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Der Nachtkübel als Lebensretter.

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Rosen hauchte die Nachtampel über die Schläferin, deren zarter, junger Mädchenkopf auf weißseidenen Spitzenkissen anmutig gebettet war. Und doch schlief der dazu gehörige sehr schöne Rumpf genau so wie der Kopf den Schlaf des Ungerechten. Das Gewissen dieser ... Jungfrau schien aber ein nicht minder sanftes Kissen zu sein als das seidene, worauf ihr Kopf ruhte. Sie schlief äußerst solide, trotzdem sie ein weiblicher Don Juan niederträchtigster Sorte war. Ihr allerletztes Opfer war der berühmte Schrupp, einer der größten Stahlfabrikanten. Sie hatte ihn dermaßen ausgesaugt, daß er hausieren gehen mußte. Dafür aber besaß sie jetzt einen geradezu kaiserlichen Diamantschmuck.

Ihr derzeitiger Verehrer und Lebensbegleiter war ein entsetzlich magrer alter Graf Racker von Deibel. Selbstverständlich betrog sie ihn tüchtig mit etwa sechs jungen Herren. Unter diesen befand sich der äußerst eifersüchtige Schauspieler Ayßler. Ayßler nun fand nicht den geringsten Geschmack am Grafen Racker von Deibel, welchen Dégoût dieser übrigens von ganzem Herzen erwidert haben würde, wenn er von den Beziehungen Ayßlers zu seiner Geliebten etwas gewußt hätte. Als aber eines Abends Ayßler ausgerechnet den Othello spielte, also seine Muskeln mit glühender Eifersucht geradezu innervierte, bemerkte er in der Fremdenloge dicht über der Bühne den Grafen mit der blonden Wanda. Die Folgen waren verhängnisvoll. Zunächst stürzte Ayßler in der Zwischenpause nach der Loge; fand diese aber bereits leer. Weder in den Wandelgängen noch im Vestibül noch am Büfett entdeckte der doppelte Othello den Grafen und dessen Liebchen. Aber als er racheschnaubend, in vollem Kostüm, vor das Theatergebäude lief, zum Ergötzen der Nachbarschaft, erblickte er vor der Einfahrt den Grafen, wie dieser Wanda in ein Auto hob und ratternd mit ihr davonfauchte. Ayßler spielte die letzten Akte des Othello übernatürlich gut. Der Kritiker Klempner nannte ihn anderen Tages den überlegenen Konkurrenten der Wirklichkeit.

Andern Tages! Ja, das sagt man so leichthin! Allein andern Tages waren die Abendblätter bereits voll von einem der sonderbarsten und zugleich lächerlichsten Attentate, welche jemals stattgefunden haben. Ayßler brütete Rache. Nach der Vorstellung setzte er sich zu diesem Zwecke in einen Bouillonkeller, in dem die Verbrecherwelt verkehrte. Mord und Totschlag! Mord und Totschlag! so tickte es in ihm wie eine Uhr. Der Diamantenmarder Julius Potter schaute sich die ausdrucksvolle Miene Ayßlers mit wissenschaftlicher Neugierde forschend an. „Na?“ fragte er, „soll wo eingeknackt werden, Mensch? Was simulierste?“ Ayßler fuhr heftig auf; er wollte den Kerl barsch abfertigen, besann sich aber. Denn erstlich hätte man im Lokal allseitig Partei gegen ihn ergriffen; es hätte übel für ihn ablaufen können. Zweitens durchzuckte ihn der Gedanke eines Racheplans, den er vielleicht mit Potters Hilfe ausführen könnte. So bezwang er seinen Widerwillen, stellte sich freundlich, ließ Bier kommen, und beide Herren verhandelten gemütlich. „Also heraus mit der Sprache. Was soll’s gelten?“ „Hören Sie mal, Sie können doch Häuser- und Wohnungstüren öffnen?“ „Na allemal! Es fragt sich nur, ob was dabei raus kommt: ich sammle Diamanten.“ Ayßler fuhr es durch den Kopf, wie herzlich der Wanda der Verlust ihres Schmuckes zu gönnen wäre. Selbstverständlich überließer diesen Teil des Geschäftes Herrn Potter. „Diamanten“, sagte er deshalb, „sind Ihre Sache. Sie finden dort welche in Menge. Machen Sie meinethalben damit, was Sie wollen; mich lassen Sie damit aus!“ „Desto besser!“ strahlte Potter, „aber was wollen Sie denn eigentlich?“ „Ein Weibsbild will ich,“ zischte Ayßler, „das mich betrogen hat, verdenkzetteln.“ „Ach, das wird ja ein quietschvergnügter Abend,“ lachte Potter, „wolln wir los?“ Beide machten sich auf den Weg.

Eine herrliche Vollmondherbstnacht kontrastierte stimmungsvoll mit den Seelen des entmenschten Paars. Potter erschloß Wandas Haustüre mit graziösester Gewandtheit. Die Wohnungstür drehte sich bereits geräuschlos in der Angel, als Ayßler, der dem Treppenschnelläufer Potter kaum nachkommen konnte, oben angelangt war. Sie tappten sich durch den Korridor, Ayßler kannte ja den Weg. Im übrigen kümmerte er sich nicht mehr um Potter; er hatte Wichtigeres zu bedenken: Mord und Totschlag! — Rosen hauchte die Ampel über die Schläferin. Potter guckte nur flüchtig hin: „Wo sind die Diamanten?“ fragte er energisch. „Such’ sie dir selbst,“ schrie Ayßler so grob, daß Wanda im Schlafe zusammenschrak. Potter war ein raffiniert spürsinniger Diamantenfinder, er roch die Dinger förmlich, steckte sie zu sich und ließ Othello mit Desdemonen allein. (Er ist heute bereits in Australien.) Ayßler aber rüttelte Wanda an ihrer lieblichen Schulter auf. Sie erwachte und starrte ihn entsetzt an. Als sie ihn aber einen Revolver entsichern und hochheben sah, griff sie mit blitzschneller Bewegung unters Bett und erhob — tausendmal Verzeihung! — ihren auffallend blanken Zuber. Potter stutzte unwillkürlich, brach aber sofort in ein gräßliches Othellogelächter aus. „Stirb! infame Verräterin! Hure! Mörderin meines Herzens.“ Darauf drückte er den Revolver fünfmal auf Wanda ab; es gab jedes Mal einen helleren Klang. Als die Patronen verschossen waren, schwang sich Wanda lebendig, den Zuber mit der Linken wie einen Schild vor sich haltend, aus dem Bett, legte ihren rechten Arm auf Ayßlers Schulter und lächelte ihn so liebreizend an, daß er laut aufweinte, eine solche Geliebte nicht für sich fesseln zu können. Die sentimentale Reaktion trat bei ihm ein. Erlöste Wandas Hand von seiner Schulter und verließ, das Taschentuch vorm Auge, das Lokal.

Noch am selben Tage ließ ihn Wanda verhaften: nicht nur wegen Mordversuches, sondern — o Sensation! — wegen Diamantenraubes. Er konnte sich nicht rechtfertigen. Racker von Deibel bezahlte Wanda den geschicktesten Rechtsanwalt. Der machte sich über Pottern lustig, nannte ihn den allzu bekannten „großen Unbekannten“ und spottete sogar des Namens. Psychoanalytisch deute Potter auf Pott, lächelte er arglistig. Die ganze Residenz lachte über das Panzerplattennachtgeschirr, welches Wanda einer Champagnerlaune Schrupps verdankte. Den Diamantenschmuck hat Wanda nicht wiederbekommen. Racker von Deibel verkaufte drei Rittergüter, um ihr einen neuen zu geben. Sie aber — Wunder der Weibsnatur! — verpfändete ihn für Ayßlern, den sie als unzurechnungsfähig erklären und in ein Sanatorium bringen ließ, dessen Leiter ihr jede gewünschte Besuchszeit gern gewährte. — Seit diesem Vorfall kommen sich elegante Kokotten ohne stählernen Nachtkübel so unvollständig vor. —

Mein Papa und die Jungfrau von Orléans, nebst anderen Grotesken

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