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Gestrandet

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Wir schreiben das Jahr des Herrn 1799. Mein Name ist Celine de Bienbaiser. Ich bin vor einigen Wochen an einem fremden Gestade gestrandet, irgendwo in der gottverlassenen Weite des Pazifiks, und habe das Paradies gefunden.

Ich schreibe diese Zeilen im Bewusstsein, dass sie niemals ein Mensch zu lesen bekommen wird, denn was ich hier berichte, würde meinen Ruf so nachhaltig beschädigen, dass ich zu Lebzeiten niemals mehr gesellschaftsfähig würde.

Und dennoch muss ich davon berichten, denn diese Tage auf der Insel haben mein Leben so nachhaltig verändert, dass ich ein anderer Mensch, ja, sogar ein neuer geworden bin.

Mein Schiff war auf dem Weg von unserer Forschungsstation auf Maliv'aa zur größeren, aber bislang kaum erforschten Insel Kavuba. Mein Mann ist der Forschungsreisende Charles de Bienbaiser, mit dem ich die letzten drei Jahre kreuz und quer durch Polynesien gesegelt bin, um die Inseln zu kartographieren und die Ureinwohner zu studieren.

Während Napoleon versuchte, aus Ägypten eine französische Provinz zu machen und den Zugang zu den fruchtbaren Äckern am Nil sowie die Vormachtstellung levantinischen Handel mit Gewalt zu sichern, versuchten wir auf die elegante Art, der Welt die französische Lebensart näher zu bringen und Bande zu knüpfen.

Mein Gatte Charles hatte Anfangs nicht verhehlen können, wie gerne er Teil der Commission des sciences et des arts gewesen wäre, die Napoleon Bonaparte ins Leben gerufen hatte. 167 Wissenschaftler, Künstler, Ingenieure, Schriftsteller und viele andere Experten auf ihren Fachgebieten waren mit der französischen Invasionsarmee nach Ägypten gereist, um das Land der Pharaonen zu beschreiben und zu kartographieren.

Charles war nicht einberufen worden, stattdessen nahm man Ingenieure wie Jacques-Marie Le Père und Verwaltungsbeamte wie Gaspard de Chabrol mit, die das Land vermessen sollten. Vermessen, statt es zu verstehen, hatte Charles immer wieder geschimpft. Sie könnten die Höhe der Pyramiden bestimmen, aber es seien Ethnologen nötig, um zu verstehen, wieso man sie gebaut hatte.

Der Groll hielt einige Monate an, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein reicher Gönner eine zweijährige Forschungsreise der Magnifique finanzierte. Die Magnifique war ein Stagsegelschoner mit drei Masten, der mit seiner Takelage hart am Wind segeln konnte und ideal für schnelles Kreuzen zwischen den polynesischen Inseln. Wir folgten der umgekehrten Route von Louis Antoine de Bougainville, dem ersten Franzosen, der einmal um die ganze Welt gesegelt war. Von Brest aus stachen wir in See, umschifften das Kap der guten Hoffnung, durchquerten den indischen Ozean, machten Station auf der Ile de France und erreichten einen Monat später Batavia.

Von dort aus erkundeten wir die millionenfache Inselwelt von Polynesien, kartografierten, und, was noch viel wichtiger war, lernten wir die unberührten Einwohner kennen, deren Existenz durch die vielen Missionare, Matrosen und Maladien bedroht wurde. Wir dokumentierten ihre Kultur, bevor diese von Sklavenhändlern und Krankheiten ausgelöscht würde.

Immer weiter westwärts führte uns unser Weg. Wochenlang kreuzten wir auf der Magnifique zwischen den Inseln, entdeckten neue, menschleere Gestade, trafen auf wilde, uns feindlich gesonnene Eingeboren und auf die freundlichsten Wesen unter der Sonne. Eine Woche nach unserer Abfahrt von Samoa gerieten wir in einen heftigen Sturm und kamen vom Kurs ab. Ich muss gestehen, dass ich nicht unschuldig daran bin, dass ich über Bord gegangen bin, denn unvorsichtigerweise verließ ich die Kajüte, in der mein Mann und ich untergebracht waren, weil ich mir Sorgen um Charles gemacht hatte.

Charles ist schon etwas älter, und er ist seit unserer Hochzeit nicht nur mein Ehemann, sondern auch mein Beschützer gewesen. Eine meiner Freundinnen in Paris, meine geliebte Sophie, hatte schon früh vermutet, ich habe in Charles eher eine Vaterfigur gesehen und sei mit meinen einundzwanzig Jahren eher so alt wie seine Tochter, wenn er denn eine gehabt hätte.

Und jetzt, drei Jahre nach unserer Hochzeit, muss ich eingestehen, dass sie Recht gehabt hat. Charles sah in mir auch nicht viel mehr als eine Begleiterin, eine Assistentin, die ihm mit Korrespondenz und Archiv zur Hand ging. Unser Eheleben, nun ja, ich erröte, wenn ich diese Zeilen schreibe, war etwas unterentwickelt.

Um genau zu sein, haben wir nur ein einziges Mal das Bett geteilt, und das auch nur… ach, das gehört nicht hierher.

Ich war auf der Suche nach Charles, der sich an Deck begeben hatte, um dem Kapitän einen neuen Kurs zu überbringen. Tapfer kämpfte sich unser kleiner Schoner durch die aufgewühlte See. Blitze zuckten über den Himmel, es donnerte krachend. Die Magnifique krängte und die Wogen gingen hoch, um uns nur schwarze Nacht voller Regen und tosenden Wellen, die sich bestimmt mehrere Fuß hoch türmten.

Einer dieser Brecher, so muss ich also gestehen, donnerte auf das Deck, riss Fässer aus der Verankerung, und das war meine Rettung, denn gerade als ich dachte, dieser riesigen Woge entkommen zu sein, stürzte ein weiterer Brecher auf mich ein und riss mich von den Beinen.

Plitschnass war ich mit einem Male, durchnässt biss auf die Haut unter meinem dünnen Kleid. Ich taumelte, die See ging hoch, ich schlitterte über das Deck, schluckte salziges Wasser und prallte gegen die Reling. Ich schrie, aber der Sturm riss mir die Worte von Lippen. Die nächste Woge, die über das Deck rauchte, wurde mir zum Verhängnis. Ich wurde wie ein Stück Treibholz von Bord gespült. Oben war unten, die letzten Lichter an Bord verschwammen hinter Wasserschleiern, und dann stürzte ich in die tobende See.

Tief tauchte ich ein, dachte, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Das Wasser schlug über meinem Kopf zusammen, ich strampelte mit den Beinen, verlor meine Schuhe. Das nasse Kleid wurde zum Ballast, der mich in das tiefe, dunkle Meer zu ziehen drohte, doch auf mirakulöse Weise brach ich mit letzter Kraft durch die Wasseroberfläche.

Mein schlimmster Alptraum wurde wahr. Ich befand mich in einem tiefen Wellental und sah noch, wie unser Segelschiff im fahlblauen Licht eines zuckenden Blitzes auf der Spitze einer monströsen Welle taumelte, bevor es in der Dunkelheit verschwand.

Ich wurde von einer Welle nach oben getragen, etwas stieß gegen meinen Kopf, Wasser peitschte mir ins Gesicht, ich spuckte und hustete, schnappte nach Luft, ging unter, griff nach dem, was mich getroffen hatte, und bekam eine Leine zu fassen.

An dieser Leine, und das war meine Rettung, an die ich in diesem Augenblick der Verzweiflung und Todesangst, mit Tausenden Ellen Wasser unter meinen strampelnden Beinen kaum noch geglaubt hatte, hingen zwei Holzfässer, die gut kalfatert dem Untergang in die tiefe See trotzten.

Ich klammerte mich an das Seil, wickelte es mir um mein Handgelenk und rief um Hilfe, schrie, bekam Wasser in den Hals, musste husten und erkannte Angesichts des tobenden Sturms die Sinnlosigkeit dieses Vorhabens.

Niemand würde mir helfen, außer mir selbst. Alsbald zog ich mich mithilfe des Seils auf die beiden, eng zusammengebundenen Fässer, die mich wie ein kleines Floß auf den Wellen trugen.

Ich fror entsetzlich, mein nasses Kleid klebte mir am Körper, und Regen, Wellen und Gischt peitschten mir ins Gesicht. Um mich herum nur der tosende, pechschwarze Sturm, gelegentlich erhellt von ein paar zuckenden Blitzen.

Irgendwann ließ der Wind nach, die Wogen wurden niedriger, und ich fiel in einen erschöpften Schlaf.

Ich träumte, ich sei in einem riesigen Garten und müsste die Namen von Blumen bestimmen, die ich noch nie gesehen hatte. Charles war in diesem Garten, doch er hielt sich im Hintergrund. Ein fremder Mann zeigte mir immer wieder gänzlich unbekannte Blüten und Blumen, deren Namen ich beim besten Willen nicht sagen konnte, und der Mann wurde wütend.

Hilf mir, dachte ich im Traum, hilf mir Charles, warum hast du mich nicht besser darauf vorbereitet, doch Charles verschwand.

Als ich aufwachte, wusste ich, noch ehe ich die Lider hob, dass ich gerettet war, denn das unaufhörliche Schwanken, das Schaukeln auf der Dünung hatte aufgehört.

Ich schlug die Augen auf.

Noch immer lag ich zusammengekauert auf den beiden Holzfässern, die von der Strömung und durch göttliche Bestimmung an einen langen, weißen Sandstrand gespült worden waren.

Der Strand war viele Schritte breit, bevor er in einem sehr grünen Palmengürtel versandete. Dahinter erhob sich ein dichter Urwald. Ich war mir sicher, dass es sich bei diesen Gestaden um eine Insel handelte, da wir weit, weit entfernt vom nächsten Kontinent auf Reisen gegangen waren.

Ich sah zurück über meine Schulter. Ich war auf einem Atoll gestrandet, ein schmaler, aus der Distanz zerbrechlich wirkender Korallengürtel schützte die Lagune, die türkis schimmernd und friedlich vor mir lag, als habe nicht vor wenigen Stunden noch ein furchtbarer Sturm gewütet.

So weit das Auge reichte erstreckte sich das tiefblaue Meer hinter dem Korallengürtel, über den mich in der Nacht eine Welle getragen haben musste.

Ich erhob mich von meinen Fässern, die mir das Leben gerettet hatten. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen war es noch früher morgen, aber sie brannte bereits jetzt so erbarmungslos von einem azurblauen Himmel, dass ich mich bald nach einem Schluck Wasser sehnte.

Gestrandet, dachte ich. Und sofort erfasste mich eine große Angst. Es gab tausende Inseln in dieser Region des Pazifiks. Wie würde mich hier jemals irgendjemand finden? Und würde mich überhaupt jemand suchen, war es nicht aussichtslos gewesen, dass ich in diesem Sturm im Meer hätte überleben können?

Ich schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. Vielleicht gab es hier Menschen, die mir helfen konnten. Vielleicht hatte ich schon, durch einen Zufall, der an göttliche Intervention grenzte, Kavuba erreicht.

Ich raffte mein Kleid, grub meine Zehen in den weißen, weichen Sand, und wollte gerade am Strand entlanglaufen, als ich die Frau zwischen den Palmen sah.

Sie war nackt. Ihre Haut hatte eine Farbe, die nicht so blass wie die der Europäer war, aber auch nicht dem dunkelbraun der sonstigen Ureinwohner dieser Region entsprach. Es war eher ein bronzefarbener Hautton, der mich fesselte.

Menschen. Ich war nicht auf einer einsamen Insel gestrandet. Mein Herz wollte vor Glück beinahe zerspringen. Ich hob die Hand zum Gruß. Die Frau, die zwei Kokosnüsse in den Armen hielt, erschrak, und noch ehe ich die Palme erreichte, war sie im dichten Urwald verschwunden.

Ich bin kein ängstlicher Mensch, auf meinen Reisen mit Charles habe ich schon immer mit fremden Kulturen Kontakt gehabt, aber irgendetwas machte mich in diesem Moment misstrauisch und vorsichtig.

Ich beschloss, am Strand entlang zu gehen anstatt der Frau in den tiefen Urwald zu folgen. Vielleicht stieß ich noch auf einen Hafen, in dem mich ein französisches Missionarsschiff oder ein Handelssegler aufsammeln und zurück nach Batavia bringen konnte. In dieser Region wurden viele der Eingeborenen eifrig zu sittsamen Christen konvertiert, um den heidnischen Gebräuchen Einhalt zu gebieten. Dazu gehörte auch, sich sittsam zu kleiden und nicht wie hier, in schamloser Nacktheit vor die Augen der zivilisierten Europäer zu treten.

Zum Glück, so dachte ich, hatte ich schon einiges gesehen in den vergangenen Monaten, so dass mich nichts mehr auf das Entsetzlichste schockieren konnte.

Wie sehr hatte ich mich doch getäuscht. Ich hatte in meinem Leben, so würde mir erst später klar werden, noch gar nichts gesehen.

Kaum jedoch hatte ich mich umgedreht, um zurück zum Spülsaum zu gehen, hörte ich Äste krachen, laute Stimmen, und schließlich brachen vier Männer aus dem Urwald.

Sie trugen Speere. Auch sie waren nackt und ihre bronzefarbene Haut glänzte in der Sonne.

Ich blieb stehen. Mein Herz schlug bis zum Hals.

»Bonjour«, sagte ich selbstbewusst und hob die echte Hand.

Die Männer musterten mich und wiesen wortlos mit ihren Händen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Was sollte ich schon machen? Ich folgte ihnen.

Gestrandet auf der Lustinsel

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