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KAPITEL 1

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Die Gasse war leer. Nicht einmal Hunde ließen sich blicken, um nach Essenskrumen Ausschau zu halten, die die fremden Eroberer aus den Hosentaschen schüttelten. Sieben Stiefelpaare aus wasserdichtem Juchtenleder stampften auf dem Kopfsteinpflaster und ließen den grauen Schnee hoch spritzen. Pelzverbrämte Mäntel wehten, Musketen schlugen gegen Proviantbeutel, Partisanenschäfte klopften im Takt der Schritte auf die Pflastersteine. Einer der Schweden sang ein Kriegslied. Es klang seltsam.

Der Heereszug des Löwen von Mitternacht hatte Mainz erreicht, und wäre dies eine protestantische Stadt gewesen, so hätte sie sich ihm zu Ehren mit Strohbündeln und Laubgirlanden geschmückt, doch hier, in der katholischsten aller Städte, der besonders geliebten Tochter der Römischen Kirche, wurden die fremden Männer feindselig empfangen. Thomas Hartenberg blickte verstohlen zu den Häusern hinauf. Die meisten Fensterläden waren verschlossen, und wenn sich ein Gesicht blicken ließ, verschwand es sofort wieder. Vielleicht gab es in anderen Teilen der Stadt ein paar protestantische Bürger, die das Heer der Schweden zaghaft begrüßten; dieser kleine Trupp jedoch wurde von einem Schweigen empfangen, das eisiger war als die Dezemberluft. Der Rottmeister deutete auf ein kleines Fachwerkhaus inmitten einer Reihe kleinerer Häuser. Über der Tür hing ein verrostetes Eisenschild, das den Schutzpatron der Maler, den heiligen Lukas, zeigte. Er ließ die Hand hochschnellen, und die sechs Soldaten blieben in gefächerter Formation vor dem Haus stehen. Mit fragendem Blick hielt er eine Straßenskizze hoch.

Thomas nickte. «Ja, das muss es sein. Dies ist die Steingasse, und auf dem Türschild steht Anselm Scherer.»

Der Schwede nickte, ging die zwei Stufen zur Haustür hinauf und hämmerte gegen das Holz. «Anselm Scherer! Öffnet!»

Er sprach seinen Befehl mit einem eigentümlichen Akzent aus, der in Thomas’ Ohren immer noch fremd klang. Die Worte durchschnitten die Stille wie zischende Degenklingen, und er meinte zu spüren, wie etliche Augenpaare durch die Ritzen der Fensterläden starrten.

Zunächst geschah nichts, das einzige Geräusch war das Schmatzen eines Schweden, der sich den Rest der Wegzehrung aus den Zähnen pulte. Der Rottmeister rief ein zweites Mal, woraufhin vom ersten Stock ein Geräusch zu vernehmen war. Langsam öffnete sich der Fensterladen zwei Manneslängen über der Tür. Die Schweden blickten nach oben, und mit einem Mal ergoss sich ein Schwall kochenden Wassers über ihnen. Die Männer stoben zurück, einer schwenkte, vor Schmerz und Wut brüllend, seinen nassen Hut.

Der Rottmeister deutete mit dem Kinn in Richtung Tür. Zwei Soldaten nahmen Anlauf und traten fest dagegen. Das Holz knirschte, ein kurzer Knall verriet, dass das Schloss geborsten war, und die Tür flog auf. Die Soldaten liefen ins Haus. Aus dem ersten Stock drang ein angsterfülltes Jammern.

Thomas ging gemächlicher und entledigte sich als Erstes der fast mannshohen Lederrolle auf seinem schmerzenden Rücken. Das Haus war düster, das Holz der Wände von dunklem, glänzendem Braun. Nur einen Schritt von der Haustür entfernt führte eine halsbrecherische Stiege hinauf; geradeaus ging es in die Küche, dem abgestandenen Kohlgeruch nach zu urteilen. Rechter Hand befand sich eine weitere Tür, die Thomas öffnete. Er fand sich in einem großen, von einer blakenden Deckenlampe nur schwach erhellten Raum wieder, der Werkstatt des Malers Anselm Scherer.

Darüber durfte er nun nach Belieben verfügen.

Er wuchtete die Rolle hinein und stellte sie an die Wand. Im Raum standen mehrere Holzkisten, aus denen verschiedene papierene und leinene Rollen ragten. In der Ecke war eine leere Staffelei aufgestellt, und vor den Fenstern stand ein riesiger Tisch. Thomas öffnete die Fensterläden, um mehr Licht zu haben. Die Decke knarrte unter den Schritten der Männer. Er schüttelte den Kopf. Was würden sie dort oben tun? Die schwedischen Soldaten, so wusste er, hatten die Anweisung, nicht zu plündern und zu morden. Taten sie es doch, sah die Obrigkeit meistens weg, und so kam es immer wieder zu hässlichen Zwischenfällen. Thomas kannte die Männer dieser kleinen Rotte nicht, er wusste nur den Namen des Anführers – Sven Persson –, der vor seiner Truppe herstolziert war, als sei er König Gustav Adolf persönlich. Persson war damit beauftragt, ihn in einer Malerwerkstatt einzuquartieren. Die Adresse Anselm Scherers stammte aus den Listen der hiesigen Zunft. Es war bereits die dritte Werkstatt, die sie aufsuchten. Die ersten beiden hatten sie geräumt und verlassen vorgefunden, doch Thomas brauchte Arbeitsmaterial und einen Gehilfen.

Bei Anselm Scherer schien er gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte. Thomas öffnete einige Kästchen und fand mit Farbe gefüllte Schweinsblasen, Lederbeutel mit Farbpigmenten, Schlämmkreide und Krappkörnchen, Pinsel verschiedenster Größen, glasierte Fläschchen mit Terpentin und Leinöl. Er sog den Duft ein, den er so liebte, und freute sich plötzlich auf seine Arbeit. Seit die Schweden im Juli seine brandenburgische Heimatstadt Havelberg eingenommen und ihn mehr oder weniger als nützliche Kriegsbeute aufgelesen hatten, begnügte er sich mit dem Zeichnen auf feuchtem, schmutzigem Papier.

An den Gedanken, eine Werkstatt zu nutzen, die der Eigentümer nicht freiwillig hergab, musste er sich allerdings erst gewöhnen. Zwei Soldaten betraten den Raum und begannen den Inhalt der Truhen und Schränke zu inspizieren. Sie entrollten einige Bögen und ließen sie achtlos zu Boden fallen. Es sah nicht so aus, als wüssten sie solche Arbeit zu würdigen. Thomas hatte damit gerechnet und hoffte, dass sich der Schaden auf einige zertrampelte Papiere beschränken würde. Er erhaschte einen Blick auf wunderbar ausgeführte Zeichnungen, die drapierte Stoffe, Hände, Gesichter zeigten, und wandte sich ab. Er konnte nicht mit ansehen, wie respektlos die Schweden damit umgingen.

Plötzlich hörte er eine Frau schreien. Die Stiege knarrte unter hastigen Schritten. Der Schrei wurde lauter und tönte nun aus dem schmalen Flur und dann aus der Küche. Thomas starrte auf eine Zeichnung, die vor seine Füße gesegelt war, eine in Kohle gezeichnete Ansicht der Stadt. Im Vordergrund floss der Rhein. Wie friedlich die Landschaft doch wirkte, nichts verriet die Grauen der Wirklichkeit.

Seit zwei Tagen waren die Schweden innerhalb der Stadtmauern und begannen nun, sich erbarmungslos in Häusern, auf Gassen und Plätzen zu verteilen. Thomas hatte in einigen Skizzen festgehalten, was er sah: lagernde Truppen, Kinder, die zwischen ihnen umherliefen und bettelten. Misstrauische Gesichter in Hauseingängen. Breitgesichtige Dänen, hochgewachsene Stockholmer. Die Wirklichkeit. Er starrte auf die Zeichnung und versuchte, die Geräusche der marodierenden Rotte zu überhören.

Die beiden Schweden befingerten alles, jede Truhe, jeden Schrank, jede Schachtel und vor allem die Papierbögen. Sie hinterließen Schmutzspuren, und wenn sich die Zeichnungen nicht schnell genug aufblättern ließen, halfen sie mit dem Messer nach. Thomas ging zur Tür, er wollte draußen warten, bis das Elend vorbei war, als der Mann, der Anselm Scherer sein musste, in den Raum taumelte. Was er in seiner Werkstatt sah, ließ ihn erzittern.

Der Maler hastete auf den Tisch zu, als wolle er sich darauf werfen und mit seinem Körper schützen, was noch übrig war, aber einer der beiden Schweden packte ihn am Kragen und wirbelte ihn herum, sodass er mit dem Gesäß gegen die Tischkante stieß. Scherer umklammerte mit beiden Händen den Unterarm des Soldaten, aber er vermochte sich nicht zu wehren, zu alt und schwach war er. Als eine Frau, wohl die Schererin, erschien, ließ der Schwede ihn los. Scherer breitete hilflos die Arme aus, als die Frau auf ihn zueilte.

Ihr Kleid war vorne nass und stank nach Kohl. Aber es war nichts verrutscht, lediglich ein kurzer Riss im Ausschnitt verriet, dass die Schweden an ihr herumgezerrt hatten. Ihr Gesicht war vor Zorn gerötet.

Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Protestruf, als sie mit dem Finger auf einen der beiden Schweden deutete, der eine Ölskizze aus einem Leinwandstapel gezogen hatte und damit herumwedelte. Der andere Soldat schrie auf Scherer ein, offensichtlich wollte er ihm eine Auskunft entlocken. Aber Anselm Scherer zuckte nur unter den fremd klingenden Worten zusammen.

Sie wissen, dass er sie nicht versteht, dachte Thomas. Es macht ihnen Spaß.

Der alte Maler starrte den Soldaten an, als versuche er, wenigstens ein paar schwedische Wörter zu verstehen. Der Soldat wiederholte in bellendem Ton seine Frage und schüttelte das Bild. Es zeigte eine gekrönte, das Jesuskind säugende Madonna.

«Er will wissen, welchem Glauben Ihr angehört», sagte Thomas.

«Wir sind gute Christen», antwortete Scherer.

«Was für Christen?»

Das war Sven Perssons schneidende Stimme, der stolzierenden Schrittes die Werkstatt betreten hatte. Hinter ihm drängte der Rest der Soldaten hinein. Die beiden Schweden hielten nun inne und blickten ihren Herrn erwartungsvoll an. Persson streifte einen Handschuh ab und hob einige der Zeichnungen an, jedoch mit lustloser Miene. «Was für Christen?», wiederholte er und ging dicht an Scherer und seiner Frau vorbei. Er näherte sich Thomas, bis nur wenige Handbreit ihre Gesichter trennten. Der Schwede war einen halben Kopf größer als er, hatte blassblondes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, und trug wie fast alle Schweden den modischen Spitzbart, um ihrem König nachzueifern. Sven Persson blickte auf Thomas herab, sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln. Sein Blick allerdings blieb kalt.

«Meister Hartenberg, Ihr seid zu weich. Glaubt Ihr, diese beiden da werden Euch folgsam sein? Zeigt nicht so deutlich, wie unangenehm Euch die Situation ist. Fast könnte man meinen, Ihr würdet Furcht verspüren.»

«Unsinn», brummte Thomas.

«Oh, natürlich ist es Unsinn. Dennoch werdet Ihr Euch sicherer fühlen, wenn ich Euer künftiges Gesinde beizeiten Respekt lehre.» Persson drehte sich um. «Also, Anselm Scherer: Was für Christen seid ihr? Die dem Papst folgen oder dem Luther?»

«Wem?», sprang es empört aus dem Mund der Schererin. Ihr Mann berührte sie an der Schulter.

Einer der Soldaten deutete auf die Madonna. Persson hob die Brauen. «Da haben wir ja die Antwort. Du hast der Maria eine Krone gemalt. Das sieht doch sehr katholisch aus.»

Scherer zögerte, als überlege er, ob er das respektlose «Du» unwidersprochen hinnehmen solle. «Es ist eine Zeichnung.»

«Wie?»

«Eine Zeichnung – keine Malerei. Malen tut man mit flüssigen Farben.»

Persson zog sich gemächlich den Handschuh wieder über. «Glaubst du, das interessiert mich?», sagte er, und dann, als besinne er sich: «Du bist also ein Maler. Wo sind denn deine Gemälde?»

«Ich ... ich habe keine. Nur ein paar alte Ölskizzen. Leinwand und Farben sind unerschwinglich zur Zeit, wir können uns gerade so ernähren.»

«Ach! Mit dem Papier gehst du aber recht verschwenderisch um, wie mir scheint.»

«Das stammt alles noch aus besseren Zeiten.»

Persson legte lässig die Hand an seinen Degen und begann um den Tisch zu wandern. «Und es geht dir so gut, dass du nichts davon verkaufen musst?»

«Das ist es nicht, Herr.» Scherers Blick folgte dem Schweden. «Es will nur niemand etwas kaufen, weder Zeichnungen noch leeres Papier.»

«Du hast da eine riesige Staffelei stehen. Vermutlich hast du, als du hörtest, dass der König von Schweden deine Stadt zu bekehren gedenkt, deine Bilder versteckt. Ich will sie sehen.» Persson stand jetzt so dicht neben Scherer, dass dem Maler der Schweiß von der Stirn tropfte. Seine Frau vergrub das Gesicht in seiner Schulter. Seine Fingerabdrücke würden sich wohl noch lange auf ihren Armen abzeichnen.

«Ich will es Euch zeigen», flüsterte der Maler. «Wenn Ihr dann nur geht.»

«Aber natürlich.» Persson lächelte. «Glaubst du, es macht uns Freude, hier zu sein? Wir sind immer froh, wenn wir nach dem Tagwerk irgendwo lagern dürfen. Also beeile dich.»

Anselm Scherer schob seine Frau von sich, machte zwei Schritte und blieb mit gesenktem Kopf vor einem der Soldaten stehen, bis dieser begriff, dass er beiseite treten musste. Scherers Kopf senkte sich noch mehr, als er an ihm vorbeiging und ein schmales mannshohes Regal hervorzog. Die Köpfe der Männer reckten sich neugierig. Das Regal hatte den seitlichen Einlass zu einem Hohlraum verborgen, der vom Fußboden bis zur Decke ging.

«Eine doppelte Wand!», rief Persson. «Ist das hier so üblich, oder hast du das eigens unseretwegen gezimmert?»

«Das stammt noch aus der Zeit, als die Spanier kamen», murmelte Scherer. Bedächtig zog er ein auf einen Keilrahmen gespanntes Gemälde heraus. Es überragte ihn um einen Kopf und war fast ebenso breit wie hoch. Er fasste es am Stützkreuz und drehte es zu Persson hin. Thomas hörte, wie der Schwede und seine Schergen die Luft anhielten.

Es war ein wunderbares Bild. Thomas kannte die Gemälde Caravaggios, Renis und die der Caracci-Familie. Er kannte auch einige Kopien holländischer Meister, die sich so gar nicht mit jenen aus Italien vergleichen ließen. Dieses hier war zwar noch im alten deutschen Stil gehalten, aber es war atemberaubend schön. Es zeigte die Madonna mit dem Christuskind auf dem Schoß und den jungen Täufer, der sich an ihr Knie drängte. Ihr edles Gesicht war Johannes zugeneigt und lächelte mit Mutterstolz. Mit filigranen Fingern hielt sie das rosige Gesäß des Gottessohnes, ein rot glänzender seidiger Mantel verbarg ihren Körper. Der Stoff wirkte wie echt, als könne man ihn berühren und knistern lassen. Eine Locke trat aus dem Schleier der Madonna hervor, man wollte dagegen blasen, um sie aufwehen zu lassen. Selbst die Wimpern wirkten echt. Über ihrem Haupt schwebte eine goldleuchtende Krone.

«Das ist ja die gleiche Madonna wie auf der Zeichnung», platzte Persson heraus. «Nach dieser Zeichnung hast du das Bild gemalt?»

Scherer sah hinter dem Gemälde hervor und nickte. Persson gebot ihm mit einer Handbewegung, es an die Wand zu lehnen. In Scherers Augen war die Hoffnung zu erkennen, dass der Schwede beeindruckt genug war, um sich keines weiteren Frevels schuldig zu machen.

Der Maler trat wieder zu seiner Frau, die schutzsuchend seinen Arm umklammerte. Perssons blassblaue Augen wanderten von ihr zu Scherer. Eine Zornesfalte bildete sich auf seiner Stirn.

«So! Du hast also die Götzenmadonna nicht nur gezeichnet, sondern auch noch auf diesem Bild verewigt!»

«Im Auftrag des Kurfürsten», antwortete Scherer. «Leider ist er geflohen, bevor ich es ihm übergeben konnte.»

«Soll dich das entschuldigen?» Der Schwede trat an das Bild, kniff die Augen zusammen und reckte scheinbar neugierig den Kopf. Thomas konnte sich nicht vorstellen, dass Persson sich wirklich für Einzelheiten interessierte. Jede Bewegung des Schweden schien nur dazu zu dienen, Scherer einzuschüchtern.

Oder mich, dachte Thomas.

Persson legte die Hände auf den Rücken, während er sich bückte, um auch die untere Hälfte des Gemäldes betrachten zu können. Schließlich richtete er sich mit einem Seufzer auf.

«So eine kleine Zeichnung ist eine Sache. Dieses Gemälde aber ist ein Götzenbild, das einfältige Leute dazu verführt, eine Sterbliche statt den einen wahren Gott anzubeten. Es muss vernichtet werden.»

Die Gesichtszüge des Malers erschlafften. «Das ist nicht Euer Ernst. Großer Gott, nein.»

«Du willst es nicht einsehen?»

«Ich habe ein ganzes Jahr daran gearbeitet! Es ist mein schönstes Bild.» Der Maler löste sich von seiner Frau, trat einen Schritt vor und hob bittend die Hände. «Ihr könnt es nicht zerstören! Die Zeichnungen meinetwegen, ich zeige Euch gern noch mehr, die könnt ihr zerschneiden. Aber nicht das Gemälde!»

«Ich tu es ja nicht. Du wirst es selbst tun.»

Scherer rang nach Luft. Der Schwede nahm wahllos irgendeine Zeichnung vom Tisch, riss ein Stück davon ab und drehte es zu einer kleinen Rolle. Dann trat er unter die Deckenlampe und öffnete mit spitzen Fingern das Glastürchen.

«Was soll das?», rief Thomas. «Das ganze Haus kann abbrennen.»

Persson runzelte die Stirn und ließ die Rolle sinken. Einer der Soldaten schlug vor, das Bild hinauszutragen und auf der Straße anzuzünden. Die anderen lachten erwartungsvoll, aber der Hauptmann hob die Hand.

«Wir wollen doch nicht die Nachbarn beunruhigen. Außerdem soll es der Maler selbst tun, und was, wenn er da draußen Geschrei macht? Gebt mir ein Messer.»

Sofort griffen alle nach ihren Gürteln, und der Schnellste händigte sein Messer aus. Persson prüfte die Schneide, wendete es ein paar Mal in der Hand und reichte es mit dem Griff voran dem Maler. Scherer nahm es entgegen, aber er schien nicht zu begreifen, was er damit anfangen sollte.

«Ein paar Schnitte, und schon ist es passiert.» Persson lächelte aufmunternd. «Es ist nur dein Fleisch, das sich sträubt, aber deine Seele wird gereinigt sein.»

Jetzt gab er Scherer einen Stoß, sodass er vor das Bild stolperte. Er blickte zur Madonna hinauf, seine Arme hingen schlaff herab. Tränen traten ihm in die Augen.

«Hauptmann Persson», sagte Thomas und hoffte, dass seine Stimme keine Unsicherheit verriet. «Um dieser wundervollen Kunst willen ersuche ich Euch, nicht auf Euerm Vorhaben zu bestehen. Es ist zu wertvoll.»

«Es ist schändlich», erwiderte Persson unbeeindruckt. «Ich halte es da ganz mit Calvin.»

«Ihr könntet verlangen, die Krone zu übermalen. Es geht doch nur um diese unselige Krone.»

«Damit er sie später wieder hinzufügt? Versucht nicht, mich auf den Arm zu nehmen, er könnte brechen. Und nun, Scherer, fang an.»

Scherers Körper wurde von einem plötzlichen Schluchzen geschüttelt. Das Messer entglitt ihm. «Ich flehe Euch an, Herr, begreift doch! Ich kann das nicht.»

Persson verschränkte die Arme und drehte eine weitere Runde um den Tisch. Es bedurfte nur eines Blickes, und schon waren zwei Soldaten zur Stelle, um den Maler zu züchtigen. Einer drehte ihm die Hände auf den Rücken, der andere schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Scherer jaulte auf; sie ließen ihn los, und er fiel hart auf die Knie. Seine Frau wollte zu ihm eilen, aber schon wurde sie hinterrücks von einem Soldaten gepackt.

Sie wand sich in seinem Griff und begann zu heulen. «Was wollt ihr denn von uns? Geht doch zum Güntelein, der hat noch viele Gemälde und ein großes Haus dazu. Brennt’s doch dem ab!»

Persson lachte. «Schuldet er euch noch Geld, oder warum verleumdest du ihn?»

«Er ist Maler. Er hat die Stadt nicht verlassen, weil er mit der gallischen Krankheit im Bett liegt. Hätten wir sie doch nur verlassen!», jammerte sie. Jetzt strampelte sie mit den Füßen, um sich zu befreien.

«Ein zügelloses Mundwerk hast du», befand Persson und wandte sich wieder Scherer zu, der noch immer auf dem Boden kniete. Er nahm den Malstock, der auf der Ablage der Staffelei lag, und schlug ihm damit auf den Rücken. Scherer sackte zusammen und biss sich auf die Finger, doch den Schmerzensschrei konnte er nicht unterdrücken.

«Los jetzt!», schrie Persson und gab ihm einen Tritt mit dem Fuß, sodass er in zusammengekrümmter Haltung zur Seite rollte. «Erbärmlicher Mensch, meine Geduld ist am Ende.»

Thomas sah nicht, wie Persson dem Schweden, der die Frau fest im Griff hatte, einen Wink gab. Vielleicht wusste der Soldat aus Erfahrung, was sein Herr von ihm erwartete. Er wirbelte sie herum und warf sie auf den Tisch. Papiere fielen zu Boden. Er schob ihr den Rock hoch und öffnete seine Hose; schon lag er auf ihr, und als ob sie gerade erst begriff, wie ihr geschah, begann sie zu schreien und zu strampeln. Doch mit wenigen Handgriffen drückte er sie auf den Tisch, während er sein Glied an ihrem entblößten Unterleib rieb.

Thomas trat vor, und sofort deutete Persson mit dem Stock auf ihn. «Stört mich jetzt nicht, Hartenberg, es würde den beiden nur noch schlechter bekommen. Er braucht nur zu gehorchen, dann geschieht ihr nichts.»

«Ich wusste nicht, dass Ihr so durchtrieben seid.» Thomas wischte sich über den Mund, als habe der Schwede ihn angespuckt. «Wen wollt Ihr damit beeindrucken? Mich?»

«Ich zähme diese beiden für Euch, denn sie sollen Euch doch dienen, nicht wahr? Mein Auftrag lautet, dieses Haus für Euch in Besitz zu nehmen. Woher wollt Ihr wissen, dass sie Euch später nicht das Leben schwer machen, hinterrücks Eure kostbaren Zeichnungen beschädigen oder Euch gar vor die Tür setzen? Ich verspreche Euch, dass diese beiden keine Schwierigkeiten machen werden.»

Thomas sah ihn verblüfft an. Aus der Sicht eines Soldaten war dies vielleicht sogar eine einfache, traurige Wahrheit. Er schüttelte den Kopf. «Mir liegt nichts an einem solchen Versprechen. Es sollte mir das Haus übergeben werden, sonst nichts.»

«Ihr werdet mir noch dankbar sein. Und nun haltet Euch zurück.»

Thomas sank auf eine der Truhen. Offenbar blieb ihm nur, zu beten, dass dies schnell und glimpflich ablaufen möge.

Der Soldat kämpfte verzweifelt um eine Erektion. Der Wortwechsel hatte es ihm nicht leichter gemacht. Mit verbissenem Fleiß rieb er sein Glied am Bauch der Schererin, während sich seine Finger in ihre Hüften gruben. Sie lag wehrlos da, leise wimmernd, den Kopf zur Seite gedreht. Ihre Haube hatte sich gelöst und zeigte hellbraune Strähnen, in denen Grau schimmerte. Trotz ihres Alters war sie eine ansehnliche Frau, die so gar nicht zu dem schmächtigen Maler zu passen schien. Als das Stöhnen des Schweden schneller wurde, schlug sie die Hände vors Gesicht. Er war so weit.

«Nein», keuchte Scherer und rappelte sich auf. «Nein, er soll aufhören. Ich gehorche.»

Persson rief einen Befehl aus, und der Soldat richtete sich mit einem enttäuschten Grunzen auf. Die Schererin rührte sich nicht. Der Maler hob das Messer auf und wandte sich dem Gemälde zu. Sein Mund stand offen, Tränen rannen ihm übers Gesicht. Thomas glaubte nicht, dass es ihm gelingen würde, Perssons grausamer Anweisung zu gehorchen. Wahrscheinlich musste Persson ihm das Messer aus der Hand reißen und es selbst tun. Doch plötzlich hob Scherer das Messer und begann, mit wilden Verzweiflungsschreien auf sein Bild einzustechen.

«Ja, gut so, weiter», nickte Persson. Die Soldaten klatschten und johlten, während Scherer wie von Sinnen auf die Leinwand einstach. Thomas schob sich an den Männern vorbei, hastete durch den Flur hinaus in die Kälte. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, aber er würgte nur. Ziellos machte er einige Schritte. Konnte das alles wahr sein? Diese Frage hatte er sich in den letzten Monaten schon viel zu häufig stellen müssen.

«Meister Hartenberg?»

Thomas hob den Kopf. Zwei Schauerbuben standen vor ihm, in Begleitung eines deutschen Söldners. Sie stellten eine lederne Truhe vor ihm ab und rissen sich die Mützen vom Kopf, in der Hoffnung, einen Heller zu kassieren. Thomas richtete sich auf, wischte sich übers Gesicht und bemühte sich, gefasst zu wirken.

«Wir haben die Truhe nicht aufgemacht», sagte einer der Jungen ernst. «Wir stehlen nicht.»

«Schon gut», murmelte Thomas. Er löste das Tau, mit dem die Truhe verschlossen war, hob den Deckel an und wühlte in seinen Sachen. Wahrhaftig, der Beutel mit dem Schwarzbrot und dem Käse war unversehrt. Er kramte einen Heller unter den Wäschestücken hervor und warf ihn dem Jungen zu. Der rannte sofort in die Richtung, aus der sie gekommen waren, doch der zweite blieb stehen. Thomas nahm an, dass auch er etwas abstauben wollte, um mit seinem Freund nicht um den Heller raufen zu müssen, aber er täuschte sich. Der Junge machte einen Diener und sagte ihm, dass er im Großen Turm zu erscheinen habe, einem der zahlreichen Stadttore am Rheinufer.

«Was soll ich denn da?», fragte Thomas verwundert.

«Das weiß ich nicht. Der Büttel hat mir nur gesagt, dass ich ja nicht vergessen soll, es Euch auszurichten, als er mitbekam, dass wir Euch die Truhe bringen. Ich glaube aber, es geht um eine Hexe. So hab ich’s aufgeschnappt.»

«Eigenartig, mit derlei Dingen habe ich doch sonst nichts zu schaffen.» Thomas kramte einen zweiten Heller heraus. Viel besaß er nicht mehr, da kam es darauf auch nicht mehr an. Der Junge bedankte sich und lief weg. In diesem Moment traten Persson und seine Männer auf die Straße.

«Schlechte Nachrichten?», fragte Persson, schien jedoch keine Antwort zu erwarten. «Ich lasse zwei Männer draußen als Wache zurück. Sollte es Probleme geben, braucht Ihr sie nur zu rufen. Aber das ist unwahrscheinlich.»

«Nehmt sie mit.»

«Wie Ihr wollt.» Persson zupfte zum Abschied an der Hutkrempe. Thomas achtete kaum darauf, wie die Soldaten abzogen. Er nahm die Truhe, ging in den Flur zurück und schloss die Tür hinter sich. Eine Hexe? Er kannte keine Hexe, woher auch? Er war doch ein Fremder in dieser Gegend. Gut, Hexennester konnten überall sein, auch da, wo man sie niemals vermutete. Bloß was hatte er damit zu tun?

Er blieb an der Schwelle zur Werkstatt stehen, lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen und rieb sich die Stirn. Plötzlich herrschte eine so eigentümliche Stille, dass er kurz das Gefühl hatte, er hätte alles nur geträumt. Doch da war das Madonnenbild, das jetzt nur noch in Fetzen im Rahmen hing. Und die beiden gedemütigten Menschen, die ihn wortlos seiner Tatenlosigkeit anklagten. Die Schererin lag noch immer auf dem Tisch, nun auf der Seite in gekrümmter Haltung. Sie tat nichts, ihren entblößten Unterleib zu bedecken, sondern gab sich einem lautlosen Weinkrampf hin. Vor dem Tisch kauerte der Maler, den Kopf in die Hände gestützt und von leisem Schluchzen geschüttelt.

Die Teufelsmalerin

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