Читать книгу Biker Tales: Schatten der Seele - Sandra Binder - Страница 7
Chapter One – Blood And Water
Оглавление»Was genau ist denn nun ein Toy Run?« Bea nahm Emma den Karton ab, der prall mit Spielzeug gefüllt war.
»Das ist eine Wohltätigkeitsveranstaltung«, antwortete Emma, holte einen weiteren Karton aus dem Kofferraum ihres Civics und wies mit dem Kinn in Richtung des Platzes vor der Turnhalle, auf dem sich eine ganze Menge Leute tummelten. Sie marschierte los, und Bea folgte ihr auf dem Fuß. »Die Clubs sammeln regelmäßig Spenden und bringen sie dann bei Benefiz-Fahrten an ihren Bestimmungsort. Dieses Mal fahren die Bribons nach Henderson in ein Kinderheim.«
»Das ist nett.« Bea nickte und schaute sich skeptisch um.
Auf der Fahrt hatte Bea ihr erzählt, dass sie seit ihrer Entführung vor ein paar Monaten nicht mehr in Accaciafield gewesen war. Sie schien nervös zu sein, und Emma hoffte, sie mit ihrer Bitte, sie zu begleiten, nicht überfordert zu haben. Aber sie glaubte fest daran, dass man nur über etwas hinwegkommen konnte, wenn man es nicht verdrängte oder ignorierte. Bea sollte diese Stadt, die noch immer als bedrohlichster aller Orte in ihrem Kopf manifestiert war, lieber früher als später mit harmloseren Begebenheiten verbinden.
Emma wusste nicht genau, was Sonny und seine Männer mit ihr gemacht hatten, sie wollte Bea nicht ausfragen. Aber sie konnte es sich in etwa vorstellen. Sonny war immer ein kranker Perversling gewesen, mit dem keine Frau freiwillig ein zweites Mal ins Bett ging. Wenn dieser Typ, Bad Mike, der noch irgendwo da draußen frei herumlief, nur halb so ekelhaft war wie Sonny, konnte Emma die Angst ihrer Freundin nachvollziehen. Aber hier, im Herzen Accaciafields, vor der Turnhalle einer Grundschule und inmitten der Bribons, geschah Bea sicherlich nichts.
»Eins noch: Wieso bringen wir Spenden zu der Aktion eines anderen Clubs?«, hakte Bea nach.
»Man könnte es Politik nennen. Die Advocates zeigen ihren guten Willen, indem sie ihre mexikanischen Freunde unterstützen.«
»Die nicht immer Freunde sind ...«
Emma lächelte ihr zu. »Momentan sind sie es. Und wir alle wollen, dass das so bleibt.«
Irgendwann würde Bea verstehen, wie es in dieser Welt, ihrer neuen Welt, ablief. Emma erinnerte sich, wie kompliziert, ja beinahe surreal ihr die Eigenheiten des Clubs und dessen Politik anfangs vorgekommen waren, daher gab sie sich besonders viel Mühe, um Bea alles verständlich zu erklären und sie besser zu integrieren. Wenn sie ehrlich war, wollte sie verhindern, dass sie erneut auf die Idee kam, Blaze und das Chapter zu verlassen. Denn das würde nicht nur den VP zerstören, auch Emma verkraftete dieses Drama kein weiteres Mal. Ihr würde es das Herz zerreißen, wenn ihr selbstgewählter Bruder noch einmal so leiden müsste.
Sie schaute sich auf dem großen Platz vor der Turnhalle um und überlegte, wo sie ihre Kartons abgeben sollte. Es waren einige Tische aufgebaut, hinter denen die Frauen der Bribons Spenden annahmen, davor bildeten sich derartige Menschentrauben, dass sich Emma und Bea wohl ewig dort anstellen müssten. Unglaublich, wie viele Leute sich an der guten Sache beteiligten.
Als Emma aus dem lauten Gewirr eine vertraute Stimme heraushörte, hielt sie inne und drehte lächelnd den Kopf. Mitten auf dem Platz stand Isabella Ramirez, deutete in verschiedene Richtungen und gab einigen Bribons Anweisungen. Die junge Frau wollte für gewöhnlich nichts mit den Clubangelegenheiten ihres Bruders Fernando, dem President der Bribons, zu tun haben, aber sobald es um Spendenaktionen ging, stand sie parat und unterstützte den Club.
Isa scheuchte einen der Member mit einer Kiste in Richtung Turnhalle und schimpfte ihm etwas auf Spanisch hinterher, woraufhin der Kerl den Kopf einzog. Emma konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Diese Frau war gerade einmal knapp einen Meter sechzig groß, aber sie strahlte eine Stärke und Autorität aus, wie man sie selten sah. Emma hatte sie dafür schon immer bewundert.
»Komm«, sagte sie zu Bea, deutete vage mit dem Kinn auf Isa und marschierte los. »Du musst unbedingt jemanden kennenlernen.«
»Ay, Emma, buenos dias«, grüßte Isa schon von Weitem, als sie die beiden Frauen kommen sah. Sie ließ Emma gerade so viel Zeit, um den Karton auf dem Boden abzustellen, bevor sie sie in eine feste Umarmung zog. »Es freut mich, dich zu sehen.«
»Mich ebenfalls.« Emma löste sich von ihr und deutete auf Bea. »Das ist Beatrice Kramer, Bea, die old Lady unseres VP.« Daraufhin wandte sie sich an ihre Begleiterin, die ihren Karton gleichfalls abstellte: »Ich möchte dir Isabella Ramirez vorstellen, sie ist ...«
»Einfach nur Isa«, unterbrach die Mexikanerin und reichte Bea die Hand. »Ich organisiere diesen Toy Run. Es freut mich, dich wohlauf zu sehen.«
Bea nickte. »Ich kann dir nicht genug für das danken, was du ...«
»Ay, no.« Isa winkte ab, und wie immer, wenn sie verlegen wurde, brach ihr Akzent, das harte R und die langgezogenen Vokale, noch eine Spur deutlicher hervor. »Ich habe gar nichts gemacht, nur Emmas Vermutung bestätigt. Ein Dank ist nicht nötig.«
Emma warf ihr einen tadelnden Blick zu, ehe sie an Bea gewandt erklärte: »Isa ist immer so bescheiden, dabei ist sie ein richtiger Engel.« Sie ignorierte das Stöhnen der Mexikanerin. »Wir haben beide ehrenamtlich bei einer Organisation für die Zusammenführung unterschiedlicher Kulturen gearbeitet. Tja, ich habe schnell aufgegeben. Das ist vielleicht ein Aufwand ... Es ist gar nicht so leicht, etwas Gutes zu tun, kann ich dir sagen. Aber Isa unterstützt einen ganzen Katalog von Organisationen und Wohltätigkeitsaktionen. Ich weiß gar nicht, woher sie die Ausdauer nimmt.«
Bea nickte anerkennend. »Du sammelst wohl Karmapunkte für die ganze Nachbarschaft.«
»Dem Club können diese Punkte zumindest nicht schaden.« Isa zuckte mit den Schultern, dann deutete sie auf die Kartons. »Was habt ihr mitgebracht? Spielzeug?«
»Und einen Scheck.« Emma zog das Papier aus der Jackentasche und reichte es Isa. »Mit besten Grüßen von unserem Pres. Syd wünscht viel Erfolg bei der Aktion.« Sie machte eine allumfassende Geste. »Wie es aussieht, läuft es ja hervorragend.«
»Ich bin zufrieden.« Zwinkernd wedelte Isa mit dem Scheck. »Ich werde Nando die Grüße deines Presidents ausrichten.«
»Wir haben noch mehr Spielzeug im Auto.« Emma deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Wir werden sie kurz ...«
»José«, rief Isa, ehe sie die Hand in Emmas Richtung ausstreckte. »Gib mir deine Wagenschlüssel, die Jungs können das erledigen.«
Ein attraktiver Kerl mit rabenschwarzem Haar kam diensteifrig angelaufen und lächelte Isa derart charmant an, dass sogar Emmas Knie weich wurden. Diese ignorierte den offensichtlichen Flirtversuch allerdings und warf ihm lediglich Emmas Schlüssel zu. »Es ist der rote Honda Civic. Bring die Kartons gleich zu Tony.«
»Geht klar«, antwortete José und marschierte los.
»Habt ihr noch Zeit für eine Tasse Kaffee?«, fragte Isa und deutete auf den Eingang der Turnhalle. »Ich könnte eine Pause vertragen.«
Emma und Bea stimmten unisono zu, woraufhin Isa voranging. Auf dem Weg wies sie zwei Bribons zurecht, die an der Wand lehnten und rauchten. Beide nickten ihr zu und machten sich sofort wieder an die Arbeit.
»Dieser kleinen Frau kann wohl niemand etwas abschlagen«, raunte Bea.
Emma lachte auf. »Es kommt eben doch auf die innere Größe an.«
Bewundernswert, dachte sie erneut und wünschte sich gleichzeitig, sich nur einmal selbst so durchsetzen zu können.
*
Seufzend schloss Emma die Wohnungstür hinter sich, warf ihre Schlüssel in die Schale auf der Kommode und schlurfte ins Wohnzimmer, wo sie sich auf der Couch niederließ und in die Luft starrte. Sie hasste Nachmittage. Jegliche Nachmittage. Sie waren wie endlos langgezogene Brücken zwischen zwei sinnvollen Beschäftigungen: Schlafen und Arbeit.
Bea wollte mit B zu Mittag essen, und Isa würde den gesamten Tag über mit dem Toy Run zu tun haben, von einem Eck ins andere springen und ihre Jungs herumkommandieren. Bei dem Gedanken musste Emma grinsen. Sie mochte diese kleine Mexikanerin einfach. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, war es, als trafen sich altvertraute Freunde wieder. Auch heute hatte es wie immer viel Spaß gemacht, mit ihr und Bea zusammen zu sein, bei einer Tasse Kaffee zu tratschen und sich auszutauschen. Und es war noch schöner, weil zur Abwechslung kein Damoklesschwert über ihnen schwebte.
Endlich war ihre Welt wieder in der Bahn. Niemand wurde bedroht, angegriffen oder saß im Knast, alle waren wohlauf, Bea erholte sich, ebenso wie B, und auch Rosie machte sich gut in der Entzugsklinik, wie man hörte. Das Chapter durfte normal leben und seinen friedlichen Alltag genießen.
Es war perfekt, keine Frage. Doch während alle mit ihren Liebsten beschäftigt waren oder noch arbeiteten, war das Clubhaus leer, und Emma hatte nichts zu tun. Wie jeden Nachmittag überlegte sie, wie sie die Zeit rumkriegen sollte. Sie hatte es immer schon gehasst, allein zu sein und dabei untätig herumzusitzen. Sie fühlte sich nicht gerne nutzlos …
Gerade dachte sie darüber nach, was es in der Wohnung zu tun geben könnte – Staubsaugen vielleicht ... oder Fenster putzen? – da fiel ihr Blick auf das Festnetztelefon. Das unscheinbare schwarze Gerät stand in der Basisstation, an der ein kleines, rotes Lämpchen leuchtete, um sie darauf hinzuweisen, dass jemand versucht hatte, sie zu erreichen.
Emma erhob sich, ging zum Regal hinüber und griff nach dem Telefon. Nachdem sie die verpassten Anrufe angewählt hatte, erkannte sie als neuestes auf der Liste die Nummer ihrer Großeltern. Unwillkürlich lächelte sie. Bestimmt hatte sie mit der heutigen Spendenaktion ebenfalls ein paar Karmapunkte gesammelt und wurde jetzt mit der Nachricht belohnt, dass ihr Grandpa endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und nach Hause durfte.
Mehr durch Zufall hatte sie vor einigen Wochen erfahren, dass ihr Großvater gestürzt und sich einen komplizierten Bruch zugezogen hatte. Ihr feiner Bruder, der sie eigentlich hätte informieren sollen, befand es wieder nicht für nötig, Emma Bescheid zu geben – sie wüsste heute noch nichts davon, wenn sie ihre Großmutter nicht einmal im Monat anrufen würde. Diese erzählte ihr bei ihrem Telefonat, dass Emmas Grandpa im Krankenhaus bleiben müsse, bis der Bruch so weit verheilt war, dass er wenigstens selbstständig gehen konnte. Denn ihrer Großmutter war es schlicht nicht möglich, den Mann zu Hause zu pflegen. Und Emmas Eltern ... nun ja, die waren wie immer zu beschäftigt ...
Emma drückte auf das grüne Hörersymbol am Telefon und lauschte dem Freizeichen in der Leitung. Nach einer Weile erklang ein Knacken, und lautes Atmen war zu hören. Das kannte sie von ihrer Großmutter. Sie war inzwischen über siebzig und recht füllig, die meisten Bewegungen strengten sie so sehr an, dass sie heftig schnaufen musste.
»Hallo?« Die Stimme der alten Frau klang ungewöhnlich rau.
»Grandma? Ich bin’s, Emma! Du hast mich angerufen?«
»Oh, meine Kleine, wie gut ... wie gut, dass du anrufst ...« Sie atmete einige Male schwer durch und klang, als hätte sie Schmerzen.
Emma blieb kerzengerade mitten im Wohnzimmer stehen. »Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?«
»Nein. Es geht mir nicht gut. Es ist ...« Sie schluchzte. So laut und unvermittelt, dass Emmas Herz einen erschrockenen Satz machte. »Hat Tyler dich nicht angerufen, Liebes? Mein Henry ... dein Grandpa ... er ist gestorben.«
Emma klappte der Mund auf, und ihr Puls hämmerte derart heftig in ihren Ohren, dass sie die nächsten Worte ihrer Großmutter kaum verstand.
»Sie mussten seine Hüfte noch einmal operieren.« Ein weiteres schweres Schnaufen. »Sein Herz hat das nicht verkraftet.«
Emma wurden die Knie weich, sie sank zu Boden. Sie konnte nichts anderes tun, als die Hand auf den Mund zu drücken, gegen die Wand zu starren und sich zu zwingen, weiterzuatmen. Ein, aus. Und wieder von vorn. Sie wollte etwas sagen, aber sie wusste schlichtweg nicht was.
»Das sind diese Ärzte ... Halunken!«, schimpfte ihre Großmutter mit kehliger Stimme. »Immer wollen sie an den Leuten herumschneiden. Hätten sie Henry doch in Ruhe gelassen. Sie meinten, er würde sonst von nun an humpeln.« Sie schnaubte. »Dafür wäre er aber noch jahrelang durchs Leben gehumpelt. Was stellen die nur an mit unseren alten Herzen ... Für was halten die sich denn?«
»Es tut mir so leid, Grandma«, flüsterte Emma und wischte sich die heißen Tränen von den Wangen. »Es ... tut mir so leid.« Sie wusste einfach nicht, was sie sonst sagen sollte.
Unwillkürlich formte sich das Bild ihres Großvaters in ihrem Kopf. Er war ein kleiner, untersetzter Mann gewesen, mit einer dicken Knollennase und unzähligen Lachfalten um Augen und Mund. Draußen trug er stets seine geliebte dunkelkarierte Schiebermütze, und wenn er ging, dann verschränkte er die Hände hinter dem Rücken. Als Kind hatte er Emma oft zu Pferderennen und Footballspielen mitgenommen und kleinere Einsätze für sie getätigt. Das waren ihre geheimen Abenteuer gewesen, von denen sie ihrer Grandma nie erzählt hatten.
Sie erinnerte sich so genau an seine heisere Stimme, sein herzliches Lachen, das Blitzen in seinen dunklen Augen ... und jetzt war er einfach fort?
»Was kann ich tun?« Emma brachte nach wie vor nichts als ein Flüstern raus.
»Ist schon gut, Liebes. Tyler hat sich um alles gekümmert. Morgen ist die Beerdigung, und danach hilft mir dein Bruder, eine kleinere Wohnung zu finden.« Sie zögerte einen Moment. »Vielleicht ziehe ich sogar in ein Altenheim. Was soll ich denn so allein anfangen? Deshalb rufe ich an. Ich wollte dir sagen, dass du dich nicht verpflichtet fühlen musst, morgen zu kommen. Besuch mich ein anderes Mal. Dann backe ich uns einen schönen Kuchen.«
Emmas Herz verkrampfte sich so schmerzhaft, dass sie tief einatmen musste, um die Enge in ihrer Brust zu vertreiben. »Die Beerdigung ist schon morgen? Wieso so früh? Wann ist Grandpa denn ...?«
»Es war vergangenen Montag. Gegen Abend.«
Montag. Heute war Freitag. Das waren vier Tage. Ihr Großvater war vor vier Tagen gestorben, und keiner hatte Emma Bescheid gegeben. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht ungehemmt loszuheulen.
Sie machte ihrer Großmutter keinen Vorwurf, aber ihren Eltern und ihrem Bruder umso mehr. Was diese Leute anging, gehörte Emma ganz offensichtlich nicht weiter zur Familie. Wenn überhaupt, war sie für die Bennetts nur noch eine entfernte Verwandte – ein Mädchen, das irgendwo abgestürzt war und aufgegeben wurde.
Sie hatte Tyler gebeten, sie auf dem Laufenden zu halten, aber anscheinend wollte er inzwischen gar nichts mehr mit ihr zu tun haben und sie aus Familienangelegenheiten raushalten. Hätte sie gewusst, dass ihr Großvater noch einmal operiert werden musste, wäre sie ihn doch besuchen gegangen. Erst vor wenigen Wochen hatte sie überlegt, nach Phoenix zu fahren, die Idee aber letztlich wieder verworfen. Aus Angst, sich diesen Leuten zu stellen, hatte sie die letzte Chance verpasst, ihren Großvater lebend zu sehen. Sie könnte sich ohrfeigen.
»Grandma, ich ... es tut mir so leid«, wiederholte sie.
»Ich weiß, Liebes. Ich muss jetzt Schluss machen. Tyler ist eben vorgefahren. Wir haben nachher ein Gespräch mit dem Pfarrer.«
»Okay. Wenn ich irgendetwas tun kann, melde dich bitte bei mir.«
»Schon gut, meine Kleine. Behalte deinen Großvater in lieber Erinnerung, das würde ihn freuen.«
Emma nickte, sie brachte kein weiteres Wort mehr raus, dann hörte sie ein Klicken in der Leitung. Noch immer auf dem Boden hockend, schweifte ihr Blick umher. Auf einmal kam ihr hier alles so fremd, unwirklich und unbedeutend vor. Sie war die ganze Zeit über hier gewesen, dachte sie. Sie hatte gelacht und gelebt, während ihr Großvater bereits tot gewesen war. Es war irrational, das wusste sie, aber Emma fühlte sich schuldig. Nach allem, was ihre Großeltern für sie getan hatten, nach allem, was sie für Emma gewesen waren, hatte sie nicht bemerkt, dass ihr Grandpa nicht mehr da war.
Sie war eher bei ihnen als bei ihren Eltern aufgewachsen, nachdem ihre Mutter eingesehen hatte, dass ihr Traum von einem Mini-me nicht in Erfüllung gehen würde. Emma hatte Constance Bennetts Ansprüchen nie genügt – dafür war ihr Haar nicht seidig genug, ihre Nägel zu brüchig und ihr Gesicht zu sommersprossig gewesen. Ganz zu schweigen von ihrem ›katastrophalen Benehmen‹, wie ihre Mutter es immer auszudrücken pflegte.
Aber Emma war insgeheim erleichtert, als ihre Mutter sie aufgab. Denn von da an durfte sie sehr viel Zeit mit ihren Großeltern verbringen, den Eltern ihrer Mutter. Sie fragte sich noch heute, wie ihre Mom von solch lieben, bodenständigen Menschen abstammen konnte. Was war nur mit ihr geschehen, dass sie derart kalt und berechnend geworden war?
Ihre Großeltern taten ihr Bestes, um Emma zu unterstützen und sie ihren eigenen Weg finden zu lassen. Sie erkannten natürlich ebenfalls, dass ihr nichts wirklich leicht von der Hand ging und wenig Potenzial in ihr steckte. Sie war eben nicht wie Tyler, der gefördert werden konnte, weil er die strahlende Zukunft der Familie war. Doch auch wenn Emma stets in Tylers Schatten stand, ließen ihre Großeltern nie einen Zweifel daran, wie lieb sie sie hatten und wie wertvoll sie als Mensch war. Von ihnen lernte Emma, dass es völlig in Ordnung war, ein einfaches Leben zu führen. Leider waren ihre Eltern nicht dieser Meinung.
Als Emma vor vier Jahren entschieden hatte, dass sie unbedingt fortmusste von diesen Snobs, die sich für etwas Besseres hielten, war es ihr schwergefallen, ihre Großeltern zu verlassen, aber sie musste es tun, um in der Welt ihrer Eltern nicht unterzugehen. Sie hatte geglaubt, ihre Familie wäre anständig genug, um sie weiterhin einzubeziehen, doch Tyler hatte das Ruder übernommen und sie einfach aus der Familie gestrichen. Es war, als hätte sie niemals dort gelebt. Selbst ihre beste Freundin aus Schultagen, Nancy, hatte den Kontakt zu Emma abgebrochen. Wie sie Tyler kannte, hatte er vermutlich wilde Geschichten über sie verbreitet. Wahrscheinlich war seine Versager-Schwester mit einem Junkie durchgebrannt, und wenn sie anrief, sollte lieber niemand ans Telefon gehen, da sie ohnehin nur Kohle schnorren wollte. Emma hatte keine Ahnung, wieso ihr Bruder sie so sehr verabscheute, aber er tat es nun einmal.
Sie blickte zu den Fotos in ihrem Regal auf. Die meisten zeigten Schnappschüsse von ihr mit Blaze, Chick, Bennie und anderen Membern oder Mädels der Advocates. Im obersten Fach jedoch stand ein Foto von Emma mit ihren Großeltern, in einem hübschen weißen Rahmen mit Rosenornamenten. Sie hatte akzeptiert, keine Bennett mehr zu sein, und investierte längst keine Gefühle mehr in ihre Familie, aber ihre Großeltern würden immer einen besonderen Platz in ihrem Herzen haben. Und sie war sicher, dass es umgekehrt ebenso war.
Ihre Grandma hatte ihr bestimmt nur gesagt, sie müsse nicht zur Beerdigung kommen, weil sie wusste, wie ungern sie ihren Eltern und ihrem Bruder begegnen würde. Diese wollten sie dort garantiert nicht sehen. Aber sollte sie sich deshalb nun aus der Ferne von ihrem Grandpa verabschieden? War das nicht etwas respektlos, dem Mann gegenüber, der sie quasi großgezogen hatte?
Emma konnte nicht sagen, wie lange sie auf dem Boden hockte und grübelte. Ihre Knie schmerzten jedenfalls so sehr wie ihr Herz, als sie sich erhob. Sie wischte sich die Tränenspuren aus dem Gesicht, schnappte sich Handtasche und Schlüssel und verließ kurzentschlossen ihre Wohnung. Sie musste etwas tun, konnte nicht weiter still sitzen, und da es bei ihr nichts zu erledigen gab, fuhr sie eben zu ihrem zweiten Zuhause, ins Clubhaus, und sah dort nach dem Rechten.
Emma besaß einen eigenen Schlüssel für das alte Farmhaus. Immerhin füllte sie ständig die Getränke auf und hielt Ordnung. Und sie tat das offensichtlich viel zu oft und viel zu sorgfältig, denn heute fiel hier keinerlei Arbeit an. Verdammt! Dennoch ging sie zur Abstellkammer, nahm einen Eimer und packte das Putzzeug hinein. Es war schließlich nie verkehrt, die Böden sauber zu wischen.
Entschlossen marschierte sie mit ihrem Handwerkszeug hinter die lange Theke, stellte den Eimer in die Spüle, ließ Wasser ein und schüttete einen ordentlichen Schuss Reiniger dazu. Sie hörte sich selbst wie aus weiter Ferne schniefen und sah, wie dicke Tropfen von ihrem Gesicht in den Eimer fielen und sich mit dem Putzwasser vermischten. So hinterließen sie wenigstens keine Spuren.
Emma putzte, bis sich der beißende Geruch des Super-Power-Reinigers in ihre Schleimhäute ätzte und sie ihre Finger kaum noch spürte, und darüber hinaus. Sie konnte nicht aufhören, trotz der höllischen Schmerzen in Armen, Rücken und ihrem Herzen. Durch das Putzen vergaß sie zwar nichts, und das Grübeln hörte nicht auf, aber ihre Gedanken schienen nicht ganz so laut und schrill, wenn sie mit etwas Sinnvollem beschäftigt war. Außerdem hoffte sie auf eine selige Erschöpfung, die sie heute Nacht schnell und tief schlafen lassen würde.
Sie rubbelte über einen hartnäckigen Fleck auf der Theke – was zur Hölle war das? Ketchup, Blut, Wodka-Kirsch? – und stellte sich dabei vor, wie sie stattdessen Tylers Gesicht mit der rauen Bürste bearbeitete. Ihr Bruder hatte gewonnen. Emma musste akzeptieren, dass sie für ihre Blutsverwandten nicht mehr existierte. Zwischen dem Schrubben der Toiletten und dem Polieren der Fenster hatte sie beschlossen, den Bennetts ihren Willen zu lassen, nicht auf der Beerdigung aufzutauchen und ein anderes Mal nach Phoenix zu fahren. Sie konnte sich in ein paar Tagen noch von ihrem Großvater verabschieden, das würde er ihr bestimmt nicht übel nehmen. Hoffentlich. Und von nun an würde sie sich aus allen Familienangelegenheiten raushalten. Denn alles andere tat einfach viel zu sehr weh …
Sie schreckte zusammen, als die Tür aufschwang und schwere Schritte auf dem frisch gewischten Fußboden erklangen.
»Wow.« Pat schaute sich sichtlich verwundert um und atmete tief durch die Nase ein. »Das hier ist doch das Clubhaus des Motorradclubs Satan’s Advocates, oder bin ich stattdessen mal wieder im Red Valley Hospital gelandet?«
Emma stemmte die Fäuste in die Seiten und zuckte betont unbekümmert mit den Schultern. »Es schadet eurem Rocker-Image bestimmt nicht, wenn hier mal richtig sauber gemacht wird. Und ich hatte heute ein wenig Zeit und Energie übrig.«
Er nickte mit gerunzelter Stirn. »Das rieche ich.«
Sie widmete sich wieder dem Fleck auf der Theke und nahm sich vor, die Stelle nachher frisch zu ölen, da griff Pat nach ihrer Hand und hielt sie auf.
Er musterte sie abwägend. »Ist alles in Ordnung?«
Unter seinem prüfenden Blick kribbelte es in ihren Fingern. Erneut schossen Tränen in ihre Augen, die sie zu vertreiben versuchte, indem sie so breit wie möglich lächelte. Emma hatte keine Ahnung, wie sie gerade auf ihn wirkte, sie hatte sich seit heute Morgen nicht mehr im Spiegel angesehen. Aber ihr Gesicht war von der ständigen Heulerei vermutlich aufgedunsen und fleckig.
»Klar, alles super.« Sie befreite sich aus seinem Griff, warf die Bürste in den Putzeimer und zog die Gummihandschuhe aus. Vielleicht sollte sie sich auf der Toilette ein wenig frisch machen, bevor die restlichen Jungs hier eintrudelten und sie genauso ansahen wie Pat im Moment. »Ich räum das Zeug hier nur schnell weg, dann setze ich Kaffee auf. Oder willst du was anderes?«
Er hob eine Braue. »Kaffee klingt gut. Aber willst du nicht erst ...«
»Bin gleich wieder da.« Ohne ihn noch einmal anzusehen, schnappte sie sich das Putzzeug und marschierte damit zur Abstellkammer. Sie stellte alles an seinen angestammten Platz und atmete einige Male tief durch, ehe sie zur Toilette ging.
Sie hatte geahnt, dass sie etwas mitgenommen aussah, aber beim Blick in den Spiegel erschrak sie. Ihre Haare standen in alle Richtungen, ihr Gesicht war mit hektischen Flecken übersät, ihre Augen rot gerändert, und die Mascara hing inzwischen mehr an ihrem Kinn als an ihren Wimpern. Glücklicherweise horteten die Mädels hier einige Toilettenartikel, mit denen sie ein wenig Schadensbehebung betreiben konnte.
Emma wusch sich gründlich das Gesicht, bürstete sich die Haare aus und benutzte Jolenes Flüssig-Make-up. Es war für ihren Hautton zwar zu hell, aber besser so als fleckig, rot und aufgequollen. Dann noch die Mascara und sie sah schon wieder ... nun ja, einigermaßen vorzeigbar aus. Glücklicherweise war es etwas schummrig im Hauptraum, weil es bisher keiner geschafft hatte, die durchgebrannten Leuchtmittel zu ersetzen, daher würde es bestimmt niemandem auffallen, dass sie heute ein wenig gebeutelt aussah.
Emma wollte weder, dass die Jungs sie hilflos und schwach sahen, noch darüber reden, was passiert war. Zum einen gehörte ihr Bennett-Familienscheiß nicht hierher, und zum anderen müsste sie ziemlich weit ausholen, wenn sie jetzt zu erzählen anfinge, denn sie hatte nie viel von ihren Blutsverwandten erzählt. Und solange es irgendwie ging, wollte sie es dabei belassen. Außerdem würde sie einen Teufel tun und einen Schatten auf diese guten Zeiten werfen.
Endlich waren alle einmal glücklich und zufrieden, keine dunklen Wolken am Horizont zu sehen, und dann kam Emma und belastete ihre liebsten Menschen mit ihrem Vergangenheitskram? Nein, sie würde den schönen Frieden nicht zerstören. Sie schaffte das schon allein.
Sie atmete tief durch, lockerte mit den Fingern ihre Haare auf, lächelte und ging zurück in den Hauptraum. Inzwischen waren die Prospects Lucky und Woods eingetroffen sowie Lenny, Rudy und Jolene. Emma begrüßte alle mit einem Winken, während sie zur Kaffeemaschine schlenderte und Woods den Kaffeefilter aus der Hand nahm.
»Wollte ich gerade machen«, sagte sie und verscheuchte ihn mit einer wedelnden Geste.
»Was zum Geier ist denn hier passiert?« Mit diesen Worten setzte sich Lenny an die Theke, rümpfte die Nase und schaute sich irritiert um. »Bei meinem Zahnarzt riecht es auch immer so.«
Pat deutete auf Emma. »Unser Putzteufel hat gewütet.«
»Ihr tut gerade so, als hätte ich hier noch nie aufgeräumt.«
Lenny fuhr sachte mit den Fingern über die Theke, als fürchtete er, Emma hätte sein hölzernes Baby zu hart rangenommen. »Schon. Aber noch nie so, dass ich mein Spiegelbild auf dem Boden im Klo sehen konnte ...«
Pat lachte auf. »Und du hast Angst vor deinem Spiegelbild, oder was soll uns das jetzt sagen?«
Emma knuffte Lenny gegen die Schulter, als dieser brummend abwinkte, dann ging sie zum Schrank, holte zwei Kaffeetassen und füllte sie für die beiden. Lenny trank seinen mit Süßstoff, Pat mit gefühlt einem Pfund Zucker – Emma wusste von jedem hier, wie er seinen Kaffee trank, und seltsamerweise beruhigte sie das. Hier, in Wolfville, im Clubhaus der Advocates, da wusste sie, was zu tun war, hier wurde sie gebraucht, hier hatte sie eine sinnvolle Aufgabe – hier war sie zu Hause, nicht in Phoenix.
Nach und nach füllte sich das Haus, doch anstatt sich wie üblich zu entspannen, wurde Emma immer unruhiger. Es machte sie fast wahnsinnig, wie Scar stumm an der Theke saß, sein Bier in den Händen drehte und sie wissend beäugte. Er schien jede ihrer Bewegungen zu verfolgen und dabei direkt in ihren Kopf zu schauen. Es war, als spürte dieser Mann, was in ihr vorging. Und für gewöhnlich brachte er sie auch dazu, ihm ihre Sorgen zu erzählen.
Sie pflegten sonst eine Art verdrehte Kneipen-Beziehung, in der die Barkeeperin jammerte und der Gast zuhörte. Aber heute weigerte sich Emma standhaft, seine stillen Fragen zu beantworten. Dafür fühlte sie seinen stechend blauen Blick umso deutlicher auf sich.
Noch kribbeliger machte sie allerdings Chick. Er stand hinten am Billardtisch, lachte und berichtete von seiner Zeit in Provo. Jedem hatte er die Geschichten bereits erzählt, bloß Emma nicht. Nein, denn mit ihr sprach er seit jenem Morgen, an dem sie aus seiner Wohnung geflüchtet war, kein Wort mehr. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, spürte sie einen brennenden Stich im Herzen. Nicht nur, weil sie sich nach ihrem Freund sehnte, sondern vor allem wegen der Erinnerung an seinen fassungslosen Blick, als ihm klar wurde, was sie sich von ihm erhofft hatte. Er hatte ihr – wenn auch vielleicht nicht absichtlich – wieder einmal deutlich gezeigt, wo ihr Platz war: in der zweiten Reihe.
Dort, wo sie für ihre Familie ebenfalls immer gestanden hatte.
Und für so viele Männer vor ihm.
Nachdem sie heute derart mit ihrer Familiengeschichte konfrontiert worden war, kam auf einmal alles wieder hoch, und sie fühlte sich gerade mehr denn je wie die zweite Geige. Emma, immer gut genug für den Trostpreis.
Da half es auch nicht, Blaze und Bea endlich vereint auf der Couch sitzen und turteln zu sehen. Herrje, die Blicke, die sie sich zuwarfen, glühten förmlich. Schön, dass sie glücklich waren, aber mussten sie das unbedingt hier und heute derart raushängen lassen?
Emma versuchte, sich selbst gut zuzureden. Sie liebte die Leute in diesem Haus, und sie liebte es, bei ihnen zu sein. Es lag nicht an ihnen, dass sie genervt und gereizt war, dass sie das Lachen um sich herum kaum ertragen konnte. Diese komische Stimmung würde sich legen. Bald. Bestimmt. Hoffentlich ...
Irgendwann blendete sie einfach alles aus, kümmerte sich nur um ihre Familie. Sie hetzte von einem Eck ins andere, räumte Gläser ab, leerte Aschenbecher, nahm Bestellungen auf und schob die Prospects aus dem Weg. Wieso standen die überhaupt immer genau da rum, wo sie gerade hinmusste, Herrgott!
»Willst du dich nicht mal hinsetzen?«
Emma begriff erst, dass Scar mit ihr gesprochen hatte, als er sie mit den Fingerspitzen am Unterarm berührte. Sie zuckte derart zusammen, beinahe glitt ihr das Longdrinkglas, das sie eben aus dem Regal geangelt hatte, aus den Händen. Vorsichtig stellte sie es ab. »Wieso sollte ich? Ich habe zu tun.«
»Em, du kippst gleich um.«
»Blödsinn.« Sie füllte das Glas mit Gin, langte gleichzeitig nach den Eiswürfeln und verschüttete die Hälfte von beidem. Was war denn nur mit ihren Händen los? Sie hatte das Gefühl, keine Kontrolle mehr über ihre Finger zu haben.
»Mach mal Pause, Emma.« Eine ungewohnte Schärfe schwang in Scars Stimme mit. Glaubte sie zumindest. Er klang seltsam weit entfernt.
Lachend schüttelte sie den Kopf. »Ich brauche keine Pause, es geht mir gut.«
»Kannst du mich auch ansehen, während du mich anlügst?«
Was sollte das denn jetzt? Stöhnend drehte sie sich zu ihm um und schaute in sein besorgtes Gesicht. Wieso tat er so, als hätte er sie noch nie an einem Freitag hier arbeiten sehen? »Es geht mir gut.« Sie zuckte mit den Schultern. »Zufrieden?« Damit wirbelte sie herum und prallte direkt in Woods ausladenden Bauch. Der Prospect war wie aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht. »Verdammt, pass doch auf, wo du hinläufst!«
Er blinzelte sie überrascht an. Kein Wunder. Emma wusste selbst nicht, was in sie gefahren war. Sie war nicht der Typ Frau, der die Jungs anblaffte.
Vorsichtig schob sich Woods an ihr vorbei und griff nach dem Longdrinkglas, ohne Emma aus den Augen zu lassen. »Da fehlt Tonic. Ich mach das für dich. Wie wär’s, wenn du solange mal einen Schluck Wasser trinkst?«
Waren sie nun alle verrückt geworden? Seufzend gab sich Emma geschlagen, nahm sich ein Glas aus dem Regal und füllte es mit Leitungswasser. Als sie den ersten Schluck trank, merkte sie, wie ausgetrocknet ihre Kehle war. Sie leerte das Wasser rasch, damit die beiden endlich Ruhe gaben und sie weiterarbeiten konnte. Doch plötzlich wurde ihr schwindlig. Das Glas rutschte ihr aus der Hand, fiel auf den Boden und zersprang in etliche kleine Splitter.
»Scheiße, auch das noch!« Emma ging in die Hocke, um das Chaos aufzusammeln, da langte sie bereits beim ersten Handgriff in eine Scherbe und schnitt sich die Haut auf. »Verdammt!«
Sie spürte kräftige Hände, die ihre Oberarme umklammerten, vor ihr erschien Woods Gesicht. Seltsam. Um seinen Kopf herum flimmerte es wie bei einem schlechten Fernsehempfang.
Der Prospect bedachte sie mit einem entschlossenen Blick, als er sagte: »Emma, ich mach das schon, geh du mal lieber ein bisschen an die frische Luft.«
»Ich will keine Pause machen!« Sie schluchzte auf, was für ihn offensichtlich genauso überraschend kam wie für sie selbst. Hastig schlug sie sich eine Hand vor den Mund und starrte Woods sprachlos an.
»Geh bitte mit Scar nach draußen, okay, Süße?«
Bis dahin hatte Emma gar nicht gemerkt, dass es Scars Hände waren, die sie von hinten stützten. Woods drückte ihr ein Küchentuch in die Hand, und sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass sie damit auf den Schnitt drücken sollte. Dann zog Scar sie sachte hoch und führte sie in Richtung Ausgang.
Emma sah alles nur noch verschwommen und hatte das Gefühl, auf Watte zu gehen. Dumpf hörte sie Pats Stimme, die fragte, ob alles in Ordnung sei.
»Sie hat sich geschnitten und kann kein Blut sehen«, antwortete Scar bloß und schob Emma durch die Tür. Clever. Sicher konnte sich jeder daran erinnern, wie zittrig und aufgewühlt sie gewesen war, als Scar mit der Schnittwunde am Schenkel ins Clubhaus gebracht worden war.
Wortlos führte er sie auf die Rückseite des Hauses, wo er ihr bedeutete, sich an den Rand der Veranda zu setzen. Emma war plötzlich viel zu erschöpft, um sich weiterhin zu wehren. Scar ließ sich neben ihr nieder und legte ihr eine Jacke um die Schultern. Seine Fliegerjacke, wie Emma erkannte. Sie roch nach seinem Rasierwasser, nach Wald und Leder.
Obwohl sie einen dünnen Schweißfilm auf ihrer Haut spürte, fröstelte es sie, und so schlüpfte sie dankbar in die Ärmel.
Es war mit einem Mal so kalt, dunkel und still um sie herum. Emma fühlte sich nur noch wund. Nicht ihre brennenden Finger, die sie sich beim Putzen aufgescheuert hatte, oder ihre schmerzenden Füße, denen sie keine Ruhe gegönnt hatte, sondern ihr Herz fühlte sich verwundet an.
Sie atmete tief durch, wodurch sich ihre Brust allerdings noch mehr verkrampfte. Es hatte rein gar nichts gebracht, den Tag mit all diesen sinnlosen Arbeiten vollzustopfen. Es hatte nur dafür gesorgt, dass sich ihre Gefühle aufgestaut hatten, und nun, im Moment der Ruhe, drängten sie geballt gegen die brüchige Mauer, die Emma zum Schutz aufgebaut hatte.
»Hey, Em.« Scar legte einen Arm um sie, so vorsichtig und zögerlich, als wüsste er nicht, ob er damit eine empfindliche Grenze überschritt.
Emma fragte sich einmal mehr, wieso er nach all der Zeit, die sie bereits miteinander verbracht hatten, und nach allem, was sie ihm in diesen Monaten anvertraut hatte, immer noch derart zurückhaltend war. Stirnrunzelnd wandte sie sich ihm zu und blickte direkt in seine mitfühlenden, blauen Augen.
»Es sind nur wir zwei hier draußen«, sagte er leise. »Lass einfach los.«
Es hatte keinen Sinn, ihm etwas vorspielen zu wollen, er hatte sie ohnehin bereits durchschaut, wusste, wie es in ihr aussah. Diese Erkenntnis brachte die Mauer zum Einsturz. Was Emma während des gesamten Tages so sorgsam zurückgedrängt hatte, brach nun wie eine Sturzflut über sie herein. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, lehnte den Kopf an seine Brust und weinte lautlos. Ihr Körper bebte, und doch fühlte es sich richtig an, alles rauszulassen.
Scar streichelte sanft über ihren Rücken, solange bis sie sich endlich beruhigte, der Schmerz abebbte und die Enge in ihrer Brust nachließ. Ihr nasses Gesicht wischte sie an dem Küchentuch ab, der Schnitt in ihrer Hand blutete ohnehin nicht mehr. Dann blickte sie in die düstere Weite der Wüste und konzentrierte sich aufs Atmen.
Eine halbe Ewigkeit verging, in der sich keiner von ihnen rührte. Dann ließ Scar sie los. Eine seltsam endgültige Kälte nahm den Platz seines Arms ein, und Emma fröstelte einmal mehr.
Er drehte sich so, dass er sie ansehen konnte. Seinem mitfühlenden Blick nach zu urteilen, gab sie wohl gerade ein ziemlich jämmerliches Bild ab. »Was ist passiert? Ist es wegen ...«
»Mein Großvater«, antwortete sie rau und räusperte sich.
Scar nickte. Eine weitere Erklärung war anscheinend nicht nötig. Er war der Einzige, der davon gewusst hatte, dass ihr Grandpa im Krankenhaus lag. Emma hatte keine Ahnung, wie er das immer anstellte, aber die Leute gerieten bei ihm ins Plaudern, bevor sie es merkten. Das war gewissermaßen seine Superkraft.
»Das tut mir leid«, sagte er.
»Ja, mir auch«, flüsterte sie und schaute wieder ins Dunkel. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, einen ganz normalen Abend verbringen zu wollen? Dieser Zusammenbruch war vorprogrammiert gewesen. Zum Glück war der Prospect ein so hervorragender Beobachter und Menschenkenner – Scar hatte sie durchschaut und rechtzeitig rausgebracht. Emma hätte im Erdboden versinken wollen, wenn sie mitten im Clubhaus zusammengeklappt wäre.
»Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?«, hakte Scar nach.
Emma runzelte die Stirn und musste kurz darüber nachdenken, schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Ich hol deine Tasche, und dann tun wir was für deinen Zuckerhaushalt.«
Er setzte dazu an, aufzustehen, da hielt sie ihn am Arm fest. »Du musst jetzt nicht meinetwegen gehen.«
Sein Mundwinkel zuckte. »Ich weiß, dass ich nicht muss.« Als sie ihn weiterhin bloß ansah, fügte er hinzu: »Eigentlich könnte ich selbst einen Happen vertragen. Bin gleich wieder da.« Damit marschierte er los.
Sie schaute ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war, und verspürte den irrationalen Drang zu kichern. Natürlich war es das Erste, woran er dachte. Man sah es ihm nicht an, weil er nur aus Haut und Muskeln zu bestehen schien, aber Scar konnte ganze Wagenladungen an Essen verschlingen. Emma war sicher, man erreichte bei ihm mit einem saftigen Burger und einem kühlen Bier weitaus mehr als mit einem Bündel Geldscheinen. Vermutlich war das der Grund, weshalb er meistens bei ihr an der Theke saß – Emma besaß die Macht über seinen Nahrungsnachschub.
Erst jetzt spürte sie, wie hungrig sie tatsächlich war. Ihr Magen grummelte laut und fühlte sich schmerzlich hohl an. Glücklicherweise dauerte es nicht lang, bis Scar mit ihrer Handtasche wieder da war. Gemeinsam gingen sie zum Parkplatz, wo sich Emma unbehaglich umsah. Wahrscheinlich sah sie fürchterlich aus, sie wollte nicht, dass jemand sie so sah. Notdürftig fuhr sie mit den Fingern durch ihr Haar und wischte über die Haut unter ihren Augen, wo sich bestimmt wieder ihre Schminke versammelt hatte. Aber es war ohnehin niemand zu sehen.
Wie aus alter Gewohnheit nahm ihr Scar die Autoschlüssel ab und setzte sich auf den Fahrersitz. Emma war froh, dass er fuhr. Sie merkte erst jetzt, wie aufgewühlt sie war, und wunderte sich ernsthaft, wieso sie auf dem Weg hierher keinen Unfall gebaut hatte. Während der Fahrt sprachen sie kaum miteinander, aber mit Scar war Schweigen nicht unangenehm. Es entspannte sie vielmehr, mal nichts sagen und nicht lächeln zu müssen. Emma sank so tief in den Sitz, dass sie beinahe eingeschlafen wäre, bevor sie am Drive-in ankamen.
Sie bestellten Burger, Fritten, Käsesticks und Cola und parkten zum Essen auf dem Parkplatz des Imbisses. Emma hatte nicht hineingehen wollen. Nicht wenn sie derart zerstört aussah. Da drin würden sie bloß alle anstarren und sich fragen, was mit dieser kaputten Frau passiert war. Darauf konnte sie wirklich verzichten.
Sie stellte ihre Cola in die Mittelkonsole und die Fritten auf den linken, die Schachtel mit dem Burger auf den rechten Schenkel. Bei dem deftigen Geruch nach gegrilltem Fleisch lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Wie konnte sie nicht merken, was für einen Bärenhunger sie hatte? Fahrig öffnete sie die Schachtel, nahm den Burger in beide Hände und biss ein großes Stück ab. Dann schielte sie zu Scar hinüber.
Er hatte sein Essen genauso um sich herum verteilt wie sie, griff aber zuerst nach einem der Käsesticks, von denen er ihr schon einmal so ungewohnt wortreich vorgeschwärmt hatte. Bedächtig biss er davon ab, kaute genussvoll und schloss sogar für einen Moment die Augen.
Emma grinste. »Soll ich dich vielleicht lieber eine Weile mit den Dingern allein lassen?«
Er schob sich den Rest davon in den Mund, holte einen zweiten Stick aus der Packung und streckte ihn ihr hin. »Probier.«
Sie legte den Burger zurück in die Schachtel, nahm ihm den unscheinbaren panierten Stängel ab, biss ab und ... verzog das Gesicht. Was zum Teufel war das denn? Das schmeckte wie eingeschlafene Füße mit Chili. »Boah, ist das widerlich.« Scar hob die Brauen und schaute derart schockiert, dass sie einfach lachen musste. »Wie kannst du so was essen?«
»Du hast keine Ahnung, was gut ist.«
»Und du hast anscheinend keine Geschmacksnerven.« Sie lachte wieder, als er ihr den Käsestick beleidigt abnahm und sich selbst in den Mund steckte. Das leichte Schmunzeln in seinen Zügen war allerdings deutlich zu sehen.
Wie selbstverständlich langte er über die Mittelkonsole und grabschte in ihre Pommestüte.
»Hey!«, beschwerte sie sich.
Er hielt die Kartoffelspalten hoch, ehe er sie in den Mund steckte, und meinte: »Ich hab dir einen Käsestick abgegeben, der ist mindestens drei Fritten wert.«
»Der ist nicht mal die Gurkenscheibe auf meinem Burger wert.« Sie kicherte, als er ihr einen tadelnden Blick zuwarf. »Außerdem hab ich nur ein kleines Stück abgebissen.«
»Aber ich finde, für meinen guten Willen und meine Bereitschaft, mein Wertvollstes mit dir zu teilen, hab ich eine Belohnung verdient.« Der Schalk glänzte in seinen Augen, während er genüsslich ihre Fritten kaute. Ein seltener Anblick.
Wie so oft fragte sich Emma, weshalb er diesen Teil von sich die meiste Zeit über versteckte. Wieso wollte er lieber der ernste, schweigsame und unnahbare Typ sein? Manchmal hatte Emma das Gefühl, er erlaubte sich selbst nicht, glücklich zu sein.
»Ja, du bist ein Held.« Sie lächelte ihn an und hoffte, er verstand sie richtig. Sie war so dankbar dafür, dass er sie an diesem düsteren Tag zum Lachen gebracht hatte.
Sie nahm den Burger wieder in die Hände und schaute aus der Frontscheibe auf die Straße vor ihnen. Eine Weile lang aßen sie in stiller Einigkeit, und Emma spürte, wie sich ihre innere Unruhe allmählich in schwere Erschöpfung verwandelte. Das fettige Essen half also tatsächlich auf eine gewisse Weise. Ob Scar so etwas im Sinn gehabt hatte?
»Wann ist die Beerdigung?« Seine Stimme war ein sanftes Raunen.
»Morgen.«
»Morgen? Wieso ...?« Als sie seinen Blick erwiderte, nickte er. »Tyler.«
An der Art, wie er diesen Namen sagte, erkannte Emma einmal mehr, wie sehr er ihren Bruder verabscheute. Dabei kannte er ihn nur aus ihren Erzählungen. Aber scheinbar reichte das aus.
»Er hat sich gekümmert, der gute Sohn und Enkel. Hat alles geregelt, alles organisiert ... nur leider hat er vergessen, seine eigene Schwester zu informieren.« Sie schüttelte schnaubend den Kopf. »Mein Großvater ist am Montag gestorben. Montag. Wer weiß, wann ich davon erfahren hätte, wenn meine Grandma mich heute nicht angerufen hätte. Ich meine, ich wusste es einfach nicht ... Vier verdammte Tage lang!«
»Mach dir keine Vorwürfe. Das bedeutet gar nichts. Außer dass dein Bruder ein Arschloch ist.«
Sie musterte Scar einen Moment lang, folgte der rötlich ausgefransten Narbe, die von seiner rechten Schläfe, an seinen leuchtend blauen Augen vorbei, bis hin zum Mundwinkel verlief und seine Unterlippe leicht deformierte. Kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht, und wie meistens war ihm nicht anzusehen, was er dachte. Wie kam es, dass er andersherum scheinbar in jedem Menschen lesen konnte wie in einem offenen Buch?
»Wie machst du das nur immer?« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich wollte niemandem davon erzählen.«
»Wieso nicht? Jeder hätte verstanden, wenn du heute nicht ins Clubhaus gekommen wärst.«
»Ich konnte nicht zu Hause bleiben und weiter an die Wand starren.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich wollte auch nicht ...« Sie hielt inne. Die ganze Sache war ihr peinlich, so bescheuert das klang. Sie schämte sich nicht nur dafür, vier Tage lang nicht bemerkt zu haben, dass ihr Großvater tot war, sondern genauso für die Tatsache, dass ihre Blutsverwandten es nicht für nötig befunden hatten, sie darüber zu informieren. Was würde ihre neue Familie über sie denken, wenn sie erfuhr, dass ihre Herkunftsfamilie derart auf sie herabsah? Sie würde das Bild, das die Advocates von ihr hatten, nicht zerstören. Und sie wollte sich hier nicht so schwach und minderwertig fühlen, wie sie es in Phoenix immer getan hatte.
»Ich möchte nicht, dass sich jemand verpflichtet fühlt, sich um mich zu kümmern«, beendete sie ihren Satz schließlich. »Es haben alle genügend eigene Scheiße um die Ohren.«
»Du willst also die Einzige sein, die sich ständig um jeden kümmert?«
Sie konnte seinem intensiven Blick nicht standhalten und schaute wieder nach vorne auf die Straße. Er wusste, dass ihr etwas anderes durch den Kopf gegangen war, das merkte sie ihm an.
»Du fällst niemandem zur Last, nur weil du mal nicht gut gelaunt und perfekt bist«, fuhr er mit Nachdruck fort und berührte sie so federleicht am Unterarm, dass sie eine Gänsehaut bekam. »Du darfst bei uns auch mal traurig oder angepisst sein. Deshalb verlierst du nicht gleich den Respekt. Oder die Freundschaft.«
Er ahnte ja nicht, wie falsch diese Sichtweise in der Welt war, aus der sie stammte. Allerdings hatte Emma kein Bedürfnis, diese Unterhaltung zu vertiefen und die alten Wunden, die sie seit dem Vormittag wieder deutlich spürte, weiter aufzureißen. Daher nickte sie bloß und wechselte das Thema: »Also wie machst du es? Dass die Leute mit dir reden, meine ich.«
Er brummte widerwillig, beließ die Sache aber dennoch dabei bewenden und ging stattdessen auf ihren Themenwechsel ein. »Es ist kein großes Geheimnis. Ich höre zu. Das ist alles.«
»Du hörst zu«, wiederholte sie nickend. »So einfach ist das also?«
»Ja, so einfach ist das.«
Sie musterte ihn mit verengten Augen, aber er schien das vollkommen ernst zu meinen. Und irgendwie klang es ja auch logisch. Wer redete schon, wenn der andere nicht zuhörte? Außerdem konnte man sich bei Scar sicher sein, dass alles, was man ihm erzählte, hinter diesen blauen Augen verwahrt blieb wie in einem Safe. Das war wohl der Grund, wieso Emma ihm so viele Dinge anvertraute.
»Das muss ich mir merken.« Sie gähnte, dann fuhr sie sich mit den Händen über das Gesicht, wobei der Schnitt an ihrer Hand ziepte. Mit einem Mal war sie unsagbar müde. »Ich glaube, ich muss dringend ins Bett. Kommt mir vor, als würde ich schon schlafen.«
»Dann lass uns fahren.« Er warf die leeren Essenskartons in die Papiertüte und dann auf den Rücksitz, startete den Motor, fuhr los und schlug die Richtung zu ihrer Wohnung ein.
Emma musste sich anstrengen, um die Augen offen zu halten. Aber wenn sie jetzt einschlief, wäre es eine Qual, nachher die Treppen zu ihrer Wohnung hoch zu gehen, also zwang sie sich gewaltsam dazu, wach zu bleiben.
»Du kannst mit meinem Auto zurückfahren, ich hole es dann morgen Nachmittag am Clubhaus ab«, meinte sie, als er vor dem Mehrfamilienhaus anhielt.
Er schob die Brauen zusammen. »Willst du morgen nicht nach Phoenix fahren?«
Ob sie wollte? Ja. Aber ... »Keiner will mich dort haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Außerdem weiß ich nicht, wo die Trauerfeier stattfindet ... ich kann mich genauso gut ein anderes Mal von meinem Grandpa verabschieden.«
Die schwarzen Brauen bildeten nun fast einen einzigen Strich über seinen Augen, so skeptisch schaute er drein.
»Sieh mich nicht so an. Es ist okay, wirklich. Ich gehöre nicht mehr zu dieser Familie. Und ich tue uns allen einen Gefallen, wenn ich kein großes Ding daraus mache und nicht unangemeldet dort auftauche.« Sie meinte es ernst. Ehrlich. Sie wusste nicht, weshalb ihr bei den Worten Tränen in die Augen schossen. Hastig tastete sie nach dem Griff und schubste die Autotür auf. »Danke fürs Fahren.«
»Em.«
Sie war schon halb auf dem Bürgersteig, da drehte sie sich noch mal zu ihm um und versuchte sich an einem Lächeln. War gar nicht so einfach, wenn er sie derart gequält ansah. Vermutlich wollte er etwas Aufbauendes, Tröstendes sagen, wusste aber anscheinend nicht was. Das war nicht so schlimm. Emma wusste in solchen Situationen auch nie, was sie sagen sollte. Daher griff sie nach seiner Hand und drückte ihm freundschaftlich die Finger.
»Ruf an ... falls was ist«, meinte er.
»Mach ich.« Damit stieg sie aus, schloss die Autotür und winkte ihm kurz zu, bevor sie das Haus betrat.