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2. Moritz von Hessen-Kassel fasst einen Entschluss
ОглавлениеDer Landgraf Moritz von Hessen war 1598 nach Dresden gereist, um den jungen Kurfürsten Christian II. und seine Mutter Sophia zu besuchen. Am Dresdner Hof wurde zu dieser Zeit der neue Erzieher des Kurfürsten, Bernhard von Pölnitz, in sein Amt eingeführt. Anlässlich dieser Amtseinführung wurde ein Fest gefeiert. Während der Festlichkeiten gelang es Moritz von Hessen, ein längeres Gespräch mit dem um drei Jahre älteren Erzieher zu führen – ein Gespräch, das für den Landgrafen und für die Familie Schütz große Tragweite bekommen sollte.
Während des Festmahles saß der Landgraf neben Bernhard von Pölnitz, und als das Mahl beendet war, wandte sich Moritz von Hessen dem Erzieher zu und sagte:
„Ich gratuliere Ihnen zu dem neuen verantwortungsvollen Amt. Ich freue mich sehr, dass Christian in Ihnen einen gebildeten und weitgereisten Lehrer gefunden hat. Besonders glücklich bin ich darüber, dass Christian zu Ihnen ein tiefes Vertrauen besitzt.“
„Mich ehrt es, die Aufgabe der Erziehung des jungen Kronprinzen zu übernehmen. Sie haben es ja eben miterlebt, dass ich zum Appellationsrat und zum Kammerjunker ernannt wurde und den Amtseid ablegte.“
„Wie ich erfuhr, haben Sie auf einer Studienreise die Schweiz, Italien, Kroatien und Österreich kennengelernt.“
„So ist es! Aber auch Sie sind ein weitgereister und sehr gebildeter Mann. Man nennt Sie den „Gelehrten“. In Adelskreisen spricht man mit größter Achtung über Ihre Sprachkenntnisse und über Ihre gelungenen Kompositionen.“
„Ja, ich interessiere mich sehr für die Musik. Seit meiner Regierungsübernahme habe ich mir das Ziel gesetzt, eine Hofkapelle aufzubauen, die für alle deutschen Herrenhäuser Vorbild werden soll.“
„Dieses Ziel verfolgt auch Kurfürst Christian. Leider merke ich aber, dass der junge Herrscher mehr Sinn für die Freuden der Tafel und für die Jagd und Turniere hat, denn für Musik.“
„Trotz dieser Interessen sollte er den Aufbau der Hofkapelle nicht vernachlässigen. Hochzeiten, Taufen und Begräbnisse müssen musikalisch umrahmt werden. Auch die Kirchenmusik muss gefördert werden. Das ist unabdingbar.“
„Da haben Sie Recht! Aber die Musiker müssen heute auch den neuen Anforderungen gerecht werden. Ich habe in Italien eine Musik kennen gelernt, die die Herzen ergreift. Es ist eine so klangvolle göttliche Musik, dass ich ganz davon ergriffen wurde.“
„Solch eine Musik auch in Deutschland erklingen zu lassen, das ist mein Anliegen. Meine Reise gilt vor allem der Talentsuche. Ich brauche Musiker, die ich nach einem Studium in meiner Hofschule „Mauritianum“ in Kassel nach Italien zu Giovanni Gabrieli schicken kann, um sie dort zu exzellenten Musikern ausbilden zu lassen. Meine Hofschule soll eine Vorschule für die Musiker der Hofkapelle werden.“
„Ihre Hofschule …! Erzählen sie mir davon!“
„Im Mauritianum werden adlige Schüler in verschiedenen Sprachen, Naturwissenschaften und Gesang ausgebildet. Mir ist es aber auch wichtig, talentierte nichtadlige Schüler zu finden. Voraussetzung ist, dass sie aus gutem Hause kommen, wohlerzogen sind und über eine gute sprachliche, naturwissenschaftliche und musikalische Grundausbildung verfügen.“
„Da kommt mir ein Gedanke! Ich habe kürzlich in Weißenfels logiert. Dort wurde vom kürzlich verstorbenen Organist Georg Weber und dem Bürgermeister Heinrich Colander ein Collegium musicum gegründet, dass von sich Reden macht und – das ist bemerkenswert –, auch über gute Nachwuchstalente verfügt. Sie sollten sich diese Konzerte mal anhören. Vielleicht finden Sie in Weißenfels ein Talent, dass ihren Anforderungen entspricht!“
„Das ist wirklich eine gute Idee. Ich danke Ihnen für Ihren Hinweis! Auf der Rückreise nach Kassel werde ich in Weißenfels vorbeischauen.“
Als Moritz von Hessen in Weißenfels erschien, herrschte auf dem Marktplatz ein großes Gedränge. Viele Neugierige waren erschienen, um den fürstlichen Reitertrupp zu bestaunen. An der Spitze des Zuges ritt der Vorreiter mit einer Standarte und wies die Richtung an. Dann folgten bewaffnete Reiter.
Hinter der Reiterwehr ritt ein fürstlich gekleideter Herr in den zwanziger Jahren.
„Das ist der Landgraf Moritz von Hessen!“, riefen sich die Weißenfelser zu.
„Seht, die den Landgraf begleitenden Reiter haben Musikinstrumente bei sich!“, rief ein älterer Bürger.
„Er kommt wohl, um das Collegium musicum zu verstärken!“, meinte ein kleiner Junge.
Tatsächlich ritt der Trupp zum „Goldenen Ring“, in dessen Gasträumen heute, am Sonnabend, das Collegium musicum proben würde.
Heinrich und seine Brüder Christof und Georg waren dem Zuge gefolgt und sahen, wie der Landgraf mit seinem Gefolge vor dem „Goldenen Ring“ von den Pferden stieg.
Vater Christof und Mutter Euphrosine standen festlich gekleidet am Tor und begrüßten den hohen Gast.
„Fürstliche Durchlaucht, es ist uns eine Ehre, dass Sie in unserem Gasthaus logieren wollen.“
Vater Schütz verneigte sich.
„Es ist nur für eine Nacht. Ich reise morgen in der Frühe wieder ab. Jetzt aber bereiten Sie mir ein gutes ländliches Mahl und sorgen Sie auch für ein gutes Bier!“
„Fürstliche Durchlaucht, halten zu Gnaden, aber ich muss Ihnen sagen, dass nach dem Nachtmahl das Collegium musicum hier im Gastzimmer zusammenkommt, denn jeden Sonnabend ist hier in der Gaststätte Probe.“
„Deshalb bin ich gekommen. Der Ruf des Collegiums musicums ist so groß, dass ich eigens deshalb kam, um mich von dem Können der Musiker zu überzeugen.“
Als der Landgraf zunächst seine Schlafstätte aufsuchte, rief Christof Heinrich zu:
„Lauf zum Bürgermeister Heinrich Colander. Er soll die Ratsherren und die Musiker davon verständigen, welch hohen Gast wir heute haben werden.“
Christof Schütz ist froh. Es läuft alles so, dass er zufrieden sein kann. Die Köchinnen haben ein gutes Mahl bereitet und die Gäste scheinen zufrieden zu sein. Nach und nach treffen der Bürgermeister, die Ratsmitglieder und die Musiker ein, und als das Nachtmahl beendet ist, stellt sich der Knabenchor auf, und die Musiker nehmen ihre Plätze ein.
Bürgermeister Colander aber lässt es sich nicht nehmen, den hohen Gast feierlich zu begrüßen.
„Fürstliche Gnaden, wir die Bürger von Weißenfels und die Musiker des Collegiums musicum begrüßen Sie auf das Herzlichste, und wir wollen Ihnen heute vier-, sechs- und achtstimmige Chöre vorstellen. Wir singen die Werke der Meister Dulichius, Leisring, Vintzius und Ihres Kasseler Hofkapellmeisters Georg Otto, aber auch Werke unseres verstorbenen Kantors Georg Weber.“
Der Chor hat sich inzwischen aufgestellt und die Musiker nehmen ihre Plätze ein.
In der ersten Reihe der Chorknaben stehen Heinrich, Christof und Georg.
Heinrich Colander geht zum Spinett und gibt den Einsatz. Es ist der 23. Psalm von Georg Weber, der zuerst gesungen wird. Dem Organist kommt es darauf an, dass der Landgraf die anmutige Stimme Heinrichs kennenlernt, denn in dieser Motette singt der Dreizehnjährige die Solopartie.
Heinrichs heller Sopran erfüllt den Raum. Der blonde schlanke Knabe scheint während des Gesanges zunächst ganz in sich versunken zu sein, dann aber, als er die bewundernden Blicke des Landgrafen spürt und bemerkt, mit welchem Entzücken der Landgraf sein Solo aufnimmt, wirft er seinen Bewunderer einen strahlenden Blick zu. Der Fürst erwidert seine Blicke und nickt ihm aufmunternd zu.
Es ist, als hielten die beiden Musikbegeisterten ein stummes Zwiegespräch.
Heinrichs Herz jubelt. Er findet den Beifall des hohen Gastes.
Als Heinrich Colander nach diesem Musikstück das Konzert fortsetzen wollte, winkte der Landgraf ab. „Lass uns miteinander plaudern!“, rief er. Daraufhin nahmen Gäste und Musiker wieder an den Tischen Platz und es begann eine lebhafte Unterhaltung.
Landgraf Moritz wendete sich an Heinrich Colander.
„Mir gefallen die Psalmen Davids von Georg Weber. Sind sie schon gedruckt?“
Moritz von Hessen wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Schon stellte er die nächste Frage.
„Sie spielen Werke meines Hofkapellmeisters Georg Otto. Welche Werke sind das?“
Heinrich Colander war eifrig bemüht, die Fragen zu beantworten, aber es schien, als wollte der Fürst gar keine langen Ausführungen hören. Es drängte Moritz von Hessen, die für ihn wichtigste Frage zu stellen:
„Wer ist der junge Solosänger?“
„Das ist der dreizehnjährige Heinrich Schütz, Sohn des Gastwirtes.“
Der Landgraf schien mit dem Gespräch zufrieden zu sein, denn er forderte die Musiker auf, die Probe fortzusetzen. Jetzt wurden auch die Kasseler Musiker mit einbezogen. Es wurde ein erquickendes Konzert und für alle Beteiligten ein einmaliges Erlebnis. Zum Schluss vereinigten sich alle Sänger – die Weißenfelser und die von der Hofkapelle Kassel – und sie sangen zum Schluss gemeinsam:
„Die Nacht ist kommen …“
Ehe Heinrich den Gastraum verließ, trat der Landgraf auf ihn zu.
„Ich erwarte dich morgen früh vor dem Frühstück hier im Gastraum. Ich möchte dich examinieren.“
Heinrich sah den Fürst mit großen Augen an, verbeugte sich und sagte: „Ich werde mich morgen früh bereit halten!“
Danach verließen sowohl die Gäste als auch die Musiker den Gastraum. Nur der Wirt und der Landgraf waren geblieben.
„Holen Sie uns den besten Wein Ihres Weinkellers und füllen Sie unser beider Becher!“, rief der Landgraf frohgemut.
Nachdem beide, der Landgraf und der Wirt, sich gegenübersaßen und den Wein genossen, sagte der Fürst:
„Ich bin begeistert von der guten musikalischen Darbietung und bin erstaunt darüber, dass im thüringisch-sächsischen Raum die Musik so gepflegt wird.“
„Es freut mich, Eure Durchlaucht, ein solches Lob aus Ihrem Munde zu vernehmen. Unser Collegium musicum wurde 1592 vom Stadtrat bestätigt. Wir pflegen Kirchenmusik und singen und spielen bei Festlichkeiten. Stolz sind wir auch auf unseren Nachwuchs. Viele unserer Chorknaben sind Schüler der hiesigen Lateinschule.“
„Ich bewunderte heute Abend vor allem die Stimme ihres Sohnes Heinrich. Man spürt, dass ihn die Musik ganz und gar erfüllt und ihm die Liebe zur Musik aus dem Herzen kommt. Ist er auch ein Lateinschüler?“
„Ja, er besucht die Lateinschule und ist, nach Aussage seiner Lehrer, ein sehr guter Schüler, der mit Begeisterung lernt.“
„Ich suche gute Sänger, die auch wohlerzogen und gebildet sind. Deshalb will ich ganz frei heraus sprechen: Geben Sie mir Ihren Jungen mit. Er soll in meiner Hofschule eine gute Ausbildung erhalten, eine Ausbildung, die Voraussetzung für ein Studium ist, denn Ihr Sohn soll nicht nur gesanglich, sondern auch sprachlich und naturwissenschaftlich ausgebildet werden.“
Fragend und erwartungsvoll schaute Moritz von Hessen Christof Schütz an und konnte die Antwort kaum erwarten. Aber es kam keine Antwort. Für Christof Schütz war dieses Angebot zu überraschend, zu unvermittelt. Zwar war er stolz auf seinen Sohn, aber er wusste, wie sehr Euphrosine an dem Jungen hing, und er konnte es sich einfach nicht vorstellen, schon morgen diesen Jungen in die Ferne zu schicken. Außerdem hatte er Angst, dass Heinrich zum Musiker ausgebildet werden sollte. Er hat anderes mit seinen Jungen vor. Sie sollten Ärzte oder Juristen werden. Musik können sie nebenbei betreiben, war seine Meinung.
Moritz von Hessen-Kassel war verärgert. „Warum antwortet der Mann nicht?“, dachte er und zog die Stirn in Falten.
„Geben Sie mir Bedenkzeit“, äußerte sich endlich der Gastwirt.
„Aber nur bis morgen in der Frühe, denn ich reise morgen schon beizeiten ab.“
Recht unmutig verabschiedete sich der Landgraf an diesem Abend, und Christof Schütz tat nichts, um den Unmut des hohen Gastes zu besänftigen.
Heinrich kommt, wie versprochen noch vor dem Frühstück in den Gastraum. Der Landgraf sitzt schon am Spinett. Er spielt eine Melodie und fordert den Knaben auf: „Sing die Melodie nach!“
Heinrich fällt das nicht schwer.
Dann spielt Moritz von Hessen einen Ton, dazu soll Heinrich die Terz, dann die Quart, die Quint, die Septime und die Oktave singen. Er soll einen Dur- von einem Molldreiklang unterscheiden. Zuletzt fordert der Prüfende den Knaben auf: „Spiel du etwas auf dem Spinett!“
Heinrich spielt das Lutherlied: „Eine feste Burg ist unser Gott …!“
Kaum hat Heinrich das Lied beendet, kommt der Vater, um das Frühstück vorzubereiten.
Der Landgraf schickt Heinrich fort und tritt auf den Wirt zu.
„Ich warte auf Ihre Antwort! Wie haben Sie sich entschieden?“
Wieder zögert der Vater mit der Antwort. Dann überwindet er sich und sagt:
„Der Junge ist uns sehr ans Herz gewachsen. Meine Gemahlin kann den Gedanken, ihn so jung in die Fremde zu schicken, nicht ertragen. Das Angebot kommt gar zu unvermittelt.“
Der Landgraf ist enttäuscht, tief enttäuscht und begreift nicht, dass ein Gastwirt es sich leisten kann, ein Angebot, das seinem Sohn eine fürstliche Erziehung in Aussicht stellt, abzuschlagen.
Im Frühjahr 1599 saß Moritz von Hessen mit Georg Otto am Spinett und spielte mit ihm eine seiner Kompositionen. Als das Spiel beendet war, lehnte er sich zurück, stöhnte laut und sagte:
„Ich will Nachwuchs fördern und habe kein Glück bei der Talentsuche, Praetorius bliebt in Braunschweig und auch Haßler ist nicht zu bewegen, zu mir zu kommen. Am meisten aber ärgere ich mich über meinen Misserfolg in Weißenfels. Ich kann nicht begreifen, dass der Vater dieses musikalisch so talentierten Heinrich Schütz sich weigert, die göttlichen Gaben seines Sohnes zu fördern. Das Collegium musicum mag eine Vorstufe für eine gute musikalische Ausbildung sein, aber hier in Kassel habe ich treffliche Lehrer, die den Schülern eine universelle weltliche und musikalische Ausbildung geben, die der Junge in Weißenfels nie und nimmer erlangen kann.“
„Sie sollten noch einmal nachstoßen. Schreiben Sie dem Vater!“
„Was soll ich ihm denn schreiben?“
„Das, was Sie mir jetzt versucht haben plausibel zu machen!“
Moritz lachte: „Sie sind ein Schalk! Aber Recht haben Sie! Dennoch – ist es nicht demütigend, wenn ich, der Landgraf Moritz von Hessen, den Gastwirt Schütz, nachdem er mich abwies, ein zweites Mal bitte und noch dazu schriftlich?“
„Wollen Sie Nachwuchstalente oder nicht?“
„Wiederum haben Sie Recht! Noch heute setze ich mich hin und schreibe.“
Moritz von Kassel hielt Wort. Er setzte sich tatsächlich noch am selben Abend an den Schreibtisch und schrieb an Christof Schütz, den Ratsherren und Gastwirt zu Weißenfels.
Er schrieb die gleichen Worte, die er Georg Otto gegenüber geäußert hatte und setzte noch hinzu, dass er im Sommer mit seiner Hofkapelle auf Reisen gehen und, an Weißenfels vorbeireitend, einen Kurier zum „Goldenen Ring“ schicke werde, um Heinrich abzuholen.
Dann setzte er seine Unterschrift unter das Schreiben: „Der Euch wohlaffectionierte Landgraf Moritz von Hessen.
Am Morgen übergab er den versiegelten Brief einem reitenden Boten mit den Worten:
„Reiten Sie nach Weißenfels und geben Sie diesen Brief dem Gastwirt des „Goldenen Ring“ persönlich!“
Wie staunten die Weißenfelser als im Frühjahr ein reitender fürstlicher Bote Einlass in die Stadt begehrte und geradewegs zum Gasthof „Goldener Ring“ galoppierte.
Am Gasthof angekommen, übergab er das schweißtriefende Pferd dem Pferdeknecht und eilte in die Gaststube. Es war früher Nachmittag und in der Gaststube saßen nur wenige Gäste. Euphrosine hielt sich mit der vier Monate alten Justine im Gastraum auf und spielte mit dem fröhlich ausgelassenen Kind. Sie hatte in Weißenfels drei Kinder geboren, das jetzt sechsjährige Töchterchen Euphrosine, den dreijährigen Christian und den zweijährigen Benjamin, die heute in der Obhut einer Magd waren.
Da eilte schnellen Schrittes ein fürstlicher Bote in das Zimmer. Christof Schütz schaute erschrocken hoch, und ehe er es sich versah, überreichte der Kurier ihm ein versiegeltes Schreiben.
Christof wurde blass: Es war ein Brief von Moritz von Hessen.
Aufgeregt entsiegelte er den Brief. Als er ihn gelesen hatte, nickte er Euphrosine zu:
„Komm und lies. Der Landgraf schreibt uns. – Welch eine Ehre! – Übergib mir unser Töchterchen, damit du in Ruhe lesen kannst.“
Zärtlich nahm Christof Schütz Justine in den Arm. Das Kind jauchzte auf und fuhr dem Vater unsanft in die Haare.
Als Euphrosine den Brief gelesen hatte, leuchteten ihre Augen.
„Christof, welch eine Freude! Ich dachte schon, wir haben Heinrichs Glück aufs Spiel gesetzt!“
„Aber Euphrosine, ich begreife nicht! Gerade du, die den Knaben abgöttisch liebt, willst ihn in die Fremde geben?“
„Frag Heinrich selbst. Eines steht fest: Er war tief enttäuscht über deine Absage und litt damals sehr darunter. Hast du das nicht bemerkt?“
„Ruf Heinrich!“
Es war, als hätte Heinrich sich schon in der Nähe aufgehalten, denn er stand schon wenige Minuten später vor den Eltern.
„Heinrich, der Landgraf will dich in Kassel an seiner Hofschule ausbilden lassen. Du bist noch sehr jung und wirst Vater, Mutter und Geschwister entbehren. Was meinst du, sollen wir dich in Kassel ausbilden lassen?“
„Ja gern, denn ich habe Lust und Liebe in die Welt zu ziehen!“
Dabei strahlten Heinrichs Augen und Christof dachte: „Er ist wie die Mutter, seine tiefen Gefühle spricht er selten aus, aber man muss ihn nur in die Augen sehen, um zu begreifen, was er denkt und fühlt!“
Christof Schütz aber war ein bedächtiger Mann. Solche schnellen Entschlüsse konnte und wollte er nicht fassen.
„Ich berate mich noch mit Heinrich Colander, ehe ich mich entscheide.“
Als er an diesem Abend nach Hause kam, sagte er zu Euphrosine:
„Wenn der Kurier im Sommer kommt, werde ich mit nach Kassel reiten und bis dahin sollen Heinrich, Georg und Christof das Reiten erlernen. Sie werden alle drei ein Pferd bekommen. Die Pferde kann ich auch in der Wirtschaft gut gebrauchen. Aber eines steht fest: Meinen Sohn lasse ich nicht entführen. Ich führe ihn eigenhändig dem Fürsten zu – und damit basta!“