Читать книгу Ein Kreis aus Salz - Sarah Beicht - Страница 6

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Der kleine Tod

Meine Freundin hat Humor, sie ist die, die bei Beerdigungen kichert. Sie muss so sehr lachen, dass es von den hinteren Reihen aussieht, als weine sie, was ihr mitleidvoll unter ihrem Ellenbogen zugesteckte Taschentücher einbringt. Sie ist ein ganz schlechter Gast bei Beerdigungen. Die Luft ist da immer so vollgeladen von der ganzen Trauer und den Tränen und dem Tamtam um Tanten, die einfältig und betrunken sind, dass ich nur einen ganz kleinen Funken brauche, eine missverständliche Bemerkung, und ich könnte mich totlachen, sagt sie und blättert gedankenverloren in den Nachrufen. Ich sitze ihr gegenüber, rühre Honig in meinen Tee und nicke ihr abwesend zu. Es ist ein ziemlich kalter Morgen und allmählich wird es mir in meinem Bademantel ein wenig frisch untenrum. Die Heizung lässt uns nun schon geschlagene zwei Wochen kalt, unsere Badewanne steht aufrecht an der Wand und aus dem Radio berichten die Nachrichten von einem Wohnungsbrand und einem potenziellen Sommergewitter.

Marie blättert, ich rühre. Um zwanzig nach neun recke ich die Arme nach hinten, strecke mich ausgiebig und krachend und erhebe mich mit einem erschöpften Stöhnen. »Schatz, ich würde mich mal so langsam fertigmachen. Dann können wir vorher noch eine Kleinigkeit besorgen und sind immer noch vor Onkel Manni da, hört sich das gut an?«, frage ich. Marie blickt nicht auf: »Na das sollte ja kein Problem sein. Der war ja schon zu Lebzeiten zu spät.« Ich lache und schlurfe ins Schlafzimmer, um mir Hose und Hemd anzuziehen. Es ist zerknittert, aber so ist das eben bei Hemden. Die bekommt man auch mit noch so viel Bügeln nicht geglättet. Ich betrachte mich im Spiegel und befinde mich für gut, ich mag mein zerknittertes Hemd. Es hat Charme. ›Schirm‹, denke ich, ›Heute soll es noch regnen.‹ Ich lobe mich selbst für so viel Weitblick und gehe mir die Zähne putzen. Wie auch immer man es dreht und wendet, ich werde den Gedanken trotzdem nicht los, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Marie hüpft den Flur entlang und wirft mir eine Kusshand zu. Ich versuche sexy zu zwinkern, komme mir aber dämlich dabei vor und ihr verdammt nochmal auch. Es hilft nichts, der Zahnpastaschaum, der aus meinen Mundwinkeln tropft, ist nicht gerade der Verführung dienlich. Mein Zahnfleisch blutet und meine Zunge schmerzt. Schlucken tut weh und vom Reden will ich gar nicht anfangen, aber das brauche ich auch heute alles nicht. Wenn alles gut läuft, setze ich mich in die letzte Reihe, lege die Hand auf Maries Knie und genieße die Vorstellung. Vielleicht schiebe ich ihr auch ein Taschentuch unter dem Ellenbogen durch.

Gerade als ich meine Jeans zugeknöpft habe, kommt Marie ins Zimmer und hält sich eine Hand an den Kopf, während sie die andere in die Hüfte stemmt. Sie sieht hübsch aus, ihr gefällt die Rolle der trauernden Witwe. Ihr Rock aus schwarzer Spitze geht ihr bis kurz über die Knie, den Stehkragen ihres Oberteils finde ich persönlich ein bisschen übertrieben, aber mein Gott, solange sie auf den Schleier verzichtet, soll mir das recht sein. Es ist schön, sie so zu sehen und ich überlege mir kurz, die ganze Veranstaltung abzusagen. »Du siehst schön aus«, sage ich, ziehe sie ins Schlafzimmer und lasse sie eine Pirouette drehen, dabei nicke ich anerkennend. Was mir das bringt, ist ein Kuss auf die Wange. Marie weiß, wie es funktioniert und ich weiß genau, was ich dabei zu tun habe. Dann lässt sie mich wieder alleine mit meiner essenziellen Frage des Tages: Fliege oder Krawatte.

Ich entscheide mich für Weste, denn für Onkel Manni trag ich nur das Beste und mache mich wieder zurück in die Küche, wo noch ein Frühstücksei darauf wartet, von mir enthauptet zu werden. Ich wiege den Eierschalensollbruchstellenverursacher schwer in der Hand, befinde ihn für eine der besten Erfindungen seit Menschengedenken, und setze ihn bedächtig an. Schön mittig auf der spitzeren Rundung muss er sitzen, sonst quillt zu viel Eigelb aus den Rissen im Kalk. Nachdem ich dem Ei die Augen verbunden habe, nehme ich die schwere Metallkugel, schiebe sie langsam nach oben und lasse sie feierlich fallen. Es knackt kurz, ich freue mich. So etwas braucht die Menschheit. Genüsslich trenne ich den Schädel meines weichen Freundes von seinem Rumpf, erteile ihm mit Salz die letzte Salbung und verspeise ihn zum Frühstück. Marie hat unterdessen begonnen, sich, ihren Teelöffel als Spiegel benutzend, Wimperntusche aufzutragen und erfreut sich nun ebenfalls an meiner kulinarischen Hinrichtung. Ich kenne sie zu gut, als dass sie ihre morbiden Vorlieben vor mir hätte verbergen können. Außerdem musste sie lauthals lachen, als ich meinem Ei mit Edding eine schwarze Augenbinde aufgemalt hatte. Ich kenne sie einfach viel zu gut.

Das Telefon klingelt und Marie zuckt kurz, bleibt dann aber sitzen. Ich stehe auf und gehe gemütlich zur Kommode, während es immer noch penetrant klingelt. Bedächtig sehe ich auf das Display, drehe mich um und gehe wieder in die Küche zurück, wo ich mein Werk vollende. »Wer war’s?«, fragt sie. »Bestimmt meine Cousine oder irgendwer aus der Familie. Die will bestimmt nur rumheulen oder spionieren, ob du auch wirklich mitkommst. Ich kannte die Nummer aber nicht. Von so einem Anruf lass ich mir mein Frühstück jetzt bestimmt nicht verderben«, sage ich, klopfe dabei energisch auf den Tisch und verschütte damit meinen Orangensaft. Ich werfe mein halb ausgelöffeltes Ei in die Biotonne und beginne langsam, mein Hemd aufzuknöpfen. Die Fruchtsäure klebt und ätzt sich durch meinen Ärmel, so dass es sich fast anfühlt, als würden meine Blutbahnen zum orangenen Aderlass gebeten. Marie wirft mir ein Küchenrollenpapier über den Tisch zu und nimmt dann den Hörer ab, der schon wieder durch penetrantes Geläut auf sich aufmerksam macht. Während ich mich im Schlafzimmer um meine äußerliche Unbeflecktheit bemühe, höre ich, wie sie kurz seufzt und dann leise dem Hörer erklärt, dass das keine gute Idee sei und sie, wenn sie an der Stelle des Hörers wäre, doch Schluss machen würde, weil das alles ohnehin keinen Sinn mehr hätte. »Glaub mir, es ist besser so. Du hast getan, was du konntest und nun ist die Zeit des Abschieds gekommen. Was du jetzt tust, sind lebenserhaltende Maßnahmen, du machst es damit für keinen von euch beiden leichter. Lass ihn endlich gehen!«, sagt sie und legt auf. »Heulsuse«, murmelt sie. Ich lehne im Türrahmen und ziehe mir die Weste über mein frisches und letztes Hemd. »Das war Lara, oder?«

»Jap, die Beziehung war eh schon auf dem Scheiterhaufen, bevor sie richtig begonnen hat. Das war eben übrigens auch Lara, sie wollte mich nach dem festesten Galgenknoten fragen. Ich habe ihr davon abgeraten. Alles wegen so einem Idioten.« Ich nicke verständnisvoll und ziehe galant meine Kettenuhr aus der Westentasche. »Oh weh, wir werden zu spät kommen«, entfährt es mir und mit eiligen Schritten rauschen wir die Wendeltreppe unseres Kaninchenbaus hinunter, hin zur Tiefgarage neben den Mietshäusern.

Wir steigen in ihren kanariengelben Mini Cooper, den mit den Flügeltüren hinten, und machen uns über die Geschwindigkeitsbegrenzung hinwegsetzend auf den Weg zum Friedhof. Während der Fahrt stelle ich das Radio neu ein, so dass fröhliche Musik aus den Lautsprechern klingt. ›Das ist ja hier kein Trauerzug‹, denke ich und summe entschieden mit. Im Takt klopfe ich auf das Armaturenbrett und wir rollen flockig locker Like a Prayer durch die Innenstadt. Jede Ampel wird zum Discolicht, jeder Fußgänger ist mein Fan. Madonna singt die Zweitstimme, während ich dem Publikum gebe, wonach es verlangt: eine Performance, wie sie keine Kreuzung je gesehen hat. Dann passiert es. Wir haben gerade die Hälfte der Strecke zurückgelegt, ich habe eine grüne Welle, bin auf der Überholspur des Lebens und das Lied geht zu Ende. Aus dem Nichts höre ich dröhnenden Schlagerpop und sehe aus dem Augenwinkel, wie Marie am Regler herumdreht. »Weißt du, was ich an diesem Auto mag?«, fragt sie plötzlich, als sie das Radio schließlich frustriert ganz ausstellt und den Blinker setzt. »Dass es zwar klein und kuschelig ist, aber trotzdem irgendwie aussieht wie ein zu kurz geratener Leichenwagen, mit den Türen da hinten.«

»Marie, bitte. Wir bringen gleich meinen Onkel unter die Erde.«

»Und das stimmt dich unendlich traurig?« Wir stehen an einer Ampelkreuzung. Weit und breit ist kein Mensch und kein Auto zu sehen. »Nicht im Mindesten, aber du kannst so was echt nicht bei der Verwandtschaft bringen. Nur weil ich vor deiner Morbidität nicht schreiend davonlaufe, heißt das nicht, dass es anderen genau so geht. Also tu mir bitte den Gefallen, Marie, und versuch wenigstens, ein bisschen traurig auszuschauen. Denk an tote Welpen oder so was.« Ich gebe ihr noch einen Kuss auf die Wange bevor die Ampel auf Grün springt und sehe, wie sie darüber nachdenkt. Verschämt versteckt sie einen Kettenanhänger in Sargform im Kragen ihres Kleides.

Sie parkt ein wenig abseits auf einem Feldweg, der von Sonnenblumen und Brennnesseln eingesäumt ist, und verharren für einige Sekunden reglos auf der dem Friedhof gegenüberliegenden Straßenseite. Eine warme Sommerbrise weht, wir müssen aussehen wie zwei Zeitreisende, die gerade aus einem verstaubten Fotoautomaten aus den Sechzigern hier gelandet sind. Ich mit Stockschirm, sie mit Stöckelschuhen. Da stehen sie, Witwen und Waisen, versammelt vor der Trauerhalle wie die Saatkrähen. Schütteln Hände, wischen Tränchen und zerreißen sich das Maul über jeden, der durch die schmiedeeisernen Tore des Friedhofs tritt. Ich atme, schnell und heftig. Marie legt mir einen Arm um die Taille und drückt mir einen Kuss auf die Lippen. »Meinst du, du erträgst den geweihten Boden?«, frage ich sie nach einer Weile. »Es wäre schade um deine schönen Schuhe.« Sie lächelt mich an und setzt die Sonnenbrille auf. Wenn sie trauert, dann mit Stil. Und dem größten Vergnügen.

Ein Kreis aus Salz

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