Читать книгу Die Magie von Pax - Sarah Nicola Heidner - Страница 10
Kapitel 4
ОглавлениеIch ging alleine aufs Dach, aber Bea und Mary bestanden darauf, im Physikraum zu warten, wegen des Angriffs der Schwarzkutten. Nach dem Abendessen schlichen wir uns zu den Physik- und Chemieräumen, aber noch nie war ich deswegen so aufgeregt gewesen wie jetzt. Ich zitterte, als ich auf das Lehrerpult kletterte und die Falltür öffnete.
»Viel Glück«, wisperte Bea, die sich mit Mary auf die Fensterbank gesetzt hatte. »Danke«, formte ich lautlos mit den Lippen, dann stieg ich die Stufen langsam nach oben. Das Erste, was ich bemerkte, als ich das Dach betrat, war die frische Luft. Sie strich sanft über mein Gesicht und ich atmete erleichtert ein. In den Physikräumen stank es immer nach Schwefel, Pilzsäuren und Kräutermischungen, sodass die Luft hier oben einfach erfrischend war.
Auf den ersten Blick sah das Dach aus, als hätte hier nie eine Art Kampf stattgefunden. Aber als ich mir den Boden näher ansah, erkannte ich, dass am Rand des Daches, genau dort, wo die Schwarzkutten und ich gestanden hatten, keine Pflanzen mehr wuchsen. Statt den kleinen, weißen Blumen und dem Moos, die auf dem Dach verteilt waren, konnte man hier nur das nackte, dunkle Dach sehen.
Ich seufzte tief und hatte das Gefühl, nie aus dem schlau zu werden, was gestern Abend passiert war. Aber was ich ganz sicher erkennen konnte war, dass hier nichts Goldenes war. Keine goldenen Tropfen auf dem Boden; noch nicht einmal unten im Hof oder im Himmel (ich vergewisserte mich mehrere Male, dass ich auch nichts übersehen hatte). Nachdem ich wirklich alles abgesucht hatte, musste ich mir eingestehen, dass die Götter die Magie anscheinend wirklich nicht verursacht hatten. (Und ehrlich gesagt kam ich immer mehr zu dem Schluss, dass ich verrückt sein musste.)
Resigniert stieg ich die Treppe wieder nach unten zu den Physikräumen. Auf Beas und Marys stumme Fragen hin schüttelte ich nur den Kopf.
»Dort, wo ich stand, ist kein Moos mehr«, erzählte ich flüsternd, während wir zurück in unser Zimmer huschten. »Aber nichts Goldenes.«
Ich weiß nicht genau, wie ich es schaffte, aber ich blendete das alles die nächsten Tage aus (mit »das alles« meine ich in diesem Fall die merkwürdige Nacht mit den Erdbeben, die Schwarzkutten und Isabells Geheule in der Mädchentoilette).
Dass ich Merl angefaucht hatte, hatte einen Vorteil – ich begann allmählich wirklich Kampfsport zu lernen. Allerdings auf die harte Tour, Merl ging nicht gerade zimperlich mit mir um. Immer, wenn ich hart auf der Matte landete, warf Yu Weiß mir einen mitleidigen Blick zu, sagte aber nichts. Merl erklärte mir vieles, erkundigte sich immer wieder, ob ich alles verstanden hatte und wurde nicht müde, mir komplizierte Bewegungsabläufe auch zehnmal zu erklären. Ich wünschte mir die Tage herbei, an denen wir nur Theorie geübt hatten. Merl und ich kämpften mit Schwertern und Dolchen, oder auch ganz ohne Waffen. In manchen Stunden musste ich wieder mit Pfeil und Bogen schießen, in anderen liefen wir die ganze Zeit durch den großen Raum und machten Krafttraining.
Bea und Mary hatten sicher entspanntere Stunden, allerdings bekamen sie umso mehr langweilige Hausaufgaben auf. Wir hatten bis zum Wochenende praktisch keine Zeit, uns mit etwas anderem als der Schule zu beschäftigen. Mir war das ganz recht – ich wusste immer noch nicht, was ich von dieser ganzen Sache halten sollte. Und dass die Götter auf jeden Fall nicht die Magie herbeigerufen hatten, machte mir auch zu schaffen.
Am Samstagmorgen machte Mary allerdings meine Hoffnungen darauf, dass sie den Vorfall vergessen hätte, zunichte, indem sie mich am frühen Morgen (soll ich noch mal betonen, dass Samstag war?!) wachrüttelte. »Sofia, wir müssen was unternehmen«, rief sie mir ins Ohr und weckte Bea.
»Wieso jetzt?«, grummelte ich und drehte mich auf die andere Seite. »Also wirklich, Mary. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr! Wir können auch nach dem Mittagessen etwas unternehmen.«
Bea schien das genauso zu sehen wie ich, sie öffnete ein Auge, sodass sie auf ihren Wecker schauen konnte und stellte sich danach tot.
»Leute, wann können wir das sonst prüfen? Sofia, wir wollen doch herausfinden, wer oder was die Magie hat erscheinen lassen. Und wenn du es warst, können wir es noch mal versuchen. Aber dafür brauchen wir Ruhe – und die haben wir unter der Woche nicht.«
Mit einem Schlag waren Bea und ich hellwach. »Du glaubst also ernsthaft, dass die Magie von mir kam?«, ich musste fast lachen, so absurd klang das. »Mary, soll ich dich noch einmal darauf hinweisen, dass niemand alle vier Elemente beherrschen kann? Die Götter jetzt mal ausgenommen?«
»Ja, aber die Götter waren es ja nun mal nicht«, sagte Mary gereizt. »Ich ziehe doch nur alle Möglichkeiten in Betracht, die es gibt!«
»Mary hat Recht«, murmelte Bea und rollte sich aus dem Bett. »Heute haben wir genügend Zeit, es auszuprobieren.«
»Wisst ihr überhaupt, was ihr da machen sollt? Mit Magie habe ich nun wirklich keine Erfahrungen«, sagte ich und spielte auf meine Magielosigkeit an, nur um noch einmal zu betonen, dass die Magie nicht von mir kommen konnte.
Mary verdrehte die Augen. »Du vielleicht nicht, Sofia, aber Bea und ich können Magie seit Jahren kontrollieren. Auch wenn sie verschieden ist, es ist immer noch Magie.«
»Und was beherrschst du jetzt genau für eine Magie?«, wollte ich wissen. Mary hatte mir auf diese Frage noch nie eine richtige Antwort gegeben, und auch heute sagte sie nur: »Nekromantie. Sofia, zieh dich um, dann legen wir los. Dieser rosa Pferde-Schlafanzug ist ja wirklich ganz süß, aber für das, was wir vorhaben, gänzlich ungeeignet.« Verlegen krabbelte ich zu meinem Schrank und fischte ein paar rote Kleidungsstücke heraus.
Mary schloss unser Zimmer ab, vergewisserte sich, dass Isabells Mentor vor der Tür selig schlief und zog dann die Vorhänge zu. Im Zimmer war es jetzt so dunkel, dass ich Mary und Bea, die auf meinem Bett saßen, nur schemenhaft erkennen konnte. Ich stand ein bisschen verloren in der Mitte des Raumes (und kam mir ziemlich albern vor).
»Okay«, sagte Mary. »Sofia, du musst jetzt versuchen, alles loszulassen. Hm … das ist schwierig zu erklären. Entspann dich einfach, und versuch, Magie heraufzubeschwören.« Ich war kurz davor, albern loszukichern. Sie konnte ja nicht wissen, wie oft ich das schon versucht hatte – heimlich in meinem Zimmer, vor Ärzten, vor Lehrern, vor meinen Eltern, mit Isabell, mit Bea …
Trotzdem seufzte ich nur und versuchte mich zu entspannen, was allerdings nicht wirklich funktionierte. Ich streckte die Hände aus und redete mir ein, dass da jetzt gleich irgendwie Magie rauskommen würde (ich brauche wohl nicht zu betonen, dass ich nicht wirklich daran glaubte).
Als sie Sonne aufgegangen war, gaben wir es auf und Mary zog die Vorhänge wieder auf, sodass Tageslicht in den Raum strömte.
»Ich hab’s doch gesagt«, brummelte ich und warf mich auf mein Bett. »In mir ist kein Funken Magie.«
»Das kann sein«, stellte Mary fest, während sie die Tür wieder aufschloss.
»Es kann aber auch sein, dass du die Magie einfach nicht kontrollieren kannst. Oder denkst du, Sechsjährige können sagen: Jetzt lass ich mal diesen Gegenstand fliegen? «
»Am Anfang kommt die Magie, wann sie will«, stimmte Bea ihr zu.
»Toll«, sagte ich gedehnt. »Aber wenn es euch aufgefallen ist – ich bin nicht sechs! Und ich habe keine Magie. Also können wir uns bitte auf etwas konzentrieren, dass mehr Sinn ergibt?« Ich hatte keine Lust mehr, die ganze Zeit über meine Ich-Habe-Keine-Magie Geschichte diskutieren zu müssen, wo ich das Ganze doch am liebsten ausblenden wollte. Die beiden machten mir mit ihrem Gerede sinnlose Hoffnungen, die doch nur wieder zerstört werden würden.
»Gut«, sagte Mary ruhig. »Aber lass mich noch eine Sache ausprobieren.«
Nach dem Frühstück schickten Mary und Bea mich aufs Zimmer, während sie noch Crossiants aßen. Die Erinnerung an die Begegnung mit den Schwarzkutten wurde immer verschwommener, und ich bekam wirklich Zweifel wegen meiner Auffassungsgabe. Ich wollte gerade ins Bad gehen, als ich ein leises Kratzen hinter der Tür hörte. Erstarrt blieb ich stehen und sah, wie jemand die Klinke langsam herunterdrückte. Wie festgefroren blieb ich stehen, die Hand nach der Badezimmertürklinke ausgestreckt. Langsam öffnete sich die Tür und jemand schob sich in den Raum – eine Schwarzkutte! Ich reagierte panisch (was wohl nur nachvollziehbar ist, wenn man sich an das Ereignis auf dem Dach erinnerte).
Ich wich bis an die Wand zurück, dann schrie ich los und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, wie unsere Bettdecken brannten. Durch einen Windstoß (im Zimmer?!) wurde die Schwarzkutte ins Badezimmer geworfen. Die Tür des Badezimmers knallte laut zu, dann hörte ich, wie sich Dusche und Waschbecken selbstständig machten und Wasser sprühten.
Entgeistert ließ ich mich auf dem Boden nieder. Meine Gedanken wirbelten herum und ich wusste, dass ich Yu Weiß auf jeden Fall von den Schwarzkutten berichten musste. Aber erst mal sollte ich irgendjemanden holen. Mein Herz pochte wie wild und ich brauchte einige Zeit, bis ich mit zittrigen Beinen aufstehen konnte.
Ich war gerade auf dem Weg zur Tür, als Bea vorsichtig den Raum betrat, einen Blick auf die rauchende Bettwäsche warf und erschreckt aufkeuchte.
»Eine Schwarzkutte – hier im Zimmer!«, ich rüttelte sie an der Schulter, während ich losstammelte. »Plötzlich kam sie hier rein … und ich – ich hab gar nichts gemacht, aber dann sind die Bettdecken irgendwie in Flammen …«
»Sofia, das ist Mary. Sie hat ihre Schwarzkuttenrobe angezogen, um deine Magie zu prüfen«, unterbrach Bea mich zerknirscht. »Das war eine bescheuerte Idee – sorry. Aber jetzt müssen wir erst einmal Mary retten.«
»Bei den Göttern«, stöhnte ich halb erleichtert, halb wütend und wäre zusammengesackt, wenn Bea mich nicht gestützt hätte. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade einen Marathonlauf hinter mir.
Bea öffnete die Tür zum Badezimmer, während ich nur auf dem Boden hockte und verzweifelt versuchte, nicht ohnmächtig zu werden. Dennoch riskierte ich einen Blick ins Bad – und bereute es. Mary saß auf dem Boden, ihre Haarspitzen waren angekokelt und ihr Arm stand in einem merkwürdigen Winkel ab – wahrscheinlich war sie ungünstig mit ihm aufgekommen, als der Wind (oder was auch immer) sie ins Badezimmer befördert hatte. Außerdem war sie klatschnass und zitterte. Wasser aus der Dusche und vom Waschbecken spritzte immer noch auf sie ein, und ich schüttelte wild den Kopf.
»Stopp, stopp«, murmelte ich, aber nichts passierte. Bea zog Mary aus dem Badezimmer und schloss die Tür hinter ihnen.
Ich blendete das Flimmern vor meinen Augen aus und sah Mary verängstigt an. »Sorry, Mary«, flüsterte ich.
Doch diese schüttelte nur den Kopf. »Jetzt wissen wir es«, sagte sie nur und zuckte schmerzhaft zusammen, als Bea ihren Arm berührte.
»Wo ist Isabells Mentor – dein Aufpasser?«, fragte ich sofort.
»Ich hab ihn abgelenkt und so getan, als würde ich in die Klassenzimmer rennen«, sagte Bea leise. Jetzt, wo Mary außer Lebensgefahr war, funkelte ich sie wütend an. »Seid ihr eigentlich noch ganz klar im Kopf?«, wollte ich fauchen, aber da ich so erschöpft war, klang es eher wie eine freundlich gestellte Frage.
Bea sagte nur: »Ja, danke der Nachfrage, aber darüber müssen wir später noch mal reden«, dann verfrachtete sie Mary nach draußen. »Was wollt ihr denn der Krankenschwester …?«, begann ich, doch Mary unterbrach mich. »Wir denken uns schon was aus. Unfall«, sagte sie.
»Ja klar, unter der Dusche …«, begann ich, doch die beiden waren schon verschwunden.
Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett sinken und schloss die Augen. Ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Ich hatte Mary für eine Schwarzkutte (na ja, das war sie ja auch – für eine böse Schwarzkutte) gehalten und schon wieder hatte plötzlich alles verrückt gespielt. Und dieses Mal waren Mary und Bea dabei gewesen – ich war also nicht geisteskrank. Die Götter waren auch ausgeschlossen, da im Zimmer nichts Goldenes zu finden war (außer Beas Lieblingskessel, den sie für mehr als hundert Silbermünzen gekauft hatte).
Aber die Möglichkeit, die dann noch blieb, verursachte mir starke Kopfschmerzen. Konnte es wirklich sein, dass ich die Magie heraufbeschworen hatte? Okay, ich war ein totaler Freak. Jetzt war es amtlich. Entweder besaß ich keinen Funken Magie – oder so viel, wie niemand zuvor jemals besessen hatte, so viel, wie eigentlich unmöglich sein sollte. Ich hatte das Gefühl, gerade erst die Augen geschlossen zu haben, als Bea ins Zimmer kam, gefolgt von Mary, die ihren Arm in einer Schlinge trug und irgendein Schmerzmittel bekommen zu haben schien, (ich tippte mal auf Randerkraut, nur das hatte so eine starke Wirkung) denn sie grinste mich breit an.
»So – wenn auch mit einigen Verlusten«, sie deutete mit ihrer freien Hand auf den Arm in der Schlinge, »wissen wir jetzt, wer diese Magie verursacht hat – Du.«
Bea und sie starrten mich in einer Mischung aus Faszination und Verwirrung an, aber ich hob nur die Schultern. »Leute, ich habe keine Ahnung, was da passiert ist!«, sagte ich und hatte das Gefühl, mich zu wiederholen.
»Aber ich«, sagte Mary zufrieden. »Du kannst die Magie nicht kontrollieren – noch nicht. Aber sie hilft dir, wenn du angegriffen wirst – oder dich in Gefahr fühlst. Das heißt, dass sie da ist.«
»Ihr seid echt krank«, empörte ich mich und wollte gerade losschimpfen, doch Bea unterbrach mich: »Komm schon, Sofia. Es hat doch alles so geklappt, wie wir es wollten – abgesehen jetzt mal von Marys Arm. Wir wissen, dass du diese Magie ausgeübt hast. Allerdings erklärt das vieles nicht – Du bist anscheinend eine Blaukutte. Aber irgendwie auch nicht wirklich, weil du alle vier Elemente beherrschst. Und das ist eindeutig nicht normal.« (Na, das sollte ja nichts Neues für mich sein!) Von den ganzen Problemen schwirrte mir der Kopf, und außerdem war ich immer noch so fertig, dass ich es noch nicht einmal schaffte, aufzustehen.
»Und was mache ich jetzt?«, fragte ich und klang ziemlich verzweifelt. Eine Ironie des Schicksals übrigens (immerhin hat das Schicksal noch Humor), weil ich mir ja immer gewünscht hatte, Magie zu beherrschen. Aber so, wie es jetzt war, wollte ich es irgendwie auch nicht.
»Du musst es Yu Weiß sagen«, meinte Mary, aber ich schüttelte wie wild den Kopf.
»Sofia«, fuhr Bea mich an, »das ist gefährlich, wenn du die Magie in dieser Intensität und Vielfalt nicht beherrschst. Wenn junge Rotkutten mal aus Versehen ein Glas gegen das Fenster fliegen lassen, ist das nicht so schlimm. Aber du kannst zerstören und töten mit deiner Magie. Ehrlich gesagt will ich gar nicht wissen, was mit den Schwarzkutten passiert ist, die versucht haben, dich anzugreifen.«
Ich nickte, eingeschüchtert von Beas Ausbruch. Bea und Mary hatten Recht. Ich musste mich dem stellen und konnte nicht immer weglaufen.
Vor dem Mittagessen holte mich Merl zu einer »Extrastunde« ab.
Ich war nicht wirklich konzentriert (aber ganz ehrlich: das war auch mein gutes Recht bei allem, was heute passiert war), weshalb Merl ziemlich genervt von mir war.
»Verdammt, Sofia. Kannst du dir bitte ein bisschen Mühe geben?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen, während er mir ein und dieselbe Übung mindestens das zwanzigste Mal vorführen musste, weil ich immer noch nicht begriffen hatte, wie es ging.
»Nein, heute nicht«, fauchte ich. »Sorry, aber ich hab im Moment genug Probleme und keine Lust, mich mit diesem komischen Taekgien auseinanderzusetzen!«
»Taekgyeon«, verbesserte Merl mich. »Das wir übrigens schon über eine Woche üben. Aber du solltest wissen, dass wir hier nicht zum Spaß trainieren.«
»Mir sagt ja niemand was!«, sagte ich anklagend und deutete auf den Platz unter der Armet-Statue, an dem normalerweise Yu Weiß saß. »Selbst mein eigener Mentor nicht!«
»Im Moment noch nicht. Du musst dich gedulden«, sagte Merl sanft.
»Oh, toll!«, sagte ich sarkastisch. »Das hilft mir natürlich auch, das Training noch ernster zu nehmen als sowieso!«
Merl schnaubte und zeigte mir die Stellung, die wir schon die ganze Stunde übten, noch einmal. Als er mich endlich entließ, hatte ich das Mittagessen verpasst. Als ich an der Mädchentoilette vorbeiging, hörte ich schon wieder so ein merkwürdiges Schniefen. Ich schaute vorsichtig rein, nur um mich zu vergewissern – und konnte es echt nicht glauben. Die selbstbewusste, starke (und egoistische dumme Kuh!) Isabell saß zum zweiten Mal innerhalb einer Woche im Mädchenklo und wischte sich verheult ihre verlaufene Schminke aus dem Gesicht. (Vielleicht sollte sie sich mal überlegen, nicht immer geschminkt herum zu laufen, wenn sie so etwas häufiger abzog.) Ich lief weiter und fragte mich wieder, was Isabell so aus der Bahn werfen konnte. Nicht, dass ich mir Sorgen um sie machen würde (niemals!), aber sie sah doch ziemlich entkräftet aus.
Mary war anscheinend auch bei einer Extrastunde mit ihrem Mentor Herrn Must, (da muss man sich eigentlich fragen, warum die Mentoren den Samstag nicht einfach zu einem normalen Unterrichtstag erklärten!) aber Bea saß noch unten in der verlassenen Mensa und hatte mir einen Teller Nudeln gesichert.
Dankbar drückte ich sie, dann setzte ich mich zu ihr an den Tisch.
»Hast du Yu Weiß gesehen?«, fragte ich sie und Bea nickte. » Er hat hier gegessen. Ich hab mich schon gefragt, warum Merl eine Extrastunde ohne deinen Mentor einschieben kann. Dafür, dass er so jung ist ... Er kann ja eigentlich noch kein ausgebildeter Mentor sein, oder?«
Ich dachte an die vielen Male, die Yu Weiß mich schuldbewusst angeschaut hatte, wenn ich auf der verschwitzten Matte lag. »Ich glaube, dass Merl mehr Macht hat, als eine normale Rotkutte«, sagte ich langsam.
»Wenn er überhaupt eine Rotkutte ist«, warf Bea ein. Wir redeten weder über meine Magie, noch über Marys gebrochenen Arm. Ich sah natürlich die verwirrten und teilweise auch verängstigten Blicke, die Bea mir zeitweilen zuwarf, wenn sie glaubte, dass ich es nicht sah, aber ich versuchte sie nicht zu beachten.
Denn ich glaube wirklich nicht, dass ich mich zu dem Zeitpunkt mit meinen Kräften hätte auseinander setzen können.
Den Sonntagmorgen hatten wir mentorenfrei (auch ohne Extrastunden!) und schlenderten ein bisschen in der Stadt herum. Bea zog uns zu ihrem Lieblingskesselladen, in dem sie auch ihren Goldkessel erstanden hatte (Quandri, die diese Woche mit dem Bewachen von Mary betraut worden war, blieb augenverdrehend vor dem Laden stehen und murmelte etwas wie »Vergeudung von vielversprechenden Fähigkeiten«).
Danach kauften wir Mary rote Kleidung und deckten sie mit einer weiteren roten Robe ein, was zwar nicht wirklich viel war, aber zu mehr reichte unser Geld nicht. Mary sah zwar nicht wirklich glücklich aus, als wir mit unzähligen Tüten aus dem Bekleidungsgeschäft kamen, aber ich war mir sicher, dass sie sich an die rote Farbe gewöhnen würde.
Es war schon ziemlich nervig, dass Quandri uns die ganze Zeit folgte, weil wir so über nichts wirklich reden konnten. Deshalb schwiegen wir die meiste Zeit des Weges oder unterhielten uns über Marys Schulstunden. Herr Must war sehr beeindruckt von ihrem Wissen und förderte Mary wo er nur konnte, weshalb sie ihn vergötterte. Als wir wieder im Schülerhaus ankamen, war es schon fast Zeit für die nächste Stunde und mein Magen verkrampfte sich vor Angst.
»Du schaffst das«, Bea umarmte mich noch einmal, bevor wir uns alle auf den Weg zu unseren Mentoren machten. Ich ging so langsam durch die Gänge, dass ich mir nicht sicher war, ob man es überhaupt als gehen bezeichnen konnte und überlegte die ganze Zeit, wie ich Yu Weiß die ganze Geschichte eigentlich erzählen sollte. Schließlich betrat ich den Trainingsraum, aber Yu Weiß war noch nicht da. Ich atmete durch und versuchte mich ernsthaft auf den Kampfsport zu konzentrieren – heute war Schwertkampf dran. Merl sagte nichts dazu, wenn mein Schwert mir aus der Hand flog und durch die Luft wirbelte, aber er verkniff jedes Mal ein bisschen mehr das Gesicht, um nicht lachen zu müssen (sodass er am Ende aussah, als hätte er lauter Falten). Yu Weiß kam ein paar Minuten später, setzte sich unter die Wand mit den Waffen und schaute uns nachdenklich zu. Je näher das Ende der Stunde rückte, desto nervöser wurde ich. Als es klingelte, fiel mir mein Schwert aus der Hand und ich hob es verlegen wieder auf. Merl schüttelte belustigt über meine Tollpatschigkeit den Kopf und hängte unsere Waffen an die Wand, dann verschwand er.
»Ähm …«, machte ich wenig hilfreich, als Yu Weiß aufstand und auf mich zukam. »Ja, Sofia?«
»Ich muss Ihnen etwas erzählen!«, platze ich heraus. Wir setzten uns auf die Matten, und ich stotterte mir was zusammen. Erst erzählte ich von meinem Aufenthalt auf dem Dach (und das ich schon vor Jahren den Weg nach oben gefunden hatte), dann von den Schwarzkutten und dem Erdbeben, dem Sturm, dem Regen und dem Feuer, meinen Sturz vom Dach und auch, wie ich es Bea und Mary erzählt hatte. Es tat gut, alles loszuwerden, auch wenn sich Yu Weiß’ Gesicht mit jedem Wort mehr verfinsterte. Dann berichtete ich von Marys List, dem Feuer an den Bettdecken, (die immer noch entsetzlich stanken) dem Windstoß, der sie ins Bad befördert hatte, dem Verrücktspielen des Wassers und schließlich auch (mit schuldbewusster Miene) von ihrem gebrochenen Arm.
»Die Götter können es nicht gewesen sein, nirgendwo war etwas Goldenes zu sehen«, schloss ich schließlich. »Also … also muss ich diese Fähigkeiten haben.«
Als ich geendet hatte, trat Schweigen ein. Yu Weiß sah mich mit einem tief bekümmerten Gesichtsausdruck an und seufzte tief.
»Was soll ich denn jetzt machen?!«, fragte ich verzweifelt und kämpfte mit den Tränen.
»Du gehst jetzt in dein Zimmer und ruhst dich aus«, sagte Yu Weiß eindringlich. »Wir müssen uns später noch einmal unterhalten. Ich werde erst einmal dafür sorgen, dass alle Ein- und Ausgänge der Schule bewacht werden und ich muss ihnen Bescheid sagen. Ich wusste ja, dass es passiert. Trotzdem …« Ohne ein weiteres Wort stand er auf und schritt zur Waffenwand. Dort nahm er ein paar Dolche, Schwerter und Pfeile und Bögen heraus und verließ vor sich hinmurmelnd den Raum. Geschockt blieb ich auf den Matten sitzen und starrte ihm hinterher, ohne ihn gefragt zu haben, wen er mit »ihnen« meinte.
Ich konnte doch nicht einfach in mein Zimmer gehen und so tun, als wäre nichts gewesen! Und was hatte er schon gewusst? Ich wurde nicht daraus schlau, was er gesagt hatte.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und die Gedanken über mich hereinbrachen, irgendwann konnte ich aufstehen und stolperte durch die Gänge und die Wendeltreppe hoch in unser Zimmer (an der griesgrämigen Quandri vorbei, die vor der Tür hockte). Bea und Mary warteten schon mit fragenden Gesichtern auf mich. Ich setzte mich auf mein Bett, rückte von der nach Rauch stinkenden Bettdecke ab und seufzte tief. »Eigentlich hat er gar nichts dazu gesagt«, gab ich zu und erzählte von unserem Gespräch.
Mary und Bea hatten auch keine Ahnung, was sie dazu sagen sollten. »Er hat gesagt, er muss sich mit dir noch einmal darüber unterhalten, dass heißt, er kommt noch einmal darauf zurück. Yu Weiß will sicher nur erst einmal die Schule sichern«, überlegte Mary und ich stimmte ihr zu. Natürlich wollte sich mein Mentor, der Schulleiter, erst einmal um die Bedrohung durch die Schwarzkutten kümmern. Aber von was wusste er Bescheid? Und wem wollte er sagen, was passiert war?
Weil ich nicht wusste, was ich jetzt machen sollte, folgte ich einfach Yu Weiß’ Rat und blieb in meinem Zimmer.
Während Mary und Bea ihre Hausaufgaben hinter sich brachten, nahm ich mir wahllos Bücher von Marys Bett und begann sie zu lesen (wobei das meiste allerdings zu hoch für mich war, sodass ich es nach wenigen Seiten wieder weglegte). Danach schaute ich mich im Bad um. Bea, Mary und ich hatten es noch immer nicht ganz geschafft, alle Pfützen zu beseitigen, auch wenn das Wasser von der Dusche und des Waschbecken wieder nur herauskam, wenn man den Hahn aufdrehte (was mich im Moment jedenfalls beruhigte, ich konnte mich nicht auch noch mit spinnenden Wasserhähnen herumschlagen).
Beim Abendessen sah Merl mich die ganze Zeit beunruhigt an und ich hoffte, dass Yu Weiß ihm nichts von dem erzählt hatte, was ich ihm anvertraut hatte, auch wenn es auf mich so wirkte, als hätte er es gemacht. Warum sonst sollte Merl mich anstarren, als würde ich den »Rotkuttensalat« auf dem Kopf stehend essen?
Yu Weiß tauchte während des gesamten Abends nicht am Lehrertisch auf und ich suchte vergeblich auch noch mal im Trainingsraum und in seinem Büro nach ihm. Langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Als ich im Bett lag und schon fast eingeschlafen war, hörte ich Mary und Bea wispern. Eigentlich wollte ich nur schnell einschlafen, aber als ich meinen Namen hörte, horchte ich auf.
»Ich hab keine Ahnung, warum Sofia so viel Macht hat. Aber es ist eindeutig zu viel. Sie weiß überhaupt nicht, wie man Magie benutzt, geschweige denn, wie man damit umgeht«, sagte Mary beunruhigt.
»Sofia ist anders, das ist sie schon die ganze Zeit«, flüsterte Bea. »Aber ich bin mir sicher, dass sie das hinkriegt.«
»Solange sie mir nicht noch mal den Arm bricht«, wisperte Mary.
Ich räusperte mich und die beiden verstummten.
»Bist du noch wach?«, fragte Bea, aber ich antwortete nicht.
»Gute Nacht, Bea«, flüsterte Mary, dann senkte sich endlich Stille über unser Zimmer.
Ich wusste nicht, weshalb, aber plötzlich erwachte ich mitten in der Nacht. Verwirrt öffnete ich die Augen, setzte mich vorsichtig auf und warf einen Blick durchs Zimmer. Der Mond schien herein, sodass alles in ein merkwürdig weißliches Licht getaucht war. Bea und Mary lagen schlafend in ihren Betten und auf dem Boden stapelten sich Bücher, (von Mary) Kessel und Kräutersalben (von Bea) und Keksdosen (von mir). Ich wollte mich gerade wieder hinlegen, als ich hörte, wie jemand die Wendeltreppe nach oben lief.
In Richtung der Schlafräume der Mädchen?! Mitten in der Nacht?! Ich beschloss aufzustehen und nachzusehen, doch ich hatte kaum die Beine aus dem Bett geschwungen, als sich die Tür zu unserem Zimmer leise öffnete. Ich wirbelte herum und entspannte mich, als ich Yu Weiß in der Tür stehen sah.
»Wir müssen los«, sagte er lautlos und deutete auf meinen Schrank. »Pack dir ein paar Sachen ein und komm nach unten in die Mensa.«
Verwirrt sah ich ihn an. »Wohin?«
»In das Schülerhaus der Blaukutten.«
»Was?!«, flüsterte ich entsetzt. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er mich tatsächlich hier wegbringen wollte. Ich lebte hier seit mehr als zehn Jahren und durch Bea war das Schülerhaus zu meinem zu Hause geworden. Außerdem waren Bea und ja, auch Mary – sie beide waren meine Freunde.
»Warum?«, wisperte ich. Yu Weiß verdrehte leicht genervt die Augen und winkte mir dann. Ich folgte ihm aus dem Zimmer und auf die Wendeltreppe, so dass wir weit genug von den Schlafräumen entfernt waren, um normal reden zu können.
»Du bist eine Blaukutte, Sofia, und auch noch eine besondere. Ich dachte, dir wäre klar, dass du nicht hierbleiben kannst?«, sagte Yu Weiß.
»Aber … meine Freunde. Das hier ist mein zu Hause«, sagte ich eindringlich.
Yu Weiß schaute mich ernst an. »Aber dein zu Hause kann dich nicht beschützen – im Moment nicht. Nicht vor Schwarzkutten und auch nicht vor dir selbst. Dir ist schon klar, dass du deine Freunde verletzen oder so töten kannst, wenn du nicht lernst, die Magie zu beherrschen?« Sein Vorwurf hing in der Luft; schließlich hatte ich Marys Arm gebrochen. (Aber ich wusste ja nicht, dass sie es war! Es hätte jede andere Schwarzkutte auf dieser Welt sein können, die mich hätte töten wollen – weshalb auch immer.)
»Aber …«, fing ich hilflos an, doch Yu Weiß schüttelte abschließend den Kopf. »Du kannst zurückkehren, Sofia«, sagte er. »Doch erst musst du lernen, deine Magie zu kontrollieren.« Ich wusste, dass er Recht hatte (das hatte er eigentlich immer). Aber dennoch sträubte sich alles in mir dagegen, das Schülerhaus der Rotkutten zu verlassen.
»Sofia«, Yu Weiß und schob mich sanft in Richtung meines Zimmers. »Ich werde ihnen erklären, dass du weg musst, aber glaub mir, es ist besser, wenn ihr keine Zeit habt, euch zu verabschieden.« Ich nickte. Da hatte er schon wieder Recht – nicht, dass es mir dadurch leichter fallen würde.
Ich warf mir meine rote Robe über und packte wahllos ein paar Kleidungsstücke in meinen Rucksack. Ansonsten gab es wenig Dinge, die ich mitnehmen wollte (von dem ganzen Zimmer samt Bea und Mary jetzt mal abgesehen). Ein paar Keksdosen und Bücher packte ich ein, dann warf ich noch einen Blick auf meine schlafenden Freunde. Nie, wirklich nie hätte ich gedacht, dass mein Leben sich so plötzlich ändern könnte.
»Danke«, flüsterte ich leise und konnte nicht verhindern, dass mir ein paar Tränen über die Wangen rollten. Entschieden wischte ich sie weg, dann schloss ich die Tür hinter mir. Ich würde zurückkommen, sagte ich mir immer wieder, als Yu Weiß mich nach draußen in die kalte Nachtluft führte. Trotzdem fühlte es sich an wie ein Abschied, als ich noch einmal zu dem großen Betonklotz hochblickte.
Eine Kutsche parkte ein paar Straßen weiter. Ich war erst wenige Male in meinem Leben mit einer Kutsche gefahren, aber dieses Mal erfüllte es mich nicht wie sonst mit Freude. Yu Weiß stieg ein, aber ich blieb draußen stehen und warf einen Blick auf die verlassenen Straßen. In manchen Häusern brannte Licht und ich dachte, dass meine Eltern wahrscheinlich auch noch wach wären und ihrer Arbeit nachhingen (sie waren praktisch süchtig danach). Ich seufzte tief. Der Gedanke an meine Eltern half mir gerade überhaupt nicht weiter.
Yu Weiß rief ungeduldig aus dem Inneren der Kutsche nach mir und ich stieg ein. Die Kutschte setzte sich sofort in Bewegung und ich zog die grünen Vorhänge zu – ich wollte das Schülerhaus einfach nicht noch mal sehen.
» Merl ist gestern Abend nach dem Essen schon vorgefahren, um alle auf deine Ankunft vorzubereiten«, sagte Yu Weiß nach ein paar Minuten endlosen Schweigens.
»Was?! Merl ist eine Blaukutte?« Okay, es war nicht wirklich abwegig, ich hatte mich schließlich schon von Anfang an über sein plötzliches Erscheinen und die Fähigkeit zu Kämpfen gewundert. Trotzdem – ich hatte die letzten Wochen mit einer Blaukutte gekämpft. Obwohl, ich war ja selbst eine. (Das vergaß ich immer.)
»Sind Sie auch eine …?«, fragte ich Yu Weiß zögerlich.
»Ich bin Direktor des Schülerhauses der Rotkutten«, sagte er nur. »Und dein Mentor.« (Ach ne! War ja nicht so, als ob mir das unbekannt wäre! Aber meine Frage beantwortete er wie immer natürlich nicht!)
»Ähm … Sie sagten Schülerhaus der Blaukutten«, sagte ich langsam und ärgerte mich darüber, dass Yu Weiß meine Frage überhaupt nicht beantwortet hatte. »Aber ich dachte, dass es nur ganz wenige Blaukutten gibt?«
»Das stimmt. Es gibt vielleicht dreißigtausend Rotkuttenschüler. Allein in deinem Schülerhaus sind über zweihundert Schüler. Bei den Schwarzkutten gibt es siebentausend Schüler, bei den Blaukutten hingegen gibt es nur etwa achthundert. In deinem Schülerhaus sind deshalb nur dreißig Schüler.«
»Dreißig? Von der ersten Klasse bis zu den Mentorenjahrgängen? Oh«, sagte ich leise und lehnte meinen Kopf gegen die Kutschenwand.
Ich musste wieder an Bea denken und konnte nicht glauben, dass ich sie und alles, was ich kannte und schätzen gelernt hatte, jetzt zurücklassen musste.
Ich hoffte nur, dass Yu Weiß Bea und Mary die ganze Geschichte so erzählte, dass sie der Wahrheit entsprach: Also dass ich nicht weg gewollt hatte.
Ich musste eingenickt sein (schließlich war es ja auch mitten in der Nacht!), denn als Yu Weiß mich wach rüttelte, hatte die Kutsche angehalten.
Draußen dämmerte es bereits, es schien früher Morgen zu sein. Wir stiegen aus, und ich konnte nicht anders, als zu staunen. In der Luft wirbelten überall kleine, blaue Magiefünkchen umher. Die Straße war frisch gepflastert und nirgendwo lagen Dreck, geschweige denn Pferdeäpfel herum. All die Villen, die die Straße säumten, sahen aus, als hätten sie hunderte Goldmünzen gekostet. Das Beeindruckendste aber war das Haus, vor dem wir standen (also ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob man bei dieser Größe noch von Haus sprechen kann).
Allein der Garten war schon riesig – und gepflegt (also der Teil, den man sehen konnte, denn zwei Wege führten um das Haus herum zum hinteren Teil des Gartens). Das Gras war gestutzt und die Blumen und Blüten beugten sich direkt über einen Schotterweg, der auf das Schülerhaus zuführte.
Das Schülerhaus war einfach nur riesig. Es sah aus wie ein großes Schloss mit unzähligen Türmen und kleinen Nebenanbauten. Außerdem war es aus einem rötlichen Stein gebaut worden, sodass es, wenn der Mond und die ersten Strahlen der Sonne darauf schienen, wunderschön glitzerte. Für diesen Moment hatte ich das Schülerhaus der Rotkutten, meine Magie und sogar Bea vergessen. Ich starrte einfach nur dieses fantastische Gebäude an und versuchte, den Anblick in mich aufzunehmen. Jedes Türmchen war für sich mit Gold verziert worden und wurde von bläulichen Magiefunken umschwebt.
»Erstaunlich, nicht wahr?«, fragte Yu Weiß. Ich war so auf das Gebäude fixiert gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, wie er neben mich getreten war. »Erstaunlich« traf es noch nicht einmal annähernd, aber ich nickte trotzdem zustimmend.
»Bist du bereit, Sofia?«, fragte er ernst.
»Ehrliche Antwort? Nein, nicht im Geringsten.« Ich folgte Yu Weiß in das Schülerhaus.