Читать книгу Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL - Sascha Feuchert - Страница 5

2. Inhaltsangabe

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Im Himmel, ganz oben: Der Roman beginnt Plötzlicher Beginn plötzlich (medias in res) und dramatisch: Rückblickend erzählt Veit Kolbe vom Moment seiner Verwundung im Russlandfeldzug, bei der er sich Wunden an der Wange, unter der Schulter, am Kiefer und vor allem am Oberschenkel zuzieht (S. 7). Die Nächte im saarländischen Lazarett, in das er transportiert wird, stehen in denkbar größtem Kontrast zu jenen an der Ostfront, sie erscheinen geradezu idyllisch. Und doch ist mit dieser scheinbaren Idylle einiges nicht in Ordnung: Ein »Bäckerjunge aus der Stadt« (S. 16) berichtet Kolbe, dass das Militärspital »früher ein Pflegeheim gewesen« sei, das »vor einigen Jahren geleert« wurde (S. 16).3

Im Laufe des ersten Kapitels wird auch deutlich, wie sehr der Krieg Veit körperlich, vor allem aber seelisch zerstört, das Soldatendasein schrumpft für ihn zusammen auf »fünf verlorene[ ] Jahre« (S. 17). Da Veit Kolbe »kein schwerer Fall« (S. 10) ist, wird er zur häuslichen Pflege heim nach Wien geschickt.

Seit meinem letzten Aufenthalt: 15 Monate war Veit nicht mehr zu Hause und die Kriegserfahrung hat ihn weit von seinen Konflikte mit Eltern Eltern entfernt. Vor allem das Gerede seines Vaters, eines überzeugten Nationalsozialisten und ›alten Kämpfers‹ der Partei, macht ihn wütend. Zum Symbol für seine eigene Veränderung werden ihm die vielen Fotos, die in der elterlichen Wohnung von ihm hängen: »Die Bilder hatten am Familienleben teilgenommen, ich am Krieg.« (S. 24) In seiner Heimat kommt er sich bald vor »wie ein lästiger Fremder« (S. 25), ihm scheint, dass er »den Irrsinn der Front mit dem Irrsinn der Familie vertauscht« (S. 29) habe. Veit Kolbe gerät über diese Konflikte in eine Krise, liegt »auf dem Bett ohne Antrieb, ein abgenagtes Stück Herz« (S. 23). Er beschließt, seinen Onkel Johann, der Kommandant eines Gendarmerie-Postens am Mondsee ist, darum zu bitten, ihm ein Zimmer zu besorgen, damit er den Rest seines Genesungsurlaubs in Ruhe verbringen kann. Dieser erledigt die Anfrage prompt – und gegen den Willen der Eltern macht sich Veit auf.

Eine halbe Fahrstunde von Salzburg: Veit bezieht ein kaltes, karg eingerichtetes Unterkunft in Mondsee Zimmer in einem Bauernhaus, dessen Bett einem »hin- und herschaukelnden Gerüst« (S. 34) gleicht, »das obendrein unangenehm roch«. Da Veit »reichlich mit Geld versehen« (S. 44) ist, investiert er sogleich in eine erträglichere Ausstattung. Er beschreibt ausführlich seine neue Umgebung, die ihm durchaus gefällt, und auch seine Nachbarin, die neben ihm im Bauernhaus ein Zimmer bezogen hat: Es ist eine junge Frau aus Darmstadt, die mit einem Soldaten aus der Nähe verheiratet ist und ein kleines Kind dabeihat. Von seiner Vermieterin, der schroffen und tratschenden Quartierfrau, erfährt der junge Soldat ungewollt von den gesundheitlichen Problemen der Darmstädterin. Auch einen Antrittsbesuch beim Onkel absolviert der knapp 24 Jahre alte Rekonvaleszent. Zufällig begegnet er auf dem Rückweg einer großen Gruppe landverschickter Mädchen, die aus demselben Wiener Gemeindebezirk stammen wie er. Sie werden in einem Ortsteil mit dem exotischen Namen Schwarzindien untergebracht (S. 48).

In Mondsee beginnt sich Veits Verhältnis zum Krieg zu verändern: Zum einen ist er durch den Rückzug in die Provinz nur noch in einer Beobachterposition, doch zum anderen erleidet Veit, der schon daran gewöhnt war, dass sein »Körper von einer Sekunde auf die andere in einen akuten Alarmzustand wechselte« (S. 34), eine erste PanikattackePanikattacke als Ausdruck seines Kriegstraumas (S. 39).

Während der neue Ofen: Veit beginnt sich in seinem neuen Zuhause einzurichten, er legt an Gewicht zu, seine Muskeln entspannen sich. Mit dem Onkel kommt er sich offenbar näher (S. 51), sein Verwandter vertraut ihm auch an, warum er sich von seiner Ehefrau, die er »dumm« (S. 52) und »egoistisch« nennt, getrennt habe.

Veit trifft zusammen mit dem Onkel die Lehrerin der landverschickten Wiener Mädchen wieder und spricht sie mutig an. Margarete und Margot Margarete Bildstein, so ihr Name, lässt Veit aber abblitzen. Zu ihrer Distanz trägt sicher auch bei, dass Veit erstaunt wirkt und einen Moment zu lange zögert, als sie ihm erzählt, sie wohne in Wien im Heimhof (S. 54).4

Mit seiner Zimmernachbarin, der Darmstädterin, beginnt er indes zarte Bande zu knüpfen: Sie enthüllt ihm, dass er offenbar »Selbstgespräche führ[e], [s]ein Lieblingssatz sei ›Das werden wir noch sehen!‹« (S. 59). Er wiederum hört durch die dünnen Wände, dass sie in ihrem Zimmer immer wieder weint. Das allerdings sagt er ihr nicht – aber er versucht ihr zu helfen, aus dem Weinen herauszufinden, indem er »mit Gepolter einen Stiefel zu Boden fallen [ließ], damit sie erschrak« (S. 59).

Nach einem zweitägigen kurzen Antäuschen: Veit lernt seine Quartierfrau immer besser kennen – und fürchten. Die Vermieterin ist eine aufbrausende Parteianhängerin, die im ganzen Dorf verschrien zu sein scheint (S. 60).

Veit bricht erneut nach Schwarzindien auf, wo er der Lehrerin wiederbegegnet. Doch es gelingt ihm »[n]icht für eine Sekunde […], den Abstand zwischen der Lehrerin und [ihm] zu überbrücken« (S. 63). Veit empfindet daraufhin nur noch »Scham« (S. 64), wenn er an Grete Bildstein denkt.

In Schwarzindien trifft der Ich-Erzähler auch eines der landverschickten Mädchen, das Eindruck auf ihn macht: Nanni und der Brasilianer Annemarie »Nanni« (S. 64) Schaller offenbart Veit, dass sie an Ostern mit ihrem Cousin Kurt die Drachenwand besteigen wolle.

Erneut wird Kolbe in seinem Zimmer von einer Panikattacke überfallen (S. 65). Da ihn die grausamen Bilder in seinem Kopf nicht schlafen lassen, folgt er den Tönen einer für ihn rätselhaften Musik: Sie führen ihn in die gegenüberliegende Gärtnerei, wo er deren Betreiber antrifft, den »Brasilianer« (S. 68). Er ist der Bruder der Quartierfrau und doch ganz anders als seine Schwester: Wegen »einer unüberlegten Bemerkung über den F.« (S. 69) hat er »die Ehrenrechte eines Deutschen« verloren. Seinen Spitznamen verdankt der Gärtner dem Umstand, dass er eine Zeitlang in dem südamerikanischen Land gelebt hat, in das er sich noch immer zurücksehnt.

In der Früh ertrug ich: Für Veit entwickeln sich in Mondsee nach und nach neue Neue Routinen Routinen: Nachts sitzt er mit dem Brasilianer zusammen und hilft ihm beim Beheizen des Gewächshauses (S. 72 f., 76), die Darmstädterin kocht für ihn mit und bietet ihm sogar an, seine Wäsche zu übernehmen (S. 74 f.), Veit wiederum hilft auch dem Onkel (S. 73). Die Quartierfrau langweilt ihn mit Dorftratsch (S. 72) oder giftet ihn an (S. 80). Unangenehm bleibt auch die Beziehung zur Lehrerin Bildstein, die Kolbe allerdings versucht kühl zu analysieren (S. 80). Dennoch erfährt er von der Lehrerin Vertrauliches über deren Schülerinnen: Eine von ihnen, Nanni, habe mit ihrem Cousin einen »nicht sehr schönen Briefkontakt« und habe sich von ihm »ausgreifen lassen« (S. 79).

Am 26. Februar feiert Veit Kolbe seinen vierundzwanzigsten Geburtstag: Er verbringt ihn »still und ruhig« (S. 82).

Am Freitag wurden in Darmstadt: Der Roman wechselt erstmals seinen Erzähler, und dem Leser werden nun aneinandergereihte Briefe der Mutter der Erzählerwechsel: Die Mutter der Darmstädterin Darmstädterin präsentiert, deren Name Margot ist (S. 85) und die noch eine 16-jährige Schwester hat, Bettine, die als Schaffnerin nach Berlin dienstverpflichtet wurde (S. 86). Der Vater der beiden ist in Metz stationiert (S. 85) und wird von der Mutter als cholerisch (S. 86) charakterisiert, auch scheint er öfter zu jammern (S. 91). Die Briefeschreiberin berichtet ausführlich, wie es ist, in einer deutschen Stadt zu leben, die nahezu täglich Luftangriffen ausgesetzt ist. Ihre Nerven liegen deshalb blank (S. 93), auch wenn irgendwie der Alltag weitergeht (S. 87). Ihre größte Sorge aber gilt ihren Töchtern, die offenbar nicht immer auf das hören, was die Mutter ihnen sagt. Sie fürchtet vor allem um Bettine, bittet Margot um Hilfe, der Jüngeren zu vermitteln, sie solle »sich nicht mit Männern einlassen, weil sie sich ihr ganzes Leben versauen kann« (S. 89). Diese Warnung nutzt sie, um auch Margot mitzuteilen, dass es von ihr »keine gute Entscheidung [war], einen Fremden zu heiraten mitten im Krieg und dann gleich ein Kind oder umgekehrt« (S. 89 f.).

Susi hat mich bei der Straßenbahn: Erneut wechselt der Erzähler – jetzt sind es einige Briefe von Nannis Cousin Erzählerwechsel: Kurt Ritler Kurt, die dem Leser eine neue Sicht bieten. Kurt berichtet darin Nanni von seinem Leben in Wien, seiner Liebe zu ihr und den Problemen, die entstehen, als ihre Liebesbeziehung aufgedeckt wird. Dabei erweist sich der 16-jährige Kurt als eifersüchtig (S. 97 f.), aber auch als überaus einfühlsam. So berichtet er seiner 13-jährigen Cousine, dass ihre Mutter sehr traurig über die an sie gerichteten Briefe sei und fordert Nanni auf, »in Zukunft immer [zu] schreiben, dass es [ihr] gutgeht und dass alles in Ordnung ist« (S. 99). Ihm könne sie die Wahrheit sagen, ihre Mutter aber, die eine schwere Arbeit zu verrichten habe (sie nietet »Spatentaschen« für Soldaten, S. 99), solle sie schonen. Kurt plant, Nanni zusammen mit seinem Freund Ferdl an Ostern zu besuchen. Zunächst scheint das auch von seinen Eltern erlaubt zu werden, doch als herauskommt, wie sehr Kurt in seine Cousine verliebt ist, wollen die Erwachsenen diese Beziehung unbedingt unterbinden. Aufgeflogen sind die beiden, weil Nannis Lehrerin Kurts Briefe liest und dessen Eltern informiert hat. Besonders Kurts Vater reagiert deutlich. Als Kurt ihm freche Widerworte gibt, bekommt er Ohrfeigen, die »so hart [waren], dass er ein Jahr Gefängnis dafür erhalten sollte« (S. 110). Dennoch will Kurt sich nicht kleinkriegen lassen und plant, auch ohne Erlaubnis an den Mondsee zu fahren.

Wie’s mir geht?: Mit Oskar Erzählerwechsel: Oskar Meyer Meyer, der in Wien in derselben Straße lebte wie Veit Kolbe (S. 53, 113), betritt der vierte Ich-Erzähler die ›Bühne‹ des Romans. Seine Perspektive unterscheidet sich noch einmal deutlich von denen der anderen: Er ist Jude. Zunächst erhält der Leser Einblick in Briefe Meyers an seine Cousine Jeannette, der es bereits gelungen ist, nach Südafrika (S. 114) auszuwandern und dem immer weiter zunehmenden Terror der Nazis zu entfliehen. Von diesem berichtet Oskar anschaulich: Neben offiziellen Verboten nehmen auch die persönlichen Demütigungen praktisch täglich zu (S. 116). Auch wirtschaftlich werden die Juden immer weiter in die Enge getrieben: Familie Meyer, die neben Oskar noch aus dessen Ehefrau Wally und dem gemeinsamen Sohn Georg(ili) besteht, muss die Wohnung in der Possingergasse räumen, den ganzen Hausrat zu Spottpreisen versetzen und landet schließlich verarmt mit »vier anderen Personen« (S. 119) in einem einzigen Zimmer. Die Lage erscheint immer aussichtsloser, Versuche, nach Amerika oder nach Südafrika auszuwandern, scheitern, auch weil die erwünschten Gastländer die Bedrängten nicht wollen und immer neue bürokratische Hürden aufbauen (S. 122 f.). Wally versinkt angesichts dieser Situation in Lethargie und Depression (S. 118 f.) und will zunächst nicht einfach fliehen, da sie »ein freier Mensch und eine geborene Bürgerin dieser Stadt [sei], es wäre albern, vor so irrwitzigen Bestimmungen davonzulaufen« (S. 119). Doch nachdem sich auch ein letzter möglicher Ausweg, legal nach Accra auszuwandern (S. 121), zerschlägt, entscheidet sich die Familie, der es gelungen war, den ältesten Sohn Bernili noch rechtzeitig nach England ins Exil zu schicken, zur Flucht nach Ungarn. Das auch, weil Wally plötzlich erkennt, wohin das alles führen wird: »Am Ende werden sie uns umbringen.« (S. 124) Von der Entscheidung zur Flucht und ihren ersten Etappen berichtet Oskar nicht mehr in Briefen an Jeannette, sondern offensichtlich in seinem eigenen Tagebuch. Der Übergang zwischen Briefen und Tagebuch bleibt dabei unmarkiert.

Den ganzen Tag Schneegestöber: Der Roman kehrt zur Haupterzählung nach Mondsee zurück. Veits Ruhe wird nur durch zweierlei gestört: Zum einen nehmen die Konflikte mit der Quartierfrau weiter zu (S. 130, 137) und zum anderen plagen ihn weiterhin seine Angstanfälle (vgl. S. 139 f.).

Seine Beziehung zur Darmstädterin wird derweil immer intimer (S. 130), und auch mit dem Brasilianer scheint sich eine Freundschaft anzubahnen (S. 132). Besonders gefällt ihm an Robert Raimund Perttes, wie der Brasilianer eigentlich heißt, dass dieser jemand ist, »an dem der Hebel zur Gleichschaltung nicht umgelegt worden war« (S. 133). Dennoch ist er besorgt, dass die laute Kritik des Brasilianers an der »Firma für Blut und Boden« (S. 136) zu weit gehen könnte. Der Brasilianer erzählt Veit auch, dass seine Schwester Trude, die Quartierfrau, sich erst durch die Heirat mit dem »Lackierermeister« Dohm, »der momentan im Generalgouvernement den neuen Menschen markiere« (S. 135), so negativ verändert habe.

Als Veit eine erneute Panikattacke erleidet, kommt ihm Veit und Nanni Nanni Schaller zu Hilfe, sie hält seine Hand und redet beruhigend auf ihn ein. Dann zeigt sie ihm einen Brief ihrer Mutter, in dem sie wegen ihrer Beziehung zu ihrem Cousin Kurt heftig beschimpft wird. Sie bittet Kolbe, ihrer Mutter zu schreiben, »als Soldat […] und [zu] sagen […], dass Verliebtsein etwas Schönes ist« (S. 142). Veit windet sich und lehnt Nannis Bitte schließlich ab.

Beschlossen wird das Kapitel mit dem erwähnten Brief der Mutter an Nanni – der fast nur aus Sätzen mit Ausrufungszeichen am Ende und aus Vorwürfen besteht.

Der März war ungewöhnlich: Für Veit verändern zwei Dinge sein Leben nachhaltig: Zum einen verschreibt ihm der Gemeindearzt das Pervtin Medikament »Pervitin«, das er »aber nur nehmen [soll], wenn es gar nicht anders gehe« (S. 147). Zum anderen wird Veit – wie die ganze Gemeinde – vom plötzlichen Verschwinden der jungen Nanni verschwindet Nanni Schaller erschüttert. Zunächst vermutet man, sie sei mit ihrem Cousin durchgebrannt, doch der junge Mann ist völlig ahnungslos und macht sich selbst »große Sorgen« (S. 151). Veits Onkel Johann übernimmt die Ermittlungen, bleibt aber auch dabei weiterhin stark mit sich selbst beschäftigt (S. 154). Kolbes Sicht auf seinen Verwandten verschlechtert sich zusehends: Als Nannis Mutter unangekündigt in Mondsee auftaucht und vom Gendarmen vernommen wird, unterstellt Veit ihm, ohne echte Empathie zu sein (S. 158–160). In dem Verhör schildert die Mutter Nanni als kluges, leicht erziehbares Kind, das allerdings frühreif sei und sich mit Freundinnen umgeben habe, »die für Aufklärung über das andere Geschlecht sorgten« (S. 157).

Bei Margot bemerkt Veit den breiten hessischen Akzent, der besonders beim Wort ›Krieg‹ »der Sache eine realistische Seite« abzugewinnen vermag: »[E]s klang nach kriechen, sich in Erdlöchern verkriechen, es klang nach den finsteren, feuchten Schächten, in die ich fiel, wenn ich meine Anfälle hatte.« (S. 162)

Der Elternbesuchstag: Zwar ist die Freude bei den landverschickten Mädchen und ihren Eltern groß, als es endlich zum lang ersehnten Besuchstag kommt, doch steht dieser »unter einem nervösen Stern« (S. 163), wie Veit bemerkt. Zum einen finden die Eltern ihre Kinder durchaus »selbstbewusster« (S. 164) wieder als noch einige Monate zuvor, zum anderen sind alle durch das Verschwinden von Nanni Schaller beunruhigt. Neues gibt es zu der 13-Jährigen nicht, Veits eher untätiger Onkel glaubt, »dass alles Wesentliche bald von selbst aus dem Fall herauseitern werde« (S. 170). Seine einzige Der Onkel ermittelt (nicht)Ermittlungstätigkeit scheint darin zu bestehen, dass er die Briefe von Nannis Cousin Kurt, die weiterhin in Mondsee eintreffen, liest. Und auch Veit darf die Briefe lesen – in seiner Funktion als Schreiber, die er öfter für den Onkel ausübt. Die Lehrerin Bildstein scheint dagegen wegen Nanni unter »Nachstellungen der Behörde« (S. 166) zu leiden, wie sie Veit bei einem zufälligen Treffen anvertraut – ansonsten aber bleibt sie ihm gegenüber so kühl wie zuvor. Sie erstaunt ihn allerdings mit einer Bemerkung über sein schlechtes Aussehen (S. 167).

Eher zufällig gerät Veit mit der jungen polnischen Zwangsarbeiterin Joanna, die ihm seine Stiefel putzt, auch eine Opfergruppe in den Blick, die in der NS-Gesellschaft zwar massiv ausgebeutet, aber sonst wenig beachtet wird (S. 168). Joanna hat einen »plötzlichen Gefühlsausbruch« (ebd.) und gibt dabei einen Einblick in ihre traurige Existenz.

Dem Der unvorsichtige Brasilianer Brasilianer wird eine abfällige Aussage über den »Minister für Öffentlichkeitsarbeit« (S. 174, gemeint ist Propagandaminister Joseph Goebbels), die er in der Gastwirtschaft »Zum Schwarzen Adler« macht, schließlich zum Verhängnis.

Der Brasilianer wurde nicht über Nacht: Veit überrascht es zunächst, dass die Verhaftung Verhaftung des Brasilianers nicht so vor sich geht, »wie die Leute es sich von derlei Vorgängen erzählten« (S. 175). Doch die Beamten erfüllen dann rasch das Klischee: der eine »so feist, dass er im Nacken Harmonikafalten bekam, wenn er den Kopf nur ein wenig hob« (S. 176), der andere »schlug die Hündin sofort zweimal mit einem Stock«. Die Übergriffe beschränken sich freilich nicht auf das Tier des Brasilianers: Auch er erhält »einen Schlag ins Gesicht« (S. 177), wird getreten und gestoßen. Veit verfolgt das Ganze mit »arge[m] Herzklopfen« (S. 178), tut aber nichts. Beim Einsteigen in den Polizeiwagen bittet der Brasilianer Veit, sich um die Gärtnerei zu kümmern. Veits erste Reaktion ist, dass er »in die Sache nicht hineingezogen werden« (S. 180) will, nicht zuletzt, weil er Gefahr laufe, »dass [s]ein Dienstgeber früher als vorgesehen nach [ihm greift]«. Doch Veit wird deutlich, dass der Brasilianer sein Freund ist und er in einer Verpflichtung steht. Nachdem auch noch die Scheiben des Gewächshauses – vermutlich von Jugendlichen – nachts eingeworfen werden, gelingt es Veit nur mit »allerlei Mühen« (S. 184) und auch Bestechung, neues Glas zu besorgen, um schließlich die Veit übernimmt Gärtnerei Arbeit in der Gärtnerei zu übernehmen. Das Verhältnis zu seinem Onkel verschlechtert sich weiter, vor allem auch, weil dieser wenig Ermittlungseifer an den Tag legt, als es darum geht, die nächtlichen Vandalen zu ermitteln (S. 183). Zum Bild, das Veit zunehmend von seinem Onkel gewinnt, passt, dass er sich vor allem für die Zigarren des Brasilianers interessiert, die dieser angeblich »für die besonders schlechten Zeiten« (S. 185) gehortet habe. Es ist auch der Onkel, der Veit die unangenehme Nachricht überbringt, dass »im Ort schon Beschwerden geäußert [würden], [er] wäre an der Front besser aufgehoben als hier« (S. 184).

In den Dschungeln Schwarzindiens: Nach der Verhaftung des Brasilianers beginnt sich das Leben für Veit massiv zu verändern, weil er nun die Verantwortung für die Gärtnerei zusammen mit der Darmstädterin übernommen hat. Die körperliche Arbeit erschöpft Veit – was ihm allerdings teilweise gefällt (S. 190). Sein Verhältnis zur Margot und Veit Darmstädterin wird immer enger, beide gestehen sich schließlich ihre Zuneigung und küssen sich zum ersten Mal (S. 197 f.). Vorausgegangen war das Geständnis Margots, »nicht den richtigen Mann geheiratet zu haben« (S. 195). Vielmehr habe sie mit der recht überstürzten Hochzeit ihrem Elternhaus entkommen wollen, vor allem ihrem Vater, der sie offenbar regelmäßig geschlagen hat (S. 194). Sie interessiert sich sehr für Veit, will auch über dessen Kriegserlebnisse viel wissen. Und er erzählt ihr, »dass [er] alles gesehen hatte, was niemand sehen will« (S. 199).

Da ich keine Beziehungserfahrung: Schon nach kurzer Zeit erscheint Veit die Beziehung zu Margot, die er nun nicht mehr »die Darmstädterin« nennt, als gefestigt (S. 205). Auch sexuell klappt es zwischen beiden, was den unerfahrenen Veit ganz offenbar freut und ihn von einem »Neuanfang« (S. 203) träumen lässt. Doch das Glück der beiden ist natürlich bedroht: Zum einen ist Margot verheiratet, zum anderen muss Veit schon bald zurück an die Front. Die bevorstehende Nachmusterung löst bei ihm neue Angstzustände aus, bei denen er erneut scheußliche Kriegserlebnisse vor Augen hat. Die Beziehung zwischen den beiden bleibt auch in Mondsee nicht unbemerkt – und vor allem nicht unkommentiert: Veit weiß, dass es im Dorf »jetzt hieß, Margot sei eine, die mit jedem ins Bett geht« (S. 213).

Veit und Margot treffen beim Reichssportwettkampf der landverschickten Wiener Mädchen erstmals auch den Ehemann der Quartierfrau, der als Der SS-Mann Dohm SS-Mann eine Rede vor den Sportlerinnen hält. Nur kurz darauf lernt Kolbe ihn dann richtig kennen: Ohne jede Vorwarnung nämlich erschießt er den nach den Schlägen des Polizisten gelähmten Hund seines Schwagers, des Brasilianers. Veit ist darüber völlig empört und droht dem SS-Mann, ihn anzuzeigen. Doch der weist ihn kühl in die Schranken und Veit knickt ein (S. 215).

In der Früh packte ich: Veit muss den schweren Weg nach Wien zur Nachuntersuchung antreten und realisiert, »wie glücklich [er] während der letzten Wochen gewesen war« (S. 216). Vor der Musterung trifft er aber auf seine Eltern und erneut kommt es zum Konflikt mit dem Vater. Allerdings hat sich nun etwas deutlich geändert, Mitte 1944 scheint sein Vater, ein überzeugter Nationalsozialist, nicht mehr ganz so siegessicher zu sein (S. 218). Die Rückkehr in sein Elternhaus bedeutet für Veit immer auch eine Erinnerung an seine verstorbene Schwester Hilde. Veit denkt an den Tag zurück, bevor Hilde starb, und hat noch immer ein schlechtes Gewissen. Seine Schwester hatte ihn zu sich gerufen und Veit zärtlich berührt. Dieser war unfähig, die Geste zu erwidern.

Kolbes Vorstellung vor dem Militärarzt verläuft zunächst alles andere als erfolgreich für ihn: Er wird als »[f]eldtauglich« (S. 220) eingestuft und müsste damit zurück an die Front. Mit einiger Mühe gelingt es ihm aber, eine erneute Untersuchung durch einen Facharzt zu erreichen. Dieser lässt sich erweichen und stellt Veit Veits erneute Zurückstellung erneut zurück. Veit ist zwar »schrecklich passiv, müde, ausgelaugt« (S. 227) nach diesem Arztbesuch, doch er fährt auch überaus glücklich nach Mondsee zurück.

Ich bin noch immer ganz verwirrt: Erneut kommt Kurts Ängste Kurt Ritler in einigen seiner Briefe zu Wort, die er weiterhin »postlagernd« (S. 230) nach Mondsee schickt, um mit Nanni in einem imaginären Dialog zu bleiben. Dabei weiß er, dass seine Briefe von Fremden gelesen werden.

Kurt macht sich Vorwürfe, dass er nicht wie verabredet nach Schwarzindien kommen konnte (S. 241). Immer wieder beteuert er, dass das nicht seine eigene Entscheidung gewesen sei. Ein entscheidendes Hindernis sei gewesen, dass er als Mitglied der HJ (Hitlerjugend) zu militärischen Hilfsdiensten verpflichtet worden sei. Er muss einen Lehrgang absolvieren und wird dann als Horcher eingesetzt. Kurt erlebt dabei immer wieder heftige Luftangriffe mit, denen er nur mit Glück unverletzt entkommt (S. 234). Zwischen den Angriffen bleibt Kurt etwas Zeit, Nanni zu schildern, wie er sich entwickelt: »[W]enn man mich genau anschaut, sehe ich einem Mann schon ziemlich ähnlich.« (S. 237)

Von seinen Eltern wird Kurt wegen der Beziehung zu Nanni noch immer »sehr hart [angepackt]« (S. 230), wohingegen sich das Verhältnis zu Nannis Mutter entspannt, da sie offenbar versteht, dass auch Kurt unter ihrem Verschwinden leidet. Allerdings macht das die Mutter nicht hoffnungsvoller: »Deine Mutter sagt, sie glaube, du seist tot.« (S. 243)

Der Abschied von Wien: Der Roman gibt erneut Oskar Meyer das Wort und blendet zunächst in das Jahr 1942 zurück. Oskar berichtet, wie glücklich er und Wally sind, als sie endlich in Flucht nach Budapest Budapest ankommen und die Einschränkungen und Bedrohungen der letzten Jahre hinter sich lassen können. Zwar ist die Wohnung des Bruders István »klein und ärmlich« (S. 245), doch dafür können sich die drei endlich frei bewegen (S. 246). Allerdings sehen sich die Meyers damit konfrontiert, ihre Identität wechseln zu müssen, denn »[i]m Sommer vor [ihrer] Ankunft waren die meisten nicht ungarischen Juden von den Ungarn an die Deutschen ausgeliefert worden« (S. 247). Auch Wallys Stimmung bessert sich merklich (S. 246). Aus Freude über die gelungene Rettung kauft Oskar Wally »bei einer Straßenhändlerin ein Halstuch aus Baumwolle« (S. 146). Die Lage ändert sich aber schlagartig, als die Deutschen 1944 in Ungarn einmarschieren: »[J]etzt geht es hier von vorne los.« (S. 250) Willkür, Erniedrigungen und massive Einschränkungen für die Juden lassen nicht lange auf sich warten. Oskar und sein Bruder verlieren ihre Arbeit, sind schnell völlig mittellos. Ein aus Polen geflohener Jude, der sich selbst sarkastisch als »erfahrener Verfolgter, eine Fachkraft im Fliehen« (S. 253) bezeichnet, rät Oskar dringend zur Flucht. »Er erwähnte Konzentrationslager und den Bau von riesigen Fabriken, und wer nicht arbeiten könne, komme ins Gas.« (S. 254) Oskar schenkt diesen düsteren Aussagen keinen Glauben, doch muss er bald selbst erleben, wie sich die Situation immer weiter zuspitzt. »Am Sonntag den 16. Juli« (S. 259) kehren Wally und Georgili nicht mehr nach Hause zurück. Rasch ahnt Oskar, dass sie in eine Razzia der Deutschen geraten sind.

Wie ich in der Lebenszeichenkarte: Das Kapitel besteht erneut aus einigen Briefen von Margots Mutter an ihre Tochter, die vor allem über die apokalyptischen Zustände nach den verheerenden Bombenangriffen auf Zerstörung in Darmstadt Darmstadt (S. 271) berichten. Die Mutter ist ob der Lage völlig verzweifelt, ihr Entsetzen schreibt sich sogar in die Syntax ein (S. 265). Da die Postverbindungen durch das Kriegsgeschehen unterbrochen sind bzw. sich Briefe überschneiden oder verloren gehen (S. 264, 268), wiederholt Margots Mutter einige Berichte immer wieder. Margots Vater, der Heimaturlaub bekommt, ist von den Zerstörungen ebenso völlig entsetzt, wie seine Ehefrau berichtet (S. 268). Trotzdem kann der Vater weiterhin sein Temperament nicht zügeln (S. 275). Auch ist er eifersüchtig auf »Herr[n] Hans« (ebd.), der seine Frau offenbar öfter besucht, und macht deshalb eine Szene.

Um ihre Kinder macht sich Margots Mutter weiter große Sorgen, vor allem hofft sie, dass beide »keine Dummheiten« (S. 278) machen. Über manche Wünsche der Kinder, die allerdings mit großer Zeitverzögerung bei ihr eintreffen, kann sich die Mutter nur sehr wundern und äußert ihr Unverständnis (S. 272).

In der zweiten Juliwoche: Der Roman kehrt nach Mondsee zu Veit Kolbe zurück, der wieder in seiner eigenen, glücklichen, aber beschränkten Welt lebt (S. 279). Die Glückliche Beziehung Beziehung zu Margot ›klappt‹ indes weiter hervorragend, psychisch wie vor allem auch physisch (S. 280 f.). Dem Gerede im Dorf, das nach der neuerlichen Auskunft des Onkels lauter würde, versuchen die beiden weitgehend auszuweichen, und auch sonst muss Veit vorsichtig sein: »Ich hatte berechtigte Angst, dass die erstbeste Unvorsichtigkeit meine Einberufung nach sich ziehen könnte.« (S. 284) In der Gärtnerei schuften die beiden weiter, erhalten dafür auch briefliche Anweisungen des Brasilianers aus dem Gefängnis.

Veit erleidet erneut einen Angstanfall und »eine Bilderattacke der Stärke zehn« (S. 286). Er bekämpft die Panik mit der mittlerweile zur Routine gewordenen Einnahme von Pervitin. Auch Margot wird von Angst und Verzweiflung heimgesucht, als sie im Radio hört, dass Darmstadt einem großen Angriff zum Opfer gefallen ist (S. 290).

Auch die Lehrerin Bildstein trifft Veit erneut, die ihm berichtet, dass sie großen Ärger mit der »Behörde in Linz« (S. 289) habe, weil sich ein Vater von der Front aus über sie beschwert habe.

Aus dem Misthaufen stieg Rauch auf: Der Der Brasilianer wieder frei Brasilianer kommt nach vier Monaten Gefängnis zurück. Im Dorf bleiben die Leute auf Abstand zu Perttes, auch wenn sie immerhin nach seinem Zustand fragen (S. 293). Das Zuchthaus hat ihm hart zugesetzt, seelisch wie körperlich, er hatte nicht erwartet, »dass ihm mit solcher Härte begegnet werde« (S. 295). Dabei sei er noch glimpflich davongekommen, verglichen mit den anderen Opfern, berichtet er Veit. Politisch hat ihn die Haft nicht verändert, eher ist er jetzt ein noch überzeugterer Gegner des NS-Regimes, und er will unbedingt das Land Richtung Brasilien verlassen, sobald es ihm möglich ist: »Denn in einer Gesellschaft leben, in der jeder zweite ein Mörder ist, das will [er] nicht.« (S. 300) Um seinen Traum von Brasilien und den dortigen Freiheiten (S. 299) auch äußerlich zu kennzeichnen, bringt er vor seiner Gärtnerei den Schriftzug »Klein Brasilien« (S. 302) an. Veit sympathisiert mit dem Brasilianer und seinen Ansichten, anders als Margot, die »in vielem nicht seiner Meinung« ist, der es aber doch gefalle, »dass er sich Gedanken mache« (S. 301). Viele Gedanken macht sich auch Veit – nicht zuletzt darüber, dass er sich nicht wie eigentlich vorgeschrieben im Lazarett in Vöcklabruck zur Begutachtung vorgestellt und den Termin bereits um sechs Wochen überzogen hat (S. 303).

Den Onkel traf ich im Freien: Für Veit wird der wahre Charakter seines Onkels immer offensichtlicher: Während er einerseits mit seiner Amtsautorität die Dorfbewohner einschüchtert (S. 304), hat er andererseits als Polizist kein Problem damit, Veit aufzufordern, für ihn auf dem Schwarzmarkt nach Zigaretten Ausschau zu halten (S. 306 f.). Mehr noch: Da er noch immer gierig an die Zigarren des Brasilianers denkt, deutet er Veit gegenüber eine mögliche Erpressung des gerade erst Freigelassenen an und droht auch seinem Neffen indirekt (S. 308). Für Veit ist der Onkel zunehmend eine elende Gestalt, die ihn nicht nur an den Vater erinnert (S. 305), sondern in ihrer Nikotinabhängigkeit auch lächerlich wirkt (S. 306).

Noch problematischer gestaltet sich für Veit die Beziehung zur Quartierfrau: Sie bringt ihm ein Flugblatt, das über die Aufstellung des ›Volkssturms‹ informiert, weil sie meint, so den »Drückeberger« (S. 310) endlich wieder an die Front zu bringen. Ein Streit entspinnt sich zwischen ihr und Veit, nach dem er sich so sehr vor ihren »böse[n] Pläne[n]« (S. 312) fürchtet, dass er beschließt, sich endlich wieder in der Kaserne zur Nachuntersuchung zu melden, denn er weiß: »[S]chlimmstenfalls drohte mir das Kriegsgericht.« (S. 312) Im Krankenrevier bietet sich ihm dann eine einmalige Veits einmalige Chance Chance: Das Schreibzimmer ist unbesetzt und ohne viel nachzudenken, stempelt Veit »hastig zwei Bögen Papier, wie sie im Stapel neben der Schreibmaschine lagen« (S. 312). Kolbe kann nun »Befunde und Unterschriften fälschen, wohl wissend, wenn die Sache aufflog, kostete es den Kopf« (S. 313).

Nachdem Veit mit der Schreibmaschine des Onkels im Polizei-Posten »eine Zurückstellung für August und Oktober« (S. 316) gefälscht hat und wieder auf die Straße tritt, »kam der Onkel angekeucht und rief, die Leiche von Nannis Tod Nanni Schaller sei gefunden worden, sie liege in der Drachenwand« (S. 317).

Die Leiche des Mädchens Annemarie Schaller: Das Kapitel beginnt mit dem nüchternen Protokoll von Veits Onkel Johann zum Leichenfund in der Drachenwand. Darin stellt der Gendarm fest, dass Nannis Nannis Leiche Körper »bereits stark verwest und teilweise skelettiert« (S. 318) und furchtbar zugerichtet war; offensichtlich ist sie aus großer Höhe abgestürzt. Auch erzählt der Onkel später seinem Neffen, dass man nicht mehr habe erkennen können, »ob das Mädchen noch Jungfrau gewesen sei« (S. 321). Dass man an der Leiche nicht noch mehr feststellen könne, liege auch daran, dass alle geeigneten Sachverständigen »beim Schanzen« (S. 321), also beim Anlegen von Festungsanlagen, seien. »Oder als Wachpersonal in Mauthausen, Ebensee, Zipf« (S. 321), kommentiert dagegen sarkastisch der Brasilianer, denn er glaubt »ohnehin, dass alle Sachverständigen es längst verlernt hätten, nach Todesursachen auch nur zu suchen, das geschehe zwangsläufig, wenn man im Sold von Mördern stehe« (S. 322).

Veit erfährt zudem von seinem Onkel, dass auch die Augen an Nannis Leiche ausgehackt seien und ein Unterarm fehle (S. 319). Angesichts dieser grausigen Verstümmelungen der toten Nanni denkt er an seine Begegnungen mit ihr zurück und erinnert sich schmerzhaft daran, ihr die Bitte nach einem Brief an die Mutter nicht erfüllt zu haben. In ihrem trotzigen Aufstieg zur Drachenwand erkennt Veit im Rückblick etwas Unvernünftiges, aber eben auch »etwas Selbstbestimmtes« (S. 320). Nanni wird schließlich in Mondsee beigesetzt.

Es ist immer noch hell genug zum Schreiben: Veit hat »ein schlechtes Gewissen« (S. 332) Margots Mann gegenüber, der nicht nur unter erbärmlichen Bedingungen »Tag und Nacht im Graben« (S. 331) an der Front steht, sondern in einem Brief auch ausgerechnet über die eheliche Treue sinniert. Margot entschuldigt sich bei Veit, dass sie ihrem Mann nichts von ihm schreibe und erst nach dem Krieg mit ihm reden wolle – was Veit mit dem Hinweis akzeptiert, sie schulde ihm keine Rechenschaft (S. 336).

Unangenehm wird es für Veit, als der SS-Mann Dohm erneut auf Heimaturlaub kommt. Angeblich habe er »im Hinterland« Dienstgeschäfte zu versehen, doch davon ist wenig zu spüren. Stattdessen kümmert er sich intensiv um die eigenen Vorräte, weil er – trotz seiner zur Schau getragenen Siegeszuversicht – offenbar nicht mehr an ein gutes Ende des Krieges glaubt (S. 333). Veit ist es »unbehaglich in seiner Nähe« (S. 333) und er versucht Konflikte mit dem SS-Mann zu vermeiden – ganz anders als der Brasilianer, der sofort mit seinem Schwager aneinandergerät und sich das eine oder andere »Schreiduell« (S. 337) liefert. Als Dohm offenbar die Zigarren des Brasilianers will, auf die auch schon Veits Onkel ein Auge geworfen hatte, eskaliert die Situation. Perttes überzieht seinen Schwager mit wüsten Perttes beleidigt Dohm Beschimpfungen, woraufhin Dohm ihn mit seiner Pistole bedroht, aber wieder von ihm ablässt und mit seinem Motorrad davonfährt. Für den Brasilianer ist jedoch klar, dass er sofort Flucht verschwinden muss, was er bereitwillig akzeptiert: »Lieber ins eigene Loch statt in deren Loch.« (S. 339)

Ich schaute mich in den Zimmern um: Die Entwicklung der Dinge in Mondsee beschleunigt sich: Das Verhältnis zwischen Veit und seinem Onkel wird immer prekärer, er hält ihn für »das größte Arschloch von allen« (S. 347). Veits zunehmend negative Sicht wird auch dadurch geprägt, dass er zwischen dem Gendarmen und seinem Vater immer mehr Ähnlichkeiten feststellt (S. 348). Veits Beziehung zum Ehemann der Quartierfrau erfährt dagegen eine überraschende Wendung – so überraschend, dass Kolbe nach dem letzten Gespräch mit Dohm, bevor dieser wieder in den Osten abreist, ein Pervitin nehmen muss, »sonst hätte [er] das nicht ausgehalten« (S. 344). Veit ist verstört von dem, was Dohm über seine Ehefrau sagt: »[S]o möchte er mich bitten, ein wenig auf seine Frau aufzupassen.« (S. 343) Die Quartierfrau könne nichts für ihr böses Verhalten, ein eingeklemmter Nackennerv sei daran schuld. Und auch für sein eigenes Benehmen entschuldigt sich Dohm bei Veit, er sei so aggressiv wegen seiner »saublöde[n] Arbeit« (S. 343) im Generalgouvernement.

Als Veit später im Auftrag des Onkels »ein Paket, das einige Dinge enthielt, die Nanni Schaller gehört hatten« (S. 349), der Lagerlehrerin übergeben will, entdeckt er, dass sie beim Korrigieren »getrocknete Tomaten und Apfelspalten« (S. 352) isst. Das und das nervöse Verhalten der Lehrerin lassen ihn verstehen, dass die Lehrerin ganz offensichtlich den Bildstein versteckt Perttes Brasilianer im Gasthof versteckt, in dem sie und die landverschickten Mädchen untergebracht sind. Grete Bildstein informiert ihn noch, dass das Lager in Schwarzindien aufgelöst und die Kinder aufgeteilt würden.

Veits Verhältnis zu Margot wird immer intimer – sie stößt mit ihm sogar »auf die gemeinsamen Kinder an, die [sie] irgendwann haben wollten« (S. 355). Von Margot erhält Veit auch eine Pistole für Veit Pistole, »die ihr Mann ihr aufgedrängt habe, für alle Fälle«. Weil »ihr Anblick [ihn] sofort beruhigte« (S. 342), nimmt Veit die Pistole an sich.

Bald ein ganzes Jahr: Veit erhält aus Wien »eine Beorderung […], dass [er sich] binnen einer Woche in der Breitenseer Kaserne einzufinden hätte« (S. 356). Das macht ihm zwar einerseits Angst, andererseits weiß Veit, dass er »etwas tun« muss: »[I]ch musste etwas ändern, ich konnte mich selbst nicht mehr ausstehen.« (S. 357) Um sich mit einer Fahrerlaubnis auszustatten, sucht er erneut den Onkel auf, den er dabei antrifft, wie er die Mädchen, die Schwarzindien verlassen, ein letztes Mal kontrolliert. Fast nebenbei teilt ihm der Onkel mit, dass er eine Verhaftung vornehmen müsse. Veit bekommt aus ihm nicht heraus, wen er verhaften möchte, dennoch bemerkt er an seinem Onkel einen für ihn unüblichen »Tatendrang« (S. 361). Erst als Veit zu Hause ist, realisiert er, »dass sich der Onkel über [ihn] lustig gemacht hatte. Die Verhaftung galt dem Brasilianer.« (S. 361) Was dann geschieht, folgt für Veit einer »Traumlogik« (S. 362): »Ich nahm die Pistole vom Balken herunter, schluckte vorsorglich ein Pervitin« (S. 362). Er macht sich eilig auf den Weg nach Schwarzindien und verfolgt dort aus sicherer Entfernung, wie aus dem Gasthaus der Amtshelfer mit einer Verletzung herauskommt und vom Onkel zum Gemeindearzt geschickt wird (S. 363). Veit nutzt die sich ihm bietende Chance. Noch einmal verharrt er im Vorraum, bevor er sich sicher ist und das Schankzimmer betritt: »[I]ch musste einen Schnitt machen, ein sauberer Schnitt ist etwas, bei dem es kein Zurück gibt.« (S. 365) Der Onkel erfasst die Situation und will Veit überreden, wieder nach Hause zu gehen: »›Es ist schon genug Unheil angerichtet‹, sagte er. Und dieser Satz ließ alle Schäbigkeiten des Onkels aufleben, und ich hatte kein Mitleid mit ihm, wie er nie mit irgendwem Mitleid gehabt hatte. Und das Pervitin war bestimmt auch nicht ganz schuldlos, dass ich abdrückte.« (S. 365 f.) Der Schuss ist Veit tötet den Onkel …tödlich, der Onkel windet sich nur kurz und stirbt. Zusammen mit dem Brasilianer versteckt Veit die Leiche auf der anderen Straßenseite. Während der … und befreit Perttes Brasilianer zu einem neuen Versteck aufbricht, macht sich Veit auf den Weg nach Hause, weint wiederholt (S. 368) und verbringt eine unruhige Nacht. Als er am nächsten Morgen Margot begegnet, die bereits vom Tod des Onkels weiß, glaubt er »zu sehen, dass sie etwas ahnte, aber sie fragte nicht weiter nach, und ich gab keine weitere Auskunft, und es wurde nicht mehr darüber gesprochen« (S. 369).

Es sind vom Eichbaumeck: Erneut wechselt der Roman zur Perspektive der Mutter Margots, die ausführlich in Briefen von den Entwicklungen in Darmstadt berichtet. Zwar hat sie mittlerweile eine ganze Reihe von Briefen aus Mondsee erhalten, doch sind zumindest anfangs ihre Informationen noch veraltet (S. 371). Das Leben in der hessischen Stadt ist weiterhin vor allem von Tod, Zerstörung und Mangel gekennzeichnet, es spielen sich Tragödien in Darmstadt Tragödien ab, innerhalb und außerhalb der eigenen Familie (S. 373).

Für Margots Mutter ist vor allem das Alleinsein nur schwer zu ertragen, gerade auch kurz vor Weihnachten (S. 372). Immer wieder erhält sie zwar Besuch von ihrer Tochter Bettine und ihrem Ehemann, aber die Visiten sind nur kurz und oft auch wenig erquicklich. Sie hegt die Hoffnung, dass ihr Mann durch die Kriegserlebnisse »die Welt jetzt mit anderen Augen ansieht« (S. 375). Allerdings ist bei ihrem Gatten nur selten etwas von Demut zu spüren, wenn er auf Urlaub zu Hause ist, er macht ihr hauptsächlich Vorwürfe (S. 378).

Auf Margots Geständnis, dass sie ihren Ehemann nicht liebe, reagiert die Mutter zunächst mit einem Rat, den Margot, »wie [sie sie] kenne, nicht befolgen« wird: »Lass dich mit niemandem ein.« (S. 380) Aber sie hat auch Respekt für Margots Ehrlichkeit.

Die Sache ging sehr rasch: Das Kapitel versammelt mehrere Briefe, die Kurt Ritler an seinen besten Freund Ferdl schickt – er ist ihm nun zum engsten Vertrauten geworden. Die ersten Briefzeilen offenbaren auch, dass Kurt noch nichts von Nannis Tod weiß und weiterhin auf einen guten Ausgang hofft (S. 385). Doch dann wird zu Gewissheit, was auch Kurt seit Längerem ahnt: Nanni ist tot. Von der Nachricht selbst ist er »nicht wirklich überrascht. Die Überraschung liegt eher in der Wucht der Gefühle.« (S. 388)

Das alles muss Kurt verkraften, während sich auch sein Leben massiv verändert: Er wird zum Militär nach Hainburg (S. 384) eingezogen und muss zunächst in der Kaserne massiven Drill über sich ergehen lassen (S. 387). Zu den Hauptaufgaben während der Ausbildung gehört, dass Kurts Einheit »auf einem Hügel ein Lager für Arbeitsverpflichtete, die demnächst von Ungarn zum Schanzen kommen« (S. 389), errichtet. Auch das Leben in der Kaserne ist für die jungen Männer alles andere als leicht, schnell schon kommt es zu Wutausbrüchen (S. 391) oder der großzügig an sie ausgegebene Schnaps führt zu allerlei »Weltschmerz« (S. 392). Kurt berichtet auch beiläufig von einer Begegnung, die ihn wieder in den Besitz seiner Briefe an Nanni bringt: Ein Soldat, der »aus Mondsee gekommen« (S. 393) und in dem unschwer Veit Kolbe zu erkennen ist, habe ihm diese übergeben.

Aus der Übung und dem Drill in der Kaserne wird bald auch blutiger Ernst: Kurts Einheit wird nach Schlesien verlegt (S. 394), wo sie zunächst mit »Nichtstun, Bunkerbau, Essen und Schlafen« (S. 395) beschäftigt ist, doch dann immer näher Kurt im entsetzlichen Krieg an die Front verlegt wird. »Wir liegen in dem Dorf, in dem sich der Hauptverbandplatz befindet. Zu Fuß, auf Karren und Autos kommen die Verwundeten an. Das geht Tag und Nacht. Ein Bild des Grauens. Diese Bilder werde ich nie vergessen.« (S. 398)

Deutsche Einheiten auf dem Rückzug: Das Kapitel gibt Oskar Meyers Tagebuch wieder, das er offenbar anstelle oder neben der Briefkommunikation mit seiner Cousine Jeannette führt (S. 412). Er berichtet, wie die Lage in Budapest immer entsetzlicher wird (S. 399 f.): Juden werden auf offener Straße zusammen- und totgeschlagen, erschossen – und Oskar beobachtet, dass die Misshandlungen umso wahrscheinlicher und brutaler sind, je mehr Publikum herumsteht (S. 406). Die Täter beobachtet Oskar genau: »Ich glaube, einem Mörder gehört die Gegenwart wie sonst niemandem, ich glaube, deshalb wird es immer Mörder geben.« (S. 407)

Oskar macht sich massive Vorwürfe, Wally und Georg nicht genug beschützt zu haben, auch weil er einmalige Gelegenheiten zur Flucht ausgelassen hat (S. 401). Das Halstuch, das er einst Wally in Budapest kaufte, ist nun das einzig verbliebene Erinnerungsstück, das für Oskar zum Symbol wird und das er immer wieder erwähnt (S. 411 f., 417 f.). Ein Zimmergenosse zerstört Oskars letzte Hoffnungen auf eine Rückkehr von Wally und Georg brutal: »[D]ie beiden seien im Gas, im Ofen, jedenfalls überall sonst, nur nicht am Leben.« (S. 404) Obgleich viele andere ihm abraten, entschließt sich der verzweifelte Oskar, der nun den Namen Andor Bakos angenommen hat (S. 408, 418), sich freiwillig zu einem Oskar als Zwangsarbeiter Arbeitstransport zu melden. Zunächst mit dem Viehwaggon und dann auf einem brutalen Fußmarsch, dem viele Menschen zum Opfer fallen, werden die Freiwilligen nach Westen getrieben. In der Nacht vor der Ankunft in der Nähe von Hainburg (S. 417), wo die Männer zum Schanzen eingesetzt werden sollen, hat Oskar noch einen Traum, in dem ihm Wally erscheint. Wieder entschuldigt sich Oskar bei ihr für sein Versagen, nicht an ihrer Seite gewesen zu sein, als sie verhaftet wurde. Doch Wally »glitt ein Lächeln über [das] Gesicht, begleitet von einem Nicken, und es war, als hätte sie [ihm] die Erlaubnis gegeben, [sich] nicht mehr schuldig zu fühlen« (S. 417).

So tauche ich wieder in den Winter ein: Für Veit beginnt nach dem Mord an dem Onkel eine neue Neue Zeitrechnung Zeitrechnung: »[I]ch fühlte mich in Mondsee nicht mehr wohl, ich hatte das Gefühl, das Blut des Onkels riechen zu können, wann immer ich mich umdrehte.« (S. 420) Wenngleich der Mord eine Zäsur ist, so scheint Veit die prinzipielle Notwendigkeit der Tat dennoch immer klarer zu sein (S. 423). Die Behörden tappen bei der Aufklärung im Dunklen, für sie deutet alles auf den Brasilianer als Täter hin (S. 420 f.).

Veit stellt fest, wie sehr sich sein eigenes Leben verändert hat. Die Grundausbildung scheint ihm jedenfalls »hundert oder hundertzwanzig Jahre[ ]« (S. 425) zurückzuliegen, genauso wie ein positives und ungetrübtes Verhältnis zu den Eltern (S. 426). Die erneute Begegnung mit diesen steht bevor, weil Veit zurück nach Wien muss, wo ihn »die Gesundschreibung« (S. 421) erwartet. Margot übergibt ihm für die Reise das Geld, das sie durch den Verkauf von Tomaten verdient hatten und legt ihm nahe, es zur Bestechung des Arztes einzusetzen (S. 423 f.). Für Veit ist nicht nur durch diese Geste klar, wie ernsthaft ihre Beziehung mittlerweile ist (S. 424 f.).

Für seinen Wien-Aufenthalt hat sich Veit noch etwas vorgenommen: Als er seine Fahrerlaubnis auf dem Gendarmerie-Posten abholt, behauptet er, der Onkel habe ihn noch vor seinem Tod darum gebeten, Kurt Ritler seine Briefe zurückzugeben (S. 422).

Der Westbahnhof war dick verqualmt: Veit trifft in Wien ein und macht gleich auf mehreren Ebenen Fremdheitserfahrungen: Zum einen erscheint er sich selbst fremd (S. 427), doch die größte Entfremdung stellt der junge Soldat zwischen sich und seinen Eltern fest (S. 430). Es dauert auch nicht lange, bis es zum Konflikt mit dem Vater kommt: »Er fing dann wieder von der Zukunft an, für die wir die vielen Opfer auf uns nähmen« (S. 436). Der Streit eskaliert, als Veit seinem Vater bescheidet: »Du kannst mich einmal.« (S. 436) Für Veit ist der Endgültiger Bruch finale Streit, der zur Folge hat, dass er aus der Familie »flog« (S. 436), v. a. in der Erziehung des Vaters begründet. Nie habe der gelobt, immer zu mehr angestachelt: »Mit Wörtern wie Standhaftigkeit und Konsequenz hatte mir Papa meine Kindheit verdorben. Und die Jugend und das junge Erwachsenenalter hatten mir andere verdorben, aber mit denselben Wörtern.« (S. 437)

Veits Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit umfasst auch die Erinnerung an seine verstorbene Schwester Hilde. Als er ihr Grab auf dem teilweise durch Bomben zerstörten Meidlinger Friedhof besucht, erinnert er sich an Hildes Sterbetag, den er »bis heute als verstörend« (S. 432) empfindet. Besonders, dass er nicht bei ihr bleiben konnte in der Stunde ihres Todes und sie nicht tröstete, macht ihm zu schaffen (S. 433).

Die Untersuchung durch den Truppenarzt steht dann von Anfang an unter keinem guten Stern: Der Mediziner macht sofort klar, dass er Veit für feldtauglich hält (S. 439), weshalb dieser zum letzten Mittel greift und versucht, den Arzt zu bestechen. Doch das Ergebnis fällt anders als erwartet aus: »Diese miese Ratte hatte Margots Geld genommen und mich Veit ›feldtauglich‹kriegsverwendungsfähig geschrieben« (S. 441). Da Veit vorgibt, er hätte in Mondsee ein uneheliches Kind, wird ihm noch ein Aufschub von zwei Tagen gegeben, damit er sich verabschieden kann. Danach soll er zu seiner Einheit nach Insterburg, zur »Knochenmühle im Osten« (S. 442).

Seit es mit Margot: Veit verlässt sein Elternhaus nach den Auseinandersetzungen mit seinem Vater »in tiefer Trauer« (S. 443), um wieder an die Front zurückzukehren. Vorher aber will er Veit und Kurt Kurt Ritler die Briefe übergeben und macht sich auf den beschwerlichen Weg zu dessen Kaserne nach Hainburg. Für Veit verläuft die Begegnung mit Nannis Cousin, den er als »verstockt« (S. 446) empfindet, nicht wirklich erfolgreich: Kurt sei, so vermutet Veit, vor allem »verunsichert und voller Scham« (S. 446), weil er »seine Liebesbriefe aus den Händen eines fremden Mannes« erhält. Nur für einen kurzen Augenblick lockert sich die »Beklommenheit« (S. 447) der beiden jungen Soldaten, als sie nämlich über Nanni sprechen. Doch dieser Moment währt nicht lange, und als Veit den Ratschlag von Kurts Vater, immer »Zivilkleider […] bei sich zu tragen und die Uniform notfalls wegzuwerfen« (S. 448), unterstützt, weist das Kurt deutlich zurück, denn er lasse niemanden mehr im Stich.

Veit ist nach der Begegnung »niedergeschlagen« (S. 449) und macht sich auf den Rückweg. Unterwegs kommt er an den Bauarbeiten zum Südostwall vorbei. Aus einiger Entfernung macht Veit eine furchtbare Beobachtung, er sieht, wie ein Zwangsarbeiter von einem Wachmann zu Tode geprügelt wird (S. 451). Veit geht näher heran und ihm fällt ein anderer, heruntergekommener Zwangsarbeiter auf, der »ein buntes Halstuch« trägt und ihn »mit bohrenden Augen und voller Vorwurf, dabei […] trotzig« anschaut, »mit verstecktem Hass« (S. 452). Ganz offensichtlich begegnet Veit hier unwissentlich Veit und Oskar Oskar Meyer, der wie Kolbe einstmals in der Possingergasse in Wien lebte.

Veit ist durch das, was er bei den Schanzarbeiten sehen muss, getroffen, und er realisiert, dass er »für immer in diesem Krieg bleiben [würde,] als Teil von ihm« (S. 453). Auch wenn Veit nicht erwähnt, dass er erkennt, dass es sich bei den Zwangsarbeitern, die er beobachtet hat, um Juden handelt, erinnert er sich an die Erschießungen »im rückwärtigen Heeresgebiet« (S. 453), die ihm nicht entgangen waren: »Aber ich war so sehr mit meinem eigenen Los beschäftigt, dass ich mir gedacht hatte: Was gehen mich die Juden an?« (S. 453) Gleichwohl hat Veit sich wiederholt gefragt, was wäre, »wenn ich zu einer Erschießungsaktion eingeteilt würde. […] Nie hätte ich gedacht, dass ich je über solche Dinge nachdenken müsste. Denn über so etwas nachdenken heißt, sich damit vertraut machen, das heißt, den Begriff von Normalität verändern, langsam in eine andere Normalität hinüberwechseln.« (S. 454)

Ich saß auf dem Fensterbrett: Bei seiner Ankunft in Mondsee findet Veit Margot einigermaßen deprimiert vor. Die Tage, an denen er fort war, »seien nicht gut verlaufen« (S. 457). Der Konflikt mit Trude Dohm eskaliert offenbar weiter. Angesichts der »sauren, alles zersetzenden Natur« (S. 465) der Vermieterin ist sich Veit sicher: »Du solltest umziehen, Margot.« (S. 467) Die beiden haben Glück und der im Ort ansässige Fleischhauer bietet Margot nicht nur ein Zimmer, sondern auch noch eine Tätigkeit in der Metzgerei an (S. 468). Der UmzugUmzug wird noch am selben Tag vollzogen und auch wenn das Zimmer einfach ist, ist sich Veit sicher: »In dem Moment, in dem ich durch die Tür trat, spürte ich, dass ich mich von etwas losgerissen hatte und endlich ein eigenes Leben besaß.« (S. 469)

Zwar ist Margots Situation in anderer Hinsicht noch ungeklärt, doch ist sie sich sicher, wie es nach dem Krieg weitergehen wird. Als Veit sie fragt, welche Chancen sie ihrer Beziehung zukünftig einräume, antwortet sie eindeutig: »Hundert Prozent« (S. 464). Dennoch macht sie sich auch Sorgen um Veit, nicht nur weil er an der Front ständiger Lebensgefahr ausgesetzt ist, sondern auch wegen seiner Tablettensucht (S. 461).

Zu den Ermittlungen zum Tod des Onkels kann Margot Veit nur wenig Neues berichten. Das Gespräch löst in Veit dennoch » Trauer über Mord Trauer« (S. 458) aus: »[Z]um ersten Mal tat mir, was geschehen war, leid. […] / Und in diesem Moment der Trauer verspürte ich auch den Anfang eines Gefühls von Frieden, weil ich entschied, den Onkel zu lassen, wo er war, und weiterzumachen.« (S. 458 f.) Dieses ›Weitermachen‹ ist für Veit, jetzt, kurz vor der Abreise, getragen von der Gewissheit: »Ich werde überleben. Und später, wenn alles wieder normal ist, werde ich irgendwie die Jahre retten, die ich verloren habe.« (S. 473)

Wir warten auf das Milchauto: Es ist ein eiskalter Morgen, als Veit Margot, deren kleine Tochter und den Abschied aus Mondsee Mondsee verlässt. Veit bedankt sich bei seiner Geliebten »für jede gemeinsame Minute« (S. 474). Auf seinem Weg kommt Veit noch einmal in Schwarzindien vorbei: »Auch im ehemaligen Lager wohnten jetzt Flüchtlinge, Hinausgeworfene, Verratene, Verbrecher, die sich verdrückt hatten, Geschundene, arme Teufel.« (S. 474) Ihn dagegen trägt es hinaus in einen Krieg, der ihm »zuwider« (S. 475) ist und von dem er weiß, dass er eine »unrechte[ ] Sache« ist. Ein letztes Mal führt ihn seine Route an der Drachenwand entlang, »ein über die klirrenden Wälder gereckter Schädel, der mit leeren Augen auf die Landschaft herabstierte« (S. 475), und am Mondsee vorbei. Er denkt auch noch einmal an Nanni und wünscht ihr »alles Gute für ihre Zeit bei den Geistern« (S. 476). Und als ihm all das Vertraute aus dem Blick verschwindet, schließt er »die Augen im Wissen, dass wie vom Krieg auch von Mondsee etwas in [ihm] bleiben wird, etwas, mit dem [er] nicht fertig werde[n]« wird (S. 476).

Nachbemerkungen: Die » Nachbemerkungen Nachbemerkungen« klären über das weitere Schicksal der Protagonisten auf: Veit und Margot überleben den Krieg, heiraten und bekommen zwei weitere Kinder. Veit stirbt 2004, Margot ist zum Zeitpunkt der Niederschrift der Nachbemerkungen 95 Jahre alt. Margots Vater fällt noch 1945 in Schlesien, ihre Mutter stirbt 1961.

Der Brasilianer überlebt und wandert 1948 tatsächlich nach Südamerika aus, sein weiteres Schicksal bleibt ungeklärt. Seine Schwester und ihr Mann überleben ebenfalls und gehen nach dem Krieg nach Freising; Trude Dohm stirbt 1953 in einer Heil- und Pflegeanstalt an einer spät festgestellten Syphilis, der ehemalige SS-Mann stirbt erst 1981.

Die landverschickten Mädchen aus Wien können erst 1946 nach Wien zurückkehren, ihre Lehrerin Margarete Bildstein überlebt den Krieg, sie stirbt mit 89 Jahren im Jahre 2008.

Kurt Ritlers Schicksal bleibt lange ungeklärt, doch es stellt sich schließlich heraus, dass er kurz vor Kriegsende in einem Feldlazarett gestorben ist.

Oskar Meyer wird 1945 auf einem Transport nach Mauthausen ermordet, seine Frau Wally und der gemeinsame Sohn Georg sind schon 1944 in Auschwitz getötet worden. Über Bernilis Schicksal in England ist nichts weiter bekannt.

Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL

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