Читать книгу Mokume und die Kunst des Reisens - Sabrina d' Agliano - Страница 6
ОглавлениеVORBEREITUNGEN
Im Herbst 2015 begann ich mit meinen Vorbereitungen. Wochenlang versuchte ich beinahe täglich über offizielle Einrichtungen, wie Konsulate, Botschaften, Goethe Institute, deutsch-japanische Kultureinrichtungen, Kontakte zu knüpfen. Niemand hatte je etwas von Mokume Gane gehört, niemand konnte helfen. Ich war ganz frustriert und kurz davor, die ganze Unternehmung „Japan“ aufzugeben.
Da bekam ich eines Tages per Mail eine Einladung zu einem japanischen Abend mit Lesung aus einem Gedichtband von Bashō2 und Flötenmusik im „Kunstraum“ in einem winzigen Dorf in der Nähe, am Rande der Eifel. Ich kannte diesen Ort nicht, wohl aber ein wenig die Organisatorin. Es interessierte mich und so fuhr ich an einem Freitagabend dorthin. Jeanne Lessenich las aus der deutschen Übersetzung dieses ungewöhnlichen Reiseberichtes vor, einer Vermengung von Prosa und Poesie, in der Bashō seine tiefe Hochachtung vor der Natur ausdrückte und er das Wandern, Reisen als Symbol des Lebens beschrieb.
Ein Musiker spielte meditative Stücke auf einer traditionellen japanischen Flöte. In der Pause konnte ich mich mit meiner Nachbarin, die ich zuvor nicht gekannt hatte angeregt darüber unterhalten. So kam natürlich auch die Rede auf meine Japan Reisepläne. Sie erzählte von ihrem Onkel, Bernhard Naab, der in München lebt und Japanisch für Deutsche unterrichtet und umgekehrt.
Sie bot an, ihn zu fragen, ob sie den Kontakt herstellen dürfe. Nach Ende der Veranstaltung nahm ich mir ein Herz und sprach die Vorleserin an, erzählte ihr, dass ich erfolglos seit Wochen versucht hatte, Kontakte zu Mokume-Gane-Meistern zu knüpfen und fragte sie, ob sie wohl eine Idee habe, an wen ich mich wenden könne. Sie erzählte, dass sie viele Jahre immer wieder längere Zeit in Japan gelebt hatte, noch Kontakte dorthin habe. Eine Freundin von ihr, Miho, die auf einer Südinsel in Japan lebt, wollte sie kontaktieren und fragen, ob sie etwas darüber wisse.
Bei meinem nächsten Aufenthalt in München, wo ich öfters Goldschmiede- und Mokume-Gane-Workshops gebe, durfte ich Ursels (die ich bei der Lesung kennen gelernt hatte) Onkel besuchen. Er war vor einigen Jahren in Japan gewesen und gab mir viele Tipps für die Reise. Was man als Gastgeschenke mitnimmt. Dass die Verpackung für Geschenke oder Geld für einen Workshop genauso wichtig ist wie der Inhalt selbst. So kaufte ich später in einem japanischen Geschäft in Düsseldorf ein paar hübsche bedruckte Briefkuverts für Präsente. Jedoch überlegte ich, dass ich selbst Briefumschläge individuell bedrucken könnte. Ich begann also, Umschläge in meinem Stil, mit fließenden Linien und Formen zu bedrucken und zu zeichnen. Sie gefielen mir sehr gut und ich weitete es aus und fertigte auf schönen handgeschöpften Papieren kleine Drucke als Gastgeschenke.
Zwischenzeitlich bekam ich Nachricht von Miho aus Japan. Sie hatte auch noch nie von Mokume Gane gehört. Tagelang recherchierte sie für mich, wollte unbedingt darüber lernen, da es ein Teil ihrer Kultur ist. Sie fand nicht nur ein paar Meister, Schulen und Institute sondern stellte auch die Kontakte für mich her. Einfach aus Hilfsbereitschaft, ohne dass wir uns kannten. Ich wäre ohne sie gescheitert, da fast alle Websites nur auf Japanisch waren. Leider habe ich sie noch immer nicht persönlich kennen gelernt, da meine Wege zu den Meistern mich nicht in den Süden des Landes führten. Es war, als sei an jenem Abend in diesem kleinen Eifeldorf der Knoten gelöst worden. Danach geschahen die erstaunlichsten Dinge und Verbindungen. Auf verschlungenen und unerwarteten Umwegen entstanden interessante Kontakte und Möglichkeiten.
So schrieb ich Carmen, einer italienischen Malerin, die in Nizza lebt, zum Neuen Jahr 2016 die besten Wünsche und dass ich sie leider in diesem Jahr nicht sehen könne, da ich nach Japan reise. Etliche Wochen später antwortete sie, dass sie eine Freundin in Mailand habe, die wiederum eine japanische Freundin in Kyoto habe, die ein traditionelles Apartment vermiete, in dem ich wohnen könne. Und das Beste: sie sei auch Malerin, in Tuschetechnik, und freue sich auf meinen Besuch, werde sich um mich kümmern. Kurz vor meiner Abreise stellte Carmen noch einen weiteren Kontakt in Kyoto her: Tomoko, auch sie die Freundin einer Freundin aus Italien. Auch sie Malerin und Fotografin. Sie war ebenfalls bereit, sich mit mir zu treffen.
Durch diese Erfahrungen ermutigt, beschloss ich, jedem, dem ich begegnete, von meiner bevorstehenden Reise zu erzählen. Wer weiß, welch wundersame Dinge sich ergeben? Bei einem Treffen mit Freunden in Köln fragte ich nebenbei, ob sie vielleicht jemanden kennen würden, der Kontakte nach Japan hat oder dort lebt.
Ich wusste, dass sie vor vielen Jahren einmal kurz Japan besucht hatten. Frage doch mal Wolfgang, er hat acht Jahre in Tokyo gelebt.
Ich war ihm zuvor schon ein paarmal auf Partys und Literatur – oder Musikabenden bei den Freunden begegnet. Wir hatten uns immer unterhalten, jedoch wusste ich nichts von seinem Japanaufenthalt. Ich konnte ihn einige Male im japanischen Viertel in Düsseldorf treffen, mit ihm japanisch essen gehen, auf diese Weise schon mal einstimmen auf die Reise. Er spricht fließend Japanisch und half mir sehr bei den Kontakten und Vorbereitungen, gab mir Tipps, was ich alles ansehen solle. Wo ich in Tokyo ein Hotel finden könne. Dass ich am besten in Deutschland einen Railway Pass besorgen und mit dem Shinkansen3 fahren solle. Er erzählte begeistert von den Menschen dort. Dass ich zum Ausgehen am besten in die Izakaya4 (landestypische Bars) gehen solle und viele weitere nützliche Hinweise. Er telefonierte sogar für mich mit Meister Mazusawa, der abgelegen am Lake Suwa lebt und nur wenig Englisch kann. Fragte ihn, ob ich ihn besuchen dürfe, wie ich ihn finden könne. Wolfgang erzählte außerdem von einem internationalen Netzwerk, bei dem er Mitglied ist, das in vielen großen Städten weltweit Gruppen hat. Sie unternehmen gemeinsam viele Dinge, je nachdem, welche Interessen die jeweiligen Mitglieder haben, Ausgehen, Dinner, sportliche und kulturelle Aktivitäten…
Einmal monatlich bieten alle Gruppen das „monthly meeting“ an, eine Party in unterschiedlichen Clubs und Locations, an der alle Mitglieder teilnehmen können. Ich kontaktierte daraufhin die Gruppen in Osaka und Tokyo, schrieb, wann ich käme, was ich dort vorhabe, dass ich Museen, Architektur, Gärten besuchen wolle und ob jemand Lust hätte, mich zu begleiten. Einige antworteten und wollten sich mit mir treffen. Oder schrieben von den bevorstehenden Events. An meinem ersten Abend in Osaka fand das monatliche Treffen statt. Ich konnte quasi vom Flughafen zur Party gehen. Auch in Tokyo konnte ich am 2. Abend am monthly meeting teilnehmen.
Auf „arte“ sah ich zufälligerweise eines Abends einen Beitrag über den Künstler Sumusu Shingu5 und seine Frau. Ich hatte zuvor noch nie von ihm gehört, war aber sofort fasziniert von der Kunst und ihrer Lebenseinstellung, ihrer gemeinsamen Geschichte und Arbeit als Paar. In der Gegend von Kobe, abseits auf dem Land gibt es einen „Windpark“ mit ihren beweglichen Objekten. Das wollte ich mir unbedingt anschauen.
Ein Freund aus meiner fränkischen Heimat, Harri, war im Oktober das erste Mal in Kyoto gewesen. Bei einem Treffen berichtete er von den Gärten, Tempeln, Museen. Er empfahl mir, auf jeden Fall auf die Kunst-Inseln Naoshima6 und Teshima zu fahren. Dort gäbe es einzigartige Museen, die er gesehen hatte. Seine Begeisterung steckte an. Seine frischen Eindrücke ließen die Reise schon realer werden, schon etwas vom Geschmack dieses Landes spüren.
Ich plante jetzt, von Osaka aus zuerst auf diese Inseln zu fahren. Er nannte mir ein Hostel auf Naoshima, in dem ich eine Übernachtung buchen konnte. So erweiterten sich die Reisepläne und wurden gleichzeitig konkreter. Noch waren nur die ersten und letzten Tage und Übernachtungen festgelegt, der Rest sehr vage. Ich wollte alles um den Workshop bei Meister Mazusawa organisieren, der mir aber noch keinen festen Termin geben konnte. Unterkünfte wollte ich so oft als möglich privat buchen, um die Menschen dort näher kennen zu lernen. Über eine Website, von der ich kürzlich erfahren hatte, konnte ich die ersten Nächte in Osaka bei Chie wohnen. Zwei Wochen vor Abreise nahm ich noch an einem vier Tage Crash-Kurs für japanische Sprache in Bonn teil. Wenigstens ein Gefühl für den Klang der Sprache bekommen, ein paar Begrüßungsvokabeln, Höflichkeitsfloskeln lernen.
In dem Kurs erhielt ich Informationen für einen Taiko7- Trommelkurs in der Nähe. Das interessierte mich schon lange. Ich konnte spontan am Wochenende vor Abflug in der Nagare Daiko Schule von Jürgen Klatt bei einem Workshop die Grundlagen lernen. Machte viel Spaß. So war ich schon gut eingestimmt. Im Laufe der Vorbereitungen hatte ich so freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt, wie eine Art Netz spannten sich die Informationen und Kontakte. Es war, als ob die Reise unter einem Zauber läge. Dennoch hatte ich zwei Tage vor Abflug eine Panikattacke. Fünf Wochen als Frau allein reisen? In ein mir unbekanntes Land. Ohne Sprachkenntnisse. Großraum Tokyo mit ungefähr 42 Millionen Einwohnern größte Stadt der Welt. Ich zweifelte an meiner Zurechnungsfähigkeit und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, diese Unternehmung abzubrechen. Da aber schon so viele Menschen für mich tätig waren, dachte ich dann doch: OK – kein Zurück mehr. Mach das Beste draus.
Ich habe mich entschieden, diese Reise wie ein Kunstwerk von Mokume Gane zu machen. In meiner Kunst ein Dialog zwischen Idee, Metall, Werkzeugen, Zufall. Die Reise ein Dialog zwischen mir, vagen Strukturen, Ideen, Begegnungen, Situationen, Kunst, Architektur, Zufall.
Eine Nacht Schlaf, morgen Abflug nach Osaka
How will it be?
I am excited. I have decided to make this trip like an artwork of Mokume Gane. In my art works a dialogue between idea, metal, tools, coincidence. Traveling a dialogue between me, rough structures, ideas, encounters, situations, art, architecture and coincidence.
One night of sleep – tomorrow leaving to Osaka!
2 Bashō lebte im 17. Jhdt. Und ist einer der bedeutendsten Vertreter der japanischen Versform Haiku. Die Struktur seiner Haiku spiegelt die Einfachheit seiner meditativen Lebensweise wider. Er versah viele seiner Verse mit einer mystischen Qualität und versuchte, die großen, weltbewegenden Themen durch einfache Naturbilder auszudrücken. Er gab dem Haiku eine ganz neue Anmut und vertiefte im Haiku den Zen-Gedanken. Er begriff Poesie als einen eigenen Lebensstil. Bashō war der festen Überzeugung, Poesie könne eine Quelle der Erleuchtung sein. „Erlange Erleuchtung, dann kehre zurück in die Welt der normalen Menschlichkeit“, riet Bashō. Und weiter: „Tritt nicht in die Fußstapfen der alten Meister, aber suche, was sie suchten“.
3 Shinkansen sind die legendären Hochgeschwindigkeitszüge, die bis zu 320 km/h fahren.
4 Izakaya bedeutet so viel wie „Sake-Laden zum Sitzen“. Sie bieten immer eine Auswahl von Speisen oder sogar eine umfangreiche Speisekarte, da Japaner üblicherweise immer auch zumindest eine Kleinigkeit essen, wenn sie Alkohol trinken.
5 Susumu Shingu ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen japanischen Künstler. Er liebt die Natur, spricht von seiner „langen Freundschaft mit dem Wind“. Shingu und seine Frau arbeiten kinetische Skulpturen mit Naturkräften, sei es Wind oder auch Wasser. Berühmt sind seine kleinen und großen Windskulpturen, die nur von natürlicher Energie angetrieben werden.
6 „Benesse Art Site“ ist der Sammelbegriff für alle kunstbezogenen Aktivitäten der Benesse Holdings Inc. und der Fukutake Foundation auf den Inseln Naoshima, Teshima und Inujima, deren Ziel es ist, bedeutende Räume zu schaffen, indem zeitgenössische Kunst und Architektur in Einklang mit der unberührten Natur des Seto Inland Sea gebracht werden. Bei allen Aktivitäten wird bestrebt, eine Beziehung des gegenseitigen Wachstums zwischen Kunst und Region zu fördern, um einen positiven Beitrag für die lokalen Gemein-schaften zu leisten. Quelle: www.besesse-artsite.jp
7 Taiko, „dicke Trommel“ (auch „daiko“ ausgesprochen) bezeichnet in Japan eine Gruppe von großen, mit Schlägeln geschlagenen Röhrentrommeln.