Читать книгу Promise - Sarah L. R. Schneiter - Страница 6
Episode 1: Niemandsland
Оглавление„Wir sind in der Atmosphäre“, kommentierte der dunkel gekleidete Dan, sich zufrieden umsehend. Er saß entspannt auf dem Pilotensessel und hielt die manuelle Steuerung. Auf der Brücke des in die Jahre gekommenen Sternenschiffes standen zwei Konsolen, von denen aus es gesteuert werden konnte, an der linken, auf dem Platz des Captains, hatte es sich Natala bequem gemacht, die ihr nahezu schwarzes, gekraustes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie trug ein ausgewaschenes kariertes Hemd, das zu ihren kantigen Gesichtszügen sowie der Narbe auf ihrer Stirn passte, ihre sandfarbene, abgewetzte Lederjacke hatte sie lässig über die Sessellehne geworfen.
Plötzlich war ein dumpfer Knall zu hören, gefolgt von dem Kreischen überlasteten Metalls. Die beiden fuhren zusammen und Dan murmelte beunruhigt: „Oh-oh.“
Natala fragte knapp, ihre eigene Beunruhigung möglichst gut verbergend: „Was war das?“
Der Pilot sah kurz auf seine Konsole und umklammerte gestresst die Steuerung fester, um das Schiff unter Kontrolle zu halten. „Wir kommen auf jeden Fall runter, ich weiß nur noch nicht so genau, wie schnell. Oder wie kontrolliert.“
„In einem Stück wäre vorteilhaft“, gab sie zurück, als sie in dem Hologramm vor ihr das Symbol antippte, mit dem sie den Maschinenraum kontaktieren konnte. Kaum war die Verbindung hergestellt, rief sie: „Sven, bist du da hinten? Wie sieht’s aus?“
Der Mechaniker antwortete prompt, wobei er abgehackt klang. „Nicht gut, ich arbeite dran.“
Die Oberfläche des Planeten kam näher, bereits bedeutend schneller als zuvor, für Natalas Geschmack etwas zu rasch. „Ich will ja niemanden beunruhigen, aber wenn das so weitergeht, werden wir bald aus allen Wolken fallen und zwar wortwörtlich.“
„Wer nennt ein Schiff, das andauernd abstürzt, schon Promise?“, gab Dan verbissen zurück, so gut er konnte mit der widerborstigen Steuerung hantierend. Der Frachter wurde durchgeschüttelt und es fiel dem Piloten zusehends schwerer, ihn einigermaßen gerade zu halten. Als sich ohne Vorwarnung die holographischen Anzeigen auf seiner Konsole auflösten, stieß er verwirrt aus: „Hey, das ganze System ist offline!“
„Hardboot“, schrie Natala über den Lärm. „Mir egal wie, zieh den Stecker raus, hau drauf, tritt dagegen, Hauptsache du bringst das Ding zum Laufen, bevor wir alle abkratzen!“
„Wenn ich könnte …“
„Scheiße! Lieber heute als morgen“, fuhr sie ihm gestresst ins Wort, da sie erkennen konnte, wie sich ihre Flugbahn immer mehr zu einem unkontrollierten Sturz verwandelte. Die Promise wurde mit der Kraft eines Erdbebens durchgeschüttelt, wegen der Reibung in der Atmosphäre war nun vor den Brückenfenstern das charakteristische Glühen am Rumpf zu erkennen. Da die Systeme ausgefallen waren, konnte niemand von der Brücke mehr den Maschinenraum rufen, um zu erfahren, was vor sich ging. Natala hatte bloß noch die Wahl zwischen evakuieren oder bleiben, viel Zeit hatte sie dafür nicht mehr, ehe es zu spät wäre. Hinter sich hörte sie die schnellen Schritte von Raumfahrerstiefeln auf dem Metallboden, dann trat ihr Erster Maat, Stanley auf die Brücke, der sich so gut er konnte festhielt, da er bei jedem Ruck den Halt zu verlieren drohte. Besorgt fragte der schlaksige Mann mit leicht gebräunter Haut: „Was um alles in der Galaxis ist denn hier los?“ Er konnte sich bei einem heftigen Ruck nur mit Mühe festhalten und ließ sich auf einen freien Sessel hinter Natala fallen. „Das sieht ja ziemlich hässlich aus.“
„Es geht mal wieder bergab“, erklärte Natala, lakonisch ihre Furcht übertünchend. Sie hatte das Gefühl, als schnürte sich ihre Kehle zu oder drehte sich ihr Magen um. Nach einer Sekunde fasste sie einen Entschluss und ergänzte beherrscht: „Wenn wir in einer halben Minute keinen Neustart schaffen, rennen wir zu den Rettungsbooten und geben das Schiff auf.“
„Na super“, gab Stanley zurück. „Gerade jetzt, wo ich mein Zimmer aufgeräumt hab, soll es vaporisiert werden.“ Man konnte seiner Stimme anhören, wie wenig ihm der Gedanke behagte, die Fassade seiner nunmehr gespielten Selbstsicherheit begann zu bröckeln. Sie hatten alle Angst, obwohl sie noch rasch genug aussteigen konnten, die Promise war ihr Hab und Gut, war alles, was sie hatten.
„Ach, komm schon, komm schon!“, beschwor Natala ungeduldig ihr Schiff, wobei sie mit der einen Hand die Finger kreuzte und mit der anderen wütend auf die Konsole hieb. Da sie nicht im Maschinenraum war, gab es wenig, was sie tun konnte. Sie mussten darauf warten, ob der Mechaniker Sven den Rechner neu starten konnte, bevor es zu spät wäre. Tatsächlich materialisierten sich im nächsten Moment über Dans Konsole alle Hologramme und Natala konnte einen starken Ruck fühlen, der durchs ganze Schiff fuhr, als die Triebwerke lautstark feuerten. Nun bremste die Promise mit viel Kraft ab, alles auf der Brücke, was nirgends befestigt war, rutsche weg. Natala konnte eben noch ihre Tasse mit dem Aufdruck „Bester Captain der Galaxis“ auffangen, ehe sie am Boden zerschellt wäre.
„Ja verdammt, so muss es sein“, rief Stanley triumphierend aus und stieß eine geballte Faust in die Luft, als der Frachter langsamer wurde und sich nach wenigen Sekunden wieder normal auf die Oberfläche des hellbraunen Planeten zubewegte. Das Heulen der Triebwerke wurde schwächer, schließlich schien alles fürs Erste einigermaßen zu funktionieren.
Dan atmete hörbar auf und Natala konnte erkennen, dass ihm Schweiß auf der Stirn stand; ein Schiff, das im Fallen begriffen war, mit der manuellen Steuerung abzubremsen war eine ziemliche Herausforderung. Insgeheim musste sie sich eingestehen, wie fest sie es gegen den Schluss mit der Angst zu tun bekommen hatte, was sie aber zu leugnen gedachte, einerseits aus Stolz und andererseits, weil sie glaubte, als Captain ein Vorbild sein zu müssen. Sie stellte eine Com-Verbindung mit dem Maschinenraum her. „Sven, lebst du noch dahinten? Was genau ist passiert?“
Die Antwort kam prompt. „Der blöde Server ist komplett abgestürzt. Hab schon gedacht, es reiche für keinen Neustart mehr.“
„Der verabschiedet sich doch nicht einfach so?“, gab Natala verwirrt zurück.
„Sagst du“, konnte sie die trockene Antwort übers Com hören. „Die Promise ist ein Museumsstück, finde dich damit ab.“ Nach einer Pause, in der man über die Leitung einige hämmernde Geräusche hören konnte, fügte er hinzu: „Ich glaube, wir haben einen der Träger von den Triebwerken verloren, also sollten wir sowieso froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein. Wäre das Triebwerk abgerissen und aufs Schiff geschleudert worden, hätten wir ein ganz schön großes Loch in der Hülle. Der Server ist wohl abgestürzt, weil die Daten vom Triebwerk plötzlich falsch waren.“
Natala wandte sich instinktiv um, um nach hinten zu den Triebwerken zu sehen, obwohl man sie von der Brücke aus in einem toten Winkel lagen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Ein Träger? Die Dinger sind solide, das ist Metall.“
„Keine Ahnung“, gab Sven zurück. „Ich muss aussteigen und mir die Sache von da ansehen, wenn ich eine genauere Diagnose machen will. Bitte sag Dan, er solle das Ding vorsichtig landen, sonst fliegt uns plötzlich noch mehr Kram um die Ohren.“
„Das wäre ja was Außergewöhnliches.“ Natala erhob sich mit einem dummen Grinsen, ehe sie ernst wurde. „Dan, bringst du sie alleine runter?“
„Du kennst mich“, gab er zurück. „Ich verspreche dir, dass wir runterkommen.“
„Genau das befürchte ich ja“, meinte sie lakonisch, als sie die Brücke verließ. Hinter sich hörte sie Stanley: „Ihr Humor wird auf ihre alten Tage auch nicht besser, was?“
Es war stets ein erhebendes Gefühl, über den Steg mit dem rostigen Metallgitterboden zu gehen, der wie ein kleines Brückchen die Ladebucht überspannte, sinnierte Natala. Unter ihr standen alle Frachtboxen gestapelt, die sie transportierten, vor ihr lag die Wand des Wohnbereiches im Obergeschoß. Die Promise war viel mehr als bloß ihr Schiff, im Laufe der Zeit war sie zu ihrem Zuhause geworden. So weit hatte Natala es schon gebracht, vom Kind einer mittellosen Arbeiterfamilie aus den Neurussischen Kolonien zum Captain eines Frachters. Und obwohl die Promise ein Schmugglerschiff war und ihre Crew damit zu den Gesetzlosen gehörte, es gab doch jene Momente, in denen sie stolz auf ihr Leben war.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als vor ihr jemand durch die Tür zum Aufenthaltsbereich auf den Steg trat. Es war eine hellhäutige Frau mit koreanischen Gesichtszügen, knapp dreißig, die ihr langes blondweißes Haar mit ein paar Nadeln hochgesteckt hatte und ein knielanges dunkles Kleid trug, bei dem Natala rätselte, aus wie vielen dünnen, übereinanderliegenden Stoffschichten es bestand. Die Absätze ihrer Stiefel machten auf dem Steg klackende Geräusche, als sie mit verzogener Mine auf Natala zuging. „Was um alles in der Galaxis ist jetzt schon wieder mit deinem Schiff los?“
„Anaata, hast du da hinten alles gut überlebt?“, lachte Natala. „Kein Plan, wahrscheinlich wäre fast ein Triebwerk abgebrochen und explodiert.“
„Überlebt? Ja. Gut? Naja. Ich klebte ein paar Sekunden in der Küche an der Decke, also alles normal. Kommen wir denn noch von Tenowia runter, wenn wir mal gelandet sind? Ich will nicht auf einer solchen Müllhalde festsitzen und das Wort ‚explodiert‘ sollte weniger oft fallen, wenn du über dein eigenes Sternenschiff sprichst.“
„Die Promise wird’s schon überleben“, entgegnete Natala, bevor sie etwas leiser hinzufügte, beinahe so, als spräche sie mit sich selbst: „Das tut sie immer.“
„Das sagst du jedes Mal. Ich will den Tag noch erleben, an dem dieses Versprechen gebrochen wird“, gab Anaata amüsiert zurück, fügte sogleich rasch und mit Überzeugung hinzu: „Das sollte anderswo als auf Tenowia sein, da will ich nicht enden.“ Natala ging nun zusammen mit ihr in Richtung des Wohnbereichs. „Was ist denn so schlimm an dem Brocken? Ist doch ein Planet wie jeder andere auch.“
„Für euch Schmuggler ist so eine heruntergekommene Welt ohne echte Gesetze ja super, nur, was soll ich als Diebin da klauen? Da gibt es kaum Wertsachen und seit ich euch kenne, fiele es mir nicht einmal mehr im Traum ein, Schmuggelware zu stehlen.“
„Wieso das denn? Wäre ein rentables Geschäft.“
Anaata schüttelte überzeugt den Kopf. „Vielleicht. Aber ihr Schmuggler schießt immer gleich auf jeden, der sich mit euch anlegt. Ich finde das etwas gruselig. Und ungesund.“
Natala gluckste, als sie durch die Tür in den Gang zum Aufenthaltsraum traten, die Diebin war eine Klasse für sich. „Auch ein Argument.“ Sie sah sich kurz um. „Wo ist eigentlich Nani?“
Noch als Anaata ein gleichgültiges Geräusch von sich gab, trat aus einem der Apartments weiter hinten im Gang eine nordische, athletische Frau in der Mitte ihrer Dreißiger, die wie eine Abenteurerin aussah. Sie trug ihr rostrotes Haar in einer chaotisch anmutenden Kurzhaarfrisur, die ihre charakteristischen, kantigen Gesichtszüge betonte und war praktisch in dunkle Hosen und ein helles Tank-Top gekleidet. An ihrem Gürtel hing gut sichtbar ein handlicher Blaster, mit dem sie, wie Natala wusste, ziemlich gut umzugehen verstand.
„Dieses Boot wird eines Tages noch unser Grab“, brummte Nani, während sie auf die beiden zuging.
„Was haben denn heute alle gegen die Promise?“, erkundigte sich Natala rhetorisch, ehe sie ernster fortfuhr: „Sie hat uns am Ende stets sicher von überall weggebracht.“
„Bisher.“ Nani hielt zwei gekreuzte Finger neben ihrem Gesicht in die Luft, unter Raumfahrern ein gängiges Zeichen, und wechselte das Thema. „Wie sieht der Plan aus?“
„Sobald wir gelandet …“
„… oder abgestürzt …“, warf Anaata ein, was den Captain kurz aus dem Redefluss brachte, „… sind, schauen wir uns erstmal das Schiff an. Unser Kunde wird die Fracht abholen und damit wäre dieser Job erledigt. Die neue Sache ziehen wir erst durch, sobald wir wissen, dass wir wieder von hier wegkommen können. Es wäre dumm, für den Deal zu Marco zu gehen, ohne einen Fluchtweg zu haben. Er ist ein guter Kunde, der ganz passabel zahlt, doch für meinen Geschmack ein wenig zu nachtragend.“
„So kann man’s auch nennen“, gab Nani trocken zurück. „Wenn man Stanleys Raumfahrergarn glauben darf, schießt der Typ auf alle, die er nicht leiden kann. Und es ist fraglich, ob er dich mag.“
Natala schlaubte, halb amüsiert, halb fatalistisch. „Ach, der alte Pessimist Stan übertreibt immer, Marco ist vernünftig.“
Anaata unterbrach das Gespräch. „Wenn wir unten sind, verabschiede ich mich mal für drei, vier Stunden, ich muss noch was erledigen.“
„Ich will’s gar nicht wissen. Versuch diesmal ausnahmsweise weniger Aufmerksamkeit zu erregen, das letzte Mal war’s ziemlich knapp mit der Horde Polizisten, die dich verfolgt hat.“
„Werde mir Mühe geben.“ Anaata zündete sich eine Zigarette an und entschwand in Richtung ihrer Kabine. Die folgende Stille wurde von einem summenden Geräusch unterbrochen, als die Landestützen ausgefahren wurden, gefolgt von einem sanften Rumpeln, als der Frachter auf dem sandigen Boden des Wüstenplaneten aufsetzte.
Die ganze Crew hatte sich im mit unzähligen Frachtboxen vollgestellten Laderaum versammelt, als Natala die Rampe öffnete, die unter der Brücke lag. Das helle Licht Tenowias fiel durch einen grösser werdenden Spalt ins Innere der Promise und blendete die sechs Reisenden. Auch nach all den Jahren an Bord der Promise fand Natala diesen Moment, wenn sie nach wochenlanger Fahrt durch den Raum die Sonne blendete, jedes Mal etwas Besonderes, beruhigend und seltsam befremdlich zugleich. Sobald man lange genug mit einem Sternenschiff unterwegs war, auf ihm wohnte, konnte es nur allzu rasch geschehen, dass einem der Aufenthalt auf einem Planeten ungewohnt erschien.
Mittlerweile war auch der Mechaniker Sven zu der kleinen Gruppe getreten; der Vierzigjährige war in Jeans und einem alten Hemd gekleidet und mit seinen muskulösen Armen hielt er bereits den Laserschneider und einen Werkzeugkasten bereit, um die Promise wieder zusammenzuflicken.
Die bunt zusammengewürfelte Crew trat in den grellen Mittag von Tenowia City hinaus. Sie waren in einem der zahlreichen kleinen Raumhäfen gelandet, die mitten im Arbeiterviertel der Stadt lagen. Der Boden des Landefelds, über dem die Luft von der trockenen Hitze bereits flimmerte, war teils von Sand bedeckter abgenutzter Beton und wurde von einer hellbraunen Sandsteinmauer begrenzt. Wie auf vielen Randwelten wirkte alles, als hätte es schon bessere Zeiten erlebt.
Anaata erklärte entschieden: „Eine schreckliche Welt, überall liegt Kameldung und hinter jeder Straßenecke will dich einer abmurksen.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie wesentlich besser gelaunt hinzu: „So, ich bin mal weg, bis später.“
Stanley winkte ihr zum Abschied, dann wandte er sich zu den anderen um, die um das Schiff versammelt waren, um sich den Schaden zu besehen. Es fehlte nicht mehr viel, bis die Promise ein Jahrhundert hinter sich hätte, worauf ihre für die Zeit ungewöhnliche Form schließen ließ. Das längliche Schiff war eckig mit vielen abgeschrägten Kanten, die Brücke thronte zuvorderst als höchster Teil über dem Rest der Konstruktion. Zuhinterst war durch einen schmalen Verbindungsgang ein zweites, viel kürzeres Segment angeschlossen, in dem der Maschinenraum lag und außen die Triebwerke befestigt waren. Obwohl die abgenutzte Außenhülle matt im grellen Sonnenlicht schimmerte und man ihr das Alter ansah, gefiel Natala der Anblick jedes Mal, wenn sie vor ihrem Sternenschiff stand.
Der eher klein gewachsene Mechaniker war eben um den Frachter gegangen und hatte sich die Triebwerke besehen. Natala konnte gut erkennen, wie einer der verstrebten Stahlträger, der das Triebwerk halten sollte, gebrochen und verbogen war; sie trat neben Sven und gestikulierte auf den Schaden. „Wie um alles in der Galaxis ist das denn passiert?“
Mit einem Seufzen stellte er sein Werkzeug ab. „Das Ding ist antik, scheint Abnutzung zu sein, ein Haarriss der langsam gewachsen ist. Wenn mir jemand hilft, habe ich das in ein paar Stunden erledigt.“
Sie wandte sich zu Dan um, der murrte: „Na gut, ich mach’s; doch nur, weil mir Tenowia geschenkt bleiben kann. Und behaltet bitte im Kopf, dass ich eigentlich Pilot und alles andere als stark bin, ja?“
„Großartig, klar!“ Natala wusste, wie sehr Dan die brennende Sonne hasste und war deshalb umso mehr froh darum, seine Hilfe zu haben. Als Sven einen Hoverstapler zum Triebwerk schob, fuhr sie an Stanley und Nani gewandt fort: „Bald sollte unser Kunde kommen und seine Kisten abholen. Das läuft sicher gut, schließlich ist er nur ein kleiner Händler, der Alkohol verkauft.“
„Das wird schon klappen“, stimmte ihr Stanley zuversichtlich zu. „Meine Sorge ist eher Marco, ich hoffe, der ist gutgelaunt.“
„Hast du nicht letzthin erzählt, du hättest auf Tenowia eine Freundin, Affäre oder sowas?“, wechselte Nani das Thema.
„Genau, Carmen. Aber die hat gesagt, sie habe in den nächsten Tagen keine Zeit, also werde ich sie wohl kaum sehen. Das kommt davon, wenn man was mit einer Hehlerin hat, die sind ständig am Arbeiten.“
Bevor Nani etwas erwidern konnte, schwebte ein alter Hovertruck mit einem summenden Geräusch, das ziemlich stotternd klang, auf das Landefeld; ihr Kunde war da.
Die Übergabe ihrer Fracht, ein paar Dutzend Kisten mit geschmuggelten Wodkaflaschen, hatte eine halbe Stunde gedauert und war problemlos über die Bühne gegangen. Tatsächlich war der Gauner, mit dem die Crew der Promise Geschäfte gemacht hatte, ein für sein Metier sehr angenehmer Verhandlungspartner gewesen und seine Leute hatten die Fracht rascher verladen, als es auf Randwelten üblich war. Eben war der alte Truck in die Mittagshitze der Wüstenwelt davongeschwebt und nun standen die drei Schmuggler vor ihrem Schiff. Natala gähnte, obwohl ihr die Hitze bislang wenig zusetzte, wurde sie davon müde, doch sie sagte entschieden: „Das wäre erledigt, also machen wir drei jetzt den neuen Deal. Ich hoffe, alle sind wach genug, um auf jemanden zu schießen.“
Stanley und Nani folgten ihr zum Ausgang des Raumhafens; die ganze Anlage wirkte, als ob vor vierzig Jahren das letzte Mal etwas repariert worden war. Natala wusste aus Erfahrung, dass dies für die Stadt sogar eines der repräsentativeren Landefelder war. Tenowia IX, der neunte und einzige bewohnte Planet des Systems, war eine typische Randwelt, dünn besiedelt und arm, außerdem kein Mitglied der Vereinten Systeme, daher ziemlich lasch bei der Durchsetzung von Gesetzen. Tenowia war ein beliebter Umschlagplatz für Schmuggler, ebenso ein Tummelplatz für Hehler, Schleuser sowie Verbrecher jeder Couleur und Natala war in ihrer kriminellen Laufbahn schon häufiger auf dieser Welt gelandet. Insbesondere als Schmuggler kam man um den Planeten kaum lange herum, wenn man in diesem Sektor arbeitete. Das Problem dabei, auf Tenowia Deals zu machen, war, wie leicht es geschehen konnte, dass man, bevor man sich versah, mit einem Loch im Kopf in der schier endlosen Wüste verscharrt wurde, welche die Hauptstadt in alle Richtungen umgab. Feinde konnte man sich hier viel schneller machen als Freunde und dieselben laschen Gesetzeshüter, die einem ermöglichten, alle zwielichtigen Deals abzuwickeln, kümmerten sich genauso wenig darum, wenn man dabei umkam. Daher war Natala froh, Stanley und Nani dabeizuhaben; ihr bester Freund war ein erfahrener Schmuggler, skeptisch genug um Gefahr bereits zu riechen, bevor etwas geschah und sie eine risikobereite Ex-Soldatin, die alles traf, auf das sie eine Waffe richtete.
Sie traten auf die Hauptstraße hinaus, deren Boden noch schlechter aussah als der vom Landefeld. Überall priesen Markthändler lautstark ihre Waren an verwitterten hölzernen Ständen an, über die Kraftfeld-Sonnenschirme oder weiße Segeltücher gespannt waren. Sie boten alles feil, was es zu kaufen gab, von Nahrungsmitteln und kühlen Getränken über Kleidung bis hin zu Maschinenteilen und Alkohol. Der Geruch nach gebratenem Fleisch sowie Gemüse lag in der windstillen Luft, mischte sich mit dem Duft verschiedener Kräuter und Räucherstäbchen. Die Einheimischen waren mehrheitlich in helle, weite Umhängen gekleidet, was sie von den Reisenden unterschied, die auf vielen Welten und vor allem an Bord eines Schiffes praktische Outfits trugen. Natala konnte Pferde und Kamele in den Straßen erkennen, manchmal auch einen alten, rostigen Flitzer. Trotz dem Getümmel und der Hitze unter stahlblauem Himmel durften sie keinesfalls an Wachsamkeit nachlassen, da sie hier bereits einige Feinde angehäuft hatten; Natala hegte den Verdacht, manch einer davon würde auf der Stelle den Blaster ziehen, um sie auf offener Straße niederzumachen.
Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch waren sie bei dem Ladenlokal ihres Kunden, einem Mann namens Marco, angelangt. Es sah aus wie die meisten Häuser in dem heruntergekommenen Viertel: Ein einstöckiger Bau aus hellem gebackenem Lehm mit kleinen Fenstern, um das Innere möglichst kühl zu halten. Ein altes, flimmerndes Holoschild über der Tür verkündete, dass es sich um ein Import-Export-Geschäft handle. Tatsächlich ließ Marco so ziemlich alles transportieren, was in ein Sternenschiff passte, von Lebensmitteln bis hin zu gefährlicher Schmuggelware. Meistens heuerte er für den weniger legalen Geschäftszweig Leute wie sie an, Schmuggler und Abenteurer, die ein Schiff besaßen, Geld brauchten und kaum etwas zu verlieren hatten. Natala vermutete, Marco war auch in Menschenhandel verwickelt, doch damit hatte sie nie zu tun gehabt. Außerdem konnte man sich in ihrer Position nicht allzu viel Neugier leisten, dies waren die Regeln in ihrem Geschäft, damit lebten sie alle. So lange er keine Gekidnappten auf ihr Schiff brachte, musste es ihr wohl oder übel egal sein.
Natala wandte sich an ihre beiden Begleiter: „Okay, seid vorsichtig, sperrt die Augen auf und kreuzt die Finger. Marco könnte ziemlich schlecht auf uns zu sprechen sein.“
„Ja, das letzte Mal war nicht sehr erfreulich“, kommentierte Stanley trocken, einen skeptischen Blick auf den Eingang des Hauses werfend.
„Was auch immer ihr damals mit ihm angestellt habt, ich war da noch nicht bei eurer Crew, also hoffe ich mal, ich bleibe am Leben, wenn die Sache ernst wird“, entgegnete Nani halb scherzhaft. „Was die Frage aufwirft: Was habt ihr eigentlich mit ihm angestellt?“
Natala lachte trocken. „Hey, wir bezahlen dich dafür, uns der Rücken freizuhalten, wenn es drauf ankommt, beißt du bitteschön als erste ins Gras, ja? Ach, zu deiner Frage: Nichts allzu schlimmes. Wir verpassten ein Treffen, weil wir vor einem Kreuzer der Vereinten Systeme auf der Flucht waren.“
„Da wird der Typ gleich sauer?“
„Vielleicht. Angeblich hat er schon Leute umbringen lassen, weil sie es sich während einem Job anders überlegt haben.“ Nach einer kurzen Pause fügte Natala entschlossen hinzu: „Sehen wir, was er will.“
Sie traten in den schummrigen Raum und sahen sich um; es dauerte einige Zeit, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewohnt hatten, in dem abgestandener Zigarettenrauch waberte. Natala konnte zwei große tätowierte Männer erkennen, die Blaster an den Gürteln trugen und sich an eine Ladentheke lehnten. Sie blieben reglos stehen, bis der eine mit einer sonoren Bassstimme wissen wollte: „Was wollt ihr?“
Natala blieb ruhig. „Wir haben einen Termin mit Marco.“ Sie wusste, dass er es mochte, Schmuggler, die für ihn arbeiteten, erst mit seinen Schlägern sprechen zu lassen um zu sehen, wie sie reagierten. Es schien für ihn eine Art Ritual zu sein, um herauszufinden, wen er für würdig hielt. Man erzählte sich Geschichten, er ließe alle, die Angst zeigten, verprügeln und auf die Straße werfen. Dem Captain war zwar unwohl, sie spannte sich instinktiv an, um jederzeit losschlagen zu können, hielt aber ihre gelassene Fassade aufrecht. Tatsächlich meinte nun der Sprecher: „Folgt mir. Wenn ihr eine Waffe zieht, erschießen wir euch.“
Die drei Schmuggler gingen hinter ihm her in ein stickiges Hinterzimmer, in dem es noch dunkler und der Qualm noch dicker war. Marco saß an seinem Schreibtisch und erhob sich, als er die Neuankömmlinge erkannte. Er war eher klein und untersetzt, sein schwarzes Haar trug er zurückgekämmt, was zu seinem billigen Anzug passte. Sein Lächeln wirkte auf Natala falsch und schleimig. „Meine alten Freunde“, begrüßte er sie gestenreich, ehe er Nani sah. „Oh, ein neues Gesicht, wie ich sehe. Ihr habt doch nicht geglaubt, ihr braucht Verstärkung, um mich zu besuchen?“
„Nein, sie ist noch ziemlich neu in unserer Crew.“ Wie meist bei solchen Treffen ging es darum, keinerlei Schwäche zu zeigen. Jeder wusste zwar relativ genau, was der andere dachte, wenn es auch nie offen ausgesprochen, sondern durch eine Scharade ersetzt wurde, die allen das Gefühl vermitteln sollte, die Oberhand zu behalten. Natala war im Laufe der Zeit ziemlich gut in diesem Spiel geworden, denn ein Pokerface und ein höfliches Lächeln oder eine steinerne Miene konnten in prekären Situationen genauso über Leben und Tod entscheiden wie ein guter Blaster. „Du weißt, wie das ist, da draußen kann man rasch ein paar Arme mehr gebrauchen.“
„Tragen, schießen, stechen, schlagen“, entgegnete Marco grinsend. „Noch immer emsig wie die Bienen, wie ich sehe. Wollen wir zum Geschäftlichen kommen?“
„In dem Fall ist zwischen uns alles gut? Kein böses Blut?“
„Sicher, so nachtragend bin ich nicht“, antwortete er, sich ein Glas Whisky eingießend. „Außerdem ist der Kunde sowieso gestorben, bevor ihr hättet hier sein können, damit hat sich der Auftrag erledigt. Sein Pech, unser Glück. Bitte, setzt euch.“
Natala war unwohl damit, da sie im Stehen rascher zur Waffe greifen konnte, aus Höflichkeit folgte sie der Einladung, wobei Nani und Stanley stehen blieben, da es keine weiteren Stühle gab.
Marco leerte seinen Drink in einem Zug und stellte das solide Glas mit einem Knall auf dem abgewetzten Holztisch. Dann beugte er sich zu Natala vor und fragte grinsend: „Ich nehme an, ihr seid bereit, für mich eine Fracht zu transportieren?“
„Klar“, bestätigte sie gelassen; hätte er böse Absichten gehegt, wäre die Konfrontation schon geschehen, Natala wurde sich immer sicherer, Marco zu ihren Alliierten zählen zu können. Sein Atem roch nach Alkohol und Knoblauch, sie wich trotzdem nicht zurück und erklärte: „Dieselben Regeln wie immer, nichts lebendes, Bezahlung bei Erhalt.“
„Natürlich“, stimmte der Verbrecherchef zu, bevor er sich entspannt zurücklehnte. „Ich habe zwanzig Standard-Frachtkisten mit etwas heiklen Pflanzen, die ich von hier nach Deron senden sollte. Keine Angst, sie sind getrocknet, gießen müsst ihr sie also nicht“, fügte er grinsend hinzu.
„Klingt gut. Ich würde sagen, fünfzehntausend.“
Marco lachte. „Fünf.“
Natala überlegte kurz. Um den Preis zu verhandeln war ein Spiel in dem man die Oberhand behalten musste, doch wenn die Positionen einmal festgelegt waren, wurde rasch klar, auf was es hinauslief. „Wir können uns das Feilschen sparen und uns gleich bei zehn treffen.“
Er schwieg einige Sekunden und schien nachzudenken, ehe er ihr die Hand hinstreckte. „Deal. Ich lasse die Kisten in einer Stunde zu eurem Schiff liefern.“
Sie schlug ein und erhob sich. „Gut. Stets eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits“, verabschiedete er sich.
„Na, der Kerl ist ja aalglatt“, kommentierte Nani, währendem sie in einen Spargel-Taco biss, der vor scharfer Sauce troff.
„Wem sagst du das“, stimmte Stanley ihr zu, sein braunblondes Haar zusammenbindend, um besser essen zu können. „Wir haben schon früher, bevor du zu uns gekommen bist, mit dem Geschäfte gemacht und er war noch nie anders. Kein sympathischer Zeitgenosse, dafür bezahlt er vernünftig und lässt dich meistens am Leben. Nach dem heutigen Treffen glaube ich, er mag uns.“
Die drei Schmuggler standen an einem Essensstand, der in der Nähe von Marcos Geschäft lag; sie hatten sich entschieden, vor der Rückkehr auf die Promise noch einen Snack zu kaufen.
„Naja, immerhin sind wir fein raus und er ist weiter mit uns gutgestellt“, meinte Natala. „Aber sind wir mal ehrlich: Wenn wir die Ladung verlieren, wird er uns gleich umbringen wollen, das ist so seine Art. Wir hatten einfach Glück, hat sein anderer Kunde ins Gras gebissen, sonst wären wir wohl kaum so leicht wieder zu einem Auftrag gekommen.“
Nani zuckte mit den Schultern und meinte lakonisch: „Ich glaubte, ihr hättet auf dem Planeten schon genug Feinde. Dann müssen wir halt auf die Ladung aufpassen.“
Natala kippte sich noch mehr von der scharfen Sauce auf ihren Teller. „Ich denke da eher an den Gangsterboss Nate, das ist ein Todfeind wie er im Buch steht. Episch.“
„Was habt ihr denn dem Typen angetan?“, wollte Nani neugierig wissen. Sie war noch nicht lange auf der Promise und kannte daher erst wenige Geschichten aus Natalas und Stanleys Vergangenheit.
„Apropos Feinde …“, unterbrach Stanley leise das Gespräch, legte seinen Taco weg und senkte so unauffällig er konnte die Hand zu seinem Blaster. „Hinter dir geht gerade einer vorüber, dem ich nicht um alles in der Galaxis begegnen wollte.“
Natala verspannte sich augenblicklich, ließ ihr Mittagessen achtlos auf den Teller fallen und fragte: „Wer?“
„Passenderweise Nate, doch er hat uns bisher nicht entdeckt.“
Sie wandte sich vorsichtig um und konnte den älteren Mann mit breitkrempigem Hut in einer Gruppe Einheimischer ausmachen. Er schien sich von ihnen zu entfernen, daher ließ sie von ihrer Waffe ab. Stattdessen beobachtete sie angespannt, wie er gemächlich die Marktstände entlangschlenderte, bis er schließlich um eine Ecke verschwand.
„Um ein Haar am Blutbad vorbei“, murmelte sie etwas entspannter, als sie ihr Fladenbrot vom Teller aufhob. Bevor sie einen Bissen nahm, fügte sie hinzu: „Schauen wir zu, dass wir hier rasch fertig werden, so was kann einem echt die Laune vermiesen.“
„Was hat es denn mit dem Typen auf sich?“, wiederholte Nani ihre Frage.
Natala schluckte eben den letzten Bissen herunter. „Nun, er ist der Boss von einer lokalen Gangsterbande und wir hatten mit ihm mal unsere Differenzen. Ich denke mal, er brächte uns liebend gern um. Und um ehrlich zu sein, ich möchte mich nicht mit ihm anlegen, er hat einen ganzen Haufen Handlanger.“
Stanley verzog etwas das Gesicht, als er sich an Nani wandte. „Er will uns tot sehen, weil wir seine Ladung in den Raum geworfen haben, da eine Zollkontrolle an Bord kam. Hätten wir das nicht getan, wären wir nun im Gefängnis, also ist es bei ihm einfach eine Frage des Prinzips, denn die Ware hätte er so oder so verloren. Er will wohl ein Exempel statuieren.“
„Na großartig, ich bin froh, wenn wir endlich von dem verdammten Planeten runter sind“, stöhnte Nani. „Übrigens, wenn wir schon davon sprechen, wollen wir zum Schiff zurückkehren?“
Die Promise stand in der verlassenen Landebucht und schimmerte matt im grellen Sonnenlicht, das vom wolkenlosen Himmel auf die Stadt herunterbrannte. Svens Schwebebühne war verschwunden, die Laderampe geschlossen und das Triebwerk sah aus, als ob es wieder gut befestigt war. Natala konnte weder Sven noch Dan verübeln, dass sie nach getaner Arbeit im Schiff verschwunden waren, die Hitze war wirklich unangenehm und sie schwitze selbst schon ziemlich. Eben als die drei auf die Promise zugehen wollten, konnten sie hinter sich das Summen eines Hovercrafts hören. Natala wandte sich um und erkannte, wie ein kleiner, schmuddeliger Hovertruck in die Landebucht tuckerte, bis er neben ihr anhielt. Die Fahrerin, eine verfilzte Frau in ihren Vierzigern, lehnte sich aus dem Fenster der Führerkabine. „Ladung von Marco für eine gewisse Natala Mastow.“
„Das bin ich. Stellen Sie einfach alles vors Schiff, den Rest erledigen wir.“
„Klar“, entgegnete sie gelangweilt, bevor sie bis zur Rampe der Promise vorfuhr. Sie machte sich nicht einmal die Mühe auszusteigen, sondern ließ die Frachtkisten automatisch mit dem Kran von der Ladefläche heben. Zuletzt hob sie kurz die Hand, winkte den Schmugglern demotiviert zu und fuhr von dannen.
Die Frachtboxen lagen im Sand und sahen aus wie metallene Würfel mit etwas mehr als anderthalb Metern Kantenlänge. Stanley trat vor eine, kickte dagegen und beschwerte sich: „Wir hätten die Truckerin einfach das ganze Zeug einladen lassen sollen, jetzt müssen wir es machen.“
„Du weißt genau, was ich von fremden Gaunern, die in meinem Schiff herumlaufen, denke, sogar wenn sie bloß in der Ladebucht sind. Da schiebe ich die Dinger lieber selbst rein“, brummte Natala, griff nach ihrem Com und tippte den Befehl ein, die Laderampe zu öffnen. Wahrscheinlich hatte Dan sie geschlossen, damit er nicht aufpassen musste, ob sich jemand auf das Schiff schlich; es wäre keineswegs das erste Mal, dass sie mit blinden Passagieren an Bord abhoben. Insbesondere auf den schäbigen Randwelten taten manche Menschen fast alles, um vom Planeten wegzukommen und sich anderswo ein neues Leben aufzubauen, denn die meisten Bewohner solcher Planeten waren arm und hatten wenig Aussicht auf gute Arbeit.
Die Rampe öffnete sich mit dem üblichen gequälten Summen der Hydraulik. Die drei traten auf das Schiff zu und Natala rief: „Dan? Sven? Könnt ihr mal kommen, wir müssen was verladen.“
Niemand antwortete und Stanley machte einen Schritt die Rampe hoch. „Wahrscheinlich haben sie sich hingelegt, die Reparatur ist sicher ziemlich anstrengend gewesen.“
„Falsch gedacht“, erklang eine fremde Stimme aus dem Frachtraum. Stanley war intuitiv von der Rampe gesprungen und hinter die nächste herumliegende Kiste gehastet, wo er seinen Blaster zog, die beiden Frauen taten es ihm gleich. Zuerst konnte Natala nichts ausmachen, da es im Inneren der Promise viel dunkler war als draußen, bis sich die Umrisse von zwei Gestalten abzeichneten. Im einen erkannte sie rasch Dan, als die beiden langsam nach draußen traten. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, er humpelte und hatte Blutergüsse im Gesicht, der andere stand hinter ihm, dem wesentlich zierlicheren Piloten einen Blaster an die Schläfe haltend. Als sie in dem Gegner Nate erkannte, begriff sie sofort, wie übel die Situation war.
Der Gangsterboss hatte sonnengegerbte Haut, sein ergrauendes Haar wirkte schlecht gekämmt. Er trug einen hellen, leichten Umhang und hatte einen breitkrempigen brauen Hut auf, um sich vor der Sonne zu schützen. Auf seinem Gesicht spielte ein überhebliches Grinsen, das es Natala schwerer machte, den Impuls zu unterdrücken, aufzustehen und ihm in den Kopf zu schießen; da er hinter Dan stand, hätte sie den Piloten ebenfalls erwischt. Hinter Nate traten weitere Leute aus seiner Bande aus dem Laderaum, die alle ihre Blaster auf sie angelegt hatten. Natala ging fieberhaft ihre Optionen durch; sie machte sich keine Illusionen, Nate wollte sie alle tot sehen, komme, was wolle.
Der Gangster ließ Dan los, der sich nicht selbst auf den Beinen halten konnte und vor ihm in die Knie ging. Weiterhin den Blaster auf den Kopf des Piloten richtend, begann er mit einer rauen Stimme zu sprechen. „Natala und Stan, schön dass ich euch mal wieder treffe.“
„Die Freude ist kein bisschen unsererseits“, konterte sie trocken im Versuch, eine möglichst ruhige Fassade zu wahren. „Was willst du?“
„Na was wohl? Ich will, was mit zusteht. Ihr habt damals meine Fracht abgeworfen und schuldet mir dafür noch zwölftausend Lipos.“
„Wir hatten keine Wahl, das weißt du genau! Ein Kreuzer der Systeme war hinter uns her und wir riskierten, bei einer Durchsuchung aufzufliegen.“
„Das ist euer Berufsrisiko, nicht meins“, gab er ungerührt zurück. „Entweder ich kriege mein Geld, den ganzen Betrag, oder ich bringe die beiden Typen um, die für dich arbeiten, bevor ich dein Schiff und deine Fracht nehme. Ich fange mit dem Blonden hier an, ihr habt bis Sonnenuntergang, eure Schulden zu bezahlen. Den Dunkelhaarigen erledige ich morgen früh.“
Ehe Natala etwas erwidern konnte, packte Nate seine Geisel an den Haaren und zerrte Dan gewaltsam ins Schiff. Als sich die Rampe hinter ihm schloss, herrschte über der Landebucht wieder Ruhe, die Luft in der Hitze flimmerte über dem staubigen Boden.
„Wir haben ein Problem“, zischte Stanley frustriert. „Was nun?“
Nani überlegte kurz. „Offenbar ist Anaata noch frei, er hat nur von Sven und Dan gesprochen. Wenn sie bald auftaucht, sind wir immerhin zu viert. Dafür sah Dan ziemlich übel aus, wir können also kaum darauf zählen, dass er sich wehren kann, falls wir sie rauszuholen versuchen. Keine Ahnung, wie es Sven geht, er ist wesentlich taffer.“
Natala trat wütend gegen eine Frachtkiste, die ein tiefes, metallisches Hallen von sich gab. Sie atmete durch, um sich zu sammeln. „Das ist egal, wir können die Promise nicht stürmen. Die Typen haben die besseren Waffen als wir, sind in der Überzahl und haben zwei von uns als Geiseln. Flüchten könnten wir nur, wenn wir unsere Kameraden und die Promise zurücklassen, ich will verdammt sein, wenn ich auch nur eins von beidem tue. Plus: Wie sollten wir ohne Schiff überhaut weit kommen?“
„Auch wenn mich das zur Miesmacherin macht: Wir haben keine zwölftausend Lipos“, ergänzte Nani.
„Ich bin nicht bereit dazu, zwei meiner Leute im Stich zu lassen. Wir arbeiten zusammen, wir leben zusammen und sind schon fast sowas wie eine kleine Familie. Ich bin Captain der Promise, also bin ich verantwortlich dafür, ob es allen gut geht und ich bin verdammt nochmal loyal zu meiner Crew. Ich habe zwar noch keine Ahnung, wie, aber ich werde alles dafür tun, Sven und Dan zurückzuholen. Niemand zwingt euch, mitzukommen, wenn ihr aussteigen wollt, nur, ich werde nicht aufgeben, bevor wir unsere Leute von diesen Drecksäcken befreit haben oder dabei sterben!“ Natala starrte grimmig-entschlossen auf die Silhouette ihres Sternenschiffs. Dem Captain war klar, wie stur und drastisch ihre Ansprache geklungen hatte, doch für sie gab es noch Ehre unter Verbrechern. Man kümmerte sich um die Seinen, komme, was wolle.
Stanley unterbrach ihren Gedankengang. „Du weißt genau, wir sind alle dabei, die Frage ist eher, wie wir das machen wollen. Rein statistisch stehen wir schlecht da.“
„Zuerst brauchen wir Anaata“, überlegte Nani, „dann hätten wir zumindest eine Chance, ohne großes Blutvergießen zum Geld zu kommen, es hat seine Vorteile, eine Diebin als Passagierin mitzuschleppen. Ob es sich lohnt, auf Nates Ehrlichkeit zu hoffen, ist die andere Frage. Ihr kennt ihn besser als ich, was meint ihr?“
Stanley schüttelte den Kopf. „Er wird uns auf jeden Fall umbringen, sobald er das Geld hat, soviel ist klar.“
„Also müssen wir schneller sein als er“, schlug Natala vor. „Wir benutzen die Übergabe als Ablenkung und befreien in der Zeit Dan und Sven.“ Bevor sie fortfahren konnte, hörte Natala hinter sich leichte Schritte auf dem sandigen Grund. In einer fließenden Bewegung fuhr sie herum und zog den Blaster.
„Hallo zusammen, sind wir bereit zum Abheben?“, ertönte Anaatas Stimme hinter ihnen. Sie trug in der einen Hand einen kleinen, alten Koffer, in dem wohl ihre Diebesbeute war und mit der anderen hielt sie einen mit ausgebleichten Farben bemalten papierenen Sonnenschirm. Ihre gelassene Haltung verschwand rasch, als sie die Waffe in Natalas Hand bemerkte. „Hey, schießt nicht auf meinen Sonnenschirm, der ist kitschig, aber auf dieser Welt verdammt nützlich! Und ich habe meine Passage bezahlt, also ruhig bleiben.“
Stanley erklärte ihr rasch die Situation und schloss mit den Worten: „Wie du siehst, sind wir angeschmiert. Um ehrlich zu sein, wir denken, Nate will uns bei der Übergabe sowieso alle umbringen.“
Anaata überlegte nahezu eine Minute, bevor sie vorschlug: „Ich kann bis am Abend die zwölftausend Lipos auftreiben, nur müsst ihr mir helfen, weil ich dabei Unterstützung brauche. Und wir rechnen am besten damit, gejagt zu werden, wenn wir so viel Geld stehlen. Außerdem bin ich kaum hilfreich bei der Übergabe, das ist euer Ressort, ich bin nicht so gut im Umgang mit Menschen.“
Nani, die schon früher mit Anaata zusammengearbeitet hatte, musste über ihre letzte Bemerkung, die sie für die Untertreibung des Jahres hielt, grinsen. „Wie sehr du in deiner eigenen Galaxis lebst ist ein offenes Geheimnis.“ Sie wurde rasch wieder ernst, als Natala mit wegen dem hellen Sonnenlicht zusammengekniffenen Augen fragte: „Du willst uns in ein paar Stunden so viel Geld besorgen, obwohl du nur unsere Passagierin bist? Danke! Trotzdem befürchte ich, das dürfte hässlich werden.“
„Natürlich, ist kein Ding. Und keine Sorge, ich bin ein kriminelles Meisterhirn.“
„Na, auf Bescheidenheit wartet man bei dir wie üblich vergeblich“, kommentierte Stanley.
Sie verzog nachdenklich das Gesicht. „Zumindest sage ich das immer; es klingt einfach so schön. Keine Angst, ich werde nie allzu überheblich und kenne meine Grenzen. Na ja, meistens.“
Er nickte mit zufriedener Miene. „Gut, ich bin dabei.“
„Wir lassen niemanden im Stich“, sagte Natala entschieden. „Ich werde verdammt wütend, wenn sich jemand in meinem Schiff verschanzt, unsere Crew als Geiseln nimmt und uns bedroht. Nani?“
„Ich bin zwar noch relativ neu auf der Promise, aber wie du schon gesagt hast, man lässt seine Crew nie im Stich. Sogar die Passagierin sieht das so, also zeigen wir’s ihnen.“
Ein Anflug von einem verwegenen Grinsen spielte um Natalas Lippen. „Gut, damit wäre das geklärt. Na dann, angebliche Meisterdiebin: Wie genau sollen wir zu so viel Geld kommen?“
„Weißt du, wo genau Nate sein Hauptquartier hat?“ Anaata konnte sich einen kindlichen Ausdruck der Vorfreude nicht verkneifen. „Das sollte wohl hier in der Stadt sein.“
Stanley starrte sie ungläubig an. „Du willst von ihm klauen und ihn mit seinem eigenen Geld bezahlen? Stehst du so sehr darauf, Gegnern deine Überlegenheit zu beweisen?“
„Schon, ja“, gab die Diebin unumwunden zu, als sei das die größte Selbstverständlichkeit. „Plus: Von wem sonst wissen wir sicher, dass er so viel Geld bunkert? Außerdem gibt das euch die Möglichkeit, diesem Nate zu zeigen, was passiert, wenn man sich mit uns anlegt.“
„Dafür stehen wir danach ganz oben auf seiner Todesliste; falls wir denn die Sache überleben sollten“, wandte Nani skeptisch ein.
Natala überlegte kurz, ehe sie der Diebin zustimmte: „Das spielt jetzt keine Rolle, vielleicht wird ja gar Nate den heutigen Abend nicht mehr erleben, darauf lassen wir’s ankommen. Leben wir für den Moment, retten wir Sven und Dan und verpassen wir dem Drecksack einen Denkzettel, den er nie mehr vergessen wird.“
Etwa eine Stunde war seit dem Gespräch der vier vergangen, als Natala und Stanley gemächlich durch die Türöffnung in eine ziemlich heruntergekommene Bar traten, die am anderen Ende des Arbeiterviertels lag. Es war ein schäbig eingerichteter, großer Raum in dem eine lange Theke stand und der mit schlichten Holztischen und -stühlen bestückt war. Die Bar war kaum klimatisiert und schlecht besetzt: Bloß drei Männer, alle wie die Gangster aus Nates Bande im Western-Stil gekleidet, saßen an der Bar, die Wirtin schenkte eben einem der Gauner gelangweilt ein neues Bier aus. Alle wandten sich den Neuankömmlingen zu, deren Raumfahrerstiefel auf den Holzdielen des Bodens knirschten. Die beiden Schmuggler setzten sich etwas entfernt von den drei an die Bar und Natala winkte der Barkeeperin mit einem Kreditchip zu: „Zwei kleine Deronische, aber von den guten.“
„Wir haben hier nur gutes Zeug“, rief die Frau zurück, bevor sie eine Flasche unter der Bar hervornahm und den Whisky in zwei kleine Gläser goss.
„Das bezweifle ich“, murmelte Stanley seiner Kameradin zu.
Natala lachte, wurde jedoch rasch wieder ernst, als die Barfrau die Gläser vor sie stellte. „Zehn Lipos. Bei eurem Akzent würde ich sagen, ihr seid nicht von hier?“
Natala schob ihr den Chip zu. „Nein, wir sind im Transportgewerbe.“
Die beiden hoben die Gläser und nahmen einen Schluck, nachdem sie sich laut zugeprostet hatten. Die Barkeeperin grinste derweil und folgerte: „Also Schmuggler, hätt ich’s mir denken können.“
Ohne auf die Bemerkung einzugehen fuhr Stanley seinen Captain genervt und schon leicht lallend an: „Musst du allen verraten, dass wir Schmuggler sind? Die Typen da drüben könnten Bundesagenten sein!“
Natala trank den Whisky in einem Zug aus und stellte das Glas gut hörbar auf den Tresen. Langsam erhob sie sich, ihre Mundwinkel zuckten gereizt. „Hältst du die Leute hier etwa für dumm? Jeder in dem Raum hat in dem Moment, in dem wir durch diese Tür traten begriffen, was unser Job ist. Wenn du dich ab und an vor einen Spiegel stelltest, hättest du das längst kapiert.“
„Klar, aber das macht es besser, wenn du es jedem gestehst, dem du über den Weg läufst“, lamentierte er gestenreich, trank ebenfalls aus und erhob sich. „Gib es zu, du hattest einen zu viel und musst wieder allen unsere Lebensgeschichte erzählen. Irgendwann laberst du einen Bundesagenten zu und wir enden im nächsten Knast!“
„Quatsch“, schnaubte Natala. „Der Planet ist nicht mal in den Vereinten Systemen, da kann dir ein Bundesagent gar nix anhaben. Außerdem sind die Typen da drüben Gangster, auch das sieht man auf hundert Meter.“
„Es geht ums Prinzip, weil du immer den gleichen Fehler machst“, blaffte Stanley zurück und zeigte mit dem Finger auf sie.
Die Barkeeperin verlor langsam ihre Geduld, denn nun erklärte sie entschieden: „Hört sofort auf damit oder streitet euch wenigstens draußen weiter.“ Die drei Gäste waren sitzengeblieben und schauten gespannt zu; Barschlägereien gehörten auf Tenowia zum täglichen Unterhaltungsprogramm für Gesetzlose und diese drei schienen innig darauf zu hoffen, gleich eine gute Show zu haben.
„Halt dich da raus, das ist unsere Sache, Lady!“, fuhr Natala sie an, bevor sie sich erneut an Stanley wandte, während sie ihre Jacke, die sie über dem Arm getragen hatte, auf den Hocker warf. „Mir reicht’s, wir klären das jetzt.“
Er sah sie kurz ungläubig an und schrie sie mit einer unflätigen Geste: „Du bist so voller Kodikaikacke!“
„Ich werde dir deine Kodikaikacke sonst wo hinstecken! Na los, zeig, was du draufhast!“ Damit krempelte sie die Ärmel hoch und machte bedrohlich einen Schritt auf ihn zu. Stanley ballte seine Fäuste, balancierte seine Haltung und schlug Natala ohne zu zögern mitten ins Gesicht.
Anaata kletterte eben durch die schmale Öffnung des Lüftungsschachtes, der auf dem Dach des Gebäudes begonnen hatte und hoffentlich in Nates Büro führte. Es war für sie kein Problem gewesen, aufs Dach zu gelangen. Zwar hatten Nates Leute Stacheldraht um die Dachkannten des einstöckigen Lehmhauses gespannt, sodass niemand hochklettern konnte und gar einige Einbruchssensoren angebracht, doch Anaata hatte ihre eigenen Mittel und Wege. Sie war ein Cyborg, ein Mensch mit biotechnischen Modifikationen an ihrem Körper. Als sie bereits einige Zeit ihren Lebensunterhalt als Diebin bestritt, hatte sie sich einige Dinge implantieren lassen, die ihre Arbeit stark vereinfachten. Unter anderem trug sie ein Com in ihrem Kopf, um bei Anrufen mit ihren Gedanken kommunizieren zu können und sich das Sprechen zu sparen und sie konnte dank eines Antigravitationsimplantates die Gesetze der Schwerkraft für ihren Körper für einige Augenblicke außer Kraft setzen. So war sie in einem eleganten Salto aus dem Stand die vier Meter aufs Dach gesprungen, ohne sich mit Klettern aufhalten zu müssen. Es war zwar ziemlich anstrengend, ja, erschöpfend, aber das nahm sie für die Vorteile, welche ihr die Implantate boten, gerne in Kauf.
Stets, wenn Anaata irgendwo einbrach, fühlte sie sich völlig entspannt und kontrolliert, beinahe als wäre sie eins mit allem, was sie umgab. Alles Irrelevante fiel von ihr ab, es gab nur noch sie und das Ziel, sie hatte das Gefühl, allen überlegen zu sein. Nach kurzer Zeit war sie am Ende des Luftschachtes angelangt und sah durch die Lamellen der Lüftung hinunter: Sie war tatsächlich über Nates Büro, ihr Plan schien aufzugehen. War ja klar, der Boss hat die einzige Klimaanlage im ganzen Haus, dachte sie amüsiert, klappte die Lüftung auf und ließ sich nach unten fallen. Den Sturz bremste sie mit ihrer Antigravitation ab, indem sie sich im Fall wie eine Katze umdrehte und sanft auf allen Vieren auf dem Boden landete. Nun galt es, den Safe zu finden und das möglichst schnell, denn es konnte jederzeit jemand durch die Tür kommen. Zuerst verschloss sie den einzigen Eingang von innen, was ihr im Notfall einige Sekunden verschaffte, rasch zu flüchten.
Anaata atmete tief durch und sah sich in dem Raum um. Sie musste schelmisch kichern, als sie ein einziges Bild erkennen konnte, das einsam an der Wand hing, für so dumm hatte sie den Gangster nicht gehalten. Sie trat zu dem Gemälde, auf dem eine fruchtbare Landschaft zu sehen war, die zweifellos auf einem anderen Planeten mit besseren Lebensbedingungen liegen musste und hob es von der Wand. Tatsächlich war dahinter ein Safe mit einem teuren biometrischen Schloss in der Wand eingelassen. Anaata kannte dieses Modell und wusste, ihr bliebe niemals genügend Zeit, es zu hacken; sie musste den Safe mit brachialer Gewalt aufbrechen. Routiniert griff sie nach ihrer Umhängetasche und wühlte darin herum, bis sie den Kompakt-Laserschneider gefunden hatte. Sie nahm das kleine Gerät zur Hand, richtete es auf das Schloss des Safes und schaltete es ein. Der rote Laserstrahl fraß sich knisternd und funkenstiebend durch den soliden Stahl, in dem kleinen Büro begann es wie in einer Metallgießerei zu riechen. Nach weniger als einer Minute hatte sie es geschafft: Rund ums den Schließmechanismus klaffte ein kreisrundes Loch. Nachdem sie den Laserschneider wieder verstaut hatte, holte sie einen Hammer hervor, mit dem sie einige Male möglichst leise gegen das Schloss schlug, bis es nachgab um mit einem Scheppern in das Innere des Safes fiel.
Die Diebin verharrte einen Moment angespannt, ehe sie das Werkzeug vorsichtig in ihre schwarze Tasche zurücksteckte, jemand hätte das Geräusch hören können. Es blieb alles still, sie konnte einzig einige laute Rufe aus der Bar hören, die auf der Vorderseite des Gebäudes lag und Nates Bande gehörte. Endlich öffnete sie den Safe und linste hinein: Es waren einige Datacards darin zu erkennen, daneben lag ein abgewetzter brauner Jutebeutel. Sie nahm ihn hinaus, stellte ihn auf den Tisch und öffnete ihn. Als Anaata die vielen Kreditchips sah, huschte ein glückseliges Lächeln über ihr Gesicht. „Ihr kommt mal schön mit mir, meine silbernen Freunde.“ Sie machte ihn wieder zu und steckte ihn ebenfalls in ihre Tasche, die nun prall gefüllt war. Zufrieden trat sie zum Safe, schloss ihn und hängte das Bild an seinen Platz zurück; niemand durfte den Diebstahl zu früh bemerken. Einen Moment überlegte sie: Sollte sie die Tür verschlossen lassen oder nicht? Sie entschied sich dagegen, da sie glaubte, so weniger schnell Verdacht zu erwecken. Nachdem sie sich mit einem letzten Rundblick überzeugt hatte, dass alles auf beim ersten Eindruck wie zuvor aussah, trat sie unter den Lüftungsschacht und sprang nach oben. Auf ihrem Rückweg murmelte sie mit dem zufriedenen Gefühl, einen Job erledigt zu haben: „Ja, dafür lebe ich.“
Als Natala und Stanley in der Gasse anlangten, in der sie sich mit Anaata treffen wollten, war die Diebin bereits da. Sie saß auf einer Mauer im Schatten, spielte mit ihrem aufgespannten Sonnenschirm und wühlte geistesabwesend in ihrer Tasche.
„Hey, wie ist’s gelaufen?“, fragte Stanley, als sie hinzutraten.
„Alles bestens, wir haben, was wir brauchen.“ Anaata zündete sich eine Zigarette an, ehe sie hochsah und einige blaue Flecken und Kratzer in den Gesichtern der beiden erkennen konnte. Sie hob fragend die Augenbrauen und deutete auf ihre Blessuren. „Das versteht ihr unter Gangster beschäftigen?“
Natala antwortete trocken: „Wir mussten es echt aussehen lassen.“
Anaata schüttelte kurz den Kopf. „Das war so richtig schön …“, sie machte eine Pause und suchte nach einem Wort, „… unsubtil.“
Stanley setzte sich neben sie auf die Mauer. „Was denkst du denn? Du hast gemeint, wir sollen Nates Leute eine Weile ablenken und nichts lässt diese faulen Gauner mehr alles andere vergessen als eine schöne Barschlägerei. Immerhin haben wir nach unserer melodramatischen Versöhnung noch mit allen ein paar getrunken.“
Anaata erklärte kichernd: „Ihr Schmuggler habt echt einen Dachschaden.“
„Ich habe gemeint, man erzählt sich über dich, du seist nicht ganz richtig im Kopf?“, konterte Stanley.
„Manche sagen das wirklich“, murmelte sie skeptisch. „Die nennen mich eigenartig. Ich weiß aber noch immer nicht genau, wieso.“
Natala unterbrach das Geplänkel. „Wie viel hast du erbeuten können?“
Mit einem übertrieben dramatischen Unterton in ihrer Stimme öffnete Anaata den Beutel: „Fünfzehntausend.“
„Das ist ja mehr, als wir brauchen“, freute sich Natala, als sie sich neben ihren Freunden auf der Mauer niederließ. „Jetzt hoffen wir, Nani hatte genauso viel Erfolg.“
Eine Viertelstunde später trat Nani zu der Gruppe. Sie wirkte von der Hitze leicht abgekämpft und trug zwei schwere Taschen bei sich. Anaata sprang von der Mauer auf und machte ein paar Schritte auf Nani zu. „Oh, hübsches Spielzeug, darf ich mal sehen?“
„Ich habe gemeint, du magst keine Waffen?“, wollte Stanley erstaunt wissen.
„Ich mag keine Schießereien, Waffen dagegen finde ich faszinierend.“ Die Diebin legte ihren Sonnenschirm ab und wühlte in der einen Tasche. Derweil stieß sich Natala von der Mauer ab und wandte sich an Nani: „Na, was hast du für den Rest von unserem Geld bekommen?“
„Ein Scharfschützengewehr, Ersatzmunition für unsere Blaster, ein paar Blendgranaten plus einen Detonator. Ich hoffe, das wird reichen.“
„Es muss reichen“, erklärte Natala entschieden. „Die haben einen Krieg mit uns angefangen, ich plane, den zu gewinnen.“
„Na großartig“, seufzte Stanley. „Ich hoffe bloß, dass wir nicht die mit den großen Brandlöchern in der Haut sein werden.“
Sie schwiegen kurz, bis Natala vorschlug: „Okay, gehen wir nochmal alles durch? Ich gebe ihm das Geld, Stanley gibt mir Deckung, Anaata und Nani befreien die Gefangenen, wenn sie können. Ich traue Nate nicht genug über den Weg, um mich auf sein Ehrgefühl zu verlassen.“
„Das kann ich dir nachempfinden“, stimmte Nani zu und machte dabei eine Miene, als ob sie gerade in etwas Saures gebissen hätte. „Ich habe den Typen eben erst kennengelernt und sogar ich denke, er will uns alle umbringen.“
Es war kurz vor Sonnenuntergang, als Natala auf das Landefeld trat. Der wolkenlose Himmel wirkte, als begann er sich leicht rötlich zu färben und die Promise wurde nun von vorne angestrahlt. Die Laderampe war geschlossen und Natala konnte niemanden erkennen, als sie auf ihr Sternenschiff zuschritt, eine Tasche mit den Kreditchips in der Hand. Die Frachtkisten lagen noch immer vor dem Schiff verteilt auf dem Boden, ähnlich wie überdimensionierte liegengelassene Bauklötzchen eines Kindes, das sich vor dem Aufräumen drückte. Die Geräusche von der mit der nachlassenden Hitze wieder belebter werdenden Straße drangen nur gedämpft über die Mauer, ab und an war ein lauter Ruf zu vernehmen. Eine einzelne Eidechse huschte über das Landefeld, wahrscheinlich hatten die Schritte der Schmugglerin sie aufgescheucht. Natala blieb ungefähr zwanzig Meter vor der Promise stehen, warf die Tasche vor sich auf den Boden und rief: „Ich habe dein Geld, Nate.“
Einige Sekunden tat sich nichts, bis ein hydraulisches Zischen und Summen erklang, als die Rampe sich öffnete. Nate stand mit einem seiner Leute oben im Frachtraum und sah auf Natala hinunter. „Bring das Geld hoch“, befahl er in die Stille.
Natala lachte heiser. Sie kannte solche Spiele zur Genüge und wusste, sie musste Härte zeigen. „Erst will ich meine Leute sehen, bring sie runter.“
Nate flüsterte seinem Handlanger etwas zu, der daraufhin im Innern der Promise verschwand, Nach nahezu einer Minute kehrte er mit Sven zurück, dessen Hände auf den Rücken gefesselt waren. Der Mechaniker wirkte weniger versehrt als Dan, offensichtlich hatte man ihn weniger verprügelt, doch auch er trug einige blaue Flecken im Gesicht. Aus Erfahrung wusste Natala, wie heikel solche Deals mit jemandem, dem man nicht trauen konnte, waren. Man musste die Oberhand behalten und wenn einem dies misslang, sich zumindest einen nützlichen Vorteil sichern. Dabei durfte man unter keinen Umständen zu weit gehen, denn der kleinste Fehler entschied über Leben oder Tod, es kam ihr vor wie ein Tanz auf heißen Kohlen. Trotz ihrer Anspannung versuchte sie ruhig zu wirken, denn nun käme es darauf an, ob sie die Lage kontrollieren konnte.
Nate trat einen Schritt nach vorn, wobei er Sven am Arm hielt, um ihn mitzuziehen. „Okay, ich bringe ihn, du das Geld, wir treffen uns in der Mitte. Stimmt die Bezahlung, kommen meine Leute mit dem anderen Typen raus. Dann könnt ihr von hier verschwinden und wir auch, alle sind zufrieden.“
Natala tat kurz so, als dachte sie darüber nach. Insgeheim freute sie sich über das Angebot, da Nate so von der Promise wegtreten musste, was ihrer Crew einen Vorteil verschaffte, aber das durfte sie ihm nicht zeigen, um keinen Verdacht zu erregen. Schließlich rief sie zurück: „Okay, los geht’s.“
Sie tat bedächtig Schritt für Schritt auf die Promise zu, während Nate genauso schleichend die Rampe hinunterging. Sie wollte möglichst langsam sein, um ihren Leuten die Zeit zu verschaffen, die sie brauchten. Nach etwa einer halben Minute waren sie bloß noch einen Meter voneinander entfernt und blieben stehen.
„Erst wenn du Sven losmachst und er zu mir tritt, kriegst du die Tasche“, erklärte Natala entschieden. Die Spannung war so stark, dass Natala das Gefühl hatte, sie wäre etwas Substantielles, das zwischen ihnen in der Luft lag.
„Egal, wo du deine Leute versteckt hast, ihr seid in der Unterzahl“, spottete der Gangster. Nach einem kurzen Schweigen, bei dem seine Mundwinkel kaum merklich zuckten, fügte er hinzu: „Probiert keine krummen Touren.“
„Würde mir niemals einfallen.“ Natala verzog keine Miene. „Los, bringen wir’s hinter uns.“
Mittlerweile war sie ganz sicher; Nate plante, sie alle umzubringen. Sie hatte schon mit ihm Geschäfte gemacht und kannte das Zucken in seinem Gesicht, das nichts Gutes zu bedeuten hatte. Er zog seinen Blaster, ehe er mit der anderen Hand Sven losmachte. Dieser wirkte ziemlich gefasst; Natala wusste, der Mechaniker hatte bereits vor seiner Zeit auf der Promise das eine oder andere Abenteuer erlebt und konnte auf sich aufpassen. Sie machte sich eher Sorgen um Dan, der zwar ein ausgezeichneter Pilot, in einem Kampf dagegen eindeutig unterlegen war. Er stammte nicht aus ihrer Welt der Gauner und Halunken, war eher durch Zufall auf der Promise gelandet. Nun war es nicht an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, ermahnte sie sich, denn eben blaffte Nate: „Okay, er kann gehen, her mit dem Geld.“
Als Sven die paar Schritte auf Natala zuging, hob sie die schwere Tasche auf und warf sie dem Gauner zu. Nate fing sie auf und sah hinein, als Sven Natala zuraunte: „Was ist der Plan?“
„Wirst du gleich sehen“, gab sie genauso leise zurück, bevor sie sich an Nate wandte und laut fragte: „Na, zufrieden?“
Er zählte eben die letzten Chips. „Ja, ist alles da. Woher habt ihr das so schnell herbekommen?“
„Das geht dich einen feuchten Scheiß an, du hast was du willst. Jetzt hol deine Speichellecker aus meinem Schiff.“
Nate hob lachend den Blaster. „Träum weiter, Mastow, dies ist das Ende deiner Reise.“
Nani und Anaata huschten geduckt über den Landeplatz um sich von hinten an die Promise anzuschleichen. So blieben sie außer Sichtweite der Fenster, man könnte sie höchstens auf den Bildern der Heckkameras erkennen. Sie hatten sich zwar zuvor mit dem Fernglas vergewissert, dass niemand auf der Brücke war, trotzdem versuchten sie so rasch als möglich unters Schiff zu gelangen, da es im unteren Geschoß kaum Fenster hatte und sie auf keinen Fall entdeckt werden durften, wenn ihr Plan aufgehen sollte. Zuerst hatten sie geplant, hinter Nate die Rampe hochzukriechen, doch nach einigem Überlegen war Nani auf eine bessere Idee gekommen: Es gab zwar keinen Eingang auf der Unterseite der Promise, dafür eine Abdeckplatte, die man leicht entfernen konnte, da sie einen Notausgang verdeckte. Die beiden krochen darunter, Nani zog einen handlichen Schrauber aus der Tasche und setzte ihn an der Platte an. Ohne ein Geräusch zu machen löste sie die Verriegelung des Notausganges, bis sich mit einem leisen Zischen der Zugang öffnete. Sie wandte sich Anaata zu: „Na, bist du nervös?“
„Nein, gelangweilt“, beschwerte sich die Diebin. „Wann gibt es endlich Action hier?“ Ohne weiter zu warten kletterte sie in den dunklen Schacht, der ins Innere des alten Frachters führte.
„Sowas wie eine Geduldsspanne existiert bei dir quasi nicht, oder?“ Nani verschloss mit einem resignierten Seufzen den Zugang von innen, falls sie schnell abheben müssten, wäre ein offener Notausgang ein gewaltiges Problem. Einzig das grünlichgelbe Glimmen einer fast ausgebrannten organischen Glühlampe erleuchtete den kurzen, engen Schacht, in dem es nach abgestandener Luft roch. Bald waren sie die Sprossen hochgeklettert und langte bei dem Zugang zum Flitzer-Hangar an. Nani war angespannt und glaubte für einige Sekunden, ihren eigenen Puls hören zu können, aber wie immer, wenn Gefahr herrschte, fühlte sie sich gleichzeitig lebendiger als sonst. Als Kind aus einer Bürokratenfamilie hatte sie, anders als Natala und Stanley, das Dasein als Abenteurerin aus freien Stücken gewählt und nicht, weil sie das Geld unbedingt brauchte. Sie lebte für den Kick, die Spannung, für den Augenblick, in dem sich alles entschied.
Gleich hinter dem Frachtraum und unter dem Aufenthaltsbereich lag ein kleiner Hangar, in dem ein alter, olivgrüner Flitzer abgestellt war, den sie manchmal benutzten, wenn sie auf einem Planeten unterwegs waren. Eben kletterten die beiden Kameradinnen aus dem Schacht, der in der vom Flitzer verdeckten Wand endete. Nani zog den Blaster und hielt ihn bereit, wenn auch niemand außer ihnen im Hangar war.
Anaata trat zu einem Interface, einer kleinen in der Wand eingelassenen Glasplatte, über welche sie Befehle an das Schiff eintippen konnte, während Nani weiterhin den Hangar sicherte. Die Diebin tippte kurz auf dem Terminal, über dem nun Hologramme angezeigt wurden, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. „Laut dem Lebensformen-Scan sind außer uns vier Menschen an Bord, alle im Wohnbereich. Also müssen drei andere Dan da festhalten.“
„Okay, wir gehen durch den Maschinenraum hoch und schleichen uns von hinten an. So haben wir ein besseres Überraschungsmoment.“
Möglichst leise traten sie auf den Gang, der durchs untere Geschoß führte, ehe sie nach achtern zum Maschinenraum huschten. Dieser war so breit wie das ganze Schiff und über zwei Stockwerke verteilt. In der Mitte war eine schmale Treppe mit den üblichen rostigen Gitterstufen, über die man ins Obergeschoss gelangte. Die Hitze der Geräte machte Nani zu schaffen, die in der gedämpften Beleuchtung nicht allzu viel sehen konnte, der Fusionsgenerator summte unangenehm und es roch nach Öl. „Wie kann es Sven hier gefallen?“, wunderte sich Nani leise.
„Er mag halt das Schiff, all die Maschinen hier sind irgendwie seine Essenz“, sinnierte Anaata, als sie oben anlangten, nur um sogleich wieder sachlich zu werden. „Ist es okay, wenn ich den Zugang vom Hauptgang benutze und du dich von hinten anschleichst? Wenn ich die Gangster ablenke, kannst du sie einfacher überraschen und ausschalten.“
„Meinst du denn, du bist schnell genug?“, wollte Nani besorgt wissen. Sie war vor längerem bereits ein paar Mal Anaatas Komplizin bei Einbrüchen gewesen und hatte im Laufe der Zeit die Freundin trotz ihrer Marotten zu schätzen begonnen.
„Keine Sorge“, entgegnete die Diebin nonchalant. „Ich kann der Decke lang rennen, schon vergessen?“
Nani schmunzelte, Anaata von etwas, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte, abzubringen war ein sinnloses Unterfangen. „Gut, ich melde mich, sobald ich auf Position bin.“
„Halt mal, nicht so hastig“, konterte Natala mit ihrem besten Pokerface. Sie hatte sich beherrschen müssen, ein Zusammenzucken zu unterdrücken, als Nate den Blaster gehoben hatte.
„Gib mir einen guten Grund, dich am Leben zu lassen“, spottete er grinsend. „Ich gebe dir genau fünf Sekunden.“
„Ich habe sogar zwei. Erstens zielt Stanley in genau diesem Moment mit einem Scharfschützengewehr auf deinen Kopf und zweitens habe ich einen Detonator in meiner Jackentasche, der mit einem Sensor an meinen Puls angeschlossen ist. Stellst du was Dummes an, drückt er ab, bringst du mich um, sprengst du damit einen Krater in das Landefeld und wirst selbst vaporisiert. Plus, wenn sich dein Mann auf der Rampe mehr als einen Meter bewegt oder eine Waffe zieht, wird Stanley auch ihn erwischen, er ist ein ausgezeichneter Schütze.“
Nate dachte kurz nach, dann lachte er. „Natala Mastow, du alter Drecksack, nur dir ist ein solch ausgefuchster Plan zuzutrauen. Doch du solltest daran denken, dass meine Leute noch immer deinen Piloten und dein Schiff haben, also können sie den einfach umbringen und deinen Schrotthaufen hochjagen. So sind am Ende alle tot; niemand hat was gewonnen.“
„Wir haben eine Pattsituation“, folgerte Natala ruhig. „Was schlägst du vor? Immerhin hast du dein Geld, also kannst du uns einfach das Schiff lassen, wir verschwinden und alle sind glücklich.“
Weiterhin grinsend schüttelte Nate den Kopf. „So einfach ist das nicht, was denkst du, wie ich vor meinen Leuten dastehe, wenn ich dir nachgebe? Meine Bande ist kein chaotischer Haufen von planlosen Tagträumern wie deine Crew, nein, sie gehorchen mir, respektieren mich. Wenn ich denen sage, wir rächen uns, sollten wir das besser auch tun.“
„Und wenn du wegläufst habe ich genauso wenig eine Garantie, nicht später von dir in den Rücken geschossen zu werden“, ergänzte Natala. „Ergo muss eine andere Lösung her.“
Nate nahm sich Zeit, eingehend nachzudenken. „Wie wäre das? Ich hole meine Leute raus, lasse dir den antiquierten Klunker, behalte aber zwei von eurer Crew, am besten den Piloten und den Mechaniker, für die habe ich am meisten Verwendung. Damit bewahre ich mein Gesicht und kann euch gehen lassen, ohne auf euch zu schießen.“
Natala starrte ihn ungläubig an, ihr Erstaunen verwandelte sich rasch zu Wut: „Du mieses Stück Dreck bildest dir tatsächlich ein, ich überlasse dir zwei meiner Leute, damit du sie auf dem Schwarzmarkt als Sklaven verkaufen kannst? Du kennst mich schlecht, Nate. Lieber jage ich uns beide hier und jetzt hoch!“
Nun war sein Grinsen verschwunden und Natala konnte erkennen, wie nahe am Ende seiner Geduld er war, sie hatte Nate noch nie für einen ausgeglichenen Verhandlungspartner gehalten. „Verdammt, Mastow! Hättest du mir gegenüber dieselbe Loyalität gezeigt wie deiner Crew, wären wir jetzt gute Geschäftspartner. Du hast meine Ladung abgeworfen und nun musst du mir nicht nur den Wert bezahlen, sondern auch für meinen Imageverlust büßen.“
Natala war nun ebenfalls an der Grenze dazu, ihre Beherrschung zu verlieren, doch sie wusste, sie musste sich im Zaum halten, zu viele Leben standen auf dem Spiel. Sven stand noch immer unbewaffnet neben ihr, außerdem konnte sie sicher sein, Nates Leute ermordeten Dan, wenn sie dem Gangsterboss den Garaus machte. Trotz ihrer Beherrschung konnte man unterdrückte Wut in ihrer Stimme hören, als sie kalt zurückgab: „Ich sage dir nun was, und ich sage es dir ein einziges Mal: Die Promise ist mein Heim, unser Heim. In dem Moment, in dem deine Leute ungefragt einen Fuß in mein Schiff gesetzt haben, bist du zu meinem Feind geworden. Als du meine Freunde misshandelt hast, habe ich mir Rache geschworen. Trotz allem biete ich dir zum letzten Mal an, hier wegzulaufen, ohne dass es ein Massaker gibt. Aber eines kannst du mir glauben: Wir sind zu Dingen fähig, die du ein paar Schmugglern niemals zutrauen würdest, die du für einen chaotischen Haufen von Tagträumern hältst.“ Sie machte eine Pause, atmete einmal tief durch und ergänzte wesentlich ruhiger: „Ware kann verlorengehen, damit musst du leben. Du kennst das Risiko, kennst die Spielregeln. Alles, was du damals verloren hast, war Geld; diesmal geht es um dein Leben.“
Nate überlegte einige Zeit, ehe er entgegnete: „Du hältst nicht alle guten Karten in der Hand, so lange ich deinen Piloten und dein Schiff habe. Ich bleibe genau hier.“
Nani schlich durch den Gang im Wohnbereich der Promise, sie hatte eben die zweite Biegung hinter sich gelassen. Kurz darauf langte sie bei der Tür zum Aufenthaltsraum an und lauschte einen Augenblick, bevor sie in ihr Com flüsterte: „Ich bin bereit.“
Es dauerte einige Sekunden, bis sie Anaatas Antwort in ihrem Ohrstecker vernehmen konnte. „Dito, das wird lustig. Auf drei.“
Nani bestätigte, fragte sich insgeheim, was die Kameradin daran lustig fand und konnte hören, wie Anaata von drei herunterzählte. Die Diebin stand an dem anderen Zugang zum Wohnzimmer, sodass sie Nates Leute ablenken konnte, was Nani ein Zeitfenster verschaffen sollte, ungesehen einzutreten. Nani spannte sich an und zog ihren Blaster, bereit, in den Raum zu stürmen. Sie hatte die Waffe auf Betäubung gestellt, was zwar humaner und vor allem sicherer für Dan war, wenn auch zugleich unpraktischer, da so die Schüsse eine geringere Reichweite hatten. Mit einem Ohr an der Metallplatte konnte Nani hören, wie die Tür auf Anaatas Seite aufglitt. Auf das Geräusch von Metall, das über den Boden rollte, folgte ein lauter Knall, die von Anaata geworfene Blendgranate detonierte und ein unkoordiniertes Gewitter aus Blasterschüssen brach aus. Nun war es so weit, Nani schon rasch den Zugang von Hand auf und trat möglichst leise ein. Hastig verschaffte sie sich einen Überblick über die Lage: Dan lag gefesselt auf dem großen Ecksofa, er hatte eine Platzwunde am Kopf, war aber bei Bewusstsein. Die drei Gegner waren übers ganze Zimmer verteilt: Einer stand gleich vor Nani, hatte ihr den Rücken zugekehrt, die zweite saß desorientiert von dem Blitz neben Dan auf dem Sofa und hielt einen Blaster umklammert. Der Dritte, der am wenigsten geblendet worden zu sein schien, stand in der Mitte des Raumes und richtete eben den Blaster auf die Tür, durch die Anaata eingetreten war, die mittlerweile schon kopfüber kniend an der Decke hing und ebenfalls eine Waffe zog.
Nani schoss dem Mann, der vor ihr stand, in den Rücken. Ein blauweißer Blitz zuckte von ihrem Blaster zu dem Gangster, der sofort bewusstlos umfiel. Ohne Zaudern legte Nani auf die Frau an, die auf der Couch saß und drückte ab; wieder traf sie, die zweite Gegnerin kippte vom Sofa und plumpste unsanft auf den Boden. Nun blieb noch der Mann, der Anaata an der Decke entdeckt hatte und ehe diese feuern konnte, hinter dem Sofa in Deckung ging. Anaata ließ sich fallen, drehte sich in der Luft und landete elegant auf allen Vieren. Der Plan verlief weniger gut, als Nani gehofft hatte, sie rannte ebenfalls geduckt zur Couch, um die Distanz zum Feind zu überbrücken. Kurz vor dem Sofa ließ sich die erfahrene Kämpferin fallen und rollte sich im Schutz des Möbelstücks ab. Keine Sekunde zu früh, wie sie sofort begriff, denn der Gangster feuerte hinter seiner Deckung ohne groß zu zielen Schüsse in Anaatas Richtung ab. Zuerst verfehlte er sein Ziel, brannte Löcher in den alten Perserteppich, da schrie die Diebin gepeinigt auf, offenbar hatte er sie getroffen. Nani konnte nicht nach ihr sehen, da sie zuerst den Gangster ausschalten musste. Sie robbte zur Ecke der Couch und schoss wahllos Betäubungsstrahlen in seine Richtung ab, zum Zielen blieb ihr keine Zeit, wenn sie das Überraschungsmoment nutzen wollte. Sie konnte sofort ein Rumpeln hören, gefolgt von einem Scheppern, als der Getroffene den Blaster fallen ließ. Nun wagte sie es, aus ihrer Deckung zu linsen, er lag reglos vor ihr. Der Adrenalinschub ließ langsam nach und sogleich fiel ihr wieder Anaata ein. Eilig sprang sie auf und hastete zur gestürzten Kameradin, die auf dem Boden saß und das Gesicht verzog.
„Hat er dich erwischt?“, fragte Nani und kniete neben ihr nieder.
„Nur ein Streifschuss am Bein“, entgegnete Anaata mit zusammengebissenen Zähnen. „Ist nicht mein erstes Mal, ich komme schon klar. Befrei erst mal Dan, ich hole mir so lange Verbandszeug.“
Nani unterdrückte dem Impuls, Anaata zu helfen; sie kannte die Diebin gut genug um zu wissen, sie bäte trotz ihrem manchmal großen Ego darum, wenn sie wirklich Hilfe brauchte. Stattdessen trat sie zu Dan, griff nach ihrem Messer, schnitt seine Fesseln durch und half ihm, sich aufzusetzen. „Wie geht es dir?“
„Frag nicht“, antwortete er kurzatmig. „Immerhin sehe ich nach der Blendgranate wieder etwas. Gib mir keinen Blaster, ich will nichts tun, was ich später bereue.“
Nani begriff, insbesondere wegen seiner Kopfwunde, dass er wohl über die letzten Stunden mehrmals misshandelt worden war und kam sich nutzlos vor, da sie unsicher war, was sie für den Kameraden tun konnte. Das einzige, was ihr einfiel, war eine Gewohnheit aus ihrer Kindheit, wo ihr stets ein Tee angeboten worden war, wenn sie aufgebracht war, also meinte sie: „Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag es bitte einfach. Hol dir erst mal eine Tasse starken Tee, ich räume so lange mal hier auf und bringe den ganzen Müll raus.“
Dan stand mechanisch auf. Er torkelte leicht, als er zur Theke ging, die hinten im Raum stand, um bei der Getränkemaschine seinen Wunsch einzutippen. Nani hätte ihm gerne geholfen, nur standen sie weiterhin unter Zeitdruck, weswegen sie entschuldigend erklärte: „Ich muss rasch Natala anrufen, wir haben noch immer eine ziemlich heikle Situation da draußen.“
Er nickte mechanisch, trank die Tasse in einem Zug leer, um sich schließlich abwesend auf einen Sessel fallen zu lassen. Widerstrebend griff Nani nach ihrem Com und rief Natala an, während sie die bewusstlosen Gegner fesselte.
„Gut“, sagte Natala eben, „dann müssen wir halt eine andere Lösung finden.“ Ihr Com zirpte und unterbrach sie in ihrer fruchtlosen Verhandlung. Den empörten Nate ignorierend, der zu viel Respekt vor dem Detonator hatte, um etwas zu unternehmen, zog sie das Gerät aus der Hosentasche und nahm den Anruf entgegen. Sie lauschte einige Sekunden Nanis Bericht, ehe sie sprach. „Gut, alles klar. Wir sollten bald fertig sein, gehen wir nach Plan vor.“
Kaum hatte sie die Verbindung unterbrochen, wollte Nate genervt wissen: „Was sollte das?“
Statt ihm zu antworten, wurde ihre Stimme kalt, als sie weiter in ihr angestecktes Mikrofon befahl: „Stan, schieß ihm ins Bein.“
Bevor Nate reagieren konnte, hörte sie ein kurzes Zischen in der Luft und ein Lichtprojektil traf ihn ins linke Knie. Er brach zusammen, hob gleichzeitig den Blaser und schoss ohne zu Zielen in Natalas Richtung. Der Schuss verfehlte sie, da es Natala ein Leichtes gewesen war, sich wegzuducken, was Sven die Gelegenheit verschaffte, dem Gangsterboss derart hart gegen das Handgelenk zu treten, dass dieser seine Waffe fallen ließ. Kaum war er entwaffnet, hob Sven den Blaster auf und hielt ihn damit in Schach, was Natala Zeit verschaffte, sich nach dem anderen Gangster umzusehen, der an der Rampe Wache gehalten hatte; er lag betäubt auf dem Sand, Nani stand hinter ihm. Nate setzte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und schrie keuchend in sein Com: „Bringt den Piloten um, verdammt!“
„Niemand kann dich noch hören.“ Ein verächtliches Lächeln war alles, was sie für den Kerl aufzubringen bereit war. Natala genoss es, die Oberhand zu haben, ihm dies quälend langsam unter die Nase reiben zu können. Erst nach einer Pause erklärte sie: „Meine Crew hat das Schiff übernommen, all deine Leute sind unschädlich gemacht. Du hast keine Verhandlungsbasis mehr, es gibt nichts, das du uns noch anbieten könntest.“
Nate schnaubte wütend, wenn Natala auch glaubte, nun Angst in seinen Augen zu erkennen. Sie hätte ihn liebend gerne erschossen, hielt sich aber zurück, da sie es als unehrenhaft empfand, einen unbewaffneten Gegner niederzumachen. Bislang hatte sie ausschließlich getötet, wenn es nicht anders ging, daran gedachte sie weiterhin festzuhalten. Als Stanley mit dem geschulterten Scharfschützengewehr über die Landebucht auf sie zukam, zog sie den Detonator aus ihrer Tasche, um ihn zu deaktivieren. Auf eine sichere Distanz achtend beugte sie sich zu ihrem Gegner hinunter und hob den Beutel mit dem Geld auf, den er fallengelassen hatte. „Du wirst uns so oder so tot sehen wollen, da holen wir lieber von Anfang an das Beste für uns heraus.“
Man konnte Nate ansehen, wie er gegen die Schmerzen ankämpfte, trotzdem gelang es ihm weiterhin, Wut zu zeigen, wenn auch seine Fassade bröckelte. „Verdammt Natala, du miese Verräterin bestiehlst mich!“
Stanley gluckste und blinzelte Natala zu. „Wenn er wüsste, wie recht er damit hat.“ Ohne sich weiter um Nate zu scheren, ging er an den Frachtkisten vorbei, die vor der Promise auf dem sandigen Boden standen und trat die geöffnete Rampe hoch. Ohne anzuhalten rief er: „Sven, magst du mir beim Verladen helfen? Ich will von diesem öden Brocken runter.“
Der Mechaniker folgte Stanley ins Innere des Laderaumes, um die Schwebekarre zu holen. Bevor er außer Hörweite war, fügte er hinzu: „Wir sollten in einer Viertelstunde fertig sein.“
„Gut“, gab Natala zurück und kramte ihr Com hervor. Sie achtete zwar darauf, nicht nahe bei Nate zu stehen, doch so lange sie eine Waffe in der Hand hielt und er verletzt auf dem Boden saß, war er keine große Bedrohung mehr. Nachdem sie einen Befehl in das Hologramm eingetippt hatte, wartete sie, bis sich Nani am anderen Ende der Leitung meldete. „Wie schaut es bei euch aus?“
„Mir geht’s soweit gut, ich werde gleich den anderen Abschaum rausbringen. Anaata und Dan sind auf der Brücke, beide leicht verletzt, ich denke, sie sollten klarkommen.“
„Gut.“ Nach einer Pause wandte sich Natala wieder an Nate. „Deine Speichellecker gesellen sich bald zu dir. Du kannst von Glück reden, sind meine Leute unversehrt.“ Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu und schwieg.
Einige Minuten später schob Nani mit einem zweiten Schwebekarren Nates bewusstlose Handlager die Rampe herunter und kippte sie wie eine ziemlich wertlose Fracht einige Meter neben ihm auf den Boden. Sie konnte es nicht lassen, sich mit ihrem freundlichsten Lächeln an den Verletzten zu wenden: „Bitteschön, Lieferung für einen Mr. Nate Fullerton.“
Natala, ein Lachen unterdrückend, konnte ihm ansehen, wie er seine Rage bloß mit letzter Mühe unterdrückte, sie wusste, sie hatten sich eben einen Feind fürs Leben gemacht. Trotzdem befand sie, dafür, dass er in ihr Schiff eingedrungen war und ihre Freunde als Geiseln genommen hatte, sprangen sie gnädig mit ihm um, wenn sie ihm eine Chance dazu gaben, die ganze Sache zu überleben. Noch vor fünf Jahren hätte Natala ihn bei der erstbesten Gelegenheit erschossen, ohne vorher zu diskutieren; wenn man lange genug mit derselben Crew zusammen war, bekamen Konzepte wie Loyalität und Ehre gar für eine Gesetzlose wie sie eine völlig neue Dimension. Trotzdem konnte sie keineswegs leugnen, eine sadistische Freude zu verspüren, Nate sein Versagen immer von neuem unter die Nase zu reiben. Es war ihr egal, denn für die Standards von Tenowia war ihre Rache außerordentlich mild und das wusste sie.
Nani half mittlerweile beim Verlad von Marcos Frachtkisten mit, während Natala weiterhin die Gefangenen bewachte. Als ihre drei Freunde die letzten Kisten in den Laderaum der Promise schoben, wandte sie sich Nate zu. Sie hatte rasch begriffen, er befürchtete, sie würden ihn erschießen oder unterwegs aus der Luftschleuse werfen, weshalb er ungewöhnlich ruhig und schweigsam geworden war. Nun fragte sie ihn: „Weißt du, was dein Problem ist? Du hast zwar Macht auf diesem kleinen, staubigen Planeten, aber niemanden, der zu dir steht. Du verstehst nicht, was Loyalität bedeutet. Und genau darum wird auch niemand kommen, wird niemand dich retten.“
Nate war nun trotz aller Angst mit seiner Geduld am Ende, denn er zischte schmerzerfüllt: „Bring es endlich hinter dich, Mastow.“
Natala schnaubte amüsiert. „Das haben wir längst, du bist zumindest fürs erste erledigt. Das Geld, das wir dir gegeben und wieder genommen haben stammt aus dem Safe in deinem Büro. Du wirst einiges neu budgetieren müssen, wenn, oder falls, du nach Hause kommst.“
Sie beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck von Erschrecken zu Wut wechselte. „Ihr verdammten Verräter!“
„Ich bin noch nicht fertig“, gab Natala kalt zurück. „Erinnerst du dich an Marco, einer deiner schlimmsten Konkurrenten in der Stadt? Wenn wir abheben, geben wir ihm Bescheid, wo du verletzt und unbewaffnet zu finden bist. Wenn du es aus dem Raumhafen schaffst bevor er da ist, ist das schön für dich. Und sonst haben wir dich nicht ermordet, sondern nur in die Position gebracht, leicht zu sterben.“
Natala beugte sich herunter und hob Nates breitkrempigen Hut, der auf den Boden gefallen war, auf. „Ein kleines Souvenir muss sein“, schloss sie und wandte sich ab. Als sie in Richtung der Promise davonschritt, konnte hören, wie Nate sie mit allem beschimpfte, was sein Repertoire hergab, doch sie wandte sich nicht mehr um. Sie trat neben Sven, der eben die letzte Kiste auf dem Schwebewagen in den Frachtraum schob.
„Wir sollten in fünf Minuten klar zum Abheben sein, Captain.“
„Gut.“ Sie sah nachdenklich in den nunmehr vollen Laderaum, ehe sie sich aus ihren Grübeleien losriss und fragte: „Denkst du auch, dir würde dieser Hut stehen?“
Stanley schlug seine Handfläche auf den Schalter, der die Laderampe schloss und nahm sein Com zur Hand: „Ladebucht gesichert, wir sind klar zum Abheben.“
„Alles klar“, kam die prompte Antwort von der Brücke. Zusammen mit Natala schritt er zwischen den aufgestapelten und verzurrten Kisten entlang, wobei sie fühlten, wie ein sanfter Ruck durch das ganze Schiff lief, begleitet vom leisen, tiefen Summen der Antigravitationseinheiten. Kaum langten sie bei der Treppe an, wurden schon die Landestützen eingefahren, die Triebwerke heulten gut vernehmbar auf. Die meisten Passagiere auf einem Schiff wären beim Start angeschnallt, eine Regel, welche die beiden Schmuggler noch nie groß gekümmert hatte. Während sie hinter einander die Treppe hochgingen und das Deck vibrierte, konnte Natala erkennen, wie einige letzte Sonnenstrahlen des Tages durch das Oberlicht in den Laderaum fielen.
Als sie auf die Brücke traten, waren alle anderen bereits dort versammelt. Dan saß an seinem Platz an der rechten Konsole, er sah ziemlich übel aus, schien sich aber fürs erste im Griff zu haben und lenkte die Promise mit verbissen wirkender Entschlossenheit. Wahrscheinlich versuchte er sich so von den Schmerzen abzulenken, die ihm alle seine Schrammen und blauen Flecken bereiten mussten. Natala befürchtete trotzdem, dass die Geschichte noch lange an ihm nagen mochte, sie wollte gar nicht wissen, wie viele Schläge der junge Pilot abbekommen hatte. Anaata saß auf dem Tisch hinten auf der Brücke und hatte ihr bandagiertes Bein auf die Konsole hochgelegt, sie wirkte abwesend, was bei ihr ein Normalzustand zu sein schien, offenbar konnte sie die Verletzung recht gut wegstecken. Sven hatte sich an die Rückwand der Brücke gelehnt, Nates Hut aufgesetzt und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Er kam mit allem, was ihm widerfahren war, ziemlich gut klar oder wollte dies zumindest zeigen. Nani saß auf dem Sessel an der zweiten Konsole, normalerweise der Platz des Captains, und sah auf die Oberfläche von Tenowia hinunter, die sich rasch entfernte. In weniger als einer Minute wäre die Hauptstadt nicht mehr zu erkennen.
Natala trat hinter Dan. „Wie sieht es aus? Schafft sie es?“
Er wandte sich für eine Sekunde um. „Ja, Sven hat sie gut zusammengeflickt. Die Promise fliegt, wie wenn sie nie beinahe abgestürzt wäre.“
„Gut“, freute sich Natala, trat neben Nani und tippte stehend ein paar Befehle in die Konsole tippte. „Ich bereite schon mal die Koordinaten vor, wir können in den Hyperraum springen, sobald wir weit genug von dem Planeten entfernt sind.“
Der alte Frachter stieg immer höher von der hellbraunen Kugel Tenowias auf und ließ sie langsam aber sicher hinter sich zurück. Die Sonne strahlte hinter ihr hervor, badete alles in gleißendem Licht. Etwas weiter entfernt war die große, petrolgrün glühende Kugel des Gasplaneten Tenowia VII zu erkennen, die ein farbenprächtiges Schauspiel bot. Natala schaute schweigend mehrere Minuten aus dem Fenster und genoss die Aussicht. Der Boden erzitterte ein letztes Mal leicht, als sie aus der Atmosphäre auftauchte und in den freien Raum hinausglitt.
Einige Stunden waren bereits vergangen und die Promise schoss durch den Hyperraum, Tenowia lag bereits hunderte Lichtjahre hinter ihr. Natala saß alleine auf der Brücke und starrte abwesend auf das hypnotische Flackern hinaus, das sich jedes Mal wie ein intensives Elmsfeuer auf der Hülle des Schiffes bildete, wenn es über der Lichtgeschwindigkeit reiste. Sie hatte vor kurzem geduscht und sich umgezogen, bald gäbe es Abendessen. Nach der Schiffszeit war es zwar bereits ziemlich spät, alle hatten sich erst von dem anstrengenden Tag erholen wollen.
Es war gerade noch so gutgegangen, sinnierte die Schmugglerin. Etwas zu knapp für ihren Geschmack und dazu bei weitem nicht das erste Mal, in dem es um Leben und Tod gegangen war. Natala, die sich als Captain für ihre Crew verantwortlich fühlte, war stets sehr erleichtert, wenn sie eine derart prekäre Situation gemeistert hatten, doch wie nach jedem Kampf fragte sie sich, ob sie es verantworten konnte, ihre Freunde einer solchen Gefahr auszusetzen. Sie kannte die Antwort darauf längst, sie hatten kaum Alternativen. Wären sie oder die Promise nicht, kämen alle auf einem anderen Schiff unter und täten dasselbe. Sie konnte Nani genauso wenig ihre Abenteuerlust ausreden wie sie Anaata davon abhalten konnte, alles zu stehlen, was sie fand. Dan war ein Pilot und liebte alte Schiffe, er würde wohl sein ganzes Leben auf irgendwelchen zwielichtigen Frachtern verbringen, genauso wie Sven, der die Promise stets von neuem ein bisschen länger im Himmel hielt, wenn alle glaubten, sie wäre endgültig dem Untergang geweiht. Und Stanley war für sie im Laufe der Zeit wie ein Bruder geworden, der beste Freund, den man niemals zurückzulassen bereit war.
Sie erhob sich, streckte sich mit knackenden Gelenken und verließ gemächlich die Brücke, denn im Hyperraum konnte man das Schiff sowieso nicht lenken und es fand seinen Weg, egal ob sie hier saß oder etwas anderes tat. Sie wunderte sich, was Anaata wohl vor ihrem gemeinsamen Abenteuer auf Tenowia gestohlen haben mochte und nahm sich vor, sich bei Gelegenheit danach zu erkundigen. Als sie über den Steg nach achtern schlenderte, konnte sie bereits den Duft von gebratenen Pilzen riechen. Ja, dies war ihr Zuhause.
Die ganze Crew saß gemeinsam in dem in warmen Tönen eingerichteten Aufenthaltsraum. Ein großer dunkelroter Perserteppich lag auf dem Boden, der fast das gesamte Zimmer ausfüllte. Eine der metallenen Wände hatten sie vor einiger Zeit mit Holz getäfelt und zwei weitere mit japanischen Shoji-Papierelementen verdeckt, um den Raum gemütlicher zu gestalten. Beinahe an der Außenwand stand ein großes Ecksofa mit einem Couchtisch, dem gegenüber einige Sitzkissen auf dem Boden lagen. Am anderen Ende des Zimmers stand eine Bartheke aus dunklem Holz, auf der eine Getränkemaschine befestigt war. Über der Bar hingen Souvenirs von allen erdenklichen Welten, welche die Schmuggler bereits besucht hatten. Früher am Abend hatte Sven den Hut ebenfalls zu der kuriosen Sammlung an die Wand gehängt, zwischen einer Metallplakette und einer chinesischen Schriftrolle. Anaata und Dan hatten sich etwas abseits der anderen auf der Couch niedergelassen, wo sie sich leise unterhielten. Nani, Stanley und Natala saßen am Couchtisch, tranken Whisky und spielten Tsezs, ein pokerartiges Kartenspiel, das unter Raumfahrern weit verbreitet war. Ihr angeregtes Gespräch wurde hier und da von einem lauten Siegesruf des Gewinners unterbrochen. Sven hatte sich auf der anderen Seite der Couch hingelegt, gemütlich ein Buch auf dem holographischen Reader seines Coms lesend. Natala hatte mitbekommen, dass es einer dieser billigen Kriminalromane war, die man überall im ComNet zu Spottpreisen angeboten bekam.
Eben legte Nani ihr Blatt auf den Tisch und frohlockte selbstzufrieden: „Wieder gewonnen.“
„Angeberin“, murrte Stanley, der einen Schluck von seinem Drink nahm. Nani sammelte die paar Lipos ein, die sie gewonnen hatte, schob die Karten weg und lehnte sich zufrieden zurück. „Die Sache haben wir einigermaßen überstanden.“
„Einigermaßen ist mir nicht gut genug“, entgegnete Natala entschieden.
„Es wird reichen müssen“, warf Stanley nachdenklich ein. „Besser einigermaßen als kein bisschen, oder?“
Der Captain seufzte leicht. „Du hast wahrscheinlich recht, es ist mehr, als wir überhaupt erwarten konnten. Plus: Irgendwie müssen wir über die Runden kommen.“
Sven legte sein Buch beiseite und setzte sich auf. „So viel bleibt uns sowieso nicht, wenn wir erst mal alle neuen Ersatzteile für die Promise gekauft und die Lebensmittelvorräte aufgestockt haben. Hey, wir haben fünfzehntausend Lipos zusätzlich gekriegt, das ist ein netter unerwarteter Zustupf.“
Nani grinste leicht. „So weit, so gut, alles wie gehabt. Immerhin gibt’s in Deron guten Whisky, da können wir gleich wieder was verprassen.“
Natala überlegte kurz, die Erwähnung ihres nächsten Ziels brachte sie auf die Idee, vorauszuplanen. „Wir kommen in gut sechs Tagen in Deron an, dann bleiben wir lange genug da, um gemütlich einzukaufen und alles am Schiff zu reparieren, was wir nicht unterwegs erledigen können. Immerhin ist das eine Welt, auf der niemand von uns Feinde hat.“
„Das ist eine zu optimistische Aussage“, warf Anaata ein, ihre Unterhaltung mit Dan unterbrochen hatte. „Doch wenn wir in der Hauptstadt landen, sind wir auf der anderen Seite des Planeten, weit weg von dem Typen, den ich mal bestohlen habe.“
„Auf eine Spur der Verwüstung und einen Haufen blutrünstiger Todfeinde“, rief Nani lachend aus, wobei sie ihr Glas hob.
„Hört, hört!“, stimmte Stanley ein, stieß mit ihr und dem Captain an, als auch Sven aufstand um sich einen Drink zu holen.
„Wir sind schon ein komischer Haufen“, brummte Stanley, mehr zu sich selbst als zu jemand anderem, sah sich in dem Raum um und musterte seine Kameraden.
„Aber wir kommen klar“, entgegnete Natala optimistisch, ehe sie nachdenklich wiederholte: „Wir kommen immer irgendwie klar.“