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Kapitel 3

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Sarah

„Sarah, da bist du ja. Ich habe schon gedacht, dass du gar nicht mehr kommst“, ruft meine Tante, als ich durch das Gartentor meiner Eltern trete und mich dabei zu allen Seiten hin umsehe.

Bei ihren Worten werfe ich einen prüfenden Blick auf die Armbanduhr, da ich die Befürchtung habe, dass ich zu spät bin. Aber ich habe gesagt, dass ich um zwei Uhr da sein werde und jetzt ist es halb zwei. In meinen Augen bin ich überpünktlich, in den Augen meiner Eltern bin ich gerade noch so pünktlich. Doch bis jetzt habe ich sie noch nicht gesehen, also hat meine Mutter sich anscheinend noch nicht auf die Suche nach mir gemacht.

Mit großen Schritten kommt meine Tante auf mich zu. Dabei wehen ihre langen blonden Haare im Wind und ihr üppiger Busen hüpft ein wenig auf und ab.

Meine Tante Carole kann man als eine der wenigen Normalen in meiner Familie bezeichnen. Meine Cousins standen nie unter Leistungsdruck und man hat ihnen auch nie gesagt, wie sie sich verhalten sollen. In gewisser Weise kann man sagen, dass ich sie ein wenig beneidet habe und das auch heute noch mache. Obwohl nein, nicht nur in gewisser Weise. Ich beneide sie. Trotzdem ist etwas aus ihnen geworden. Der mittlere ist sogar ein erfolgreicher Anwalt.

Die Erziehung meiner Eltern hat mir zwar ein Leben in Sicherheit geschenkt, auch jetzt noch. Doch bei einer schlechten Note habe ich mir schon einmal gewünscht, dass meine Eltern nicht schimpfen oder laut werden. Das sie einfach mal ruhig bleiben. Und dazu muss ich sagen, dass eine zwei schon eine schlechte Note bei ihnen war. Meine Tante hat mich zwar oft zu sich und ihrem Mann geholt, aber das hat mir noch mehr gezeigt, was ich mir immer gewünscht habe.

Eine normale Familie!

„Hi“, begrüße ich sie und schließe sie dabei in meine Arme.

„Wie geht’s dir? Man sieht und hört ja überhaupt nichts mehr von dir. In den letzten Tagen habe ich ein paar Mal versucht dich anzurufen. Und weil du nicht erreichbar warst, bin ich davon ausgegangen, dass du dich im Urlaub befindest.“

„Urlaub hätte ich gerne“, seufze ich und fahre mir über den Nacken. Dabei bildet sich vor meinem inneren Auge ein Bild, wie ich am Strand liege und einen Cocktail schlürfe.

Ich muss zugeben, dass die Verlockung groß ist, einfach wegzufahren. Gerade kann ich mich aber nicht entbehrlich machen in der Firma, sodass es noch ein wenig warten muss.

„Soviel zu tun?“ Carole sieht mich mitfühlend an.

„So kann man auch nennen. Ich war in den letzten Tagen immer bis spät abends im Büro, um das Chaos auf meinem Schreibtisch in den Griff zu bekommen.“

„Hat es funktioniert?“

„Nicht wirklich.“

Ich verziehe das Gesicht und gebe ihr so zu verstehen, dass ich es mir eigentlich auch anders vorgestellt habe. Stattdessen kommt es mir so vor, als wäre es von Tag zu Tag nur noch schlimmer geworden.

„Du hast dir eindeutig den falschen Beruf ausgesucht“, stellt sie fest und schüttelt dabei den Kopf. Gleichzeitig erkenne ich das belustigte Funkeln in ihren Augen.

„Ich kann das machen, was ich gerne tue und ich verdiene gut. Mehr ist nicht wichtig für mich“, wende ich ein. Dabei behalte ich für mich, dass vor allem das Gehalt der Hauptgrund dafür ist, dass ich diesen Job mache. Dank ihm kann ich mir Dinge leisten, die ich mir sonst wahrscheinlich nicht leisten könnte.

Der Blick, mit dem sie mich nun bedenkt, zeigt mir aber, dass sie das ganz genau weiß. Deswegen bin ich nur froh darüber, dass sie nichts weiter dazu sagt.

„Ich habe viele Nichten, aber du bist mein Liebling. Deswegen möchte ich dich an meinen Weisheiten teil haben lassen. Irgendwann wirst du morgens aufwachen und merken, dass du auf dem falschen Weg bist. Dass die Dinge, die du noch am Vortag wichtig fandest, es eigentlich nicht sind, weil du dich auf die falschen Sachen konzentriert hast. Du wirst merken, dass es wichtigere Dinge gibt. Und das ist der Moment, in dem du einiges ändern wirst. Du wirst dir einen neuen Job und vielleicht sogar eine neue Wohnung suchen. Einen Mann, der dich auf Händen trägt, und du wirst weniger arbeiten und mehr Spaß haben und das Leben genießen.“ Nachdem sie geendet hat, zwinkert sie mir noch einmal zu.

Ich nehme mir die Zeit und denke über ihre Worte nach. Mein erster Reflex besteht darin, den Mund aufzumachen und zu widersprechen. Doch ich weiß nicht so genau, was ich eigentlich von mir geben soll. Deswegen lasse ich es sein.

„Du brauchst es mir nicht zu sagen. Ich weiß auch so, dass deine Eltern nicht sehr begeistert davon sein werden. Meine Mutter ist damals völlig ausgerastet, als ich angefangen habe, meinen eigenen Weg zu gehen. Du weißt ja, wie nachtragend sie sein kann. Deswegen muss ich dir wohl nicht sagen, dass sie bis heute deswegen sauer ist. Sie ist der Meinung, dass ich den falschen Weg gegangen bin und es auf ihre Weise besser gewesen wäre. Aber sie hatte ja deine Mom, die immer noch nach ihren Regeln spielt. Wir beide wurden so erzogen den Schein nach außen hin zu wahren, deswegen bin ich hier. Wäre es nach deiner Mutter gegangen, hätte sie mich nicht eingeladen. Nach all den Jahren sind beide Frauen immer noch wütend auf mich und sprechen nicht mehr als nötig mit mir.“

Carole lacht leise und gibt mir so zu verstehen, dass es ihr egal ist. Aber mich hätte es auch gewundert, wenn es nicht so wäre. Meine Tante hat noch nie sehr viel auf die Meinung von anderen gegeben.

Noch so ein Punkt, auf den ich ein wenig neidisch bin. Sie macht einfach ihr Ding. Das hat sie schon immer und ich bin mir sicher, dass das auch so bleiben wird.

„Ich bin mir sicher, dass du die richtigen Entscheidungen treffen wirst, egal worum es geht.“

Aufmunternd lächelt sie mich an, ehe sie sich umdreht und wieder verschwindet, um die nächsten Gäste zu begrüßen. Ich hingegen bleibe noch ein wenig stehen und schaue ihr nach. Dabei denke ich über ihre Worte nach und muss zugeben, dass sie recht hat. Doch ich bin noch nicht so weit, diesen Schritt zu gehen. Eigentlich weiß ich nicht einmal, ob ich das überhaupt jemals sein werde. Doch hier und jetzt ist nicht der richtige Ort, um darüber nachzudenken.

Gedankenverloren gehe ich weiter und bahne mir einen Weg durch die Menge. Jeder, der mich kennt, grüßt mich und will sich mit mir unterhalten. Ich wechsle allerdings nur ein paar nette Worte mit ihnen. Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten.

Zielsicher gehe ich auf die Terrassentür zu, die sich ein paar Schritte von mir entfernt befindet. Doch als ich mich nur noch wenige Meter davon entfernt befinde, taucht meine Mom plötzlich in meinem Sichtfeld auf.

„Sarah, da bist du ja endlich.“

„Ja, ich habe schon alle begrüßt“, erwidere ich und zeige auf die Menge, die sich hinter mir befindet.

Meine Mutter betrachtet sie kurz, ehe sie mich ansieht. Ihr Blick sagt mir, dass ihr etwas auf dem Herzen liegt, sie aber nicht weiß, ob sie es hier ansprechen soll. Allerdings bin ich mir sicher, dass sie es trotzdem machen wird. Egal, was es ist.

Meine Mutter ist niemand, der sich zurückhält.

„Bist du alleine gekommen?“, fragt sie mich schließlich und schaut sich dabei um.

„Ja“, antworte ich vorsichtig, auch wenn ich mir bereits denken kann, was als Nächstes von ihr kommen wird.

„Nach unserer letzten Unterhaltung habe ich gedacht, dass du jemanden mitbringst.“ Ich höre an ihrer Stimme, dass sie enttäuscht darüber ist.

„Ich habe nie gesagt, dass ich einen Freund habe“, entgegne ich nur.

Vorher denke ich aber noch einmal über unser letztes Gespräch nach. Allerdings habe ich zu keinem Zeitpunkt nicht einmal einen Kommentar oder sonst etwas in diese Richtung fallen gelassen. Deswegen habe ich keine Ahnung, wie sie darauf kommt.

Sie sieht mich so an, als würde sie nicht wissen, was sie dazu sagen soll.

„Es wäre heute die perfekte Möglichkeit gewesen.“

Nach außen hin scheint meine Mutter vielleicht gefasst zu sein und sich so anzuhören, als wäre ihr das egal. Allerdings weiß ich, dass es in ihr ganz anders aussieht. Da meine Schwester mit ihrem Freund hier ist, ist sie davon ausgegangen, dass ich auch endlich einen Mann mit nach Hause bringe.

Ich sehe ihr an, dass sie eigentlich noch mehr zu diesem Thema sagen will. Schließlich hat sie in den letzten Wochen kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie mich auch gerne in einer festen Beziehung sehen möchte. Doch nachdem sie einen Blick auf die Gäste geworfen hat, lässt sie das sein. Worüber ich froh bin, denn ich weiß nicht, ob ich ruhig bleiben könnte.

Meine Mutter hat das Talent, mich mit solchen Unterhaltungen auf die Palme zu bringen. Ich habe ihr nie ein Widerwort gegeben, egal was sie gemacht hat. In diesem Punkt mache ich das aber. Und das nur, weil ich weiß, dass es da einige Söhne von den Geschäftspartnern meines Vaters auf dieser Party gibt, mit denen sie mich gerne verkuppeln würde. Man kann auch sagen, dass sie es in gewisser Weise doch nicht so schade findet, dass ich noch Single bin. So hat sie wenigstens die Gelegenheit mir den Mann aufs Auge zu drücken, von dem sie sicher ist, dass es der richtige ist.

In den letzten Monaten hatte ich deswegen eine große Anzahl an Dates. Sie waren nett, das bestreite ich auch überhaupt nicht. Mehr aber auch nicht. Mit keinem von ihnen konnte ich mir den Rest meines Lebens vorstellen. Ich bin zwar nicht auf der aktiven Suche, doch wenn ich es wäre, dann wären sie eher gute Freunde, als potenzielle Partner.

Wenn es nach meiner Mutter geht, habe ich in diesem speziellen Fall aber kein Mitspracherecht. In gewisser Weise wäre es wahrscheinlich wirklich einfacher gewesen, wenn ich in männlicher Begleitung gekommen wäre. Doch ich habe keine Lust, ihr etwas vorzuspielen. Wenn ich schon mein Leben nach ihr ausrichte, dann will ich mir wenigstens meinen Partner selbst aussuchen.

„Hi, Schwesterherz“, ruft Robyn nun und taucht neben mir auf, noch bevor unsere Mutter sich hineinsteigern kann.

Dankbar darüber lächle ich sie an, auch wenn ich nicht weiß, ob sie etwas von unserer Unterhaltung mitbekommen hat. Meine Mutter hingegen macht den Eindruck, als würde sie noch etwas sagen wollen. Allerdings weiß sie, dass sie diesen Kampf gerade nicht gewinnen kann. Dennoch bin ich mir sicher, dass früher oder später noch etwas deswegen kommen wird.

Jetzt zieht sie es aber vor, mir noch einen kurzen Blick zuzuwerfen und dann zu verschwinden. Leise lasse ich die Luft entweichen, die ich während der Unterhaltung mit ihr unweigerlich angehalten habe.

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich Todd getroffen habe. Er ist ein wunderbarer Mann. Von Tag zu Tag wird unsere Beziehung intensiver. Er ist ein wahrer Gentleman und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Seit einem halben Jahr sind wir nun zusammen und ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. In der letzten Zeit kommt es mir aber so vor, als würde er etwas vor mir verheimlichen. Ich hoffe, dass er einen Antrag plant.“ Während sie spricht, strahlen ihre Augen und es hat sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht gebildet.

Ich lasse meinen Blick kurz an ihr vorbeiwandern, kann Todd aber nirgends entdecken, deswegen konzentriere ich mich wieder auf sie.

„Und was ist mit dir?“, fragt sie mich.

„Was soll mit mir sein?“, erkundige ich mich, obwohl ich es mir bereits denken kann und ich mich eigentlich nicht darüber unterhalten will.

„Mom wartet nur darauf, dass sie zwei Hochzeiten planen kann. Ich bin mir sicher, dass sie das insgeheim schon getan hat. Und ich bin mir sicher, dass Dad nicht so glücklich darüber sein wird, wenn er die Rechnung dafür bekommt. Aber das wird er schon überleben. Schließlich hat er nur zwei Töchter.“ Noch immer grinst sie frech.

Ich hingegen verdrehe nur genervt die Augen. Ich bin noch nicht so weit, um mich mit diesen Themen auseinander zu setzen. Und das vor allem deswegen, weil ich noch keinen Mann gefunden habe, mit dem ich mir den Rest meines Lebens vorstellen kann.

Nicht zum ersten Mal in den letzten Stunden schieben sich die durchdringenden Augen des Mannes in meine Gedanken, den ich gestern gesehen habe. Ich habe mich nicht mit ihm unterhalten, ihn wirklich nur für wenige Sekunden gesehen, und dennoch kam es mir so vor, als könnte er meine Gedanken lesen, meine Wünsche erkennen, obwohl ich sie selber nicht einmal kenne.

„Sollte ich dafür nicht erstmal einen Freund haben?“, hake ich nach, um mich von ihm abzulenken. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort darauf wirklich wissen will, so ist es gerade doch besser, als mich mit ihm auseinanderzusetzen. Zumal ich mir sicher bin, dass ich ihn nie wiedersehen werde.

„Ich gebe dir jetzt einen gut gemeinten Rat, weil du meine kleine Schwester bist und ich dich nicht einfach ins offene Messer laufen lassen will. Ich will, dass du glücklich bist. Du weißt, dass es in unserer Familie Standarts gibt, an die man sich zu halten hat. Ich weiß, dass es einige gibt, die das nicht machen, allen voran unsere Tante, aber du weißt auch, dass sie bei jeder Gelegenheit gemieden wird. Aus welchem Grund auch immer, schließlich scheint sie ja Erfolg zu haben. Dazu gehört aber auch, dass man einen erfolgreichen Mann heiratet, selber eine gute Ausbildung hat und man auch immer mal zurücksteckt. Aber vor allem gibt es eine Grenze zum Heiraten. Ich habe sie bald erreicht. Allerdings hatte ich das Glück, dass ich einen wundervollen Mann gefunden habe, den Mom und Dad als meinen zukünftigen Ehemann akzeptieren. Hätte ich ihn nicht, dürfte ich spätestens mit dreißig eine nicht so tolle Unterhaltung mit den beiden führen. Ich weiß, dass du dich weigerst, dir unter diesen Voraussetzungen einen Partner zu suchen, aber du willst nicht mit ihnen darüber sprechen, dass kannst du mir glauben. Also kann ich dir nur raten, vorher einen Mann zu finden, der dich glücklich macht. Sonst wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass du unzählige Dates mit irgendwelchen Söhnen von irgendwelchen Geschäftspartnern haben wirst. Und zwar mehr, als du eh schon hattest.“

Mehr als ein Nicken bekomme ich nicht zustande, als ich über ihre Ansprache nachdenke. Ich weiß, dass sie es nur gut meint, auch wenn ihre Worte mir vor Augen halten, was ich eigentlich schon längst weiß. Sie sorgen aber auch dafür, dass ich wieder an die Unterhaltung mit meiner Tante denken muss, die mir erst vor wenigen Minuten mehr oder weniger das Gegenteil gesagt hat.

„Wir sehen uns nachher noch.“ Mit diesen Worten lächelt sie mich aufmunternd an und gesellt sich wieder zu einer anderen Gruppe, wo ich auch ihren Freund entdecken kann.

Ich hingegen greife nach einem vollen Champagner-Glas und leere es in einem Zug. Mein Gefühl sagt mir, dass ich den Alkohol brauchen werde, damit ich heute nicht die Nerven verliere.

Russian Mafia Prince

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