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Der Fluch des Alchemisten
ОглавлениеEin schöner, warmer Frühlingstag lässt die Welt vor meinem Zimmerfenster leuchten. Aber ich sehe nichts davon, weil sich in meinem Kopf immer noch erschreckend Gedanken und Gefühle überschlagen. Es fällt mir schwer, mich zu beruhigen und zu kapieren, was mir heute passiert ist.
Aber kann man das überhaupt?
Konfuse Empfindungen reihen sich turmhoch aneinander, ohne wirklich Sinn zu machen und dennoch will etwas in mir das heute Erfahrene wie eine Erinnerung akzeptieren.
Ich versuche verzweifelt, das nicht geschehen zu lassen. Aber es lässt sich nicht mehr länger ignorieren, dass es da etwas in meinem Leben gibt, dass nicht normal ist, und dass das, was ich heute erfuhr, einen Wahrheitsgehalt hat.
Erschreckend!
Ich hielt mich eigentlich immer für ein Mädchen wie alle anderen - normalgewichtig mit Hang zu selbst erdachten Problemzonen, nicht besonders groß, hellblondes, welliges Haar und blaugrüne Augen. Ungewöhnlich sind höchstens meine Sommersprossen, die je nach Jahreszeit mein Gesicht mal mehr oder weniger bevölkern.
Das da etwas in mir ist, das mich von einem normalen Teenagerleben abzuhalten versucht und das niemand bei mir ahnt, versuchte ich immer irgendwie zu ignorieren. Es ist dieses Wissen von etwas, das tief in mir zu stecken scheint und doch bisher keine richtige Möglichkeit fand, ans Tageslicht zu brechen. Es ließ mich bisher nur seltsame Dinge fühlen, schreckliche und unglaubliche Träume träumen und förderte manchmal ein Wissen aus einer längst vergangenen Zeit ans Licht, das ich gar nicht haben dürfte.
Bisher machte ich deswegen nicht viel Aufhebens und versuchte mein Leben so normal wie möglich zu führen, um alle um mich herum, und mich selbst am meisten, zu täuschen.
Das gelang mir bisher wirklich gut. Schließlich kann ich es weder benennen, noch kann ich es als etwas Greifbares definieren, obwohl mir natürlich klar ist, dass es mich bisher immer irgendwie aus meinem Inneren heraus zu manipulieren versuchte.
Ich schaffte das all die Jahre einigermaßen zu ignorieren.
Bis zum heutigen Tag.
Heute wurde mir etwas enthüllt, dass nicht nur erschreckend ist, sondern in mir etwas freikratzt wie einen eitrigen Pickel.
Ich gehe in die neunte Klasse der hiesigen Hauptschule, verbringe aber meine Zeit nur mit Mädchen aus der Realschule. Warum das so ist? Die Mitschüler aus meiner Klasse mögen mich nicht.
Beide Schulen sind nur durch eine Straße getrennt und haben einen gemeinsamen Busbahnhof. Doch eigentlich verkehren die Schüler ansonsten nicht miteinander.
Na ja, ich bin halt eine Ausnahme und in meiner eigenen Klasse behandelt man mich, als käme ich von einem anderen Stern.
Meine Lehrer haben es mittlerweile aufgegeben, mich integrieren zu wollen. Und mir etwas beizubringen auch. Ich bin schlecht in Rechnen und meine Rechtschreibung ist auch eine einzige Katastrophe. Irgendwie scheint mein Kopf nur bestimmtes Wissen zuzulassen. Somit wirke ich einerseits dumm und unzurechnungsfähig und andererseits haue ich alle mit überragendem Wissen in bestimmten Bereichen um. Ganz wie meine Tagesform es vorgibt, um was es geht … und was in mir gerade Oberhand hat. Oder sollte ich besser sagen, wer von mir?
Dieses seltsame Drunter und Drüber in meinem Kopf und in meiner Seele - ich will es mal vorsichtig so nennen - ist im Grunde genommen schon mein ganzes Leben lang da. Ich glaubte eigentlich immer, dass es ein normales Gefühl der heutigen Heranwachsenden ist. Doch Gespräche mit anderen meiner Altersgruppe zeigten mir, dass die nur Probleme mit Pickeln, Jungen und Stress mit den Eltern haben.
Auch meine Leipziger Brieffreundin konnte bisher von mehr nicht berichten.
Doch das sind alles Dinge, denen ich mich nur wenig widme, weil ich halt, wie gesagt, mit Problemen in meinem Inneren einen ständigen Kampf ausfechte.
Dennoch glaubte ich bisher, dass alles irgendwie im Griff zu haben. Ich war überzeugt, ein halbwegs normales Leben zu führen, und dass diese seltsame Ader in mir mich nicht in Gefahr bringt.
Doch in diesem Augenblick, zitternd und vollkommen verunsichert in meinem Zimmer in diesem Haus stehend, quält mich die Angst, mich gewaltig getäuscht zu haben. Denn heute erfuhr ich etwas über mein Zuhause und meine Familie, dass mich einerseits entsetzt und mir andererseits das Gefühl gibt, das alles schon längst zu wissen. Ich ignorierte das nur bisher.
Aber ich muss nun einsehen, dass ich das nicht mehr tun sollte. Dass es sogar gefährlich sein könnte, dass zu tun.
Zumindest hat der heutige Tag mir dahingehend einige Einsichten gebracht, die ich nun irgendwie zu verstehen versuche.
Als wir vor fünf Jahren in dieses Haus in Westrup zogen, schien keiner aus meiner Familie von einer Veränderung seines Wesens betroffen zu sein, außer mir. Meine Eltern waren so spießig, wie schon mein ganzes Leben lang und mein Bruder Julian so strebsam. Keiner schien zu spüren, dass etwas Seltsames diesen Ort umgibt. Aber all meine innerliche Zerrissenheit und meine Ängste schienen nach unserem Umzug in dieses Haus und mit jedem daraufhin verstreichenden Jahr an Intensität zu gewinnen.
Zumindest glaube ich, dass dieses Gefühl und dessen Auswirkungen erst hier in diesem Haus zugenommen haben.
Ich bemühte mich, es als gegeben hinzunehmen und nicht zu viel Aufhebens darum zu machen, was in mir tobt. Denn aus irgendeinem Grund habe ich Angst, dass jemand aus meiner Familie davon erfahren könnte. Warum das so ist, kann ich allerdings nicht sagen. Etwas in mir warnt mich einfach davor.
So bemühe ich mich mit jedem neuen Tag meines Lebens, die alltäglichen Probleme zu meistern, die Sorgen und Nöte meiner Freundinnen zu teilen und niemanden merken zu lassen, dass ich eigentlich innerlich einer Zeitbombe gleiche.
Ich gebe vor, ein normales Mädchenleben zu führen und passe mich den Problemen meiner Mitschülerinnen an. Und da herrscht mittlerweile vornehmlich ein Thema vor, bei dem ich mit Weisheiten eher passen muss.
Ich bin zwar mit meinen siebzehn Jahren älter als meine Freundinnen, aber alle können mehr Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht vorweisen als ich, was ich nicht unbedingt als schlimm empfinde, warte ich doch auf den Richtigen.
Das erwähne ich auch jedes Mal, wenn dumme Sprüche aufkommen, weil mir einfach das Interesse an den hiesigen Jungen fehlt.
Und es gibt etwas in mir, das mir sagt, dass es ihn gibt. Irgendwo. Und ich muss auf ihn warten.
Noch so ein verrückter Punkt, der tief in mir verankert zu sein scheint. Es gibt nur den einen für mich und ich werde ihm irgendwann begegnen.
Also, wir zogen vor fünf Jahren in dieses Haus, nachdem wir es erst einmal bewohnbar machen mussten. Schließlich hatte es über zwanzig Jahre leer gestanden.
Eine lange Zeit, fand ich damals und glaubte kaum, dass man je in diesem Anwesen leben könne.
Aber meine Eltern waren fest dazu entschlossen und ich muss ihnen zugestehen, dass sie mich überraschten. Das Haus wurde wirklich schön und es lässt sich wunderbar darin leben, wenn man nicht an das abergläubische Geschwätz der Einheimischen glaubt. Die hatten das Haus Jahrzehnte gemieden, weil sie sich vor etwas fürchteten, dass es nicht gibt. Zumindest lebt hier kein Geist, wie man das im herkömmlichen Sinne vermuten würde. So einer mit herumspukender Gestalt, Schritten in der Nacht auf unbewohnten Dachböden oder so.
Als ich mit der Angst der Einheimischen konfrontiert wurde, fragte ich meine Mutter danach. Aber auch sie tat das Ganze als Unfug ab. Schließlich hatte unsere Familie, und meine Mutter im Besonderen, zu der Zeit noch ganz andere Tragödien zu verdauen, die uns überhaupt erst den Besitz dieses Hauses beschert hatten. Und das waren völlig irdische Probleme, die bestimmt irgendwann einmal in jeder Familie vorkommen.
Nach dem Tod von Mamas Onkel Otto, der ein Bruder ihres Vaters Willy war, wurde sie testamentarisch von diesem Onkel mit diesem Haus bedacht.
Warum sie? - fragten wir uns alle. Warum bedachte Onkel Otto, statt seinen Bruder, dessen Tochter mit dem Erbe?
Bei der Testamentseröffnung, der meine Eltern, einige mir fremder Leute, ich und mein Bruder Julian sowie Oma Martha und Opa Willy beiwohnten, verlas ein Notar dann das Testament dieses besagten Onkel Ottos, den ich persönlich nur sehr selten zu Gesicht bekommen hatte. Darin ernannte er meine Mutter Sophie als „seine Tochter“ zur Alleinerbin.
Oma Martha und Opa Willy saßen regungslos und wie versteinert eine Reihe vor mir.
Ich weiß noch genau wie ich meinen Bruder verblüfft angesehen hatte. Meine Mutter sollte die Tochter von Opa Willys Bruder sein? Somit also unser Opa gar nicht unser Opa!
Opa Willy war damals aufgesprungen und hatte mit seiner tiefen Stimme losgetobt, dass alles erstunken und erlogen sei.
Oma Martha, schon erschreckend wackelig auf den Beinen, stand ebenfalls auf und klärte die gesamte Gesellschaft mit ruhiger Stimme auf, dass der tote Otto recht hat. Sophie war seine Tochter und nicht die von Willy, unserem bisherigen Opa.
Der wurde direkt vor uns blass, stieß ein Krächzen aus, griff sich an die Brust und sank in sich zusammen.
Bei seiner Beerdigung, die keine zwei Wochen nach der von Otto stattfand, folgte ihm meine Oma. Sie brach bei der ergreifenden Ansprache des Pfarrers zusammen.
Wir waren alle wie vom Schlag getroffen und spürten so etwas wie den Fluch Gottes, der über unserer Familie zu schweben schien. Zumindest kam es mir da so vor, obwohl ich mich gerade im zarten Alter von zwölf Jahren befand. Damals wurde ich aber schon von eigenartigen Wahrnehmungen und Träumen heimgesucht, die sich aber immer nur wie ein Wurm in meinem tiefsten Inneren zu rühren schienen.
Natürlich hielt ich das vor allen möglichst geheim.
Mein Vater wollte das geerbte Haus verkaufen, aber meine Mutter nicht. Sie schien sich über die Bruchbude wirklich zu freuen und hing all ihre Liebe und Arbeitskraft in das verfallene Anwesen dessen Mannes, den sie zeitlebens als Onkel statt Vater kannte.
„Das Haus ist alt und im Moment noch unbewohnbar. Aber wir werden es etwas umbauen und schön einrichten und ihr werdet sehen, dass für uns damit ein wundervolles Leben im Eigenheim bevorsteht. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer oder sogar zwei und wir haben eine riesige Werkstatt für Papa und für Julian einen Partyraum und viel Platz für Spielsachen und Tiere.“
Mit der riesigen Werkstatt und dem Partyraum zog sie Papa und Julian im Handumdrehen auf ihre Seite und mit den Tieren mich. Allerdings wurde nur aus der Werkstatt und dem Partyraum wirklich etwas. Ich bekam weder einen Hund noch ein Pony.
Als auch noch Oma bei Opas Beerdigung das Zeitliche gesegnet hatte, war es dann ganz vorbei mit meiner Mutter. Sie wurde vollends zu einer konfusen Schlafwandlerin, die nur der angehende Hausumbau weckte.
Also, im Sommer 2004, am Anfang der Sommerferien, zogen wir dort ein.
Das Haus ist gigantisch groß und wirklich nett hergerichtet. Wir hatten neu Wasser und Strom verlegt, neue Fenster einbauen lassen, die Fußböden neu gefliest, Wände neu verputzt, Decken neu eingezogen und ein neues Badezimmer eingebaut.
Aus der kleinen Wohnung in das große Haus zu ziehen war unglaublich und es machte mir den Schulwechsel erträglich. Unsere wenigen Habseligkeiten verschwanden in der endlosen Weite des Hauses und wir brauchten lange, bis wir uns daran gewöhnten. Einige Habseligkeiten verschwanden nach dem Umzug auch auf Nimmerwiedersehen.
Aber was machte das schon, wenn man plötzlich die Annehmlichkeiten von einem großen Haus auf dem Lande nutzen konnte.
Julian hörte laute Musik, bis die Wände wackelten und mein Vater begann sogar Kilos zu verlieren, nur weil er vom Wohnzimmer zur Küche aufbrach, um sich aus dem Kühlschrank ein Bier zu holen.
Ich bekam zwei Kätzchen und war eigentlich glücklich.
Doch bald erfuhr ich, was alle in dieser Gegend über das Haus dachten. Man sprach mich in der dritten oder vierten Woche nach unserem Einzug in dieses Haus darauf an.
Als ich auf den Bus wartete, rief mir aus einem Pulk von Jugendlichen ein Junge zu: „Hey du! Man muss schon verrückt sein, in dieses Haus zu ziehen. Aber da wohnten ja schon immer Verrückte.“ Er lachte etwas zu laut und fand sich dabei ganz witzig.
Scheinbar fanden die anderen seinen Spruch auch ganz gut.
Eines der Mädels aus unserer Nachbarschaft, die einige Schritte neben mir auch auf den Bus wartete, schaute mich herausfordernd an und erhoffte sich wohl eine Erwiderung meinerseits.
Da der Bus kam und ich schnell einstieg, blieb mir eine Erwiderung erspart. Aber zu meiner Überraschung setzte sich das Mädchen neben mich und klärte mich schnell auf: „Ihr bewohnt das Haus, in dem das Böse lebte. Das Haus, das den Tod bringt. Das Haus des Hexers von Ankum.“
Ich garantierte ihr mit einem unbeholfenen Lachen, dass weder ein Geist noch sonst etwas in dem Haus sein Unwesen treibt, und das war der Anfang einer ganz brauchbaren Freundschaft zwischen mir und Christiane.
Bald legte sich das Gerede, als alle sahen, dass wir ganz normal das Haus bewohnten und nichts uns nach dem Leben trachtete. Dass dieser Onkel Otto es so lange leer stehen gelassen hatte, überzeugte wohl alle, dass der Spuk vorbei war, von dem mir eigentlich niemand so richtig sagen konnte, warum diese Angst vor dem Haus eigentlich so fest in den Köpfen saß. Über den Hexer von Ankum wusste keiner näheres zu berichten und auch alle neugierigen Nachforschungen von Julian und mir verliefen im Sande. Keine Aufzeichnung aus dem Internet erbrachte, dass es hier jemals wirklich einen Hexer gegeben hatte oder mysteriöse Morde in diesem Haus geschehen waren, die einen Geisterwahn gerechtfertigt hätten. Julian war sowieso von Anfang an der Meinung, dass die Einheimischen spinnen. Er wollte mir nicht mal helfen, etwas darüber herauszufinden und schmetterte auch schnell alles ab, was ich vielleicht noch für interessant hielt und weiterverfolgen wollte. Er lachte mich sogar deshalb aus.
Also beließ ich es dabei, wenn auch seit dem Einzug in das Haus mein Innerstes sich immer mehr zu wandeln begann und eine innere Unruhe mich stärker als bisher plagte. Etwas in mir schien die Vergangenheit nicht ruhen lassen zu wollen.
Einige Monate nach dem Einzug begann ich sogar von der Vergangenheit zu träumen und sah Dinge, die weit zurücklagen und die diesen Ort betrafen. Diese Träume machten mir natürlich Angst und ich verdrängte sie, sobald ich die Augen für einen neuen Tag öffnete.
Ich sprach mit niemand darüber. Denn irgendwie war da etwas in mir, das mich davor warnte, mich mit meiner Umwelt darüber auszutauschen. Etwas, das ich aber nicht benennen konnte.
Und dann gab es heute diesen Vorfall in der Schule, der mich immer noch innerlich erzittern lässt. Denn heute erfuhr ich von einem weiteren Stück Familienchronik aus vergangenen Zeiten, das so unvorstellbar und erschreckend wie unglaubwürdig erscheint und doch wirkt es auf mich, als öffnete man das erste Türchen eines Adventkalenders und ließ tief verborgenes Wissen heraus.
Also, heute Morgen fuhr ich wie jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle. Ich war da noch wirklich gut gelaunt gewesen und nichts schürte in mir die Unruhe, da ich seit zwei Wochen keine seltsamen Träume hatte. Mein tiefstes Innere war zu der Zeit noch glücklich und zufrieden angesichts des vor uns liegenden schönen Frühlingtags.
Christiane war spät dran und erreichte den Bus gerade, als ich schon einstieg. Im Bus trafen Christiane und ich dann auf die ersten Mädchen, die uns lauthals begrüßten. Aber Christiane wollte nur schnell einen Platz suchen und zog mich neben sich in einen Sitz, um mir das Neuste von einem Jungen aus ihrer Klasse zu erzählen. Der wickelte angeblich reihenweise Mädchen um den Finger, wie Christiane abfällig bemerkte. „Weißt du, der hat jede Woche eine andere und jetzt ist diese Tanja dran. Ich sage es dir … ausgerechnet die! Die war noch bis vor 2 Tagen mit diesem komischen Thomas zusammen.“
Es war schon witzig. Ohne dass sie es mir sagte, wusste ich, dass sie bei diesem Möchtegern Casanova auch zu gerne mal zum Opfer werden wollte.
Nadine, ein Mädchen mit langem, dunkelbraunem Haar und Pferdegebiss, beugte sich über unsere Rückenlehne zu uns herunter und bestätigte mir meine Vermutung. „Ach, du meinst Felix, mit dem du letzte Woche so oft telefoniert hast?“
Ich sah Christiane an, die bis zum Scheitel rot anlief. Sie hatte nicht erwähnt, dass es einen Jungen gab, mit dem sie in letzter Zeit viel telefonierte.
Weil wir auf den Busparkplatz an den Schulen vorfuhren, kam Christiane dann aber um eine Erklärung herum, zu der sie sich sicher genötigt gefühlt hätte.
Wir verabschiedeten uns und gingen zu unseren getrennten Schulen. Ich in die Hauptschule und Christiane mit den anderen Mädchen in die Realschule.
In meiner Schule lief dann alles wie gewohnt, bis zur letzten Stunde. Da bekamen wir einen Vertretungslehrer für unsere Geschichtsstunde.
Statt des sonst so schmucken Lehrers kam ein veralteter Professor in die Klasse geschlurft, der aus einer anderen Epoche zu stammen schien. Woher sie diese Mumie ausgegraben hatten und warum sie den gerade auf uns losließen, erfuhren wir im gleichen Zuge.
Wir starrten den alten Mann mit den sehr wenigen Haaren und einer dicken Brille auf der schiefen Nase, die die Poren der Haut so groß erscheinen ließ, dass man glaubte in Krater zu sehen, fragend an. Die Augenbrauen waren so wuschelig und über der Nase zusammengewachsen, dass die Brille nur halb vor die Augen passte, und aus den Nasenlöchern ragten karge, stachelige Haare hervor.
Das alles sah ich aber nur so genau, denn mir rückte der Alte am Ende der Stunde dermaßen auf die Pelle, dass mir das Grausen kam.
Aber greifen wir mal nicht vorweg.
Also dieser Professor Knecht schrieb mit kreischender Kreide seinen Namen an die Tafel und setzte sich hinter den Schreibtisch. Dann ließ er seine riesigen, reptilienhaften Augen über die Reihen von Schülern gleiten.
Als er alle begutachtet hatte, räusperte er sich, krächzte etwas von einem Museum, der Heimat und vergangener Geschichten, und dass er immer auf der Suche nach Wahrheiten und Aufklärungen ist. Doch manchmal, so erklärte er, sprang er auch als Lehrer ein, wenn mal Not am Mann war, was das Fach Geschichte betraf. Er versicherte uns, dass er das sehr gerne tat und dass ihm die Zusammenarbeit mit jungen Menschen Spaß macht.
Seine durch die Brille hervorgehobenen, riesigen Augen liefen wie Brenngläser über unsere Köpfe hinweg und ließen seine Worte etwas unglaubwürdig erscheinen. An mir blieben sie einen Moment hängen und verengten sich bedrohlich. Dann keuchte er eine Seitenzahl aus unserem Geschichtsbuch und wartete, bis alle das Buch aus dem Schulranzen auf den Tisch gezerrt hatten. Er krächzte genauso unfreundlich: „Füller raus und die Seite abschreiben. Ich möchte eine saubere und leserliche Arbeit in ungefähr …, “ er suchte nach seiner Uhr in der dichten, grauen Wolle auf seinem Arm, „… einer halben Stunde.“
Alles stöhnte und seufzte und doch war da etwas an dem Alten, das keinen Widerspruch duldete, wie es sonst so oft in unserer Klasse praktiziert wurde.
Bald hörte ich das Kratzen der Füller und schrieb selbst fleißig die Sätze ab, die uns einen Einblick in den Zweiten Weltkrieg geben sollten. Ein Thema, das ich eigentlich hasse wie die Pest. Denn ich habe oft schreckliche Albträume vom Krieg, Soldaten und dem Tod.
Als ich kurz aufsah, um festzustellen, was der alte Professor die ganze Zeit macht, sah ich ihn mit zuckenden Augenlidern das Klassenbuch studieren.
Plötzlich sah er auf und mir direkt ins Gesicht.
Entsetzt senkte ich die Augen wieder auf mein Heft. Irgendwie durchzuckte mich sein Blick wie ein Blitz. Als ich wieder vorsichtig aufzusehen wagte, starrten mich diese großen Froschaugen immer noch an und in dem alten Gesicht schienen die Muskeln ein Eigenleben zu entwickeln.
Wieder blickte ich schnell auf mein Heft und schrieb weiter. Irgendwie hatte ich Angst, sonst noch einmal ungewollt in dieses Gesicht zu blicken und erneut darin diesen erschreckenden Ausdruck blanken Hasses zu sehen.
Als die ersten ihre Hefte abgaben, waren etwa zwanzig Minuten vergangen. Noch zehn Minuten später sprang der Alte auf und ging in einem behänden Schritt, den ihm keiner mehr zugetraut hätte, zu den Tischen noch schreibender und entriss ihnen die Hefte.
„Genug, genug“, krächzte er. „Die Zeit ist um. Wer nicht alles geschafft hat, bekommt eine Sechs.“
Auch mir entriss er das Heft, obwohl ich es ihm mit leicht zitternden Händen schon entgegenhielt. Dabei zuckten seine blassen Lippen und entblößten gelbe Zähne. „Du kommst an meinen Tisch“, krächzte er und hechtete zu seinem Pult zurück, als wäre ein tollwütiger Hund hinter ihm her und wolle ihn in seinen knochigen Hintern beißen. „Ihr anderen könnt gehen.“
Alle sprangen überrascht auf und packten in Windeseile zusammen, als hätten sie Angst, der Alte könne es sich noch einmal überlegen. Die Stunde beendete der Professor zehn Minuten zu früh, und das hieß vor allen anderen beim nahen Einkaufsladen zu sein und sich ein Brötchen oder Süßigkeiten holen zu können.
Ich war beunruhigt. Es gab in dieser Klasse niemanden, der auf mich warten wollte. Also hieß das, ich würde in Kürze mit der Mumie allein in diesem Raum sein. So beschloss ich einfach auch zu gehen. Schließlich war der Alte nur eine Vertretung und konnte einem nichts. Oder zumindest wollte ich so tun, als hätte ich ihn eben gar nicht richtig verstanden.
Doch als hätte er das geahnt, rief er mich noch einmal zu sich und starrte mich mit seinen großen Augen an, bis ich vor seinem Lehrerpult stand.
Die Letzten verließen eilig den Raum. Einige warfen mir noch einen Blick zu, den ich als Schadenfreude deutete.
Ich fragte mich ernsthaft, was ich verbrochen hatte.
„Setz dich auf den Stuhl da“, krächzte der Alte und stand selbst auf.
Mit aufsteigender Übelkeit sah ich, wie er zur Tür schlurfte und sie zuzog. Ich war mit ihm eingesperrt und fühlte brennende Hitze in mir aufsteigen.
Das ist doch nur ein alternder Vertretungslehrer, versuchte ich mich zu beruhigen, als der Alte sich vor mir auf seinen Stuhl fallen ließ.
Er nahm das Klassenbuch zur Hand und ging die Reihen mit Namen durch. Als kaue er einen riesigen Klumpen Kaugummi, raunte er plötzlich meinen Namen und meine Adresse.
Ich überlegte, ob ich ihm einfach erzählen sollte, dass er mich verwechselt. „Ach die, die ist gerade raus …“
Aber als der Blick des Alten mich traf, war ich dazu nicht mehr in der Lage.
„So, ihr wohnt jetzt also in dem Haus. Habt es einfach gewagt, dort hinzuziehen. Tja, seid ja auch dem Kurt Gräbler verwandt, dem alten Hexer.“
Ich dachte im ersten Moment, der Alte fantasiert. So antwortete ich nur: „Wir haben das Haus von Mamas … Vater geerbt.“ Ich war mir erst nicht schlüssig, ob ich Vater oder Onkel sagen sollte und der Name Kurt elektrisierte mich auf seltsame Weise, konnte aber mit dem geerbten Haus nichts zu tun haben. Und der alte Mann vor mir konnte nichts von meinen Träumen wissen, in denen ich schon öfters auf diesen Namen gestoßen war.
Der Professor fauchte: „Ja, die Geschichte von deiner Oma, die den einen Bruder heiratet und von dem anderen ein Kind kriegt. Einer dieser Geschichten, die sich in eurer Ahnentafel beständig wiederholen. Sie meinte, dass verheimlichen zu können. Aber ich habe es schon immer gewusst. Mir konnte keiner etwas vormachen. Noch nie! Immer hatte ich ein wachsames Auge auf eure Sippe. Blut zu Blut. Über Generationen hinweg. Das ist es, was der Alchemist braucht, um sein Werk zu vollenden.“
Ich starrte den Alten verschüchtert an. In seinen Worten lag so viel Hass. Es schien fast so, als wäre er unerbittlich mit dem Schicksal meiner Familie verbunden. Aber mir wollte nicht einleuchten, was ich damit zu tun habe.
„Und der Tag wird kommen, an dem er zurückzukehren versucht“, keifte er aufgebracht. „Zu sehr befasste er sich mit der Lehre der Alchemie und suchte nach einem Weg zur Unsterblichkeit. Zu sehr verschrieb er sich dem Satan. Er wird versuchen zurückzukehren“, rief er mit immer undeutlich werdender, sabbernder Stimme.
Ich glaubte in den trüben Augen des Alten so etwas wie Wahnsinn erkennen zu können und schaute mich unbehaglich nach einem Ausweg um.
Aber dann rührte ich mich doch nicht, denn der Alte fuhr mit erschreckend klarer Stimme plötzlich fort: „In eurer Familie fließt das Blut des Satans in seiner schlimmsten Form. Ja Kind, glaub`s mir ruhig. In dir lauert ein schreckliches Unheil. In dir und allen Kindern, die zur Erhaltung seines Blutes und zur Zusammenführung seines Geistes und seiner Seele gezeugt wurden.“
Ich starrte den alten Professor verblüfft an und glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Da wollte mir dieser alte Lehrer etwas von Satansblut in meinem Adern erzählen, wo er mich heute zum ersten Mal sah, und dass wir angeblich gezeugt worden waren, um bestimmte Blutlinien, und wer weiß was noch, zusammenzuführen. So ein irrer Quatsch. Außerdem fand ich, dass es weitaus schlimmere Vergehen in Familien gab als die, die meine Oma begangen hatte. Und andere seltsame Blutsvermischungen gab es doch gar nicht, oder?
Doch dass es darum allein nicht ging, erfuhr ich einige Augenblicke später, als der Alte seltsam in seinem Stuhl zusammensank und ganz selbstvergessen vor sich hinsinnierte: „Mein Bruder und mein Vater waren damals dabei. Sie halfen, den Hexer zu verbrennen. Die einzige Möglichkeit, den Satan in ihm zu töten, den er aus einem fernen Land zu uns brachte. Er war ein Mörder! Unheilbringend und der Alchemie verschrieben.“
Ich weiß nicht genau, was für eine Tür sich in mir auftat. Aber mein Herz schlug noch heftiger und eine gewaltige Wut schlich durch meine Adern. Was wollte dieser Alte von mir? Und warum kam er mir mit so seltsamen Geschichten? Was hatte er nur mit diesem Hexer, der angeblich mal in unserem Haus gewohnt haben soll? Und wenn schon. Es gab bestimmt viele alte Häuser, in deren Vergangenheit weniger nette Ereignisse stattgefunden hatten.
In mir kochte zu der Wut Betroffenheit über etwas hoch, dass ich nicht mal richtig benennen konnte. Und die Begegnung mit diesem alten Mann und dem, was er von sich gab, löste das in mir aus.
Ich sprang vom Stuhl auf und rief aufgebracht: „Ich muss gehen! Ich verpasse sonst meinen Bus.“
In mir baute sich etwas auf, das einerseits nach Flucht schrie und andererseits dem Alten am liebsten an die faltige Kehle springen wollte.
Doch zeitgleich mit mir erhob sich auch der Professor, als hätte er meine Flucht geahnt, und packte mich am Arm.
„Sieh mich an!“, keifte er und Spucke spritzte in mein Gesicht. Seine runzligen Finger umspannten meinen Oberarm wie ein Schraubstock. „Ich weiß nicht, ob du wiedergekehrt bist. Aber glaube mir, ich werde es bald wissen und dann werde ich dich bekämpfen, wie mein Vater und mein Bruder dich damals bekämpften.“ Die Stimme des Alten wurde hoch und kreischend. „Dann werden erneut Flammen über dir zusammenschlagen und dein Körper wird brennen. Ich werde niemals zulassen, dass du leben wirst!“
Ein Geräusch ließ den Alten zusammenfahren und er gab erschrocken meinen Arm frei.
„Professor, ist hier alles in Ordnung?“ Frau Grätsch, meine Sportlehrerin, stand in der Tür und musterte mich und den Alten bekümmert.
Ich nutzte den Augenblick. Meine Tasche greifen und Abstand zwischen mich und den alten Professor bringen war eins.
An der Tür griff Frau Grätsch nach meiner Hand und hielt mich zurück. Mit besorgter Miene fragte sie: „Ist alles in Ordnung, Carolin?“
Ich riss mich los und rannte in den Korridor hinaus. Ich wollte nur noch weg. Dieser Alte war doch verrückt! Mord … Verbrennung … Ich wollte das alles nicht hören und nichts davon wissen.
Erst draußen wurde ich langsamer und bemühte mich, ohne weiteres Aufsehen zu erregen, den Schulhof zu meistern. Ich schwor mir, wenn der Bus schon abgefahren war, würde ich zu Fuß gehen. Keine Sekunde wollte ich länger bei der Schule bleiben als nötig. Wer wusste schon, was der durchgeknallte Professor sonst noch alles in seinem kranken Gehirn ausbrütete. Ich sah ihn schon hinter mir hereilen, in jeder Hand ein brennendes Feuerzeug.
Tatsächlich packte mich eine Hand von hinten und riss mich herum. Doch es war nur Frau Grätsch, die mir hinterhergeeilt war und mich festhielt.
„Was war da oben los? Was wollte der Professor von dir?“, zischte sie mit unterdrückter Wut in der Stimme.
„Ich glaube, mich verbrennen“, jammerte ich völlig außer mir und hatte einen Moment das Gefühl, meine Beine wollten unter mir versagen.
Die Hand um meinen Arm ließ mich los und das Gesicht der Lehrerin wurde mitfühlend. „Dann habe ich doch richtig gehört. Ich glaubte schon, ich hätte was mit den Ohren“, brummte sie bestürzt.
Ich schüttelte den Kopf und schaute zu Boden.
„Fahr nach Hause. Ich werde mich sofort an den Rektor wenden und den Vorfall melden. Morgen sprechen wir dann noch einmal darüber“, sagte die junge Lehrerin und schien ihre Wut nur schwer unterdrücken zu können.
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und wandte mich dem Busbahnhof zu. Hinter mir hörte ich Frau Grätsch fluchen: „So einen alten Trottel noch auf die Kinder loszulassen, wo es so viele junge, arbeitslose Lehrer gibt.“
Der Bus war noch nicht weg und ich ergatterte einen freien Platz, was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war, bei der Anzahl der Schüler. Aber ich war unendlich froh, mich tief in den Sitz verkriechen zu können. Nur langsam schlug mein Herz wieder im normalen Rhythmus.
Doch in mir tobte noch etwas anderes als Bestürzung. Die Worte des Professors machten sich in meinem Kopf selbstständig. Das Kauderwelsch des Alten hätten mir ohne Sinn und Verstand vorkommen müssen. Aber die von ihm so erschreckend hervorgebrachte Geschichte von einer Verbrennung eines Hexers schien wie eine Nebelwolke in meinem Kopf heraufzuziehen und nach außen zu drängen, wie eine Erinnerung, die lange nur verdrängt worden war. Plötzlich hörte ich viele Stimmen in meinem Kopf, die schrien und johlten, wie eine Meute hungriger Wölfe und ich hörte sie rufen: „Hexer, Hexer, tötet den Hexer!“
Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Herz zusammenzog und die Luft um mich herum dünner wurde.
Der Bus blieb stehen und ich registrierte, dass ich schon bei meiner Haltestelle angekommen war. Schnell sprang ich auf und wühlte mich durch die Schüler im Gang.
Der Busfahrer hatte die Tür schon geschlossen und wollte wieder losfahren, als ich keuchend und schwitzend bei ihm ankam. „Ich muss noch raus!“, rief ich und er öffnete mit mürrischer Miene erneut die Tür.
Ich sprang an die frische Luft und atmete wie ein Fisch im Trockenen. Der Bus fuhr los und ich sah ihm hinterher, als hätte ich noch nie einen Bus von hinten gesehen. Ich war vollkommen durcheinander.
Ohne auf den Verkehr zu achten, überquerte ich die Straße und lief zu meinem Fahrrad. Dort schloss ich mit zittrigen Händen das Schloss auf. Ich wollte nur noch schnell nach Hause fahren und mich in meinem Zimmer verkriechen. Das war alles, an was ich denken wollte.
Jetzt, hier an meinem Fenster stehend, lasse ich diesen Vormittag und den alten Professor mit seinem hysterischen Ausbruch immer wieder Revue passieren und das Ganze jagt mir immer wieder eine Gänsehaut über den Rücken. Da hilft auch kein Blick über das frisch aufspringende Grün der Wälder oder das Aufkeimen eines neuen Frühlings etwas. Ich spüre eine tiefgründige Unsicherheit wegen der Worte des Alten durch meine Adern kriechen und wie ein Holzsplitter in meinem Kopf sich festsetzen.
Aufgebracht drehe ich mich um, gehe zu meinem Sofa und werfe mich hinein. „Alles Blödsinn“, brummele ich dabei vor mich hin und versuche mich zu beruhigen. „Alles völliger Quatsch.“
Ich spring wieder auf und gehe an meinen Schreibtisch. Ein Blatt Briefpapier vor mich legend, beginne ich mit einem Brief an meine Brieffreundin Katrin aus Leipzig. Ich muss mir die Geschichte mit dem Professor von der Seele schreiben, um sie nicht weiter in mein Innerstes dringen zu lassen. Ich brauche etwas, was dieses unbeschreibliche Gefühl in mir zum Schweigen bringt, dass etwas an seiner Geschichte stimmen könnte.
Es gibt für mich nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich versuche herauszufinden, was das Ganze auf sich hat oder ich vergesse das alles.
Ich klebe eine Briefmarke auf das Kuvert und fühle mich langsam besser. Ich hatte auf drei Seiten mein Erlebtes niedergeschrieben und ahne, dass Katrin mir das alles sowieso nicht glauben wird. Aber wie immer wird sie wenigstens so tun und mir zurückschreiben, dass ich ihr ruhig weiter alles schreiben kann.
Nun, da sich langsam wieder mein Verstand klärt, scheint mir die Geschichte nur noch verrückt zu sein und der alte Professor ebenso. Doch eines ist klar, er ist nicht der Einzige, der an einen Hexer, der dieses Haus bewohnt haben soll, glaubt. Aber er ist der Erste, der behauptete, dass dieser Hexer mit mir verwandt gewesen sein soll. Außerdem ist er der Einzige, Gott sei Dank, der glaubt, ich bin so etwas wie der wieder zu Fleisch gewordene Hexer von damals.
„So ein verblödeter, hirnverbrannter Idiot“, schimpfe ich laut und voller Wut darüber, dass dieser Professor mich so aus der Fassung gebracht hatte, dass ich denke, ich platze.
„Wer, ich?“, ertönt hinter mir eine Stimme, und das von dunkelbraunen Haaren umrahmte Gesicht meines Bruders erscheint im Türrahmen.
Julian ist zwanzig und so ganz anders als ich. Dass wir Geschwister sind, glaubt uns keiner auf Anhieb. Er sieht verdammt gut aus, mit seinen braunen, welligen Haaren und den dunkelbraunen Augen in dem ebenmäßigen Gesicht. Dazu ist er schlank und wirkt, als wäre er Stammkunde in einem Fitnesscenter, obwohl er nur manchmal Fußball spielt. Außerdem ist er unser Schulprimus, hat sein Abi in der Tasche und ist seit Kurzem dabei, den Führerschein zu machen - und in diesem Augenblick hält er in seiner Hand das Fragenbuch der Fahrschule.
Ich sehe das zwar als ein unkalkulierbares Risiko an, dass er mit einem Auto auf die Straße gelassen werden soll, aber leider habe ich kein Mitspracherecht.
„Hey, Julian!“, rufe ich sofort und winke ihn herein.
Wie immer trägt er seine Jeanshose nur halb auf seinem Hinterteil hängend. Dazu hat er ein schwarzes T-Shirt an, das ziemlich eng anliegt und seine breiten Schultern betont.
Ich beneide ihn für sein Aussehen und frage mich immer wieder, warum ich so hell bin und auch noch Sommersprossen haben muss. Außerdem wirkt er immer irgendwie braun gebrannt und gesund, während ich blass und kränklich aussehe. Wo ich es in allem nur bis zur Hauptschule bringe, schlendert er mit Leichtigkeit durch das Gymnasium. Ihm fällt alles in den Schoß.
Julian tritt mit verunsichertem Blick in mein Zimmer. Er ist es nicht gewohnt, von mir in mein heiliges Reich gebeten zu werden.
„Kennst du einen Professor Knecht, der Vertretungen in Schulen gibt?“, frage ich ihn.
Julian sieht mich dümmlich an. „Nö, warum?“
Ich bin drauf und dran ihm zu erzählen, was mir an diesem Vormittag passiert war. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass Julian nur darüber lachen wird. Er war damals schon über den ganzen abergläubischen Unsinn wegen dem Haus mehr als belustigt und hatte mich lange damit aufgezogen, dass ich dem so viel Beachtung schenkte. So winke ich ab und versuche es auf einem anderen Weg.
„Hat dich hier noch mal jemand wegen einem Hexer oder Zauberer angequatscht, der hier gewohnt haben soll?“
„Meinst du die Geschichte von unserem seltsamen Ururgroßvater?“, antwortet Julian leichthin.
Mich trifft fast der Schlag.
Warum weiß er darüber Bescheid und ich nicht? Ich hasse es, wenn mein Bruder den Schlauen rauskehren kann und ich hasse es noch mehr, dass er nie etwas von sich aus preisgibt. Er hätte mir doch schon längst mal davon berichten können.
Aber diesmal bin ich so neugierig, dass ich mich freiwillig klein und dumm stelle.
„Du weißt davon?“, frage ich ihn.
„Nah ja. Wissen ist wohl übertrieben“, meint er grinsend und setzt sich auf mein Bett.
Bisher durfte er nicht mal auf meinem Sofa Platz nehmen. Genauso, wie er mich in seinem Zimmer nie duldet, so allergisch reagierte ich bisher darauf, wenn er meins betrat. Doch diesmal bringt mich das nicht in Rage und diesmal scheint er es auch gar nicht darauf angelegt zu haben, mich damit zu ärgern. Ganz im Gegenteil. Er scheint sich dort breitzumachen, um mir endlich von etwas zu berichten, das ihm schon länger auf der Seele brennt. Aber schon der erste folgende Satz macht mich dann doch wieder wütend. Aber nicht auf meinen Bruder.
„Du weißt ja, dass wir beide immer alles als Letztes erfahren und du sowieso. Mama will nicht, dass du davon zu viel weißt.“
„Wovon?“, stammele ich und komme mir vor, als hielte man mich in dieser Familie für nicht vollwertig. Ich beschließe, egal was Julian zu berichten hat, meiner Mutter, und vielleicht auch meinem Vater, gehörig die Meinung zu sagen. Ich bin schließlich schon siebzehn!
„Ich weiß nicht, ob ich dir das wirklich sagen soll. Nachher …“ Mein Bruder wirkt plötzlich wirklich verlegen.
„Was nachher?“, fauche ich und weiß nicht, ob er mich nur auf den Arm nehmen will.
„Du weißt doch?“, stammelt er, nun noch verlegener und sieht auf seine Hände. „Wegen dieser Träume.“ Er sieht wieder auf und seine dunklen Augen verengen sich, als würden sie meine Reaktion zu ergründen versuchen.
Ich sehe ihn verwirrt an. „Wegen der Träume?“
Julian kann doch nur die schrecklichen Albträume aus meiner frühsten Kindheit meinen. Meine Mutter verbat ihm damals das Fernsehen, weil sie glaubte, dass er in meinem Beisein schlimme Filme ansah. Außerdem liebte er es, mir, sobald er lesen konnte, und das konnte er schon Ende der ersten Klasse fließend, vorzulesen. Doch auch das hatte Mama ihm schnell verboten, weil sie meinte, er lese mir nur Gruselgeschichten vor. Alles alter Kaffee und ewig her. Von meinen späteren Traumattacken kann er nichts wissen. Die habe ich immer für mich behalten.
Ich fauche ihn an: „Nun mach mal ‘nen Punkt. Nur weil ich früher mal etwas schlecht schlief? Ich bin jetzt siebzehn Jahre alt. Da werde ich wohl nicht gleich vor Entsetzen zusammenbrechen und nachts aus dem Fenster springen, wenn du mir was von vor hundert Jahren erzählst“, sage ich und versuche all meinen Spott in diesen Satz zu legen.
Julian lächelt verhalten und ich wundere mich etwas, dass er sich überhaupt die Mühe macht, vor mir so zu tun, als müsse er sich erst dazu durchringen, mir von allem zu erzählen. Sonst ist er mit mir keineswegs so zimperlich. Ich erinnere mich gut, wie er mir beim Zelten mit Christiane vor zwei Jahren eine überfahrene, schon brettharte Katze in den Schlafsack gesteckt hatte. Als ich abends hineinkletterte und meine Füße etwas Hartes, Felliges trafen, machte er sich doch auch keine Sorgen um mein Seelenheil.
„Aber erzähl bloß keinem davon. Von mir weißt du nichts, in Ordnung?“, raunt er mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen.
Ich ahne, selbst wenn ich sage, dass ich Mama alles petzen werde, könnte er nicht mehr zurück. Er scheint regelrecht darauf zu brennen, endlich auspacken zu können.
„Also“, beginnt er und ich setze mich auf meinem Schreibtischstuhl und rolle mich dicht an ihn heran. Wir sitzen da, wie zwei Verschwörer. „Du weißt doch, dass Papa hier nicht hinziehen wollte.“
Ich nicke und sehe ihn groß an.
„Das kam, weil er glaubte, dass es in diesem Haus spukt und es Unheil über uns bringen könnte.“
„Papa glaubt an so etwas?“, entfährt es mir ungläubig. So kenne ich meinen Vater eigentlich nicht. Er macht sich doch sonst auch nichts aus Gespenstergeschichten und Getratsche.
„Nah ja. Eigentlich nicht“, meint Julian dann auch und fährt fort. „Aber es gibt eine Geschichte, ach das ist schon, glaube ich, über sechzig Jahre her. Da gab es in unserer Familie einen Verwandten. Also, soweit ich weiß, muss das von Mama der Urgroßvater gewesen sein. Der war als junger Mann angeblich von zu Hause weggelaufen und soll monatelang auf Schiffen angeheuert haben. Letztendlich war er wohl in Ägypten gelandet. Dort soll er einige Jahre gelebt haben, bevor er wieder nach Hause kam und sich dieses Haus kaufte.“
Julian sieht mich an, als erforsche er in meinem Gesicht, ob ich schon erste Anzeichen von traumatischem Entsetzen zeige.
Ich sehe ihn so unbekümmert wie möglich an, was nach seinem bisherigen Bericht auch kein Kunststück ist. Einen Verwandten, den es in die weite Welt zog, gibt es bestimmt in jeder Familie.
Julian fährt fort: „Dieser Urgroßvater von Mama, ich glaube, Kurt hieß er …, also, angeblich hatte der in Ägypten etwas über Heilkunst und Zauberei gelernt. Er war auch steinreich. Angeblich, weil er dort ein Verfahren entwickelt hatte, mit dem er, was weiß ich … Stroh zu Gold machen konnte, oder so was.“ Julian hebt beide Hände und macht Gänsefüßchen in die Luft, die zeigen sollen, dass dieser Teil der Geschichte nicht unbedingt etwas Wahres beinhaltet.
„Aha!“ kann ich dazu nur sagen, während in meinem Kopf rotiert, dass ich erneut auf den Namen Kurt stoße. „Ganz schöner Quatsch!“, füge ich noch hinzu und hoffe, Julian erzählt weiter. Er hatte sich noch nie die Zeit genommen und mit mir über so etwas gesprochen.
„Glaube ich auch, denn hier siechte sein Reichtum schnell dahin und er verdiente sich sein Brot angeblich durch die Behandlung von Kranken. Also, wenn du mich fragst, das hätte er wohl kaum nötig gehabt, wenn er irgendetwas in Gold verwandeln hätte können.“ Julian grinst.
„Woher weißt du das alles?“, frage ich und weiß nicht, ob Julian sich die Geschichte nicht einfach nur aus den Fingern saugt.
„Das darfst du auf gar keinen Fall Mama erzählen“, ermahnt Julian mich erneut und ich verspreche es.
„Als ich ungefähr sieben oder acht war, kamen Oma Martha und Opa Willy zu Besuch. Mama schickte mich damals nach draußen und ich kletterte wütend auf die kleine Eiche, die vor unserer Wohnung stand. Das Fenster zum Wohnzimmer war auf und ich musste, natürlich ungewollt, mit anhören, wie Opa Willy von seinem Großvater erzählte.“
Julian bekommt plötzlich einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Als wäre er allein im Zimmer, sagt er wie zu sich selbst: „Eigentlich kamen sie damals wegen deiner Träume.“
Ich rechne schnell nach. Ich muss zu der Zeit vier oder fünf Jahre alt gewesen sein und ich erinnere mich kaum daran, wann meine Träume angefangen haben. Damals schon?
Schnell winkt Julian ab. „Egal, ich weiß nicht genau, warum er das damals Mama und Papa erzählte. Also, er sprach halt von diesem Großvater Kurt, der in Ägypten gewesen war und von dort reich und mit etlichem Wissen über Heilkunde und Alchemie wieder nach Hause kam. Alchemist solle er dort geworden sein oder so etwas Ähnliches. Heute würde man ihn wohl als Chemiker bezeichnen. Er soll sich hier sogar ein Labor gebaut haben, um dort seltsame Mixturen anzurühren. Hier bei diesem Haus.“ Julian sieht von seinen Händen auf und starrt mir ins Gesicht, als suche er darin nach einer bestimmten Regung.
Ich sehe ihn nur mit großen Augen an und versuche meine immer stärker werdende innere Unruhe zu ignorieren.
„Opa erzählte das damals so komisch. So als wäre das etwas ganz Schlimmes“, fügt Julian hinzu und schüttelt verständnislos den Kopf. „Und dann gab es hier wohl einige Leute, die konnten ihn nicht gut leiden. Ich weiß nicht genau, was Opa alles so meinte. Ich glaube, es fing mit dem Verschwinden eines jungen Mädchens an. Dieser Kurt wurde wohl damit in Zusammenhang gebracht. Und dann waren da auch noch andere Zwischenfälle gewesen. Ich weiß das halt nicht so genau“, entschuldigt Julian sich, als wäre es ihm peinlich, mal etwas nicht zu wissen.
Ich bin wie elektrisiert. Mein Magen scheint sich in seiner jetzigen Position nicht wohlzufühlen und eine andere einnehmen zu wollen. Aber warum? Das ist doch eine uralte Geschichte, die noch nicht einmal bewiesen ist und uns doch gar nicht mehr betrifft. Warum fühle ich mich so entsetzlich angesprochen?
Julian ist mit seiner Geschichte noch nicht am Ende. „Aber das Härteste kommt noch. Ich habe diese Geschichte deswegen niemals vergessen. Man kennt so etwas von Spielfilmen und aus Geschichtsbüchern. Dass so etwas aber auch in der eigenen Familie passiert sein könnte, glaube ich bis heute nicht richtig. Ich denke, dieser Kurt ist wieder nach Ägypten abgehauen, als ihm hier das Pflaster zu heiß wurde.“
Ich sehe meinen Bruder fassungslos an. Er blubbert vor sich hin und bringt nichts Verständliches zutage, wie mir scheint und ich brenne darauf zu erfahren, wie die Geschichte angeblich weitergegangen sein soll.
„Was glaubst du nicht?“, frage ich ungeduldig nach, als er mich wieder nur anstarrt.
Julian greift nach meinem Arm und zieht mich näher zu sich heran. Er lauscht einen Augenblick, ob sich irgendwo im Haus schon etwas rührt. Doch unsere Eltern werden erst in einer Stunde nach Hause kommen. Auf gar keinen Fall eher. Doch er scheint sich dessen erst ganz sicher sein zu wollen. Endlich sagt er sehr leise: „Opa sagte, so in etwa auf jeden Fall: Diese Hunde haben ihn damals für einen Hexenmeister gehalten und verbrannt, irgendwo bei seinem Haus.“
Ich weiche vor meinem Bruder zurück. „Was, das hat Opa gesagt?“ Alles zieht sich in mir zusammen. Was Julian für unglaubwürdig hält, bekommt durch den alten Professor einen gewissen Wahrheitsgehalt.
Julian setzt eine feierliche Miene auf. „Ich schwöre es. Ich habe das damals noch nicht so ganz verstanden. Aber als wir dann in der Schule über Hexenverbrennungen sprachen, fiel es mir wieder ein und die Geschichte von Opa bekam langsam einen Sinn für mich. Mama fragte damals, ob denn keiner nach ihrem Urgroßvater gesucht hätte und warum Opa sich so sicher sei. Und weißt du, was er ihr geantwortet hat? Er hätte die vielen Menschen auf dem Marktplatz gesehen und die Rufe gehört, die danach schrien, dass man den Hexer endlich verbrennen müsse.
Du hättest Mama sehen sollen. Die hat angefangen zu weinen…
Oma sagte dann, dass sie sich auch noch dran erinnern würde, wie sie sich mit ihren Eltern vor Angst im Keller versteckt hätten. Sie war damals noch ganz klein, sagte sie, und die Leute im Dorf waren schrecklich wütend. Ihr Vater hatte mehrmals von dem Alchemisten Heilsalbe geholt, weil er schreckliche Hauptprobleme hatte und an diesem Tag hatten ihre Eltern Angst, dass die Leute in ihrer Blutgier nicht nur dem Alchemisten an den Kragen wollten. Erst am nächsten Morgen wagten sie sich wieder hinaus. Omas Vater schlich sich noch am selben Tag hier her. Doch dieser Kurt war nicht mehr da. Stell dir das vor! Keiner hat seit dieser Nacht irgendwo etwas von ihm gesehen. Ist das nicht seltsam?“
Ich sehe meinen Bruder verdattert an und er fügt hinzu, weil ich nicht antworte: „Aber ich glaube nicht, dass man ihn verbrannte. Ich bin mir fast ganz sicher, dass dieser Kurt nach Ägyp…“
„Aber wenn es doch jemanden gibt, der angeblich genau weiß, dass er als Hexer verbrannt wurde?“, raune ich aufgebracht.
Julian sieht mich entgeistert an.
Mir wird noch unwohler und ich könnte mich für meinen Ausspruch ohrfeigen. In mir baut sich der Wunsch auf, dass Julian endlich aus meinem Zimmer verschwindet und er die ganze Geschichte schnell wieder vergisst. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nicht gut ist, wenn er etwas von meinem Zusammenstoß mit diesem verrückten Professor erfährt und was er mir gesagt hatte. Aber das ist nur ein unbestimmtes Gefühl in meinem Inneren.
So springe ich auf und knuffe meinen Bruder lachend. „Ach, Hexenverbrennung. So ein Blödsinn! Das hätte doch die Polizei herausgefunden. Viel mehr Menschen hätten darüber gesprochen und Zeitungen hätten darüber berichtet. Mal ganz davon abgesehen, dass die Geschwister, Verwandten und Bekannten von diesem Kurt die Geschichte doch damals ganz anders hinterfragt hätten.“
Julian sieht mich skeptisch an. „Aber was meintest du mit jemandem, der darüber genau Bescheid weiß?“, fragt er, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob ich ihm nicht nur etwas vormache. Er kennt mich einfach zu gut.
„Das war nur Spaß!“, rufe ich und grinse Julian frech an. „Ich kenne auf jeden Fall keinen. Du?“, frage ich und greife nach meiner Schultasche, als wäre es nun wirklich an der Zeit, diesen Unsinn zu lassen und die Hausaufgaben in Angriff zu nehmen.
Julian steht langsam auf und schüttelt den Kopf. „Nö, ich sage ja, dass der bestimmt wieder nach Ägypten gegangen ist.“ Er dreht sich noch einmal zu mir um und seine dunklen Augen verengen sich zu Schlitzen, die mich so seltsam mustern, dass alles in mir zusammenschrickt. Eine Sekunde lang habe ich das Gefühl, dass Julian mich durchschaut.
Ich sage, als wäre das meine feste Meinung: „Vielleicht brauchte irgend so ein Ölscheich einen fähigen Laboranten zum Ölpunschen? Die haben bestimmt besser gezahlt als die Bauern hier. Da hat unser schlauer Verwandter gedacht, da geh ich lieber wieder.“
Julian grinst steif und nickt.
Mir kommt mit einem Mal der Gedanke, dass er mir noch irgendetwas verschweigt, genauso wie ich ihm. Aber ich wische den Gedanken schnell fort und füge noch, mich etwas dumm und unwissend stellend, hinzu: „Nah, den Verstand eines Ärchemästen oder wie das heißt, hast du bestimmt von diesem Kurt geerbt. Ich auf jeden Fall nicht.“ Ich spiele damit darauf an, dass Julian schon immer mit Chemiebaukästen herumhantiert hatte.
Der scheint eine Sekunde zu erstarren. „Alchemist heißt das“, knurrt er und reißt die Tür auf. Dort dreht er sich noch einmal um, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. „Und, was war jetzt mit diesem Professor, nach dem du gefragt hast?“
„Ach nichts! Gar nichts! Wir hatten bei dem heute nur Vertretung und der war echt schrecklich. Mehr nicht!“, antworte ich, die Unbekümmerte spielend.
Ich bin froh, dass Julian endlich mein Zimmer verlässt. Nachdenklich gehe ich zum Fenster und stelle schnell die Blumen und alles Kram, was ich immer auf der Fensterbank ablege, auf den Schreibtisch. Das Fenster weit öffnend, sauge ich gierig die frische Luft in meine Lunge und rede mir ein, dass auch dieser Professor von der Geschichte gehört haben muss, die Opa meinen Eltern erzählt hatte. Aber das erklärt noch nicht, was wirklich aus diesem Kurt geworden war.
Je mehr ich mir einzureden versuche, dass die Geschichte mit der Hexenverbrennung nur Blödsinn ist, umso heftiger schleicht sich in mir ein Interesse an dieser Geschichte ein. Mehr noch! Es scheint mir auf seltsame Weise der Wirklichkeit zu entsprechen, als wäre ich dabei gewesen. Und der Name Kurt …!
Gibt es einen Zusammenhang mit „meinem“ Kurt?
Mit Erschrecken baut sich in mir die Gewissheit auf, dass da tatsächlich eine Verbindung bestehen könnte.
Ich beginne entsetzt, diese Geschichte als unwahr abzutun, aus einer Art Schutz heraus vor einem Wissen, das unbedingt tief in meinem Inneren verborgen bleiben muss. Aber es will dort nicht bleiben und Fetzen eines immer wiederkehrenden Albtraumes drängen hoch.
„Kurt, hilf mir!“, höre ich wieder die panische Stimme in meinem Kopf schreien, während der Himmel von Staub und Rauch übersät ist und kreischend Bomben neben uns einschlagen.
Beide Hände an die Schläfen gelegt, schließe ich die Augen und versuche den innerlichen Druck loszuwerden, der sich in mir aufbaut, als hätte jemand eine Tür zu einem verborgenen Wissen aufgestoßen und ich konnte sie nicht schnell genug wieder zuschmeißen. Ich will nicht an diesen Traum denken. Etwas aus dem Inneren, das hinter der Tür haust, war aber offensichtlich herausgedrungen und der Rest drängt nun unerbittlich gegen die Tür.
Verzweifelt dränge ich die Furcht und das Entsetzen, das diesen Traum begleitete, wann immer ich ihn träumte, zurück. Es darf sich nicht in meinen Tag einschleichen, wenn ich ein einigermaßen normales Leben führen will.
Aber es scheint zu spät zu sein. Die Mühlen scheinen schon zu mahlen und ich kann es nicht mehr aufhalten.
Als ich nach einiger Zeit innerlichen Kampfes die Augen öffne und nach draußen sehe, habe ich einen Entschluss gefasst. Ich muss dem Ganzen auf die Spur kommen. Es muss einen Weg geben, mehr darüber zu erfahren, um diesen innerlichen Druck endlich loszuwerden und Klarheit in die ganze Geschichte zu bringen. Diese Geschichte mit der Verbrennung von diesem Kurt Gräbler muss ich klären. Denn wenn doch etwas Wahres dran ist, muss ich wissen, ob Kurt Gräbler und mein Kurt ein und dieselbe Person sind. Außerdem habe ich das Gefühl, es ist besser, das nächste Mal gegen solche Menschen wie diesen Professor gewappnet zu sein und sie mit Argumenten umstimmen zu können. Denn man weiß ja nie, zu was solche Leute fähig sind. Und ich muss mich irgendwie schützen.
Ein seltsamer Gedanke, der sich da im mir ausbreitet.
Ich muss mich schützen! Mir darf nichts passieren!
Ich schließe das Fenster wieder und stelle die Blumen und alles andere ordentlich auf den kalten Marmor zurück.
Als ich mich an meinen Schreibtisch setze, zittern meine Hände kaum noch. Der Entschluss, endlich nicht mehr die Augen zu verschließen und Nachforschungen betreiben zu wollen, lassen mich ruhiger werden.
Ich greife nach meiner Schultasche und zerre meine Hefte und Bücher auf die Tischplatte, um mit meinen Hausaufgaben zu beginnen.
Erstaunlicherweise kann ich mich an diesem Nachmittag sogar gut auf meine Hausaufgaben konzentrieren. Sehr gut sogar. Alles geht müheloser als sonst. Keine Gedanken an Christiane und die anderen Mädchen aus meinem Trupp drängen sich zwischen mich und meine Matheaufgaben. Kein Gedanke an den unbekannten Jungen, den ich irgendwann treffen werde, lässt mein Herz höherschlagen. Kein verrückter Professor macht mir Angst. Es gibt nur die Hausaufgaben und mich. Ein Zustand, der mir in meinem Leben noch nie so untergekommen ist.
Mit der Absicht, meinem Unwissen, den alten Zeiten gegenüber, entgegen zu treten, öffnet sich mir plötzlich eine Welt der Ruhe.
So werde ich auch schnell fertig und fühle mich, als könne mich nichts mehr erschüttern.
Inzwischen kam meine Mutter nach Hause. Ich hörte ihren entfernten Ruf: „Hallo! Ich bin wieder da!“
Nun ertönt ihr zweiter Ruf, der mir sagt, dass seit dem ersten schon wenigstens eine Stunde vergangen sein muss. „Kinder … Essen!“
Was habe ich die ganze Zeit gemacht?
Auf einem Zettel vor mir sehe ich Strichlinien, die mit Namen verbunden sind. Ein Stammbaum meiner Familie.
Ich habe meinen Namen und Julians unten auf die Seite gesetzt. Darüber steht mein Vater Niklas und meine Mutter Sophie. Darüber sehe ich die Namen Willy und Martha, Oma und Opa also. Neben Oma steht allerdings auch noch der Name Otto und die beiden sind verbunden mit dem Namen meiner Mutter. Opas Name wirkt ausgeschlossen und allein.
Mich überkommt nach langer Zeit so etwas wie Trauer. Was hatte Opa getan, dass er so gestraft wurde? Glaubte er doch immer, eine Tochter zu haben, so stellte sich erst kurz vor seinem Tod heraus, dass er niemals Kinder hatte. Was für eine schreckliche Enthüllung.
Über den Dreien steht mit einem riesigen Nichts dazwischen der Name Kurt. Aber wo gehört dieser Kurt hin, den man als Hexer bezeichnet hatte? Ich weiß es nicht und hoffe, es herausfinden zu können.
Ich erhebe mich und schiebe den Zettel in mein Englischbuch. Auch Englisch war heute gar nicht so schwer gewesen.
Ich trabe nach unten. Mein Magen schreit nach Füllung und mir fällt ein, dass mein Mittagessen ausgefallen war. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Wenn ich manchmal nach Hause komme und mich mit Christiane am Telefon festquatsche, kann es schon einmal vorkommen, dass wir einfach einige Stunden telefonieren und ich das Mittagessen völlig vergesse. Aber, wenn ich es mir so richtig überlege … wegen Hausarbeiten? Ich glaube, das ist mir noch nie passiert.
Der Professor und Julian müssen mich wohl mehr durcheinandergebracht haben, als ich mir eingestehen will.
„Hallo, mein Schatz!“, ruft meine Mutter mir gut gelaunt entgegen.
Ich setze mich an den Küchentresen, auf dem einige Fertigpizzas schon duften und ich antworte ihr auch mit einem fröhlichen: „Hallo!“
Julian kommt und ich bemerke an der ausfallenden Begrüßung, dass die beiden sich wohl schon gesehen haben.
Papa schlurft mit müdem Gesichtsausdruck in die Küche. Wie immer hatte er sich wohl gleich nach der Arbeit aufs Sofa fallen lassen, um zu schlafen.
„Hallooo!“, gähnt er und wird von meiner Mutter geknufft.
Ein Blick auf den Tisch und mein Vater murrt: „Schon wieder dieses Fertigzeug? Kannst du nicht mal etwas gescheites Kochen?“
Meine Mutter setzt sich und faucht: „Ich habe auch den ganzen Tag gearbeitet. Warum machst du kein Essen, statt dich aufs Sofa zu lümmeln und zu schlafen?“
Julian und ich sehen uns an. Üblicherweise geht das nun stundenlang so weiter. Aber plötzlich klingelt das Telefon und scheint uns zu retten.
Mama schlurft knurrend an den Apparat, der im Flur auf einem Tischchen steht. Ich hoffe nur, dass es nicht Christiane ist.
Ich greife mir ein Stück Pizza und muss insgeheim Papa recht geben. Diese Fertigsachen hängen uns echt zum Hals raus. Allerdings verstehe ich auch meine Mutter, wenn sie Papa um etwas mehr Mithilfe bittet.
Der erste Bissen Pizza bleibt mir fast im Hals stecken, als ich meine Mutter toben höre: „Was? Da hat sie noch nichts von erzählt. Was ist das denn für ein Lehrer? Sind denn in den Schulen alle unfäh…“ Meine Mutter wird wohl unterbrochen.
Ich sehe auf und treffe auf Julians Blick, der sofort irgendwie eine schuldige Miene aufsetzt. Aber warum? Wenn ich das Ganze richtig interpretiere, telefoniert meine Mutter mit einem von der Schule, der glaubt, es ist wichtig, dass sie von dem durchgeknallten Professor erfährt. Das kommt mir schon komisch vor. Warum machen sie deshalb so einen Wind?
Mein Vater steht auf und geht zur Küchentür. Zu meinem Entsetzen tritt er in den Flur zu meiner Mutter und schließt die Tür laut hinter sich.
Rums, wir sind von dem Gespräch abgeschnitten.
„Mein Gott! Mit wem telefoniert Mama da?“, fragt Julian erschrocken. Auch ihm sind der seltsame Ausbruch unserer Mutter und die Reaktion unseres Vaters schleierhaft.
Doch er sitzt nicht wie angewurzelt da, sondern springt von seinem Stuhl auf und schleicht zur Tür.
Ich starre ihm nur dümmlich hinterher. Mama kann ich durch die geschlossene Tür wettern hören. Bloß was sie sagt, kann ich nicht verstehen. Aber warum regt sie sich so auf?
Nun höre ich sogar die Stimme meines Vaters. Auch er scheint ziemlich wütend zu sein.
Julian kommt zum Tisch zurück und raunt: „Auweia! Was war denn heute in der Schule los? War was mit diesem Professor, den du erwähntest?“
In dem Moment fliegt die Tür auf und ich höre noch Mamas erhitzten Ausruf: „Wenn sie wieder diese Träume kriegt, zeige ich die alle an!“
Papa besänftigt sie und legt seinen Zeigefinger auf die Lippen. Also soll in unserer Gegenwart nicht darüber gesprochen werden.
Ich bin siebzehn und sehe nicht ein, dass irgendetwas vor mir verheimlicht werden muss. So frage ich mit pochendem Herzen: „Was ist denn los?“
Mama sieht mich wütend an und faucht: „Warum hast du denn nichts erzählt? Du kannst uns doch ruhig alles sagen!“
Ich sehe sie entgeistert an. „Was erzählt?“
Nun ist es Papa, der loslegt. „Nah, diese Lehrervertretung heute. Das eben war deine Klassenlehrerin, die etwas besorgt ist, weil du da heute angeblich mit einem Lehrer zusammengekracht bist, der nicht ganz richtig im Kopf ist.“
Julian starrt mich mit hochgezogenen Brauen an.
Alle starren mich plötzlich an.
„Ach das. Das war gar nicht so schlimm. Ich war nur etwas … überrascht“, versuche ich die Sache abzutun. „Dass die deswegen anrufen!“
Mama und Papa sehen sich an und Mama fragt leise: „Der muss dir doch mit seinen Hirngespinsten tüchtig Angst gemacht haben?“
Ich kann mir irgendwie nicht helfen. Es ist so offensichtlich, dass sie den alten Professor als vollkommen irre hinzustellen versuchen, dass ich hellhörig werde. Dazu die Geschichte von Julian, der mich fast bittend ansieht, als hätte er etwas zu befürchten. Ich komme mir seltsam ausgeschlossen und wie in Watte gepackt vor. Und das ist etwas, was ich gar nicht mag. So gehe ich auf Konfrontationskurs, was die Gesichter aller am Tisch Sitzenden zu Grimassen des Schreckens werden lässt.
„Aber was ist denn an der Geschichte dran, dass dein Urgroßvater hier verbrannt worden sein soll?“, wende ich mich an Mama.
Man hätte eine Stecknadel klirren hören können, wäre eine auf den Boden gefallen.
Julian sieht mich mindestens genauso entsetzt an, wie meine Eltern. Scheinbar befürchtet er, dass ich ihn nun doch verrate. Er kann ja nicht wissen, dass in der Schule der Professor für Geschichte schon für eine Überraschung für mich gesorgt hatte. Ich weiß nur nicht, was meine Eltern alles von dem Gespräch mit dem alten Mann wissen.
Mama hebt zu einer ungläubigen Gegenfrage an: „Darüber hat der Lehrer mit dir gesprochen?“
Ich würde am liebsten meiner Mutter von dem Fossil berichten, das sie für einen Lehrer hält. Und wenn ich nun auch noch erwähne, dass der mich verbrennen wollte? Aber natürlich tue ich das nicht. Sie regen sich sowieso schon so schrecklich auf.
Meine Frage hängt in der Luft, wie einer dieser klebrigen Fliegenfänger, mit denen man besser nicht in Berührung kommen sollte.
Mama springt auf. „Ich schiebe die Pizzen noch einmal kurz in den Ofen. Die sind bestimmt schon wieder kalt.“ Sie greift nach dem Blech und läuft zum Backofen. Dort hantiert sie herum, als müsse sie erst einmal ein Feuer entfachen und Holzscheite darauf platzieren.
Julian und ich sehen Papa an. Der versucht unseren Blicken auszuweichen. Aber letztendlich muss er sich uns doch stellen.
„Tja, irgendwann musste es ja mal so kommen. Das ist wahrscheinlich unvermeidlich, weil wir hierhergezogen sind“, druckst er herum.
Mama kommt langsam zum Tisch zurück. Schwerfällig setzt sie sich auf ihren Stuhl. „Mein Gott! Ich dachte, das wäre alles vorbei!“
Papa antwortet ihr: „Solange da draußen immer noch ein paar Verrückte herumlaufen … Die Leute vergessen nie, Sophie. Daran hätten wir denken müssen, als wir in das Haus zogen.“
Ich, und ich glaube auch Julian, weiß plötzlich, dass die Sache mit dem Urgroßvater aus Ägypten der Wahrheit entsprechen muss. Wenn es auch schon ewig her ist, so scheint es so schlimm und mysteriös gewesen zu sein, dass es nun sogar auf mich einen Schatten wirft. Aber was war damals geschehen? Was war so Schlimmes passiert, dass es heute noch Leute gibt, die meinen, mich noch dafür verbrennen zu müssen?
Wie eine überirdische Bedrohung hämmern plötzlich die Worte des alten Professors durch meinen Kopf: „Ich weiß nicht, ob du wiedergekehrt bist? Aber glaube mir, ich werde es bald wissen und dann werde ich dich bekämpfen, wie mein Vater und mein Bruder dich damals schon bekämpften …“
Glauben hier wirklich welche an die Auferstehung nach dem Tode? Meint der Professor, ich wäre dieser Kurt von damals … seine Reinkarnation?
Meine Gedankengänge werden jäh unterbrochen, als Mama zu erzählen beginnt: „Ach wisst ihr, dieses Haus hat vor - ich weiß nicht so genau, vielleicht fünfzig oder sechzig Jahren - mein Urgroßvater gekauft. Der hatte vorher einige Jahre in einem anderen Land verbracht und von dort eine Menge Geld mitgebracht. So etwas macht die Leute hier stutzig. Dazu kam, dass er dort in dem Land seltsamen Wissenschaften nachgegangen war, die hier keiner nachvollziehen konnte.“ Meine Mutter sieht meinen Vater hilfesuchend an.
Der steht aber nur schnell auf und holt die Pizzen aus dem Ofen.
Als er sich wieder setzt und keinerlei Anstalt macht, Mama zu unterstützen, fährt sie fort: „Angeblich passierten damals ein paar seltsame Dinge und die Leute meinten, dass er schuld daran sein müsse. Sie wiegelten sich gegenseitig hoch und …“, Mama schluckt und sieht meinen Vater wieder an, der aber nur das Pizzablech fokussiert.
Ich schiele zu Julian, der aber nur einen gelangweilten Blick zur Decke wirft, der besagen soll, dass Mama nun wirklich nichts Neues zu berichten hat. Aber er hütet sich, den Mund aufzumachen.
Ich blicke wieder zu meiner Mutter, denn der spannende Teil muss ja nun noch kommen. Die fährt etwas leiser fort: „Mein Urgroßvater ist dann wohl wieder weggezogen. Oder zumindest glauben wir das. Aber es gibt auch Menschen, die meinen, dass er einem Feuer zum Opfer gefallen ist.“
Papa packt Mama umständlich ein Stück Pizza auf den Teller, als will er damit sagen: Schluss mit Geschichten erzählen, jetzt ess erst mal schön.
Ich kann es nicht fassen. Da konnte ich ja froh sein, dass Julian die Geschichte schon vorher erzählt hatte. Das, was Mama da von sich gab, war ein Gruselmärchen für Kleinkinder.
„So, nun esst mal, bevor Mama die Pizzen noch einmal aufwärmen muss“, brummt Papa und schiebt sich ein Stück in den Mund.
Dass mein Stück Pizza seit dem ersten Bissen noch gar keinen Ofen gesehen hat, scheint er einfach zu ignorieren.
„Langweilige Geschichte“, mault Julian und sieht mich hochmütig an, als wolle er noch einmal ein Lob von mir einheimsen, dass er die Geschichte weitaus besser erzählt hatte. Doch für mich ist die ganze Sache noch nicht ausgestanden. So leicht will ich meine Eltern nicht davonkommen lassen.
„Dieser Professor meinte, dieser Mann wäre ein … Hexer gewesen?“
Mama schiebt sich in Windeseile ein großes Stück Pizza in den Mund und tut so, als könne sie darauf nun wirklich im Moment nicht antworten. Auch mein Vater scheint irgendwie mit der Pizza zu kämpfen, als wäre sie ein überaus zähes Stück Fleisch. Ich finde das Ganze langsam etwas lächerlich.
Endlich antwortet Mama, nachdem sie ihr Pizzastück hinuntergewürgt hat: „Na ja! Zu der Zeit hielten die Menschen schnell mal jemanden für eine Hexe oder einen Zauberer. Aber lass uns jetzt endlich zu Ende essen, damit wir heute noch mal fertig werden.“
Ich esse zwar brav meine Pizza, schwöre mir aber, mich mit ihrer Antwort nicht zufriedenzugeben.