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Sommer 1994

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Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr in meinem Leben und das liegt nicht daran, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal geheiratet hatte! Aber eben diese Heirat hat mich veranlasst eine Reise anzutreten, die mich nach Toronto, Ontario, Kanada führte, wo die Hochzeit stattfinden sollte.

Wir hatten unsere Flüge über KLM gebucht und so kam es, dass wir eines Morgens am Amsterdamer Flughafen Schiphol in einer langen Warteschlange standen, um die Bordkarten für den Flug nach Toronto abzuholen. Wir waren gerade erst mit unserem Cityhoppper gelandet und hatten ausreichend Zeit. Die Schlange führte an einem "Check-in Counter" entlang und so nutzte ich die Annehmlichkeit, in dem ich meinen rechten Ellenbogen auf den Counter stützte und geduldig das Treiben in der Schlange vor mir betrachtete. Unser Gepäck war bereits beim Abflug bis nach Toronto durchgecheckt worden und so hatten wir nur uns selbst und ein Handgepäckstück, das links von mir auf dem Boden stand. Etwa 10 Minuten warteten wir so, als ich plötzlich eine kleine Gruppe von älteren Frauen bemerkte, die sich, von hinten kommend zwischen Counter und Schlange durchdrängten, was erstaunlich war, hätten sie diese Strecke doch auch auf der linken Seite der Schlange gehen können, wo viel Platz vorhanden war. Jedenfalls endete das Durchdrängen an meinem Ellenbogen, und als ich keine Anstalten machte, den Weg freizugeben sprach mich die groß gewachsene Frau auf Englisch an:

"I don't like what you are doing! [Ich mag nicht, was Sie da tun]"

Nun es mag ja nicht sehr höflich gewesen sein, den Damen nicht den Weg freizugeben, aber eine höflichere Ansprache als das wäre schon angebracht gewesen und daher erwiderte ich damals ruhig und sachlich:

"And I don't like what you are doing [Und ich mag nicht, was Sie da tun]."

Dies löste den folgenden kurzen Wortwechsel aus:

Ältere Frau: "But I have been here before you![Aber ich war vor Ihnen hier]"

Ich: "And why you came from behind then? [Und warum kommen Sie dann von hinten?]"

Ältere Frau: "Where are you from? [Von wo kommen Sie?] "

Ich: "Germany. [Deutschland]"

Ältere Frau: "That's what I thought! [Das hatte ich mir schon gedacht]"

Daraufhin ging mein Ellenbogen runter und die Damen an mir vorbei, sich weiter zwischen Counter und Schlange durchzwängend bis ganz nach vorne, wo die Dame dann den Passagier, der gerade an der Reihe war, abdrängte, die Pässe der Damen auf den Counter legte und sich abfertigen ließ.

Etwas verwirrt stand ich da und überlegte, was mich veranlasst haben mochte, den Ellenbogen wegzunehmen. Dann interessierte ich mich plötzlich stark dafür, woher diese Personen stammten. Ich ließ daher Koffer und Begleitung in der Schlange zurück und ging auf der linken Seite bis ganz nach vorne, beugte mich, an der etwas verdattert dreinschauenden Dame über den Counter und warf einen Blick auf ihren Reisepass. Sie waren aus Norwegen.

Ohne etwas zu sagen, kehrte ich an meinen Platz in der Reihe zurück. Zunächst beschäftigte mich, dass diese Frau offenbar ein massives Vorurteil gegen Deutsche hatte. Da sie schon älter war und aus Norwegen kam, konnte ich es ihr nicht wirklich verübeln. Wer weiß schon, was sie damals mitmachen musste, als Norwegen in nur 5 Tagen von den Deutschen besetzt wurde und wie es ihr während der sich anschließenden Besatzungsdauer ergangen war. Selbst wenn sie nicht jüdischen Glaubens war, hatte sie sicherlich einiges abgekriegt, so viel schien sicher. Mehr aber noch beschäftigte mich, dass automatische Einziehen meines rechten Ellenbogens. Sicher hätte ich den Ellenbogen willentlich entfernt und den Weg so freigegeben, wäre das keine große Sache, aber die Tatsache, dass ich dies reflexartig getan hatte, so wie es Kinder tun, wenn sie bei etwas Falschem erwischt werden, machte mir zu schaffen. Was nur schlummerte in meinem tiefen Inneren, dass ich so reagiert hatte.

Woher war das Schuldgefühl gekommen, wo ich doch wissend und willentlich eine persönliche Schuld für die Handlungen der Deutschen grundsätzlich ablehne. Dabei ist es nicht entscheidend für mich, wann, was oder wem die Deutschen etwas tun oder nicht, sondern nur, ob ich mitgemacht hatte oder nicht und ich war, und bin mir daher keiner Schuld bewusst.

"Den Schuh zieh ich mir nicht an" und doch schien ich ihn zu tragen …

Wir setzten die Reise fort und landeten schließlich in Toronto, wo uns mein Freund Jack und dessen Frau Waltraud erwarteten. Jack war damals "Member of Parlament" und hatte mich schon mehrfach in den vergangen Jahren eingeladen einen Urlaub bei Ihnen in der Nähe von Belleville zu verbringen.

Ich kannte bereits einen Teil der Vereinigten Staaten und war nicht sehr begeistert gewesen. Aber Kanada entpuppte sich als etwas ganz anderes, obwohl es Nachbarstaaten sind und jeder, der die Grenze zwischen Kanada und den USA überschreitet, wird sofort den Unterschied bemerken. Erstaunlich daran ist, dass diese Gebiete seinerzeit während der gleichen Besiedlungswelle erschlossen wurden und sich scheinbar nur aufgrund ihrer staatlichen Zugehörigkeit heute so unterschiedlich darstellen.

Wenn man durch Kanada fährt, so sieht man vor allem Bäume und Wasser. Dazwischen die Fauna und das Stück Straße vor und hinter sich. Die enorme Landfläche ist spärlich besiedelt, sieht man mal von den großen Städten ab. Wir bereisten Kanada von den Niagarafällen über die Amish-Siedlungen, Toronto, Belleville, Ottawa, Montreal bis etwas östlich von Quebeccity und dann Prince Edward Island und Neuschottland.

Was mir auffiel, ist, dass es, auch in den kleineren Gemeinden, keine Zäune zwischen den Grundstücken gibt. Als ich eines Morgens neben Jack auf dessen Veranda saß und über das weitläufige Grundstück zum Lake Ontario blickte, sah ich einen Mann auf einem Aufsitzrasenmäher über das Grundstück fahren, vor der Veranda halten und absteigen. Meine Vermutung, es handle sich um einen von Jack beauftragten Arbeiter, der den Rasen trimmen sollte, stellte sich als falsch heraus. Es war sein Nachbar. Dieser hatte sein eigenes Grundstück gemäht, und weil er gerade Zeit und Lust hatte, dass von Jack gleich mit, wofür er sich zunächst entschuldigte, weil er nicht um Erlaubnis gefragt hatte, bevor er das ca. zwei Fußballplätze große Areal bearbeitet hatte. Jack lachte nur, bot Getränke an und anschließend saßen wir noch etwa eine Stunde auf der Veranda und sprachen über dies und das und wann Jack denn nun den Bootsanleger unten beim See bauen würde. Nein, es war kein Wochenende und nein, diese Menschen waren nicht Rentner, wie sie jetzt vielleicht vermuten.

Am darauf folgenden Wochenende luden uns Jack und Waltraud nach Toronto ein. Wir wollten die Metropole etwas anschauen und Jack bestand darauf, ein Spiel der Blue Jays zu besuchen.

Das Baseballstadion in Toronto steht unmittelbar unter dem gewaltigen Fernsehturm, der lange Jahre das höchste Gebäude der Welt war, und besitzt ein Dach, das sich, trotz der immensen Größe des Stadions, öffnen lässt. 40.000 Menschen füllten die Plätze, und als die Blue Jays aufs Spielfeld stürmten, erhoben sich 39.999 Menschen von ihren Sitzen, zogen die Schildmützen ab, legten die rechte Hand aufs Herz und begannen zu singen. Nur ich war sitzen geblieben und betrachtete mit tiefem Erstaunen, was da vor sich ging. Tatsächlich dauerte es etwas bis mir klar wurde, dass diese Menschen ihre Nationalhymne sangen.

Es hat mir das ganze Spiel und den damit verbundenen Spaß versaut. Nicht, dass diese Menschen ihren Nationalstolz so praktizierten und ausleben durften, sondern, dass sie so etwas haben. Aber, dass ich nicht mal sofort gewusst hatte, was da vor sich ging, gab mir den Rest.

Vorbeugend darf ich an dieser Stelle betonen, dass ich kein Sympathiesand von nationalsozialistischen Ansichten, im Sinne des 3. Reichs, bin. Im Gegenteil lehne ich deren Ansichten und Taten zu tiefst ab.

Allerdings habe ich mir dann ausgiebig Gedanken darum gemacht, was in der Folge von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg mit uns Deutschen, die wir als Nachkriegsgenerationen geboren worden sind, gemacht worden ist. Nun, es ist kein Zufall, dass wir geworden sind, was wir heute sind und die Siegermächte hätten es, meine ich, besser wissen sollen und müssen.

In der Folge dieses Erlebnisses habe ich meine Kindheit bis zum Ende der Schulzeit überdacht und mit dem verglichen, was meinen eigenen Kindern in Kindergarten und Schulen beigebracht und vermittelt wird. Die gute Nachricht ist wohl, dass es zwischenzeitlich anders gemacht wird, die Schlechte, dass meine Generation derzeit die Mehrzahl der Führungspositionen in Deutschland ausmacht und das hat Folgen für uns alle.

Am Ende meines Denkprozesses angekommen, kann ich heute, zumindest für meine Person, sagen, dass viele Probleme unserer Gesellschaft in Deutschland ganz offenbar daher rühren, dass wir, wie ich es nenne, entwurzelt sind.

In ihrem Bestreben, den Nationalsozialismus in Deutschland keinen Boden mehr bieten zu wollen, haben die Siegermächte und die Politiker in der Zeit vom Ende des 2. Weltkriegs bis zumindest dem Fall der innerdeutschen Mauer dafür Sorge getragen, dass wir keinen Nationalstolz entwickelten. Diese Zeit war geprägt

 vom Aufzwängen der Schuldübernahme, für die Taten unserer unmittelbaren Vorfahren und haben selbst bei Personen wie mir, die sich diesen Schuh nicht anziehen wollten, erfolgreich funktioniert, wie man meiner Reaktion in Amsterdam entnehmen kann.

 von der Unterdrückung der Entwicklungsmöglichkeiten, zur Etablierung einer Verbundenheit mit der eigenen Heimat und Ächtung von Nationalstolz, was bis zum heutigen Tag anhält.

Es ist überhaupt ein großes Missverständnis, den Stolz auf das eigene Vaterland mit der Gefahr des Nationalsozialismus gleichzusetzen. Kein Mensch sollte in einem Land leben, auf das er nicht auch stolz sein darf. Es ist natürlich richtig, dass wir auf die Taten der Deutschen nicht stolz sein dürfen und nicht stolz sind. Aber die Taten der Nationalsozialisten sind nicht mit der Verbundenheit zum eigenen Vaterland gleichzusetzen.

In der Folge sind wir also meiner Meinung nach Entwurzelte. Menschen, die sich mit dem Land in dem sie aufgewachsen sind und in dem sie in der Regel auch ihr ganzes Leben verbringen, werden nicht verbunden, was, genauer betrachtet, die Ursache für vieles ist, dass uns heute so stören müsste, aber gar nicht wahrgenommen wird, weil wir es eben nicht mehr anders kennen.

Betrachten wir nur mal unsere Nachbarn aus Frankreich. Wenn sich dort beispielsweise eine Obst verarbeitende Firma entschließt, die benötigten Äpfel in Spanien zu kaufen, weil das halt günstiger ist, als die heimischen Äpfel zu kaufen, so führt das dazu, dass die Obst anbauenden Bauern Frankreichs sich zusammenrotten und an der Spanisch-Französischen Grenze, in einem Akt der Selbstjustiz, Lkws der zuständigen Transportfirma aufhalten, eigenmächtig öffnen und die Waren auf die Straße kippen, um ihren Unmut zu demonstrieren und auf das vermeintliche Fehlverhalten der Obst verarbeitenden Firma hinzuweisen.

Nun versuchen wir uns einfach mal vorzustellen, ob so etwas in Deutschland möglich wäre ... Richtig, ehr nicht, und wenn sich tatsächlich Deutsche finden würden, die das durchziehen, wären sie als Nächstes im Gefängnis und nicht vor der Kamera der Tagesschau.

Warum das in Frankreich geht? Nur, weil die Franzosen Nationalstolz besitzen und die Bevölkerung den protestierenden Bauern den Rücken deckt und stärkt. Es geht mir hierbei nicht um die Frage des Rechts, denn auch nach meinem Dafürhalten haben sich die Bauern in meinem Beispiel ins Unrecht gesetzt, es geht darum zu verdeutlichen, was ich meine, wenn ich über den Nationalstolz schreibe, der uns vorenthalten worden ist und wird.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass wir keinen Zusammenhalt haben? Und haben Sie darüber nachgedacht, warum das so ist? Und wenn ja welche Folgen das mit sich bringt?

Heute ist sogar der Zusammenhalt in den Familien gestört und der Zusammenhalt außerhalb der Familien funktioniert so gar nicht.

Folgen sind unter anderem meiner Meinung nach:

 Das schlechte Verhältnis und die übermäßigen Konflikte zwischen Nachbarn

 Das Desinteresse an Politikern, deren Handlungen und an der politischen Entwicklung Deutschlands in und mit Europa

 Die geringen Wahlbeteiligungen, vor allem auf Bundesebene

 Die Ohnmachts-Einstellung gegen alles, was der Staat uns vorschlägt oder vorschreibt.

 Das Bestreben, Verantwortung wegzudrücken und Anderen aufzubürden.

 Die Unfähigkeit zum Zusammenhalt, Zusammenstehen und der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels

Es wird deutlich, dass die von den Siegermächten aus gutem Grund verfolgte Absicht weit tief greifender umgesetzt wurde, und funktionierte, als dies beabsichtigt sein konnte, denn nun droht genau aus der so gut funktionierenden Aktion die größte Gefahr für das von den Siegermächten angestrebte Ziel. Die Menschen in Deutschland beschäftigen sich mittlerweile deutlich zu wenig mit dem nationalen wie auch internationalen Geschehen in Politik, Wirtschaft und Kultur. In der Folge verarmt der diesbezügliche Intellekt der Bevölkerungsmasse deutlich und reduziert sich auf ablehnenden Unglauben über die Informationen, die in den Deutschen Medien verbreitet werden gepaart mit einer resignierenden Ohnmachtshaltung gegenüber der geballten Staatsmacht. Vorurteile ersetzen Denkprozesse! Genau dies ist aber die gefährlichste Haltung der Menschen, da sie genau damit erneut offen sind für die verführenden Worte einer starken Persönlichkeit, was eigentlich doch verhindert werden sollte. Wäre es nicht besser gewesen, die Menschen wären willens und bestrebt gemeinsam an der Gestaltung unseres Landes mitzuwirken, anstatt sich im eigenen Land wie Gäste aufzuführen, die jederzeit abreisen können?

Ja, man sagt den Deutschen Fremdenhass nach. Das ist nicht wirklich so. Wir sind einander selbst so fremd, dass wir als Fremde im eigenen Land bezeichnet werden könnten. Und wie Fremde würden wir unser Land auch nicht verteidigen, würde uns der Staat nicht dazu anhalten, früher gar zwingen. Ich habe mit einer großen Anzahl Deutscher über die Verteidigung des Vaterlands gesprochen und es war bezeichnend, dass die Meisten bereit waren ihre Familie zu schützen, vielleicht auch noch Haus und Hof (so der ihnen gehörte und nicht der Bank), aber das Vaterland schützen wollten die Wenigsten. Persönlich würde ich dies auch nicht tun, sondern mein Köfferchen packen und das Weite suchen. Es ist eine Schande, so zu sein, und kein anderes Volk würde so handeln. Ein Franzose, Italiener, Spanier, Engländer, Ire und alle anderen Nationen auch würden uns vor die Füße spucken würden wir als deren Landsmann diese Haltung einnehmen.

Schlimmer noch, die Menschen haben Angst sich zu unserem Land zu bekennen weil sie dann sofort und ohne jeden Umweg zumindest mit einem Bein als Nachfolger Hitlers, mit dem Anderen als Feind der Juden und mit dem Rest als Feind aller Ausländer gelten.

Bitte missverstehen Sie dies alles nicht! Mein Bestreben ist es lediglich die Ergebnisse und Zusammenhänge auszuleuchten, die meine, vielleicht ja auch fehlerhaften und unrepräsentativen, Schlussfolgerungen nach sich zogen.

Es ist so gut wie sicher, und meine große Hoffnung, dass gerade dieser Teil sehr kontrovers diskutiert werden wird, und seien wir ehrlich: Je mehr und je intensiver dieser Teil diskutiert werden wird, desto besser. Es ist mir deutlich lieber, wenn die Menschen miteinander reden als miteinander schweigen bis nur einer wieder zu ihnen und für sie spricht.

Dies und Das

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