Читать книгу Beutezug - Sarah L. R. Schneiter - Страница 6

2. Hyperraum

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Nanis Turnschuhe machten kaum Lärm auf dem Metallgitter des freihängenden Stegs, der die Ladebucht in Längsrichtung überspannte. Die grauen, teils rostigen Wände erinnerten sie daran, dass die Vela schon bessere Tage gesehen hatte; das Schiff musste mindestens siebzig Jahre auf dem Buckel haben. Die erfahrene Reisende, die im Laufe der Zeit ein Gespür für Sternenschiffe entwickelt hatte, gab ihm allerhöchstens noch fünfzehn weitere, ehe es endgültig auseinanderfiel. Die dunkelhaarige, weiße Frau, welche neben ihr her schritt, hatte schmutzige Hände und tätowierte Unterarme, zu denen sie von der Abenteurerin schon ausgefragt worden war. Sie hatte sich als Susan Marshall vorgestellt, war Mechanikerin des Schiffes und teilte Nanis Humor. Ihre Tattoos sammelte sie auf diversen Zwischenstationen an, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte. Kurz: Sie schien ein typischer Randwelten-Haudegen zu sein. Nun kam sie eindeutig aus dem Maschinenraum, denn sie trug ein mit Ölflecken gesprenkeltes, olivfarbenes Tank-Top und nicht minder schmutzige Jeans. „… genau darum willst du nie, aber auch verdammte Scheiße wirklich nie, virtuelle Relais in die Luft sprengen“, beendete sie eben ihre Raumfahrer-Anekdote mit einer ausladenden Geste zu der länglichen Narbe neben ihrem linken Auge. „Kippe?“

„Klar“, nahm Nani die dargebotene Zigarette dankend an. Wie viele Glücksritter, schäbige Raumfahrer sowie Herumtreiber rauchte und trank sie, meistens zu viel. Es kümmerte sie kaum je, nur beim Joggen verfluchte sie ihre Laster, da sie zu rasch außer Atem geriet. Susan schnippte ihr Laserfeuerzeug an, wartete, bis Nanis Kippe glühte, bevor sie ihre eigene anzündete. „Und was ist deine Story?“

„Heute bin ich hier, morgen bin ich anderswo“, gab Nani schulterzuckend zurück, wobei sie amüsiert feststellte, dass sie beide sehr raue Stimmen hatten, ja nahezu identisch klangen. Vermutlich hätten sie die meisten Leute in dieselbe Menschenkategorie eingeordnet, überlegte Nani, nicht ohne Amüsement, als sie an ihren Hintergrund dachte.

Susan lachte, schüttelte ihr schulterlanges Haar. „Alles klar, du bist eine Streunerin, vermutlich Gaunerin. So lange du nicht auf die Idee kommst, uns zu bestehlen, sollten wir gut miteinander klarkommen.“ Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. „Lass mich raten: Dem Akzent nach eine Göre aus den Neurussischen Kolonien, Deru, Deron, irgend sowas?“

„Meine Fresse, du bist gut!“ Zufrieden sog Nani den nach Menthol schmeckenden Rauch ein und blies ihn in die große Halle. „Dasselbe bei dir?“

„Bingo.“ Susan gestikulierte mit der betonten, nahezu übertriebenen Lockerheit vieler Frachtleute auf Nanis verschwitzen, grauen Trainer – sie hatte die Abenteurerin auf dem Rückweg von ihrem Workout zufällig getroffen. „Du rennst, oder?“

„Jogging, Schießen und waffenloser Kampf.“ Sie sah sich kurz um ehe sie hinzufügte: „Auf diesem Schiff kann man sich leicht verlaufen, wenn du mich fragst. Ihr habt euch da ein regelrechtes Labyrinth zugelegt.“

„Da hast du Recht“, kommentierte Susan und schnippte ihren Stummel achtlos in den Laderaum unter ihnen. „Die acht Frachthallen sind noch einigermaßen übersichtlich, doch da hört die Symmetrie auch schon auf, die ganzen Blöcke dazwischen sind ein einziges Durcheinander aus Gängen, Treppenhäusern und Räumen. Ich hatte selbst Wochen, bis ich alle Nischen kannte. Vermutlich hat da ein Ingenieur nix von Symmetrie gehalten.“

„Sag nichts, ich hätte mich beinahe verlaufen und das mehr als ein Mal. Ist das Schiff ein bisschen groß für euch?“

„Was will man?“, kommentierte Susan gleichgültig. „Wir brauchen den Platz für Fracht, die ganzen Räume dazwischen sind eigentlich unnötig. Weil sie den Kasten zusammenhalten, können wir da nichts ausweiden.“

„Das ist vielleicht sogar besser so“, meinte Nani. „Ich kann den Platz gut zum Joggen nutzen.“

„Auch ein Ansatz.“ Susan deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. „Der Weg vom Maschinenraum zu den Gemeinschaftsräumen könnte schon ein bisschen kürzer sein. Tosh hat es da schon besser, die Brücke ist ja auch ganz vorn, dabei ist er der Jüngste.“

„Tosh?“ Sie bogen in einen anderen Steg ein, der in einen Gang mündete.

„Ja, der Pilot. Wirst ihn heut Abend treffen, wenn du noch nicht die Ehre hattest.“

„Na, ich bin mal gespannt auf den Rest eurer Crew“, meinte Nani. „Meine Kabine ist hier vorne, wenn ich meinem Orientierungssinn glauben kann.“

„Gut, dann sehen wir uns beim Abendessen um Acht in der Gemeinschaftsküche. Du wirst den Weg schon finden.“ Damit bog Susan nach rechts, in Richtung des Bugs, ab und marschierte von dannen. „Etwas nonchalant, was?“, murmelte Nani, den Zigarettenstummel ebenfalls in die Ladebucht hinunterwerfend. Offenbar war das der Brauch ihrer Gastgeber und wer war sie, sich dem zu widersetzen? Nachdem sie bereits den Captain sowie die Mechanikerin getroffen hatte, konnte sie sich einen ziemlich guten Eindruck von dem Umgangston an Bord der Vela machen. Ihr kam eine solche Crew gelegen, weder unfreundlich noch allzu neugierig, einfach nur auf ihre eigene Arbeit konzentriert, direkt, am Abend vermutlich angetrunken. Sie würden ihr keine Probleme machen, sie mit Fragen löchern oder alles über ihren Lebenswandel am Rande der Legalität zu erfahren versuchen. Ob sie wohl auch Halloween feierten? So oder so versprach diese Reise angenehm, wenn nicht gar entspannend zu werden.

Der lange, am Abend schwach beleuchtete Gang erinnerte Nani an ein billiges Horror-Holo, in dem in jedem Augenblick ein Monster um eine Ecke springen konnte. Nur einige gelbe, teils flackernde Notleuchten funktionierten noch, entweder waren diese Leute unglaublich schlampig, was die Wartung ihres alten Klunkers anbelangte oder sie waren gerade damit beschäftigt, etwas zu reparieren. Ein Schiff von diesen Dimensionen mit einer Crew von vier instandzuhalten musste eine wahre Herkulesaufgabe sein, höchstwahrscheinlich war die Vela für eine wesentlich größere Besatzung ausgelegt. Nur leisteten sich heutzutage bloß noch große Firmen auch große Besatzungen, unabhängige Frachtleute sahen die Sache meist bedeutend lockerer und taten, was man tun musste, damit man nicht vom Himmel fiel.

Nani fröstelte leicht in ihrem Top, als sie um eine weitere der unzähligen Ecken bog. Sie verfluchte sich dafür, ihre Jacke in der Kabine liegengelassen zu haben, aber immerhin war anzunehmen, in der Küche herrschten wesentlich wärmere Temperaturen. Prüfend sah sie kurz auf die in abblätternder, schwarzer Farbe aufgemalten Nummern an der Wand, anhand derer sie sich Bord orientieren konnte, bevor sie zufrieden weiterging. „Level #7, Block #2, Steuerbord“, hier müsste es sein, wenn Susan ihr keinen Unsinn verzapft hatte. Tatsächlich konnte sie nun am Ende des kurzen Ganges ein offenes Schott ausmachen, aus dem Licht drang. Stimmengewirr wurde vernehmbar, Nanis Appetit wurde von dem Geruch nach Curry und Basmatireis mit gebratener Banane geweckt, also beschleunigte sie ihr Tempo.

Als Nani in die geräumige, spartanisch eingerichtete Wohnküche trat, zählte sie zu ihrem Erstaunen ganze sieben Leute. „Hey, ich hatte ja gar keine Ahnung, wie viele Passagiere noch mit eurem Luxuskreuzer reisen!“, rief sie gutgelaunt aus. Mit fremden Leuten kam sie problemlos klar, wirkte stets locker, ja fügte sich in fast allen Kreisen ein. Ein kleiner Teil von ihr war, bis sie ihr Umfeld einschätzen konnte, stets bereit zum Kampf, jedoch hatte sie dies im Laufe der Jahre perfekt zu kaschieren gelernt; nicht, dass sie hier jemanden für eine Bedrohung hielt. Marcus winkte sie zu der Gruppe an den großen, runden Holztisch, er grinste übers ganze Gesicht, vermutlich hatte er schon einige Gläser von dem Rotwein intus, auf der Tafel standen bereits zwei leere Flaschen. „Komm her, setz dich zu uns, schöpf dir, was auch immer du willst.“

Dankend machte Nani es sich bequem und schnappte den Schöpflöffel, während Marcus sich bereits darum kümmerte, sie mit den Fremden bekanntzumachen. „Also Leute, die Rothaarige hier mit der hellen Haut ist Nani, wahrscheinlich eine Gaunerin, die es niemals zugeben würde.“ Auf einen großen, dunkelhäutigen Mann gestikulierend, den sie bereits in der Bar am Tisch gesehen hatte, fuhr er fort. „Der schlaksige Kerl ist Tosh, unser Pilot, der weniger Arbeit leistet als der Autopilot und sich trotzdem schamlos über seinen Sold beschwert. Der ganze Rest der Crew ist dieser irische Wandschrank von einem Kerl, der auf den Namen Ramon hört, Susan kennst du ja bereits.“ Ramon hob eine Pranke, um Nani zu grüßen. Sie erwiderte die Geste, ohne ihre Gabel aus der Hand zu legen. Vertraulich, wenn auch für alle vernehmbar, flüsterte Marcus: „Offiziell ist er der Erste Maat, in Wirklichkeit ist er eher sowas wie das Faktotum.“

Ramon boxte seinem Captain in den Oberarm, was dieser mit einigen deftigen Flüchen quittierte. „Verdammte Scheiße, Mann, kontrollier gefälligst deine Kraft, ja? Nicht jeder hier hat die Statur eines Bären!“

Zwischen zwei Bissen brachte Nani einige Floskeln hervor. Nachdem sie endlich den Reis hinuntergeschluckt hatte, wandte sie sich dem Rest der Runde zu: „Und ihr seid wohl auch Anhalter?“

Ein junger, koreanischstämmiger Mann in punkigem Outfit, den Nani trotz des Altersunterschieds attraktiv fand, nickte eifrig. „Ich bin Se-Jin, Computerspezialist. Die beiden hier, die wenn sie gerade kein Essen im Mund haben, fast nicht voneinander lassen können, sind Kate-Lynn und Jafari, offensichtlich frisch verheiratet.“

„Spar dir das verschmitzte Getue“, murrte Jafari, der neben seiner zierlichen Ehefrau wie eine Bohnenstange aussah. „Ich könnte dich aufheben und durchs halbe Schiff werfen, ich war früher professioneller Gravitationsball-Spieler!“

Nani verbot sich einen amüsierten Kommentar zu dem sportlichen Trikot, das der Lange zu seiner Jeans trug und das seine Vergangenheit nahelegte.

„Ach ja, nur damit du es weißt, Kate-Lynn schreibt sich mit Bindestrich“, ergänzte die kleine, offenbar angetrunkene Frau im Blumenkleid, als sie ihren von einer braunen Lockenpracht bedeckten Kopf an die Schulter ihres Gefährten lehnte. „Das schreiben ständig alle falsch.“

Nani verkniff sich ihre Reaktion, es gelang ihr tatsächlich, eine ernsthafte Miene bei der Sache zu behalten. Natürlich hätte sie sich gerne vorgemacht, dass sie ihr Gelächter nur aus Höflichkeit unterdrückte, doch die Wahrheit war bedeutend pragmatischer: Sie wollte sich nicht an der gebratenen Banane verschlucken.

„Also, jetzt da wir alle einander kennen, können wir uns die Euphemismen sparen“, kommentierte Se-Jin trocken, deutete erst auf Nani und spekulierte „Berufsverbrecherin“, dann auf sich, „Hacker“ und zuletzt auf die Verliebten, „offensichtlich alles andere als reich.“

„Hey“, protestierte Kate-Lynn, brach aber sogleich in unkontrolliertes Kichern aus. „Na ja, der Cyborg-Punk hat Recht.“

„Dafür sind deine Locken so wunderbar süß“, flötete Jafari, mit ihrem Haar spielend. Nani verlor endgültig die Zurückhaltung, verschluckte sich, hustete unkontrolliert und griff nach ihrem Wasserglas. Noch während Susan „Geht’s?“ fragte, beschwerte sich Se-Jin nur halb im Scherz: „Ich bin kein Cyborg, weißt du, was bioelektronische Implantate kosten? Außerdem sind die meisten Cyborgs richtig selbstabsorbierte Freaks ohne Bezug zur Realität, die sich eher mit einem Computer als einem Menschen anfreunden. Das wäre mir zu anstrengend.“

Nani, die sich eben erst beruhigt hatte, grölte gleich wieder los, brauchte diesmal mehrere Sekunden, bevor sie zu Atem kam. Auf die fragenden Blicke der Glücksritter der Tafelrunde erklärte sie schließlich mit puterrotem Kopf: „Ich treffe mich auf Deru mit einer Kollegin, die ein Cyborg ist und du hättest sie kaum besser beschreiben können!“

„Ich fasse es nicht“, murmelte Se-Jin auf Nani deutend. „Dieses Badass von einer Kampfgöre kann tatsächlich richtig Party machen.“

„Bevor wir jetzt hier über die Bots ablästern, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, einen Toast anzubringen“, unterbrach Marcus das Geplänkel und hob sein Weinglas. „Mögen wir jeden Tag so leben, als wäre er unser letzter!“

Nani zögerte einen Moment, ehe sie mit anstieß; auch wenn sie viele Cyborgs für verrückt hielt, fand sie den normalerweise als Beleidigung verwendeten Begriff „Bots“ etwas gar despektierlich. Schließlich siegte jedoch ihre Absicht, sich mit Marcus gutzustellen über den Impuls, die abwesende Kameradin zu verteidigen. „Auf ein langes Leben“, stimmte sie ein.

„Unterschätz nie die Cyborgs“, ermahnte Se-Jin. „Ich denke, dass sie die Zukunft sind, man erzählt sich ja immer wieder spannende Geschichten.“

„Was für Geschichten?“, wollte Jafari sogleich wissen, sehr zum Unmut von Marcus, der offenbar nicht viel von Menschen mit bioelektronischen Computerimplantaten hielt.

Der Hacker senkte seine Stimme, um die nötige Dramatik aufzubauen: „Habt ihr schon von der ‚Büchse der Pandora‘ gehört?“

Kopfschütteln und Verneinungen, zur offensichtlichen Freude des jungen Mannes, gar Marcus’ Interesse schien nun geweckt zu sein. Verschwörerisch fuhr er fort: „Man erzählt sich, sie sei eine künstliche Intelligenz, darauf ausgelegt, das ganze ComNet zu kontrollieren, eine Cyber-Superwaffe, sozusagen. Eines Tages wurde sie von einem in sie verliebten Cyborg gestohlen und befreit.“ Dramatische Pause, gepaart mit der zuversichtlichen Mine des Erzählers. „Jetzt ist sie verschmolzen mit dem menschlichen Verstand des Cyborgs, nicht mehr an einen Ort oder ein Gerät gebunden, lebt im ganzen ComNet, absorbiert jedes Fitzelchen Information, liest, hört, sieht jede unserer Nachrichten, kann auf jedes Gerät zugreifen, die Bilder jeder Kamera sehen, jedes Hexbyte von jedem Chip lesen. Niemand weiß, was sie im Schilde führt, zu was sie fähig ist …“

„Spar dir die Schauermärchen für in ein paar Tagen, wenn Halloween ist“, warf Ramon belustigt ein. Er hob sein volles Glas und kippte es in einem Zug hinunter. „Wir leben noch immer in der Realität, Junge!“

„Eigentlich sind sie ganz okay“, meine Nani mit einem Nicken in Richtung der hinter ihnen liegenden Küche, aus der Gelächter drang. Der zweifellos angeheiterte Se-Jin konterte: „Du meinst so wie …“, er verstellte seine Stimme, „… Kate-Lynn, mit Bindestrich? Oder wie Mister ich-bin-so-stark-und-fit-Jafari?“

Nani schnaubte amüsiert, während sie sich eine Zigarette anzündete, die werweißwievielte heute. Insgeheim nahm sie sich, wie jede Woche in den vergangenen zehn Jahren vor, weniger zu rauchen, wohl wissend, dass sie es niemals täte. Immerhin zählte die Absicht, versuchte sie sich erfolglos weiszumachen. „Ach, so schlimm sind die beiden auch wieder nicht; junge Liebe, du weißt schon.“

„Und du weißt ja, was mit kitschigen, jungen Liebespaaren an Halloween geschieht?“, wandte er ein, senkte seine Tonlage und fuhr gespielt dramatisch fort: „Sie werden vom machetenschwingenden Psychopathen als erste filetiert! Sehr bald haben wir sie also vom Hals.“

„Sei gefälligst weniger gemein“, tadelte Nani ihn, es gelang ihr jedoch nicht, dabei ernst zu wirken, der Wein war ihr längst zu Kopf gestiegen. Als sie an einer der unzähligen Abzweigungen anlangten, erkundigte sie sich: „Ich muss weiter nach achtern, wo liegt deine Kabine?“

„Im selben Block wie deine, sie haben uns alle nahe beieinander untergebracht“, antwortete Se-Jin und fuhr sich dabei mit der Hand durch eine blau gefärbte Haarsträhne.

„Woher …?“, setzte Nani an, bis ihr ein Licht aufging. „Du hast dich in den Hauptrechner des Schiffs gehackt? Das ist nicht besonders freundlich zu unseren Gastgebern.“

„Kinderkram.“ Se-Jin wedelte schalkhaft zur Bestätigung mit seinem Com in der Luft herum. „Man muss sich ja irgendwie beschäftigen.“ Er wechselte sogleich das Thema, wirkte dabei wesentlich begeisterter: „Komm schon, Badass, du hast auf Deru bestimmt irgendeinen zwielichtigen oder spannenden Job am Haken! Was ist es und wie kann ich einsteigen?“

„Nun mal halblang“, versuchte Nani seine Euphorie zu bremsen. „Wir haben unser Team schon zusammengestellt. Sollten wir aber kurzfristig noch einen Computerspezialisten brauchen, komme ich gerne auf dein Angebot zurück.“

Er war kaum mehr aufzuhalten, Nani überlegte, ob sie sich von seinem Enthusiasmus anstecken lassen oder indigniert seufzen sollte. „Was ist es? Edelsteine, eine Bank, Daten, Güter …?“

„So gut kenne ich dich auch wieder nicht, als dass ich das Risiko einginge, dir das jetzt zu erzählen. Immer mit der Ruhe, ja?“

„Hm“, machte er gespielt gleichgültig, wenn auch mit einer Spur der Enttäuschung in seiner Stimme und sie schlenderten schweigend über den Steg, der eine Ladebucht querte. Es war Nani, die zuerst die Stille brach, als sie beim nächsten Block anlangte. „Erzähl mir mehr von dieser ‚Büchse der Pandora‘.“

„Kacke, ich muss echt damit aufhören“, grummelte Nani vor sich hin, sah im Halbdunkel auf den friedlich schlafenden Se-Jin, dessen nackter Körper ab und an vom durchs Fenster fallenden Flackern des Elmsfeuers beleuchtet wurde. „Wenn ich so weitermache, lande ich irgendwann noch mit einem Todfeind in der Kiste.“

Aber was sollte sie sonst schon tun, um ihre Zeit zwischen den Jobs sowie die langen Reisen durch den Hyperraum interessanter zu gestalten? Natürlich, sie trieb Sport, las, versuchte sich weiterzubilden, aber irgendwann hatte sie dabei auch ihr Tagespensum erfüllt. Sex brachte viele Vorteile mit sich, sie musste nicht stillsitzen, was sie hasste und konnte Endorphinausschüttung mit sozialer Interaktion verbinden, was durchaus für sich sprach. Der Com-Anruf an ihre Mutter fiel ihr wieder ein. Sie stellte sich vor, was ihre Eltern wohl dachten, wenn sie wüssten, wie oft Nani unbekleidet und verschwitzt … Nein, das wollte sie sich nun wirklich auf gar keinen Fall ausmalen!

Behände erhob sie sich, schlich auf leisen Sohlen, ohne sich anzuziehen oder Licht zu machen in die kleine Nasszelle, die der Captain großspurig als „Badezimmer“ bezeichnet hatte. Von Hand schob sie die dünne Milchglastür zu, deren Automatik nur noch sporadisch funktionierte und trat unter die Dusche. „Minimales Licht, Wasser lauwarm“, befahl sie, froh darum, dass sich wenigstens die rudimentäre künstliche Intelligenz des alten Frachters noch halbwegs kooperativ zeigte. Ein warmweißes Leuchtpaneel begann zu glimmen, bevor das erfrischende Nass auf ihren verschwitzten Körper sprudelte. Nani hielt den Atem an, legte den Kopf in den Nacken und genoss das Prickeln der Tropfen auf ihren Wangen. „Duschgel.“ Etwas Seifiges, das penetrant nach Lavendel duftete, vermischte sich mit dem Wasser, bis es schließlich wieder abgewaschen wurde. Mit geschlossenen Lidern lehnte sie sich gegen die kühlen Fliesen, die ihre Schulterblätter und Pobacken berührten. Offenbar waren nicht alle Teile des Schiffes gleich gut beheizt, wahrscheinlich lag hinter der gefliesten Wand ein kalter Raum. Irgendetwas war ihr eingefallen, Nani vergaß ihre Überlegungen zum Aufbau der Vela, versuchte sich zu entsinnen. Der Duft der billigen Duschgel-Marke hatte eine Erinnerung geweckt, die Nani längst vergessen geglaubt hatte.

In ihrer Jugendzeit, das genaue Alter hätte sie bestenfalls noch erraten können, war Nani mit einigen Kratzern und blauen Flecken von einer Schulhofprügelei heimgekehrt, nur um bereits in der Eingangshalle von ihrem Vater gemaßregelt zu werden. Sie hatte schon damals nicht wirklich in das gutbürgerliche Leben gepasst, war eine Außenseiterin mit Hang zu Streitereien gewesen, die das Abenteuer gesucht und ständig Schrammen heimgetragen hatte. Doch was hatte es bloß mit dem verfluchten Lavendel auf sich, wieso musste sie sich ausgerechnet jetzt daran erinnern? Es war eines dieser Dinge, an die man kaum je zurückdachte, aber bei denen man noch immer Scham empfand, wenn man daran zurückdachte – sie hatte ihre Eltern enttäuscht. Weder dramatisch noch spektakulär, sondern einfach so, alltäglich, unscheinbar. „Trockenzyklus, Standardeinstellung.“ Sogleich blies die Dusche ihr warme Luft entgegen und sie schüttelte die letzten Tropfen aus ihrer Kurzhaarfrisur, welche sie bald wieder in dem heiß geliebten Rostrot würde nachfärben müssen. Niemand außer ihren Eltern wusste, dass sie eigentlich blond war, wenn es auch bei ihren grüngrauen Augen, für die sie ständig Komplimente einheimste, deren Grund sie nicht so ganz verstehen konnte, eigentlich nahe lag. Halb abwesend beobachtete sie einen chancenlosen Wassertropfen, der vor dem künstlichen Wind flüchtend ihren Unterarm hochgetrieben wurde, dabei an Größe verlor, bis er letzten Endes ganz verdunstet war.

„Ha!“, rief sie urplötzlich freudig aus, im nächsten Moment hoffend, nicht den schlafenden Se-Jin geweckt zu haben. Sie wusste wieder, was es mit dem Lavendel auf sich hatte – frustriert, wie sie damals nach dem Streit mit ihrem Vater gewesen war, hatte sie heimlich eine ganze Flasche seines Kirschs mit Lavendelgeschmack gebechert, was in einer Nacht voller Brechreiz geendet hatte. „Ich muss ein schrecklicher Teenager gewesen sein“, murmelte sie und trat aus der Dusche, wohl wissend, wie wenig sich seit ihren Jugendjahren verändert hatte. „Nein, Kinder werde ich niemals haben, soviel steht fest.“

Ihr Ganzkörper-Spiegelbild stand vor ihr, nackt, sehnig, eine kleine Mohnblume über dem linken Hüftknochen tätowiert, glotzte sie nur dumm an; was sollte es sonst auch tun? Einer verrückten Eingebung folgend schnitt sie sich einige Grimassen und verspottete ihren vermeintlichen Zwilling: „Na, du hättest kaum erwartet, in diesem Alter noch so eine Idiotin zu sein, oder?“ Von den ersten Fältchen in der bleichen Haut ihres Gesichts abgelenkt lamentierte sie lakonisch: „Fuck, echt jetzt? Ich werde langsam alt!“

„Hey, Herumtreiberin, sag mal, was soll das? Hat dir niemand gesagt, dass du nicht auf die Brücke darfst?“ Der Pilot sah Nani leicht missbilligend an, es fiel ihm jedoch schwer, dabei ein dämliches Grinsen zu unterdrücken. Kaum eine Crew hieß es offiziell gut, wenn Anhalter sich in den wichtigen Teilen des Schiffes bewegten, nur machten sich gerade auf heruntergekommen Frachtern die wenigsten Besatzungen die Mühe, ihre Regeln auch durchzusetzen. Nach unzähligen Reisen hatte sich Nani daran gewöhnt und legte bestenfalls noch den Respekt eines verzogenen Teenagers an den Tag, so lange niemand ein ernstes Wörtchen mit ihr sprach.

Sich auf dem erstaunlich großen Kommandodeck umsehend, trat die Abenteurerin neben den in ein hellblaues Hemd gekleideten Piloten. Der Raum war, im Gegensatz zu vielen seiner Pendants auf militärischen Schiffen, nicht in Weiß gehalten, sondern wurde von Oberflächen in altem, zerkratztem Metall dominiert. Zwei Kommandokonsolen, die vorne an dem mit vielen Verstrebungen versehenen Panoramafenster standen, bildeten den Mittelpunkt der als Halbkreis angeordneten Brücke. Tosh saß an der linken Konsole und hatte sich bei Nanis Eintreten umgewandt. Vermutlich war er damit beschäftigt gewesen, irgendwelche Funktionen des Schiffes zu prüfen. So lange die Vela im Hyperraum unterwegs war, unterlag sie der Kontrolle des Autopiloten und es war unmöglich sie bei dieser Geschwindigkeit manuell zu steuern.

„Was dagegen, wenn ich mich setze?“, wollte Nani mit einer lapidaren Geste auf den freien Sessel wissen, was Tosh sogleich verneinte. „Nur zu, wir sind unterwegs, die Vela fliegt sich selbst, also ist mir sowieso langweilig.“

„Okay.“ Sie ließ sich auf das abgewetzte, ermattete Kunstleder fallen, das mit einem skurril knarzenden Geräusch darauf reagierte. „Ist es aufwändiger, einen so großen Kasten vom Himmel fallen zu lassen, als ein kleines Schiff? Normalerweise bin ich mit bedeutend kleinerem Kaliber unterwegs.“

„Eigentlich kaum, plus die meiste Zeit fallen wir nicht vom Himmel“, überlegte Tosh, auf Nanis Scherz eingehend. „Ich bin zwar erst seit kurzem bei der Crew und auf der Vela, habe mich aber rasch an ihre Dimensionen und Eigenheiten gewöhnt.“

„Trotzdem fliegst du mit dem Äquivalent eines halben Stadtblocks durch den Raum. Wäre so etwas nicht für wesentlich mehr Crewmitglieder als euch vier gedacht?“

„Natürlich, nur kann man in unserem Gewerbe nicht wählerisch sein“, konterte der Pilot amüsiert und zündete sich eine Zigarette an. „Entweder Susan und Ramon halten das Ding mit Spucke und Kleister zusammen, oder wir müssen eines Tages sehr schnell bei den Rettungsbooten sein.“

„Na, das klingt ja nicht sehr optimistisch“, meinte Nani amüsiert. „Hauptsache, ihr haltet den Kasten am Leben, bis wir in Deru ankommen.“

Tosh gluckste und schwenkte seinen Sessel herum, um nach seiner Kaffeetasse zu greifen. „Keine Bange, die Vela ist eigentlich ganz gut beisammen, dafür, dass sie ein altes Schiff ist. Der Trick ist, sie auf einer Randwelt zu immatrikulieren, da sind die Bestimmungen weniger streng und man kann viele Jahre länger sinnvoll wirtschaften.“

„Ihr Frachtleute seid doch alle dieselben Gauner“, flunkerte Nani, als sie sich erhob, um sich auf den Weg zu ihrer Kabine zu machen. Immerhin warteten einige Folgen ihrer interaktiven Lieblingsserie auf sie, die sie vor dem Sprung in den Hyperraum heruntergeladen hatte. „Man sieht sich spätestens beim Abendessen, versuch so lange, das Schiff nicht zu zerstören.“

„Na?“ Se-Jin ging gutgelaunt neben der Abenteurerin her, die diesen Abend beim Essen wesentlich weniger getrunken hatte. Er wirkte ebenfalls nüchterner als in der letzten Nacht, wenn auch leicht angeheitert.

„Na, was?“, antwortete Nani verwirrt. „Na toll?“

Der junge Hacker brach in Gelächter aus und fuhr sich mit den knochigen Fingern durchs schwarze, schulterlange Haar. „Na ja, vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Er schüttelte den Kopf, ganz so, als wollte er seine Frisur richten, an der Nani keinen Fehler entdecken konnte. „Du weißt schon …“

Nun dämmerte ihr, auf was er herauswollte. „So langsam habe ich eine Idee.“

„Genau.“ Er zuckte mit den Schultern, ehe er so direkt, wie Nani es nur selten erlebt hatte, fragte: „Also: War das ein One-Night-Stand oder wollen wir daraus ein Arrangement für die Dauer unserer Reise machen? Für mich spricht nichts dagegen.“

Sie kam nicht umhin, ihn für seine direkte Art zu respektieren. Diese Qualität fand sie nur allzu selten in einem ihrer Mitmenschen und sie war der Meinung, dass er eine genauso direkte Antwort verdient hatte. „Für mich spricht auch nichts dagegen.“ Nach einem Augenblick, in dem sie sich überlegt hatte, ob sie etwas ergänzen sollte, fügte sie hinzu: „Nur möchte ich fair sein: Ich date nicht und muss den ganzen emotionalen Kram vorneweg ausschließen. Wenn man so viel auf Reisen lebt wie ich, ist eine Beziehung nicht praktikabel und ich finde es fair, sowas von Beginn an zu klären.“

„Alles klar, das sehe ich genauso, Badass“, meinte Se-Jin grinsend. Ehrlich, dieser junge Hacker war der perfekte Reisegefährte, für ihren Geschmack zudem noch attraktiv und, nun ja, sportlich. Nur etwas blieb, das sie um jeden Preis klären musste: „Musst du mich unbedingt ‚Badass‘ nennen?“

Seine Antwort kam prompt und ließ Nani bereuen, ihr Anliegen als Frage formuliert zu haben: „Ja.“

„Irgendwo hier muss es sein“, murmelte Nani indigniert, um eine weitere der unzähligen Kreuzungen biegend. Ihre Schuhe machten auf dem metallenen Bodenrost, durch den sie die Schemen von Rohren und Leitungen erkannte, laute Geräusche. Mittlerweile war sie bereits einige Tage unterwegs und es fiel ihr immer leichter, sich in dem verworrenen Layout der Vela zurechtzufinden. Nicht, dass sie wirklich viele Orte erkannt hätte, die unzähligen Gänge, Treppenhäuser, Stege und Frachthallen sahen nahezu identisch aus, aber die überall aufgemalten Nummern der Segmente des Schiffes vereinfachten es ihr ungemein, ihren Weg zu finden. Nur hatte sie sich bisher kaum die Mühe gemacht, den Aufenthaltsraum, das Wohnzimmer dieser fliegenden Wohngemeinschaft, aufzusuchen.

„Mistding von einem Schrottfrachter“, wetterte sie leise vor sich hin, etwas, das sie vor der Crew auf keinen Fall getan hätte; die meisten Besatzungen legten relativ wenig Humor an den Tag, wenn man ihr Schiff beleidigte. „Da will man nur ein vermaledeites Bier trinken und ein paar Holo-Games zocken, aber natürlich verläuft man sich.“ Nani fragte sich nicht wirklich, mit wem sie sich unterhielt, ihre Selbstgespräche waren keine Seltenheit, wenn sie sich allein wähnte. Entschlossen ging sie weiter, stets nach dem Raum Ausschau haltend, der aus unerfindlichen Gründen zwei Blocks hinter der Wohnküche liegen musste, weil es niemand für sinnvoll gehalten hatte, alle wichtigen Orte für die Crew nahe beieinander einzurichten. Außerdem hatte Marcus den Passagieren beim Lunch versprochen, zum Halloweenfest am Abend eine große Überraschung bereit zu haben, also wollte sie keinesfalls Stunden nach dem Zimmer suchen. Eine kleine Feier wäre eine Abwechslung, auf die Nani sich schon sehr freute.

„Ha!“ Ihr triumphierender Ausruf verhallte in den langen, vom kalten Schein der Leuchtpaneele erhellten Gänge, als Nani die Tür entdeckte. Mit einer Vorfreude darauf, einen gemütlichen Nachmittag bei Spielen oder in Gesellschaft zu verbringen, trat die Anhalterin auf den Eingang zu und die Tür glitt mit einem Zischen zur Seite. „Hallo, ist da jemand?“

Nachdem sie eingetreten war, schloss sich die solide Metallplatte wieder hinter ihr. Nani nahm sich Zeit, sich im menschenleeren Wohnzimmer umzusehen. Eine abgenutzte, einst beige Polstergruppe dominierte den Raum; sie stand einem großen Holoscreen mit einer Unterhaltungskonsole gegenüber. Im Hintergrund war sogar eine Bartheke auszumachen, auf der eine Getränkemaschine stand. Alles in allem waren sogar Einrichtung sowie Dekoration stimmig, passten zu dem alten Frachter, leicht schäbig aber trotzdem auf eine komische Art anheimelnd. Nur kam sich Nani in dem gedämpften, warmen Licht, das nach dem hellen Gang wie dunkel schien, komisch vor. Sie hatte dieses undefinierbare Bauchgefühl, dass irgendwas nicht stimmte, wenn sie es auch kaum zuordnen konnte. „Vermutlich ist es nichts“, rief sie sich zur Ordnung und schritt über den abgetretenen, grauen Spannteppich auf die Couch zu. „Sicherlich spielt dir nur Halloween einen Streich.“

Beutezug

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