Читать книгу Auf Seinen Knien - Shanae Johnson - Страница 5

Kapitel Zwei

Оглавление

Maggie blickte auf das schlafende Tier auf ihrem Operationstisch. Das helle Licht des Operationssaals erleuchtete den Raum und warf keinerlei Schatten auf ihre Hände. Das Skalpell in ihrer Hand würde diesmal nicht das übliche Wunder bewirken können und sie hatte keinen Trumpf mehr im Ärmel. Der Hund würde seine beiden Hinterbeine verlieren.

Obwohl das Tier narkotisiert war, zitterte seine Unterlippe, als ahnte es, was mit ihm passieren würde. Es sah aus, als würde es trotz aller Umstände versuchen, nicht die Fassung zu verlieren. Wenn jemand das verstand, dann sie. Das Leben hatte dem kleinen Kerl offenbar gehörig zugesetzt und ihn dann sich selbst überlassen.

Er hatte keine Hundemarke und kein Halsband. Irgendwann im Laufe des frühen Morgens hatte ihn jemand einfach auf der Schwelle der Tierarztpraxis abgesetzt. Als Maggie zur Arbeit gekommen war, hatte sie das blutende Tier auf den makellos sauberen Stufen gefunden. Der Hund hatte sie misstrauisch angeschaut. Er war zu erschöpft gewesen, um zu knurren. Resigniert hatte er die Augen geschlossen, während er darauf wartete, dass sie ihm etwas noch Schlimmeres antat, als ihm bisher geschehen war. Doch sie hatte ihn nur hochgehoben, in die Klinik hineingetragen und sich an die Arbeit gemacht.

Die Geschichte des Hundes hätte Maggies eigene Lebensgeschichte sein können. Obwohl sie nie körperlich geschlagen worden war, hatte sie mehr als genug seelische Schläge einstecken müssen. Als Grundschulkind war sie von ihren Eltern verlassen worden. Während sie in der Schule war. Sie hatten sie einfach dort gelassen und nie abgeholt.

Seitdem hatte sie in Pflegefamilien gelebt und auf die Rückkehr ihrer Eltern gewartet. Doch sie waren nie wieder zurückgekehrt.

Am Anfang hatte sie es als ihr Los hingenommen. Sie wusste, dass viele Tiere ihre Jungen früh sich selbst überließen. Doch dieser Gedanke hatte sie nicht lange überzeugen können, denn sie hatte weiterhin Eltern gesehen, die ihre Kinder von der Schule abgeholt, sie ins Auto gesetzt und mit nach Hause genommen hatten. Sie hatte zugeschaut, wie Geschwister und Kinder aus der gleichen Straße oder Kinder mit den gleichen Interessen Gruppen bildeten und zusammenhielten und sich gegen die wandten, welche allein waren.

Maggie war allein gewesen. Die anderen Kinder, die wie sie in Pflegefamilien lebten, hatten sie entweder nicht in ihre Gruppe aufgenommen oder waren adoptiert worden und nie wieder zurückgekehrt. Maggie hatte nie eine Herde gehabt; oder zumindest keine menschliche.

Kein Erwachsener war je für sie eingetreten. Man hatte sie einfach im System versauern lassen, da sich nie eine Familie gefunden hatte, die sie hatte adoptieren wollen. Sie war ein Pflegekind gewesen, ein anderes Wort für „willkommene Geldquelle“ oder „billige Arbeitskraft“, bis sie erwachsen geworden war und sich aus dem Teufelskreis befreien und auf eigenen Füßen hatte stehen können.

Doch dieser arme Hund hier vor ihr konnte aufgrund seiner Verletzungen nicht mehr auf seinen eigenen vier Pfoten stehen. Er würde nie mehr rennen können. Niemand würde einen behinderten Hund haben wollen. Das arme Tier hatte nie jemanden gehabt, der sich für es eingesetzt hatte. Und nun würde es eingeschläfert werden.

Maggie legte das Skalpell zur Seite und nahm die Nadel mit der blauen Flüssigkeit zur Hand. Das Pentobarbital würde für das arme Tier eine Erlösung sein. Sie wusste das. Sie hatte unzählige andere Fälle gesehen, die mit einer Verletzung oder Krankheit begonnen hatten und hier auf diesem Tisch geendet waren, unter diesen Lampen, mitten in diesem Operationssaal, wo niemand mehr ein freundliches Wort oder eine zärtliche Streicheleinheit für sie übrig hatte.

„Beeil dich, Maggie. Ich habe eine Verabredung auf dem Golfplatz und muss um zwei am Abschlag sein.“

Dr. Arthur Cooper war der Eigentümer des Operationssaals, in dem Maggie gerade stand. Für ihn gab es in Fällen wie diesem ein festgelegtes Prozedere, und die Geschichte endete immer gleich.

„Jetzt setz dem Köter schon die Spritze, damit ich für heute zumachen kann.“ Während er das sagte, schaute er weder sie noch das Tier an, dessen Leben gleich zu Ende sein würde.

Ein Geräusch hinter der Tür ließ Dr. Cooper aufblicken. Er setzte sein interessiertes Gesicht auf, als eine der neueren Sprechstundenhilfen hereinkam. Natürlich lächelte er sie an. Er musste schließlich die Fassade aufrechterhalten, dass er ein anständiger Mensch war.

Einen Augenblick später verwandelte sich sein interessierter Ausdruck in ein erfreutes Lächeln, als ihm eine Kundin ihre alte, stinkende, an Arthritis leidende Katze präsentierte. Es war eine sehr gute Kundin. Sie kam zu jeder Untersuchung, die man ihr vorschlug, kaufte die teuersten Futtermarken, die er in diesem Monat besonders anpries und war immer bereit, sich die neusten Angebote der Tierversicherungen anzuschauen. Sobald die Dame und ihre Katze wieder gegangen waren, verschwand die Freundlichkeit von seinem Gesicht und wich einem angeekelten Ausdruck.

Maggie hasste den Mann. Wie konnte man nur mit Tieren arbeiten, ohne dass man sie überhaupt mochte? Für ihn waren sie nur so viel wert, wie sie ihm einbrachten. Maggie als Angestellte hingegen konnte sich den Luxus leisten, nicht so herzlos zu sein. Sie verdiente ohnehin nicht genug.

Eigentlich konnte sie sich überhaupt keinen Luxus leisten. Und sie konnte es sich ganz bestimmt nicht leisten, noch ein verletztes Tier aufzunehmen. Maggie schaute hinab auf den schlafenden Hund auf dem Tisch. Eine einzelne Träne rollte über ihre Wange. Und auf einmal wusste sie, was sie zu tun hatte.

Maggie schaute zu Dr. Cooper auf und setzte ein falsches Lächeln auf, das dem seinen Konkurrenz machte. „Wollen Sie nicht für heute Feierabend machen und gehen? Ich beende das hier und mache dann die Klinik für Sie zu.“

Dr. Cooper beäugte sie misstrauisch. Dann schaute er hinab auf den Hund. „Sie werden nicht wieder Probleme machen, oder? Sie haben mich schon einmal hintergangen. Wenn das noch einmal passiert, werden Sie entlassen.“

Das war das Problem mit Ärzten. Sie waren ziemlich kluge Menschen. Als Maggie das letzte Mal einen Hund hatte einschläfern sollen, hatte sie ihn aus der Hintertür der Klinik hinausgeschmuggelt. Er lag jetzt gemütlich in ihrer Wohnung. Vermutlich in ihrem Schrank auf einem Haufen Schuhe.

„Dieses Tier würde sowieso keine Lebensqualität mehr haben“, sagte Dr. Cooper gerade. „Es würde hunderte von Dollar pro Monat kosten, ihn zu versorgen.“

Ist ein Leben das nicht wert?, wollte sie fragen. Aber das tat sie nicht. Stattdessen sagte sie etwas, das ebenfalls stimmte. „Ja, ich verstehe. Ich habe meine Lektion gelernt. Ich brauche diese Arbeit, damit ich mich um die Tiere kümmern kann, die ich schon habe.“

Sie hatte vier Hunde, alle mit schweren Verletzungen oder Krankheiten, die sie mehr Geld kosteten als ihre Miete. Wenn sie die Stelle verlieren würde, hätte sie nicht mehr genug Geld, um alle zu versorgen oder ihre Wohnung zu bezahlen.

Maggie nahm die Spritze in die Hand und schnipste ein paar Mal mit dem Zeigefinger dagegen.

Dr. Cooper schaute auf die Uhr. Dann blickte er wieder zu ihr. Seine Golf-Verabredung gewann, wie sie es erwartet hatte. Er drehte sich in seinen teuren Schuhen aus Krokodilleder um und ging zur Tür hinaus.

Maggie atmete erleichtert auf und legte die Spritze wieder hin. Sie verband den Hund. Die Verletzung war schon länger her und hatte bereits begonnen zu heilen. Jetzt musste sie neben seinem Körper nur noch seine Seele gesundpflegen.

Sie wickelte den Hund in eine Decke und ging mit ihm nach hinten. Beinahe hatte sie die Tür erreicht, als sie um eine Ecke bog und direkt in Dr. Cooper hineinlief, der von seiner Uhr aufschaute und ihr direkt ins Gesicht blickte. Natürlich war das genau der Moment, in dem der Hund aus seiner Narkose erwachen und bellen musste.

Es war ein leises, unsicheres Bellen, das sie vielleicht noch als das Knurren ihres eigenen Magens hätte ausgeben können. Schließlich hatte sie wieder einmal das Mittagessen ausgelassen. Doch für das kleine Rinnsal, das aus der Decke heraus und direkt auf Dr. Coopers teure Lederschuhe lief, hatte sie keine Erklärung. Aber eigentlich freute sie sich sogar darüber.

Der kleine Hund war ein braves Kerlchen. Sie wusste nicht, wie sie ihn jetzt, da sie ihre Arbeit verloren hatte, ernähren und versorgen sollte, aber sie würde ihn behalten.

Auf Seinen Knien

Подняться наверх