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Gift

Früh begann das Training mit Gabriel. Still und reglos saß sie im Schneidersitz neben dem glimmenden Stein.

»Aua«, rief sie aus. Gabriel versetzte ihr zum wiederholten Male, mit einem Holzstab einen Hieb auf den Kopf.

»Konzentrier dich, du musst spüren, wann ich zum Schlag aushole!«, wies er sie an.

Auf ihrem Kopf bildete sich bereits eine kleine Beule die ihr Kopfschmerzen bereitete.

»Au verdammt«, schrie sie.

»Ich glaube es nicht, jetzt hast du mich dabei sogar angesehen und nicht reagiert«, stieß er entnervt hervor.

»Wo ist Manakel?«, wunderte sie sich.

»Unterwegs. Er kommt später wieder und wir beide sollen trainieren. Was du aber offensichtlich nicht zu tun gedenkst«, stellte er fest.

»Doch, aber das ist albern. Wie soll es mir helfen einem Stock auszuweichen, den ich nicht mal sehe?«, entgegnete sie.

»Die größten Gefahren lauern dort, wo man sie nicht sehen kann!«, konterte Gabriel und hob den Stab erneut.

Drei weitere Male sauste der Stock auf ihren Kopf hinab, bis sie von dem immer wiederkehrenden Schmerz so zornig wurde, dass ihre Hand zu glühen begann.

Sie hob die Hand über ihren Kopf in genau dem Moment, als sie beinahe ein viertes Mal getroffen worden wäre. Mitten in der Bewegung blieb Gabriel stehen und konnte den Stab nicht länger halten, da er immer heißer wurde und schließlich in Flammen aufging. Einen Augenblick stand er nur sprachlos da und schaute auf die Aschereste des Trainingsstabs.

»Nicht ganz das, was ich erwartet habe, aber gut, Mission erfolgreich«, löste er sich aus seiner Erstarrung. »Wie hast du das gemacht?«, legte er nach.

Der Zorn kroch langsam wieder aus ihr heraus, als sie seinen anerkennenden Blick registrierte. »Was gemacht? Kannst du das etwa nicht?« Gabriel wechselte seinen Blick von der Asche zu ihr.

»Ähm nicht direkt. Ich muss zumindest einen Blitz direkt, darauf zu schleudern. Du hast es quasi in meiner Hand verbrennen lassen. Eigentlich dachte ich, du weichst dem Stab nur aus«, sprach er mit weit aufgerissenen Augen. In seinen leuchtend grünen Augen erkannte sie den zu Staub zerfallenen Stab und bemerkte seine Verwunderung. Es entging ihr nicht, dass er so etwas noch nie gesehen hatte.

Gabriel verschwand kurz darauf und kam mit einem neuen Stab zurück. »Mach das noch mal!«, forderte er sie auf.

Wieder konzentrierte sie sich auf den Stab, nichts tat sich. Gabriel wartete eine gute Minute lang und ließ ihn auf ihren Kopf niedersausen. Diesmal glühte ihre Hand nicht und dennoch bemerkte sie die leichte Druckveränderung der Luft und wich im letzten Moment, bevor er sie treffen konnte, aus. Dumpf schlug er um Haaresbreite neben ihrem Körper auf dem sandigen Fels auf. Noch während der Stab vom Aufschlag schwingend in der Luft tanzte, zog sie ihr rechtes Bein an, um es einen Sekundenbruchteil später gegen die Mitte des Stocks zu schlagen. Klirrend landete der Stab auf der Felswand und fiel zu Boden.

Gabriel gratulierte ihr und forderte sie auf, die Übung ein paar weitere Male zu wiederholen. Das Training ging jeweils mit demselben Ergebnis zu Ende. Zufrieden musterte Gabriel seine Schülerin.

»Aus dir kann ja doch noch was werden!«, rang er sich ein Kompliment ab.

Sie trainierten weitere Blindübungen, wie Umkreisen des Gegners und ihn genau zu lokalisieren. Oder mit verbundenen Augen den Raum abtasten. Am besten beherrschte sie die Schildübungen. Mit Kraft der Gedanken und ihren Blitzen schuf sie nahezu undurchdringliche Schilde. Traf etwas darauf, prallte es knisternd ab.

Gegen Abend kehrte Manakel, mit einem großen Sack auf dem Rücken, zurück. Da hat aber jemand schlechte Laune.

Grimmig sah er zu ihr, schnappte sich den Stab, der am glimmenden Stein lag, und schlug ihr mit voller Wucht auf die Kniescheibe. Kreischend schlug Olivia auf dem sandigen Boden auf, ein spitzer Stein bohrte sich in ihren Rücken, doch das bemerkte sie kaum. Der Schmerz der zerschmetterten Kniescheibe schwoll immer weiter an.

Gabriel lief dazu und starrte fassungslos den wild gewordenen Engel an.

Blitze formten sich in ihren Händen. Aus ihrer rechten Hand schoss ein grell blauer Blitz direkt in Manakels linke Schulter. Ruckartig schleuderte er zurück und bildete einen Schild um sich. Der Blitz aus Olivias linker Hand zerbarst daran wie Eis auf Beton.

»Was hast du getan?«, schrie der junge Nephilim.

»Du dummes Kind!«, schrie der Engel zu Olivia. »Dein Freund ist ein Angemon, die Brut aus Licht und Schatten.«

Er warf das Bündel hart auf den Boden, aus dem Sack erklang ein stöhnendes Geräusch.

Was ist da drin?

Der Schmerz in ihrem Bein raubte ihr fast die Besinnung. Manakel bäumte sich vor ihr auf und lud einen Blitz in seine Hand. Gleichzeitig streckten Olivia und Gabriel ihre Fäuste entgegen und stießen den Engel mit einem gewaltigen gebündelten Blitz zu Boden. Orientierungslos schaute Manakel die beiden an. Sein Blick war kurz wieder klar und friedlich und doch begann er, langsam wieder finster zu werden.

»Schnell!«, rief Gabriel.

Instinktiv hob sie beide Hände und schoss grünliche Funken auf Manakel. Gabriel tat es ihr gleich und so verstärkte sich ihr Schildregen über dem Engel, der nun darin gefangen war.

Hastig legte Gabriel seine Hand auf ihr Knie und sprach Worte, einer längst vergangenen Zivilisation. Der Schmerz ließ nach und die zersplitterten Knochenstücke fügten sich wieder zusammen. Es wirkte auf sie, als würden Maden unter ihrer Haut kriechen. Zumindest war die Heilung schmerzlos.

»Was ist nur in ihn gefahren?«, fragte sie ihn.

»Ich glaube er ist vergiftet worden. Du erinnerst dich an den Sandgeist?« Olivia nickte zur Bestätigung. »Ich denke, der Geist hat ihm im Kampf ein Gift verabreicht, dass ihn Wahnvorstellungen haben lässt«, erklärte er.

Leidgeplagt ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte das Bündel, das leicht zuckend am Boden lag. »Was ist da drin?«

Gabriel öffnete den Sack und Olivias Herz hörte auf zu schlagen. Vor ihr lag blutüberströmt und übel zugerichtet Gino. Schwer atmend und mit schwachem Puls öffnete er die Augen.

»Oliv …«, wisperte er.

Was in aller Welt hat er dir angetan?, formte sich die Fassungslosigkeit in ihren Gedanken.

»Tu was!«, schnauzte sie voller Angst Gabriel an.

Wieder sprach und sang er in alten Sprachen, doch im Gegensatz zu ihr heilten seine Wunden noch nicht. Enttäuscht sah sie zu Gabriel auf.

»Er ist ein Mensch, da hilft der Zauber zwar auch, aber es dauert länger, bis er wirkt«, rechtfertigte er sich.

»Kannst du ihm auch helfen?«, sie deutete auf Manakel.

»Ich kann es versuchen, aber es wird ihn nicht heilen. Er braucht den Glanz des Lichtes und den gibt es bekannterweise nur in der Engelswelt. Doch sobald er sich dort blicken lässt, werden sie ihn vernichten«, erklärte er bedrückt.

Vor dem Engel kniete er nieder wie ein Mönch beim Beten. Murmelnd kamen die geheimnisvollen Worte über seine Lippen. Das Ritual dauerte viel länger als bei Olivia und Gino. Völlig erschöpft brach Gabriel zusammen, die Finsternis in Manakels Augen wurde schwächer und auch er verfiel wie der Nephilim in einen tiefen Schlaf. Es war das erste Mal überhaupt, dass Olivia den Engel wirklich schlafen gesehen hatte.

»Oliv wo sind wir hier? Und was ist passiert?«, waren Ginos erste Worte, als er viele Stunden später erwachte. Seine Wunden waren zu einem großen Teil verheilt, doch es würde noch einen vollen Tag dauern, bis er wieder vollständig genesen war.

»Woran kannst du dich erinnern?«, schaute sie ihn sorgenvoll an.

»An den da …«, er zeigte mit dem Finger auf Manakel. »… er war bei dir zu Hause. Als er mich durch das Fenster gesehen hat, ist er durchgedreht und hat angefangen, auf mich einzuprügeln. Der Typ ist vollkommen gestört. Wer ist das und wo sind wir hier?«

Behutsam erzählte sie ihm, was die letzten Tage alles passiert war, auch die Dinge, die sie ihm schon gesagt hatte. Ungläubig schaute er sie an.

»Du glaubst mir nicht?«, spottete sie.

»Ich seh jedenfalls keine Engel oder Flügel hier.«

Olivia erinnerte sich daran, was Manakel ihr sagte, als er davon sprach, dass Menschen ihre wahre Gestalt nie sehen könnten. Aber er sagte auch, dass wenn sie es wirklich will, einem Menschen kurz ihre Flügel zeigen könne. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.

Flügel zeigt euch, sprach sie gedanklich.

»Wow sie sind so …«, er rang nach den richtigen Worten.

»So wunderschön?«, beendete sie seinen Satz, auch wenn sie selbst die volle Pracht noch nicht gesehen hatte.

Erschöpft schlief Gino wieder ein. Gerade rechtzeitig, um nicht zu bemerken, dass Manakel erwacht war. Die Augen des einstigen Engels waren ausdruckslos und seine Gesichtszüge wirkten resigniert. Die Finsternis in seinem Blick war Reumütigkeit gewichen. Er sah nicht gut aus, selbst seine Flügel strahlten kein bisschen mehr. Sie hingen dunkelgrau an seinem Rücken herunter.

Gewöhnlich dauerte es viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte, bis die Flügel der verstoßenen Engel pechschwarz wurden. Doch durch das Gift des Sandgeistes geschah dies nun innerhalb weniger Stunden.

»Du musst ihn zurückbringen. Und dich von mir fernhalten!«, hallten seine Worte voller Traurigkeit in ihren Ohren.

»Wir werden dich heilen!«, versprach Olivia ihm.

Ihr lief eine Träne die Wange hinab. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum ihr das Schicksal des Engels so nah ging. Schließlich kannte sie ihn kaum und verletzt hatte er sie auch, sogar aus ihrem alten Leben hatte er sie gerissen. Eigentlich sollte sie kein Mitleid haben, sagte sie sich immer wieder selbst und doch konnte sie den kümmerlichen Anblick des einstigen Geschöpfs des Lichts nur schwer ertragen.

Am späten Abend war es Zeit, sich von Gino zu verabschieden. Gabriel hatte sich bereit erklärt, ihn sicher in die Stadt zu bringen und ihm dort die Erinnerung zu nehmen. Gino verweigerte sich heftig gegen das Auslöschen der Erinnerung. Erst auf das Argument, dass er sicherer sei, wenn er von all dem nichts wisse, lenkte er ein.

»Alles Gute noch nachträglich zu deinem Geburtstag! Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder! Pass auf dich auf! Ich liebe Dich«, waren seine letzten Worte an sie. Er küsste sie und ließ die sichtlich erstaunte Olivia zurück, als er mit Gabriel durch das Portal verschwand. Was war das denn? Er liebt mich?

Dank der Überwachungssteine konnte sie alles genau verfolgen. Als Gabriel seine Aufgabe erledigt hatte und ihm für den Zeitraum den er ihm nahm, eine falsche Erinnerung gab, wechselte Olivia zu dem Stein mit Tante Heather. Manakel hatte, als er in ihrer Wohnung war, und noch bevor er Gino entdeckte, den Stein dort hinterlassen. Sie war dabei die Wohnung zu putzen und Eintopf zu kochen. Es war ein einfaches Gericht, das es häufig gab, da es billig aus Essensresten gekocht werden konnte.

Gabriels Zauber entfaltete seine volle Wirkung auf Manakel. Seine Schwingen waren wieder wunderschön und fast vollständig gleißend hell. Wie lange der Zustand anhalten würde, vermochte niemand vorherzusehen, doch in einem waren sich die drei einig - lange würde es nicht halten. Manakel kommentierte es mit einer Mischung aus Galgenhumor und praktischem Nutzen.

»So bleibst du immer voll konzentriert und wirst dich nie zu sicher fühlen! Das kann nur von Vorteil für deine Mission sein!«

Natürlich wusste sie, dass er recht hatte, sie hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihr in der Höhle nichts passieren könnte. Diesen Fehler würde sie nicht wiederholen, schwor sie sich.

»Hier das solltest du lesen, während dein Lehrer unterwegs ist!« Vor ihr stellte er eine große Kiste mit

Pergamentrollen ab. Jeweils zu einem Dutzend zusammengebunden. »Aus ihnen wirst du das Wichtigste über unsere Welt lernen können«, schmunzelte er und ging wieder.

Unter den Schriften fand Olivia auch eine Rolle verziert mit unterschiedlichen Zeichen und Symbolen. Sie war kleiner als die anderen und ließ sich einfach in ein kleines Quadrat falten. Sie sah sich um, und steckte das Dokument klammheimlich in ihre Hosentasche.

Anders als in der Menschenwelt gelehrt, gibt es keine wirkliche Hierarchie unter den Engeln, abgesehen vom obersten Engel Seraphiel und den oberen Engelschören, zu denen auch die Erzengel gehören. Alle anderen unterliegen keiner weiteren Rangordnung. Throne und Cherubim haben zwar eine größere Macht und Stärke als die Erzengel, dennoch befehligen sie niemanden. Gebannt starrte sie auf die Pergamente, die vielen Namen, die Kriege die Engel untereinander führten und die Engelschöpfungslehre. Nur wenig kannte Olivia von den Religionen ihrer einstigen Menschenwelt, da sie weder gläubig erzogen wurde noch sich groß dafür interessierte. Doch einiges hatte sie in der Schule gelernt.

»Die Menschen ordnen lieber alles in eine Pyramiden Struktur. Aber wie das mit den Religionen ihrer Welt so üblich ist, dienen sie überwiegend nur sich selbst. Nur selten spricht Gott angeblich zu einem von ihnen. Und die, zu denen er vermeintlich spricht, sind meist in keiner Religion wiederzufinden. Seraphiel hat Luzifer gestürzt und ihn in ein Verlies gesperrt. Geschützt von den euch bekannten neun Höllenkreisen, die dafür sorgen sollen, dass er nicht zurückkommen kann. Luzifer wollte verhindern, das Seraphiel einen Krieg gegen Gott führt, er verlor und mit ihm fielen viele Anhänger. Dein Vater und ich interessierten uns vor dem Krieg gegen Gott nicht dafür. Wir wissen ja nicht mal, ob Gott nicht nur ein Mythos ist. Gott haben wir nie gehört oder gesehen, also spielte es keine Rolle, ob wir gegen ihn oder für ihn sein sollten. Engel außer den Obersten würden in seinem Glanz, ja sogar bei einem leisen Flüstern von ihm sofort verbrennen. Aber ich habe noch nie von einem Engel gehört, der es tatsächlich versucht hätte«, führte er aus, als er wieder zu ihr kam.

Blasphemie unter den Engeln. Interessant, dachte sie sich.

»Wie seid ihr zwischen die Fronten geraten?«, wollte sie wissen.

»Im Krieg fast gar nicht, wir haben uns da überwiegend raus gehalten. Aber als dein Vater deine Mutter gesehen hatte, verliebte er sich in sie. Zumindest glaubte er das. Ich denke ja noch immer, dass wir Engel keine Liebe empfinden können.« Er klopfte sich auf den Schenkel. »Wie dem auch sei, er verbrachte sehr viel Zeit mit Christine und das missfiel den Engelschören. Also forderten sie ihn auf, sich von den Menschen fernzuhalten. Das war der Beginn seines Widerstandes. Mit dem Blut eines

Babys hätte er sich von den Flügeln befreien und sterblich werden können. Guck nicht so, dem Baby wäre nichts passiert, man braucht nicht viel davon«, beschwichtigte er, als er Olivias blassen und angewiderten Gesichtsausdruck bemerkte.

»Dann aber bist du in Christine herangewachsen und die Chöre wurden misstrauisch und nahmen ihn fest. Er hatte das Babyblut bereits bei sich und damit war sein Schicksal besiegelt. Deine Mutter brachte dich auf die Welt und verschleierte deine Geburt um zwei volle Jahre. Die Engel glaubten, dass es sich bei dir nur um ein Menschenkind handeln würde und ließen euch in Ruhe«, fuhr er fort.

»Warum hast du mir das nicht schon längst erzählt?«, fragte sie ihn.

»Wie soll man so ein Gespräch denn beginnen? Pass mal auf Kind, es ist alles anders, als du denkst und nebenbei, du bist zwei ganze Jahre älter als du glaubst!«, schnaubte er. »Es fällt mir wirklich nicht leicht, dir das alles zu erzählen.«

Engelslügen

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