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Aufbruch ins Ungewisse

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Der Abschied fiel ihr nicht sonderlich schwer. Wie leicht es doch ist, einen Ort zu verlassen, an dem man sich nicht zuhause fühlt, hatte Sie gedacht, als sie sich am folgenden Tag im Morgengrauen auf den Weg machte. Sie freute sich auf eine Zeit, in der sie endlich einmal keine Rücksicht auf den ständig nörgelnden Antonio nehmen musste. Niemand würde sie kontrollieren oder bevormunden. Fe fühlte sich unendlich frei. Vielleicht wäre sie weniger zuversichtlich gewesen, wenn sie geahnt hätte, was sie in den kommenden Wochen auf sie zukommen würde.

Wie sie es erwartet hatte, tat ihr die Autofahrt gut. Kilometer für Kilometer besserte sich ihrer Laune. Hier und da hielt sie an, machte einen Spaziergang, den sie (wie sie es fast immer tat) zum Fotografieren nutzte, ging etwas essen oder kuschelte sich auf die Rückbank ihres Wagens, um ein wenig zu schlafen. Sie verzichtete auf die geplanten Aufenthalte in Paris und Bordeaux. Fe wollte so schnell wie möglich nach Madrid, sie freute sich darauf, nach vielen Jahren ihre beste Freundin wiederzutreffen. Sie konnte es kaum erwarten endlich einmal wieder ein paar Tage mit Lisa zu verbringen. Zwar telefonierten die beiden regelmäßig miteinander, und tauschten Neuigkeiten und Bilder per E-Mail aus, aber das war nicht dasselbe. Fe vermisste ihre Freundin. Lisa, die deutsche Wahlspanierin, war inzwischen verheiratet und Mutter von quirligen Zwillingen. Sie lebte mit ihrer kleinen Familie im Zentrum der spanischen Hauptstadt, wo sie sich einen langgehegten Traum erfüllt hatte, und ein kleines, aber exklusives, Tattoo und Piercing Studio eröffnete hatte. Carlos, Lisas Mann, dem Fe bisher nur einmal begegnet war, hatte sich, sofort als er von Fes bevorstehendem Besuch erfahren hatte, dazu bereiterklärt sich um die Zwillinge zu kümmern, und war mit ihnen für ein paar Tage zu seinen Eltern aufs Land gefahren. Nicht ganz uneigennützig, wie er zugeben musste, denn in den Sommermonaten, wenn Madrid vor Hitze zu glühen schien, ließ es sich in der abgelegen Finca seiner Eltern deutlich besser aushalten als in einer stickigen Stadtwohnung. Fe und Lisa genossen die freie Zeit, sie stürzten sich in das Nachtleben und verschliefen die Tage. Die Zeit verging wie im Flug.

Es war bereits später Nachmittag und die Hitze in der Wohnung war unerträglich. Fe lag, mit einem schwarzen Bikini bekleidet, auf dem Sofa. Sie hatte den Ventilator angestellt und genoss nun den frischen Luftzug, der ihre Haut angenehm abkühlte. Sie sah sich um - in Lisas Wohnung herrschte ein farbenfrohes Durcheinander. Fe fühlte sich in dieser chaotischen Umgebung deutlich wohler, als in der übertrieben aufgeräumten, steril wirkenden Penthaus-Wohnung, die sie sich mit Antonio teilte. Am liebsten wäre sie noch länger bei Lisa geblieben, aber es war bereits ihr fünfter Tag in Madrid - und gleichzeitig der vorerst letzte Abend den sie mit ihrer Freundin verbringen würde. Schade… Sie fragte sich, was sie nach Portugal machen würde. Sie wollte nicht zurück in die Agentur, sie wollte nicht zurück zu Antonio

Lisa hatte schnell gemerkt, dass Fe irgendetwas beschäftigte und sie geradezu angestrengt – über was auch immer - nachzudenken schien. „Du bist nicht besonders redselig heute, oder?“, hatte sie festgestellt, während sie zwei Tassen und eine Kanne mit Tee auf den Tisch gestellt hatte.

„Los, rutsch mal.“

Sie setzte sich zu Fe vor den Ventilator.

„Was ist los mit dir? Woran denkst du?“

Keine Antwort.

„Fe! Hallo! Rede mit mir! Bit-te…, ich bin deine beste Freundin, früher haben wir uns auch immer alles erzählt. Hast du das vergessen?“

„Ach Lisa, ich weiß es doch auch nicht! Ich verstehe mich manchmal selbst nicht mehr – keine Ahnung was mit mir los ist. Eigentlich müsste ich doch zufrieden sein, oder?“

Fe hasste es sich zu beklagen. Immerhin war jeder selbst für sein Leben verantwortlich. Niemand hatte sie dazu gezwungen so zu leben, sie hatte es sich ausgesucht. Und wenn sie nun unzufrieden war, dann war sie selbst daran schuld. Und: Durfte sie überhaupt unzufrieden sein, wo sie doch so viel mehr erreicht hatte als die meisten anderen Menschen? War das nicht irgendwie undankbar?

Fragen über Fragen…

„Zieh nach Madrid!“, hatte Lisa schließlich vorgeschlagen, als Fe ihr dann doch noch von ihrem weniger gelungenen Zusammenleben mit Antonio, und von ihrem Job, der sie in der letzten Zeit so tödlich langweilte, berichtet hatte.

„Wer weiß…“, hatte Fe entgegnet, wohlwissend, dass ihre Freundin Recht hatte, wenn sie ihr den Rat gab, Antonio und die Agentur zu verlassen.

„Du wirst auch nicht jünger, meine Hübsche!“, sagte Lisa und legte den Arm um ihre Freundin: „Es wird Zeit, dass du endlich irgendwo ankommst! Sie mich an, sogar ich ein Zuhause gefunden. Fang endlich an zu leben, Fe - bevor es am Ende noch zu spät ist!“

Lisa hatte Recht, sie hatte in den vergangenen Monaten häufiger einmal das unbestimmte Gefühl gehabt, nicht wirklich zu leben - und die Zeit verging tatsächlich rasend schnell. Fe hatte schon vor einen ganzen Weile das Interesse daran verloren, Lügen zu verkaufen, denn genau das war es, war ihre Werbeaufnahmen zeigten – ganz gleich, wie gut sie auch waren. Nichts als Lügen und Hochglanzillusionen, die nicht das Geringste mit dem wahren Leben zu tun hatten. Werbung ist Scheiße, hatte sie gedacht, und ich bin eine von denen, die aus Scheiße Geld machen…

„Und?“, Lisa riss sie aus ihren Gedanken und gab ihr einen freundschaftlichen Schubser: „Was wollen wir machen? Warte, sag‘ nichts… ich habe eine Idee! Wir… ich hab‘s… wir stechen dir ein neues Piercing!“

„Jetzt?“

„Natürlich!“

„Aber ich hab schon welche!“, protestierte Fe

„Nase, Ohren und Bauchnabel zählen nicht! Los, komm mit!“, Lisa strich sich entschlossen ein paar blonde Dreadlocks aus dem Gesicht und zog Fe von dem pinkfarbenen Ledersofa, das zu ihren Lieblingsmöbelstücken gehörte. Sie nahm die Hand ihrer Freundin und zog sie in das angrenzende Studio. Wenig später wurde die rechte Seite von Fes Unterlippe von einem kleinen Ring umschlossen. Lisa lächelte zufrieden: „Perfekt! Das steht dir gut! Los, Prinzessin, mach dich fertig und lass uns was trinken gehen – feiern wir deine letzten Abend in Madrid!“

„Ich kann nicht, Lisa! Ich muss los…“, Fe dachte an die über 600 Kilometer lange Fahrt die noch vor ihr lag.

„Dann lass uns wenigstens noch etwas essen gehen bevor du fährst, einverstanden?“

Sie nickte: „Einverstanden!“


Der Kubaner

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