee, schon so spät. Verdammt!“ Sie springt fast von mir runter und ich möchte sie am liebsten wieder an mich ziehen. „Ich fahre dich doch. Also reicht es, wenn wir hier in zwanzig Minuten starten. Also keine Panik.“
Sie küsst meine Narben auf der Brust und steigt trotzdem eilig aus dem Bett, zieht sich schnell an und geht, ohne mich noch einmal anzusehen.
Ich folge ihr langsam. Mein Kreislauf macht etwas Probleme und mein Mund ist trocken. Ich ziehe mich an. Meine Hände zittern und ich frage mich, ob meine Nerven mir plötzlich einen Streich spielen.
Carolin erscheint in der Tür und sieht mir zu, wie ich mir meine Hose und mein T-Shirt überstreife. Ich hoffe, sie bemerkt nichts von meinen kränklichen Anwandlungen, die mich auf einmal anfallen.
Sie hat einen Blick drauf, als wolle sie mich am liebsten gleich noch mal ins Bett zerren und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es tut gut zu wissen, dass sie mich nicht mehr zurückweist und mich offensichtlich so begehrt, wie ich sie.
Schnell tickere ich im Badezimmer eine SMS an Daniel in mein Handy, dass er Ellen zur Schule bringen soll, bevor ich mich wasche und mir mit ihrer Zahnbürste die Zähne putze.
Als ich aus dem Badezimmer komme, hat sie zwei Coladosen und einige Knoppers in der Hand. Sie ist auf alles vorbereitet.
Ich irgendwie weniger. Irgendetwas setzt meinem Körper zu und ich frage mich, ob ich mir etwas eingefangen habe. Dazu packt mich eine innerliche Unruhe, die nur etwas gemildert wird, wenn ich Carolin ansehe und mir vor Augen halte, dass sie die letzte Nacht ganz mir gehörte … und nur mir.
„Alles in Ordnung?“, fragt sie und wirkt verunsichert. Merkt sie, dass mit mir etwas nicht stimmt?
„Ja“, antworte ich und ziehe sie in meine Arme. Um ihr und mir eine Begründung für meinen etwas maroden Zustand zu geben, raune ich: „Es verwirrt mich alles ein wenig … mit dir.“
„Du verwirrst mich auch“, antwortet sie und ihr Blick ist unergründlich. Ich wüsste schon gerne, was sie denkt, aber sie verschließt sich mir und fügt hinzu: „Es war schön, aber es verpflichtet keinen zu etwas, okay?“
Ist das nicht eigentlich ein Spruch, der Männern vorbehalten ist? Und warum sagt sie das?
Mir kommt erneut der Gedanke, dass sie wirklich ein Racheengel sein muss, von all den Frauen auf mich gehetzt.
Ich ziehe verunsichert meine Arme von ihrem Körper und murmele: „Komm, wir müssen los.“
Sie greift nach ihrer Schultasche, löscht überall das Licht und geht durch die Tür, die ich ihr aufhalte. Ich schließe hinter uns ab und folge ihr die Treppe hinunter zur Haustür. Sie öffnet sie ohne Probleme und murmelt: „Wir haben vergessen abzuschließen.“
Ich kann über ihren verdatterten Gesichtsausdruck nur lachen. „Hätte dich heute Nacht jemand klauen wollen, hätte er schlechte Karten gehabt. Aber das sollte dir nicht passieren, wenn du hier alleine bist.“
„Du hattest gestern den Schlüsseldienst übernommen“, sagt sie und grinst mich frech an.
„Stimmt! Und ich fühle mich auf ganzer Linie schuldig. Das nächste Mal achte ich darauf.“
Ich verschließe die Haustür hinter uns und werfe ihr den Schlüssel zu, den sie gekonnt auffängt.
Wir steigen in den Mustang und ich lasse den Motor aufdröhnen.
Sie sieht mich an, dann aus den Fenstern des Mustangs zu den Nachbarhäusern. Aber sie sagt kein Wort. Ihr Gesichtsausdruck sagt aber genug und ich grinse unverschämt. „Oje, habe ich alle Nachbarn geweckt? Das tut mir jetzt aber leid.“ Die werden ihrem Nachbarn einiges zu berichten haben, wenn er von seiner Musicaltour wieder da ist.
„Scheißkerl!“, knurrt Carolin kaum hörbar.
Ich muss lachen. „Ups …!“
Ihr Handy klingelt, während ich den Mustang durch den kleinen Ort lenke. Sie sieht mich herausfordernd an. Mit einem bösen Funkeln in den Augen nimmt sie ihr Handy und säuselt, ohne zu schauen, wer das ist: „Guten Morgen!“
Ich frage mich, wer sie um diese Zeit anruft. Ellen?
„Es ist Freitag und das Wochenende steht vor der Tür“, antwortet sie auf eine Frage.
„Läuft Prima. Ich bin so froh, dass ich ihn habe. Heute werde ich dann hören, wie es mit den Arbeitszeiten und Tagen so weitergeht. Diese Woche war schon etwas heftig … so jeden Tag“, sagt sie wieder und sieht aus dem Seitenfenster. Scheinbar hat sie mich vergessen.
„Ja, alles bestens. Das klappt alles super.“
Ich will wissen, wer ihr früh morgens schon diese Antworten aus dem Bauch leiert.
Die Stimmung schwenkt um und sie wirkt etwas verunsichert. Sie scheint auch eine Nuance blasser zu werden.
„Okay, mache ich.“
Das klingt weniger nach guter Laune, Spiel, Spaß und Spannung. Wer zum Teufel ist das?
Auf der Schnellstraße schleicht einer in seinem blauen Bauernopel vor mir her und ich drücke auf die Hupe, weil er gefälligst die linke Fahrbahn freimachen soll.
Carolin fährt erschrocken zusammen und ich werfe ihr einen düsteren Blick zu.
„Tim, ich muss Schluss machen. Wir sprechen uns die Tage noch mal“, sagt sie schnell.
Tim? Der Mistkerl ruft sie morgens schon an? Ich fasse es nicht.
„Okay, bis dann“, verabschiedet sie sich, aber Tim scheint nicht auflegen zu wollen. Sie hat ihr Handy immer noch am Ohr und ihr Gesicht nimmt einen verdrossenen Ausdruck an, als sie raunt: „Nein, vergesse ich nicht. Tschau und einen schönen Tag noch.“
Endlich scheint das Gespräch wirklich beendet zu sein und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
„Tim?“, frage ich und sehe stur auf die Straße vor uns.
„Ja.“
„Warum ruft der dich an? Kontrollanruf, ob du auch mit keinem die Nacht verbracht hast“, knurre ich aufgebracht.
„Blödsinn! Das kann er so doch wohl kaum feststellen, oder? Außer er merkt, dass ich nicht im Bus sitze“, murmelt sie.
„Mir ist egal, ob er weiß, dass ich bei dir gepennt habe“, brumme ich und weiß, dass nächste Mal wird er das auf alle Fälle mitbekommen, sollte sich noch einmal so eine Situation ergeben. Dann halte ich am Straßenrand an und werde sie vernaschen, während er mit ihr versucht zu telefonieren. Das soll dann wohl reichen.
„Ist mir klar. Aber mir ist das nicht egal! Ich habe ihm das versprochen“, sagt sie und wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.
„So ein Schwachsinn!“, zische ich wütend.
„Wie würdest du es finden, wenn du mir dein Schlafzimmer überlässt und ich würde jemanden mit in dein Bett nehmen?“, fragt sie mich doch tatsächlich.
Ich starre sie an. „Dann würde es Tote geben.“
„Eben“, antwortet sie, als wäre das vollkommen klar.
Wir fahren auf Osnabrück zu und sie sagt: „Kannst du mich bitte an der Bushaltstelle rauslassen?“
„Warum? Ich lasse dich vor der Schule raus“, brumme ich und habe mich immer noch nicht ganz von Tim und seinem Anruf erholt.
„Nein, bitte! Ellen wartet bestimmt an der Haltestelle.“ Sie klingt, als würde Ellen sie verprügeln, wenn sie nicht dort aussteigt.
Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu und raune: „Daniel bringt sie heute hin. Ich habe ihm heute Morgen eine SMS geschickt. Ich lasse dich bei der Schule raus.“
Ihr Gesichtsausdruck wird panisch und mir wird klar, es geht nicht nur um Ellen. Es geht darum, dass ich sie morgens an der Schule absetze und dass das jemand mitbekommen könnte. „Vergiss es! Keine Diskussion deswegen“, sage ich unerbittlich. Mir sollte das eher etwas ausmachen als ihr.
Wir halten vor der Schule und sie raunt: „Danke! Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“ Ein schneller, verunsicherter Blick und sie greift nach der Türklinke und will aussteigen.
„Moment, was wird das?“, knurre ich ungehalten. Sie will sich jetzt einfach so davonstehlen, der kleine Rachefalter.
„Ich will aussteigen“, sagt sie kleinlaut und sieht mich an, als würde da draußen ein Säbelzahntiger auf sie lauern … oder hier drinnen im Auto.
„So, und was ist mit der Bezahlung?“, murmele ich.
„Erik, ich schwöre dir, ich fahre nie wieder mit dir mit, wenn du damit nicht aufhörst“, blafft sie mich missmutig an, steigt aus und knallt die Tür zu.
Poor, so nicht!
Ich steige auch aus und nutze die Zeit, die sie braucht, um den Mustang zu umrunden.
In dem Moment kommt der grüne BMW und parkt hinter uns.
Ellen springt beschwingt aus dem Wagen, uns ein aufgedrehtes: „Guten Morgen!“, zurufend. Sie läuft zu Daniels Fenster und küsst ihn. „Tschüss, mein Schatz.“
So geht das, denke ich und sehe Carolin an, die langsam um den Wagen herumschleicht, als müsse sie noch überlegen, wie sie an dem Säbelzahntiger vorbeikommen soll. Ihre Hand hat sie schon in Abwehrhaltung erhoben und ihr Blick läuft beunruhigt zum Schulhof hin.
Ich sehe sie fassungslos an und als sie auf meiner Höhe ist, packe ich ihr Handgelenk und ziehe sie vor meine Füße. „Ist dir das wieder peinlich? Warum? Vergiss die Bezahlung. Wir haben die Nacht zusammen verbracht, da wird doch wohl ein angemessener Abschied drin sein“, zische ich ungehalten.
Sie schiebt die Tasche zwischen uns, als ich sie an mich ziehen und sie küssen will. Das macht mich wütend. „Warum tust du das? Bin ich dir so peinlich?“
Sie wirft Ellen einen hilfesuchenden Blick zu, der mich noch mehr in Rage versetzt. Als sie mich wieder ansieht, schüttelt sie den Kopf.
„Warum tust du das dann?“, frage ich, nicht gerade leise. Mir ist egal, was die anderen denken.
Leise und verunsichert murmelt sie: „Weil ich nicht weiß, mit wie vielen von denen du schon im Bett warst.“ Sie nickt zum Schulhof hin.
Ich sehe auch zum Schulhof und bin etwas irritiert über ihre Gedankengänge. „Ach, darum geht es dir.“
„Ich will nicht, dass ich in der Pause von einer Meute deiner Extussen gelyncht werde“, raunt sie etwas bissig.
So ist das also? Nah Danke. Ich nicke verstehend und drehe mich um. Mit zwei Schritten bin ich an der Autotür, reiße sie auf und steige ein. Ich bin wütend und kann ihre Ansichten nicht nachvollziehen. Was kümmern sie die anderen Weiber? Die müssen sie überhaupt nicht kümmern.
Als ich einen Blick zurückwerfe, sieht sie mich aufgebracht und traurig an, dreht sich um und geht.
Der Motor des Mustangs brummt auf und das Gefühl, das ihr Blick in mir auslöst, kommt irgendwo bei mir an, wo es ziemlich hohe Wellen schlägt.
Ich stelle den Motor wieder ab und springe aus dem Auto. So geht das nicht, wenn ich den Tag überstehen will.
Ich höre Ellen entsetzt rufen: „Erik, nicht!“
Carolin dreht sich erschrocken um und ich baue mich vor ihr auf. Meine Hände umfassen ihre Schultern und ich sehe ihr wütend in ihre weit aufgerissenen Augen. „Was meinst du eigentlich? Dass ich die halbe Stadt durchhabe, oder was? Mag sein, dass es die eine oder andere hier gibt. Aber glaub mir, die haben keine Bedeutung und wissen das auch“, fauche ich aufgebracht und reiße ihre Tasche aus ihren Armen. Ich lasse sie poltern zu unseren Füßen auf die Pflastersteine des Schulhofes krachen. Dann lege ich meine Hände um ihr Gesicht und küsse sie, keine Widerrede duldend.
Ihre Hände krallen sich in mein T-Shirt und sie erwidert den Kuss, was mein wütendes Herz etwas beruhigt.
Als ich es endlich schaffe, mich von ihren Lippen zu lösen, sehe ich ihr in die Augen und murmele: „Kapiert?“
Sie nickt nur und ich raune: „Gut, ich rufe dich an.“
„Ist gut“, sagt sie nur und ich drehe mich um, nicke Ellen zu, die neben uns auftaucht und gehe zu meinem Mustang. Ich steige ein und starte den Motor. Jetzt geht es mir besser.
Als ich den Wagen zur Hauptstraße lenke, sehe ich im Rückspiegel den grünen BMW direkt hinter mir.
Daniel fragt nicht viel, als wir beim Haupteingang der Uni aufeinandertreffen, außer: „Und, alles okay?“
Ich antworte nicht viel, nur: „Alles bestens.“
Um es auch wirklich so werden zu lassen, habe ich im Auto eine kleine Dosis Speed gezogen, die mein unruhiges Inneres wieder ins Gleichgewicht gebracht hat. Aber mir ist klar, ich muss langsam vorsichtiger werden. Es geht mir mittlerweile schlecht, wenn ich nichts nehme und es fühlt sich wie ein kleiner Entzug an. Die Pillen helfen auch. Aber ich kann nicht immer nur stoned sein, das ist mir natürlich klar. Aber so komme ich gut durch den Tag und am späten Nachmittag machen Daniel und ich eine Liefertour nach Rheine.
Daniel fährt meinen Mustang wieder zurück und ich lehne mich tief in den Sitz und denke über Carolin nach. Dass Tim sie heute Morgen anrief, macht mich wütend. Was er ihr wohl ins Ohr gezwitschert hat? Ich kann mir sowieso beim besten Willen nicht denken, was er am frühen Morgen schon von ihr will. Sie war auf einmal wie ausgewechselt gewesen und hatte gesagt, „Okay, mache ich.“ Was soll sie machen? Was will er von ihr?
Ich nehme mein Handy und schreibe Tim eine SMS: „Schreib mir, wenn ich dich anrufen kann. Es ist wichtig. Erik.
Daniel sieht mich kurz an und ich erkläre: „Tim hat heute Morgen Carolin schon um viertel nach sieben angerufen.“
„Das tut der öfters, hat Ellen gesagt“, meint Daniel nur und ich starre ihn verdrossen an. Warum erfahre ich das als letzter?
„Was will der von ihr? Hat Ellen darüber auch etwas gesagt?“, brumme ich.
„Wohl nur fragen, wie es ihr geht und ihr von seiner Tour erzählen.“
Mein Handy klingelt und ich sehe, dass es Tim ist. In mir sträubt sich alles dagegen, mit dem Kerl zu reden. Dennoch nehme ich schnell ab und brumme ein: „Ja!“
Tim denkt natürlich, dass wieder etwas mit Carolin ist. Ich beruhige ihn, dass es ihr gut geht, ich aber nicht verstehen kann, warum er sie ständig anruft.
„Warum ich sie anrufe?“, fragt Tim etwas verständnislos. „Sie ist meine Freundin und ich rede halt gerne mit ihr. Sie erzählt mir alles und ich ihr.“
Hätte er wohl gerne.
„Mann Tim, ist dir mal in den Sinn gekommen, dass sie das auch nerven könnte?“
Er scheint von meinen Worten erschrocken zu sein und brummt aufgebracht: „Wenn es so wäre, würde sie es mir sagen. Das tut sie aber nicht. Und außerdem kann dir das doch völlig egal sein.“
Ist es mir aber nicht und ich knurre: „Meinst du, bloß weil du sie in deine Wohnung verfrachtet hast, steht sie dir jetzt für immer zur Verfügung und wartet auf dich?“
Tim scheint nun wirklich wütend zu werden. „Sag mal, was geht dich das eigentlich alles an? Sie ist meine Freundin und es war für mich selbstverständlich, ihr meine Wohnung zu überlassen. Sie braucht dafür nichts zu tun.“
Ich muss die Wut runterschlucken, die mir Worte wie: Nur mit dir ins Bett gehen - zurechtlegt, um sie ihm entgegen zu spucken. Aber ich sage nichts. Ich frage ihn nur, wann er das nächste Mal hier aufkreuzen will und bemühe mich um einen einigermaßen netten Ton.
Daniel wirft mir einen schnellen Blick zu.
„Übernächste Woche bin ich verlässlich in der Stadt. Aber ich weiß nicht, ob ich so lange warten will. Vielleicht kann ich mich früher schon loseisen“, sagt Tim und sein Ärger wandelt sich in Vorfreude.
Ob er so lange warten will? Auf was? Ich könnte diesen säuselnden Schnösel durch den Hörer ziehen.
„Alles klar. Und wo willst du pennen?“
„In meiner Wohnung natürlich. Warum, liegt etwas an? Wieder ein Geburtstag?“
Als wenn wir ihn auf alle unsere Geburtstage einladen würden.
„Ne, passt schon. Wir hören ja, wenn du da bist.“
„Bestimmt! Von Carolin!“ Ich höre sein süffisantes Grinsen sogar in seiner Stimme mitschwingen.
„Bis dann.“ Ich lege schnell auf und könnte kotzen.
Daniel sagt nichts und ich sehe aus dem Seitenfenster. Der Typ kann jederzeit hier auftauchen und dann wird er zu Carolin ins Bett kriechen. Und wenn sie nicht will, dann wird er sagen, dass alles nur Bezahlung ist. Ist sie deshalb immer so wütend, wenn ich ihr mit der Bezahlungsnummer komme? Mir wird wirklich übel.
Es ist schon nach 21 Uhr, als wir bei Daniel zu Hause ankommen und beschließen, ein Abschlussbier zu trinken.
Ellen sieht uns vom Sofa her verschlafen entgegen und schiebt sich schwerfällig hoch, um Daniel mit einem Kuss zu begrüßen.
Mir wird klar, dass sie einen Schlüssel zu Daniels Wohnung haben muss, wenn sie immer schon da ist, wenn wir kommen. Im Fernseher läuft irgend so ein Schnulzenfilm.
Wir gehen in die Küche und setzen uns an den Küchentisch. Daniel stellt uns ein Bier hin und ich greife nach meinen Zigaretten, als Ellen dazukommt und schnippisch zischt: „Und, alles klar bei dir?“
„Ja, wieso?“, frage ich sie verunsichert, weil sie mich so blöde anquatscht.
„Schön für dich. Leider geht es nicht jedem so“, meint sie nur mürrisch und zündet sich eine ihrer eigenen Zigarette an, ohne darauf zu warten, dass ich ihr eine anbiete.
Ich sehe Daniel an, der Ellen einen besorgten Blick zuwirft. Sie will doch jetzt nicht wieder einen Streit vom Zaun brechen, scheint der zu sagen.
„Was meinst du?“, frage ich und kann mir beim besten Willen keinen Reim auf ihr Gequatsche machen.
„Du hast Carolin heute ganz schön vorgeführt“, murmelt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Bier. Da ich sie nur verständnislos anstarre, erklärt sie: „Die Aktion heute Morgen … Das ging rum wie ein Lauffeuer. Du weißt doch, was du für einen Ruf hast und Carolin hat heute die volle Breitseite abgekriegt.“
„Was ist passiert?“, frage ich und mir wird sofort klar, wie das ausgesehen haben kann.
„Naja, ungefähr die gefühlte Hälfte der Schule wollte persönlich von Carolin wissen, ob sie mit dem, wie war das?" Ellen macht ein gehässiges Gesicht. „Junkie, Dealer, Schläger, Draufgänger, Frauenheld, Irren und Knastbruder … zusammen ist. All ihr Dementi ließ die Gerüchteküche nur noch höher brodeln. Sie war so außer sich und so wütend, ich konnte sie kaum mehr beruhigen.“
Es ist schlimmer, als ich dachte. Natürlich hätte ich daran denken müssen und ich hätte vielleicht einmal auf Carolins Intuition hören sollen. Nun ist es zu spät. Verdammt!
„Was hat sie gesagt?“, frage ich beunruhigt.
Ellen lacht spöttisch. „Das kann ich alles gar nicht wiedergeben. Aber glaub mir, die macht aus dir Kleinholz, wenn sie dich in die Finger bekommt. Und ich kann nur hoffen, dass sie nicht den Wohnort und die Schule wechseln will.“
So schlimm also.
„Was kann ich tun?“ Ich sehe Ellen hilfesuchend an und ihr Blick wird sanfter. Sie sieht zu Daniel, als könne sie nicht fassen, dass ich sie um Hilfe bitte … und dass wegen einem Mädel.
„Keine Ahnung, Erik“, sagt sie nur resigniert. „Bei euch kann man keine normalen Ratschläge geben. Das, was ihr da treibt, gleicht eher einem Krieg, statt einer Beziehung mit Herz.“
Was soll ich darauf antworten? Mir fällt nur eins ein. „Wir haben keine Beziehung!“
„Ne, ich weiß. Das sagt Carolin auch mindestens fünfmal am Tag. Ihr seid beide so durchgeknallt! Vielleicht solltet ihr aber eine führen, um euch mal etwas den Normalsterblichen anzupassen. Carolin ist absolut beziehungsfähig. Nicht so wie du. Sie hat dich nicht nötig. Ich gebe ihr zwei Wochen und sie ist wieder weg vom Markt.“
Ich sehe meine Schwester böse an. Was will sie? Ich weiß, dass Carolin, trotz männerfreier Zone, kein Problem haben wird, sich wieder in die nächste kopflose Beziehung zu stürzen. Aber ich habe nicht vor, das so einfach zuzulassen.
Kurz nach 23 Uhr verabschiede ich mich von den beiden, weil ich mich noch ein wenig ins Nachtleben stürzen will. Ich fahre zum Hyde Park und treffe prompt auf Sandra, die sich gleich wieder an mich hängt.
„Du hast dich gar nicht mehr bei mir gemeldet“, schimpft sie. „Ich bin seitdem jeden Tag hier und warte darauf, dich endlich zu treffen.“ Dabei hängt sie sich an meinen Hals und versucht mich zu küssen.
Ich will das nicht und schubse sie energisch von mir weg. Wütend fauche ich: „Spinnst du? Ich sagte dir doch, dass ich mit dir durch bin. Also lass mich in Ruhe.“
Sandras Blick reicht von erschüttert bis wütend.
Ich lasse sie stehen und gehe. Auf so eine aufdringliche Kuh habe ich gar keinen Bock.
Ich steige unschlüssig in meinen Mustang. Der scheint nicht so unschlüssig zu sein, wohin er ausreiten will. Keine zehn Minuten später fahre ich durch Alfhausen.
Ist es klug, Carolin unter die Augen zu treten?
In ihrem Schlafzimmer brennt Licht. Der Rest der Wohnung ist unbeleuchtet.
Ich beschließe, eine Zigarette zu rauchen, bevor ich bei ihr klingele. Das gibt mir Zeit nachzudenken. Was will ich hier überhaupt und was will ich von Carolin?
Die Antwort ist einfach. Ich möchte, dass sie mir das von heute verzeiht und dass sie mich noch einmal probieren lässt, wie es sich anfühlt, neben ihr aufzuwachen. Und ich fühle wieder diese seichte Sehnsucht, wenn ich an sie denke. Schon komisch.
Es ist kurz vor zwölf, als ich mich endlich entschließe, bei ihr zu klingeln. Das Licht im Schlafzimmer brennt immer noch. Was macht sie da?
Und dann packt mich eine Unruhe. Was ist, wenn sie nicht allein ist?
Ich bin mit zwei Schritten an der Tür und drücke auf den Klingelknopf. Das Warten macht mich noch nervöser. Sie macht nicht auf.
Ich klingele erneut, diesmal länger und warte wieder.
Als sich immer noch nichts tut, greife ich nach meinem Handy und rufe sie an. Es klingelt und klingelt, bis ich sie endlich ins Handy hauchen höre: „Ja!“
„Bist du zu Hause?“, frage ich ohne Umschweife.
„Ja, bin ich“, sagt sie.
„Machst du mir bitte auf? Ich muss mit dir reden.“
Ich erwarte, dass sie mich zum Teufel jagt. Aber sie sagt nur: „Ja, ich komme.“
Kurz darauf geht die Haustür auf und Carolin steht in der Tür, das Telefon immer noch am Ohr.
„Du kannst das Handy jetzt runternehmen“, raune ich, von ihrem Anblick getroffen, wie von dem Pistolenschuss des Junkies, der mich anschoss.
Sie scheint völlig neben der Spur zu sein. Ihre Haare sind struwwelig und sie hat einen Schlafanzug aus Shirt und Short bestehend an, der sie aussehen lässt wie eine Zwölfjährige. Er ist geblümt und hat überall Rüschenansätze. Aber er bringt ihre Figur in einer Art zu Geltung, dass ich kaum meine Finger von ihr lassen kann, als sie die Treppe vor mir hochgeht.
„Schlüssel?“, frage ich und sie dreht sich zu mir um.
„Ich will hier eben abschließen“, erklärte ich, weil sie mich ansieht, als frage ich nach einer Suppenschüssel.
„Ich schließe nachher zu, wenn du gehst“, antwortet sie nur und geht weiter.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr erst mal nach oben zu folgen. Aber meinen ersten Dämpfer muss ich schon mal wegstecken.
Ich finde sie im Schlafzimmer, wo sie sich wieder unter ihre Decke kuschelt.
„Hast du schon geschlafen?“, frage ich verwirrt.
„Ja, tief und fest“, knurrt sie.
Ich setze mich auf die Bettkante und weiß gar nicht, wie ich beginnen soll. Endlich raune ich: „Ellen hat mir gesagt, was heute in der Schule los war. Es tut mir leid. Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, dass es kein gutes Bild auf dich wirft, wenn man denkt, du wärst mit mir zusammen.“ Dabei sehe ich sie nicht an.
„Deswegen kommst du hier rausgefahren? Mitten in der Nacht!“, fragt sie ungläubig und setzt sich auf.
Ich nicke.
„Schon zu spät. Auch wenn ich allen erklärt habe, dass wir nicht zusammen sind, scheint mein Ruf ruiniert zu sein“, sagt sie und ich sehe auf. Irgendetwas an ihrer Stimme macht mich stutzig. Sie klingt gar nicht wütend. Aber ihr Blick sagt etwas anderes.
Ich nicke wieder nur und sehe auf meine Hände.
„Ach Quatsch!“, höre ich sie ausrufen und sie schält sich aus ihrer Decke und krabbelt zu mir, um ihre Arme von hinten um mich zu schlingen. Sie versichert mir leise, aber eindringlich: „Die sind mir doch alle egal. Mach dir darüber keine Gedanken. Mein Ruf geht mir echt am Arsch vorbei.“
Sie überrascht mich völlig. Nie macht sie, was ich denke oder womit ich rechne.
Ich drehe mich zu ihr um, lege aber meine Hände auf ihre Arme, damit sie sie nicht wegziehen kann. Es beruhigt mich so ungemein, dass sie sie dort platzierte.
„Echt? Ellen sagte, du bist total wütend“, sage ich immer noch verunsichert.
„War ich auch. Es war nicht schön, von so vielen angesprochen zu werden. Die meisten kannte ich nicht mal. Und die haben nicht gerade nett von dir gesprochen. Und klar, war ich erst ziemlich böse auf dich und diese ganze Situation. Aber jetzt ist mir das egal. Dafür musstest du nicht extra herkommen“, antwortet sie.
Dass sie das nun so abtut, lässt mich erwidern: „Bin ich auch nicht. Es gibt noch einen anderen Grund.“
Sie versucht die Arme wegzuziehen. Wahrscheinlich, um mich ansehen zu können. Aber mir ist lieber, ich sehe ihr nicht in die Augen, bei dem, was ich jetzt sagen will.
„Es ist in den letzten Jahren noch nie vorgekommen, dass ich morgens neben jemandem aufgewacht bin. Ich bin zwar nicht direkt neben dir aufgewacht, weil du ja schon um fünf aufgestanden bist, aber du warst noch da und ich konnte deine Anwesenheit noch ein bisschen genießen. Ich wäre aber lieber neben dir aufgewacht. Nur mal so zur Probe. Und ich dachte …“
Ich schlucke schwer und sie verharrt hinter mir, wie erstarrt.
„Ich möchte heute Nacht noch einmal bei dir bleiben. Bitte! Und morgen mit dir zusammen frühstücken“, drängt es mich zu fordern. Zumindest hatte ich ein „Bitte“ eingeworfen.
Ich rechne damit, dass sie mich jetzt hinauswirft. Aber sie raunt: „Okay, dann fahr bitte dein Auto in die Garage und schließ die Haustür zu.“
Ich lasse ihre Arme los und sie lässt sich hinter mir in den Schneidersitz fallen. Ich starre sie nur an. Ist das Ganze wirklich so leicht? Was hatte ich mir für unnötige Gedanken gemacht.
„Oder habe ich etwas falsch verstanden?“, fragt sie verunsichert.
Ich stehe auf. „Nein, bestimmt nicht. Wo ist der Schlüssel?“
„Er liegt auf dem Küchenschrank … glaube ich“, antwortet sie und scheint auch etwas irritiert über den Ausgang unseres Gespräches zu sein.
Ich hole mir den Schlüssel, verlasse die Wohnung und trete durch die Haustür ins Freie. Durch eine kleine Seitentür betrete ich die leere Garage. Ich finde einen Knopf neben der Garagentür und lasse das Tor aufgleiten. Mein Mustang sieht mich an.
Ich steige ein und fahre ihn in den engen Raum. Ich muss bis ganz nach vorne fahren, sonst bekomme ich das Tor nicht wieder zu. Dafür brauche ich zwei Anläufe, bis er richtig steht. Die Nachbarn werden sich bedanken.
Ich werfe einen Blick auf die umliegenden Häuser und frage mich, ob jemand hinter den Gardinen steht, um zu schauen, was ich hier schon wieder will. Ins Haus zurückkehrend, schließe ich diesmal ab und auch die Wohnungstür oben.
Carolin liegt wieder unter ihre Decke gekuschelt und zappt durch die Fernsehprogramme. Auf dem Nachtschrank stehen zwei Gläser Orangensaft. Sie sieht mich kurz an, widmet sich dann aber wieder dem Fernseher.
Ich ziehe mich langsam aus, was sie aber nicht mit einem Blick würdigt. Darum lasse ich meine Boxershort an.
Vorsichtig steige ich zu ihr ins Bett, dränge mich an sie, meinen Arm unter ihren Nacken schiebend und küsse sie auf das Stück Schulter, dass von dem verrutschten Rüschenshirt freigelassen wird.
„Ich habe das Auto so leise wie möglich in die Garage gefahren“, raune ich.
„Geht das?“, fragt sie.
„Nicht wirklich. Du wirst wohl nicht darum herumkommen, Tim Rede und Antwort stehen zu müssen. Schon als ich kam, gingen in der Nachbarschaft einige Lichter wieder an“, versuche ich zu spaßen.
Sie legt sich auf den Rücken und sieht mich an, während ihre Hand wie selbstverständlich in meine Haare fährt.
„Ich werde nicht hierbleiben. Morgen hole ich mir die Zeitung und suche mir ein Zimmer in Osnabrück. Vielleicht in einer WG“, sagt sie.
In meinem Kopf überschlagen sich augenblicklich die Gedanken. Was ist das heute nur für ein Tag?
„Warum nimmst du mein Angebot nicht an? Ich habe eine Wohnung für dich“, sage ich, nachdem ich erst mal den Frosch hinunterschlucken musste, der sich so mühevoll hochgekämpft hatte.
„Weil ich unabhängig bleiben will. Ich bin von Marcels Wohnung in Tims gelandet und möchte nicht von hier in deiner Wohnung landen“, sagt sie und zerstört augenblicklich mein Luftschloss.
„Das ist nicht meine Wohnung. Du bekommst ganz alleine den Schlüssel dafür und du kannst so viele Männer mitnehmen, wie du willst“, antworte ich ihr grimmig, weil ich das natürlich nicht wirklich so meine.
„Echt?“ Sie lacht auf und ihre Augen funkeln belustigt.
„Nein, nicht wirklich. Aber du könntest es. Dass du das nicht darfst, liegt woanders dran. Wenn es nach mir geht, darfst du das in keiner Wohnung“, gebe ich ihr zu verstehen.
„Ach so? Warum das denn nicht?“, fragt sie entrüstet.
Wäre da nicht das leichte Schmunzeln in ihren Mundwinkeln, dann würde ich mich jetzt genötigt sehen, sie übers Knie zu legen.
„Weil es dann Tote gibt“, antworte ich ernst.
Auch sie wird ernst. „Okay. Ich habe das auch nicht vor. Aber ich möchte morgen erst mal in die Zeitung schauen.“
„Mach das. Aber das Angebot bleibt bestehen. Und wenn Tim hier übernächste Woche aufkreuzt, wirst du nicht hier schlafen. Dass das klar ist!“, knurre ich.
Sie sieht mich verdutzt an und ihre Hand verharrt sogar in meinen Haaren. „Woher willst du wissen, wann er kommt?“, murmelt sie verwirrt.
„Ich habe ihm heute eine SMS geschrieben und er hat mich angerufen.“
„Ihr schreibt euch und telefoniert zusammen?“, fragt sie völlig baff.
„Wie ihr auch jeden Tag.“
Sie wirkt verunsichert. „Hat er das gesagt?“
„Das und vieles mehr.“ Das stimmt nicht. Aber ich möchte sie bezüglich Tim wirklich verunsichern und sie etwas gegen ihn aufbringen.
„Warum hast du ihm geschrieben?“ Sie sieht mich fassungslos an.
„Weil ich mit ihm sprechen wollte.“
„Worüber?“
„Ich wollte wissen, wann er hier wieder aufkreuzen will. Das muss ich wissen, damit du dann nicht hier bist. Und ich bin nicht davon ausgegangen, dass du mir das ehrlich sagen wirst.“
Ich rechne damit, dass sie wütend wird, weil ich so offensichtlich in ihrem Leben herumfusche. Aber weit gefehlt.
„Hätte ich auch nicht. Aber ich wäre trotzdem nicht hiergeblieben.“
„Nicht?“, raune ich ungläubig.
„Nein! Tim ist mir wirklich ein guter Freund. Aber ich bin monogam. Das habe ich dir schon mal gesagt“, meint sie mit einem Augenaufschlag, der sogar Steine erweicht.
„Stimmt. Aber ich habe etwas Schwierigkeiten das zu glauben, wie du dir denken kannst. Und du hast mir erklärt, dass dieses Monogam sich darauf bezieht, dass du in einer Beziehung lebst. Und da bin ich mir nicht sicher, wie du das jetzt hältst“, brumme ich.
„Eine gefühlte Beziehung reicht mir, um monogam zu sein“, säusele sie und grinst frech.
Ich muss auch schmunzeln. „Eine „gefühlte“ Beziehung? Ist das sowas wie die gefühlten Temperaturen im Winter?“
„Ja, genau. Nicht wirklich …, sondern gefühlt.“
Sie überrascht mich. Also will sie tatsächlich treu sein. Für mich!
„Okay“, kann ich nur antworten und lege mich hin, meinen Kopf auf ihre Schulter bettend. Ich will ihr nahe sein.
Meinen Arm schiebe ich seufzend über ihren Bauch und ich rutsche mit meiner Wange etwas tiefer zu ihrer Brust.
Sie legt ihre Hand wieder in meine Haare und krault durch meine Locken.
So liegen wir einfach nur da, als der Fernseher ausgeht. Ich beachte das nicht weiter und genieße ihre Nähe, mich etwas dichter an ihren warmen Körper schiebend. Das Ganze beruhigt mich ungemein und ich schließe die Augen. Auch eine Art, mein Innerstes zu beruhigen und mich wieder schlafen zu lassen. Ich bin überrascht darüber und genieße die innerliche Ruhe, die sich in mir ausbreitet.
Ich werde wach und der helle Tag strahlt durch das Fenster in den kleinen Raum. Carolin schläft tief unter ihre Decke verkrochen.
Mir ist schrecklich warm und ich schiebe mich vorsichtig ein wenig von ihr weg.
Es geht mir nicht gut.
Ich versuche zu analysieren, was es ist. Liegt es daran, dass ich noch hier bin? Will ich nicht neben ihr aufwachen? Habe ich genug von so viel Nähe?
Nein, ein Blick zu ihr hinüber und ich möchte wieder dicht an sie heranrutschen und die Ruhe und Geborgenheit genießen, die ich letzte Nacht bei ihr erfahren durfte. Trotz dem Stress, den andere ihr machten, weil ich sie zur Schule gebracht hatte und küsste, trotz, dass ich Tim ausgehorcht hatte und ihr klar in ihr Liebesleben fusche, ist sie nicht böse auf mich und hält zu mir … und sie will sogar monogam sein, obwohl wir keine Beziehung führen.
Das Ganze nimmt Ausmaße an, die ich nicht mehr einschätzen kann. Aber ich weiß, ich will das noch nicht beenden.
Was setzt mir aber dann so zu?
Um mich der Frage nicht weiter stellen zu müssen, weil ich das Gefühl habe, die Antwort schon zu wissen und diese nur mit aller Macht verdränge, drehe ich mich auf die Seite und stütze mich auf dem Ellenbogen ab. Ich betrachte Carolins Gesicht mit den vielen Sommersprossen. Sie hat kaum welche am Körper. Warum hat sie so viele im Gesicht?
Plötzlich öffnet sie die Augen und sieht mich an.
„Guten Morgen!“ raune ich etwas heiser. Mein Mund ist wieder so trocken.
Sie hebt eine Hand und streicht mir über die Wange. „Guten Morgen.“
Es ist kein guter Morgen. Ich fühle mich nervös und flatterig und mein Kreislauf spinnt.
„Es ist schon zehn. Soll ich Brötchen holen?“, frage ich aus einem unerfindlichen Grund und glaube gehen zu müssen, wozu und wohin auch immer.
„Ich habe Toast, wenn dir das reicht.“
Ich nicke. Gut, also keine Brötchen holen. Aber ich muss aufstehen, sonst werde ich verrückt.
Mich aus dem Bett schiebend, gehe ich unschlüssig in die Küche und fahre mir durchs Haar. Ich werfe noch einen Blick auf Carolin, die mich nur besorgt mustert. Was sieht sie? Ich kann ihrem Blick das nicht entnehmen.
Ich gehe ins Badezimmer und stelle mich vor den Spiegel. Ich bin blass und meine Haut sieht wächsern aus. Schweißperlen bedecken meine Stirn und meine Oberlippe, obwohl sich meine Haut kalt anfühlt.
Ein Wort erscheint in roten Lettern auf schwarzem Grund. ENTZUGSERSCHEINUNG!
Ich schließe die Augen und weiß, dass ich schon zu tief gesunken bin. Viel zu tief. Nichts, womit Carolin umgehen kann, hat sie gesagt. Das wird sie nicht mitmachen und nicht dulden. Ich habe verloren.
Seltsamerweise macht mir das etwas aus und ich will nicht aufgeben.
Bevor sie merkt was los ist, muss ich dem Abhilfe schaffen. Ich gehe ins Schlafzimmer zurück und beginne mich anzuziehen.
„Ich muss eben zum Auto. Komm, du bist fürs Frühstück zuständig“, sage ich und versuche ein Lächeln. Aber ihr Blick sagt mir, dass sie meinem Lächeln nicht traut.
Sie schiebt die Decke zurück und ich bekomme wieder dieses blumige, rüschenbesetzte Outfit zu sehen, dass mich kurz verwirrt.
„Okay, ich kümmere mich darum. Trinkst du Kaffee?“, fragt sie und wirkt antriebslos. Ist sie ein Morgenmuffel oder liegt es an mir?
Ich nicke und eile zur Tür, bevor sie mir zu nahekommt. Mir geht es zu schlecht und mir ist heiß, obwohl ich mich kalt und feucht anfühle. Kurz streiche ich über meine Stirn und spüre die Feuchtigkeit auf meiner Hand. Verdammt, es wird Zeit!
Nach dem Schlüsselbund greifend, gehe ich durch die kleine Wohnung zur Wohnungstür und raune, mich nicht zu ihr umdrehend: „Ich bin gleich wieder da.“ Die Tür fällt hinter mir ins Schloss.
Im Auto ziehe ich unter meinem Autositz eine kleine Tüte hervor. Im Schutz der Garage werfe ich mir eine Pille ein, in der Hoffnung, damit erst mal aus dem Schlimmsten herauszukommen. Ich lehne mich zurück und warte auf die Wirkung.
Irgendwann wird mir klar, ich muss zurückgehen oder ich muss jetzt fahren und nie mehr wiederkommen.
Ich steige aus dem Auto aus und gehe ins Haus zurück. Carolin steht am Küchenfenster. Der Frühstückstisch ist nur im Ansatz gedeckt und mir wird klar, sie hat nicht damit gerechnet, dass ich wieder auftauche. Ihr Blick wirkt besorgt und traurig. Das macht mich fertig.
Ich setze ein Lächeln auf und gehe langsam auf sie zu.
„Hey, alles in Ordnung? Gibt es da draußen etwas Interessantes?“, frage ich, den Unbekümmerten spielend und sehe an ihr vorbei aus dem Küchenfenster.
Sie sieht mir zu tief in die Augen und wirkt zurückhaltend. Ich will diesen Ausdruck nicht sehen, der sich auf ihr Gesicht legt und mich beunruhigt. Schnell trete ich dicht an sie heran, lege meinen Zeigefinger unter ihr Kinn und küsse sie.
Sie schiebt meine Hand weg und beendet den Kuss. „Ich mache weiter Frühstück. Setz dich“, raunt sie nur.
Ich setze mich hin und beobachte sie, wie sie in ihrem Rüschenoutfit Frühstück macht. Sie sieht mich kein einziges Mal mehr an.
Mir geht es körperlich langsam besser. Aber ihr Anblick lässt etwas anderes in mir jämmerlich an meiner Fassade kratzen.
Sie stellt sich mit der Kaffeekanne neben mich, stützt sich mit einer Hand auf den Tisch ab und schenkt mir Kaffee ein.
Meine Hand legt sich auf ihre und ich raune leise: „Was ist los?“
Sie zieht ihre Hand aus meiner Umklammerung und bringt die Kaffeekanne wieder weg.
Als sie erneut zum Tisch kommt, greife ich wieder nach ihrem Handgelenk und ziehe sie auf meinen Schoß. Etwas in mir will nicht, dass sie sich mir entzieht. Es fühlt sich unerträglich an.
„Carolin, was ist los?“, frage ich herausfordernd.
„Nichts! Alles okay! Komm, lass uns frühstücken“, sagt sie nur und schiebt sich von meinem Schoß herunter, geht zum Toaster und holt die Toasts. Sie setzt sich auf einen Stuhl, ohne mir Gelegenheit zu geben, sie erneut zu packen.
Ich will wenigstens so tun, als wäre alles in Ordnung und sage lächelnd: „Wow, nicht schlecht!“ Dabei lasse ich meinen Blick über das Frühstück gleiten. Aber ich habe kaum Appetit, was ich allerdings auf keinen Fall zeigen will. Ich gieße mir Milch in den Kaffee und löffelweise Zucker, während sie nur an ihrem Kaffee nippt. Ich muss feststellen, dass Carolin noch viel weniger erpicht aufs Essen ist als ich.
„Du musst besser essen. Du wirst immer weniger“, sage ich.
„Ich esse doch. Aber ich habe nicht immer Appetit“, murmelt sie leise.
Sie wirkt irgendwie traurig und viel zu zurückhaltend und ich kann so auch nicht länger so tun, als wäre alles bestens. Das Toast wieder auf den Teller legend, nehme ich ihre Hand. „Was geht in deinem Kopf vor? Verrätst du es mir?“
Sie sieht mich einige Zeit nur an, bevor sie endlich den Mund aufmacht. „Ich mache mir Sorgen“, antwortet sie ehrlich. „Dir ging es heute Morgen echt schlecht. Du brauchst das Zeug, stimmt’s?“
Dass sie es so auf den Punkt bringt, haut mich um. Kein Drumherum-Gequatsche oder Beschönigen. Nichts! Peng! Direkt an den Kopf.
Ich lasse ihre Hand los und setze mich zurück. „Ich brauche es nicht. Ich bin nicht süchtig, wenn du das meinst. Aber es gibt Situationen, da komme ich besser drauf klar, wenn ich etwas nehme“, erkläre ich ihr.
„Und so eine Situation ist heute Morgen? Dann ist das hier für dich besser zu ertragen, wenn du Drogen nimmst?“, fragt sie leise und klingt aufgebracht. Sie sieht mir direkt in die Augen, als sie noch leiser hinzufügt: „Dann möchte ich lieber, du bringst dich nicht mehr in so eine Situation und nimmst dafür keine Drogen mehr.“
Mir wird klar, was sie meint. Ich soll nicht mehr zu ihr kommen, wenn ich dann dafür auf Drogen verzichten kann.
„Nein, nein, nein. Das siehst du falsch. Es ist jetzt so! Aber wenn ich mich erst dran gewöhnt habe …“
Ihr Blick lässt mich verstummen. Ihre Augen wirken plötzlich kalt und unnachgiebig.
„Vorausgesetzt du willst das überhaupt“, raune ich verunsichert.
„Was will ich?“, fragt sie barsch.
„Das ich mich daran gewöhne“, antworte ich vorsichtig und trinke noch einen Schluck Kaffee.
Sie sieht mich abschätzend an und raunt: „Ich weiß nicht, was ich will. Ich kann dich nicht einschätzen, nicht, was du willst und nicht, zu was du fähig bist. Und ich kann schon gar nicht einschätzen, wie das mit den Drogen läuft.“
Ihre Worte sind ehrlich und erbarmungslos. Dennoch schmeißt sie mich nicht einfach raus. Sie gibt mir ein wenig Hoffnung, dass sie mir auch diesmal eine Chance gibt.
„Gut, das war ehrlich. Dann ist es ja gut, dass ich es für uns zwei weiß“, sage ich lächelnd und erhebe mich von meinem Stuhl. Ich möchte ihr zuversicht geben und Hoffnung in unsere Sache. Es ist für mich unerträglich, dass sie denkt, ich nehme die Drogen wegen ihr.
Ich ziehe sie von ihrem Platz hoch und direkt vor meine Füße. „Ich weiß zum Beispiel, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Wahrscheinlich das erste Mal in meinem Leben“, gestehe ich. „Und das lasse ich mir nicht nehmen. Ich weiß, dass es kein Zufall war, dass Ellen dich zu mir brachte und dass wir zusammengekommen sind. Das Schicksal hat die Fäden gezogen und soll ich dir mal etwas ganz Irres erzählen?“ Mir drängt sich eine Erinnerung auf, die mir einen Augenblick den Atem nimmt. „Im Frühjahr war ich bei einer Wahrsagerin und die hat dich mir vorausgesagt. Aber ich habe das nicht richtig verstanden und wirklich glauben wollen. Und jetzt sind wir zwei hier, haben die zweite Nacht zusammen verbracht und es werden noch viele folgen, hoffe ich.“ Ich versuche so unerschütterlich zu klingen, wie es geht und frage mich, ob die Aussage dieser Frau wirklich Carolin betraf. Ich hatte sie damals nicht für voll genommen und eigentlich nie wieder daran gedacht.
Meine Worte scheinen bei Carolin ihre Wirkung zu tun. Ihr Gesichtsausdruck bekommt einen weichen Zug und ihre Augen leuchten auf. Sie fragt ungläubig: „Eine Wahrsagerin? Die hat dir gesagt, dass ich dir über den Weg laufe?“
Ich nicke. „Ich werde auf jemanden treffen, die mein Leben umkrempelt, hat sie gesagt. Ich habe das erst echt abgetan. Aber jetzt!“
Sie sieht mich groß an und ich bin froh, dass sie mir das glaubt.
„Und ich werde alles in den Griff bekommen und irgendwann wird es dir nicht mehr peinlich sein, mit mir zusammen zu sein“, erkläre ich ihr und bin von meinen eigenen Worten etwas betroffen. Bisher war mir nicht wirklich klar, dass ich überhaupt mit ihr zusammen sein will.
„Du bist mir nicht peinlich. Rede nicht so einen Unsinn“, brummt sie.
Dass sie das behauptet, das erwärmt mein Herz, von dem ich immer glaubte, es wäre zu einer Trockenpflaume verkümmert. Hat außer Clemens und Daniel je jemand so zu mir gestanden?
„Nicht? Nah, wir werden sehen“, murmele ich herausfordernd. „Und jetzt komm, wir frühstücken später weiter. Mir ist im Moment nicht nach Essen.“
Ich ziehe sie ins Schlafzimmer und sie folgt mir mit einem Lächeln im Mundwinkel. Vor dem Bett ziehe ich ihr den Schlafanzug aus. „Das sieht echt süß aus. Aber im Moment ist es einfach nur über“, flüstere ich.
Sie sagt nichts und sieht mich nur an. In ihrem Blick liegt so viel Wärme und Zuneigung, dass ich schlucken muss. Womit habe ich sie verdient?
Langsam schiebt sie mein T-Shirt hoch und ich hebe die Arme, damit sie es mir ausziehen kann. Meinem T-Shirt lässt sie meine Hose folgen und ich ziehe sie an mich, küsse sie und halte sie fest umschlungen.
Sie ist es, die uns zum Bett dirigiert. Wir lassen uns hineinfallen und ich ergebe mich erneut in ihre unglaubliche Welt aus Leidenschaft, Wärme und Zuneigung.
Es ist mittlerweile früher Nachmittag. Während sie wieder eingeschlafen war, liege ich grübelnd neben ihr und versuche meine Gefühle zu analysieren. Dabei komme ich zu dem Schluss, dass ich mich bei ihr wohlfühle. In ihrer Nähe geht es mir gut und ich mag das Gefühl, dass sie mir gehört. Dann fällt mir Tim ein und dass der sie jeden Morgen immer anruft.
Aber an diesem Morgen wohl nicht. Oder hatten wir das nur nicht gehört?
Leise steige ich aus dem Bett und suche ihr Handy. Es liegt auf dem Küchentisch.
Zwei verpasste Anrufe von Tim und einer von Marcel - das sind definitiv zu viele und ich drücke ihr Handy ganz aus. Keiner soll sie noch erreichen. Ich bin einen Augenblick sogar so weit, es ganz verschwinden zu lassen.
Diese Anwandlung von mir will ich dann aber lieber nicht analysieren.
So rauche ich eine Zigarette und lege mich danach wieder zu der Schlafenden ins Bett. Jeglicher Versuch, selbst noch einmal einzuschlafen, scheitert allerdings erbärmlich. So lasse ich meinen Blick unschlüssig durch das wenig einladend wirkende Schlafzimmer wandern und bleibe an Carolins Gesicht hängen. Ich will nicht mehr, dass sie schläft.
Mit leichten Küssen auf den Hals und die Schulter wecke ich sie. Als sie leise murrend sich rührt, raune ich: „Hey, Schlafmütze, immer schläfst du ein. Mache ich dich so fertig?“ Dabei streiche ich ihr die Haare aus dem Gesicht.
Sie wischt sich über die Augen und sieht erst mich an, dann auf den Radiowecker. Matt lässt sie sich in die Matratze zurücksinken.
„Komm, aufstehen! Wir gehen jetzt duschen und fahren dann.“
„Wohin?“, fragt sie irritiert.
„In die Stadt, da wo das Leben tobt. Daniel fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe und meine Schwester kann ihr Glück sicher gar nicht fassen, dass sie ihn immer noch für sich hat. Wir wollen sie mal nicht zu sehr verwöhnen.“ Ich lache über Carolins Gesichtsausdruck und ziehe ihr die Decke weg.
„Ich bleibe hier. Fahr du allein“, murrt sie und versucht die Decke wieder über sich zu ziehen.
„Nichts da. Wir sind noch im Beziehungsübungsprogramm. Du gehörst an meine Seite. Keine Widerrede!“, befehle ich. Dass ich so etwas jemals sagen würde, hätte ich nie für möglich gehalten.
Sie scheint aber wirklich müde zu sein. Sie reagiert gar nicht auf den Umstand, dass ich immer noch mit ihr zusammen sein will.
Ich steige aus dem Bett und ziehe sie hoch. Sie ist wie eine Puppe und ich hebe sie auf meine Arme. Sofort schlingt sie ihre Arme um meinen Nacken, ohne die Augen zu öffnen und schmiegt sich an mich.
Ich gehe mit ihr durch die Wohnung ins Badezimmer.
Sie hält immer noch müde die Augen geschlossen. Ihr Gesicht liegt dicht an meinen Hals und sie atmet tief ein, als wolle sie meinen Geruch aufsaugen.
Ich stelle mich mit ihr unter die Dusche. Es ist nicht einfach, das Wasser anzustellen, ohne dass ich sie loslassen muss. Aber dann schießt der Strahl direkt auf ihren Bauch und sie reißt entsetzt die Augen auf. Aufgebracht kreischt sie los und ich halte sie lachend fest, damit sie mir nicht aus den Armen springt.
„Schatz, nicht! Das ist kalt!“, quiekt sie entrüstet.
Ich lasse sie sofort los und stelle sie auf die Füße. Das sich langsam erwärmende Wasser läuft über ihre Schultern und sie sieht mich verunsichert an.
Ich bin verwirrt. „Schatz? Das hat noch niemand zu mir gesagt“, raune ich.
Sie beißt sich auf die Lippen und sieht mich an, als erwarte sie ein Donnerwetter. Dabei ist sie so unglaublich verführerisch und das Kosewort, das ich nur aus dem Fernsehen kenne oder von anderen Pärchen, hallt in meinem Kopf wider wie ein Echo.
Ich ziehe sie an mich und küsse sie mit einer auftreibenden Leidenschaft, die mein Blut in Wallung bringt. Als ich sie wieder freigebe, sehe ich ihr in die Augen und murmele bedrohlich: „Macht nur so weiter!“
Ihr Blick lässt mich schmunzeln und ich schiebe den Duschkopf hoch, damit das Wasser über uns beide hinwegrieseln kann. Wir beginnen uns gegenseitig mit Unmengen von Seife einzuseifen und küssen uns immer wieder. Mit dem letzten Rest Schaum, der von unseren Körpern gespült wird, zieht sie mich aus der Dusche, direkt zum Schlafzimmer und ins Bett zurück. Sie schubst mich hinein und stürzt sich lachend auf mich. All die Bedenken vom Vormittag, die sie beim Frühstück geäußert hatte, scheint sie verdrängen zu wollen und ich bin froh darüber.
„Komm nur! Komm!“, locke ich sie und sie schiebt sich langsam auf allen Vieren auf mir hoch, bis ihre Lippen meine treffen.
Ich lasse meine Hände an ihrer Taille hinabgleiten und packe bei ihrer Hüfte fester zu. Langsam schiebe ich sie auf meinen mehr als bereiten Freund und will sie nur noch fühlen.
Sie schnappt nach Luft und wirft den Kopf zurück.
Ihre Reaktion erregt mich noch mehr und ich raune: „Komm, sag noch mal Schatz zu mir.“
Sie schüttelt den Kopf und wirft ihn erneut in den Nacken, als ich ihr meine Hüfte entgegenstemme. Sie bewegt sich immer ungeduldiger auf mir und mit einem Seufzer murmelt sie: „Schatz, ich will dich!“ Die Worte drängen überwältigt aus ihrem Mund. „Schatz, ich brauche dich! Schatz, ich l…“ Sie verstummt betroffen und sieht mich erschrocken an.
Ich packe sie und werfe sie auf die Matratze, mich sofort wieder auf sie schiebend. Schwer atmend will ich sie einfach unter mir festnageln.
„Ich dich auch“, flüstere ich ihr ins Ohr, selbst in diesem Strudel gefangen.
Sie schlingt ihre Beine um mich und ich küsse sie voller Verlangen und kann nicht fassen, dass ich immer noch so auf sie reagiere. Zum ersten Mal glaube ich wirklich daran, dass es sich bei ihr vielleicht auch niemals ändern wird.
Es ist später Nachmittag, als ich den Mustang aus der Garage rollen lasse und Carolin verstohlene Blicke zu den Nachbarhäusern wirft. Ich mache uns Musik an und lächele ihr zu. Sie soll sich nicht so viele Gedanken machen.
Sowieso wirkt sie etwas zurückhaltend. Sie schenkt mir nur einen ernsten Blick und lächelt nicht. Ich hatte etwas kämpfen müssen, um sie überhaupt mitzubekommen. Sie wollte einfach in Tims Wohnung bleiben und dass ich allein nach Osnabrück fahre.
Manchmal weiß ich nicht, was mit ihr los ist. Dann macht sie irgendwie dicht und will nichts mehr.
Ich steuere den Mustang Richtung Osnabrück aus dem Ort heraus und frage beunruhigt: „Hast du wieder deine Sexdepression?“
„Ich habe doch keine Sexdepression“, sagt sie und lacht auf. Aber es klingt sehr gestellt.
„Hm, aber wie immer bist du seltsam drauf, wenn wir miteinander geschlafen haben. Außer du schläfst hinterher ein.“ Ich versuche dem Ganzen etwas den Ernst zu nehmen und grinse sie an.
„Ist ja gar nicht wahr“, murmelt sie.
„Was ist es dann?“, hake ich nach. „Ist der Sex so schlecht?“
Davon gehe ich nicht aus. Ihre Reaktion zeigt mir jedes Mal, dass es ihr dabei gut geht.
„Es ist nichts“, knurrt sie, weil ich es nicht dabei belassen will. Aber da ist etwas in ihrem Blick, das mich verunsichert und ich will es einfach wissen. Jeder hat seine dunklen Geister in sich und ich will ihre kennen, um zu wissen, womit ich es zu tun habe.
„Du willst es mir nicht sagen? Hm …, das haben wir gleich.“ Ich warte auf eine Möglichkeit, den Mustang von der Bundesstraße zu lenken.
„Bitte Erik, nicht!“ Ihre Stimme klingt flehend.
Das zeigt mir, dass es da wirklich etwas gibt, das ich wissen muss.
„Gut! Wenn ich nicht anhalten soll, dann sag es mir beim Fahren. Sagen wirst du es mir so oder so“, murre ich ungehalten.
„Warum?“
Ich sehe sie ungläubig an. Fragt sie wirklich, warum ich ein wichtiges Detail, das uns betrifft, wissen will?
„Weil es langsam auffällt. Immer das Gleiche. Ich will jetzt wissen, warum es so ist. Kriegst du jedes Mal einen moralischen, weil du an deine Verflossenen denkst?“
Das schießt mir gerade so und ich kann nur hoffen, dass es das nicht ist. Daran könnte ich nichts ändern.
„Nein!“, ruft sie verdattert aus. „So ein Blödsinn!“
„Was ist es dann?“
„Können wir später darüber sprechen?“, fragt sie und sieht aus dem Seitenfenster.
„Warum?“, frage ich jetzt und ziehe den schweren Wagen auf die Abfahrt, die sich vor uns auftut.
Sie sieht mich dermaßen entsetzt an, dass ich lächeln muss.
„Du wirst noch lernen, dass es drei Dinge gibt, die du besser nicht bei mir versuchst. Das Erste ist: Mir zu widersprechen, das Zweite: Mir eine Antwort schuldig zu bleiben und das Dritte: Mich anzulügen“, sage ich herausfordernd.
Ich ziehe den Mustang auf die Nebenstraße nach Hesepe und halte am Straßenrand. Als der Motor aus ist, sehe ich sie an. „So, ich hoffe, ich muss nicht aussteigen. Also, wo liegt das Problem?“
Sie scheint es nicht fassen zu können, dass ich so energisch mein Recht auf Mitwisserschaft fordere.
„Carolin …“, brumme ich ungeduldig und lege meine Hand auf den Türöffner.
„Warte!“, ruft sie außer sich.
Wie kann sie nur so panisch sein? Langsam werde ich echt nervös, was das Ganze angeht.
„Ja?“, frage ich erneut, weil sie wieder nichts sagt.
„Es hat nichts mit den anderen zu tun“, beginnt sie endlich. „Und du weißt genau, dass ich gerne mit dir schlafe.“ Sie sieht mich an. „Und ich habe keine Sexdepression.“
Ihr Blick sagt: Bitte, bitte, reicht dir das?
„Weiter“, raune ich und kann mir nicht denken, was es noch geben kann, dass sie so werden lässt.
Sie schluckt, als müsse sie ein zähes Fleischstück hinunterwürgen und sieht auf ihre Hände. Ich sehe, wie schwer ihr die Antwort fällt und es packt mich echte Besorgnis, was das Ganze angeht. Und dann raunt sie leise: „Wenn ich mit dir zusammen bin, habe ich Angst, wie das alles endet.“
Ich bin völlig irritiert von ihren Gedankengängen. Wir sind doch gerade erst angefangen, da denkt sie an das Ende?
„Wie das endet?“, frage ich verdattert.
Endlich scheint sie sich ein Herz zu nehmen und mir erklären zu wollen, was sie meint. „Wie … und auch, dass es endet. Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass ich das alles nicht so leicht wegstecke?“, murmelt sie leise. „Es hatte einen Grund, warum ich Marcel verließ und auch einen, warum ich dich nicht mehr wiedersehen wollte. Ich kam mit diesem ganzen Gefühlschaos nicht mehr klar. Trotz meiner Gefühle für Marcel konnte ich die Finger nicht von dir lassen und mit dir gibt es keine Zukunft. Und wenn wir miteinander schlafen, wird mir das immer bewusst und ich möchte einfach nur diese ganzen blöden Gefühle abstellen. Die machen mich fertig!“
Ihre Worte treffen mich und ich lasse den Motor des Mustangs wieder starten. Fassungslos nicke ich, weiß aber gar nicht, wie ich mit ihren Worten umgehen soll und was ich darauf antworten kann.
Ich wende mitten auf der Straße und fahre wieder die Auffahrt auf die Bundesstraße hoch.
War das eben so etwas wie eine Liebeserklärung? Ich hatte schon viele gehört. Sie waren direkt und fordernd, und sie interessierten mich nicht. Sie waren alle klischeehaft und niemals ehrlich gemeint. Aber diese hier ist anders. Wie Carolin sich ausgedrückt hat, klang es eher nach unglaublich starken Gefühlen, die sie versucht, irgendwie niederzukämpfen. Und das berührt mich mehr als alles andere. Das klingt so nach mir und deshalb haben sie mehr Gewicht als alles, was ich jemals gehört habe.
Aber sie will diese Gefühle nicht, weil sie sich gegen das stellen, was ich will. Ellen hatte gesagt, Carolin ist ein Beziehungsmensch und wird schnell wieder eine haben wollen.
Aber ich bin dafür nicht geschaffen. Oder?
Ich denke an die letzten zwei Tage und Nächte und frage mich, ob das noch auf mich zutrifft. Sie will eine Zukunft. Vielleicht will ich die mittlerweile auch.