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1. Kindheit und Jugend

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Es war Ende Juli des Jahres 1590. Der fünfzehnjährige Johannes ging mit seinem fünfjährigen Bruder Heinrich in dem kleinen Marktflecken Köstritz spazieren. Vertrauensvoll fasste Heinrich die Hand des Stiefbruders.

„Gehen wir durch den Park des Ritterguts zur Elster?“

„Ja, mein lieber Heinrich. Ich weiß doch, wie sehr du den Park liebst!“

„Dort kann ich den Gesang der Vögel vernehmen. Hör nur, wie schön sie zwitschern!“

Bei diesen Worten war der Fünfjährige stehen geblieben, hatte die Hand des Bruders losgelassen und lauschte andächtig dem Gesang einer Grasmücke.

Johannes sah den Bruder erstaunt an. Heinrichs braune Augen glänzten. Wie schön sah der zierliche Junge aus, wenn er so selbstvergessen die musikalischen Darbietungen der Singvögel genoss.

„Hörst du, Johannes, wie lieblich sie zwitschern! Gefallen die Melodien der kleinen Sänger dir nicht auch?“

„Ja, schön ist das, aber ich glaube, du hast ein besonderes musikalisches Ohr. Ich freue mich darüber, wie viel Freude dir jede Art von Musik bereitet, und obendrein kannst du auch noch bemerkenswert gut singen.“

„Lob mich nicht nur allzu sehr. Aber es ist schon so, ich singe gern, und wenn ich singe, dann bin ich einfach froh und vergesse alles, was mich ärgert!“

„Beneidenswert! Das hast du von unserer Mutter!“

Johann ergriff die Hand des Bruders und zog ihn mit sich fort.

„Wir wollen weiter. Hier an den Elsterarmen brüten zwar viele Vögel, aber es ist nicht so schön wie am Hauptarm der Weißen Elster!“

Vor dem Ort floss der Fluss breit und majestätisch dahin. Die Sonne spiegelte sich in dem klaren sauberen Wasser und Heinrich stieß, als er sich dem Ufer des Flusses näherte, vor lauter Freude einen Jubelschrei aus.

„Lass uns hier ein wenig ruhen!“, sagte Johannes und warf sich ins Gras. Wildenten flogen erschrocken auf.

„Komm Brüderchen, setz dich zu mir!“

Gehorsam folgte Heinrich der Aufforderung. Staunend betrachtete er die vielen kleinen Käfer, Bienen, Hummeln und Insekten, die sich an den Blumen und Gräsern labten.

„Köstritz ist sehr schön, und ich werde es vermissen, wenn wir nach Weißenfels ziehen“, sagte Johannes.

„Warum wollen wir von Köstritz fort?“, fragte Heinrich erstaunt.

„Unser Großvater in Weißenfels ist gestorben, und Vater erbt den Gasthof ‚Zum Goldenen Ring‘. Wir werden schon im Herbst nach Weißenfels ziehen!“

„Gibt es dort auch eine Elster?“

Johannes lachte aus vollem Hals. „Nein, eine Weiße Elster gibt es dort nicht, aber es gibt die Saale. Die ist noch breiter als die Weiße Elster, denn die Elster fließt in die Saale!“

Heinrich verstand das alles nicht so richtig, und er hatte auch keine Lust, sich vorzustellen, dass er bald nicht mehr in Köstritz wohnen würde. Johannes seufzte:

„Hier ist es so schön. Wenn ich an die Elster und an das Eleonorental denke, mit seinen herrlichen Wäldern, dann tut es mir doch recht leid, dass wir fortziehen.“

„Ja, im Eleonorental ist es schön“, bestätigte Heinrich. „Aber Hauptsache ist doch, dass man dort auch spazieren gehen kann. Auch in Weißenfels wird es Wälder und Vögel geben.“

„Wenn wir nach Weißenfels ziehen, bist du dann auch groß genug, um Unterricht zu nehmen. Du wirst dann viel lernen.“

„Werde ich auch Instrumente spielen lernen und Gesangsunterricht haben?“

„Jawohl, du kleiner Musikant!“

„Nein, ein Musikant werde ich sicher nicht, denn Vater sagt immer, dass das eine brotlose Kunst ist.“

Johann aber hatte es plötzlich eilig.

„Komm Heinrich, lass uns nach Hause gehen. Mutter wartet bestimmt schon auf uns mit dem Abendbrot!“

Hand in Hand gingen die beiden Brüder zu dem stattlichen Gasthof „Zum goldenen Kranich“, ihrem Vaterhaus, das sie nun bald verlassen würden. Vater war ein sehr angesehener und wohlhabender Gastwirt. Seit 1584 braute er mit eigener Braupfanne. Die anderen Wirtshäuser mussten ihr Bier aus Gera beziehen. Der „Goldene Kranich“ war zudem Umspanngasthof an der verkehrsreichen Straße zwischen Zeitz und Gera. Die Wirtsfamilie Schütz beschäftigte zwei Köchinnen: Anne und Martha. Sie waren sehr tüchtig. Ihr stets schmackhaftes Essen mundete den Gästen vorzüglich. Im Haushalt sorgte die Magd Maria für Ordnung und Sauberkeit und Barbara, die Viehmagd, kümmerte sich um die Kleintiere. In der Gastwirtschaft aber half die Biermagd Dorothea.

Als die Jungen im Gasthof ankamen, waren alle Familienmitglieder, aber auch die Knechte und Mägde, im großen Gastzimmer der Wirtschaft anwesend. Das Abendbrot wurde serviert. Als es beendet war begann ein fröhliches Musizieren, denn die Musiker hatten ihre Instrumente mitgebracht. Es wurde gesungen und auch getanzt.

Heinrich hatte seine helle Freude daran, mit seiner schönen melodischen Stimme in den Gesang der Familie, der Bekannten und der Gäste einzustimmen.

Ein Gast bat Heinrich, er solle doch ein Solo singen. Der Junge ließ sich nicht lange bitten. Er stellte sich in Positur und sang ohne Scheu ein Frühlingslied.

Es war ihm aber fast peinlich, als alles klatschte und ihn lobte. Liebevoll betrachtete die Mutter ihren Sohn. Heinrich war ihr am ähnlichsten. Sie hatte sechs Kinder, drei Jungen aus der ersten Ehe ihres Mannes, den 15jährigen Johannes, den 13-jährigen David und den 11-jährigen Christof und drei eigene Kinder aus der gemeinsamen Ehe, die sechsjährige Dorothea, den sechsjährigen Heinrich und den dreijährigen Georg.

Als Heinrich am Sonntag in Köstritz neben der Mutter in der Kirche saß, war er glücklich. Die Orgel der Kirche St. Leonhard ertönte, und der Junge genoss die Klänge dieses so wundervollen Instrumentes. Vertrauensvoll schmiegte er sich an die Mutter.

Euphrosine dachte an ihre Heirat. Sie hatte Christof Schütz im Februar 1583 geheiratet. Als Tochter des jetzigen Geraer Bürgermeisters Bieger gehörte ihre Familie zu den wohlhabendsten und angesehensten Familien in Gera. Aber auch die Familie Schütz war reich und ehrbar. Ihr Mann Christof entstammte einer Chemnitzer Familie. Sein Vater war Amtsschreiber in Marienberg.

Ihr Gatte war, als sie ihn kennenlernte, Stadtschreiber in Gera gewesen. Christof war ein schöner stattlicher Mann, ehrbar, prinzipienfest, gebildet und fest im protestantischen Glauben.

Gern dachte Euphrosine an die großartige Hochzeitsfeier zurück. Die Familie hatte sich die Heirat etwas kosten lassen.

Euphrosine liebte ihren Mann. Er war zielstrebig, geschäftstüchtig und sehr angesehen. Er würde, sobald sie das Erbe seines Vaters in Weißenfels im Herbst antraten, sich in dem Ackerbürgerstädtchen mit Fleiß und Ehrbarkeit Ansehen und Wohlstand verschaffen. Er würde das Bürgerrecht erwerben und mit „Verehrungen“ bedacht werden, die solche Personen erhielten, die für die Stadt bedeutsam waren.

Im September 1590 war es soweit. Die Familie zog nach Weißenfels. Wochenlang vorher waren Vorbereitungen getroffen worden, und erst, als in Weißenfels Gasthof und Wohnstätte für die Ankunft der Familie eingerichtet worden waren, fuhr Christof Schütz mit seiner Familie in die neue Heimat.

Durch das Südtor, das „Zeitzer Tor“, erreichte das Fuhrwerk der Familie Schütz die Saalestadt.

„Willkommen im kurfürstlichen Sachsen! Unser Landesherr ist der Kurfürst von Sachsen, der in Dresden residiert.“, rief Christof Schütz fröhlich aus.

Mutter Schütz stellte erstaunt fest: „Das Städtchen ist ja wie ausgestorben!“

Christof Schütz konnte es ihr erklären: „Ich meine, die Leute haben am frühen Nachmittag noch zu arbeiten, die Handwerker in ihren Werkstätten und die Bewohner von Weißenfels auf ihren Feldern und Weinbergen außerhalb der Stadtmauer. Weißenfels ist ein Ackerbürgerstädtchen und die Bürger der Stadt sind als Bürger entweder gleichzeitig Bauern oder Handwerker. Auch wir haben Land und einen Weinberg. Ich erbte die väterlichen Besitzungen in Uiteritz, jenseits der Saale, und wir werden uns tüchtig regen müssen, um Haus, Hof und Felder zu bewirtschaften.“

Lachend erwiderte die Mutter: „Sei froh, dass du eine große Familie und Knechte und Mägde hast.

Du stehst nicht allein. Wir werden dir alle mit Fleiß zur Seite stehen.“

„Vor allem aber habe ich eine tüchtige Frau, die meine fleißigen Helfer lenken und leiten, und die die Zügel fest in die Hand nehmen wird!“

Das Fuhrwerk bog unterdessen in die Jüdengasse ein, und nach wenigen Metern hielt es vor dem Gasthof „Zum Goldenen Ring“.

Da standen die Großmutter, der Vetter Heinrich Colander, zwei Knechte, zwei Mägde und zwei Köchinnen zur Begrüßung der Familie Schütz, festlich angezogen, bereit.

„Willkommen in der neuen Heimat!“

Nach einer stürmischen Begrüßung schirrten die Pferdeknechte die Pferde aus und führten sie in den Stall, der sich gleich hinter der Toreinfahrt befand.

Der „Goldene Ring“, in der Nähe des Saaletores gelegen, war ein zweistöckiges Haus mit den Gasträumen zur Straße und der Küche zum Hof hinaus. Die Gasträume lagen im Obergeschoss und die Wohnräume im Nebenhaus. Hinter dem Gasthof dehnte sich ein großer Garten aus, durch den der Greißlaubach floss. Begrenzt wurde das Grundstück von der Stadtmauer.

Heinrich Colander, Oberorganist von Weißenfels und ein Verwandter der Familie, schlug den Kindern vor, mit ihm gemeinsam die Stadt zu besichtigen. Großmutter nahm, als sie das hörte, sofort den dreijährigen Georg an die Hand und sagte: „Georg bleibt bei mir, solange ihr Weißenfels unsicher macht. Er ist noch zu klein, um den großen Geschwistern Schritt zu halten.“

Heinrich Colander freute sich, den Kindern die Stadt zeigen zu können.

Johann nahm Heinrich und Dorothea an die Hand und Christof und David folgten ihm und dem väterlichen Freund Colander.

Die Stadt war recht klein. Von fünf parallel laufenden Straßen führten drei auf dem Marktplatz. Straßen und Gassen waren gepflastert, und ein Großteil der Häuser besaß Steinfundamente.

„Die Häuser außerhalb der Stadt sind kleiner als die städtischen Häuser. Sie sind, im Gegensatz zu den Häusern in der Stadt, noch mit Stroh gedeckt. Strohgedeckte Häuser findet ihr aber auch in den Seitengassen, nämlich dort, wo arme Menschen wohnen. Innerhalb der Stadtmauer wohnen etwa 2000 Einwohner und draußen, vor den Toren leben rund 800 Menschen. Weißenfels besitzt seit dem Mittelalter das Stadtrecht.“

Die Schützschen Jungen waren für alle Mitteilungen dankbar. Sie wollten ja ihre neue Heimat kennen lernen. Staunend betrachteten sie den großen Marktplatz und die am Markt stehende Kirche St. Marien und die Klosterschule in der nahen Klostergasse.

„Die Marienkirche wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Hier finden täglich protestantische Gottesdienste statt. Trotz Reformation gehen die Weißenfelser am Samstag zur Beichte und und sonntags gibt es zur gewohnten Zeit Gottesdienste, zu denen Kantor und Schulknaben für die musikalische Begleitung sorgen“, erklärte der väterliche Freund.

„Gehen wir zur Saale hinunter!“, schlug Christof vor, und Heinrich Colander führte die Kinder über die hölzerne Saalebrücke zum Saaletor. In der Saaleaue weideten Schafe, Fischer verkauften hier am Fluss ihren Fang und Töpfer schöpften Wasser, das sie zur Verarbeitung des Lehms dringend brauchten. Am Interessantesten war für Heinrich das Flößen des Holzes. Flößer gab es auf der Weißen Elster nicht. Aber für das Staunen über den regen Betrieb an und auf der Saale schien Christof kein Verständnis zu haben.

„Schaut euch mal um“, forderte er seine Geschwister auf. „Von hier aus könnt ihr das Schloss recht gut sehen!“

Ehrfürchtig betrachteten die Schützschen Kinder die ausgedehnte Schlossanlage, die wehrhaft ummauert auf felsigen Grund hoch über der Stadt stand.

„Das Schloss ist verwaist und unbewohnt“, sagte Heinrich Colander. „Hier wohnt nur noch ein Amtmann, der die Regierung vertritt. Es gibt neben ihm aber noch einen hohen geistlichen Würdenträger, nämlich den Superintendenten, der dem Ephorat Weißenfels vorsteht. Sein Haus befindet sich direkt neben der Marienkirche.“

Als die Schützschen Kinder in ihr neues Heimathaus zurückkehrten, waren in der Gastwirtschaft die Tische schon gedeckt. Gäste hatten sich eingefunden. Im Gasthaus wurde zu Abend für alle Gäste und Familienmitglieder gekocht, und die Familienmitglieder und Gäste saßen während der Mahlzeit einträchtig beieinander.

Heinrich fühlte sich wohl. Die neue Heimat gefiel ihm. Heinrich Colander hatte ihm versprochen, dass er bald Unterricht erhalten werde, auch Musikunterricht. Und als der väterliche Freund über die Weißenfelser Chorknaben gesprochen hatte, war sich Heinrich sicher gewesen, dass er bald zu ihnen gehören würde.

Als Heinrich sechs Jahre alt wurde, begann für ihn der Unterricht. Vater Schütz wollte den Jungen zunächst noch nicht in die Städtische Schule schicken und engagierte einen Hauslehrer. Michael nannten die Eltern den Lehrer. Er war sehr gebildet, lehrte dem Jungen das Lesen und Schreiben, lehrte ihn die Noten und machte den Sechsjährigen mit den Grundlagen der Musik vertraut. Den eigentlichen Musikunterricht des Jungen aber übernahm Georg Weber.

Als der Hauslehrer Michael merkte, wie sehr sich Heinrich für Musik interessierte, sagte er eines Tages: „Du solltest ins Collegium musicum eintreten. Dort ist dein Platz!“

„Das hat Herr Weber mir auch schon geraten!“

„Er ist dein Musiklehrer und weiß, was in dir steckt. Also sprich mit deinem Vater und hole dir die Erlaubnis, dort mitzusingen. Gute Chorknaben werden dringend gebraucht!“

Für Heinrich begann mit dem Eintritt in das Collegium musicum sein eigentliches Musikleben. Die Chorknaben der Weißenfelser Kantorei sangen im Sonntagsgottesdienst und gingen wöchentlich zur Kurrente.

Heinrich war ein Schüler, der nach Meinung seiner Lehrer doppeltes Futter brauchte. Er half zwar ab und zu auch bei den Arbeiten im Gasthof mit, aber das Servieren und Hantieren in der Küche waren so gar nicht nach seinem Geschmack. Er lernte und musizierte lieber.

Auch im Stall bei den Pferdeknechten fühlte er sich nicht recht wohl. Ihm missfiel ihr rauer Umgangston. Dort erfuhr er viel über Hexenprozesse, Aberglaube und Teufelsanbetung.

Eines Tages hörte er, wie ein Pferdeknecht von dem Superintendenten Lysthenius sprach. „Der Superintendent hat nach wie vor bei Kindtaufen die Beschwörung des Teufels vorgenommen. Der Kurfürst Christian und sein Kanzler Crell haben das aber ausdrücklich verboten.“

Ein junger Knecht lachte laut auf. „Sein Ungehorsam, so drohte man ihm, sollte mit Gefängnis bestraft werden, und als Lysthenius davon erfuhr, flüchtete er.“

„Ich glaube nicht an den Teufel und auch nicht daran, dass es Hexen gibt. Die armen Weiber, die man der Hexerei anklagt und die man foltert und auf dem Scheiterhaufen verbrennt, die können mir nur Leid tun.“, entgegnete der ältere Knecht.

Heinrich dachte in diesen Tagen viel über das Gehörte nach. Er glaubte an Gott, nicht aber an den Teufel, obwohl er wusste, dass auch Luther ein Tintenfass nach dem vermeintlichen Teufel geworfen haben sollte. Gab es wirklich Hexen, die mit dem Teufel im Bunde standen? Die Welt schien Heinrich sehr kompliziert, und wenn er abends in der Gastwirtschaft Gespräche von dem wirren Handeln des Kaisers Rudolph II. hörte, von Streitigkeiten um Böhmen und Erbstreitigkeiten der Habsburger, konnte er sich kein rechtes Bild davon machen. Warum stritten sich die Herrschenden? Welche Rolle spielte dabei der Glaube? Heinrich stellte sich zwar solche Fragen, aber weder die Eltern noch die Lehrer nahmen sich die Zeit, mit dem Jungen darüber zu reden. Er wusste, alle Familienmitglieder, Freunde und Verwandten hingen dem protestantischen Glauben an. Der Kurfürst von Sachsen hatte das Recht, festzulegen, welcher Religion seine Untertanen huldigen sollten. Der Kaiser aber vertrat den katholischen Glauben. Dass daraus Streitigkeiten entstanden, verstand Heinrich. Aber warum sollte er sich darüber den Kopf zerbrechen? Wenn seine Eltern, alle Leute, die er kannte und auch der Kurfürst lutherischen Glaubens waren, dann vertraten sie bestimmt die richtige Meinung.

Es war früher Nachmittag, als Georg Weber zum Musikunterricht seines Schülers Heinrich Schütz kam. In den Straßen herrschte an diesem heißen Sommertag eine fast beängstigende Stille.

Georg Weber begrüßte Heinrich, nahm die Noten aus seiner Tasche und legte sie auf das Pult. Heinrich schielte nach dem Titelblatt, konnte aber weder den Titel des Liedes, noch den Komponisten ausmachen. Die Notenschrift war sauber und erstaunlich klar. Fragend blickte der Schüler seinen Lehrer an.

„Wir werden heute meine Lieder singen und spielen. Ich habe zahlreiche Lieder komponiert, besonders aber doppelchörige Lieder und Psalmen bei denen die Singstimmen gegeneinander gestellt werden und sich echohaft einander ablösen.“

„Davon habe ich schon von Herrn Heinrich Colander etwas gehört. Er erzählte mir, dass es in Sachsen und Thüringen viele Kantoren und Lehrer gibt, die doppelchörige Motetten im Stile der Niederländer schufen.“

„Du hast ja schon viel gelernt. Jetzt wollen wir uns aber an die Arbeit machen. Spiel mir das Lied, das auf dem Notenpult steht, einmal vor.“

Der Lehrer Weber war sehr zufrieden mit dem Spiel seines Schülers.

„So, und nun werde ich spielen, und du singst das Lied!“

Georg Weber blickte versonnen, als das Lied verklungen war.

„Schön, welch großen Wert du auf jedes Wort beim Gesang legst. Das ist auch mein Anliegen. Mir kommt es auf die Verkündung von Gottes Wort an. Die Worte erlangen durch die Komposition Bedeutung. Empfindungen sollen durch lebensvolle Wortgestaltung entfacht und durch die Musik unterstrichen werden. Meine Musik und meine Texte stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander.“

„Das verstehe ich gut. Gottes Wort soll durch die Musik unterstrichen werden. So können wir im Gesang den Herren preisen.“

„So ist es, und genau wie die göttliche Welt geordnet ist, muss auch die Musik Gesetzen folgen. Kunst und Wissenschaft durchdringen einander und stehen im Dienst dieser göttlichen Ordnung. Wir ehren Gott durch Lied und Gesang. Die irdische Musik ist ein Abbild und ein Vorgeschmack der himmlischen Musik.“

Als der Unterricht beendet war, fragte Georg Weber seinen Schüler:

„Du singst im Collegium musicum als Chorknabe, und ich hoffe, dass das Singen dir Spaß macht?“

Heinrich hatte vor Eifer ganz rote Wangen. Seine Augen leuchteten, und er antwortete begeistert: „Sehr viel Spaß sogar! Ich möchte nicht mehr ohne das Singen sein.“

„Recht so, mein Junge! Ich lege großen Wert darauf, dass wir im Collegium musicum auch viele Lieder von sächsisch-thüringischen Dorfkomponisten singen. Ich denke, diese Musiker schaffen gute Werke. Ihre Musik wird teilweise sogar in den Residenzen gespielt. Die Lehrer und Kantoren der Dorfschulen sind eifrige Musiker. Sie pflegen das Vorhandene und fragen nicht nach Wohlstand, Glanz und Ruhm.“

„Herr Weber, Sie als Organist gestatten ja auch, dass im Collegium musicum einige Stadtpfeifer von Weißenfels mitspielen.“

„Ja, warum nicht? Es sind gute Musikanten darunter, und das Erstaunlich ist, dass die Stadtpfeifer sogar nach Noten spielen. Ich denke, dass sich vor allem in den protestantischen Gebieten die Bildung immer mehr ausbreitet, und dass jetzt selbst Handwerker und Bauern lesen und schreiben lernen.“

„Vater sagt auch immer, dass die Bildung eines Menschen wichtig ist für sein ganzes weiteres Leben und für sein Fortkommen.“

„Dein Vater hat Recht. Auch die Musik ist eine Wissenschaft, und wer sie beherrschen will, braucht Wissen!“

Heinrich nickte versonnen. Georg Weber hatte seine Noten inzwischen schon eingepackt und sagte zum Abschied: „Wenn du am Sonntag Zeit und Lust hast, kannst du zu unserem Konzert kommen. Es werden unter anderem auch Werke von mir aufgeführt. Es treten Chöre mit Instrumenten auf, mit Posaunen, Zinken, dem Diskant und mit Tenor- und Bassgeigen.“

Heinrich drückte dem Lehrer dankbar die Hand: „Danke für die Einladung. Ich werde meine Freunde Anton und Heinrich Colander, die Söhne des Bürgermeisters Colander, mitbringen. Sie interessieren sich beide sehr für Musik.“

1597 starb der Komponist Georg Weber und Heinrich Colander übernahm den Musikunterricht des Zwölfjährigen. Um Latein zu lernen, besuchte Heinrich jetzt die Lateinschule. Er war ein fleißiger Schüler und war begierig, sich Wissen anzueignen.

Ein Lied in meinem Hause

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