Читать книгу Beutezug - Sarah L. R. Schneiter - Страница 5

1. Reisende

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Die aus Ziegeln und Sandstein gemauerten, ungepflegten Häuser des schäbigen Arbeiterquartiers waren drei bis vier Stockwerke hoch. Vermutlich wurden sie bereits seit Jahrzehnten kaum instandgehalten, das Klima tat seinen Teil dazu, ihnen zuzusetzen. Die engen Gassen waren mit abgenutzten, unebenen Kopfsteinen gepflastert, an einigen Stellen bedeckte gar nur Sand den Boden, was das Randwelten-Flair perfektionierte. Zwischen den Gebäuden spannten sich alte Elektrokabel, an manchen hing gar Wäsche zum Trocknen, offenbar befand sich die Stromversorgung hier noch nicht auf dem seit langem gängigen Stand der drahtlosen Übertragung. Initira war eine ärmliche Welt, die fernab aller großen Handelsrouten lag, kaum wichtig für die galaktische Politik oder den Verkehr, was auch dieser Metropole an jeder Ecke anzusehen war.

Gemächlich schlenderte Nani durch den Wirrwarr aus Leuten, die zu dieser Abendstunde unterwegs waren, auf Neuenglisch, einer für sie unverständlichen Form von Spanisch, Chinesisch sowie Arabisch durcheinanderriefen. Obwohl bereits die Dämmerung hereingebrochen war und die wenigen organischen Glühlampen in den Straßenlaternen aufflammten, genoss es Nani nach ihrer langen Reise durch den Raum, wieder Wind im Gesicht zu spüren, die unzähligen Gerüche nach gebratenen Köstlichkeiten tief einzuatmen, mitten im Trubel zu stehen. Ja, Trubel war das richtige Wort, denn hier herrschte nach dem Sonnenuntergang eine laute, emsige Marktstimmung, die jeder Beschreibung spottete. Hunderte, tausende Eindrücke vermengten sich zu einem Amalgamat aus Gerüchen, Geräuschen und Lichtern. Nani kannte solche Orte zur Genüge, bewegte sich in ihnen relativ entspannt, gar souverän; sie waren typisch für die warmen Breitengrade unzähliger Randwelten.

Immerhin brachte der Abend Abkühlung, etwas, das in dieser Gegend als Geschenk des Universums gesehen werden musste. Nani war froh, zu dieser Tageszeit eingetroffen zu sein, sie kam zwar mit Hitze gut klar, nur war sie deswegen noch kein Fan von Temperaturen, die im Schatten dreißig Grad überstiegen. Lange wollte sie sowieso nicht hierbleiben, denn sie plante, in weniger als zweieinhalb Wochen in Deru, einem zentraler gelegenen System, zu sein. Alles, was der Abenteurerin noch fehlte, war eine Passage dahin und ihr war kaum danach, mit den überfüllten, stickigen Starbussen zu reisen, die zwar ein günstiges Transportmittel waren, aber ihr nicht einmal erlaubten, ihre Waffen auf sich zu tragen. Leicht berauscht von all den Eindrücken, die nach der langen Fahrt auf sie einprasselten, hätte Nani nahezu das Kamel übersehen, das auf sie zu trottete und sie gleichgültig anschnaubte. „Hey, pass gefälligst auf, Fremde!“, blaffte sie der grobschlächtige Kerl an, der das Tier herumführte, als sie im letzten Moment zur Seite trat. Beschämt, trotz ihrer sonst wachen Sinne in Tagträumen versunken zu sein, murmelte sie eine Entschuldigung, ehe sie ihres Wegs ging.

Einige Stunden war Nani durch das Viertel geschlendert, ziellos das Nachtleben genießend, hier und da in einem Lokal haltmachend. Der Duft nach gebratenen Würsten vermengte sich mit dem von Räucherstäbchen, frischem Koriander sowie hier und da bedeutend weniger erbaulichen Gerüchen. Unzählige Welten hatte Nani bereits besucht, von reich bis arm, kosmopolitisch bis hinterwäldlerisch. Zuweilen überlegte sie sich, wie es kam, dass sie sich trotz allem an jedem Ort als fremd vorkam, wie eine, die sich zwar überall rasch anpassen und nicht auffallen konnte, doch keineswegs bleiben wollte. Sogar in ihrer Heimat war sie ein Fremdkörper gewesen, anders, unpässlich, stets auf der Suche nach oder der Flucht vor etwas. Sie hatte sich nach dem Auszug aus dem Elternhaus für einige Jahre an einer militärischen Karriere bei der Raumflotte der Vereinten Systeme versucht, mit demselben Resultat. Jetzt reiste sie ohne ersichtlichen Grund durch die Gegend, hielt sich mit meist kriminellen Gelegenheitsjobs über Wasser. Als Gaunerin mogelte sie sich nach bestem Wissen und mit mehr oder weniger Gewissen durch, tat, was auch immer sich gerade anbot. Eigentlich war sie ganz zufrieden mit ihrem Leben, so zufrieden eine, die sich selbst dazu entscheiden hatte, auf der anderen Seite des Gesetzes zu agieren und sozial abzusteigen eben sein konnte. Nur selten beschäftigte sie die Frage, wie um alles in der Galaxis sie als Kind liebevoller Eltern, einer gutbürgerlichen Familie, so tief hatte sinken können. Meist dagegen war sie mehr oder minder im Einklang mit sich selbst, lebte einfach in den Tag hinein.

Ein unüberhörbares Grölen weckte Nanis Aufmerksamkeit und ließ sie ihre Grübeleien vergessen. Vor einer Bar, an deren Fassade unzählige bunte Lampions hingen, standen einige stark angetrunkene oder anderweitig berauschte Leute, die wie Raumschmuggler aussahen und lauthals diskutierten. Genau so einen Laden hatte sie gesucht, eine Hafenspelunke, in der sich alles herumtrieb, von Dockarbeitern über Gauner bis hin zu Frachtercrews. Jede Hafenstadt hatte sie, der Geschmack vieler abgehalfterter Raumfahrer änderte sich kaum, egal wo sie gerade waren, in solchen Löchern fühlten sie sich zuhause. Als erfahrene Reisende kannte Nani die Gepflogenheiten dieses Paralleluniversums; dies war der Ort, an dem sie eine billige Passage nach Deru fände. Und Drinks, sehr viele Drinks.

Kurz entschlossen schritt die Reisende an der heiteren Gruppe vorbei und trat ein. Sofort schlug ihr rauchgeschwängerte, stickig-heiße Luft entgegen, begleitet von die Gehörgänge traktierender Swing-Musik einer grottenschlechten Live-Band. Über die Holo-Displays flackerten Hovercraft-Rennen, auf die eifrig gewettet wurde, unter den schummrigen grünen Lampen wurden Kartenspiele gezockt und an der langen Bartheke standen viele Gestalten, die so wirkten, als hätten sie vor ein paar Gläsern genug gehabt. „Home Sweet Home“, murmelte Nani trocken, während sie die beiden Stufen hinunter in den Raum trat. Tatsächlich war dies ihre Welt, wenn auch ein klitzekleiner Teil von ihr noch immer der Mittelschichts-Sprössling blieb, der angewidert den Mund verzog.

An jedem Hafen sahen solche Bars gleich aus, schummrig, schäbig, chaotisch, meist laut; so auch hier. Raumfahrer, insbesondere die Gauner und Frachtleute unter ihnen, waren ein ganz eigenes Völkchen. Einem Wandschrank von einem Typen ausweichend, der aussah, als könnte er mehrere Profi-Wrestler zum Frühstück verspeisen, wenn ihm nur der Sinn danach stünde, gelangte Nani an die Theke und ließ sich auf einen freien Barhocker fallen. „Deronischer Whisky, nicht zu wenig und nicht der billige Kram“, rief sie dem Barkeeper zu, wohl wissend, dass sie höchstwahrscheinlich sowieso den „billigen Kram“ vorgesetzt bekäme. Es brauchte wirklich einen ganz besonderen Menschenschlag, um sich an solchen Orten souverän zu bewegen, ja gar auf eine lapidare Art entspannt zu bleiben. Die Herumtreiberin hatte einen dieser wenigen äußerst klaren Augenblicke, an denen man glaubte, einen Schritt von sich selbst zurücktreten und sich betrachten zu können. Was tat sie hier? Wieso um alles in der Galaxis hatte sie sich je zu einem solchen Lebenswandel entschieden, den vernünftige Menschen höchstens aus einer Notlage heraus wählten? Sie hatte dafür eine vielversprechende Militärkarriere zurückgelassen, ihr Heim auf einer sicheren Mittelwelt, ihren Wohlstand, alles, was für die meisten geistig gesunden Menschen erstrebenswert wäre. Bereuen kannte sie aber in diesem Kontext keineswegs, nein, in einer sauberen, strukturierten Existenz mit lauter Regeln und Vorgaben wäre sie nur eingeschränkt, frustriert, gefangen. Lange genug hatte sie sich selbst erstickt, war nahezu zugrunde gegangen …

Mit einem lauten Knall stellte der Barkeeper sichtlich demotiviert das Glas mit dem Fusel vor die Glücksritterin, ihren Moment der Klarheit beendend. „Macht zehn Lipos.“

Cyka blyat“, brummte Nani, nicht im Geringsten daran interessiert, ob ihr Gegenüber in neurussischen Profanitäten bewandert war, als sie die Kreditchips auf die klebrige Theke warf. Immerhin wurde sie hier gerade aufs Übelste abgezockt, sie konnte ihn ruhig wissen lassen, dass sie begriff, wie wenig (oder besser, viel) er von seinem Geschäft verstand.

Die Nacht war fortgeschritten, doch Nani hatte noch nicht gefunden, wonach sie suchte. Zuweilen dauerte es länger, bis man eine günstige Passage auf einem Frachtschiff zu der Welt bekam, auf die man wollte; die schäbige Hafenbar war jedenfalls der richtige Ort, eine Passage zu finden, daran hegte sie weiterhin keinen Zweifel. Die auf ihrer Erfahrung basierende Mathematik gab ihr jedenfalls Recht: Wenn man die vielleicht hundert Leute im Raum halbierte, hatte man die Raumfahrer, also fünfzig. Sie brauchte jemanden, der auch ein eigenes Schiff besaß oder in einer unabhängigen Crew war, das machte dann fünfundzwanzig. Deru war ein System, das groß und wichtig genug war, um jemanden aufzutreiben; zur Not musste sie halt ein, zwei weitere Bars aufsuchen.

Entnervt schlurfte Nani, ihren vierten Drink haltend, zur letzten Ecke, in der sie sich noch umhören wollte. Zwar wäre sie auch noch rechtzeitig in Deru, wenn sie erst in einigen Tagen aufbrach, aber wenn man plante, dort gemeinsam mit einer alten Bekannten in eine Bank einzubrechen, wollte man pünktlich sein. Dies würde nicht Nanis erster Ausflug unter die Diebe, ihre Nervosität hielt sich dementsprechend in Grenzen, bis auf den Wunsch, endlich eine vermaledeite Passage zu finden. Der Alkohol, welcher ihr langsam zu Kopf stieg und ein leicht schummriges Gefühl gab, ließ sie hingegen kaum in ihrer Vorsicht nachlassen, es gab viele Verrückte, mit denen man versehentlich reisen konnte. Sie hatte selbst schon mehr als genug Erfahrungen und gar die eine oder andere Narbe gesammelt, um sich nicht auf jeden Deal einzulassen, der auf den ersten Blick verlockend erschien.

Die Abenteurerin wurde auf einen großgewachsenen Mann mit nordischen Gesichtszügen aufmerksam, der einen dichten, dunklen Bart trug und eben laut lachte, obwohl er beim Kartenspiel verloren hatte. Sein Outfit war typisch für jemanden aus dem Frachtgeschäft: Dunkle Jeans, braune Lederjacke über einem unauffälligen Arbeiterhemd, das vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein mochte. Nani sah prüfend auf seine Hände, sie waren stark und rau, die Hände eines Arbeiters. Soweit passte alles; sie schätzte ihn als Mitglied einer Frachtercrew ein, vielleicht gehörten einige der Leute am selben Tisch ebenfalls dazu. Ihre Erfahrung darin, Menschen aus diesen Kreisen zu lesen, ließ sie vermuten, dass er Captain war. Sie hätte selbst nicht sagen können, worauf sie achtete, wohl eine Mischung aus Gestik, Mimik und Verhalten, eigentlich war es ihr auch gleichgültig, so lange sie sich selten irrte.

Gemächlich schlenderte Nani zu der Gruppe, hielt jedoch ihre Finger nahe der Strahlenwaffe am Gürtel, nur für den Fall. Ihr alter, handlicher Blaster hatte die Kämpferin schon vor mehr als einer brenzligen Situation bewahrt.

„Hallo, Reisende“, grüßte sie mit der üblichen Floskel, als sie an den Tisch trat, dazu so einnehmend sie konnte grinsend, etwas, das ihr nicht im Geringsten lag. „Fährt einer von euch zufälligerweise nach Deru?“ Tatsächlich sah der große Bärtige auf, musterte sie interessiert und nickte bedächtig. „Das tun wir in der Tat, Fremde. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Nani Walji“, stellte sie sich vor, zog einen Stuhl heran und setzte sich unaufgefordert. Es gab in ihrer Welt gewisse Regeln, wie man sich zu verhalten hatte, sei es nun, in einer Bar mindestens leicht angetrunken zu wirken, oder sich so betont lässig wie möglich aufzuführen. Passte sie nicht in das Muster, würde ihr niemand vertrauen oder sie übers Ohr hauen wollen. Nani hatte nach jahrelanger Erfahrung keine Probleme damit, es war ihr rasch leichtgefallen, sich unter Raumfahrern und Glücksrittern zu bewegen und als ihresgleichen angenommen zu werden. „Ich bin auf der Suche nach einer günstigen Passage.“

Der Bärtige hielt ihr die Hand hin, Nani schlug ein. „Marcus Shahi, freut mich. Ich bin der Captain eines Frachters. Deru ist unser nächster Zwischenhalt, vielleicht werden wir uns ja einig.“ Nani war froh, das zu hören; sie hatte ein gutes Bauchgefühl bei der Sache, ihr Instinkt ließ sie selten im Stich. Dieser Marcus schien der Typ Mensch zu sein, den es eher wenig kümmerte, wer auf seinem Schiff mitreiste, solange der Passagier bezahlte und keinen Unfug anstellte. Er musterte sie skeptisch, nahm sich Zeit, bis er schlussendlich meinte: „Also, Nani Walji … hast du was ausgefressen?“

„Nichts, was auf dich zurückfällt, wenn du mich mitnimmst“, gab sie möglichst entspannt zurück. Es war keine gute Idee, so zu tun, als wäre sie unbescholten, sie hatte gelernt, dass direkte Offenheit ohne wirklich ihre Untaten einzugestehen oft der einfachere Weg war. Außerdem war es nicht ratsam, mehr die Harte zu spielen, als es ihr jemand abkaufte; wäre sie zu verschlossen, vertraute ihr niemand genug, um sie auf sein Schiff zu lassen. Marcus brummte „M-hm“ und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas, das er mit einem lauten Knall abstellte. „Okay.“ Natürlich musste er jetzt eine dramatische Pause einlegen, enervierte sich die fusselige Abenteurerin. Sie konnte zwar die Lockere spielen, aber diese Art der Spannung mochte sie definitiv nicht, sie wollte ihn packen und mit „Komm schon!“ anschreien. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, fügte er hinzu: „Na gut. Die Passage ist hundertfünfzig Lipos für eine Kabine und das Essen, unser Frachter heißt ‚Vela‘, Liegeplatz 715. Wir brechen morgen Vormittag um zehn Uhr auf, selbstverständlich warten wir keine Nachzügler ab.“

„Deal.“ Nani schlug in die dargebotene Hand ein. Dieser Marcus war ein Geschäftspartner ganz nach ihrem Gusto: Wortkarg, sehr praktisch orientiert und zweifellos pflegeleicht. Sie kannte diesen Menschenschlag, ihn würde es nicht interessieren, woher sie kam, wohin sie ging oder was sie alles auf dem Kerbholz hatte. Ihn kümmerte lediglich, ob sie bezahlte. „Ich werde da sein.“

„Na, dann sehen wir uns morgen.“ Er unterbrach sich, auf den Tisch gestikulierend. „Außer natürlich, du willst noch einen mit uns trinken.“

Nani musterte die anderen Crewmitglieder der Vela. Zu Marcus’ Rechten saß eine schlaksige, vielleicht russischstämmige Frau mit schwarzen Haaren, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr selbst hatte, ein typischer Raumfahrer-Haudegen. Neben ihr türmte sich ein rothaariger Hüne von einem Mann auf, dessen großer Bierkrug im Gegensatz zu ihm nahezu mickrig wirkte und der dritte im Bunde war ein athletischer, dunkelhäutiger Mann, der gelangweilt aussah, obschon er am meisten Kreditchips vor sich auf der Tischplatte liegen hatte; offenbar der Gewinner des Kartenspiels. Nani überlegte kurz, doch entschied sich schlussendlich dagegen. „Danke, aber ich habe Hunger und auf dem Weg hierhin einen Essensstand gesehen, ich werde mir wohl später noch einen Snack holen. Wir treffen uns morgen gegen zehn Uhr.“

Zufrieden verabschiedete sie sich und schlenderte, einigen betrunken Tanzenden ausweichend, zurück zur Theke. Um die Crew kennenzulernen blieb ihr auch auf der langen Reise noch genug Zeit, sollte ihr nach Gesellschaft sein. Die Nacht war noch jung und Nani hatte ihre Passage gesichert, es gab also keinen Grund, den Rest ihres Aufenthalts hier nicht auszukosten. An der Bar angelangt, rief sie dem Barkeeper über den Lärm mit ihrem leeren Glas gestikulierend zu: „Hey, noch so einen Fusel, bitte!“ Das mädchenhafte Kichern über ihren platten Witz konnte sie sich glücklicherweise verkneifen, es hätte so ganz und gar mit ihrem Image gebrochen.

Langsam ließ sie ihren Blick durch den rauchgeschwängerten, von Schweiß und Alkoholgeruch erfüllten Raum streifen, darüber sinnierend, ob ihr einer der Männer hier gefiel. Das Gute an ihrem Lebensstil war, dass sie ihre kleinen Abenteuer ohne großen emotionalen Ballast haben konnte, denn bevor sich etwas Ernstes entwickelte, war sie sowieso längst auf der nächsten Welt, ohne Bindung, ohne Verpflichtungen. Heute sagte ihr eigentlich niemand wirklich zu, also widmete sie sich stattdessen wieder ihrem Drink sowie dem mittlerweile noch übellaunigeren Barkeeper, der ihn vor sie gestellt hatte und jetzt auf die Bezahlung des horrenden Preises wartete. Sie hegte keine Absicht, sich ein Nachtlager zu suchen, schlafen konnte sie schließlich auch, wenn sie unterwegs war. Nur, was sie unternehmen sollte, wusste sie noch nicht.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, zeterte Nani vor sich hin, während sie durch die morgendlichen, nach Flieder duftenden engen Gässchen der Stadt hechtete, eilig auf den Chronometer ihres Coms sehend: Neun Uhr einundfünfzig. Hastig wich sie einer Gruppe Händler aus, die vor einem der Marktstände in einer angeregte Unterhaltung vertieft waren und stieß sich dabei den Kopf an einer der unzähligen, überall aufgehängten bunten organischen Glühlampen, die glücklicherweise nicht explodierte. Einen derben Fluch auf den Lippen eilte Nani weiter, denn sie wusste sehr wohl, dass kaum eine Frachtercrew auf eine Anhalterin wartete, das lohnte sich schlichtweg für niemanden. Wieso hatte sie sich am Ende doch auf ein One-Night-Stand einlassen und sogleich verschlafen müssen? Es war immer dieselbe Geschichte, auf jeder verdammten Welt, immer verpennte man in irgendeinem fremden Bett, regte sie sich auf.

Verschwitzt und ungeduscht bog sie in die Eingangshalle des Frachthafens, vorbei an all den vermeintlich gescheiterten Existenzen und gleichgültigen Arbeitern, die mechanisch ihrem alltäglichen Trott nachgingen. Außer Atem langte sie bei der Ausreisekontrolle an: Die großen holographischen Ziffern über ihr zeigten Neun Uhr achtundfünfzig an. Der Zollbeamte sah ihren roten Kopf, den halbherzig gepackten Rucksack, aus dem noch ein Ärmel ihrer Jacke hing und den Schweiß auf ihrem grauen Tank-Top, er begann sogleich zu grinsen und winkte sie sehr zu ihrer Freude ohne weitere Kontrolle durch. Nani nickte dankbar, ehe sie weitersprintete, sie könnte es sich nicht verzeihen, wenn sie diesen Frachter verpasste. Einen derart guten Deal bekäme sie für diese Reise wohl kaum mehr, das wusste sie. Wo hatte dieser, wie hieß er doch gleich, Marcus, genau, gesagt, dass er seinen Kasten abgestellt hatte? Nani rupfte unsanft ihr Com aus der Hosentasche und prüfte ihre Notizen, ohne dabei in ihrem Lauf innezuhalten: Liegeplatz 715.

Der hellblaue Himmel über dem weitläufigen Landefeld versprach einen heißen Tag, Silhouetten von Sternenschiffen glitzerten in der Morgensonne und Nani verfluchte, sich am Vorabend nicht nach dem Schiffstyp erkundigt zu haben, denn dies hätte ihre frenetische Suche um einiges erleichtert. Sie folgte stattdessen den auf den bröckelnden Asphalt aufgemalten Nummern, grenzte alle paar dutzend Meter ihre Zone weiter ein, erst lenkte sie ein Pfeil zu den Liegeplätzen 500 bis 1000, dann nahm sie eine Abzweigung zu 700 bis 800 und so ging ihr Marathon weiter. Selten war Nani in eine Situation geraten, in der sie derart dankbar für ihre gute Kondition war und das wollte etwas heißen, denn sie hatte schon einige Schießereien und Gefechte überlebt.

Keuchend spurtete Nani einer Reihe Großfrachter entlang, jeder Liegeplatz war mindestens hundert Meter breit, die meisten bedeutend mehr. Sie hätte nicht mehr sagen können, wie viele Kilometer sie schon zurückgelegt hatte, zweifelte aber keine Sekunde daran, dass es mehrere gewesen sein mussten, immerhin hatte sie eben gefühlt die halbe Stadt und einen bedeutenden Teil des Landefelds gequert. In der grellen Sonne, die schon am Morgen unerbittlich auf sie hinunterbrannte, war Nani jedes Mal froh, wenn sie in den Schatten eines der Frachtschiffe geriet. Die aufgemalten Nummern verschwammen in ihrem Gesichtsfeld bereits leicht, sie wusste, lange könnte sie die Strapazen nicht mehr durchhalten. Sich sowie ihre Faulheit verfluchend, las sie die Nummer 714 und wusste, es konnten bloß noch einige Meter sein. Erst jetzt wagte sie, den Blick vom Boden zu heben, um zu prüfen, ob alle Anstrengung für nichts gewesen war.

Erschöpft langte sie bei dem alten Frachter auf Liegeplatz 715 an, oder besser, stolperte über den flirrenden Asphalt. Die Vela war tatsächlich noch da! Beinahe majestätisch mutete das wie ein gigantisches Bauklötzchen wirkende Ding an, das da vor ihr auf dem Landefeld stand: Auf mehr als einen halben Kilometer lang, hundert Meter breit und fünfzig hoch schätzte sie es. Beeindruckt joggte Nani den Rest des Weges im Schatten des Kolosses, trottete die breite Laderampe hoch, an deren oberen Ende Marcus stand, wie der absolute Stereotyp eines Captains mit in die Hüften gestemmten Händen. „Noch fünf Minuten, dann wären wir abgehoben“, meinte er lachend, als sie völlig kaputt bei ihm anlangte. „Du weißt ja, in unserem Geschäft ist Zeit Geld.“

„Du …“, begann sie, unterbrach sich aber, um endlich richtig durchatmen und ihre übersäuerten Muskeln entspannen zu können. Ein Würgereiz quälte sie, am liebsten hätte sie sich hier und jetzt auf dem kühlen Metall hingelegt und übergeben. Sie stützte die Hände auf ihren zitternden Oberschenkeln ab, konnte fühlen, wie Schweiß von ihrer Stirn in ihren Ausschnitt rann, auf den Boden tropfte. Die Übelkeit und den trockenen Mund ignorierte sie geflissentlich, schluckte stattdessen, was jedoch kaum half. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass ihr einen regelrechten Großfrachter habt, ich dachte, ihr seid Schmuggler mit einem kleinen Schiff.“

Noch immer amüsiert führte sie Marcus ins dunkle Innere des Leviatans und schloss mit einem Hieb auf den entsprechenden Schalter die Rampe hinter ihnen. „Nein, wir sind richtige Frachtleute, haben sogar einen Deal mit einer wichtigen Transportfirma. Ihr Anhalter seid nur ein nettes Zubrot zu all den Containern voller Konsumgüter.“ Er nahm das Com von seinem Gürtel: „Tosh, wir sind so weit, kannst abheben.“

„Klar“, erklang die Antwort einer relativ jungen, männlichen Stimme, offenbar jener des Piloten, sogleich aus dem Gerät. „Haltet euch fest.“

Ein harter Ruck, gefolgt vom schaurigen Knarren von Metall, durchlief den Rahmen des alternden Schiffes, als die Antigravitation hochfuhr und es den Kontakt mit dem Boden verlor. Ungerührt von dem Gerüttel und begleitet vom gequälten Quietschen der schließenden Laderampe schritt Marcus voran auf eine freistehende Metalltreppe zu. Gefolgt von Nani ging der Bärtige nach oben, wobei es ihr schwerfiel, nach ihrem Dauerlauf mit ihm mitzuhalten. Sie hatte das Gefühl, keine weitere Stufe mehr zu schaffen, verwehrte aber ihrem strapazierten Körper, aufzugeben. „Ich zeige dir jetzt deine Kabine und die wichtigsten Gemeinschaftsräume; bezahlen kannst du mich irgendwann unterwegs. Dann kannst du endlich duschen gehen.“ Er unterbrach sich, um sich kurz zu ihr umzuwenden. „Ach ja: Wieso warst du eigentlich zu spät?“

„Lange Geschichte“, meinte sie in der Hoffnung, dass ihr Kopf endlich nicht mehr hochrot vor Anstrengung war. „Bin in einem fremden Bett aufgewacht.“

„Lass mich raten: In jedem Hafen ein anderer Liebhaber?“

„Was in der Art, nur pragmatischer“, antwortete Nani schulterzuckend. Sie begann die einsilbige Art des Captains zu schätzen, er vergeudete nicht allzu viele Worte, wenn er nüchtern war, nur Fragen stellte er ihr für ihren Geschmack trotzdem mehr als genug. Oben angelangt nahm Nani sich einen Moment, um sich umzusehen. Der Steg, auf dem sie stand, verlief offenbar von vorne nach hinten durch das ganze Schiff, war teils freihängend und teils in geschlossenen Segmenten verlegt. Er bot eine gute Aussicht über die kreuz und quer gestapelten Frachtboxen sowie Container. „Sehr ordentlich sieht das nicht aus“, meinte Nani, mit dem Daumen auf das gescheiterte Fracht-Tetris ohne rechte Winkel deutend. „Müsstet ihr die Ladung nicht sichern?“

„Müsste ich dich nicht fragen, ob du was ausgefressen hast, Gangsterbraut?“ Er schmunzelte neben ihr hergehend. „Wir nehmen es hier nicht so besonders genau, gerade du solltest das zu schätzen wissen.“

Sie langten in einem der Bereiche an, in welchem der Metallgittersteg auf eine solide Wand zu führte und in einen Gang mündete, nur um kurz darauf wieder in eine Halle überzugehen. Marcus bemerkte, wie Nani sich neugierig umsah und er erklärte: „Die Vela ist eigentlich ganz simpel aufgebaut, wir haben acht Frachträume, die längs nach dem Muster zwei mal vier angeordnet sind, also vier auf der Steuerbord- und vier auf der Backbordseite. Dazwischen, also einmal mittig und in regelmäßigen Abständen auch quer liegen die Bereiche mit Wänden, die alles zusammenhalten und in denen die Apartments und Maschinen sind. Die heißen Blöcke, verbunden werden sie über diese Stege. So viel Raum brauchen wir niemals, nur halten die Blöcke die ganze Struktur zusammen, darum ließen wir die drin. Die Vela ist ein altes Schiff, alles ist verwinkelt, aber du wirkst so, als ob du dich gut zurechtfinden könntest. Ganz oben sind weitere Räume, da wird auch deine Kabine sein, auf der Steuerbordseite.“ Nani folgte seinem Fingerzeig auf die mit Fachwerkträger verstrebte Decke und hoffte, dass sie einen Aufzug hoch nähmen; nach ihrem Sprint war sie nicht bereit, so weit Treppen zu steigen. In der Tat langten sie nach kurzem Marsch sehr zu Nanis Erleichterung bei einem Expresslift an.

Nachdem der Captain Nani ihre Kabine gezeigt hatte, war er in Richtung der Brücke verschwunden. Demotiviert warf sie den Rucksack mit ihren Habseligkeiten auf das alte, hölzerne Bettgestell und versuchte darüber hinwegzusehen, wie spartanisch das Zimmer eingerichtet war. Mit wenigen Schritten trat sie zum kleinen Bullauge und konnte erkennen, wie weit der Planet bereits unter ihnen lag. Nicht mehr lange, ehe der Megafrachter in den Hyperraum sprang. Da die Reise über der Lichtgeschwindigkeit keine Com-Verbindungen zuließ, sollte sie sich beeilen, wenn sie noch einen Anruf machen wollte, die ersehnte Dusche musste warten. Nani pulte das Com aus ihrer Cargo-Hose, setzte sich an den Schreibtisch und stellte das Gerät vor sich hin, bevor sie ihm den Sprachbefehl erteilte: „Mom anrufen, Holo-Verbindung.“

Während die Verbindung aufgebaut wurde, blendete sie für einen Augenblick die Sonne des Systems, dann drehte das schwere Schiff mit einem Rattern ab, das Gleißen verschwand unten rechts in ihrem Kabinenfenster. Schließlich materialisierte sich das Hologramm einer Frau in der Mitte ihrer Sechziger über dem Com auf der Tischplatte, sie war elegant angezogen, trug eine Perlenkette und hatte ihr ergrauendes Haar hochgesteckt. „Hallo Kleines, ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass du mich vor dem Ende deiner Reise anrufst. Ist alles gut bei dir? Du siehst, nun ja, mitgenommen aus.“

Wie jedes Mal, wenn ihre Mutter sie „Kleines“ nannte, musste Nani ein trockenes Lachen unterdrücken, immerhin war sie vor kurzem dreiunddreißig geworden. „Ja, alles bestens, Mom, ich musste mich nur etwas beeilen. Mein Transport springt bald, also werde ich die nächsten paar Tage offline sein, ich wollte dir nur rasch Bescheid geben. Und wie geht es dir?“

„Ach, abgetakelte Schiffe, die jederzeit explodieren können, nennt man jetzt ‚Transport‘? Wenn ich mir nicht gerade Sorgen um meine Tochter mache, die als Anhalterin durch die Galaxis tingelt und bei jedem Familienbesuch neue, mysteriöse Narben an ihrem Körper hat, ausgezeichnet, danke. Dad übrigens auch, er ist gerade im Büro.“

Es war eine alte Geschichte: Nani was mit der Sorge ihrer Mutter stets leicht überfordert. Sollte sie sich aufregen, sich schuldig fühlen, versuchen, Mom zu überzeugen, Fatalismus als den richtigen Ansatz zu akzeptieren? Bis auf die Gesichtszüge hatten die beiden Frauen kaum viel gemeinsam, die eine gutbürgerlich und wohlbegütert, die andere ruhelos und abenteuerlustig. Bei ihrer Vorstellung musste Nani lachen.

„Was ist?“, wollte ihre Mutter verwirrt wissen. Nani erklärte entschuldigend: „Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich neben dir wie eine Obdachlose aussehe und du an den Orten, an die ich gehe, zweifellos ausgeraubt würdest. Also, wenn man dich so lange am Leben ließe, natürlich.“

„Das ist nicht sonderlich beruhigend.“ Sie konnte ihr Amüsement kaum mehr gut kaschieren. Am Ende gelang es Nani stets irgendwie, die elterlichen Sorgen mit einigen dummen Sprüchen zu zerstreuen, zumindest oberflächlich. Man konnte ja, selbst wenn man das schwarze Schaf der Familie war, seiner Mutter schlecht sagen: „Mom, ich bin auf dem Weg, um mit einer galaxisweit gesuchten und leicht geistesgestörten Einbrecherin eine Bank auszurauben, ich werde euch aber im November sicher besuchen können.“ Das Ruckeln hatte aufgehört, offenbar hatte die Vela die Atmosphäre verlassen; bald wären sie beim Sprungpunkt angelangt.

„Mom, wir werden gleich in den Hyperraum springen. Ich melde mich bald wieder, versprochen!“

„Gute Reise, Kleines.“ Sie lächelte und wollte Nani gerade zuwinken, unterbrach sich dann jedoch. „Ach ja, Happy Halloween!“

„Was?“, wollte Nani verwirrt wissen, einen Blick auf die Datumsanzeige werfend. „Stimmt, dann bin ich noch ohne Empfang unterwegs. Das wünsche ich euch auch.“

„Danke, ich hoffe, du kannst trotzdem feiern mit deinen zwielichtigen, schrägen Mitreisenden oder Freunden“, entgegnete ihre Mutter. Nach einer kurzen Pause, in der Nani leichte Wehmut aus der Körpersprache ihres Gegenübers zu lesen glaubte, fügte sie hinzu: „Und pass auf dich auf, Kind.“ Ohne, dass die Tochter hätte antworten können, unterbrach sie die Verbindung.

Nani erhob und streckte sich trocken murmelnd: „Ich weiß nicht, was sie hat, ich wurde bisher erst sechs Mal angeschossen.“ Nach einem amüsierten Schnauben verzog sie plötzlich angewidert das Gesicht, roch vorsichtig an ihrer Achselhöhle. „Scheiße, ich muss echt duschen!“

Der Boden begann zu zittern, als die gewaltigen Triebwerke des alten Monoliths urplötzlich beschleunigten, das Licht wurde flackernd dunkler. Die Glücksritterin stütze sich auf den hölzernen, abgegriffenen Tisch um zuzusehen, wie die Planeten des Initira-Systems an ihr vorbeiflitzten, einer nach dem anderen, immer schneller, ein letzter Wimpernschlag, dann sprangen sie in den Hyperraum. Die Vibrationen ließen nach, die Sicht vor dem Bullauge war verschwunden, einer unbeschreiblichen Dunkelheit gewichen, die nur von geisterhaften Blitzen auf dem Schiffsrumpf unterbrochen wurde, die Raumfahrer umgangssprachlich als Elmsfeuer bezeichneten. Nani hatte sich längst an die Isolation der Reisen über der Lichtgeschwindigkeit gewöhnt, eine Woche ohne ComNet, HoloNet und Kontakt zur Außenwelt lag vor ihr. Sie wandte sich ab, jetzt blieb ihr nicht mehr viel zu tun, außer sich von ihrem Lauf zu erholen. Während sie sich daran machte, ihren Rucksack auszupacken, konnte Nani eine Erinnerung nicht abschütteln, die sie stets einholte, wenn sie die leichten Schuldgefühle unterdrückte, die sie mit dem Kontakt zu ihrer Familie verband.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst?“, fragte Mom und Nani hätte am liebsten nein gesagt, einen Rückzieher gemacht. Nur, sie wusste, was sie wollte, wo sie hingehörte; oder glaubte es zu wissen. Die Zwanzigjährige stand unwohl da, ihren großen Rucksack geschultert. Sie sah neben ihren Eltern so aus wie eine Rebellin: Ausgewaschene Hosen in Kombination mit einer Jeansjacke bildeten den Kontrast zu den schlichten, doch eleganten Klamotten, die in ihrer Familie Tradition hatten. Nani nickte, sah von den dunkelgrauen Bodenfliesen des Raumhafenterminals auf und rang sich zu einer Antwort durch. „Ja, ich will das. Außerdem ist es ja nicht so, als würde ich mein Leben wegwerfen, ich will nur ein, zwei Jahre auf Reisen gehen.“ Wie sehr die Art ihrer Reisen sich von jener der meisten anderen jungen Leute aus ihren Kreisen unterschied, verschwieg sie geflissentlich. Ihre Eltern mussten es vermuten, immerhin hatte sie die letzten Monate ihre Ferientage stets genutzt, um zu verschwinden, ein doppeltes Leben zu führen. Sie war jedes Mal heimgekehrt, meist schmuddelig aber zufriedener, mehr sich selbst als zuvor. Nein, sie konnte nicht bleiben, dieses bürgerliche Leben war ein Gefängnis für sie. Genauso gut hätte sie am Morgen (oder Mittag) das Bett nicht mehr verlassen, einfach aufgeben können.

Mom umarmte sie. „Pass gut auf dich auf, Kleines.“ Nani konnte in der Antwort hören, wie nahe ihre Mutter den Tränen war und blinzelte selbst etwas Feuchtes aus einem ihrer Augenwinkel.

„Mom, ich werde nicht verschwinden, ich komme alle paar Monate vorbei, versprochen.“

Sie gab einen zustimmenden Laut von sich, bevor Nani sich an ihren Vater wandte. „Dad …“

Entschlossen schüttelte Nani die nostalgischen Gedanken ab, widmete stattdessen alle Aufmerksamkeit ihrem Gepäck. Es gab nur wenig auszupacken, ein Satz an Ersatzkleidung sowie ihr Databook waren alles, was sie momentan brauchte. Erst stellte sie das an eine schwarze, notizbuchgroße Glasplatte erinnernde Gerät auf den Schreibtisch und hielt kurz den Finger auf die Oberfläche. Der Bioscanner erkannte ihren Fingerabdruck und Puls, sogleich manifestierte sich ein Hologramm mit dem Menü in der Luft. Routiniert befahl Nani: „Musik abspielen, Playlist Sechs.“

Leichter Jazz erfüllte den spartanisch eingerichteten Raum und Nani begann damit, ihre frische Kleidung säuberlich auf dem Laken auszubreiten. Ein Lächeln wanderte über ihre Lippen, als ihr diese für jemanden ihres Lebenswandels ungewohnte Routine auffiel.

„Ganz egal, wo wir sind, wir stammen immer von unserem Heimatplaneten“, rezitierte sie sich ausziehend ein altes Sprichwort. Gutgelaut knüllte sie die Schmutzwäsche zu seinem Ball zusammen und sah sich nach der Klappe des automatischen Wäschekorbs um. Als sie das Ding gefunden hatte, trat sie heran, um das Bündel hineinzuwerfen. Umständlich streifte sie ihren Slip ab, wobei sie zugleich die Klappe offenhielt. Die Aktion beendete sie mit einem bestenfalls vermeintlich eleganten Kick, der die Unterwäsche in denselben Schlund beförderte.

Wesentlich eleganter wirbelte die sehnige Frau herum und tapste in Richtung der Nasszelle davon; nach ihrem Beinahe-Marathon hatte sie sich ihre Dusche wirklich verdient.

Beutezug

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