Читать книгу Goldhorus - Sabine Wassermann - Страница 9

2.

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»Verrate mir«, sagte Amunhotep zu Niqmepa, »weshalb bist du so sicher, dass dich dieser ach-so-wichtige Händler herausholt? Ich habe dir alles abgenommen, was du ihm hättest verkaufen können.«

Niqmepa verlagerte sein ansehnliches Gewicht und zog einen winzigen Beutel aus den Falten seines fadenscheinigen Gewandes.

»Dies hier hast du übersehen, du großer Krieger, denn ich verstaute es vorsorglich bei mir. Und wenn du es jetzt noch stehlen willst, werde ich Hannzumirasch herzurufen. Und was ich ihm erzählen werde, weißt du hoffentlich, denn von allen meinen Funden auf dem Schlachtfeld war der Sohn des Pharao unzweifelhaft der erstaunlichste.«

Amunhotep lächelte abschätzig. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich es bin.«

»Ich glaube gar nichts.« Der Händler lauschte auf Geräusche aus dem Gang, öffnete das Lederbeutelchen und schüttelte mit äußerst vorsichtigen Bewegungen den mageren Inhalt auf seine Handfläche. Es waren etwa zwanzig winzige Kügelchen von glänzendblauer Farbe. Ein schwerer, süßlicher Geruch stieg von ihnen auf, der an Lavendel erinnerte.

»Aphek wird dieses Gift haben wollen, denn es ist äußerst wertvoll«, erklärte Niqmepa gedämpft und dennoch gewichtig. »Ich habe es in seinem Auftrag erworben, kurz bevor ich in Richtung des Schlachtfeldes aufbrach.« Er seufzte auf. »Leider traf ich dort dich.«

Amunhotep beugte sich vor, um diese überaus kostbaren Körner in Augenschein zu nehmen. »Du handelst also auch mit Gift?«

»Jede Arznei ist zugleich ein Gift, das ist eine Frage der Dosierung. Allerdings kann man mit den Samen dieser Pflanze tatsächlich nicht heilen, sondern nur töten. Sie ist sehr tückisch und sehr begehrt. Reisende brachten sie aus einem Land jenseits von Assyrien mit. Man nennt sie die Tränen der Ischtar. Das ist die Göttin der Liebe, aber Ischtar kann auch sehr streng und zornig sein.« Niqmepa nahm eines der Körnchen zwischen die Finger, aber es war so winzig, dass es nicht mehr zu sehen war. »Hiermit allein kann man einen Mann töten. Darum haben die Menschen an den Tischen der Könige reichlich Verwendung dafür.«

Amunhotep sah zu, wie er das Gift wieder in den Beutel füllte. »Allein damit … Wenn das wahr ist, könnten wir versuchen, es den Wachen zu geben.«

»Bist du verrückt?«, fauchte Niqmepa und ließ den Beutel augenblicklich verschwinden. »O ja, du bist verrückt. Wie stellst du dir das vor? Willst du Hannzumirasch bitten, dass er dir seinen Weinkrug durch die Gitterstäbe reicht, damit du eine von Ischtars Tränen hineinwerfen kannst? Überhaupt, was sollte mich dazu bewegen, dir zu helfen?«

»Nichts, gar nichts, da hast du recht. Ich werde sterben, aber das muss dich nicht kümmern.«

Niqmepa schürzte die Lippen. »Es kümmert mich nicht im Geringsten. Deine Frau wird um dich trauern müssen. Hast du überhaupt eine Frau?«

Amunhotep beobachtete die Bewegungen der Syrer auf dem Gang, gleichzeitig wartete er auf ein Lebenszeichen von Djehuti. »Ich habe eine Frau: Schischwa.« Schischwa, wiederholte er in Gedanken. Ihr Name klang zwischen diesen schmutzigen Mauern seltsam fehl am Platz.

»Das klingt aber nicht sehr ägyptisch.«

»Sie ist die Nichte des Königs von Mitanni.«

Kichernd schlug sich Niqmepa auf die Schenkel. »Ach ja, ich vergaß: Du bist der Sohn von Thutmosis dem Dritten, dem Goldfalken, dem Starken Stier! Wie ist sie denn, deine Mitanniprinzessin? Kann sie sich mit den schönen Ägypterinnen messen?«

Auf dem Gang lag ein Lehmklumpen, der an Djehutis Sandalen geklebt haben musste, denn Amunhotep erkannte darauf den Abdruck eines winzigen Kopfes: eines Fremdländers von irgendwo aus den Neun-Bogen-Ländern, den Feinden Ägyptens, die auf Djehutis Sohlen aufgestickt waren. Er streckte den Arm durch die Stäbe und versuchte den Klumpen zu greifen.

»Thutmosis hat vor vielen Jahren den verkehrt dahinfließenden Fluss, den ihr Euphrat nennt, überquert und das Mitannireich unterworfen. Nach langen Verhandlungen schickte der König von Mitanni voriges Jahr seine Nichte, um als Geisel am Hof von Theben zu leben.«

»Halt, halt!«, rief Niqmepa hinter ihm gedämpft. »Meines Wissens hat Thutmosis Mitanni nie erobern können. Er ist lediglich mit einer gewaltigen Streitmacht auf riesigen Flößen den Euphrat hinuntergefahren, aber den Fuß auf das Land der Hurriter hat er niemals gesetzt.«

»Weil es nicht nötig war. Mitanni unterwarf sich, bevor es sich auf einen aussichtslosen Krieg einließ.« Amunhotep bekam den Klumpen nicht zu fassen. Er hatte damit Djehutis Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen, aber vielleicht fand sich etwas anderes, das er durch die Gitterstäbe werfen konnte? Er wandte sich um, doch hier in diesem Verlies gab es nichts außer dem stinkenden Wasserkrug.

»Eine Schönfärberei, nichts sonst«, plapperte Niqmepa weiter. »Er wusste angesichts der Weiten des Mitannireiches, dass er es niemals würde beherrschen können.«

»Was verstehst du denn schon von den Gedankengängen eines Gottes, du Nichtswürdiger?«, zischte Amunhotep. »Das Volk von Mitanni, die Hurriter, zahlen Ägypten jährlichen Tribut, und im Gegensatz zu deinem widerspenstigen Volk sind sie vernünftig genug, Thutmosis nicht herauszufordern oder die Zahlungen zu vergessen. Der Mitannikönig Parsasatar schätzt sich glücklich, dass seine Nichte am Hof von Theben leben darf, noch dazu als meine Frau.«

Niqmepa hob die Hände. »Du willst nicht, dass ich deine Herkunft erwähne, aber ständig pochst du selber darauf herum.«

»Mein Vater ist der leuchtende Goldfalke, der über der Welt gleitet! Wie könnte ich das vergessen?«

»Wie kommt es eigentlich, dass du nichts bei dir trägst, das deine Herkunft belegen könnte? Müsste sich ein ägyptischer Prinz nicht schier unter der Last des Goldes beugen? Deine Halskette war doch recht armselig.«

»Ich pflege mich nicht zu schmücken, wenn ich im Heer marschiere.«

»Du hast auf alles eine Antwort. Einzig deine Selbstgefälligkeit passt zu deiner Geschichte, o Sohn des leuchtenden Goldfalken, der über der Welt gleitet.«

Ein gequälter Schrei ließ Amunhotep herumfahren. Djehuti war im Begriff, sich an den Bronzestäben hochzuziehen. Der Befehlshaber starrte ihn an; in seinen Augen lagen gleichermaßen Fassungslosigkeit und Bedrückung. Amunhotep entging nicht, wie zwei der Syrer die Hände an ihre Streitkolben legten und herbeieilten. Hannzumirasch war dicht hinter ihnen, mit einem drohenden Blick in Amunhoteps Richtung.

»… bist … hier!« Djehuti streckte eine Hand durch die Stäbe, dadurch verlor er den Halt und sackte zurück. »Amun-Amunh…«

Seine Lider flatterten, er sank in sich zusammen, die andere Hand löste sich langsam vom Gitter.

»Der Mann ist mehr tot als lebendig«, seufzte Hannzumirasch. »Was hat er sagen wollen? Er hat dich angesehen, Ägypter.«

»Er hat unseren Gott angerufen«, erwiderte Amunhotep mit einem Gleichmut, den er nicht empfand.

»Euer Gott wird euch nicht helfen.« Der Syrer deutete auf seine Leute, dann auf Djehuti. »Schafft den da wieder hinaus, er verpestet nur unnötig die Luft. Stellt draußen einen Pfahl auf. Er soll mit dem Holz Bekanntschaft machen, so lange noch Leben in ihm ist.«

Amunhotep sprang auf und zertrat den Tonkrug so heftig, dass das faulige Wasser nach allen Seiten spritzte. »Was seid ihr für Barbaren!«, schrie er. »Ihr verdient es, dass Ägypten eure Stadt dem Erdboden gleichmacht!« Er langte nach einer spitzen Scherbe, streckte den linken Arm durch das Gitter, packte den nächststehenden Syrer am Hals und zog ihn an die Bronzestäbe. Das alles geschah so schnell, dass er genügend Zeit hatte, dem Mann die Scherbe mit der Spitze voran in den Hals zu jagen. Die Scherbe war nicht scharf genug, um seine Lebensader aufzureißen, aber der Syrer brüllte gellend auf und riss sich fluchend los. Amunhotep bedauerte zutiefst, dass dies alles war, was er mit seiner Tonscherbe hatte ausrichten können. Als Hannzumirasch befahl, den Balken zu seiner Zelle zu entfernen, war er beinahe erleichtert.

Zu dritt drängten sie in das Verlies. Niqmepa quiekte ängstlich und drückte sich in die äußerste Ecke. Amunhotep rammte den Vordersten gegen die Bronzestäbe, mit solcher Wut, dass er Rippen knacken hörte. Der Mann taumelte auf den Gang zurück und schrie nach Verstärkung. Dem zweiten versetzte er einen Fausthieb, aber in der Enge traf er nur das Schlüsselbein. Dennoch gelang es ihm, ihn beiseite zu schieben und einen Fuß auf den Korridor zu setzen.

Er packte einen auf ihn gerichteten Speer und versuchte ihn an sich zu bringen, aber er musste unterliegen, denn er war geschwächt. Er fühlte Hannzumiraschs Schlinge um seinen Hals, und sobald ihm die Luft ausblieb, schwanden seine Kräfte. Sie stießen ihn zurück in sein Verlies, wo er mit dem Gesicht voran gegen die Wand schrammte. Er versuchte noch, mit dem Fuß nach hinten auszutreten, aber es war zu spät. Mit den Speerschäften – mit was auch immer, er sah es nicht – knüppelten sie ihn zu Boden, während er an der Schlinge zerrte.

Vergebens rang er nach Luft; Lichtpunkte begannen vor seinen Augen zu tanzen. Erst als er keinen Muskel mehr rührte, ließen sie von ihm ab. Er hörte das metallische Zuknallen der Tür und das Rattern des Balkens, als dieser wieder in seine Position hoch über dem Gitter geschoben wurde. Allmählich lockerte sich die Schlinge, und er konnte atmen, aber sein Körper war in einen einzigen pulsierenden Schmerz getaucht. Er wartete einige lange Augenblicke, dann rollte er sich auf die Seite.

Amunhotep sah eine Frau. Es musste eine Sinnestäuschung sein, denn er spürte, wie er dicht davor war, in Bewusstlosigkeit einzutauchen.

Nein, sie stand wirklich dort draußen auf dem Gang und sah ihn an. Lange, dichte Locken fielen ihr fast bis zur Taille, volle Brauen wölbten sich über großen Augen in einem braungebrannten Gesicht.

»Schischwa«, flüsterte er und streckte die Hand nach ihr aus, aber er bekam nur die Gitterstäbe zu fassen. Sie trat einen Schritt zurück. »Nein, du kannst es nicht sein. Bist du ihr Ka?« Amunhotep schloss die Augen. Tu es nicht, denk nicht an sie … Nicht jetzt, es ist zu schmerzvoll.

Amunhotep ging mit weitausholenden Schritten durch die großzügigen Korridore und Hallen, deren Wände mit bunten Malereien auf weißem Grund schier übersät waren. Aus bronzenen Becken quoll der Weihrauchduft, der Atem der Götter. Wo immer er vorüberkam, verneigten sich die Menschen, kreuzten die Arme vor der Brust oder streckten sie demütig vor; die Wachtposten rissen die Flügeltüren auf, noch bevor er herangetreten war. Die breiten goldenen Reife an seinen Oberarmen zeigten mit ihren Gravuren an, wer er war: Sohn des Gottes, der Kobra und Geier vereint. Und auf den Enden des Schals, der um seine Mitte geschlungen war, stand sein Name, gebildet aus den Zeichen für das Schilfblatt, das Brettspiel, die Wasserlinie und das Brot auf der Opfermatte.

Er betrat einen sonnendurchfluteten Raum, in dem Schischwa auf dem Boden saß, auf den Knien eine geöffnete Papyrusrolle. Djay, Gelehrter aus dem Haus des Lebens und einstmals Lehrer der königlichen Kinder, schritt vor ihr auf und ab und hörte zu, wie sie sich mit den schwierigen Hieroglyphen abmühte. Sie sah auf, warf Amunhotep ein Lächeln zu und zuckte hilflos mit den Schultern. Djay räusperte sich und verneigte sich in seine Richtung.

»Nun, Schischwa«, der Gelehrte strich sich mit einem Tuch den Schweiß vom kahl rasierten Kopf, »das Lesen bereitet dir noch große Mühe. Oder liegt das an der heutigen Hitze? Beschäftigen wir uns mit etwas Entspannenderem, nämlich mit der Geschichte unseres Landes.«

Amunhotep, der sich im Hintergrund hielt, musste lächeln, denn ägyptische Geschichte war alles andere als entspannend. Schischwa seufzte und reichte Djay den Papyrus. Vor zwei Monaten war die Nichte des Mitannikönigs gekommen, um nach Thutmosis’ und Parsasatars Willen in die mächtige ägyptische Dynastie einzuheiraten. Amunhotep, der längst alt genug war, um einen Harem zu gründen, hätte sich niemals träumen lassen, dass er sich augenblicklich in sie verlieben würde. Doch so war es gekommen, kaum dass ihr Fuß das Schiff verlassen hatte, mit dem sie aus dem fernen Mitanni angereist war.

Djay rollte den Papyrus zusammen und steckte ihn zu anderen in einen Ebenholzkasten. »Wie heißt der Begründer unserer herrschenden Dynastie? Aber ich möchte außer seinem Geburtsnamen auch seinen Thronnamen und den Nebti-Namen hören.«

Schischwa warf ihren prächtigen Lockenkopf zurück, den sie kaum bändigen konnte, weshalb sie ständig dicke Strähnen hinter die Ohren strich. Sie musste sich die Antwort abstottern, und Djay legte sichtlich unzufrieden den Kopf in den Nacken.

»Nun, wer folgte auf Ahmose?« Da sie nicht antwortete, gab er selbst die Antwort: »Amunhotep der Erste, Djoserkare. Möge die Dynastie uns noch viele Pharaonen schenken, mit denen Amun zufrieden sein kann.«

Amunhotep lächelte über das gefällige Wortspielchen. Amun ist zufrieden – das war die schlichte Bedeutung seines Namens. Djay betete die Namen der Pharaonen herunter, und Schischwa hörte angestrengt zu.

»Wer folgte auf Thutmosis den Zweiten? Hast du derartige Dinge denn gar nicht in deinem Mitanniland gelernt?«

Amunhotep lehnte sich mit gekreuzten Füßen an eine der Lotosbündelsäulen. Seine Fächerträgerin, eine schöne Tochter aus adligem Hause, bewegte gleichförmig den mannshohen Federnfächer, um ihm Kühlung zu verschaffen. Mit dieser Frage hatte der langweilige Unterricht hoffentlich sein Ende, denn Schischwa würde die Antwort wissen. Sie sprach Ägyptisch beinahe fehlerlos und hatte in ihrer Heimat ganz sicher auch einige Lektionen über die ägyptischen Herrscher gelernt. Schischwa besaß volle dunkle Augenbrauen, die sie jetzt zusammenzog.

»Doch, habe ich«, antwortete sie ein wenig mürrisch. »Hatschepsut, eine Frau, eine Pharaonin. Aber ich glaube nicht, dass ich mich an ihren Thronnamen erinnern kann.«

Diese Antwort verblüffte ihn, und auch Djay stieß einen überraschten Laut aus.

»Was ist denn das für ein Unsinn? Es gab nie eine Frau auf dem Horusthron, und das wird auch nie so sein. Die Antwort ist falsch«, sagte der Gelehrte streng. Schischwa schlang nachdenklich eine Locke um ihren Finger.

»Aber so habe ich es daheim gelernt«, beharrte sie, jetzt sichtbar gereizt. »Hatschepsut war die Tochter von Thutmosis dem Ersten und die Gemahlin von Thutmosis dem Zweiten. Und als dieser starb, bestieg sie den Pharaonenthron …«

»Du hast es schlichtweg falsch gelernt«, unterbrach sie Djay. »Hatschepsut ist ein Titel, er bedeutet: Die Erste unter den vornehmen Frauen. Auch Amunhoteps Mutter Meritre ist eine Hatschepsut.«

»Ach, ich finde das alles noch so verwirrend. Die Pharaonen haben so viele seltsame Namen.« Schischwas Augen suchten Amunhotep, fast schien es ihm, als erwarte sie, dass er eine Bresche für sie schlug, aber dieses Thema war am Hof tabu. Es musste schon eine Mitanniprinzessin kommen, um den Namen dieser sagenhaften Frau in den Mund zu nehmen und auch noch zu behaupten, sie sei Pharao gewesen. Die Papyri im Haus des Lebens und die Bilder an den Tempelwänden lehrten anderes, nämlich dass auf Thutmosis den Zweiten dessen Sohn folgte: Thutmosis der Große, der Lebende Horus, der Begründer des gewaltigen ägyptischen Imperiums.

Djay begann in blumigen Worten von Thutmosis’ glorreicher Herrschaft zu berichten, von seinen Feldzügen, die ihn bis an die Grenzen des Mitannireiches weit im Nordosten geführt hatten. »Dort setzte er sein ganzes Heer auf Flöße und segelte den Euphrat hinunter, den verkehrt dahinfließenden Fluss, bis an die Vorposten der hurritischen Hauptstadt, wo er Parsasatar unterwarf. Da du die Namen der ägyptischen Könige nicht weißt, zähle mir doch die Ahnentafel der hurritischen Herrscher auf.«

Schischwa warf ihr widerspenstiges Haar zurück und sprang mit geballten Fäusten auf. »König Parsasatar hat sich nicht unterworfen. Ich bin nicht nach Ägypten gekommen, um mir so etwas anhören zu müssen!«

Djay hob abwehrend die Hände. »Sind das die Manieren, die hurritische Frauen lernen? Du solltest dich wieder hinsetzen und mir zuhören, denn deine heimische Bildung ist schlecht, ganz und gar schlecht!«

Schischwa stampfte mit dem Fuß auf. Amunhotep bewunderte ihre zusammengezogenen Brauen, darunter die blitzenden Augen. Ihre Brüste bebten unter dem hauchdünnen Leinenkleid, ihre Armreife klirrten. Etwas reizvoll Fremdartiges haftete ihr an. »Mitanni ist nicht erobert worden, niemals«, beharrte sie. »Thutmosis hat den Euphrat ja gar nicht überschritten. Und wieso sagst du, der Fluss würde verkehrt fließen?«

»Weil er in die andere Richtung fließt als der Nil, der der Herr aller Flüsse ist.«

»Oh, was seid ihr doch für ein überhebliches Volk!«

»Das lasse ich mir nicht länger von dir bieten«, rief Djay. »Der Herrscher nimmt dich an seinem Hof auf, und wie dankst du es ihm?« Er klemmte seinen Papyruskasten unter den Arm und eilte zur Tür. »Wir werden weitermachen, sobald es sich wieder mit dir vernünftig reden lässt.« Er unterbrach seinen raschen Schritt, um Amunhotep noch einmal zu huldigen.

»Verzeih mir, Hoheit«, murmelte er, »aber ich kann solche Reden nicht dulden.«

»Mag sein, aber ein wenig mehr Geduld könntest du schon an den Tag legen. Sie kommt aus einem fernen Land, in dem man die Maat nicht kennt, was erwartest du also von ihr? Ich will nicht, dass du sie noch einmal so anfährst.«

Ergeben senkte Djay den Kopf und hastete hinaus. Amunhotep löste sich von der Säule und ging zu Schischwa.

»Du bist wirklich störrisch«, er zog sie an sich. »Warum sagst du nur solche Sachen?«

»Ach, du!« Sie schlang die Arme um seinen Nacken. Das konnte sie, denn sie war eine großgewachsene Frau. »Du würdest doch nichts sagen, das deinem Vater, dem großen Eroberer Thutmosis, nicht gefällt. Du glaubst doch auch, dass er das Mitannireich unterwarf, oder nicht?«

Amunhotep konnte nachempfinden, dass ihr hurritischer Stolz von dieser Niederlage getroffen war, aber ihre Beharrlichkeit fand er nicht angebracht. »Du bist erst einige Wochen hier, du kannst also gar nicht wissen, ob ich alles glaube, was mein Vater erzählt. Aber die Hurriter zahlen ihm Tribut; warum sollten sie das tun, wenn sie ihn nicht als ihren Herrn anerkennen? Und weshalb schickte Parsasatar dich hierher, wenn nicht aus Demut? Er weiß, es ist für ihn eine Ehre, dass seine Nichte mit mir vermählt wurde.«

Statt einer Antwort deutete Schischwa auf das Wandbild hinter ihm. »Da! Siehst du das?«

»Natürlich sehe ich es«, brummte er und musterte das lebensgroße Bildnis von Thutmosis dem Großen, wie er auf seinem Streitwagen stand und Pfeile auf syrische Soldaten abschoss. Die Syrer waren sehr klein dargestellt, ein wirrer Haufen von Leibern, die von den Pferden des königlichen Streitwagens niedergemäht wurden, während der Gott hochaufgerichtet den Bogen spannte. Überall im Palast gab es solche Szenen an den Wänden, mal zeigten sie Thutmosis in einer Schlacht, mal bei der Jagd, mal im Gespräch mit den Göttern. Amunhotep waren sie nur zu vertraut.

»Er lenkt den Streitwagen, indem er die Zügel um seine Hüfte geschlungen hält«, sagte Schischwa. »Und gleichzeitig spannt er den Bogen. Du, der du angeblich der beste Wagenlenker Ägyptens bist, musst doch wissen, dass das völlig unmöglich ist. Und die feindlichen Soldaten sind ein blöder, ungeordneter Haufen, als wüssten sie nichts von Schlachtordnung und Taktik.«

»Aber das ist doch bloß …«, Amunhotep wandte sich von der hohen Wand ab. »Wie sähe das denn aus, wenn da oben auf dem Bild sein Wagenlenker stünde? Die Bilder sollen zeigen, dass er der Herr der Welt ist, dem sich niemand in den Weg stellen kann, das ist alles. Das sollte dir dein neues Leben hier nicht vergällen. Du wirst dich schon daran gewöhnen. Es gibt eben ein paar Regeln, an die du dich halten musst.«

»Und zwar?«, fragte sie herausfordernd, aber ihr Ärger schien zu schwinden.

»Pharao ist Gott, die Inkarnation des Horus, der Starke Stier, der Falke, dem alles Leben unterstellt ist. Er ist die Verkörperung Ägyptens.«

»Ach, das habe ich längst begriffen«, sie winkte lachend ab. »Und was noch, du stolzer Sohn des Gottes?«

Amunhotep zuckte die Achseln. »Alles lebt, um Pharao zu dienen. Du solltest den Namen Hatschepsut nicht erwähnen.«

»Ach ja, diese sagenhafte Königin, die Ägypten regierte, bevor dein Vater sie vom Thron stieß …«

»Nein, das darfst du nicht sagen, hörst du?«

Sie lachte über seine entsetzte Miene. Er legte beschwörend einen Finger auf ihren Mund, nach dem sie spielerisch schnappte. Jäh durchzuckte ihn eine heftige Erregung, und er presste sie fordernd an sich. Schon kam ihr Atem keuchend. Er drängte sie gegen die Wand, damit sie Halt fand, um ihre Schenkel um seine Hüften zu legen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte er seine Fächerträgerin beiseite, während er sich in Schischwas Lippen verbiss. Die Träger ihres durchscheinenden Gewandes waren schnell heruntergeschoben. Er küsste ihren Hals, ihre Brüste und hörte ihren fordernden Atem.

Gemeinsam sanken sie an der Wand herab. Er wünschte sich, sie überall gleichzeitig berühren zu können, etwas, das ihr mühelos zu gelingen schien, zumindest empfand es sein erhitzter Körper so. Sie saugte an seiner Zunge, dann schob sie ihm das goldene Brustpektoral in den Nacken, um den Schweiß aus der Kuhle seines Schlüsselbeins zu lecken.

»Du bist wundervoll«, murmelte er. »Ich frage mich, was ich eigentlich all die Jahre zuvor getan habe.«

»Denk lieber daran, was wir in den zukünftigen Jahren tun werden«, lachte sie und knotete seinen Schurz auf. Einen Augenblick später war er in ihr, und sie liebten sich auf dem kühlen Fliesenboden unterhalb eines kleineren Wandbildes, das die königliche Familie zeigte. Als es vorüber war, mussten sie sich auf dem Boden ausstrecken, um Atem zu schöpfen. Schischwa rollte auf den Rücken und betrachtete die hoheitsvollen Gemälde.

»Alles hier ist so groß, bunt und verschwenderisch«, raunte sie, noch immer leise keuchend. »Der Palast ist wie ein üppiger Traum, und ich genieße ihn, trotz eines herrischen Pharao, der überall in Siegerpose auf mich herabstarrt.« Sie streckte einen Finger in die Luft. »Das dort bist du, nicht wahr? Du bist ein wenig größer dargestellt als all die anderen Menschen, die dem Pharao huldigen.«

Er drehte den Kopf, um ihrem Fingerzeig zu folgen. Auf dem Bild stand er zwischen seinem Bruder Amenemhet, der bereits seit einigen Jahren verstorben war, und seiner Schwester. Meritamun war eine klassische ägyptische Schönheit, und er selbst war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.

»Sie wird deine Königsgemahlin werden«, sagte Schischwa, »ich hingegen bin nur deine zweite Frau.«

»Du bist jetzt meine Frau«, widersprach er. »Meritamun heirate ich erst, wenn ich den Thron besteige, um ihr heiliges Blut mit dem meinen zu vermischen. Also denk nicht darüber nach.«

»Sie ist sehr schön und sehr belesen. Mit ihr kann ich mich niemals messen.« Schischwa tippte sich auf die Nasenspitze. »Meine Nase ist gebogen, und ich bin so unbesonnen und aufbrausend wie ein Wildesel.«

»Genau das mag ich an dir«, er neigte sich ihr zu und küsste sie, diesmal langsamer und genussvoller. Aus den Augenwinkeln sah er wieder das Bild seines Vaters auf dem Streitwagen, und plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Weshalb eigentlich nicht?«, sagte er und blickte in Schischwas dunkle Augen. »Ich werde es tun.«

»Was wirst du tun?«

Er lachte leise. »Den Streitwagen mit den Hüften lenken und gleichzeitig mit dem Bogen schießen.«

»Du bist ja verrückt. Willst du dir den Hals brechen?«

»Sollte der vermeintlich beste Wagenlenker Ägyptens es nicht wenigstens versuchen?«

»Hm. Du hast zwar keine krumme Nase …«, sie strich die Finger durch sein schwarzes Haar, »aber weißt du, was ich glaube? Du bist noch weitaus unbesonnener als ich.«

Niqmepa hatte die Wahrheit gesprochen: Jemand kam und löste ihn aus. Über Amunhoteps Sinnen lag ein Schleier, der sich nur ab und zu hob, dann hörte er die Stimmen der Syrer oder bemerkte eine flüchtige Bewegung, die sein Kopf nicht zu deuten vermochte. Er lag auf dem Boden und rührte sich nur, wenn es unumgänglich war: wenn er das stinkende Wasser trank oder das Essen hinunterwürgte, das ihm die Wächter zukommen ließen. Er hatte nicht die geringste Vorstellung von dem, was er aß. Der Gestank in seinem Verlies nahm tagtäglich zu, und das Stroh nahm eine feuchte, beißende Beschaffenheit an. Er wartete ab, bis sich sein Körper von den Prellungen erholte. Sein Zorn war nicht verraucht, sein Willen keineswegs gebrochen. Aber er wusste keinen Ausweg als den, auf den drohenden Tod zu warten. Diesen Weg ging Djehuti ihm voraus: Wie angekündigt sollte er gepfählt werden. Der Befehlshaber des Amun-Regiments erlangte das Bewusstsein in jenem Augenblick wieder, als die Syrer ihn hinausschleiften – die syrischen Götter waren nicht gnädig mit ihm.

Als Amunhotep wieder soweit war, dass er einigermaßen klar denken konnte, fragte er sich, wie viel Zeit vergangen war. Einige Wochen oder gar Monate?

Er tastete nach dem Fenstersims hoch über seinem Kopf und zog sich hoch. Der Platz vor dem Stadttor war nicht anders als an dem Tag, als er ihn betreten hatte. Djehuti lag bäuchlings auf einem Bohlentisch mitten auf dem Platz, nackt, mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Einige Syrer, darunter ein paar Frauen und Kinder, sahen zu, wie die Rebellen mit ihrer üblen Arbeit begannen. Sie hämmerten einen Holzpfahl mit gehärteter Spitze in Djehutis After. Djehuti stieß kraftlose, gurgelnde Schreie aus. Amunhotep sah mit fassungslosem Staunen zu, wie der Pfahl in dem zuckenden Leib verschwand, tiefer und tiefer, bis er ihm endlich das Leben nahm.

Er sank an der Wand nieder und stützte die Ellbogen auf die Knie. Sie würden ihn früher oder später holen, und wenn ihm Amun noch einmal half, würde er einige der syrischen Rebellen töten, bevor sie ihn zum Pfahl zerrten.

Aber sie kamen nicht. Drei, vier Tage vergingen, und nichts geschah. Amunhotep fiel es nur allmählich auf: Er hörte ihre Schritte nicht mehr auf dem Gang, entdeckte niemanden, der ihm Wasser oder etwas zu essen gebracht hätte. Von Hannzumirasch war ebenfalls nichts zu sehen und zu hören. Irgendwann warf er wieder einen Blick aus dem Fenster. Djehuti war fort, wahrscheinlich hatten sie den Pfahl auf der anderen Seite des Stadttors aufgepflanzt, wo seine Leiche die Reisenden willkommen hieß. Die Leute, die die Stadt betraten, wurden offenbar nicht mehr so gewissenhaft geprüft wie zuvor. Jener, der ihn in dieses von allen Göttern verfluchte Verlies gelockt hatte, saß noch immer an seinem Tisch. Inzwischen kannte Amunhotep den Namen des Mannes. Scharruma winkte ab und zu jemanden heran, um ihn zu untersuchen. Aber außer zwei Wachtposten zu beiden Seiten des Tores waren keine syrischen Krieger mehr zu sehen.

Das Gebäude war leer, ebenso die anderen Verliese. Er spähte den Gang entlang und achtete auf Geräusche, aber nichts war zu hören. Wollte man ihn hier vergessen?

Vorsichtig streckte er die Schultern, dann setzte er sich wieder. Er hatte in seiner Ausbildungszeit in Memphis viele Hiebe einstecken müssen, bevor er den Umgang mit Waffen beherrschte, und seitdem wusste er, dass sich sein Körper schnell erholte. Da war etwas unter seinem Schurz. Es war schon die ganze Zeit da gewesen, aber erst jetzt bemerkte er es. Er lehnte seinen Rücken an das Gitter, zog die verbliebene Hälfte seiner Halskette hervor und hielt sie vors Gesicht. Das Gold erschien ihm nun so fremdartig, als gehörte es zu einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Da war das Amulett, die Federkrone des Amun. Die Kette selbst bestand aus zwei fingerbreiten goldenen Maat-Federn.

»Niqmepa hat von dir erzählt«, rief plötzlich eine weibliche Stimme hinter ihm, »und das war wirklich nicht übertrieben.«

Er drehte sich um und richtete sich gleichzeitig auf. Tatsächlich, dort stand eine junge Frau. Ihr Blick folgte ihm, während er sich zu seiner vollen Größe erhob, bis ihr Kopf im Nacken lag.

»Von Amunhotep heißt es, dass er sehr groß ist«, ihre Augen weiteten sich. »Du könntest es demnach wirklich sein.«

Er erinnerte sich daran, sie gesehen zu haben, aber sie war nicht Schischwa, selbstverständlich nicht.

Es war ihre Lockenpracht, die ihn verwirrt hatte, sonst fehlte jede Ähnlichkeit. Diese Frau, fast ein Mädchen noch, besaß eindeutig ägyptische, wenngleich ein wenig derbe Züge.

»Ich heiße Hadjet«, sagte sie zögernd, »und ich diene im Haus von Aphek, dem Arzneienhändler.«

Er stieß einen verächtlichen Laut aus. Das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust. Sie trug ein syrisches, sehr unscheinbares Fransenkleid, das sich eng um ihre Rundungen spannte.

»Niqmepa hat von deiner Größe und deinem Stolz berichtet«, plapperte sie los, »und davon, dass du nicht ganz richtig im Kopf bist. Also kam ich her, denn ich war neugierig. Ich habe einem der Wachleute schöne Augen gemacht, damit er mich hereinlässt. Hannzumirasch ist in die Berge gezogen. Irgendwo dort hat er ein Versteck, das niemand kennt. Er war nur hier wegen dieser Schlacht und weil er zusehen wollte, wie der ägyptische Befehlshaber stirbt. Jetzt ist er fort. Das erfuhr ich, als ich Aphek belauschte, während er mit Niqmepa sprach.« Endlich rang sie nach Luft. »Du wirst heute noch gepfählt werden.«

Er hob die Brauen. »Hast du das auch von Aphek gehört?«

»Nein.« Mit einem Kopfnicken deutete sie nach draußen. »Sie haben soeben den Tisch aufgestellt.«

Amunhotep ging zum Fenster und zog sich hoch. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Der breite Bohlentisch stand bereit, und daran lehnte der Pfahl, so hoch wie ein Mann und fast so dick wie sein Handgelenk. Ein paar alte Frauen hockten schon am Rand des Platzes und warteten auf das bevorstehende Schauspiel. Von den syrischen Soldaten war noch keiner zu sehen.

Er musste eine aufsteigende Panik niederkämpfen. Bis zu diesem Moment hatte er nicht wirklich geglaubt, dass er getötet werden würde. Er konnte unmöglich getötet werden, weil … Ja, weshalb nicht?, fragte er sich. Hatte ich geglaubt, ein Stern würde herabstürzen und dieses Gebäude zum Einsturz bringen oder etwas in der Art?

Er kniete und hob die Hände dem schmalen Sonnenstrahl entgegen, der durch das winzige Fenster fiel. Noch immer hielt er die Kette; der Anhänger baumelte vor dem kleinen lichtdurchfluteten Viereck. »Amun, mein Name steht in Ägypten auf vielen Bauwerken in Stein gemeißelt. Erinnere dich daran und rette wenigstens meinen Ka! Mein Vater, der der Bewahrer der Maat ist, soll diese Stadt dem Erdboden gleichmachen, wenn er von meinem Tod hört. Er soll mit dem verfluchten Rebell Hannzumirasch ebenso verfahren, wie der es mit Djehuti tat!«

»Oh, das klingt aber dramatisch«, warf Hadjet ein. »Wenn ich dir nur helfen könnte. Ich will nicht, dass du stirbst.«

Er bemerkte, wie sie zweifelnd den mächtigen Balken über ihrem Kopf musterte und dann die Arme reckte, aber es blieb eine Elle Luft zwischen ihr und dem Holz. Sie zog einen der Hocker herbei und sprang darauf.

»Hör auf, du kannst den Balken nicht bewegen«, sagte Amunhotep. Trotzdem streckte er ebenfalls die Arme hoch und drückte mit den Fingerspitzen gegen das Holz. Das Mädchen presste die Schulter unter den Balken und atmete tief ein. Ihre Züge verzerrten sich in der Anstrengung, den Balken zu heben, aber sie richtete nichts aus. Das spröde Holz knarrte nur unbeeindruckt.

Sie sprang wieder herunter. »Ich laufe zu Aphek und bitte ihn, dich hier herauszuholen. Er kann es tun, er ist sehr mächtig.«

»Nach allem, was ich bisher von ihm gehört habe, ist er kein Mann, der einen anderen nur um des Mitleids willen befreit. Nimm das«, er reichte ihr den Rest seines Halsschmucks. »Vielleicht kannst du damit etwas ausrichten. Halte es ihm nur nicht zu voreilig unter die Nase.«

Hadjet betrachtete verwundert das Gold und ließ es beinahe ehrfürchtig durch die Finger gleiten. »Das wird ihm gefallen. Ich werde ihm sagen, dass du beide Sprachen sprichst. So jemanden sucht er, denn er will sich mit einem ägyptischen Händler treffen.«

»Er hat doch dich.«

»Ich?« Sie sah auf. »Ich bin eine Frau.«

»Ist das von Belang?«

»Wenn er seine Geschäfte tätigt, wird er nicht ausgerechnet mich dabeihaben wollen.« Sie ballte die Faust um den Schmuck. »Ich laufe zu ihm, und ich werde schnell sein, also halte so lange aus, großer Mann.« Eilig rannte sie hinaus, und er beobachtete durchs Fenster, wie sie sich dem lüstern dreinblickenden Scharruma entzog und in Richtung Stadt lief.

Amunhotep blinzelte; die plötzliche Helligkeit blendete ihn, als er auf den Platz hinaustrat. Als er nach Dimaschka gekommen war – aus dem Gespräch seiner Bewacher hatte er entnommen, dass dieser von den Göttern verfluchte Tag zwei Monate zurücklag –, hatte er den Gestank von Schweiß, Tierexkrementen und altem Fett, in dem in den Kochnischen der baufälligen Häuser ständig etwas gebraten wurde, als abstoßend empfunden. Jetzt erschien er ihm geradezu als ein Wohlgeruch.

Er blutete aus einer Wunde an der Schläfe, und seine Hände waren so fest hinter dem Rücken verschnürt, dass seine Finger taub geworden waren. Seine Bewacher hatten Mühe gehabt, ihn zu überwältigen und ihm die Fesseln und eine Halsschlinge anzulegen. Sie waren zu viert gekommen, aber nur zu dritt wieder hinausgegangen, denn einer von ihnen lag jetzt mit gebrochenem Genick im Verlies. Aber das war nur eine schwache Genugtuung, und Amunhotep nahm an, dass er diesen Sieg vergessen haben würde, sobald er die Spitze des Pfahls zwischen seinen Beinen spürte.

Scharruma, der so teilnahmslos wirkende Wächter, klopfte mit der Handfläche auf die fleckige Tischplatte. »Jetzt ist deine Zeit gekommen, mit dem Stock zu tanzen, Ägypter. Da du so groß bist, wird es länger dauern, ihn durch deinen Körper zu treiben. Wenn man es geschickt anstellt, kann man …«

»Hör schon auf«, unterbrach ihn Amunhotep. »Ich bin sicher, deine Leute werden sich Mühe geben.«

Scharruma zog ihn an der Lederschlinge zu. sich heran. »Ganz besonders große Mühe sogar, denn sie haben deine Aufsässigkeit nicht vergessen. Und ich habe den Dolchhieb nicht vergessen, den du mir verpasst hast.« Er winkte den Männern, die Amunhotep in ihre Mitte nahmen, und deutete auf den Pfahl, der am Tisch lehnte, wie ein scheinbar harmloser und etwas wuchtiger Kehrbesen.

»Ich bedaure, dass nicht du jener bist, der tot im Verlies liegt«, sagte Amunhotep. Auch die Aussicht auf die schlimmsten Schmerzen, die er sich vorstellen konnte, brachte ihn nicht zum Schweigen. Doch er fragte sich, ob es ihm gelingen würde, nicht zu schreien. Was vermutlich unwichtig war, denn hier gab es niemanden, der seine Standhaftigkeit auf Wandbildern festhalten würde. Er spürte die Blicke der Leute, die in gebührendem Abstand den Ort des Geschehens umstanden. Es hatten sich eindeutig mehr eingefunden als an dem Tag, als Djehuti hingerichtet worden war. Vielleicht versprachen sie sich von einem Mann seiner Statur, der noch seine Kräfte beisammen hatte, ein besonders ansehnliches Schauspiel.

Eine Frau verschaffte sich mit den Ellbogen Platz. Es war Hadjet, wahrhaftig Hadjet. Sie zog einen älteren Mann hinter sich her, der einen sichtlich widerwilligen Gesichtsausdruck an den Tag legte. Er blieb zwei Schritte hinter dem Mädchen stehen und verschränkte die Hände über seinem fransengesäumten Gewand.

»Das ist Hajabilu, der Gehilfe des Herrn Aphek«, rief Hadjet. »Aphek hat ihn geschickt …«

»Mein Herr hat mich geschickt«, sagte der Mann namens Hajabilu und bedachte sie mit einem tadelnden Blick. »Hadjet, versuche doch einmal, deinen Mund zu halten. Ich werde diese unangenehme Sache zu Apheks Zufriedenheit regeln.«

Er hob das Kinn, an dem ein kunstvoll geflochtener Bart glänzte, als versuche er, auf Amunhotep herabzublicken. »So, das ist also der Mann, der beide Sprachen beherrscht. Aphek will die Städte entlang der Handelsstraße zwischen dem Süden und dem Osten bereisen. Die Statthalter von Megiddo und Gaza erwarten seine Lieferung wichtiger Arzneien. Er sagt, die Zeit ist günstig, denn jetzt, so kurz nach dieser Auseinandersetzung mit der ägyptischen Streitmacht, werden die Rebellen sich in ihren Verstecken sammeln und nicht daran denken, Reisende auszurauben.«

Bei diesen Worten hatte er Scharruma den Kopf zugewandt. Offenbar war dieser Aphek tatsächlich ein bedeutender Mann in Dimaschka, da sein Gehilfe solche Worte wählen konnte. Scheinbar gleichmütig wartete Scharruma ab, die Hand auf dem glatten Holz des Pfahls.

Hajabilus Augen kehrten zu Amunhotep zurück. »Du hast also auch an dieser Schlacht teilgenommen?«

»Allerdings, ich wurde bewusstlos auf dem Schlachtfeld zurückgelassen und suchte hier eine Möglichkeit, in mein Land zurückzukehren.«

Hajabilu entblößte eine mit Golddraht umwickelte Zahnreihe. »Ja, es war ein seltsamer Einfall von dir, ausgerechnet Dimaschka aufzusuchen, um diese Möglichkeit zu finden.«

»Der Gedanke, in der Wüste zu verdursten, erschien mir ungleich absurder.«

Der Händlergehilfe lächelte über diese Bemerkung. »Aphek trug mir auf, dich zu begutachten. Nun ja, ich denke, unter deinem Schmutz steckt so etwas wie ein Mensch. Nun, willst du sterben oder meinem Herrn dienen?«

»Als Sklave, oder als was sonst?«, fauchte Amunhotep.

»Meine Zeit ist knapp, also entscheide dich rasch.« Hajabilus Finger begannen ungeduldig auf seinen Oberarmen zu tanzen. Amunhotep starrte auf den Pfahl. Wollte er ihm entgehen, würde er etwas tun müssen, das ihn auf die niederste Stufe des Menschseins stieß.

»Das ist nicht Maat«, stieß er hervor. »Nein, das ist nicht Maat!«

»Ich weiß zwar nicht genau, was du damit meinst«, erwiderte Hajabilu ruhig, »aber falls du jetzt das Lied von deiner Herkunft anstimmen willst, von dem Niqmepa und Hadjet erzählt haben … Es ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Also?«

Amunhotep schwieg verbissen, und Hajabilu wandte sich aufseufzend an Scharruma. »Hannzumirasch lebt unter anderem von den Waffen, die er bei meinem Herrn erwirbt, das soll bei dem Preis für den Ägypter berücksichtigt werden.«

Scharruma zuckte mit den Schultern. »Du bringst uns und die Leute, die hier stehen, um eine wohlverdiente Darbietung. Das ist bedauerlich, aber wenn dein Herr es so will, nicht zu ändern. Mach die Bezahlung mit Hannzumirasch aus, wenn er Dimaschka eines Tages wieder betritt.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf Amunhotep. »Wie willst du ihn haben? Sollen wir ihn bewusstlos prügeln, damit er dir keine Schwierigkeiten macht? Oder willst du eine Eskorte für ihn?«

»Letzteres, danke. Ab und zu kann man mit euch reden, die ihr für Syriens Unabhängigkeit kämpft, die aber bedauerlicherweise kaum jemand hier haben will, schon gar nicht mein Herr, denn der Handel blüht unter der ägyptischen Oberhoheit. Wenn ihr Hitzköpfe das doch nur begreifen würdet. Der Pharao wird wieder ein Heer schicken, diesmal eines, das euch überrennt. Und dann wird es hier in Dimaschka eine ägyptische Verwaltung geben, so wie in den Städten entlang der Küste, und das will Aphek schon gar nicht.«

Mach dir darüber keine Gedanken, dachte Amunhotep. Der Falke wird Dimaschka schleifen, oder aber ich werde es tun.

Scharruma verschwand mit einem verächtlichen Schnaufen im Gefängnisgebäude, und vier Syrer nahmen Amunhotep auf einen Wink Hajabilus hin in ihre Mitte.

Goldhorus

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