Читать книгу Frau Edelweiß und der Nato-Gipfel - Sandra Edelweiß - Страница 5
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ОглавлениеFrau Edelweiß schaute auf den Zettel mit den Abkürzungen, den sie sich auf ihren Lehrerzimmertisch geklebt hatte. Es stand darauf. IL, AI, PH. Die Kollegen sollten ihn nicht entziffern können, aber für Frau Edelweiß sollte es eine stetige Mahnung sein. IL, Immer lächeln, AI alles ignorieren, PH Platon Höhlengleichnis. Es sollte sie daran erinnern, dass man nicht immer mit dem Kopf durch die Wand gehen konnte und schon gar nicht in einem Kollegium, in dem man so wenig Verständnis für andere Unterrichtsformen hatte. Sie konnten es einfach nicht verstehen. Sie war im Licht gewesen, sie hatte gesehen, dass man einen Schulalltag auch anders gestalten konnte. Schon morgens, wenn die Schüler schreiend durch das Treppenhaus strömten, bekam sie jedes Mal einen Wutanfall, den sie kaum unterdrücken konnte. Dann verkroch sie sich in dem Musikraum, der an ihr Klassenzimmer grenzte. Dort spielte sie so lange Klavier, bis sie die schreiende Meute hörte. Sie musste nicht in ihrem Klassenzimmer sein. Die Schüler lernten nicht für sie, sie lernten für sich. Sie wusste, sie würden an ihr Regal stürmen und sich Lernmaterial herausnehmen und auch ohne sie anfangen. Ja, es ging auch anders. Schule sollte ein Ort sein, der den Schülern heilig ist, an den sie ganz begierig kommen und es kaum erwarten können an die Regale zu gehen, um ihren Wissensdurst zu befriedigen. Nein, so war es hier nicht. Die Schüler mussten draußen bleiben, egal was für ein Wetter herrschte und darauf warten eingelassen zu werden. Dann standen sie teilweise vor verschlossenen Klassenzimmertüren. Aber auch wenn die Türen offen standen, was sollten sie denn dort drinnen anstellen, außer Quatsch zu machen und mehr oder weniger ungeduldig zu warten bis der Unterrichtsgestalter kam und ihnen sagte, was sie zu tun hatten? Wie langweilig und welche Zeitverschwendung. Bis dann die entsprechend gewünschten Materialien auf dem Tisch lagen, bis dann endlich alle Kinder den geeigneten Aufmerksamkeitsgrad aufwiesen. Das konnte man so leicht ändern, alleine nur durch eine andere Unterrichtsstruktur. Aber das wurde in Lehrerausbildung nicht vermittelt. Die vielen jungen Kollegen wurden auf einen ganz anderen Unterricht vorbereitet. Die Montessori – Pädagogik war nun schon mindestens 80 Jahre alt, aber sie konnte nicht sagen wie alt der Stil sein mochte, der in den Schulpraktischen Seminaren der Referendare propagiert wurde. Sie konnte sie ja verstehen. Wenn man ganz neu ist, da will man sich nicht auf neue Wege begeben, man macht erst mal das, was man gelernt hat. Aber die ablehnende Haltung in ihrem Kollegium konnte sie schon in Rage bringen. Manchmal hielt sie es kaum noch aus. Sie hatten keine Ahnung. Manchmal lag sie nachts im Bett und hatte solche Magenkrämpfe, dass sie ohne Heilerde nicht durch die Nacht kam. So tief hatte sich ihre Wut schon in ihrem Körper eingenistet. Nach außen versuchte sie gleichmütig und hartschalig aufzutreten, aber unter ihrer Schale verbarg sich oft ein brodelnder Vulkan. Sie schob es dann auf ihre Gene, sie hatte zu einem Teil südländisches Blut in ihren Adern. Da war der eine oder andere kleine Wutausbruch an der Tagesordnung. Im Süden eine Normalität. Man schreit gleichlaut zurück und wenig später kann man sich lachend einen Drink ausgeben. Aber hier in Deutschland! Da war man mit diesem Temperament gleich abgestempelt. Die Edelweiß, die regt sich doch über jeden Scheiß auf. Erst neulich war ihr mal wieder der Kragen geplatzt. Die Stadt brachte es fertig für diese wirklich große Schule gerade 10 Parkplatzkarten zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt Parkplatzkarten, die sie auf einem öffentlichen Parkplatz einsetzen konnten. Waren diese schon beispielsweise von Touristen besetzt, Pech gehabt. Sie selbst war natürlich erst gar nicht in den Genuss einer solchen Parkkarte gekommen. Sie musste am anderen Rheinufer parken und das schlüpfrige Holzbrückchen überqueren um zur Schule zu gelangen. Wie oft hatte sie sich im Winter schon fast den Hals gebrochen, weil die Holzplanken zu rutschig waren. Und dann musste sie ihr Auto einfach an der Straßenseite abstellen. Dies war gerade die Straße, die direkt auf die Passerelle zuführte. Sie galt als der Schleichweg für alle, die gerne ohne mögliche Grenzkontrollen das Land wechseln wollten. Dass dies nicht gerade der sicherste Parkplatz in Kehl war, musste sie bald feststellen. Am Morgen hatte sie gerade noch einen Parkplatz dort erwischt. Sie hatte keine Zeit wählerisch zu sein, sie war sowieso spät dran. Ihr Chef saß ihr im Nacken. Sie wusste, dass er wieder im Treppenhaus stehen und ihr Ankommen genau registrieren würde. Als sie nur 4 Stunden später zu ihrem Auto zurückkehrte, da fand sie es aufgebrochen vor, am helllichten Tage. Sie hatte Glück, keine Frage, es waren nämlich Profis am Werk gewesen. Keine Jugendlichen, die versuchten ein Auto zu knacken und dabei mehr Schaden anrichteten, weil sie aus Unkenntnis den ganzen Lack verkratzten und so an allen Türgriffen herumrissen und zerrten, dass die Kosten für die Reparatur der Griffe und des Lackes höher waren, als die des geklauten Radios. Nein, hier in Kehl waren immer Profis am Werk. Die haben es nicht weit von Strasbourg. Sie hatten also sehr sorgfältig die Gummidichtung des Kofferraumfensters ihres Kastenwagens aufgeschnitten. Die Diebe waren sehr höflich und umsichtig. Ihnen ging es nicht um wilde Zerstörungswut, nein, sie hatten die herausgeschnittene Scheibe vorsichtig in den Kofferraum zurückgelegt. Zunächst bemerkte Frau Edelweiß nichts, sie öffnete den Kofferraum und sah die Glasscheibe. Natürlich dachte sie sofort an ihren Ehemann und wollte schon loswettern: „Was legt der mir eine Glasscheibe in den Kofferraum.“ Dann sah sie zur Seitenwand des Wagens wo jetzt nur noch eine leere Öffnung zu sehen war, dann dämmerte es ihr und ihr Blick ging folgerichtig zu der Stelle, an der ihr Radio einst gewesen war. Nur noch ein abgeschnittenes Kabel hing aus dem leeren Schacht. Sie stürmte das Sekretariat. Da war sie nicht mehr zu halten gewesen. „Ich finde es eine Unverschämtheit, man kriegt hier keine Parkkarte, Parkplätze gibt es auch keine, wenn ich direkt neben der Schule parke, bekomme ich ein Knöllchen und wenn ich an dem Brückchen parke, dann wird das Auto aufgebrochen. Keine Schule, in der ich bis jetzt war, hat so erbärmliche Voraussetzungen gehabt. Ich möchte sofort Herrn Radeck sprechen, ich will die Polizei sprechen, ich möchte eine Parkkarte.“ Lauthals tobte sie im Sekretariat. Herr Radeck machte lässig die Tür auf. Mit einem Grinsen im Gesicht, das fast die Vermutung zuließ, er selbst hätte den Raub aus lauter Hinterhältigkeit veranlasst, fragte er unschuldig: „Ja Frau Edelweiß, haben sie ein Problem?“ In diesem Augenblick hätte sie ihn sofort umbringen können. Wenn sie einen geeigneten Gegenstand zur Hand gehabt hätte, wer weiß! Die Sekretärin, die schon öfters ihr südländisches Temperament zu spüren bekommen hatte, warf sich im letzten Augenblick dazwischen. „Ähm Herr Radeck, das Auto von Frau Edelweiß ist aufgebrochen worden.“ „Was, sie fahren doch diesen Kastenwagen, da ist doch gar nichts zu holen, es sei denn sie versuchen die Abwrackprämie zu kassieren.“ Frau Edelweiß Augen begannen regelrecht zu glühen. „Chef, ich meine wir sollten die Polizei anrufen. Ich glaube letzte Woche ist dort schon ein anderes Auto aufgebrochen worden.“ „Das wäre sicher nicht passiert, wenn ich eine Parkkarte hätte und vor dem Schulhof gegenüber der Stadthalle parken könnte“, erwiderte Frau Edelweiß. „Ach wissen sie denn nicht, dass dort erst vor zwei Jahren das Auto von Frau Munding komplett verwüstet wurde. Ich glaube es war ein Drogenabhängiger“ „Na, ich danke auch für ihr Verständnis, wäre ich doch nur in der Montessorischule geblieben! Da hatte ich wenigstens einen gesicherten Parkplatz.“ „Ich bitte Sie, Frau Edelweiß, nicht diese Leier wieder, so viel ich weiß sind Sie da gegangen, weil Sie mit dem Schulleiter nicht klargekommen sind. Ich meine, das kann ich ganz gut verstehen, aus Sicht des Schulleiters natürlich.“ Frau Edelweiß ballte ihre Fäuste, die Knöchel stachen weiß hervor. Die Situation rettete nur Herr Müller, der gerade noch im richtigen Augenblick in das Sekretariat gestürmt kam. Herr Radeck dachte sofort an die Außenwirkung der Schule und ließ sich nicht zu einer Szene mit seinem Kollegium hinreißen. Das war seine Maxime. „Denken sie immer an unseren Ruf. Achten sie auf Ihren Umgangston.“ Herr Müller schien nicht gerade gut gelaunt. Herr Radeck schob ihn mit beruhigenden Worten ins Rektorat und ließ Frau Edelweiß einfach stehen. Frau Wellert wählte nervös die Nummer der Polizei. „Sie müssen zum Polizeirevier fahren, Frau Edelweiß. Der Beamte wird sich die Sache anschauen und eventuell Fingerabdrücke nehmen.“ „Ist gut, ich gehe dann schon“, würgte Frau Edelweiß heraus. Sie ärgerte sich maßlos, wie hatte sie sich nur schon wieder so gehen lassen können. Es war einfach alles zu viel. Sie hätte nie hierher kommen dürfen. Das Schlimmste an der ganzen Geschichte war, dass sie ihrem Chef mal ausnahmsweise Recht geben musste, sie hatte sich unmöglich benommen. Die Polizei konnte nichts ausrichten. Die Arbeitsweise der Diebe war bekannt. In Baden- Württemberg hatte Kehl eine der höchsten Kriminalitätsraten. Vor einigen Jahren hatte hier sogar ein Serienmörder sein Unwesen getrieben! Was galt da schon so ein kleiner Autoeinbruch! Die Fensterscheibe war makellos abgewischt. Der Gummi sehr kenntnisreich mit einem Spezialwerkzeug zerschnitten. Die Polizisten bewunderten die Arbeitsweise. Zu Ergebnissen kamen sie nicht. Die Scheibe konnte für 35 € wieder eingesetzt werden, so sorgfältig waren sie damit umgegangen. Das heißt, wenn es zwei waren, das konnte man nicht wissen. Frau Edelweiß befragte die Hausbewohner, vor dessen Haus sie den Wagen abgestellt hatte. Nichts. Sie waren sogar zur Tatzeit zu Hause gewesen und hatten nichts bemerkt. Frau Edelweiß war aber etwas aufgefallen. Manchmal da überkam sie so ein Gefühl, eine Voraussicht. Als sie über die Brücke ging, da war ihr ein Mann mit einem langen schwarzen Mantel begegnet. Sie erinnerte sich daran, ihn schon einmal gesehen zu haben. Da war etwas mit dem Mann, das spürte sie. Und dennoch, sie hätte ihn nicht beschreiben können, er schien sich in eine Unscheinbarkeit gehüllt zu haben, die ein Beschreiben unmöglich machte. Hatte er nun dunkle Haare oder helle? Trug er eine Brille? Einen Bart? Nichts war ihr im Gedächtnis hängen geblieben, nur der lange Mantel und vielleicht noch die Art und Weise wie er ging. Er ging nicht, er schlich und das in einer guten Geschwindigkeit. Es schien als würde er lautlos über den Boden schweben. Sie erinnerte sich noch an etwas. Es war ein Gefühl- er strahlte eine Gefahr aus.
Er konzentrierte seine Recherchen auf die Schule. Er parkte sein Auto mal vor der Schule, direkt gegenüber der Stadthalle, mal auf den wenigen Parkplätzen, die in der verkehrsberuhigten Zone an der Seite der Schule lagen. Dann wieder stand er stundenlang vor dem Holzbrückchen und beobachtete vom Wagen aus, wer dort parkte und in die Schule ging. Er traute sich fast nicht mehr auf die Straße. Er wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Diese dicke Biene hatte ihn auf der Holzbrücke wiedererkannt, das hatte er sofort bemerkt. Das war so eine, die hatte einen Instinkt für Gefahr. Das Gefühl kannte er, da waren sie sich ähnlich. Vielleicht waren sie sogar Seelenverwandte. Deshalb musste er umso vorsichtiger sein. Das war eine gute Wohngegend. Nur Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Die bemerkten Fremde gleich. Seine Autos waren unauffällig und hatten leicht getönte Scheiben. So konnte man nicht sofort erkennen, dass jemand im Fahrzeug saß. Er wechselte die Fahrzeuge genauso wie sein Outfit. Er hatte diverse Haarteile zur Verfügung und konnte sich mit wenigen Handgriffen von einem alten Mann in einen jugendlichen Baseballtyp verwandeln. Das verlangte sein Handwerk. Er war schon mehrfach im Schulgebäude. Er konnte nicht verstehen, wie man heutzutage so nachlässig mit der Sicherheit kleiner Kinder umgehen konnte. In Zeiten, in denen fast täglich irgendwelche Übergriffe von Pädophilen auf Kinder in den Tageszeitungen auftauchten, musste man öffentliche Räume einfach besser schützen. Er hatte kein Interesse an kleinen Kindern. Wenn er eins gehabt hätte, so wäre seine erste Wahl die Friedrichschule gewesen. Zwar war sie morgens abgeschlossen, aber nicht konsequent. Der Laxus beginnt schon am frühen Vormittag. Die Tür muss einige Zeit offenbleiben, damit auch die Schüler, die zu spät kommen, rein können. Dann hat er schon mehrfach beobachtet, wie man vergessen hatte die Tür wieder abzuschließen. Er verkleidete sich als älterer Herr und versuchte den Toilettentrick. Er dachte sich aus, dass er verlangen würde auf die Toilette zu gehen und betrat das Schulhaus. Doch was geschah? Nichts? Erstens konnte er ungehindert hineinspazieren und zweitens wurde er nicht aufgehalten. Zunächst begegnete er niemandem, da Unterricht war. Es kamen immer wieder einige Schüler, die durch die Gänge huschten und auf die Toilette mussten. In den zehn Minuten hätte er schon 10 Kinder meucheln können und es wäre niemanden aufgefallen. Dann begann die Pause. Erst bemerkte er eine Unruhe, die langsam aus den Zimmern kroch. Schließlich brachen wie auf ein Kommando alle Türen auf und aus den Gängen strömten die Kinder nach draußen. Einige Klassen versuchten so etwas wie eine Reihe zu bilden und warteten geduldig bis die Lehrerin sie aufgestellt hatte und in die Pause entließ. Andere Klassen wiederum rannten wild nach draußen. „Hier macht wohl jeder was er will“, ging es ihm durch den Kopf. Eine gemeinschaftliche Ordnung konnte er nicht erkennen. Dann begegnete er einigen Lehrerinnen. Er bereitete sich darauf vor seinen Spruch aufzusagen. Nichts geschah. Er konnte gerade noch einen Gruß loswerden. Niemand behelligte ihn oder fragte was er wolle. Kinder, das kam für ihn in seiner beruflichen Situation nicht in Frage. Einmal Einzelgänger, immer Einzelgänger, man verlernt irgendwann jemandem zu vertrauen. Aber hätte er welche, er würde nicht so sorglos mit ihrer Sicherheit umgehen. Er wusste wozu Menschen fähig waren. Die menschlichen Abgründe waren ihm vertraut. Die Schule war ein offener Marktplatz. Am Nachmittag gestaltete sich die Sache noch einfacher. Es gab ungewöhnlich hohe Aktivitäten von Lehrern. Manche kamen erst um 18 Uhr aus dem Laden, vorwiegend junge Lehrerinnen. „Die sind ja hochmotiviert in diesem Schuppen“ dachte er. Die Türen waren mal zu und mal offen. Die Musikschüler gingen ein und aus und da kontrollierte niemand. Besonders nachts war es interessant. Manche Nacht brannte die Treppenbeleuchtung bis ins Morgengrauen und die Türen waren sperrangelweit geöffnet. In der Turnhalle herrschte ebenso reger Betrieb. Er bemerkte, dass der Schlüssel der Turnhalle auch für das Schulgebäude passen musste, denn manchmal sah er einige Vereinssportler, wie sie in das Schulgebäude eindrangen und im Lehrerzimmer Licht machten. Dann hörte er den Kopierer. Er hielt sich oft im Schulgebäude auf. Er musste keine Angst haben, eingesperrt zu werden. Alle öffentlichen Gebäude hatten eine Fluchttür, die sich von innen immer öffnen ließ. Was er noch brauchte, war ein Schlüssel. Im Öffnen von Schlössern war er Meister, nur wollte er keine Spuren hinterlassen. So blieb ihm der Weg zum Speicher vorerst verwehrt. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass ausgerechnet in der Nacht zum Nato-Gipfel jemand vergessen würde das Schulhaus abzuschließen, er brauchte einen sicheren Zugang. Wie es der Zufall so wollte nahm ein Kleinkrimineller ihm diese Drecksarbeit ab. Seit Stunden saß er in dem unauffälligen Auto und beobachtete die Lehrerinnen, die ihre Fahrzeuge vor der Brücke abstellten. Frau Edelweiß war heute recht früh dran. Dann kam die Relilehrerin, die dann nach zwei Schulstunden wieder wegfuhr, wahrscheinlich zu einer anderen Schule. Dann kam die junge Blonde, ein schmalgesichtiger Jüngling, die Sekretärin und noch einige Damen, die er in der Ganztagesbetreuung gesehen hatte und die im Kellergeschoss und Dachgeschoss der Schule arbeiteten. Er hätte weiterfahren können, nach seinen Beobachtungen würde sich in den nächsten drei Stunden nichts ergeben. Doch eine Ahnung ließ ihn ausharren. Wie elektrisiert starrte er in die Straße. Er bemerkte zwei Typen, die zu Fuß von der Mimram – Brücke kamen. Langsam, seiner Erfahrung nach zu langsam, schlenderten sie an den unzähligen parkenden Autos entlang, die die gesamte Großherzog-Friedrich- Straße säumten. Der eine zündete sich mal umständlich eine Zigarette an, um dann ein Auto in Augenschein zu nehmen. Dann wieder schnürte der andere sich die Schuhe. Gebannt starrte er auf das Pärchen. Es war interessant, den Kleinganoven zuzuschauen. So hatte er auch einmal angefangen, vor vielen Jahren. Es lag auf der Hand, was die zwei im Schilde führten, er fragte sich nur, welches Auto sie auswählen würden. Sie kamen immer näher. Nun waren sie in Reichweite der Lehrerfahrzeuge. Von allen Vehikeln stand das der jungen Blonden am besten da. Es war ein kleiner schicker Golf. Von der Lautstärke zu urteilen, mit der sie immer um die Ecke bog, musste das Radio nicht schlecht sein. Nur hatte es eine gute Diebstahlsicherung. Für ihn kein Thema, aber für die Jünglinge da vorne, wohl doch eine Nummer zu groß? Plötzlich wandten sie sich wieder der Passerelle zu. Von weitem erkannte er eine großgewachsene Gestalt. Ein einschlägig bekanntes Gesicht kam auf das Pärchen zu. „Der Lehrmeister!“, bemerkte er, „ das wird eine Übungsstunde!“ Sie begrüßten sich, indem sie die geschlossenen Fäuste aneinander rieben. Dann ging der ältere zielstrebig auf das klapprige Auto der dicken Biene zu und zückte ein Spezialmesser. Ein kurzer Blick über die Schulter und schon machten sie sich an der Gummidichtung des seitlichen Rückfensters zu schaffen. Er zeigte es kurz und ließ die jüngeren fortfahren. Ein Anwohner ging mit seinem Hund auf der anderen Straßenseite Gassi. Die drei zeigten keine Nervosität und der Anwohner wollte nichts sehen oder konnte nichts sehen. Dann stieg der kleinste von ihnen durch die Fensteröffnung und riss das Radio mit einem Ruck aus der Verankerung. Das Kabel wurde nicht ausgesteckt, sondern abgeschnitten, so hatte man das Anschlusskabel gleich dabei. Die ganze Aktion dauerte vielleicht 2 Minuten. Es war abgebrüht, solche Aktionen hatte er hundert Mal erlebt und doch waren seine Hände schwitzig. Zuschauen war aufregender als selbst Akteur zu sein. Das war die Gelegenheit. Das Auto der Biene. Lange musste er nicht im Auto verharren. Das Gangstertrio war schnell verschwunden. Langsam stieg er aus seinem Auto aus. Gemächlich schlenderte er zu dem Auto, warf einen Blick in das Innere. Es war nichts Verwertbares drinnen. Aber er hatte diese dicke Tante gut studiert, er hatte da so eine Ahnung. Es war gleich 13 Uhr. Die letzte Schulstunde war gleich vorbei. Die Biene hatte Unterrichtsschluss. Gewöhnlich hielt sie sich nicht lange im Schulhaus auf, sondern war schon 10 Minuten später draußen. In der Großherzog-Friedrich-Straße, die ihre Fortsetzung über dem Holzbrückchen erfuhr, brach wieder das Autochaos aus. Ein Dutzend Fahrzeuge parkten kreuz und quer in dieser Einbahnstraße, die offiziell als Spielstraße deklariert war. Ungeduldige Mütter und Väter warteten auf ihre Kinder. Alles ging wild durcheinander. Seine Verwunderung konnte er nicht zurückhalten. Die Deutschen waren doch solche Paragraphenreiter, aber sie waren nicht in der Lage eine ungefährliche Parksituation für die Schule herbeizuführen. Tatsächlich war die Verkehrssituation nicht ungefährlich, fast musste er ein Kind vor einem rückwärts fahrenden Auto retten. Da kam sie schon. Wieder dieser Blick. Hoffentlich hatte sie nichts bemerkt. Er war ganz anders angezogen. Er war als älterer Herr verkleidet, trug einen Bart und eine dunkle Brille. Dazu einen Mantel, der seine Körperformen verhüllte. Doch es blieb dieses ungute Gefühl. So wie sie schaute. Sie selbst war wieder in ihren unförmigen Blouson gewandet, der ihre rundlichen Formen sehr ungünstig betonte. Sie machte ein ernstes Gesicht und war wieder mit allerlei Taschen bepackt. Eine Teekanne linste aus dem einen Einkaufskorb hervor. Die schwarze Ledertasche schien sehr schwer zu sein. Griffbereit hielt sie schon den Autoschlüssel in der Hand, der Schulschlüssel lag im Korb. Er war gespannt auf ihre Reaktion. Hinter einem Baum konnte er das parkende Auto gut beobachten. Es war köstlich. Zuerst schloss sie ganz normal den Kofferraum auf und wollte ihre Taschen hineinlegen, dann erst bemerkte sie die Glasscheibe und das fehlende Radio. Menschen konnte er sehr gut einschätzen und so verwunderte es ihn auch nicht, dass nun ein lautes Fluchen von der andern Uferseite herüberkam. Wild gestikulierend stapfte sie schnurstracks zur Schule zurück. Wie erwartet hatte sie ihre Taschen im Auto abgelegt. Nur der Autoschlüssel war noch in ihrer Hand. Sie war zu aufgeregt um achtsam zu sein. Er wartete bis sie wieder im Schulgebäude war. Bald konnte er ihre wilde Stimme durch das geöffnete Sekretariatsfenster vernehmen. Jetzt war Schnelligkeit gefragt. Im Kofferraum fand er, wonach er gesucht hatte. Die Lösung seiner Probleme fiel ihm geradezu in den Schoß. Ein kurzer Griff durch den glasfreien Fensterrahmen und der Generalschlüssel lag in seinen Händen. Natürlich trug er feine Handschuhe und selbstverständlich hatte er immer eine Abdruckmasse für Schlüssel zur Hand. Er durfte den Schlüssel nicht stehlen. Dann würden sie alle Schlösser austauschen und er wäre so weit wie am Anfang. Nun musste er nur noch warten. Niemand durfte ihm diese Gelegenheit vermasseln. Im Auto passte er darauf auf, dass sich niemand anderes an Frau Edelweiß Tasche vergriff. Einmal ging ein verdächtiger älterer Herr dicht am Auto vorbei, aber selbst dieser bemerkte nichts von der verlockenden Gelegenheit.