Читать книгу Ein Kreis aus Salz - Sarah Beicht - Страница 5

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Nachtaktiv

Ich bin eine Statue, geschlagen aus Marmor – hart, kalt, glatt und schön. Du bist ein Künstler. Wir sind ein gutes Team. Meine Haut klebt unter deinen, deinen Fingern, unter deinen Fingernägeln. Hmm. Ein letztes Mal fährst du darüber mit deiner rauen Katzenzunge, über Unebenheiten, polierst, schmeckst den Staub und jeden Riss. Das sollte es gewesen sein. Du hauchst meinen Oberarm hinauf, an meiner Kinnlinie entlang. Hast mich erschaffen ohne Sockel, ohne Grund, dafür mit reichlich Liebe zum Detail. Wie eine Schönheitskönigin stehe ich da, mit Tränen in den Augen, eine Schärpe um den Hals gewickelt, aufgespießt auf Kleiderbügeln wie ein wunderschöner Schmetterling.

Ella hast du mich genannt, dabei heiße ich Elisabeth, aber das hat dir nicht gefallen und eigentlich wollte ich schon immer anders heißen. Also Ella. Ich hingegen sage nur Schatz zu dir, denn das bist du ja, ein Schatz, mit einem Gebiss aus Perlen und Haaren aus Gold. Mit wippendem Schritt und steigendem Stolz mit jedem Klick. Ein Schatz eben. Kostbar und köstlich. Wenn man keinen Zucker isst, schmeckt selbst ein Brötchen süß.

Aber das macht mir nichts, du schmeckst ja trotzdem und gemeinsam kommen wir auf den Geschmack, auch wenn du manchmal spucken musst, weil du so viel nicht mehr verträgst, so viel Mensch, so viel Licht. Meist gehen wir nur noch nachts vor die Türe, wenn alles dunkel ist, fällt es dir leichter. Ich hake mich dann ein, hänge an deiner Angel wie ein glitzernder Regenbogenfisch und schwimme in deinem Fahrwasser, seit du mich Kiel gelegt hast. Ein Schiff ohne Anker und Rettungsboote. Frauen und Kinder zuerst, von Statuen war nie die Rede. Wir lassen uns treiben. Triebhaft, in den sich spiegelnden Eisbergen auf den Fluten der bernsteinfarbenen Drinks.

Am Anfang ging es langsam: ein Blick über den Flur, ein verpasster Bus, ein fast gehauchter Kuss beim Abschied vier Uhr morgens an der Unterführung zu Gleis drei. Doch schnell hast du gemerkt, dass ich nicht schüchtern bin, im Gegenteil, dass ich Karaoke singen und Lügen spinnen kann. Es dauerte nicht lange und du zeigtest mich herum wie ein seltenes Abziehbildchen und ich freute mich. Es ist noch gar nicht lange her und mit dir rauszugehen ist immer noch ungewohnt, seltsam, aber das machen wir schon, so wird das eben gemacht und du bist schließlich da, bei mir. Wir rauschen durch die Wochenenden, King und Königin der Nacht, von einer Explosion zur nächsten, an meinen Augen zieht ein Film vorbei, ein Streifen voll mit leeren Einstellungen, und du, du, du bist der Regisseur. Ich weiß nicht wohin mit meinen Armen, Beinen, tentakelartig, darum schüttele ich alles, was ich habe, versuche standzuhalten, presse meine Saugnäpfe auf dein Gesicht, es ist der Alkohol, der mich letztendlich beruhigt. Durchatmen, die eisigkalte Luft dort draußen trifft mich mitten ins Gehirn, gesplittert wie mit Schrot geschossen. Eingegossen in meinen Mund hinein fließt es an den Austrittswunden wieder hinaus und ich werde zur Fontäne, ein Springbrunnen, und du bist der, der nachschenkt, weit über den Füllstrich. Wir sprudeln, prickeln, jede Nacht, und dann fahren wir wieder heim, du stellst mich zurück in die Vitrine und legst dich dann ins Bett und schläfst, schal geworden vom vielen Schütteln. Bis es am nächsten Tag wieder von vorn losgeht.

»Ella«, sagst du dann immer. »Ella, Maus, es geht nicht mehr. Mir fällt die Decke auf den Kopf und durstig bin ich auch. Kommst du mit? Du weißt, dass ich ohne dich nicht gerne feiern geh.« Jeden Abend sagst du das beinah und ich sage dann: »Schatz, von mir aus, wenn du magst. Dann gib mir nur noch eine Stunde und ich bin bereit für dich, für diesen Abend.« Und das muss man dir lassen, die sechzig Minuten merkt man dir nicht an, die du geduldig auf der Couch sitzt, die Schnürsenkel noch offen und wartest, bis ich mich fertiggemacht habe.

Das geht dann meistens so, dass ich kurz in mich hineingehe und mit einer Stimmung wieder herauskomme, mit einem Gefühl, wer ich denn heute wieder sein möchte. An den allermeisten Tagen ist das einfach Ella, deine Ella. Ich komme also heraus und wähle das passende Kleid dafür. Lasse es über meinen Körper fließen und feile mir die Füße spitz, dornenspitz zu, damit sie in die hohen Schuhe passen. Dann betrete ich das Badezimmer, putze mir die Zähne, schabe sie mir strahlend weiß, »Schatf, geht ef dir noch gut foweit?« – »Mhm«, kommt abwesend zur Antwort, und ich fahre mit einer Klinge über meine Achseln, Schenkel, Beine, bis sie glatt und glitschig sind, glitschig von dem ganzen Blut, das hinausdrängt, wenn man auch die Wurzel mit herausschneidet. Dann widme ich mich meinem Gesicht. Ein hübsches Mädchen weiß nicht so wie ich, dass es lange dauert, bis man wieder zum Menschen wird, bis man als Artgenosse anerkannt und akzeptiert wird und nicht mehr fremd riecht. An meinen Haaren muss ich nicht viel machen, sie sind immer top gepflegt, und ich muss sie nur über meinen blanken Schädel spannen, sodass auch sicher nichts verrutscht. Noch schnell ein bisschen Rouge und Nude, ein bisschen Leben ins Gesicht, dann stelle ich mich in den Türrahmen, stemme eine Hand in die Hüfte, die andere an den Kopf. Die Zeit ist abgelaufen. »Na, wie seh’ ich aus?« Du stolperst auf mich zu, nickst anerkennend, ein Mal, zwei Mal, und dann drehst du mich im Kreis, um mich von allen Seiten anzusehen. »Na wunderbar, dann können wir ja!« Und du schließt ab, gehst mit mir zum Cabrio und lässt bei heulendem Motor das Verdeck schon mal hinunter. Am Rückspiegel baumelt eine Taschenuhr und tickt. Dann setzen wir uns endlich in Bewegung. Aus dem Labyrinth der kleinen Gässchen hinaus, bohren wir uns durch den Feierabendverkehr, rasen durch die Straßen, bis wir auf dem Landweg sind, nimmersatt und aufgebläht von den Erwartungen an diese Nacht.

Ich werfe den Kopf nach hinten und schließe die Augen, während der Wind mir an den Kleidern zerrt. Dein Blick, tiefer als die Nacht, schielt zu mir hinüber, eine Hand an der Kupplung, die andere am Lenkrad. Ich drehe am Radioknopf herum, damit es endlich lauter spielt, ich kann das Motorenheulen nicht ertragen. »He, Vorsicht, Ella«, sagst du, als plötzlich der Scheibenwischer angeht und aus einer Düse Putzmittel in unser Cabrio spritzt. Du grinst, ich grins dir nach, dann werden wir halt gewaschen, sei’s drum. Die Hände reiß ich nach oben, lasse mich zurückfallen, als spielte ich ›Engelchen flieg‹. Dann schnappe ich zusammen wie ein Klappmesser, winde meine Arme um deine Schultern, schlängle mich in den Ausschnitt deines T-Shirts und du versuchst, die Augen auf der Straße zu halten. Immer weiter ziehe ich dich auf meine Seite, atme in dein Gesicht, du siehst mich nicht, und ich, ich lege langsam eine Hand an das Lenkrad, ranke mich fest darum wie Efeu und steuere ein bisschen gegen, schau die Leitplanke, kommt sie nicht allmählich näher? Du atmest schwer, dein Fuß drückt das Pedal tiefer, tiefer, du willst bremsen, aber er liegt immer noch auf dem Gas. Ich lache schallend, lasse dich los und lange über das halb offene Fenster zum Außenspiegel, biege ihn in meine Richtung, bis mein Gesicht zur Gänze darin erscheint. Ich ziehe Kajal aus einem kleinen Handtäschchen und male mir damit einen schwarzen Balken über die Augen, damit mich niemand mehr erkennen kann. Biege mir die Wimpern mit einer kleinen Zange ganz nach oben, bis sie fast zum Himmel reichen. Lippenstift, den brauch ich nicht, wenn ich nervös bin, beiße ich die Lippen blutig. Du legst mir eine Hand an die Wange, »Ella, Ella«, sagst du und biegst endlich ein, lenkst den Wagen auf einen kleinen Feldweg, lila und grün geschlagen, vom harten Pinselduktus der Abenddämmerung. Du wirst langsamer. In der Ferne ist schon dieses Haus, zu dem wir fahren, es ist hell erleuchtet, pulsiert vor Licht, und du und ich, wir fliegen darauf zu.

Als du den Wagen geparkt hast, steigen wir aus, ich stemme mich hoch und schwinge meine Beine über das offene Verdeck. Über den rollenden Kies versuchen wir geradeaus zu laufen, es staubt, und Steine wirbeln vor uns auf. Der Lack meiner Schuhe zerkratzt und auf der Schwärze deines Anzugs legt sich ein blassbrauner Schimmer ab. Drei schieferne Stufen geht es hinauf und ich ziehe an einer Glocke, deren Griff geformt ist wie ein umgedrehter Flamingokopf. Das Haus ist nicht groß, nicht sonderlich, aber es steht als schiefer Zahn selbstbewusst in diesem Feld zwischen den kerzengeraden Bäumen. Uns wird die Tür geöffnet, ein Mann lässt uns herein, den niemand hier beim Namen kennt. Die Rahmung der Tür gibt den Blick frei auf blühende Mädchen und geschwollene Jungen, deren Wangen und Arme und Zungen auf Geländern aus Mahagoni liegen, die Sekt aus den Mündern ihrer Freunde trinken und dort, ganz hinten im Garten aus Purpur und Weiden, in den beleuchteten Swimmingpool springen. Du lässt meine Hand los und trittst ein, greifst von einem vorbeihuschenden Tablett zwei Old Fashioned, stößt an und trinkst sie beide gleich auf einmal. Du fährst mit dem Ärmel über deinen Mund, drehst dich auf dem Absatz um zu mir. Unsere Blicke verknoten sich und dann nimmst du mich wieder bei der Hand und ich ziehe mir die Schuhe aus, werfe sie in eine Ecke, ich will kleiner sein als du, will mich strecken, dich umarmen, dir die Hände um den Nacken legen. Auf dem Schachbrett der Fliesen spielen wir Dame und Pferd. Überall, wohin ich mich bewege, folgst du mir, umspringst mich, zwei geradeaus und eins nach rechts, Walzer. Ich habe Spaß an diesem Abend und du bist stolz, bist dort mit mir, und ich lasse dich glänzen. Wir tanzen, ich auf Spitze und du Brisé, deine Knöchel schlagen aneinander wie Libellenflügel. Wir winden, wirbeln uns, das Schachbrett dreht sich zur Spirale. Das Haus scheint sich gegen den Uhrzeigersinn, gegen uns zu drehen und mir wird allmählich schlecht. Mein Brustkorb krampft sich fest zusammen, als zöge mein Herz an meinen Rippen, zieht sie immer näher zu sich ran, möchte auf ihnen spielen, schlagen, ganz im Takt zum wummernden Beat. Ich schließe die Augen und meine Hände werden zu Klauen, meine Haare zu Federn und ich fliege, bis ich falle. Und du stürzt mit mir ab, wir landen auf dem Boden, hart wie Stein, und aus mir bricht es heraus: »Schatz, ich muss mich hinlegen.« Es dauert eine Weile, bis meine Worte durch die Watte deiner Sinne ins Gehirn dringen. »Okay.« Du ziehst mich hoch an einem Arm, wirfst mich über deine Schulter und trägst mich die Treppen hinauf. Ich bin steif, aus Porzellan, lediglich meine Ellenbogen und Knie funktionieren noch und mit den Augen kann ich rollen, sie tasten an der Wand entlang, suchen einen Punkt sich festzuhalten. Du bringst mich in die Küche und setzt mich auf die Anrichte, schließt ab. Dann kommst du zurück zu mir, du erträgst es nicht allein zu sein und lässt dich auf die Fliesen sinken, meine weißen Füße schlagen gegen deine Schulter. Nach einer Weile versuchst du halb im Schlaf mein Kleid ein wenig ›zurechtzurücken‹, wie du sagst, hoch über mein Knie zu schieben, doch du kommst nicht weit, ich lege meinen Fuß auf deine Hand und bohre einen Zeh in deine Haut. Auf meinem Körper, da sind Wachstumsfugen, Silber und auch Gold, ich bin groß geworden, größer als meine Marmorhaut ertragen konnte. Du lässt die Hand wieder sinken und schmiegst stattdessen deine Wange an den Kühlschrankgriff. Ich fahre mit einer Hand durch deine blonden Haare und lehne meinen Kopf mit leerem Blick an die Mikrowelle. So bleiben wir sitzen, wir sind jung, wir sind verschämt, an die Tür hämmern Bässe, Gäste und Kopfschmerzen.

Irgendwann hört es dann auf zu klopfen und der Himmel erbricht sich in die Morgendämmerung. Alles ist so blau um uns herum und du ziehst leise an meinen Zehen. »Ella«, flüsterst du und ziehst dich stöhnend an einem Geschirrhandtuch auf die Füße. Stützt die Fäuste rechts und links von meinen ab und versuchst mich wachzustupsen mit deiner Nase an meinem Kinn entlang. Eins meiner Lider klappt quietschend nach oben, es schmerzt, und gibt den Blick auf ein trübes Auge frei. Ich lege einen Arm um deine Schultern und wir stützen uns gegenseitig auf dem Weg ins Erdgeschoss. Wir wanken die Stufen hinab, zwei Kleinkinder auf erster großer Erkundungstour. Vorbei an Menschen, ja Kindern, die auf dem Boden verstreut liegen, ausgebildet, ausgeblutet, wo sind denn ihre Eltern? Die Luft draußen trifft uns wie ein Hammer auf den Kopf, schlägt Kerben in unsere Schläfen und macht uns wieder klar für den Moment. Ich umfasse deine Taille, ziehe deinen Kopf zu mir heran, gebe dir ein Küsschen auf die Stirn, du hast es dir verdient. »Kannst du fahren, Schatz?«, frage ich und du legst den Kopf schief, deine Augen sind geschlossen, lächelst. »Wie ein Weltmeister«, sagst du und wir steigen in das Auto, während die Nachtschwärze langsam verblasst, nur der Mond leuchtet noch am Himmel wie der Schein einer weit entfernten Taschenlampe. Du drehst den Schlüssel, erst nach rechts, zwei Mal, dann hart nach links und der Motor springt stöhnend an. Ich ziehe die Knie an mein Kinn, die Fahrt geht los.

Auf der Landstraße ist nicht viel Verkehr an diesem Ende einer Nacht und du fährst wie mechanisch, um uns beide schnell nach Haus zu bringen, zu unserem wohlverdienten Schlaf. Es dauert nicht lange und du stützt die Stirn auf eine Hand, den Blick nur vage geradeaus gerichtet und ich bin ganz versunken, konzentriert, nach langen Nächten wird mir sehr leicht schlecht. Du löst einen Finger vom Lederlenkrad und fährst damit über die verwischten Konturen meines Gesichts. Vor uns fährt ein Traktor, den Anhänger voll beladen mit Zuckerrüben. Du scherst aus, überholst, willst wieder einscheren, genau, präzise, wie ein Faden das Nadelöhr durchstößt, wie das Ticken der Uhr am Rückspiegel. Doch nichts dergleichen, dieses Mal tickst du nicht richtig und wir prallen plötzlich zusammen mit einem daherrasenden LKW, dessen aufgedruckten Slogan ich nicht mehr rechtzeitig erkennen kann.

Wir landen auf der Straße, du und ich gemeinsam, unsere Körper gemalt auf den Asphalt. In unseren Augen zeichnen Rot und Chrom ein Farbenspiel, der Blick blind vom ungebremsten Reiten auf dem Wind. Die Münder reißen auf – laut weit schön – um das Wummern zu übertönen. Und um uns liegen Glassplitter wie Glitzerstaub. Mit dem ersten Sonnenstrahl ist unsere Party dann vorbei. Wir werden abgeholt, wie zwei Sextaner von der Kinderdisco, rasch, bedingungslos, als wäre der Zapfenstreich schon längst verstrichen. Was bleibt, sind zerlaufene Polaroids, abfotografiert mit dem Handy, und geteilt unter unseren Freunden, Bekannten und Verwandten. Und letztendlich – werde ich wieder zu Marmor, mein ganzes Leben, jede Nacht zusammengefasst von einem kleinen Strich zwischen dem ersten und dem letzten Schrei.

Ein Kreis aus Salz

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