Читать книгу Liebesaffären zwischen Nordseestrand und dem anderen Ende der Welt: Romance Sammelband - Sandy Palmer - Страница 8
Eine fesselnde Lovestory um eine Reise ins Liebesparadies
ОглавлениеEndlich Urlaub! Endlich einmal das Land kennenlernen, in dem ihre Schwester seit längerem lebte - und in dem sie ihr Glück gefunden hatte. Johanna ist gespannt auf den Mann, den ihre Zwillingsschwester heiraten will. Doch als sie ihn dann vor sich sieht, bereut sie es, die weite Reise angetreten zu haben...
In Hamburg regnete es Bildfäden. Seit vier Tagen schon öffnete der Himmel seine Schleusen, hängte ein graues Kleid über die ganze Stadt. Im Hafen fuhren die Ausflugsboote fast leer durch die großen Anlagen, in den Shoppingarkaden herrschte nur wenig Betrieb, und an der Außenalster war auch nichts los.
„Es scheint fast so, als hätten wir tiefsten November und die Wirtschaftskrise wäre mal wieder auf einem Höhepunkt“, murmelte Klaus Bergstätt. „Wir müssen hier weg, Johanna. Bei dem Wetter wird man ja richtig depressiv.“
„Ich nicht. Ich hab was vor.“ Johanna lächelte vor sich hin.
„Du hast was vor? Klasse! Ich hatte auch was geplant fürs Wochenende!“ Klaus ging zum Fenster und sah hinaus in das triste Grau. „Ich hab uns günstige Flugkarten im Internet bestellt. Auf Mallorca scheint die Sonne.“ Er drehte sich zu Johanna um. „Na, was sagst du jetzt?“ Beifallheischend sah er sie an.
Johanna Paulsen schüttelte den Kopf. „Sorry, mein Schatz, aber daraus wird nichts. Hast du vergessen, dass meine Schwester mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hat? Ich fliege schon am Freitagabend nach Sydney.“
„Was? Und das sagst du erst jetzt?“ Vorwurfsvoll sah Klaus sie an.
„Wir haben schon mindestens drei Mal darüber gesprochen. Und auch darüber, dass du mitkommen könntest. Du warst jedenfalls herzlich eingeladen. Aber du hast mir ziemlich deutlich erklärt, dass du auf Verwandtschaft keinen Bock hast.“
Klaus zog es vor, darauf nichts zu erwidern. Er erinnerte sich an die hitzigen Diskussionen, die sie bereits über dieses Thema geführt hatten. Allerdings hatte er gedacht, Johanna hätte auch diesmal wieder klein bei gegeben - so, wie sie es eigentlich immer tat.
Aber das war ein Irrtum!
„Meine Zwillingsschwester heiratet. Glaubst du tatsächlich, da bliebe ich daheim? Oder würde alternativ mit dir einen Kurztrip nach Mallorca starten?“ Kopfschüttelnd sah Johanna den Mann an, der immer wieder behauptete, sie zu lieben. Aber wie konnte jemand von Liebe sprechen, wenn er so unsensibel war wie Klaus? Er hatte nur die eigenen Interessen im Kopf. Immer sollte es nach seinen Wünschen gehen. Bisher hatte sie dem nichts entgegengesetzt. Diesmal aber war es anders. Sie hatte nur ihre Zwillingsschwester - und bei deren Hochzeit wollte sie unbedingt dabei sein!
„Ich hatte mich so sehr auf diesen Wochenendtrip gefreut!“ Klaus schmollte.
Diesmal aber ging Johanna nicht darauf ein. Im Gegenteil, sie lachte und meinte nur: „Bis vor fünf Minuten hab ich noch nicht mal was geahnt von deinen Plänen, wenn ich dich daran erinnern darf. Also - sei kein Frosch. Ich bin ja bald wieder hier. Die paar Wochen gehen so rasch vorbei...“
„Wochen? Du willst ein paar Wochen weg bleiben?“ Blankes Entsetzen schwang in seiner Stimme mit.
„Klar doch! Für ein paar Tage lohnt sich doch der weite Flug bis zum anderen Ende der Welt nicht!“
Klaus schwieg. Er schwieg auch noch bis zum Abreisetag - und bewies damit noch einmal, dass er beileibe nicht der Traummann war, den Johanna am Anfang ihrer Beziehung in ihm gesehen hatte.
Der Abschied am Flughafen fiel kurz und knapp aus. Nicht mal einen kleinen Kuss gab ihr Klaus.
Aber Johanna störte es nicht. Ihre Vorfreude auf diese Reise war viel zu groß, als dass sie sich von Klaus hätte niederziehen lassen.
Sie genoss den guten Service an Bord, lehnte sich entspannt zurück und freute sich auf das Wiedersehen mit Stefanie. Ihre Schwester schien mit ihrem Bräutigam das große Los gezogen zuhaben. Thomas Hausberger war nicht nur reich, er schien auch sehr großzügig zu sein. Er hatte sogar Johannas Flugticket der Ersten Klasse bezahlt.
Und Stefanie konnte nach Los Angeles fliegen und sich dort ein Brautkleid aussuchen. Das hatte sie Johanna freudestrahlend am Telefon erzählt. „Weißt du, hier in der Wildnis hab ich einfach nicht das Richtige gefunden.“
Johanna lächelte, als sie an diese Unterhaltung dachte. „Meinst du nicht, in Sydney gäbe es ein Brautmoden-Geschäft, das deinen Ansprüchen genügt? Oder vielleicht in Melbourne?“
„Nichts da, ich fliege in die Staaten. Das ist eine nette Abwechslung!“, hatte Stefanie erwidert.
Sie ist ein vom Leben ziemlich verwöhntes Geschöpf, dachte Johanna. Aber ich gönne ihr den Trip von Herzen! Mir ist diese Reise nach Australien schon Aufregung genug!
Auf dem internationalen Flughafen von Sydney herrschte ungewöhnliche Hektik. Menschen rannten durcheinander, Polizisten versuchten sich einen Weg zu bahnen, Sanitäter und Personal der verschiedensten Fluggesellschaften kümmerten sich um Passagiere, die zum Teil geschockt wirkten, andere weinten.
Abwartend sah Johanna sich um. Angst erfasste sie. Was war passiert? Warum kam niemand, um sie abzuholen, wie es abgesprochen war?
Dann, als sie sich gerade mühevoll zum Informationsschalter durchgearbeitet hatte, hörte sie es: Die Maschine aus Los Angeles war kurz nach dem Start explodiert! Warum, wusste man noch nicht. Nur eins stand hundertprozentig fest: Es gab keine Überlebenden!
*
Sie kam nicht dazu, ihr Entsetzen und ihre Trauer richtig zu verarbeiten, denn ganz plötzlich wurde sie von hinten heftig umarmt, und ein Mann flüsterte ihr ins Ohr: „Himmel, bin ich froh, dass du eine andere Maschine genommen hast, Schatz! Ein Brautkleid finden wir auch hier!“
Und dann wurde sie geküsst - zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Sie konnte nicht mehr denken, konnte nur noch fühlen: die weichen Lippen des Mannes, seine Hände, die sie festhielten und ihren Rücken streichelten.
„Ich... ich bin...“ Johanna versuchte sich aus der Umarmung zu befreien, doch Thomas ließ sie nicht los. Er hielt sie auch dann noch fest, als sie durch Sydney fuhren und sie zum ersten Mal all die imposanten Gebäude sah, von denen Stefanie so begeistert berichtet hatte.
„Thomas...“ Gerade fiel ihr Blick auf die ungewöhnlich konzipierte Oper der Stadt, die im Volksmund liebevoll „Auster“ genannt wurde. „Ich muss dir etwas gestehen.“
„Nur zu. Ich bin gespannt!“ Er legte den Arm um ihre Schultern, zog sie kurz an sich und küsste sie auf die Stirn.
Johanna fühlte ihr Herz bis hoch zum Hals schlagen. Thomas’ Nähe verwirrte sie. Wenn sie ihn ansah, wurde alles bisher Dagewesene bedeutungslos.
Bedeutungslos... dieses Wort schien sich in ihr einzugraben. Was zählten Lügen? Was die Tatsache, dass sie Johanna und nicht Stefanie war? Was bedeutete es, dass ihre Zwillingsschwester tot war - zerrissen von einer wahnwitzigen Explosion?
Bedeutungslos? Wirklich?
„Du wolltest irgendein sehr wichtiges Geständnis ablegen, Steffi.“ Thomas lachte sie zärtlich an.
„Ja... nein. Es ist nichts. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe.“
*
Tag um Tag verging.
Aus Johanna wurde Stefanie. Alle redeten sie so an, und langsam begann sie sogar, sich wie Stefanie zu fühlen. Wie ein Mädchen, das seinen Traumprinzen kennengelernt hatte und nun in seinem Schloss wohnen durfte.
Und als Schloss konnte man den großzügigen Landsitz von Thomas ohne weiteres bezeichnen. Er besaß riesige Schafherden, die auf einem unüberschaubaren Terrain weideten. Die Hirten kontrollierten den Viehbestand teilweise vom Hubschrauber aus, und es machte Johanna ungeheuren Spaß, Thomas auf solchen Informationsflügen zu begleiten.
„Du hast dich verändert“, sagte Thomas, als sie wieder einmal unterwegs waren. Unter ihnen zog eine riesige Herde über die karge Landschaft, es waren unendlich viele Tiere, und aufs neue bekam Johanna einen Begriff davon, wie reich Thomas sein musste.
„Verändert? Ich mich?“ Sie biss sich auf die Lippen, um die Unsicherheit, die wieder einmal aufflackerte, zu kaschieren.
Thomas griff nach ihrer Hand und zog sie für einen Moment an die Lippen. „Ja. Du hast dich verändert. Vor ein paar Wochen noch warst du nicht bereit, mit mir hier hinauf zu fliegen.“
Johanna zuckte zusammen. Wieder ein Punkt, in dem sie sich gravierend von ihrer Zwillingsschwester unterschied: Stefanie mochte keine Tiere, sie hingegen liebte Schafe ebenso wie Pferde, Esel, Katzen und die kleinste Wüstenmaus.
Unsicher sah sie Thomas an. Doch in dem markanten Gesicht war kein Zweifel zu lesen, nur unendliche Liebe.
Eine Liebe, die aber nicht ihr, sondern einer Toten galt, deren Leben in einem Feuerball ausgelöscht worden war.
Johannas Herz zog sich zusammen - wie immer, wenn sie an ihre verstorbene Schwester denken musste, die sie noch nicht einmal offiziell betrauern konnte. Sie war unendlich unglücklich - und doch gleichzeitig so glücklich wie nie zuvor im Leben. Thomas war ein Mann, von dem sie immer geträumt hatte. Sie harmonierten hervorragend miteinander, und an seiner Seite fühlte sie sich sicher und geborgen.
Nur an eins durfte sie nicht denken: dass ihr Glück auf einer furchtbaren Lüge aufgebaut war!
Ende Mai musste Thomas noch einmal hinaus zu einer Viehherde, in der erschreckend viele Tiere erkrankt waren. Er hatte Medikamente an Bord der kleinen Sportmaschine, Lesestoff für die Männer, die dort draußen ein ziemlich einsames, tristes Leben führten, und Zigaretten und Whisky.
„Kommst du mit, Darling?“, fragte er, und Johanna nickte zustimmend.
„Aber natürlich!“ Sie lächelte ihn zärtlich an. „Du weißt doch, wie gern ich mit dir fliege. Es ist immer noch ein Abenteuer für mich, eine Weile draußen in der unendlichen Weite des Outbacks sein zu können.“
„Seltsam... früher hast du ganz anders gedacht. Da wolltest du mit den Tieren und den Trips ins Outback nichts zu tun haben.“ Er kam auf sie zu und zog sie liebevoll in die Arme. „Aber ich muss gestehen, dass ich die neue Stefanie noch ein bisschen mehr liebe als zuvor.“
Johannas Herz schlug schneller. Sie schloss die Augen und genoss es, Thomas so nahe zu sein. Dabei fragte sie sich, wie lange sie ihre Lügen noch aufrecht erhalten konnte, wann das Kartenhaus, das sie aufgebaut hatte, zusammenbrechen - und ihr Glück genauso zusammenfallen würde.
*
Die große Farm mit ihren vielen Nebengebäuden lag nur knapp einhundert Kilometer von Sydney entfernt, und doch befand man sich in einer ganz anderen Welt, wenn man erst einmal die Großstadt hinter sich gelassen hatte. Rasch begann das Niemandsland, die unendliche Weite dieses Kontinents. So weit das Auge reichte, sah man nur brachliegendes Land, das von unzähligen Schafen durchstreift wurde. Die Tiere fanden immer etwas zu fressen, sie waren genügsam und auch mit trockenen Grasbüscheln zufrieden.
Vereinzelt nur tauchte ein Haus auf, und erste nachdem sie zwanzig Minuten geflogen waren, erblickte Johanne eine kleine Wohnsiedlung.
„Was ist das?“, erkundigte sie sich.
„Wir nennen es Old Sams Oase“, antwortete Thomas. „Sam ist ein alter Jäger, der hier vor vielen Jahren sesshaft geworden ist. Es heißt, dass er eine Weile bei den Aborigines gelebt hat und mehr von ihrer Kultur weiß als jeder Wissenschaftler. Inzwischen hat er hier eine Kneipe aufgemacht. Sie ist Anlaufstelle für alle, die hier in der Gegend leben und arbeiten. Warte nur, gleich wirst du ihn kennenlernen. Wir müssen vorher nur noch zu der Herde mit den kranken Tieren fliegen.“
Er zog die Maschine n eine leichte Kurve und korrigierte fast unmerklich den Kurs.
Johanna sah fasziniert aus dem Fenster. Sie liebte dieses Land schon jetzt und wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn sie von hier wieder fortgehen musste.
Ein leises Knattern störte ihre Gedanken. Die Maschine begann leicht zu trudeln.
„Was ist los?“ Fragend sah sie Thomas an, der an den verschiedensten Kontrollgeräten hantierte.
„Ich weiß nicht genau... vielleicht ist was mit der Benzinzufuhr...“ Er machte ein ernstes Gesicht, und in Johanna kroch Angst hoch.
„Leg den Kopf in die Arme! Versuch deine Augen zu schützen!“ Thomas warf ihr einen raschen Seitenblick zu, dann konzentrierte er sich wieder ganz darauf, das Ärgste vielleicht noch abzuwenden und eine halbwegs anständige Bruchlandung machen zu können.
Und dann... ein Krachen und Bersten, Splittern, ein Schrei, von dem Johanna nicht wusste, dass sie selbst ihn ausgestoßen hatte...
Dumpfe Schläge, die von außen das Flugzeug zu zerstören drohten - dann war es still.
Johanna erwachte von einem stechenden Schmerz in ihrer linken Hand. Vorsichtig versuchte sie die Finger zu bewegen, sich selbst in eine andere Position zu bringen - es gelang.
„Thomas...“ Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
Als keine Antwort kam, versuchte sie sich ein wenig aufzurichten und in der Maschine umzusehen. Schräg lag das Flugzeugwrack auf einer Grasfläche. In einem fast quadratischen Ausschnitt konnte sie durch eines der Fenster den blauen Himmel sehen.
Und Thomas... er war über dem Steuer zusammengesunken. Blut sickerte aus einer Platzwunde an der Schläfe, und ein dumpfes Stöhnen kam aus seiner Kehle.
„Thomas...“ Es gelang Johanna, den Sicherheitsgurt zu lösen und sich zu dem geliebten Mann hinunter zu tasten. Mit zitternden Fingern streichelte sie sein Gesicht, rief immer wieder seinen Namen.
Thomas reagierte nicht.
*
Die Sonne stand hoch im Zenit, als der Verletzte endlich die Augen aufschlug und sich ein wenig unsicher umschaute.
Johanna hatte inzwischen Höllenqualen ausgestanden. Jetzt brannten ihre Augen von ungeweinten Tränen.
„Alles okay?“ Seine Stimme ließ sie zusammenzucken.
„Oh mein Gott!“ Jetzt endlich konnte Johanna weinen. „Endlich!“ Sie beugte sich über Thomas, küsste ihn auf die blassen Lippen.
„War ich lange bewusstlos?“ Thomas versuchte ebenfalls seinen Gurt zu lösen.
„Fast zwei Stunden. Ich... ich konnte dir nicht helfen.“ Wieder liefen Tränen über ihre Wangen.
„Nicht weinen“, bat Thomas. „Das kriegen wir alles wieder hin. Hauptsache, dir ist nichts passiert.“
„Ich bin o.k.“, versicherte Johanna. „Aber was ist mit der Maschine?“
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist was mit der Benzinzufuhr nicht in Ordnung. Deshalb auch das Stottern. Aber es kann auch ein Motorschaden sein. Na, ist auch egal. Machen wir erst mal, dass wir hier rauskommen.“
Kurze Zeit später lagen sie im Schatten eines Felsens und hielten sich umarmt. Langsam ebbte der Schock in Johanna nach, sie konnte Thomas’ Nähe, seine zärtliche Wärme wieder genießen.
„Was meinst du, wann Hilfe herkommen kann?“, fragte sie nach einer Weile.
„Das dauert bestimmt nicht lange. Man wird uns vermissen, und auf dem Radar sind wir auch nicht. Man wird merken, dass es keine Funkverbindung mehr gibt und bestimmt einen Suchtrupp losschicken. Ich denke, der wird sogar schon unterwegs sein. Keine Angst, Schatz.“
„Hab ich auch nicht.“ Johanna senkte den Kopf. „Wenigstens nicht davor, hier in der Wildnis vergessen zu werden.“
„Wovor denn dann?“ Er sah ihr fragend in die Augen.
Zärtlich strich sie über sein Gesicht, tastete vorsichtig nach der Platzwunde, die inzwischen nicht mehr blutete und zum Glück nicht allzu tief war.
„Ich... ich muss dir etwas gestehen, Thomas.“ Ihre Stimme klang flach und war kaum zu verstehen.
„Jetzt?“
„Ja. Denn morgen... morgen ist es zu spät.“
„Aber Darling! Morgen heiraten wir - egal, was kommt. Und wenn wir das müdeste Ehepaar sind, das je getraut wurde.“
Johanna senkte den Kopf. Wie schwer es war, die Wahrheit zu gestehen! Sie verfluchte sich selbst, dass sie sich überhaupt zu diesen Lügen hatte hinreißen lassen. Was war ihr nur eingefallen, Stefanies Stelle einzunehmen? Jetzt musste Thomas sie doch hassen...
„Du weißt, dass ich eine Zwillingsschwester habe“, begann sie vorsichtig.
„Natürlich! Sie lebt irgendwo im Norddeutschen, oder?“
Johanna schüttelte den Kopf. „Nein. Stefanie... sie lebt gar nicht mehr. Sie ist tot!“ Aus großen, brennenden Augen sah sie Thomas an.
„Aber Steffi... Darling... du lebst doch! Ich halte dich in meinen Armen.“ Er küsste sie liebevoll. „Das ist der Schock, nicht wahr?“
„Nein. Stefanie ist tot. Ich bin Johanna!“
Jetzt war es heraus. Endlich.
Obwohl sie sich vor der Reaktion des Mannes fürchtete, obwohl sie wusste, dass sie seine Liebe genau in diesem Moment verloren hatte, fühlte Johanna sich besser. Erleichtert. Sie konnte nun einmal nicht lügen, und es war ihr letztendlich unmöglich gewesen, ihr Lebensglück auf einer Lüge aufzubauen. Kurz bevor sie Thomas ihr Jawort geben konnte, hatte sie alles gesagt.
„Warum?“ Nur dieses eine Wort kam über die Lippen des Mannes.
„Warum...“ Johanna zuckte mit den Schultern. „Ich... ich hab’s einfach nicht fertig gebracht, dir weh zu tun. Du warst so glücklich damals, als du mich vom Flugzeug abgeholt hast.“
„Ich wollte Stefanie abholen!“
„Ja... aber sie ist tot.“ Ganz klein war ihre Stimme nun, und sie wagte es nicht, zu Thomas auf zu sehen. „Stefanie saß in der Unglücksmaschine aus Los Angeles. Und ich... ich kam aus Deutschland, weil sie mich zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Es sollte eine Überraschung für alle Hochzeitsgäste sein - und für dich. Wir als doppeltes Lottchen.“ Sie schluchzte auf. „So hat man uns früher immer genannt, weil wir uns total ähnlich sahen. Und jetzt...“
Tränen rannen über ihr Gesicht. Endlich konnte sie wirklich um ihre Schwester weinen, brauchte nicht länger die starke, glückliche Stefanie zu spielen...
Zart, kaum fühlbar streichelte Thomas über ihr Haar.
„Ich hab’s geahnt“, sagte er leise, und seine Stimme klang belegt.
„Was?“ Aus tränenfeuchten Augen sah sie ihn an.
„Dass du... also... irgendwie warst du verändert. Du warst nicht mehr die Stefanie, die ich kannte. Du warst weicher, zärtlicher, anschmiegsamer. Nicht so taff und selbstbewusst. Und...“ Er lächelte ein wenig. „Du warst eigentlich in allem so, wie ich mir eine Frau erträumt hatte. Stefanie kam diesem Ideal nahe, aber du..“ Jetzt legte er beide Arme fest um Johanna, bettete ihren Kopf an seine Brust und streichelte ihr Haar. „Du warst - du bist meine Traumfrau, Johanna.“
Sie konnte nicht antworten. Glück, dieses gewaltige Glücksgefühl, das sie auf einmal erfüllte, machte sie stumm. Außerdem waren da Thomas’ Lippen. Nah, dicht vor ihren. Als er sie küsste, glaubte Johanna im Paradies zu sein.
Motorengeräusch zerstörte die Idylle. Zwei Hubschrauber kreisten dicht über ihnen, und jetzt setzte der größere von ihnen zur Landung an.
Thomas sprang auf und gestikulierte wild mit beiden Armen. „Hierher!“, rief er. „Kommt hierher!“
Zwar hörten die Männer im Helikopter ihn nicht, aber sie sahen ihn, denn ganz in der Nähe ging die Maschine nieder, und gleich darauf sprangen zwei dunkelhaarige Männer heraus.
„Was ist passiert?“, rief einer noch im Laufen und kam rasch näher.
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es die Benzinpumpe.“ Thomas ging ein paar Schritte auf die beiden zu, schüttelte ihnen die Hände. Man kannte sich - so, wie sich viele Farmer in der unendlichen Weite dieses Kontinents kannten. Manchmal sah man sich wochen- oder monatelang nicht. Aber man kommunizierte übers Internet oder, wenn das nicht ging, per Funk miteinander. Wenn einer von ihnen Hilfe brauchte, war es für die anderen selbstverständlich, zu helfen. Man war stets füreinander da.
Johanna sah den Männern aus der Ferne zu. Sie konnte nicht mit ihnen reden, keine belanglosen Höflichkeitsfloskeln austauschen oder gar Witze über die „Rettung“ machen.
In ihrem Innern herrschte ein heilloses Durcheinander.
Thomas hatte ihr verziehen. Er liebte sie - liebte sie noch mehr, als er Stefanie geliebt hatte.
Durfte sie das wirklich glauben?
*
Als Johanna am nächsten Morgen erwachte, lagen Hunderte roter Rosen auf ihrer Bettdecke, und Thomas beugte sich über sie und küsste sie sehr, sehr zärtlich.
„Aufstehen, Faulpelz. Oder willst du dich vor der Hochzeit drücken?“
Johanna antwortete nicht, sie streckte nur die Arme aus und zog den geliebten Mann an sich. Endlich, endlich durfte sie ihre große Liebe wirklich genießen!
Vorsichtig, um die zarten Rosenblüten nicht zu zerstören, erhob sie sich wenig später und machte sich fertig zur Trauung. Sekundenlang tat es ihr leid, dass sie kein weißes, romantisches Brautkleid besaß, doch ein schlichtes cremefarbenes Kostüm, das sie aus Deutschland mitgebracht hatte, würde es sicher auch tun. Was zählten schon Äußerlichkeiten! Wichtig war nur ihr Glück mit Thomas.
Drei Stunden später war sie seine Frau. Ein glänzender goldener Ring steckte an ihrer Hand, und Thomas flüsterte ihr zu: „Und jetzt nichts wie weg hier!“
„Aber die Gäste...“
„Wir trinken noch ein Glas Champagner mit ihnen, dann kommt meine Überraschung.“
Und wirklich - niemand hielt sie auf, alle Anwesenden schienen zu wissen, was Thomas vorhatte.
Draußen wartete der Hubschrauber, der sei zum Flughafen bringen würde. Von dort aus ging es nach Bali.
Als Johanna endlich erfuhr, wo sie ihre Flitterwochen verbringen würde, war sie sprachlos. Bali war eines ihrer Traumziele. Sie hatte Thomas einmal davon erzählt, dass sie dieses Inselparadies im Indischen Ozean gern einmal sehen würde.
Und jetzt war sie hier! In Denpasar, der Inselhauptstadt, waren sie gelandet und von dort aus noch ein Stück mit dem Leihwagen gefahren, bis sie zu einem Ressort kam, das etwas außerhalb lag. Weitab vom Massentourismus, doch höchst luxuriös verbrachten sie drei wundervolle Wochen.
Es waren Tage voller Liebe und Glück, die so erfüllt waren, dass Johanna manchmal sogar Angst vor dem Neid der Götter bekam.
Doch Thomas ließ sie alle Bedenken rasch wieder vergessen. Wenn er bei ihr war, das wusste Johanna, konnte ihr nichts Böses geschehen. Noch dazu, wenn er sie innig umarmte und küsste...
ENDE