Читать книгу Die HexenLust Trilogie | Band 3 | Erotischer Roman - Sharon York - Страница 5
ОглавлениеSchmerzhafte Erinnerungen von Sharon York
»Wo soll es hingehen?«, wollte der Taxifahrer genervt wissen.
»Nach Midtown, 5th Avenue.« Einen Augenblick lang sah ich auf seine Seele, nur, um mich dann entspannt zurückzulehnen. Er war zweifelsohne ein Mensch. Nicht, dass von Menschen nicht auch eine gewisse Gefahr ausging, aber mit einem großgewachsenen Kerl mit Messer oder Pistole würde ich schon klarkommen.
Noch immer strömte das Blut in meinem Körper so heiß, als würde es brodeln. Die bleiernen Gedanken wollten meinen Verstand einfach nicht verlassen. Also lehnte ich meinen Kopf gegen die Scheibe und versuchte, ruhig durch die Nase zu atmen.
Ohne große Eile steuerte der Fahrer den Wagen in Richtung Midtown. Meine Gedanken malträtierten mich noch einige Minuten, dann wischte der Fahrtwind meine Bedenken beiseite. Obwohl tagsüber brütende Hitze über der Stadt lag, wehte nachts eine kühle Brise. Auf der 5th Avenue waren die Massen bereits in Bewegung. Die Prunkstraße präsentierte sich im festlichen Gewand, als ich das Flatiron Building passierte.
Die aerodynamische Form des Gebäudes führte dazu, dass sich gerade hier starke Luftströmungen bildeten. Frauen mussten daher aufpassen, dass ihre Röcke nicht hochgeweht wurden. Es hieß, dass in den frühen Tagen des Gebäudes Männer extra hierhin kamen, um den damals seltenen Anblick unbedeckter Frauenbeine erhaschen zu können. Mittlerweile brauchten sie das nicht mehr, nackte Frauen gab es schließlich im Internet zuhauf.
Wo zum Teufel war er nur?
Er, dessen Namen meine Freundinnen nicht aussprachen, aus Angst, die alten Wunden wieder aufzureißen: Maddox.
Vor zwei Jahren hatte ich die beiden Personen, denen ich am meisten vertraute, um etwas gebeten. Er war eine davon. Obwohl es mir das Herz zerriss, ihn wegzuschicken, war es die einzige Möglichkeit gewesen, etwas über mich herauszufinden. Sicher, er war der Sohn des Teufels, aber er hatte sich gegen den Vater und seine Brüder auf die Seite seiner menschlichen Mutter gestellt, um mit uns gegen die Schattenwesen zu kämpfen. Ein mehr als ehrenhafter Wesenszug. Dabei hätte er in der Hölle herrschen können.
Früher hielt ich die Geschichten für Märchen, die man den jungen Hexen erzählte, damit sie keine Dummheiten machten und ihnen gleichzeitig Hoffnung gaben. Jeder kannte die Story.
Alle hundert Jahre darf der Teufel für eine Nacht auf Erden wandeln und ohne seine Kräfte versuchen, eine menschliche Frau zu verführen. Viermal hatte es geklappt. Dafür wird in derselben Zeitspanne eine absolute Hexe geboren – eine Hexe sechsten Grades. Walpurga war so eine. Doch danach wurde nie wieder eine gesehen. Die Meinung meiner Ziehmutter und Chefin des Zirkels-Ost, Marie de la Crox, war, dass die meisten nie gefunden würden. Denn es war eine Sache, dass die Hexen tatsächlich geboren wurden, und eine andere – weitaus schwierigere –, sie auch zu finden und für den Zirkel auszubilden. Immerhin waren wir ein Geheimbund, von dem nicht einmal die Regierung wusste. Sozusagen eine Schattenarmee, die in allen Ländern der Welt existierte und trotzdem ungesehen von den Menschen agierte. Hexen waren auf dieser Welt rar gesät. Wir hatten keine Webseite, auf der man sich einfach so bewerben konnte, sondern suchten uns unsere Mitarbeiter selbst aus. Es gab eine ganze Abteilung im Zirkel, die sich nur mit Nachwuchsgewinnung beschäftigte. Sobald in irgendeinem Käseblatt oder in einer Schulakte ein interessanter Bericht über ein junges Mädchen auftauchte, dass angeblich ihren Bleistift zum Schweben brachte oder einen Mitschüler, ohne ihn zu berühren, durch das Fenster schleuderte, schickten wir ein Team raus, um es zu überprüfen. Am achtzehnten Geburtstag hatte man die Wahl: ein normales Leben führen oder die Berufung als Hexe. Unterschrieben wurde dieses Abkommen mit Blut.
Nachdenklich fuhr ich mir über den rechten Zeigefinger und erinnerte mich daran, wie es bei mir gewesen war. Keine große Zeremonie, nur de la Crox und wir Mädchen in ihrem Büro. Es folgte eine Ansprache, Küsse auf die Wangen und der stolze Blick meiner Ziehmutter. Zumindest waren die Cocktails an der Bar an diesem Abend auf die Kosten des Zirkels gegangen. Ein starker Jahrgang, wie de la Crox mir später gestand. Doch eine absolute Hexe war nicht dabei gewesen. Wie in den letzten Jahrhunderten auch nicht.
Mittlerweile fragte ich mich, ob die Geschichten stimmten oder ob sie nur dafür da waren, um uns Hexen Mut zu machen und weiterhin gegen die Übermacht aus Vampiren, Dämonen und Formwandlern anzukämpfen. Immerhin setzen wir Nacht für Nacht unser Leben aufs Spiel, damit die Menschen ihre Existenz in süßer Ungewissheit weiterleben konnten.
Das war angeblich Teil des Paktes zwischen dem Teufel und Gott. Wenn es nach mir ginge, wurde es so langsam Zeit, dass der da oben seinen Teil der Abmachung einhielt und uns eine Hexe sechsten Grades sandte.
Die andere Person, die ich um diesen unerhörten Gefallen gebeten hatte, war jemand ganz besonderes. Und das selbst für magische Maßstäbe. Er war ein überaus charmanter und gutaussehender Spiegeldämon, der mich seit meinem ersten Auftrag fasziniert hatte. Doch seitdem Ira und ich vor einiger Zeit auf gemeinste Weise Informationen aus ihm herauskitzeln mussten, hatte er sich merklich aus dem Geschäft zurückgezogen. Und das, obwohl er mich in die Welt der Dämonen und Halbwesen eingeführt hatte.
Bashir.
Endlich entdeckte ich den kleinen Antiquitätenhändler im Erdgeschoss der Nummer 500 in der 5th Avenue. Zwischen all den Hochglanzgeschäften wirkte er hier fehl am Platz. Besonders, weil die Fassade urig wirkte, fast alt, als hätte man den Laden aus dem 19. Jahrhundert herausgerissen und hier aufgestellt.
Mein Mundwinkel zog sich amüsiert nach oben, als ich bemerkte, dass ich damit wahrscheinlich gar nicht so falsch lag. Ich sollte wissen, dass die bemalten Teller, die verschnörkelten Tassen und die antiken Bücher nicht wirklich das Tagesgeschäft ausmachten. Kein Name prangte über dem Geschäft, vor dem mein Taxi hielt, jedoch brannte innen noch Licht und ich trat ohne zu klopfen einfach ein. Eine Klingel kündete von meinem Erscheinen.
»Einen Moment«, ertönte eine sanfte Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes. Er war wahrscheinlich wieder in einem seiner dicken Wälzer versunken, übersetzte gerade etwas auf Altaramäisch oder wickelte seine Geschäfte ab, dachte ich und lenkte meinen Blick auf die Nachbildung eines Dolches. Wie früher. Auf einem kleinen Schild unter der Waffe stand in alter Schrift: Saladin, der siegreiche Herrscher.
Ich ging in die Knie, um die Klinge genauer unter die Lupe zu nehmen, und in diesem Moment wurde mir klar, dass dieser Dolch tatsächlich dem großen Feldherren gehört haben musste. Zuzutrauen wäre es Bashir. Immerhin war es nicht das erste unbezahlbare Artefakt, welches über Umwege den Weg in seinen Laden geschafft hatte und wofür er astronomische Summen verlangen konnte. Diese verstaubte Waffe lag also immer noch hier. Schon bei meinen letzten Besuchen war sie mir aufgefallen. Sie schien ein Ladenhüter zu sein.
»Guten Abend, Isabelle.«
Tatsächlich. Er erschien mit einem dicken Buch im Arm.
»Hallo Bashir«, sagte ich und strich mit dem Finger über eine uralte Porzellanspieluhr.
»Ich hatte damit gerechnet, dass du mir heute Abend noch einen Besuch abstatten wirst.«
Vielleicht war das eine der Eigenschaften, die mich schon immer an ihm beeindruckt hatten. Seine Intelligenz, der messerscharfe Verstand, seine Belesenheit. Natürlich, wenn man schon Hunderte von Jahren lebte, konnte man einiges an Wissen anhäufen. Jedoch brachte niemand dieses Wissen auf eine charmantere Art zu Tage als Bashir. Er war bestimmt kein Bad-Boy, aber er hatte noch die Zeit miterlebt, als Ritter voller Edelmut strotzten und Burgfräulein retteten. Wenn alle Männer einen Bruchteil seiner Eigenschaften in sich vereinen würden, dann hätten wir Frauen gar nichts mehr, worüber wir meckern könnten.
»Harte Nacht gehabt?« Langsam schritt er auf mich zu, der Rollkragenpullover spannte ein wenig über seinem muskulösen Oberkörper. Die dunklen, schulterlangen Haare hatte er zurückgekämmt und mit ein wenig Haarwasser verfestigt. »Ich nehme an, diese Vampir-Bar benötigt nun einen neuen Anstrich?«, sagte er ruhig und mit amüsiertem Unterton.
Ich nickte wortlos. Es war mir schleierhaft, warum er schon wieder wusste, was passiert war.
Er bedachte mich mit einem verstehenden, umwerfenden Lächeln. Normale Menschen würden ihn vielleicht für einen sehr attraktiven Mittdreißiger mit jugendlichen Gesichtszügen halten. Ich wusste es besser, obwohl sein richtiges Alter auch mir verborgen blieb und er sein wahres Geburtsjahr wie einen kostbaren Schatz behütete.
»Wirkt der Zauber des Schwarzmagiers noch?«
Jeden anderen hätte ich mit einer Druckwelle an die nächste Wand geschleudert. Doch nicht Bashir.
Ich grinste verlegen. »Du wusstest davon?«
Er ging in die kleine Teeküche und reichte mir ein warmes, duftendes Handtuch, womit ich mein Gesicht reinigen konnte. Bashir liebte diese kleinen Extravaganzen des Lebens. Teuren Scotch, exquisite Zigarren, feinste Anzüge und glänzende Oldtimer. Natürlich war dieses kleine Ladenlokal nur eine Deckadresse, sein Refugium. Im Hintergrund florierte der Handel mit magischen Artefakten und das schon seit Jahrzehnten, wenn nicht noch länger. Es war schön zu sehen, dass Bashir seinen Laden wieder aufgebaut hatte.
»Man hört die Geschichten auf der Straße«, gab er unverhohlen zu, küsste meine Hand und geleitete mich in die kleine Sitzecke. Auf schwarzen Ledersesseln nahmen wir einander gegenüber Platz. »Möchtest du etwas trinken? Du siehst erschöpft aus und zugleich ...«, er suchte nach den richtigen Worten – ungewöhnlich für Bashir –, »... überdreht.«
Der Kampf hatte mehr Spuren hinterlassen als ich zugeben wollte. Ein dumpfer Schmerz hämmerte zwischen meinen Ohren, sodass ich mich abstützen musste und meine Schläfen rieb. Wenn man zu viel Magie einsetzte, war diese Art der Überanstrengung nicht selten bei Hexen. Ich konnte tatsächlich einen Drink vertragen.
»Ein Glenlivet aus dem Jahr 1886«, erklärte Bashir, als könne er meine Gedanken lesen, während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser eingoss.
»Du erinnerst dich daran, als ich dir diesen Whiskey das letzte Mal anbot? Es ist eine der letzten sechs Flaschen.« Mit einem genüsslichen Lächeln schwenkte er das Glas vor seiner Nase. »Der rauchige Geschmack nach Eiche, der aufsteigende Duft, ein temperamentvoller Anstieg der Gier, welcher sich nach dem ersten Schluck ins Unermessliche steigert.«
Er wollte, dass ich ebenfalls diese formvollendete Zeremonie durchführte. Doch ich tat ihm diesen Gefallen nicht, schließlich brauchte ich nur etwas, um die Schmerzen zu betäuben.
»Cheers!« Mit einem Zug kippte ich die Flüssigkeit herunter und lauschte in mich hinein. Wann hatte ich schon einmal so einen guten Whiskey getrunken? Schließlich erinnerte ich mich. »Vor vier Jahren, nehme ich an? Wir saßen genau hier. Es war kurz nachdem ich ...« Jetzt stockten meine Worte.
»... ihn kennenlernte?«, vervollständigte Bashir meinen Satz und nickte leicht. »Deinen Seelenverwandten? Deinen Geliebten? Deinen Gefährten in finsterer Nacht?«
»Meinen Freund, ja.« Ich hätte Bashir stundenlang zuhören können. Als er mich vor etlichen Jahren in die Künste der Magie und der Liebe einwies, verbrachte ich viele Nächte oben in seiner Wohnung. Als ich zum ersten Mal bei ihm ein Artefakt abholen musste, waren es nur zufällige Berührungen. Doch dann wurden die Besuche häufiger und damit auch die Zärtlichkeiten. Hier ein verstohlener Blick, dort ein kleines Streicheln, das wie ein Versehen wirkte. Eines Nachts bin ich geblieben, von seiner Art so mystisch angezogen, dass ich ihm stundenlang dabei zuhören konnte, wie er mit einer unglaublichen Hingabe über vergangene Epochen redete. Es war eine Wonne gewesen, ihm zu lauschen, wie er über seine Dienstzeit am Hof des Tudorkönigs Heinrich VIII. philosophierte oder die Schönheiten vom Schloss Versailles beschrieb, als es 1661 umgebaut wurde. Doch heute lief mir die Zeit davon.
»Du vermisst ihn«, stellte Bashir kühl fest, schenkte mir nach und nippte seinerseits am Glas. »Es ist lange her, seitdem ihr euch gesehen habt.«
»Fast zwei Jahre.«
»Briefe und elektronische Nachrichten ersetzen keine Beziehung.«
Es wunderte mich nicht, dass er dies wusste. Maddox, mein Freund, oder was er auch immer war, wurde nicht müde, mir von seinen Reisen zu berichten. Aus dem tiefsten Russland hatte er geschrieben, genau wie aus der Sahara-Wüste. Und dies alles für mich. Nie im Leben würde ich diese Schuld beim Sohn des Teufels tilgen können. Genau wie bei Bashir.
»Ihr steht in Kontakt?«, wollte ich wissen. Dabei spürte ich, wie meine Augen sich zu Schlitzen verengten.
Bashir nickte vorsichtig und abwartend. Wollte er meine Reaktion sehen? Großartig! Mein Liebhaber und mein fester Freund unterhielten sich hinter meinem Rücken. Egal, was die Menschen erzählten, dies war für keine Frau ein wirklich schöner Gedanke.
»Isabelle, mein Engel. Lass mich dir eine Frage stellen.«
Die Stimme kam nicht von Bashir. Nun ja, zumindest nicht von diesem Bashir. Durch die Eingangstür trat ein Ebenbild des vor mir sitzenden Mannes. Seine Haare waren kurz und modern geschnitten. Er trug einen Anzug mit Einstecktuch. Etwas Blut benetzte seine rechte Wange.
»Ich möchte, dass du sie der Wahrheit entsprechend beantwortest«, sagte dieser Bashir, nahm dem ersten das Whiskeyglas aus der Hand und trank einen Schluck.
Eine neue Stimme gesellte sich dazu. »Es liegt mir fern, dich so schroff um etwas zu bitten, aber du verstehst sicherlich, dass die Lage sich hier in New York geändert hat.« Dieses dritte Abbild von Bashir sah aus wie ein Obdachloser. Zerrissene Kleidung, ein Basecap, Blut an seinen Händen. Auch dieser Spiegel gesellte sich zu mir und legte behutsam seine Hand auf die Lehne des Sessels. Mit einer angedeuteten Verbeugung nahm er das Einstecktuch des anderen Spiegels an sich und wischte sich das Blut von der Hand.
»Ein Auftrag?«
Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. »Sagen wir, eine etwas aggressive Verhandlung.«
»Wie oft hast du dich geteilt?«, wollte ich von dem Mann mir gegenüber wissen.
»Zweimal. Irritiert es dich?« Er klang ehrlich besorgt.
Oftmals hatte ich seine Kräfte mehr als genossen. Schließlich war der Sex mit ihm ... nun ja ... Bashir war ein Duplikator und konnte sich so oft spiegeln wie es seine Kraft erlaubte. Unzählige Male hatte ich seine Zärtlichkeiten genossen, war seinen Verführungskünsten erlegen gewesen und war immer wieder hierhergekommen, weil ich genau das wollte.
»Ein wenig«, gab ich zu.
Sofort schloss Bashir die Augen. Die Umrisse der beiden anderen Bashirs verschwammen, bis nur noch Silhouetten von ihnen übrig waren, und die drei Männer verschmolzenen im Licht. »Bekomme ich nun eine Antwort?«, fragte er.
Ich schlug die Beine übereinander, zog meinen Rock zurecht und sah ihn scharf an. »Stell mir die Frage.«
»Was weißt du über deine Vergangenheit vor dem Zirkel.«
Seufzend stellte ich das Glas auf den Beistelltisch und sah ihn an. »Also schön. Ich war noch klein, fünf Jahre alt vielleicht, als Marie mich im Heim abholte. Alles vor dieser Zeit ist grau, nicht mehr Teil meiner Erinnerung oder vergraben unter dicken Staubschichten im hintersten Winkel meiner Seele. Seit damals lebe ich im Wohnbereich des Zirkels. Ich ging auf eine normale Schule, machte meinen Abschluss. Alles unter der Obhut der Hexen, allen voran meine Lehrerin, Mentorin, Ziehmutter. Es war nur die logische Konsequenz, dass ich an meinem neunzehnten Geburtstag den ewigen Vertrag mit meinem Blut unterschrieb, der mich für immer an den Zirkel binden sollte. Es war mein Zuhause und würde es immer bleiben. Ein anderes hatte ich nie und wollte ich auch nicht haben.«
Nachdenklich fuhr Bashir sich über die glattrasierte Haut seines Kinns. Ein Mann, der sich viel Zeit zum Nachdenken ließ. Seine dunklen Augen fixierten mich. »Vielen Dank für deine Ehrlichkeit.«
»Warum fragst du mich das?«
»Es ist wichtig, für ... deinen Geliebten.«
»Er kennt die Geschichte.« Meine Stimme hörte sich trotzig an.
»Vielleicht sucht er nach einem Detail, das uns entgangen ist.«
»Und wieso fragt er mich das nicht selbst?«
Erneut nippte Bashir am Whiskeyglas. »Das wird er, meine Liebe. Das wird er.«
Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Herz einen Sprung machte. »Hat es mit der Umwälzung zu tun? Mit den vier Kindern des Teufels?«
»Selbstverständlich.« Bashir öffnete die Arme. »Es hat alles miteinander zu tun. Ich nehme an, dass die Informationen aus dem Club heute Abend nützlich waren ...«
»Sehr sogar.« Ich richtete meinen Zopf und blickte aus dem Fenster. »Nur noch wenige Wochen, dann ist es soweit. Es soll hier stattfinden. In New York City.«
Dieser Gedanke schien Bashir zu amüsieren. Er lächelte verhalten. »Natürlich. Der Fürst der Finsternis hatte schon immer eine Schwäche für große Auftritte. Du weißt doch: Eitelkeit.«
Immer noch sitzend, drehte ich meinen Kopf und betrachtete die Menschen durch das Schaufenster. Feixend und staunend schritten sie an den gläsernen Fassaden vorbei. Händchenhaltende Paare oder einsame Seelen, die in dieser warmen Nacht nach jemandem suchten. Sie alle waren in Gefahr. Würden sie in einigen Wochen noch leben? Oder unter des Teufels brennender Peitsche ein Dasein in Angst fristen? Sollten die Höllenbewohner wirklich die Kontrolle über unsere Welt erlangen, wäre das Gleichgewicht für alle Zeiten zerstört. Das Leben wie wir es kannten, wäre vorbei und der Zirkel, der die Menschen beschützen sollte, hatte versagt. Ob sie uns Hexen einfach töten würden? Die Antwort war so einfach wie offensichtlich. Sollte die Umwälzung erfolgreich sein, drohte uns Schlimmeres. Als ob man einen Cop in den Knast einsperren würde. Schnell erhob ich mich.
»Ich sollte gehen. Vielen Dank für den Drink und deine Mühen.«
Auch Bashir stand auf. »Du bist hier immer willkommen.«
Gerade als ich zur Tür schreiten wollte, spürte ich, wie meine Knie nachgaben. Der Tisch, auf dem Saladins Dolch stand, musste als Stütze herhalten. Dies war kein Zauber, kein Fluch und auch keine Beschwörung, ich war einfach ausgelaugt, erschöpft und am Ende meiner Kräfte. Sofort war Bashir zur Stelle.
»Glaub mir, wenn man so lange lebt wie ich es tue, lernt man die Menschen zu lesen. Du solltest heute Nacht nicht mehr auf der Straße sein. Eine Hexe, die vor Erschöpfung keine Magie anwenden kann, nützt dem Zirkel auch nichts.«
Ich wollte mir keine Pause gönnen, doch sein altes, schweres Parfüm zog mich zu sich. Langsam kniff ich die Augen zusammen. Die Welt würde nie mehr sein, wie wir sie kannten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich mich zu Bashir wandte und meinen Kopf gegen seine Brust lehnte. Die Tränen folgten nur Herzschläge später.
»Sie nannten mich eine Missgeburt«, hauchte ich leise, als er seine Arme um mich schlang. »Eine Laune der Natur ... Dabei weiß ich selbst nicht, was ich bin.« Ich sah ihn an und schämte mich im selben Augenblick dafür, dass ich hemmungslos vor ihm weinte. »Sag mir, was mit mir los ist? Ich bin viel zu mächtig für mein Alter. Feuer macht mir nichts aus, es scheint mich noch mächtiger zu machen. Und dann ist da diese Wut, die ich mir nicht erklären kann. Diese Lust auf Macht, eine unbändige Begierde nach mehr.« Ich musste Luft holen. Alles platzte jetzt heraus. »Ich habe solche Angst, Bashir. Was wird passieren?«
Die Dunkelheit in seinen Augen gab mir Sicherheit. Vorsichtig wischte er eine Träne weg und streichelte mir über die feuchten Wangen.
»Ich weiß es nicht«, wisperte er leise. »Aber wenn es irgendjemand verhindern kann, dann du. Isabelle, du bist etwas ganz Besonderes. Deine Ziehmutter weiß es und mir ist es gewiss, in dem Augenblick, in dem du zum ersten Mal durch diese Tür getreten bist. Doch bedenke, auch deine Feinde wissen es. Sie versuchen, dich zu verunsichern.«
Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und nickte. Es tat gut, seine wärmende Haut auf meiner zu spüren.
Plötzlich nahm Bashir meine Hand. »Komm mit.«