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Ein Wort zuvor

Es ist mein Handwerk, auf das Leben von Menschen zurück zu schauen. Erzählen, deuten und manchmal auch einen Sinn finden, wo Angehörige rätseln. Oft stand ich in meinem Leben als Pfarrer auf dem Friedhof und habe mich gefragt, was wird man mal von mir erzählen? Und wie?

Nun wurde ich eingeladen, meine Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte einer vierzig Jahre währenden Häutung, bis ich endlich der sein konnte, der ich schon immer war. Sebastian. Ein Mann.

Ich habe mir immer gewünscht, meine Geschichte einmal ganz erzählen zu können, in der Hoffnung, verstanden zu werden, aber auch zu verstehen, einen Sinn in all dem zu erkennen. Bei all den Häutungen suchte ich immer wieder die Spur Gottes. Manchmal hat er deutlich geschrieben, oft genug zwischen den Zeilen und in den seltensten Fällen waren die Linien gerade. Vom Segen und der Bewahrung will ich erzählen, in all den Brüchen, die mein Leben bereithielt.

In Daniel Staffen-Quandt habe ich einen sensiblen und aufmerksamen Zuhörer gefunden. Er hat es verstanden, Ordnung in ein kompliziertes Leben zu bringen. Ohne ihn wäre dieses Buch nicht geworden, was es ist.

Wir erzählen zwei Geschichten. Es ist einerseits die Geschichte einer öffentlichen letzten Häutung. Von dem Tag an, an dem ich meiner Gemeinde nach dem Sonntagsgottesdienst offenlegte, Mann zu sein und das nun auch endlich leben zu wollen, und von dem, was in den Monaten danach geschah. Und es ist zweitens die Geschichte von einem vierzig Jahre währenden Durchbeißen. Die ständig sich wiederholende Suche nach dem richtigen Leben. Oft genug ist es auch eine Geschichte vom Scheitern. In diesem Teil steht ein Name, den es so nicht mehr gibt. Ich habe mich schmerzhaft dazu durchgerungen, ihn stehen zu lassen, wissend, dass das falsch ist, ich war das nie wirklich. Aber er gehört zu der Hülle, unter der ich lange gelebt habe, in der ich nie ganz zuhause war und die ich endlich ablegen konnte.

Zwischen diesen beiden Geschichten finden sich immer wieder lyrische Texte. Meine Texte. Manche sind viele Jahre alt, andere erst in den letzten Monaten entstanden. Sie sind der Versuch, Worte für das zu finden, was mich im Innersten umgetrieben hat. Manchmal als konzentrierte Brühwürfel, ein anderes Mal als ein warmer Fluss, in den ich eintauchen konnte.

Ich will und muss es am Anfang in aller Deutlichkeit schreiben: Vieles, was in den geschichtlichen Passagen zu lesen ist, hat Trigger-Potential. Wenn Sie, liebe Leser*innen um ihre offenen Wunden wissen, so seien Sie vorsichtig. Ich habe mich entschieden, die Geschichte offen und ehrlich zu erzählen, ahnend, dass andere sich darin mit ihren eigenen Themen wiederfinden könnten.

Dem Claudius-Verlag und der Lektorin Laura Pöhler habe ich für das Vertrauen und die offene und herzerfrischende Zusammenarbeit zu danken.

Und dann sind da noch Birgit Mattausch und Johanna Klee, Freundinnen und Gefährtinnen auf dem Weg, die immer wieder auf mich aufgepasst haben. Sie standen mir mit fachkundigem Rat beim Schreiben und Komponieren zur Seite und haben großen Anteil am Werden dieses Buches.

Seit ich mich vor fast zwei Jahren endlich auf den Weg gemacht hatte, hat mich ein Vers aus der Berufung des Propheten Jeremia nicht mehr losgelassen:

Gott spricht: Ich kannte dich, ehe ich dich

im Mutterleib gemacht habe

(Jeremia 1,5)

Ohne diesen Gott, ohne den Glauben an seine bedingungslose Treue zu mir, hätte ich keine einzige Häutung geschafft. Soli deo gloria!

Veitshöchheim im März 2019

Sebastian Finn Wolfrum

Raupendaseinauszug

Am Montag des Lebens

fraß sie sich durch die

Krankenhausroutine durch

testen

bestimmen

benamen

Am Dienstag

schmeckte sie kurz

die süße verlockende Frucht

bevor ihr die

genommen wurde

Verbotene Frucht!

Am Mittwoch

nahm sie das was

andere für gut und richtig und passend und

angemessen hielten

voll falschen Geschmacks

bitterhart

seelenvergiftend

Am Donnerstag

weigerte sie sich von dem zu nehmen

was man für ihre Art als richtig erachtete

und lernte

Einsamkeit

Verlorensein

Am Freitag

probierte sie die verwandte Frucht

hoffend dass sie nun endlich satt werde

und schmeckte

und schmeckte bitter

leer falsch

Am Samstag

griff sie zu neuem vom Anfang vertrauten

verschlang schmeckte und fühlte

die alte Sehnsucht

und den Schmerz

und die Fülle des Lebens

Da entschied die Raupe das Raupendasein zu lassen

sich nicht mehr falscher Gestalt anzupassen

Form und Hülle abzulegen

sich Raum im Seelenkokon zu geben

und knüpfte ihn zu

mit gekappten Leinen

looking for sunday!

12.07.17

Endlich ich

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