Читать книгу Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt - Серена Руст - Страница 11
ОглавлениеEin Blick ins Giraffenparadies
»Die Welt in der wir leben, entsteht aus der Qualität unserer Beziehungen.«
Martin Buber
Hier kommt nun eine erste Kostprobe der Einfühlsamen Kommunikation, ein kleiner Dialog in der so genannten »Giraffensprache«.
»Wenn du so schnell fährst, fühle ich mich un-wohl.«
»Hast du Angst, dass etwas passieren könnte?«
»Ja, ich bin ein bisschen besorgt – und ich kann bei dem Tempo die Landschaft auch gar nicht genießen. Bitte fahre etwas langsamer!«
»Okay! Ich freue mich ja darüber, dass wir zum Vergnügen unterwegs sind. Ich fühle mich doch noch etwas angespannt vom Job. Was hältst du davon, wenn ich dort vorne am Restaurant anhalte und wir auf der Terrasse einen Kaffee trinken?« »Oh! Das gefällt mir!«
Wäre es nicht wundervoll, wenn unsere Gespräche so ablaufen würden? Und wenn das nicht nur zufällig in Sternstunden geschähe, sondern wenn wir ein klares Handwerkszeug hätten, damit wir uns bewusst so ausdrücken können, dass diese herzliche Verbindung entsteht?
Marshall Rosenberg hat einen Prozess von vier aufeinander folgenden Schritten entwickelt, in denen wir davon sprechen, wie es uns geht und was wir brauchen, um uns besser zu fühlen. Diese vier Schritte bilden die Brücke, über die wir aus unserer bisherigen »normalen« Art der Kommunikation in das Giraffenparadies gelangen. Ich stelle sein Modell hier kurz vor und gehe später ausführlich auf jeden einzelnen Schritt ein.
1. Schritt: Beobachten – ohne zu bewerten
Im ersten Schritt sage ich, was genau der Anlass ist, weshalb ich dieses Gespräch beginne. Wichtig ist, dass ich keine Bewertung in meine Aussage hineinmische.
Was genau war der Auslöser, auf den ich reagiert habe? Was habe ich gesehen oder gehört?
Wenn ich sage: »Du kommst 20 Minuten nach dem Filmanfang!«, drücke ich aus, was ich beobachte. Sage ich: »Du kommst schon wieder zu spät!«, mische ich hinein, was ich davon halte.
2. Schritt: Fühlen – ohne zu interpretieren
Im zweiten Schritt spreche ich mein Gefühl an. Ich kann z.B. ängstlich sein, froh, betroffen, frustriert, berührt oder traurig. Sage ich hingegen: »Ich fühle mich von meinem Chef übergangen!«, drücke ich aus, wie ich ein bestimmtes Verhalten meines Chefs interpretiere.
3. Schritt: Bedürfnisse – statt Strategien
Im dritten Schritt sage ich, welches Bedürfnis hinter diesem Gefühl liegt, das mich bewegt, z.B. das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Freiheit, Sicherheit, Autonomie, Sinn.
Mit dem Satz: »Ich brauche Erholung«, drücke ich ein Bedürfnis aus. Sage ich hingegen: »Ich möchte morgen einen Ausflug machen«, spreche ich von einer Strategie, einem konkreten Weg also, wie ich mein Bedürfnis nach Erholung befriedigen will.
4. Schritt: Bitten – statt fordern
Und im vierten Schritt schließlich äußere ich eine Bitte, in der ich sehr konkret sage, was ich jetzt gerne möchte.
»Bitte, kannst du die Spülmaschine gleich ausräumen?«
Ob das eine Bitte oder eine Forderung ist, entscheidet sich daran, ob der andere »Nein« sagen kann, ohne dass unsere Verbindung leidet oder er mit Sanktionen rechnen muss.
Wir können diese Vier Schritte anwenden, um uns selbst auszudrücken und wir können sie anwenden, wenn wir anderen zuhören, um uns in ihre Beobachtungen, ihre Gefühle, ihre Bedürfnisse und ihre Bitten einzufühlen. Auf diese Weise wird unsere Kommunikation zu einem hin und her schwingenden Tanz zwischen dem, was ich beobachte, fühle, brauche und erbitte und dem, was du beobachtest, fühlst, brauchst und erbittest.
Die Vier Schritte geben mir das Gefäß, die Struktur, in die ich meine Worte gieße.
»Sie sind einfach, aber nicht leicht!«, hörte ich kürzlich über die Vier Schritte. Das stimmt. Sie sind ein leicht überschaubares Modell, doch wenn wir sie anwenden wollen, finden wir uns häufig unversehens in den Denk- und Sprechweisen wieder, die uns seit Jahrzehnten vertraut sind.
Ich selbst war überrascht und zunehmend irritiert, wie ich entgegen meiner bewussten Absicht automatisch immer wieder in die Wolfssprache rutschte! Also musste ich mir erst mal die Welt meines inneren Wolfes mit ihren Sprachformen bewusst machen, um sie identifizieren und verändern zu können.