Читать книгу Mein Papa und die Jungfrau von Orléans, nebst anderen Grotesken - Salomo Friedländer - Страница 6
Die Jungfrau als Zahnpulver.
ОглавлениеLisette Wischeln war es an der Wiege gewiß nicht vorgesungen worden, daß sie noch einmal als Zahnpulver verwendet werden sollte. Arme Jungfrau!
Das Auge, das auf sie geworfen wurde, gehörte einem jungen Manne an, dessen Gehirn nicht allzurichtig funktionierte. Wissen Sie, er hatte beides: er war ziemlich gescheit, aber auch reichlich blöde. Gescheit genug war er, um sich in Lisette zu verlieben. Ob er sonst noch Proben von Gescheitheit gab, weiß ich nicht. Er trug fast stets ein sonderbares Lächeln zur Schau, welches, da seine Oberlippe sehr kurz war, seine Zähne entblößte; unter uns gesagt, vielleicht schöne, jedenfalls fürchterlich verwahrloste Beißerchen. Bitte, stellen Sie sich die Beglücktheit Fräulein Wischels vor, als aus dem Gehege solcher Zähne ein unmißverständlicher Liebesantrag ertönte. „Nachbarin, euer Fläschchen,“ war schon das wenigste, was sie noch äußern konnte. Dagegen sagte die Nachbarin, ihre Freundin Flora Buse: „Mensch, putzen Sie sich Ihre Zähne, bevor Sie um Liebe trillern. Sie haben wohl Grünspan gegessen?“
Beide Mädchen verschwanden, die Arme gegenseitig um ihre anmutigen Hüften geschlungen. Grinsend starrte Max Bömmel ihnen nach, während er seinen rechten Zeigefinger wie eine Zahnbürste zwischen seinen Lippen hin und her schob. Ein gemütlicher alter Bursche, der neben ihm gestanden und die grausame Abfertigung mit angehört hatte, redete ihn an: „Ein Wort im Vertrauen, lieber Nachbar, das Mädel hat Ihnen eine gute Lehre gegeben. Sie glauben gar nicht, von was für solchen anscheinenden Kleinigkeiten der Erfolg im Leben meistens abhängt. Sie sind eigentlich ein ganz hübscher Kerl. Nu sehn Se mal an! Geben Sie dem Apoll eine Quatschnase, und Diana kehrt ihm den marmornen Rücken. Den Zeus von Phidias mit abstehenden Ohren läßt man gern links liegen. Die wenigsten gleichen doch dem herrlichen Weisen, der noch am Aas des Hundes die glänzenden weißen Zähne demütig bewunderte. Wissen Sie, das Schönheitspflästerchen darf nur winzig sein. Passen Sie auf, wie das selbe Mädel Ihnen nachrennt, wenn Sie sich Ihre Zähne gereinigt haben. Nichts für ungut — adieu!“
Damit wollte der gemütliche Mann in eine Elektrische steigen. Er hatte schon den einen Fuß auf dem Trittbrette, da riß ihn Max am Rockschoß so heftig zurück, daß beide stolperten und in eine Menge Kehricht übereinander fielen. Das Publikum lacht bei solchen Gelegenheiten, welche im Grunde garnicht zum Lachen sind, immer wieder herzlich. Die beiden klopften sich gegenseitig den Mist ab, worauf dann Max grinsend fragte: „Sie sollten mir doch erst sagen, mit was ich meine Zähne putzen könnte!“ „Ach so,“ meinte der heimtückische Greis, „ach so! Und darum Räuber und Mörder! Ein bißchen, ein bißchen ......... hä hä hä ..... Kohlenasche. Nehmen Sie Kohlenasche, junger Mann - - ganz einzigartiger Erfolg, auf Ehre! Adieu!“ Damit fuhr er ab. — Max wanderte fürbaß. Er grinste zähnefletschend und wiederholte murmelnd immerfort: „Kohlenasche, Kohlenasche.“ In einer Drogerie verlangte er eine Bürste, mit der man Kohlenasche aufnehmen könne. Der Drogist sann eine Zeitlang nach. Dann gab er ihm ein Mittelding zwischen Klosett- und Handseifenbürste. „Das ist eine schöne Bürste,“ sagte Max lallend und zahlte. Der Drogist gab ihm durchaus recht, er nickte eifrig bestätigend. Max vergaß, sich die Bürste einwickeln zu lassen. Er trottete, sie bald im Bogen schwingend, bald wie zur Probe vors Gebiß haltend, seines Wegs. Die Passanten hatten das garnicht ungern, niemand war darüber betrübt. „Kohlenasche, Kohlenasche,“ murmelte Max.
Da sah er Lisette in ein Haus gehn. Die Bürste wie zum Gruß an den Hut hebend, blieb er stehen. Lisette, sich umblickend, bemerkte es und lachte hell auf. Gleich darauf schloß sie oben ihr Fenster. Max machte ihr, die Bürste in der Hand, Fensterpromenade.
Plötzlich aber hörte man gellende, furchtbare Schreie aus dem Hause dringen. Menschen, Männer, Weiber, Kinder, Hunde. Katzen, alles kam in Bewegung und stürzte in’s Haus, dessen Bewohner aufgeregt aus ihren Wohnungen eilten. Die entsetzlichen Schreie, welche aber bald schwächer und schwächer wurden, drangen aus Lisettens Zimmer. Leider war es fest verschlossen; es dauerte eine geraume Weile, bis man die Tür aufgebrochen hatte.
Die Schreie waren längst verstummt. Das kleine Zimmer zeigte sich von dichtesten Brandwolken erfüllt; aus einem im Dunste kaum sichtbaren Häufchen auf dem Fußboden zuckten Flammen. Der Rauch war so erstickend, daß niemand sich ins Zimmer wagte. Die alarmierte Feuerwehr erschien. Man löschte, drang in’s Zimmer und entdeckte in dem Häufchen die tote, verbrannte Lisette. (Natürlich war wieder einmal dasleichtsinnige Umgehen mit dem explosiven Kochapparate schuld.)
Indem nun alles unter dem erschütternden Eindruck dieser Katastrophe stand und das unglückliche Mädchen beklagte, nahte sich dessen verkohlten Überresten grinsend der edle Max. Zum Schaudern aller Umherstehenden und ehe jemand es hindern konnte, denn sogar Polizisten und Feuerwehrleute standen starr, als sie es sahen; sie sahen es und wolltenes nicht glauben: stippte Max mehrmals seine breite Bürste in die Asche der Leiche. „Kohlenasche! Kohlenasche!“ jauchzte er und rieb und putzte sich sorgsam die Zähne. Auf einmal aber quollen dicke Tränen aus seinen Lidern. Er begriff das Geschehene, und, weinend statt grinsend, fuhr er fort, sich das Gebiß mit Lisettens Asche kräftig zu bearbeiten.
Ach! Ach! Im Irren haus ist es schön. Max geht mit der schwarzen Bürste im Garten spazieren. Er grinst. Seine Zähne leuchten so blank in der Sonne. —
Ihr aber, alte Burschen mit unverlangten Ratschlägen, bedenkt es, wie leicht euer Wort suggestiv wirke! „Kohlenasche“, im Scherz hingesprochen, beschwor ein Schicksal herauf. Gesprochene Asche kann reale machen. Ja, nehmt euch in acht! Sprecht vorsichtiger, denkt vorsichtiger! Kitzelt das Geschick nicht einmal zum Scherz, diese Bestie in der Menagerie des Lebens, deren Necken mit Recht verboten werden muß.
Welche Hoffnungen wurden hier buchstäblich zu Asche! Wie ich höre, soll auch Maxens Leiche (er überlebte Lisetten nicht lange) verbrannt worden sein .....