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Manakel

Wasser das auf ihre Stirn tropfte, weckte sie. Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass sie nicht zu Hause in ihrem kuschelig warmen Bett aufgewacht war. Nur wo war sie und was war geschehen? Schleichend kamen die Erinnerungen zurück, als sie den Raum näher untersuchte. Von der Decke tropfte Wasser an mehreren Stellen herunter. Die Wände sahen wie blanker dunkler Fels aus und auch der Boden war sandig wie in einer Höhle. Das Bett war eher ein Strohballen, der lieblos auf dem Boden verteilt und mit einer Decke verhüllt wurde. Kleine diamantglänzende Steine an der Decke und in den Wänden sorgten für ein diffuses schwaches Licht. Wovon sie angestrahlt wurden, oder ob sie von selbst leuchteten, konnte sie nicht erkennen.

Olivia geriet in Panik, da sie keinen Ausgang sehen konnte. Hoffnungsvoll räumte sie die dürftige Schlafstelle beiseite, in dem Glauben, darunter könnte sich eine Falltür befinden. Doch auch unter dem Stroh war nichts außer Sand und Stein.

An einer Wand konnte sie verschiedene Zeichen und Formen erkennen. Instinktiv fuhr sie mit ihrem Zeigefinger die ägyptische Hieroglyphe für Wasser nach. Als sie die letzte Welle des Zeichens nachgefahren hatte, zischte die Wand und aus dem rohen Fels, wurde eine Mauer aus Wasser. Vorsichtig streckte sie ihre Hand hindurch. Sie bemerkte, dass der wässrige Vorhang nicht sehr dick war. Dahinter ging es offenbar weiter, denn sie konnte kein Hindernis ertasten. Unsicher überlegte sie, warum sie die Hieroglyphe als die Bedeutung für Wasser erkannte, das letztlich auch die Tür darstellte. Vorsichtig schlüpfte sie hindurch.

Von ihrer kleinen Zelle aus gelangte sie in einen schmalen Gang, der an einen größeren Raum grenzte. Leise und behutsam schlich sie ihn entlang. Die Höhle war riesig und in deren Mitte, kniete der Engel mit angezogenen Flügeln vor einem runden Stein. Neben ihm lagen ein paar Decken und Tüten mit Chips und Knabbereien.

»Guten morgen Olivia«, bemerkte der Engel ihre Anwesenheit.

»Was …«, weiter kam sie nicht, da der Engel wieder zu sprechen begann.

»Mein Name ist Manakel, ich bin, wie ich bereits sagte, ein Freund deines Vaters. Die Kraft in dir ist stark, wie ich sehe!«, sprach er ruhig, fast wie ein Vater.

»Sie kannten meinen Vater«, forschte sie nach.

»Dazu kommen wir später. Wie hast du aus dem Raum gefunden?«, fragte er und sie konnte ehrliches Interesse in seiner Frage hören.

»Warum sollte ich ihnen das sagen? Ich vertraue ihnen nicht!«, gab sie entschieden zurück.

»So aber deinem Freund dem Taugenichts vertraust du so blind? Er wollte dich ausliefern, wusstest du das?«

Kurz überlegte sie. Schließlich hatte er sie nicht umgebracht. Gabriel sagte, dass Engel nach ihrem Leben trachten würden. Da sie nicht tot war, und er außerdem vorgab, ihren Vater zu kennen, entschied sie sich, ihm zumindest ein wenig Vertrauen vorzuspielen.

»Er ist nicht mein Freund, ich habe ihn wie dich erst gestern kennengelernt. Oder heute? Welchen Tag haben wir denn?«, fragte sie verwirrt.

»Dann mein Kind hast du einen schlechten Umgang. Heute ist dein Geburtstag. Alles Gute zu deinem zwanzigsten Jahrestag. So sagt man es bei den Menschen doch oder?«, grinste er.

»Oh dann hast du definitiv die Falsche erwischt, denn ich werde heute 18 nicht 20!«, konterte sie selbstzufrieden.

Tief blickte er ihr in die Augen. Durch das dunkle Ambiente, dass nur durch die glimmenden Steine aufgehellt wurde, meinte sie eine leichte Regung in der sonst eisernen Maske seines Gesichtes zu sehen. Doch ehe sie sich versah, verschwand sie wieder und er schaute sie ausdruckslos an. Durch das diffuse Licht schien es so, als würden seine lockigen Haare von selbst leuchten und die Schatten ließen die Konturen seines Brustpanzers markanter erscheinen.

»Tochter Jabamiahs, leibliches Kind von Christine Jacob und aufgewachsen bei Heather Jacob. Glaube mir, ich weiß wen ich vor mir habe!«, raunte er. Sein Mund bewegte sich dabei kaum, nur seine Augen begannen zu glühen.

Unheimlich kam ihr das vor und sie sehnte sich zurück in ihr trautes Heim bei ihrer Tante, die immer so offen und herzlich war. »Ich muss nach Hause! Meine Tante sorgt sich sicher schon«, formulierte sie ihren Gedanken aus.

»Nach Hause?«, er lachte. »Da wirst du jetzt eine ganze Weile nicht mehr hin können. Dafür kannst du deinem Freund danken! Seinetwegen weiß jetzt die halbe Unterwelt und wenigstens genauso viele Engel, wo das genau ist!«, spottete er.

»Aber was ist mit meiner Tante? Und mit Gino?«, seufzte sie. »Und was hast du mit Gabriel getan? Warum glaubst du, dass er mir etwas antun wollte?«, verwirrt und immer noch misstrauisch schaute sie ihn direkt an.

Wieder fing er an zu lachen, es war ein kaltes herablassendes Lachen, so als würde ein kleines Kind eine furchtbar blöde Frage stellen. Sie spürte wie der Zorn und die Wut in ihr hochkochte, am liebsten würde sie diesem Engel eine mit ihrem blauen Blitz verpassen. Ironischerweise begann ihre Hand zu funkeln und sie begriff, dass Wut und Anspannung der Auslöser dafür waren.

Wie komme ich hier raus?, überlegte sie.

Ohne mich gar nicht!, hallte die Stimme des Engels in ihrem Kopf. Und wenn du jetzt gehst, wirst du sterben mein Kind! Du bist dir noch immer nicht im Klaren, dass dein altes Leben aufgehört hat zu existieren. Du solltest schnell lernen, wenn dir etwas an ihm liegt!, hörte sie ihn ohne das er laut etwas zu ihr gesagt hätte.

»Ok ich verliere den Verstand, ganz eindeutig«, hörte sie sich selbst laut murmeln.

Manakel sah sie erneut finster an und hob seinen Kopf. »Benimm dich nicht wie ein Balg! Ich gab deinem Vater ein Versprechen und daran werde ich mich halten! Mein Name bedeutet: Der alle Dinge bewahrt und erhält. Ich werde mich um deine Tante und deinen Menschenfreund kümmern und nun geh dich ausruhen! Du hast morgen einiges vor dir!«, befahl er.

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung, wie er ihrer Tante und Gino helfen wollte oder was sie denn am nächsten Tag zu erwarten hätte, drehte er sich um und starrte auf seinen Stein. Er hob lediglich seine Hand und winkte ihr als Zeichen, dass sie sich entfernen dürfe.

Trotzig hob sie ihren Arm und entließ den Blitz, der sich in ihrer Hand formte auf ihn. Zischend sprang er von ihrem Finger direkt auf Manakel zu. Sie konnte das Knistern, das er auf seinem Weg durch den Raum verursachte, wie in Zeitlupe hören. Der Blitz wurde kurz vor dem Engel von einer unsichtbaren Barriere adsorbiert und sein Schutzschild flackerte kurz auf. Manakel tat so, als hätte er von ihrem törichten Versuch, ihm zu schaden nichts mitbekommen.

Zurück in dem Raum, aus dem sie gekommen war, setzte sie sich auf den kargen Boden und rekapitulierte die Fakten. Er kennt meinen Vater, er weiß, wer ich bin, ich kann Blitze schleudern und er kann in Gedanken mit mir sprechen. Was kann ich noch? Ich sollte mal probieren, ob ich einen Laserblick habe. Sie musste lachen, obwohl ihr die Tränen in den Augen standen. Mit einem hatte er aber vollkommen recht, ihr Leben, wie sie es kannte, war ganz offensichtlich vorbei.

Das Stroh pikste sie in den Po und Rücken, fluchend stand sie auf und sah sich die verschiedensten Symbole an der Wand an. Wie bei dem Symbol für Wasser erkannte sie instinktiv ein weiteres Zeichen, eine Rune, die ihr das Wort Portal vor ihr inneres Auge brannte.

Wieder fuhr sie es mit ihrem Finger nach, und als sie die letzte Linie zog, begann die Rune zu glühen. Klackend löste sich eine Verriegelung an der gegenüberliegenden Wand. Ein Oval hob sich langsam vom Fels ab und bildete in seinem inneren einen Spiegel. Vorsichtig trat sie darauf zu.

»Bleib!«, knurrte Manakel.

Erschrocken fuhr sie zusammen und drehte sich zu ihm um. Er wirkte müde und verbraucht, die Jahrhunderte mussten ihm übel mitgespielt haben.

»Komm, lass uns reden«, bat er sie mit sanfter Stimme und führte sie zu dem großen Raum mit dem Stein in der Mitte zurück.

Der Stein glühte nun golden, als sie sich davor gegenüber voneinander hinsetzten.

»Hier iss, so etwas esst ihr Menschen doch oder?«, vermutete Manakel, als er ihr eine Tüte Chips reichte. »Nimm dir auch eine Decke, falls dir kalt ist. Ich habe das Essen und die Decken für dich hierher gebracht«, erklärte er. Dankend nahm Olivia die Kartoffelchips und mampfte sie genüsslich.

»Ist zwar nicht sonderlich gesund und nahrhaft, aber ich danke dir!«, nuschelte sie mit vollem Mund.

Sie sprachen eine ganze Zeit lang und immer wieder sah sie Bilder seiner Erzählungen auf dem golden leuchtenden Stein schweben. Sie waren so detailreich und plastisch, dass sie immer wieder den Drang unterdrücken musste hineinzugreifen. Abbildungen von Engeln und Menschen waren zu sehen und wie aus ihren Kindern Halbwesen wurden. Immer wenn eine Frau das Kind eines Engels austrug, wurde aus dem Kind ein Nephilim. Halb Mensch und halb Engel.

»Warum werden die Nephilim von allen gejagt?«, brannte sie darauf zu erfahren.

»Du bist auch eine vergiss das nicht! Die Nephilim sind zu einem Teil menschlich und zu einem anderen Teil Engel oder Dämon. Obwohl die Dämonen auch gefallene Engel sind. Nun, uns ist es verboten mit Menschen Kinder zu zeugen und zur Strafe werden die Kinder getötet. Trotzdem schaffen es immer wieder welche, zu entkommen. Wie du, wenn du auf mich hörst! Deine Flügel müssen sich noch ausbilden, sie wurden mit einem Bannzauber verborgen. Ein mächtiger Zauber, aber du hast sie vielleicht sogar schon gespürt. Ein kribbeln oder jucken im Rücken, dürften die ersten Anzeichen dafür sein«, erzählte er. Nickend bestätigte sie, da sie schon öfter diesen Juckreiz auf ihrem Rücken verspürte.

Flügel, na klar. Ich mit meiner Höhenangst werde mich in die Lüfte erheben, kicherte sie in Gedanken. Das ihr tatsächlich Flügel wachsen sollten, glaubte sie nicht.

»Dein Vater wollte dem Himmel abschwören und sterblich sein. Einen Bannzauber, der deine Nephilim Kräfte unterdrücken sollte, hatte er schon sprechen lassen. Zu seinem letzten Schritt kam er nicht mehr. Er wollte das Blutritual durchführen, dass ihn von seinen Flügeln befreien und ihm Sterblichkeit schenken sollte«, fuhr er fort.

»Woher kanntet ihr euch? Und warum hilfst du mir?«, wollte sie wissen.

Der Engel seufzte und starrte zum sandigen Boden. Sie konnte spüren, dass ihm die Geschichte nahe ging. Obwohl er ihr anfangs berichtet hatte, wie gefühlskalt die Heerscharen des Himmels sein konnten. Sie entschied sich, ihm die Frage später erneut zu stellen, und es für den Moment dabei bewenden zu lassen. Vergessen wollte sie ihre Frage auf keinen Fall. Ihr anfangs vorgespieltes Vertrauen baute sich zu echtem aus. Die Dinge die er erzählte, schienen wahr zu sein. Für eine simple Lüge, war sein Wissen um sie und die Geschichten um ihre Eltern zu detailreich.

Ihr Blick glitt von den Tüten Chips, zum goldig glimmenden Stein und auf einem der real wirkenden Bilder sah sie ihre Tante Heather. »Ist das so was wie ein Videotelefon?«

Manakel besann sich wieder und sagte: »Man kann mit seiner Hilfe die Vergangenheit eines jeden Wesens sehen, das sich ihm öffnet. Und mit einem zusätzlichen Stein könnte man auch einen Ort überwachen.«

Freudestrahlend starrte sie ihn mit offenem Mund an. Kapiert er denn nicht?, überlegte sie und verdrehte die Augen.

»Ja ich werde einen dort hinterlegen, aber sie sind selten, deshalb kann ich nicht jeden deiner Freunde überwachen!«, stellte er klar.

Zufrieden führte sie das Gespräch mit ihm fort, bis sie müde wurde und auf eine der Decken fiel, die neben den Knabbersachen lagen. Ihre Träume waren endlich wieder keine schlimmen. Nichts deutete auf einen brennenden Baum oder menschliche Schädel hin, stattdessen träumte sie von ihrer Mutter.

Durch ein scharrendes Geräusch wachte sie auf. Sie sah sich nach dem Engel um und fand ihn ein paar Meter weiter neben sich. Mit seinem Fuß scharrte er auf dem felsigen Boden. Erst als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass es kein normaler Fuß war, den er hatte, es waren statt Zehen Krallen. Hatte er die vorher schon? Räuspernd machte sie auf sich aufmerksam. Manakel drehte sich um, ließ seine Hose über sein Bein gleiten und entschuldigte sich bei ihr, dass er sie geweckt hatte. Er kam zu ihr und sie bemerkte zu spät, dass sie noch immer auf seine nun in Stoff verhüllten Beine starrte.

»Entschuldige bitte, es muss dich irritieren. Das ist eine Nebenwirkung, wenn man aus dem Kreis der Erlauchten ausscheidet.« Kurz hob er ein Hosenbein an, dass sein behaartes Bein und die klingenartigen Krallen zeigte. »Wenn wir verbannt werden, entstellt man uns, damit die Menschen sich vor uns fürchten. Zu meinem Glück, traf es mich nur an den Beinen, anderen wachsen Hörner«, offenbarte er lächelnd. »Jetzt solltest du wieder schlafen, morgen werden wir zu einem Schamanen gehen, der dir bei deinen Flügeln helfen wird!«, fügte er an.

Sie schüttelte unmerklich den Kopf, an die Geschichte mit den Flügeln glaubte sie nach wie vor nicht. Das ihr Vater ein Engel war, dagegen schon, schließlich sprach sie soeben mit einem.

Engelslügen

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