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Kapitel 4

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Samstag, 07. Januar 2012

Er hat lange darauf gewartet, dass der Alte endlich stirbt und konnte sich nach Jahren jetzt endlich auf seinen zustehen Erbteil freuen.

Doch die Freude hielt nicht lange an, als er vor ein paar Tagen vom Notariat erfuhr, dass er nicht in Michaels Testament erwähnt wurde.

Für ihn brach eine Welt zusammen.

„Das kann doch wohl nicht wahr sein, meine ganzen Pläne würden somit über den Haufen geschmissen werden. Das lasse ich nicht mit mir machen, auf keinen Fall, wo sind wir denn hier? Die kleine Anne meint, sie könnte sich wohl alles alleine unter den Nagel reißen, aber da täuscht sie sich. So sicher nicht!“, fluchte er vor sich hin und saß in seinem kleinen verrauchten Wohnzimmer.

„Nun muss ich mir wohl oder übel einen Plan überlegen, denn ich hole mir, was mir zusteht“, sagte er und schrieb etwas auf seinen Block.

„Und wenn ich dafür morden muss“, sagte er griesgrämig und zündete sich eine Zigarette an.

**


An diesem wunderbaren Sonntagmorgen stand Anne früh auf, zog sich ihre Laufklamotten an und begab sich an die frische Luft. Sie lief los und brachte das Lächeln nicht aus ihrem Gesicht, denn sie musste ununterbrochen an den gemeinsamen Abend mit Sam denken.

Als Anne nach einem fast eineinhalbstündigen Lauf wieder zurück zu ihrer Wohnung kam, war sie total außer Puste. Sie ging hinein und lief schnurstracks ins Badezimmer.

„Oh mein Gott, kaum mach ich mal ein paar Wochen keinen Sport bin ich total kaputt, das kann es doch echt nicht sein“, jammerte Anne mit ihrem Spiegelbild und hüpfte unter die Dusche. Sie summte vor sich hin und machte sich Gedanken darüber, was sie heute noch alles machen wollte. Das heiße Wasser tat ihr gut, und sie fühlte jetzt schon, dass spätestens morgen ein schlimmer Muskelkater sich in ihrem Körper breitmachen würde.

„Was freu ich mich jetzt auf ein leckeres Frühstück und meinen Laptop, denn es wird echt Zeit, dass ich meinen Mädels in Australien von meiner tollen sexy Bekanntschaft erzähle“, sprach sie glücklich zu sich selbst und machte sich auf den Weg in ihre kleine Küche.

Mit frischem Kaffee und ein paar restlichen Weihnachtskeksen setzte sich Anne an den wirklich winzigen Küchentisch und schaltete ihren Laptop an.

„Wahrscheinlich haben Zoe und Lina schon tausende Mails geschrieben und werden bald einen Suchtrupp zu mir schicken, weil ich nie zurück schreibe“, sagte Anne und musste dabei laut lachen.

Als sie den Posteingang öffnete, hatte sich ihre Vermutung fast bestätigt. Zwar waren es keine tausende Mails, aber sie hatte drei ungelesene aus Australien in ihrem Postfach.

„Wie ich es schon vermutet habe. Ui, ui, na dann werde ich den beiden mal ausführlich zurück schreiben“, meinte sie und las nun in Ruhe die Mails.

Von: Zoe McCain

Gesendet: Mittwoch, 04. Januar 2012 10:21

An: Anne Weber

Betreff: Hallo :-)

Hallo meine Liebe!

Wie geht es dir? Wir hoffen, gut? Was gibt es zuhause in Luxemburg so Neues?

Wir hoffen, du hast wieder gut zurück in deinen Arbeitsalltag gefunden und es bringt dich etwas auf andere Gedanken?

Lina und ich würden am liebsten sofort zu dir kommen, all deine Sachen einpacken und dich mit nach Australien nehmen, denn wir vermissen dich schrecklich.

Ja, wir wissen es:

Nicht nur wir vermissen dich und die ganze McCain-Familie, sondern Joshua vermisst dich auch.

Willst du denn nicht wirklich deine Sachen zusammen packen und auswandern? Du musst doch sehen, was hier so abgeht, denn Anne, soll ich dir was sagen??

Ich werde „zu“ dick! Oh mein Gott, ich wusste ja nicht, dass man in einer Schwangerschaft so komische Gelüste bekommen würde.

Klar, wahrscheinlich ist da jeder anders, aber ich könnte alles Mögliche auf einmal essen … Süß, sauer, Scharf, einfach alles.

Sonst geht’s uns allen gut! Nun schreibt Lina kurz mal weiter …

Hallo Süße! :-)

Oh, ich vermisse dich so sehr und ich hätte dich so gerne hier bei uns.

Du müsstest sehen, wie es bei unserer Ranch voran geht, Ethan arbeitet Tag und Nacht daran, dass es bald so ist, wie wir es haben wollen.

Doch jetzt musst du uns mal schreiben wie es dir so geht, was sich in Luxemburg alles so tut, und so weiter. Denn wir wollen alles wissen und viel von dir lesen, also mach dich nun schnell ans Zurückschreiben.

Wir denken an euch und vermissen euch, sag doch bitte unseren Eltern auch liebe Grüße!

Drücken dich und küssen dich!

Anne grinste in sich hinein, als sie die nächste E-Mail öffnete und nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee.

Von: Zoe McCain

Gesendet: Freitag, 06. Januar 2012 18:53

An: Anne Weber

Betreff: Hallo!!

Hey Kleine!

Hast du unsere Mail am Mittwoch nicht erhalten?

Wahrscheinlich schon, doch du wirst wohl ziemlichen Stress haben.

Aber bitte schreib doch mal zurück, wir möchten gerne wissen, wie es dir geht und ob alles okay bei dir ist!

Nicht, dass wir einen Suchtrupp losschicken müssen, um endlich mal eine Antwort von dir zu erhalten! ?

Uns geht’s gut, aber noch besser würde es uns gehen, wenn wir ein Lebenszeichen von dir hören würden.

Wir hätten nämlich heute unsre Eltern angerufen, aber die gehen auch nicht an das Telefon.

Hallo!! Wir wohnen x-tausende Kilometer von euch entfernt, ihr dürft uns hier nicht so hängen lassen!

Wenn du diese Mail liest und nicht sofort auf „Antworten“ klickst, dann bin ich, nein, dann sind wir echt sauer auf dich.

Fühl dich umarmt und geknutscht.

Zoe + Lina

„Ah, ich fasse es nicht. Meine zwei Freundinnen haben wohl echt nichts Besseres zu tun als die ganze Zeit vor dem Computer zu sitzen und zu warten, bis ich schreibe“, sagte sie und biss in ihr Marmeladebrot.

„Da bin ich jetzt echt mal gespannt, was denn nun in der dritten Mail noch drin stehen wird“, redete sie mit sich selbst und öffnete die Mail.

Von: Zoe McCain

Gesendet: Sonntag, 08. Januar 2012 19:17

An: Anne Weber

Betreff: ??!?? HALLO !?!

Anne!! Was ist los? Geht’s dir denn nicht gut?

Nur dass du es weißt, werden wir bis morgen Abend nichts von dir hören oder lesen, werde ich in Luxemburg bei der Polizei anrufen!!

So langsam machen wir uns wirklich Sorgen, denn normal schreibst du jeden Tag und nun haben wir schon über fünf Tage nichts mehr von dir gehört!

Bitte melde dich!

Hab dich lieb, Bussi! Zoe.

Anne schüttelte den Kopf und konnte die ganze Aufregung nicht verstehen. Doch sie wollte ihnen alles ganz ausführlich schreiben, und dazu bräuchte sie schon etwas Zeit.

Deshalb beschloss sie, nur ganz kurz vorab mal eine Mail zu schreiben, bevor die lange Email folgen wird.

Von: Anne Weber

Gesendet: Sonntag, 08. Januar 2012 10:08

An: Zoe McCain

Betreff: AW: ??!?? HALLO !?!

Huhu meine Lieben!

Mir geht es sehr gut, das wollte ich euch vorab kurz schreiben, damit ihr endlich beruhigt sein könnt.

Aber um euch alles genauestens erzählen zu können brauche ich etwas mehr Zeit.

Ich mache mich nun gleich ans Schreiben, doch es könnte schon eine Stunde dauern, bis ihr die nächste Mail von mir bekommt!

Nicht, dass ihr gleich wieder durchdreht! ?

Also lasst mich kurz alles genau in einer Mail verfassen und dann wisst ihr über alles Bescheid!

Bis gleich meine Lieben!

Vermisse euch auch, drück euch und schick euch viele Bussis!

„So, das müsste für den Anfang ausreichen, um sie zu beruhigen“, meinte sie und begann, ihren Freundinnen alles ausführlich zu berichten.

Von: Anne Weber

Gesendet: Sonntag, 08. Januar 2012 10:25

An: Zoe McCain

Betreff: Für meine „Freaky – Freundinnen“ :-)

Hallo ihr zwei Süßen!

Oh mein Gott, was ist denn mit euch los? So kenne ich euch gar nicht, eigentlich bin ich doch sonst so ungeduldig und ängstlich!

Erstmal zu dir, liebe Zoe. Du musst bitte sofort mal ein Foto von dir machen und mir schicken, denn ich möchte sehen, wie „rund“ du schon geworden bist!

Ja, das habe ich schon des Öfteren gehört, dass man alles Mögliche durcheinander isst. Aber ein paar Vorteile darf man doch auch haben als Schwangere. Oder? ;-)

Oh Lina, ich freue mich so für euch, wenn es bei der Ranch voran geht, und das heißt für mich, ich muss euch bald wieder besuchen kommen!

Muss ja kontrollieren, ob ihr das auch gut macht! :-)

So, nun zu mir und meiner letzten Woche …

Ich fand wieder gut zurück in meinen Arbeitsalltag und bin froh, unter Leuten zu sein.

Ich vermisse meinen Vater täglich mehr und euch auch, nun bin ich fast, hätte ich nicht eure Eltern, auf mich alleine gestellt.

Euer Vorschlag, dass ich meine Sachen packen und zu euch auswandern soll, hört sich gut und sehr verlockend an … „Aber“ zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich gerade nicht von hier weg.

Nun seht ihr beide euch an und fragt euch verwundert, was wohl in den letzten Tagen geschehen ist.

Na, hab ich Recht? Jetzt lacht ihr, weil ich euch, obwohl ich so weit weg bin, bei euren Gedanken ertappt habe.

Ja, ich spanne euch nicht mehr länger auf die Folter … Ich habe einen Mann kennen gelernt.

Wie, wo, wann … Ganz überrascht ist es passiert, er stand bei mir im Laden und wollte, dass ich ihm die Haare mache.

Wir haben uns sehr gut unterhalten und er wollte sich mit einem Essen bei mir dafür bedanken, dass ich ihn noch dazwischen schieben konnte.

Nun waren wir gemeinsam Essen, es war sehr nett und wunderschön. Haben die Nummer ausgetauscht und sind in Kontakt, nächste Woche unternehmen wir vielleicht wieder etwas zusammen.

Ähm, genau, ihr möchtet sicher wissen, wie er aussieht.

Samuel ist groß, schlank aber sehr muskulös, hat wunderschöne hellbraune Augen und ist sehr charmant. :-)

Tja, nun wisst ihr, warum ich mich so spät erst bei euch melde, es ging irgendwie rund bei mir.

Heute fahre ich zu euren Eltern, die haben mich zum Mittagessen eingeladen.

Macht euch nicht immer so viele Sorgen, denn das ist eigentlich mein Job.

Fühlt euch gedrückt und geknutscht.

Vermisse euch total!

Eure Anne

Nun lehnte sich Anne gemütlich in ihren Sessel zurück und dachte an ihre beiden Freundinnen.

Als sie einige Minuten später auf die Uhr sah, war sie verwundert darüber, wie spät es schon war.

„So, nun werde ich schnell noch die Zeitung lesen, aber dann muss ich mich auf den Weg zu Sophie und Paul machen. Nicht, dass sie auf mich warten müssen“, meinte sie und öffnete die Haustür. Sie ging nach unten, um die Wochenendpost aus ihrem Briefkasten zu holen, da fiel ihr unter der ganzen Werbung ein Brief auf.

„Hm, wer schreibt denn heutzutage noch Briefe? Na, da bin ich mal gespannt, was da drin steht“, meinte sie noch gut gelaunt und ging wieder nach oben in ihre kleine Wohnung.

Dort angekommen, öffnete Anne noch im Gehen den Brief, als ihr auf einmal der Atem stockte.

„Was um Himmelswillen soll denn dieser Mist?“, fauchte sie und las den Brief noch mal. Anne setzte sich ins Wohnzimmer, las die Worte, diesen Brief immer und immer wieder, doch sie wurde nicht schlau daraus.

Liebe Anne,

du wirst dich fragen, wer dieser merkwürdige „Unbekannte ist“, doch ich war jahrelang still, habe mich verkrochen, weil es von mir verlangt wurde.

Ich habe gewartet und gewartet, bis dieses Versteckspiel ein Ende hat, das ja hiermit endgültig vorbei ist.

Dein liebevoller wunderbarer Vater Michael ist nun endlich von uns gegangen, zu lange hat er sich damit Zeit gelassen, doch jetzt habe ich es geschafft.

Ich muss mich nicht mehr verstecken oder mich davor schämen, wer ich bin.

Michael stand nie zu mir, er sagte, ich gehöre nicht zu ihm und seiner, nein, eurer Familie, ich soll diesen Spuk aus meinem Kopf verdrängen.

Wenn ich brav bin und mich verstecke, so versprach er mir würde er, mich wenigstens in seinem Testament erwähnen.

Tse, und was war? Was? Nichts! Ich habe beim Notariat angerufen und die sagten mir:

Es tut uns leid, Herr Schmitt, doch im Testament von Herrn Weber wurden Sie nicht erwähnt.“ Dann wurde der Hörer einfach aufgelegt.

Es wurde nicht gefragt:

Warum fragen Sie?“ Oder „Wer sind Sie?“ Nichts. Es war unwichtig, ich fühlte mich wieder so unwichtig wie schon seit über vierzig Jahren.

Anne, ich bin dein Halbbruder, denn vor deiner Mutter hatte Michael eine Affäre mit meiner Mutter, auch wenn er es immer verdrängt und verheimlicht hatte.

Ich weiß nicht warum er das tat, aber seine Worte waren immer:

Leon, es tut mir sehr leid, doch ich bin nicht dein Vater, das sind nur deine Wunschvorstellungen. Deine Mutter ist alkohol- und drogensüchtig, sie hatte so viele Freier, dass sie nicht wissen kann, wer dein wahrer Vater ist.“

Tja, das war alles, was ich von ihm zu hören bekam.

Anne, ich weiß, du kannst nichts dafür, aber ich mag dich genauso wenig wie Michael.

Denn du hast ihm alles bedeutet, für dich hätte er sein letztes Hemd gegeben, und ich, ich bekam nichts.

Keine Liebe, keine Umarmung und auch keine finanzielle Unterstützung.

Das Einzige, was ich nun endlich möchte und was mir zusteht, ist mein Geld, das er mir versprochen hatte.

Du hast jetzt fünf Tage Zeit, um mir bis Freitag die € 50.000,- zu besorgen. Bring sie zum Luxemburger Bahnhof und hinterlege es bei dem Spind Nummer 16.

Ich will dich jetzt noch nicht persönlich kennen lernen, denn ich weiß nicht, ob ich das so schnell möchte.

Ich bedanke mich bei dir für dein Verständnis.

Vielleicht sehen wir uns schon viel früher als geplant.

Alles Gute.

Leon

Sie war entsetzt und wusste nicht, was sie über diesen Brief denken sollte.

„Der will mich doch verarschen, oder? Meinen Vater so schlecht hinzustellen, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, schimpfte sie laut vor sich hin und war total durcheinander.

„Wenn mein Vater geglaubt hätte, er könnte der Vater von diesem unbekannten Leon sein, hätte er dazu gestanden und ihm ein besseres Leben geboten. Tse, so ein Vollidiot, was erlaubt dieser Kerl sich überhaupt?“, motzte Anne herum und lief in ihrem kleinen Wohnzimmer auf und ab.

„Ganz einfach, ich lege den Brief jetzt in meine unterste Schublade und warte einfach mal ab. Vielleicht wollte sich nur jemand einen schlechten Scherz erlauben“, meinte sie und zog sich ihre Jacke über.

„Egal, ich will das jetzt einfach vergessen und am besten für mich ist es, zu Sophie und Paul zu fahren.“ Anne zog die Tür hinter sich zu und sperrte ab. Einige Minuten später saß sie in ihrem Auto und machte sich auf den Weg zu den Böhms.

Doch auch als sie die Musik laut aufgedreht hatte, bekam sie diesen merkwürdigen Leon nicht aus ihrem Kopf und verfluchte ihn dafür.

Alles Mögliche ging ihr durch den Kopf und sie fragte sich immer wieder, ob es wirklich wahr sein konnte, was dieser Kerl in dem Brief geschrieben hatte.

Da sie so in Gedanken war, übersah Anne fast die rote Ampel und die Fußgänger schrien. Sie trat fest auf die Bremse und würgte ihr Auto ab.

„Verdammt nochmal, das kann doch nicht wahr sein!“, schrie sie herum und legte den Kopf auf das Lenkrad.

„Dieser Idiot bringt mich noch dazu, beim Autofahren unkonzentriert zu sein. Ah, hör sofort auf damit, Anne und vergiss diesen absurden Brief“, schimpfte sie mit sich selbst. Als ihr Telefon piepste und sie sah, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, glaubte sie, Sophie würde ihr schreiben, wo sie denn bleiben würde.

Doch als Anne sah, dass es nicht Sophie war, sondern Samuel, kam ihr Lächeln wieder zurück.

„Oh, dass er sich so schnell wieder meldet hätte ich nicht erwartet“, sagte sie und legte das Telefon beiseite, da die Ampel wieder auf Grün umschaltete.

**


Der Weg nach Freeling

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