Читать книгу Eine Art von Zärtlichkeit - Sanja Luftiger - Страница 4
Im Einrichtungshaus getraut
ОглавлениеAntonia fuhr mit ihm zu einem Einrichtungshaus. Diesmal wolle er sich nur mit einem Store beschäftigen, sagte er. Wie die blickdichten Seitenteile aussehen sollten, würden sie am besten entscheiden, wenn sie das Sofa hätten. Das Sofa habe er schon bestellt, es würde in vier Wochen geliefert werden und er sagte, er wäre schon sehr neugierig, ob es ihr gefiele. Er lächelte in sich hinein und Antonia wusste nicht, ob vor heimlicher Freude oder vor Schadenfreude über ihre Empörung, was seinen Geschmack betraf.
„Ich weiß, dass wir nicht den gleichen Geschmack haben“, sagte er. „Das habe ich gleich gesehen. Sie halten sich für kultiviert, weil Sie mit Kunst und Kultur zu tun haben. Und Sie denken, was kann so ein blöder Arzt schon für einen Geschmack haben. Aber Sie werden sehen, das, was ich kaufe, passt zu mir und alles, was ich tue, hat mit mir zu tun.“
„Spielen Sie Golf?“, fragte Antonia.
„Natürlich“, sagte er, „das tun Ärzte doch. Außerdem: Sehen Sie mich an! Was meinen Sie, zu welcher Sportart ich sonst noch fähig wäre. Bei meinem Gewicht!“
„Was weiß ich. Zum Fischen vielleicht“, sagte Antonia.
„Höchstens zum Zuschauen beim Fischen,“ lachte er.
Auf der ganzen Fahrt zu einem Einrichtungshaus machte er keinen Versuch, Antonia zu berühren, er schien kein anderes Ziel zu verfolgen, als Vorhänge zu kaufen.
„Was stellen Sie sich vor“, fragte er.
„Ich weiß es nicht, aber ich frag mich das auch!“
„Ganz dünne, duftige, oder eher gröbere, schwerere.“
Es waren tatsächlich nur die Vorhänge, über die er sprach.
„Gröbere, schwerere würden eher zu Ihnen passen“, sagte sie.
„Aber zu Ihnen sollen sie auch passen!“
„Ich denke, da wird sich schwer ein Kompromiss finden lassen!“
„Es würde mich nicht stören, wenn Sie ein paar Kilo mehr hätten!“
„Mein Gewicht ist mühsam erarbeitet“, empörte sich Antonia.
„Das sieht man“, antwortete er.
Antonia beobachtete ihn. Wie er sich erkundigte, wie er mit der Verkäuferin redete, wie wichtig er herumtat, als würde er ein ganzes Theater kaufen und nicht nur einen Vorhang. Antonia beschränkte sich darauf, ihm zuzustimmen bei jenem Stoff, der ihm gefiel. Sie hätte bei jedem anderen auch zugestimmt, weil ihr dieser Vorhang egal war. Sie wollte etwas anderes. Sie wollte dahinterkommen, was dieser Mann eigentlich von ihr wollte. Und sie von ihm. War es tatsächlich nur die kuriose Situation, die sie interessierte? Der Vorhang musste noch genäht werden und das würde ungefähr eine Woche dauern.
„Eine ganze Woche“, schrie er und tat bestürzt.
„Wir haben noch andere Kunden, die Vorhänge nähen lassen“, sagte die Verkäuferin distanziert.
„Ja,ja, ist schon in Ordnung“, sagte er und zückte seine Visitenkarte, damit sie den Namen auf den Abholschein schreiben konnte. Ferdinand Hörner, fiel es Antonia ein. Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
„Sind Sie privat auch erreichbar“, fragte die Verkäuferin.
„Es genügt, wenn Sie in der Ordination anrufen. Notfalls läuft ein Band!“
„Oder soll ich die Gattin benachrichtigen, falls ich Sie nicht erwische“, blieb die Verkäuferin hartnäckig und schaute zu Antonia.
„Willst du?“, fragte der Mann, er sah Antonia ungerührt an.
Antonia winkte ab.
„Es bleibt bei der Ordination!“
Sie fuhren in die Wohnung. Er nahm sein Sakko vom Kindersitz. Sie sah, dass er einen Espressoautomaten auf den Kindersitz geschnallt hatte. „Habe ich bei Tchibo gekauft, sagte er, „war gar nicht teuer. Damit wir uns immer Kaffee machen können. Zum Beispiel, wenn Du vor mir dort bist. Dann kannst du dir schon einen Kaffee kochen und Dich auf den Balkon setzen.“
„Seit wann sind wir per Du?“, fragte Antonia.
„Seit wir Mann und Frau sind. Hast du es nicht bemerkt? Die Verkäuferin hat uns eben getraut!“
Antonia schwieg und überlegte, ob sie mit ihm auf den Boden gehen wollte oder nicht. Hatte er vor, mit ihr ein Doppelleben zu führen oder war es sein Trick, Frauen mit dieser in Aussicht gestellten Idylle gefügig zu machen?
Antonia ließ sich von ihm ausziehen und tat nichts, um ihm behilflich zu sein. Sie starrte auf diesen nackten, fetten Körper über ihr, auf die Wülste an den Hüften, auf den fetten Bauch, der es ihm nicht möglich machte, dass er sich auf sie legte. Er hätte sie zerdrückt. Er kniete vor ihr und hob ihre Hüften an und dabei schien er ganz auf sich selbst konzentriert zu sein.
Danach hatte er es eilig. Er lief ins Badezimmer und wusch sich, als müsste er sie abschrubben von sich, er sah auf die Uhr und stöhnte. Ein Termin, den er vergessen hätte. Antonia hatte den Eindruck, dass er es nur eilig hatte, von ihr wegzukommen. Er nahm sie ein Stück mit, hinaus aus der gefährlichen Gegend. Bei einer U-Bahn-Haltestelle setzte er sie ab, noch ein höflicher Kuss, um kein Wort über den Grund eines nicht gegebenen Kusses zu verlieren, kein Ich-ruf-dich-wieder-an, weg war er. Antonia stand auf dem Gehsteig. Sie hoffte, niemand habe gesehen, dass dieser Mann sie küsste. Sie hätte es nicht erklären können.
In den Verlag wollte sie nicht mehr, es war spät. Sie fuhr zum Kindergarten und setzte sich in ein Cafe. Sie wartete bis fünf und schrieb ihr Lektorat eines Stückes mit der Hand. „Sehr geehrter Autor, haben Sie vielen Dank für die Einsendung Ihres Manuskriptes. Ich habe das Stück mit Interesse gelesen, muss Ihnen aber leider mitteilen, dass wir uns nicht dazu entschließen konnten, es in unser Verlagsprogramm aufzunehmen. Die Gründe hierfür möchte ich im Folgenden kurz darstellen...“
Von ihrer Tochter wollte sie keine neuerliche Abfuhr bekommen.
Eine Woche später rief er sie an, als hätten sie einander beim Frühstück das letzte Mal gesehen. Die Vorhänge seien fertig und müssten abgeholt werden. In der Ordination sei nicht mehr viel los, in einer halben Stunde könnte er weg.
„Aber ich nicht“, sagte Antonia. „Ich habe eine Verlagsbesprechung, die noch zwei Stunden dauern wird!“
„Gut, dann hole ich die Vorhänge allein und wir treffen uns in der Wohnung“, sagte er. „Wir hängen sie dann gemeinsam auf.“
Antonia hatte Erdbeeren gekauft, obwohl es Herbst war. Eine teure, aber erstaunlich geschmackvolle Nachernte aus Spanien. Allein fuhr sie in die Vorstadt. Zuerst mit der U-Bahn und dann endlos lange mit der Straßenbahn. Sie läutete an der Torsprechanlage, aber nichts rührte sich. Er war noch nicht hier, und er ließ sie warten. Vor der Haustür. Sie war doch kein Hund, der sich auf den Fußabstreifer setzt und geduldig auf sein Herrchen wartet.
Sie rief ihn an, wo er bliebe. Sie hatte das Gefühl, ihm lästig zu sein, ihn zu stören, beim Essen oder was er gerade tat. Er sagte, er habe ein Problem, dass er aber nur fünf Minuten von ihr entfernt sei. Es klang nicht, als freute er sich auf sie, es klang, als fühle er sich bedrängt. Sie sah auf die Uhr. Die fünf Minuten waren um und auch nach zehn Minuten sah sie weit und breit nichts von ihm und seiner pferdestarken Kutsche. Sie hielt es nicht länger aus, vor allem nicht, begafft zu werden, von allen, die einen Schlüssel hatten, sie fühlte sich wie ein ausgesetztes Tier. Sie ging.
Eine Straßenbahn war in der Ferne zu sehen, als ihr Handy läutete. Wo sie denn geblieben sei, fragte er.
Sie sagte, dass sie es nicht gut fände, was sie hier tue.
„Wenn du jetzt gehen willst, dann geh“, sagte er, „und wenn du nicht gehen willst, dann komm zurück!“
„Ich bringe dir nur die leere Erdbeerschale, die Erdbeeren habe ich inzwischen allein gegessen!“
„Ich brauche keine Geschenke!“
„Ich will dich nicht bestechen!“
„Das kannst du auch nicht“, sagte er.
Mit trotzigen Schritten ging sie zum Haus zurück und läutete beleidigt.
„Wen erwarte ich noch zu so später Stunde“, sagte er und setzte sich in den Schneidersitz zurück, aus dem er wohl aufgestanden war, um ihr zu öffnen. Haken um Haken schob er in das Vorhangband.
„Du bist für diese Arbeit eher nicht geschaffen“, sagte er, ohne sie anzusehen.
Sie nickte. „Das hat schon meine Großmutter gesagt. Sie hat meine Hände in ihre Hände genommen, sie hat sie lange angesehen und dann hat sie gesagt: Das sind keine Hände, die für Arbeit taugen! Und ich habe mir gedacht: Wenn meine Oma das sagt!“
„Und? Was können diese Hände stattdessen“, fragte er, ohne aufzusehen.
„Ein Buch in die Hand nehmen und umblättern, eine Nummer ins Telefon tippen, eine Kinokarte lösen oder eventuell ein E-Mail schreiben.“
„Kann man davon leben?“
„Wer kann schon davon leben, Vorhänge aufzuhängen!“
„Muss man sich wirklich was einbilden drauf, wenn man nichts kann?“
Sie ging in die Knie und wollte ihn umarmen, einfach so, weil es ihr blöd vorkam, mit ihm zu streiten. Aber er schüttelte sie ab wie ein nasser Hund die Regentropfen.
„Lass mich, ich will das nicht. Ich will deine Nähe nicht. Ich habe mich bemüht, unsere Vorhänge zu holen, ich bin gerast wie ein Verrückter, ich habe alle Verkehrsübertretungen begangen, die möglich sind, ich habe Lastwagen geschnitten und rote Ampeln überfahren, nur damit du nicht warten musst. Und dann ist es einfach nicht gut, so wie es ist, weil die Gnädige ein paar Minuten warten musste!“
„Warum hast du nicht auf mich gewartet mit den Vorhängen. Und warum waren diese blöden Vorhänge wichtiger, als dass wir einander sehen? Glaubst du, für mich ist es so einfach, einen ganzen Nachmittag zu organisieren, mich aus einer Sitzung davonzuschleichen mit fadenscheinigen Gründen?“
„Aber das sind doch unsere Vorhänge!“
„Unsere Vorhänge? Das ist unser Nachmittag, an dem du mich vor deiner Tür warten lässt. Du benützt mich zum Einrichten Deiner Wohnung. Ich komme mir vor wie ein Gegenstand, der zu deinem Konzept einer Wohnung dazugehört. Außerdem hast du am Telefon kein Wort darüber gesagt, warum du nicht mit mir reden willst!“ Sie äffte ihn nach: „Ich habe ein Problem. Was heißt das schon. Wer hat kein Problem?“
Er hielt mit dem Auffädeln inne und zog sich zusammen. Er machte seinen Rücken krumm, und verschränkte seine Arme.
Er hatte sich zugeklappt, vornüber geklappt wie ein Taschenmesser, das keine Klinge mehr als Schneidefläche bietet.
Antonia spürte plötzlich den körperlichen Ekel, den er vor ihr empfand. Langsam zog sie ihre Jacke an. Er drehte sich nicht um, als sie ihre Tasche nahm. Er hockte immer noch zusammengesunken da und flüsterte: „Entschuldige. Ich kann nicht anders. Auch wenn es mir weh tut, auch wenn ich dir weh tue!“
„Ich gehe, bevor wir einander wirklich weh tun“, sagte sie und nahm auch ihre Jacke. Sie drehte sich nicht um, sie schaute nicht, ob er ihr nachblickte, als sie die Tür ins Schloß zog.
Antonia sah auf die Uhr. Der Kindergarten sperrte um halb sechs. Sie hatte noch etwas Zeit, aber Friederike erwartete sie mit in die Hüften gestemmten Armen. „Du bist zu spät“, sagte sie und nahm den Rucksack und die Jacke vom Haken. Antonia sah, dass Friederike das letzte Kind war, das abgeholt wurde. Sie entschuldigte sich. Aber Friederike redete nicht mit ihr. „Entschuldige“, sagte Antonia nochmals, „ich hatte eine Sitzung und kam nicht früher weg!“
Antonia wollte Sex mit ihm. Nun, da sie spürte, dass ihm Sex nicht das Wichtigste mit ihr war, wollte sie umso mehr Sex mit ihm.
Am liebsten hätte sie wortlos ihre Arme um ihn geschlungen, wenn er ihr öffnete, aber er wollte das nicht, er nahm sich zurück, wenn sie stürmisch wurde, er wollte sie ansehen, wollte mit ihr reden, ihr das neue Bild zeigen, das er für die Wohnung gekauft hatte. Ein kitschiger Wasserfall, da gab es nichts zu deuten, vielleicht beruhigend für eine HNO-Ordination, aber Antonia hätte sich so etwas niemals in ihre Wohnung gehängt. Er hatte sich Begeisterung von ihr erwartet, und sie sagte, für ein Boudoir sei es ganz passend, aber mit ihr hätte es nichts zu tun.
Sie ging aufs Klo. Er fragte, ob sie die Tür offen lassen könnte beim Pinkeln. Sie wollte wissen warum, ob es ihn errege. „Im Gegenteil“, sagte er, „Es ist eine Form von Vertrautheit, wenn man voreinander pinkelt.“
„Aber geht nicht die Erotik verloren, wenn zuviel an Vertrautheit aufkommt?“ wollte sie wissen. Er sagte, dass es das Erregendste sei, wenn man jede Reaktion des anderen genau kenne.
Er stellte sich in die Tür, und redete und er sah ihr zu, wie sie versuchte, sich auf der Muschel zu entspannen. Er sah ihr zu, wie sie sich mit dem Papier zwischen die Beine fuhr und redete weiter. Sie hatte, auch wenn sie ihn beobachtete, wie er sie beobachtete nicht das Gefühl, dass er ihr zusehen wollte, weil es ihn erregte. Sie hatte den Eindruck, dass er gar nicht an ihren Körper dachte, während er davon erzählte, dass die Möbelfirma einen Monat Lieferverzug habe und er zwei Drittel des Geldes für das Sofa schon bezahlt habe und dass sie noch sechs Wochen auf dem Boden sitzen müssten. Auch wenn der Boden weich war, mit dem Hochflorteppich, aber eine schöne Couch wäre ihm doch lieber, in seinem Alter. Ihr war es egal, sie mochte es wie im Letzten Tango, und sie merkte, dass sie ihn mochte, weil er eine Art von Zärtlichkeit hatte, die beinahe kindlich war. Er wollte sie nicht erobern, er setzte sich wie ein großer, fetter, tapferer Schneider auf den Boden und wartete, was passierte. Sie mochte nicht spielen und sich verweigern, sie hatte plötzlich solche Lust auf ihn, sie zog sich aus, sie küsste ihn, sie forderte seine Zunge heraus, sie mochte seine Zähne, seinen Geschmack, sie saugte seine Zunge ein, als wollte sie ihn essen, in kleinen Bissen, und er fuhr ihr mit der Hand zwischen die Beine, so gefühlvoll, dass sie aufschrie und sich an seinen Fingern rieb, während sie sich an ihn klammerte und in seiner Schulter verbiss.
Er hatte ein Fingerspitzengefühl dafür, mit dem richtigen Druck an den richtigen Stellen zu streicheln und erst, als er auf diese Weise alles gut durchfeuchtet hatte, ließ er einen Finger in sie hineinschlüpfen. Sie bog sich durch und gab sich ihrem Rhythmus hin und seine Hand folgte ausschließlich ihrem Tempo, er ließ sie bestimmen, wann sie sich aufbäumte oder ihm entgegenglitt, auf seinem anderen Finger, den er dafür ausgelegt hatte.
Ihr nahendes Ende war nun nicht mehr aufzuhalten, und er wollte ihr Gesicht dabei sehen, es reizte ihn, die Veränderung in ihrem Ausdruck zu beobachten.
Sie brach auf seiner Hand zusammen und atmete schwer, ihr Herz raste und er strich ihr über den Rücken, ließ sie erst wieder zu Kräften kommen, bevor er ihr Gesäß mit beiden Händen ergriff und es auf sein Gesicht zog. Er begann an ihr zu essen wie an einer Khaki, die auf Druck nachgab, und es kam ihr vor, als wollte er sie einverleiben in sich, er hatte sie als Seelenfresserin bezeichnet und ihr wurde nun klar, dass er ein Körperfresser war, und sie wusste nicht, wie viel von ihr übrigbliebe, danach.
Antonia saß in ihrem schmalen Zimmerchen mit dem hohen Fenster und machte Licht. Sie hörte, dass im Nebenzimmer telefoniert wurde. Sie war unkonzentriert beim Lesen. Das Stück war nicht gut, aber das war nicht alles. Sie wusste, dass Ferdinand seinen ordinationsfreien Nachmittag hatte und Antonia hatte alles so organisiert, dass sie jederzeit weggehen konnte. Auch das Abholen von Friederike hatte sie geregelt. Sollte sie es bis fünf nicht schaffen, würde die Mutter eines anderen Kindes Friederike mitnehmen und Antonia würde sie von dort abholen. Sie machte sich Notizen, schrieb auf, was sie dem Autor schreiben wollte: „Im ersten Akt wird ein pessimistisches Zukunftsszenario entworfen: Die fortgeschrittene Gentechnologie hat eine Generation emotional gleichgültiger und berechnender Menschen mit standardisierten Biographien hervorgebracht, für die exemplarisch der Arzt und insbesondere die Schwester in ihrem unbeteiligten Zynismus stehen. Die hier angelegte Parallele Krankenhauspersonal – Schauspieler bzw. Krankenkasse – Kulturpolitik wirkt allerdings zu forciert, um überzeugen zu können.“
Er rief an. Aber nur, um ihr mitzuteilen, wie dringend er unterwegs sei, in die Putzerei und dann müsse er noch bei der Firma Schneiders vorbeischauen, ob sie einen Kaschmirmantel hätten, und die Schier müssten natürlich auch noch zum Service gebracht werden. Natürlich. Er rief an, um ihr mitzuteilen, was er alles zu erledigen hatte, während sie alles erledigt hatte, um für ihn Zeit zu haben. Es schien ihm selbstverständlich zu sein, dass er nach Lust und Laune bestimmte, wann sie einander sehen würden und wann nicht, er schien nicht einmal zu begreifen, dass sie ein Problem damit hatte.
„Ich habe daran gedacht, wie wenig Zeit ich habe, da habe ich gleich für dich mitgedacht, ich habe gewusst, dass es dir zu wenig wäre!“
„Du brauchst nicht für mich denken“, sagte Antonia. „Ich kann selber denken, und ich weiß selber, wann genug Zeit für mich ist und wann nicht!“
„Natürlich will ich dich sehen“, sagte er.
„Ich dich auch“, antwortete sie. „Aber nicht als Notfallsprogramm!“
„Ich habe eine Stunde Zeit!“
„Mein Tag ist sowieso schon vertan“, sagte sie. Antonia nahm sich vor, ihm die Gründe darzulegen, warum ihr sein Verhalten unmöglich erschien.
„Für eine Intellektuelle bist du ziemlich wenig umsichtig“, sagte er, nachdem sie in den ersten Stock des Sportgeschäftes gelaufen war, während er am Eingang auf sie gewartet hatte.
„Ich dachte, du seiest bei den Schiern“, sagte sie. „Außerdem schauen Intellektuelle nicht, sie denken. Wenn ich eine richtige Intellektuelle wäre, dann wäre ich gar nicht gekommen!“
„Da bist du für eine Intellektuelle aber ziemlich dumm!“
„Das Gescheiteste, das eine intellektuelle Frau tun kann ist: no man, no cry.“
Sie ging mit ihm in das einzige schöne Kaffeehaus, das sie in der Gegend kannte und er bestellte sich gleich eine Portion Palatschinken, nur weil er sie auf einer Tafel angepriesen sah, und für sie auch eine.
Sie wollte aber keine. Er schlang seine Palatschinken hinunter und konnte es nicht ertragen, dass sie nicht aß. Er versuchte sie zu füttern und sagte: „Ich bin ein Kind der Nachkriegsgeneration. Ich habe gelernt, aufzuessen!“
„Ich auch“, sagte Antonia und presste den Mund zusammen, als er sich mit seinem Löffel näherte. „Aber ich habe mit viel Mühe gelernt, es nicht mehr zu tun! Fünfzehn Jahre habe ich dafür gebraucht!“
„Fünfzehn Jahre“, sagte er und schob den Löffel mit der Palatschinke in den eigenen Mund, „da bin ich längst tot!“
„Vielleicht nicht, wenn du es bis dahin lernst, nicht aufzuessen.“
„Komm, ich muss gehen. Eine Antwort gebe ich dir draußen!“
„Diese Antwort kenne ich. Du wirst mich in den Verkehr stoßen, damit du mich los bist!“
„Woher weißt du das?“
„Ich sehe es in deinen Augen. Außerdem habe ich es schon immer gewusst. Von Anfang an.“
Sie gingen zu seinem Auto und dann küsste er sie auf offener Straße, als wären sie ein Liebespaar im Teenageralter. Sie konnte es sich nicht verbeißen, sie musste ihm sagen, dass sie ihn mochte und er lachte und fuhr ihr wie einem Kind durch die Haare und antwortete: „Das weiß ich doch!“
Sie presste ihren Kopf an seine Brust wie ein Hund, den das Herrchen verlässt und sie sagte: „Also dann, bis irgendwann“, und er lachte wieder und sagte ebenfalls: „Bis irgendwann einmal.“
Er schaute in den Rückspiegel und winkte ihr, aber er drehte sich nicht um und sie ging weg, und sie fühlte sich wie eine getretene Hündin.
„Mama, du bist so still“, sagte Friederike. Sie hockten auf dem Wohnzimmerboden und spielten Mensch-ärgere-dich-nicht.
„So, bin ich das?“, fragte Antonia.
„Ja, du fragst mich nicht einmal was. Du fragst nicht, wie es im Kindergarten war, was wir gemacht haben, was wir gegessen haben und so.“
„Du willst es mir doch nie sagen! “
„Aber ich möchte trotzdem, dass du fragst!“
Antonia hatte beschlossen, ihm keine SMS mehr zu schreiben. Sie merkte, wie sie die Geschichte Kraft kostete, das Warten auf seine Anrufe, das Warten auf seine SMS, ihre absurde Einteilung des Tages, in der Hoffnung, er könnte Zeit für sie haben. Sie hatte sich geärgert, gestern. Ein Kollege wollte mit ihr essen gehen, zu Mittag, und über ein Manuskript mit ihr reden, in dem er ein großes Potential eines Autors sah. Antonia hatte abgelehnt, weil sie hoffte, Ferdinand hätte für sie Zeit. Sie erzählte dem Kollegen zwischen Tür und Angel, warum sie das Stück für hausbacken und beinahe reaktionär hielt. Der Kollege war sauer, weil sie ihn einfach abfertigte, und sie war dann ebenfalls sauer, weil Ferdinand nicht einmal angerufen hatte.
Am nächsten Vormittag piepste ihr Telefon. „Bitte um ein SMS. Du Krokodil meines Herzens.“
Ein anderes Mal hätte sie seine literarischen Versuche vielleicht lustig oder sogar rührend gefunden. Aber in ihrem Wunsch, aus der Sache herauszukommen, sah sie nur das Krokodil in ihm, das an ihrem Herzen fraß und fraß, bis er es aufgefressen hatte.
Sie wollte ihm weh tun, sie wollte seine Aggression herausfordern, damit er ihr auch weh tat, so richtig, damit sie von ihm lassen konnte.
„Nicht ich bin das Krokodil“, schrieb sie. „Du isst Frauen wie schnelles und schlechtes Essen!“
Er schrieb zurück: „Ich verstehe deine Reaktion nicht auf den schönsten Liebesbrief meines Lebens!“
„Es tut mir leid, es geht mir nicht gut“, schrieb sie. „Ich warte zuviel und lebe zu wenig!“
„Das wird sich ändern“, schrieb er.
„Wie? Wann?“
Er schrieb zurück: „Wenn du mich nicht verstehen willst, kannst du mich auch nicht verstehen!“
Sie antwortete ihm: „Ich will, aber ich zweifle, ob ich es kann. Zweifelst du nie?“
Und sofort kam die Antwort: „Nein, aber ich irre oft!“
Sie schrieb: „Ich zweifle lieber öfter und irre seltener. Außerdem macht es mir angst, dass du oft irrst!“
Sie meinte, die Wut in den Buchstaben zu sehen, mit der er sie in das Display gedrückt hatte, als sie las: „Ich habe Ordination!!!“
„Die hattest du doch die ganze Zeit!“
„Ordination bedeutet Konzentration auf medizinische Belange. Der Mensch irrt, so lange er strebt. Punkt.“
Auf ein Goethe-Zitat, das er so recht und schlecht zusammen gebracht hatte, musste sie antworten, es wäre ihr als Frevel erschienen, es nicht zu tun. Trotz des Punktes, den er so deutlich gesetzt hatte und schnell schrieb sie die schönste Liebeserklärung, wie sie meinte, die sie in ihrem ganzen Leben geschrieben hätte:
„Habe nun, ach Philosophie durchaus studiert...gemeinsam wären wir ein hübsches Fäustchen!“
Darauf kam nichts mehr Geschriebenes, nur ein erboster Anruf, später, wie schwachsinnig ihre Meldungen doch gewesen wären und welche Wut er auf sie gehabt hätte. Wie sehr er sich über sich selbst ärgere, dass er sich in seiner Arbeit habe ablenken lassen, anstatt sich zu konzentrieren, und dass er sich selbst nicht verstünde, warum er immer wieder zum Telefon gelaufen sei und auf ihren Unsinn geantwortet habe.
Sie verstummte. Ihre Liebeserklärung war nicht nur verpufft und verblasen, er hatte sie nicht einmal wahrgenommen. Antonia legte auf und schickte per SMS ein „Schade“ hinterher und er schrieb zurück: „Ebenfalls schade!“
Antonia war am Wochenende allein. Friederike war bei ihrem Vater. So wie jedes zweite Wochenende, seit der Scheidung. Sie hatten nicht sehr gestritten um das Kind, sie hatten sich bemüht, vernünftig zu sein, wegen des Kindes. Das änderte aber nichts daran, dass es furchtbar weh getan hatte, als er gekommen war, und gesagt hatte, dass er ausziehen wolle und eine andere Frau habe, mit der er nun leben möchte. Und er bot wenig Angriffsfläche, damit sie ordentlich hätte zurückschlagen können. Er überließ ihr die schöne Drei-Zimmer-Altbauwohnung und zahlte die Alimente in jener Höhe, die ihr Anwalt gefordert hatte. Er versuchte nicht zu feilschen, oder sie finanziell zu betrügen. Er wusste, was er ihr und dem Kind angetan hatte und zu seiner Verteidigung hatte er nur gesagt: „Es tut mir Leid. Aber ich kann nicht anders!“
Alles war so klar und so überlegt von seiner Seite, dass jeder Versuch Antonias, um ihn zu kämpfen, in Mitleidsgesten endeten, die er für sie übrig hatte. Sie sah Mitleid in seinen Augen, wenn er mit ihr essen ging, weil sie es wollte, Mitleid, wenn er sie begleitete, als sie eine neue Jacke für Friederike kaufte. Sie hatte genug von diesem Mitleidsblick, sie wollte sich nicht länger lächerlich machen, wenn sie schon die Demütigung des Verlassenwerdens ertragen musste.
Antonia fragte sich, ob sie es wolle, dass Ferdinand sich für sie scheiden ließe, aber sie konnte sich ein Zusammenleben mit ihm nicht vorstellen. Sie wusste überhaupt nicht, ob sie je wieder bereit wäre für soviel Nähe zu einem Mann. Sie war der Meinung, dass ihr die unkomplizierte Nebenrolle der Geliebten genügte, und sie mochte ihrem Kind auch noch keinen Zweitvater vorstellen. Aber nicht einmal den Part der Geliebten gestand ihr Ferdinand zu.
Am Montag meldete er sich, bevor sie ein SMS ausgedacht hatte. Aber nur, um ihr zu sagen, dass er sie eigentlich nicht anrufen wollte.
„Weil du nichts mehr von mir wissen willst“, sagte sie.
Das stimme so nicht, antwortete er, der Grund, warum er sie überhaupt anrufe, sei der, dass sie keine Bestätigung für das hätte, was sie denke.
Sie wolle aber nicht unter ihm leiden, sagte Antonia, wie sie überhaupt unter niemandem leiden mochte, der nicht einmal wahr nahm, dass sie litt. Gleichzeitig hörte sie sich am Telefon betteln, ob er wenigstens eine Stunde Zeit für sie hätte. Sie sah zu, wie sie aufsprang, wie sie alles liegen und stehen ließ, nur weil er zu einem Treffen bereit war, damit sie endlich Ruhe gebe. Sie sah sich zu, wie sie ohne Erklärung aus dem Verlag stürmte, wie sie die Menschen auf der Rolltreppe zur U-Bahn umrannte, wie sie sich in die U-Bahn an den Menschen vorbeidrängte, wie sie jeden zornig ansah, der sich Zeit ließ beim Einsteigen, wie sie sprungbereit beim Ausgang stand, und dann die Rolltreppe hinaufhastete und zwei Stufen auf einmal nahm, wenn es ging auch drei. Dann übersah sie ihn vor lauter schnell, schnell, um bei ihm zu sein.
Ihr Handy läutete: „Wo bist du jetzt? Du bist an mir vorbeigerast!“
„Hurra“, rief sie, „ich habe dich übersehen. Wie schön. Hättest du gedacht, dass ich dich übersehen könnte?“
Was sie hier als Provokation von sich gab, war aber tiefe Wahrheit. Es war ihr Bild von ihm, dem sie nachjagte. Im richtigen Leben erkannte sie ihn nicht einmal, wenn er sich vor ihr aufpflanzte. Sie sah ihn an und war enttäuscht. So sah er also aus, der Mann, wegen dem sie schlaflose Nächte hatte und wegen dem sie die Welt nur mehr aus der Ferne wahr nahm. Groß, dick und mit einem spöttischen Zug um den Mund. Die Arme viel zu kurz für diesen großen, massigen Körper, die Füße nach auswärts gerichtet, weil die Schenkeln aneinander rieben, watschelnd, sie sah nichts, was ihn attraktiv erscheinen ließ, er war niemand, den sie ausgesucht hätte. Kein Haarbusch, in dem man wühlen konnte, dicke kurze Finger, ein klobiger Arm, zwei klobige Arme, und dann der Bauch, dieser enorme Bauch.
„Was willst du?“ fragte er.
„Dich nicht mehr wollen, Ruhe finden, wieder etwas anderes wollen, dich nicht mehr sehen müssen wollen!“
„Du kannst jederzeit gehen!“
„Kann ich nicht. Das weißt du und das nützt du aus!“
SMS sind die wahrhaftigen Liebesbriefe, dachte sie. Sie halten genau so lange, wie sie vom Gefühl her Geltung haben. Danach verschwinden sie sang- und klanglos, so wie die Emotionen, mit denen sie geschrieben worden sind.
Antonia hatte dem Cheflektor ein Stück gebracht, von dem sie meinte, dass man es ins Programm nehmen sollte. Das sichere Sprachgefühl der Autorin hätte sie überzeugt, die subtilen Wortspiele und Vergleiche hätten ihr genauso gefallen wie die mehrdimensional gezeichneten Figuren und die charakterlichen Entwicklungen. Er nahm das Manuskript einigermaßen neugierig entgegen und bat sie, sich zu setzen. Der Cheflektor hatte ein Bedürfnis, über die Laokoon-Gruppe und über Lessings Theorie über das Wesen der Plastik zu erzählen. „Es geht darum, den entscheidenden Moment zu erfassen und der entscheidende Moment ist der Moment der Entscheidung zu einer großen oder schrecklichen Tat.“ Er fing an, über die Unterschiede zwischen einer Skulptur und einem Theaterstück nachzudenken. Dann bekam er einen Anruf, dass Tankred Dorst gestorben sei und der Cheflektor war tief betroffen, da er ihn gut gekannt hatte und den ersten Nachruf formulierte er in Antonia hinein, unzusammenhängend, aber sehr berührt und Antonia ließ ihn reden, bis in den Mittag hinein, sie hatte kein Telefon bei sich und musste sich nicht zwingen, kein SMS zu schreiben, sie musste nicht auf Ferdinands Anruf warten und auch nicht unkonzentriert über ihren Manuskripten hocken. Als der Cheflektor endlich auf die Uhr sah und in die Zeit zurückkehrte, ging sie in ihr Lesezimmer zurück und erledigte Telefonate. Ein Anruf von Ferdinand war nicht aufgezeichnet. Sie hielt es nicht länger aus und sendete ihm ein SMS: „Tankred Dorst ist tot und mir geht es auch schon ziemlich schlecht!“ Den Autor ihres modifizierten Zitates würde er sowieso nicht wissen.
Sie saß da und wartete. Keine Reaktion. Sie saß da und sah sich an seinen Lippen hängen. Einmal noch an seinen Lippen hängen, dache sie, einmal noch möchte ich ihn küssen, und ihn dann verlassen, dachte sie.
„Sehnsucht“, drückten ihre Finger nun hastig ins Telefon. Aber auch das half nichts. Vielleicht hatte er gerade viel zu tun, und wurde von außen bestimmt, und sie beneidete ihn darum, und sie beneidete alle darum, deren Tage sosehr von außen bestimmt werden, dass sie keine Zeit haben, über sich und über ihren Irrsinn nachzudenken.
Ihr war schlecht vor Sehnsucht und sie startete einen letzten Hilferuf: „Das Krokodil braucht (Herz)Futter. Sonst muss es sterben.“ Und endlich, endlich sein Anruf.
„Meine unheilige Inquisition“, sagte er. Er hatte zwei Stunden Pause und war auf dem Weg zum Würstelstand. Er würde noch fetter werden, und sie wusste nicht, wie viel Fett sie an ihm noch aushalten würde. Sie sehnte sich nach dem Tag, an dem sie ihn nicht mehr begehrenswert fände. Sie wollte endlich wieder Ruhe finden, sie wollte sich nicht mehr nach diesen aufgestülpten Lippen, nach dieser Zunge sehnen, sie wollte endlich wieder etwas anderes sein als eine nach diesem Fleischberg lechzende Kreatur.
„Kann ich dich sehen“, fragte sie.
„Komm in die Wohnung“, sagte er. Sie schwieg, weil sie schlucken musste.
„Wenn du mich sehen willst, komm in die Wohnung“, wiederholte er.
Sie haute ab. Ohne ein Wort verschwand sie aus dem Verlag, und sie dachte, mein Gott, wie lange wird das noch gut gehen, bis es auffällt. Die U-Bahn, die Straßenbahnhaltestelle, ungeduldig wie ein überreiztes Pferd trabte sie hin und her, da rief er an, er schien ihr ebenfalls ungeduldig, und sie bat ihn, er möge ihr doch entgegenkommen, und sie ging ihm entgegen und er fuhr ihr entgegen, und sie flegelten einander an, und er meinte, dass sie einander lange nicht gesehen hätten, und sie war verwundert darüber, dass er es bemerkt hatte.
„Der Grund ist, dass ich dich nicht sehen wollte“, stellte er sofort jede Zufälligkeit außer Zweifel. Sie wollte endlich diesen Mund küssen und ihr fiel nichts ein, was er ihr hätte antun können, um sie davon abzubringen.
Er fragte sie, ob sie einen Kaffee wolle, und sie sagte „ja“, weil sie das Gefühl hatte, dass er gern einen Kaffee brauen wollte. Sie konnte an nichts Eß- oder Trinkbares denken und schon bei der Herfahrt hatte sie gebangt, weil er nach einem neuen Sushi-Lokal Ausschau gehalten hatte, und sie gehofft hatte, dass er doch nicht Sushi essen wollte mit ihr, denn dafür hatte sie nicht alles liegen und stehen gelassen, nicht einmal den Computer hatte sie ausgeschaltet, fiel es ihr ein.
„Ich mache für dich Kaffee, und du fragst nicht einmal, ob du mir helfen könntest“, sagte er.
Sie sah ihn erstaunt an, was es denn beim Kaffeemachen zu helfen gäbe.
„Du könntest mir einmal einen Kaffee machen“, sagte er und schüttelte sie ab, als sie ihn von hinten umarmen wollte.
Sie schlug sich an den Kopf. „Entschuldige, aber darauf wäre ich nie gekommen!“
„Wie viel Zucker?“
„Zwei“, sagte sie.
„Warum zwei?“
„Ich wusste nicht, dass du beim Zucker sparen willst!“
„Weißt du“, sagte er, „ich frage mich die ganze Zeit, was es ist, das dich an mir reizt. Ich denke es ist, dass ich deine Spiele nicht mitspiele!“
„Dafür spiele ich deine“, sagte sie trocken.
„Du verachtest Männer, weil sie sind, wie sie sind. Du denkst dir, die wollen nichts anderes als ihr Ding irgendwo hineinstecken.“
„Stimmt doch“, sagte sie.
„Natürlich stimmt es“, sagte er und sah auf die Uhr. „Ich muss in zwanzig Minuten wieder in der Ordination sein.“
„Nein“, schrie sie auf und war zornig, sie zeigte auf den Kaffee, „dafür hast du mich hierher rasen lassen?“
„Es geht nicht, ich muss wirklich weg!“
Antonia begriff, dass es beinharte Strategie war. Er hatte sie in die Wohnung gelockt, um dann nicht mit ihr zu schlafen. Er wollte ihr zeigen, dass er nicht ihrem Bild entsprach. Sie küsste ihn und sie hätte am liebsten ein Stück von seiner Zunge abgebissen und geschluckt, als verinnerlichte Reliquie.
„Lass mir meine Zunge“, er spürte, was sie vor hatte. „Ich brauche sie noch!“
„Wofür?“
„Um Patienten zu beschimpfen.“
„Da ist es für dein Überleben besser, wenn ich sie dir abbeiße.“
„Ich möchte die Wohnung verkaufen.“
Er schaute genau, wie sie reagierte. Sie schwieg. Wenn sie ihm die Zunge abgebissen hätte, wäre jetzt der richtige Moment gewesen, um sie auszuspucken, ihm vor die Füße zu speien, dachte sie.
„Was meinst du dazu? Wenn ich dafür noch eine Wohnung in meinem Haus kaufe, bin ich Mehrheitseigentümer!“
„Willst du meine objektive oder meine subjektive Meinung hören“, fragte Antonia.
„Zuerst die objektive!“
„Wirtschaftlich ist es nicht sinnvoll, diese Wohnung zu behalten, für das bisschen Sex, soweit ich das beurteilen kann!“
„Und subjektiv?“
„Das sage ich dir nicht!“
„Du sagst es mir!“
„Willst du mich in Zukunft noch sehen?“
Er lachte.
„Du hast es dir mit mir einfacher vorgestellt, stimmt es?“
Er lachte.
Sie fand es nicht lustig. „Warum hast du mich angequatscht? Einfach so. In der Ordination. Machst du es immer so?“
Er lachte wieder.
„Was bekomme ich für die Wohnung, wenn ich alle Investitionen zusammenrechne?“
„Nicht mehr, als du bezahlt hast. Du weißt selbst, dass nur die Gegend zählt!“
„Komm, wir müssen Wäsche waschen!“
„Gib hier das Pulver rein“, sagte sie.
„Ich würde es woanders hineingeben!“
„Vertrau’ mir wenigstens in dieser Sache!“
„Ich gebe zu, ich handle nur nach Gefühl und Intuition!“
„Du handelst nur nach deinem Instinkt“, sagte sie.
„Ist vielleicht besser als dein Verstand!“
“Dreh den Waschmaschinenanschlusshahn auf!“ sagte sie.
Wasser strömte ein.
„Das Pulver ist in der richtigen Lade“, sagte sie, „du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass ich noch oft recht haben werde, auch wenn dir das gar nicht recht sein wird!“