Читать книгу Die Teufelsmalerin - Sabine Wassermann - Страница 5

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Die Frau malte.

Gewöhnlich taten das nur Männer.

Er kannte die Symptome unterschiedlichster Krankheiten und wusste, wann jemand an einer Geschlechtskrankheit litt und nicht an der Pest, so wie der Mann, der rasselnd hinter ihm auf dem Strohbett schnarchte. Von Malerei und ähnlichen Dingen verstand er nichts. Aber er wusste, wann eine Frau etwas Unangemessenes tat.

Diese Frau tat zweifellos etwas höchst Unangemessenes. War schon nicht der Pinsel, den sie hielt, mit seinem schlanken Stiel und der geschmeidigen Haarspitze derart beschaffen, dass ein weibliches Wesen die Finger davon lassen sollte? Er reckte den Hals, um besser durch den Türspalt schauen zu können. Die Frau, die er als die Tochter seines Patienten erkannte, saß auf einem Schemel, den Rücken ihm zugewandt, das Kleid üppig um den Hintern gebauscht. Er neigte sich noch ein Stück vor. Den Pinsel hielt sie in der rechten Hand. Wenigstens in der guten, dachte er und bekreuzigte sich. Rechts von ihr war ein Tischchen, auf dem allerlei Näpfe und Tiegel standen. Er vernahm einen scharfen, nicht unangenehmen Geruch nach Terpentin, der ihm wohl vertraut war, da er es selbst benutzte, um Salben zu rühren. Sie streckte die Hand aus und ließ die Pinselspitze scheinbar wahllos über ein Holzbrett gleiten, auf dem Farbkleckse wie bunte Kügelchen klebten. Ihr bloßer Unterarm war mit Farbspritzern besudelt.

Sie isst nicht genug, dachte er, ihre Gliedmaßen sind zu mager – wie bei den Frauen, die sich zerlumpt und bettelnd jedem Spanier und jedem Mönch anboten. Doch die Linie ihres Oberkörpers war ansehnlich, das haselnussfarbene Haar glänzend. Sie hatte es am Hinterkopf hochgesteckt; einige Strähnen hatten sich aus dem Knoten gelöst und streichelten ihren Nacken.

Was malte die Frau? Wenn er mehr als ihren Rücken und den kleinen Ausschnitt des Tisches sehen wollte, musste er sich ein Stück nach vorne wagen. Vorsichtig trat er durch die Tür. Der Dielenboden knarrte leicht, doch die Frau schien es nicht wahrzunehmen. Sie war in ihre Arbeit versunken.

Nun konnte er sie im Profil betrachten. Ihre Wangen waren leicht gerötet und mit winzigen Farbklecksen versehen. Vor ihr stand die Staffelei mit dem Gemälde. Die Leinwand war zum großen Teil noch weiß, und von dem, was bereits gemalt war, erkannte er nur wenig, denn das Licht der mit drei Kerzen bestückten Lampe, die auf einem Ständer links neben der Frau stand, spiegelte sich in den Farbflächen. Er glaubte, ein Gesicht auszumachen, darunter eine Hand, aber er war sich nicht sicher. Dafür sah er jetzt umso deutlicher, was sich auf dem Tisch befand: Töpfchen, ein Humpen, aus dem Pinsel ragten, Lumpen. Und noch etwas.

Was war das? Eine Figur? Narrte ihn das Flackern der Kerzen, oder bewegte sich das Ding? Es wirkte, als spanne es die Muskeln an. Vielleicht eine Katze? Würde ein Tier, welches auch immer, so lange stillhalten?

Nein, dieses Wesen war etwas anderes. Es besaß kein Fell, seine Haut war glatt und grau. Er erkannte eine Fratze, die nur entfernt einer Hundeschnauze glich, Hörner und große, nach hinten stehende Ohren. Es hatte Krallen.

Und dann begriff er.

Es war einer jener Dämonen, die nachts den Frauen die Botschaft des Teufels einflüsterten. Womöglich der Teufel selbst.

Ja, so musste es sein.

Er presste die Hand vor den Mund, um ein Keuchen zu unterdrücken. Er war entsetzt. Vielleicht irrte er sich. Diese Frau war doch unbescholten und von rechter Herkunft, wenngleich noch nicht verheiratet. Wenn er sich nicht täuschte, war sie dreiundzwanzig Jahre alt, für eine Jungfer nicht mehr ganz jung, aber doch alt genug, um für die Einflüsterungen des Widersachers ein offenes Ohr zu haben. Und dieses Wesen – es existierte, es war kein Trugbild! Folgte der Blick aus den trüben, kreisrunden Augen nicht der Bewegung ihrer Hand, wenn sie den Pinsel in den Humpen tauchte und über die Leinwand gleiten ließ? Ja, das Tier starrte sie begierig an, als wolle es jeden Moment aufspringen, die Zähne in das Fleisch ihres Armes pressen und sich an ihrem Blut laben.

Er schloss die Augen, atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Er musste sofort das Haus verlassen, sie durfte nicht merken, dass er sie im Zimmer gesehen hatte. Zwar würde sie es seltsam finden, dass er sich nicht verabschiedet hatte, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

Sein Patient, ihr Vater, hatte sich auf die Seite gedreht und atmete in sein Kissen. Die Luft schien plötzlich noch stickiger. Er versuchte, seinen Spitzenkragen zu öffnen, aber das kostete nur Zeit. Draußen konnte er ungehindert atmen, konnte schreien, wenn er es anders nicht mehr ertrug. Vorsichtig verließ er das Zimmer und verfluchte innerlich das Knarren der Dielen.

Die Tür, die zur Treppe führte, war nur ein paar Schritte entfernt. Hinaus, nur hinaus. Und dann sofort in die Kirche, um sich im Beichtstuhl die unglaubliche Entdeckung von der Seele zu reden. Danach zu denen, die mit derlei Dingen vertraut waren. Sie würden wissen, was zu tun war.

Die Teufelsmalerin

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