Читать книгу Die HexenLust Trilogie | Band 2 | Erotischer Roman - Sharon York - Страница 4
ОглавлениеBlinde Begierde von Sharon York
Es dauerte bis zum Dessert, bis sich unsere Atmung wieder normalisiert hatte. Vielleicht war einigen Gästen unser kleiner Ausflug aufgefallen. Ich hätte es überprüfen können, wenn ich in ihre Gedanken eingedrungen wäre. Doch je stärker der Mensch war, desto mehr Kraft kostete es mich, und meinem körperlichen Zustand nach zu urteilen, war es in diesem Moment keine gute Idee.
»Ich freue mich auf unseren gemeinsamen Urlaub. Hast du schon alles gepackt?«, wollte Maddox freudestrahlend wissen, als unsere Crème brûlée flambiert wurde.
Das hatte ich beinahe vergessen. Urlaub!
Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wie das war, ein paar Wochen nicht zu arbeiten. Nach der Senior High School war ich direkt auf die Akademie des Zirkels gegangen. Natürlich. Etwas anderes wäre für mich nie in Frage gekommen. Vom Waisenheim wurde ich direkt in den Zirkel geholt. Dort begann mein Leben. Alles davor gehörte nicht dazu und war kein Teil meiner Erinnerungen. Nach drei Jahren unterschrieb ich den ewigen Vertrag mit meinem Blut, der mich für immer an das Beschützen der Menschen binden sollte. Jetzt, mit vierundzwanzig Jahren, war ich Sicherheitsoffizier des Zirkels Ost. Dies bedeutete viel Arbeit und wenig Zeit für die schönen Dinge im Leben.
»Um ehrlich zu sein – eigentlich noch gar nichts. Ich werde es diese Nacht noch ...«
Ein helles Piepen riss mich aus diesem Gedanken.
So ein Mist! Heute war unser freier Abend, verdammt.
Sofort holten wir unsere Handys heraus und starrten auf die Displays.
Maddox lehnte sich nach vorn, seine Stimme war gedämpft, die Stirn lag in Falten. »Ich habe ein paar Vampire, die sich in Spanish Harlem in einem Wohnblock verschanzt haben. Und du?«
Meine Finger flogen über das Display. »Eine Vilja.«
Er grunzte abfällig. »Dann hast du den mieseren Auftrag.«
Mit einem Augenaufschlag stimmte ich ihm zu und begann auf meiner Unterlippe zu kauen. Ausgerechnet eine Vilja. Ein weiblicher Nachtgeist, der irgendwann mal von einem Mann ermordet wurde, und aufgrund all seines Hasses und der Schmerzen nicht sterben wollte. Bis in alle Ewigkeit würde sie nun nachts auf der Suche nach Männern sein. Meist tarnten sich diese Wesen als Hostessen, oder sie arbeiteten direkt auf dem Straßenstrich. Doch anstatt körperlicher Zuwendung würden ihre Opfer nichts anderes finden als den Tod.
Maddox hob den Finger, wies den Kellner an, dass er nun bezahlen wollte und ließ das Handy in die Innentasche seines Jacketts gleiten. »Und es war so verdammt ruhig in den letzten Monaten. Anscheinend hat deine Chefin de la Crox zu vielen Hexen Urlaub gegeben.«
Mit einem kurzen Knurren bejahte ich auch diese Aussage, während ich weiter auf dem Handy rumhackte.
»Dein Chef Myrs war anscheinend nicht besser.« Ich zwinkerte ihm zu, was seine Mundwinkel nach oben schnellen ließ.
Auf dem Display leuchteten Adresse, Gefahreneinstufung und die effektivsten Bannsprüche und Flüche zur Bekämpfung von dieser Art von Geist. Es lebe die moderne Technik!
Wie konnten meine Schwestern vor 1000 Jahren diese Kreaturen der Nacht besiegt haben, als sie diese Mittel noch nicht zur Verfügung hatten?
Händchenhaltend, wie zwei verliebte Teenager, verließen wir das Restaurant. Sofort schlug uns der beruhigende Hauch des Abends entgegen. Eigentlich viel zu warm für eine Aprilnacht, trotzdem genoss ich das hauchzarte Streicheln über meine Haut.
Maddox und ich blickten uns tief in die Augen. Für diesen einen Moment gab es keine Untoten, Magier oder Golems, die Nacht für Nacht aus den hintersten Winkeln Manhattans krochen. New York spielte sein immer währendes Lied aus Stimmgewirr und Autohupen für uns.
»Danke für den schönen Abend«, sagte ich und streichelte dabei seinen Nacken. Maddox Arme umschlangen meine Hüften, sofort spürte ich, wie die Glut erneut angestachelt wurde.
Zu gern hätte ich ihn mit zu mir genommen. Wir hätten uns ein heißes Bad gegönnt und würden uns die ganze Nacht lieben. Verdammt, der Abend war ganz anders geplant gewesen!
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte er. An seiner Stimmlage konnte ich erkennen, dass auch ihm nichts mehr widerstrebte, als jetzt zu seinem klapprigen Wagen zu gehen, Anzug gegen Uniform auszutauschen und Vampire zu jagen. Das automatische Gewehr ruhte in seinem Kofferraum, genau wie haufenweise Magazine voll magischer und konventioneller Munition.
Nur schwerlich konnten wir beide uns losreißen. Immer wieder legte er seine Lippen auf die meinen. Mit jedem Zungenschlag stachelte er weiter in der Glut, bis die Flammen erneut aufloderten. Dann nahm er meine Hand und hauchte einen Kuss auf die Innenfläche.
»Bis morgen, mein Engel.«
***
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die aufkommende Lust heruntergekämpft hatte. Meinen Mercedes hatte ich nur eine Seitenstraße weiter geparkt. Ich öffnete den Kofferraum, nahm meine Notfalltasche heraus und blickte mich um. Kein Mensch war zu sehen. Und was noch besser war, kein Halbwesen beobachtete mich.
Als Hexe dritten Grades waren solche Aufträge leider eher die Regel, als eine Seltenheit. Wenigstens hatte ich es geschafft, innerhalb von wenigen Jahren in den dritten von sechs Rängen aufzusteigen. Und dieser spezielle sechste Grad war nur absoluten Hexen vorbehalten. Selbst die Chefin des Zirkels Ost hatte nur den fünften Grad und war damit eine überaus mächtige Hexe. Was das Umziehen in meinem SLK betraf, hatte ich schon eine gewisse Übung. Schnell tauschte ich mein atemberaubend schönes Abendkleid gegen den schwarzen Einheitsrock, die flachen Schuhe und die einfache, weiße Bluse. Kurz überlegte ich, ob ich mir den langen Umhang mit all den nützlichen Utensilien in den Innentaschen, überwerfen sollte, entschied mich aber dagegen. Eine Wald- und Wiesen-Vilja sollte ich mit einem einfachen Kraftzauber außer Gefecht setzen können.
Ohne Hast steuerte ich meinen Wagen durch die engen New Yorker Häuserschluchten, bis ich die angegebenen Koordinaten erreichte. Gemeldet wurden sie von einer Hexe, die gerade ihre Ausbildung begonnen hatte und noch nicht für solche Operationen bereit war. Als ich den Mercedes zum Stehen brachte, nickte ich der jungen Hexe zu, die unterwürfig ihren Kopf senkte. Sie ließ den Motor ihres Wagens aufheulen und war innerhalb von Sekunden verschwunden. Ich ließ meinen Blick über die schlecht beleuchtete Straße schweifen.
Dort standen die beiden. Ein Mann und eine Frau. Die bleiche Haut der Frau, diese toten, riesigen Augen, alles deutete darauf hin, dass sie eine Vilja war. Die Städte waren voll mit solchen Geschöpfen. Ihr langer Rock spannte bei jedem Schritt und das schwarze, bauchfreie Top passte hervorragend zu der attraktiven Frau. Ihre schwarze Mähne war zu zwei Zöpfen geflochten, die sie über ihre Schultern warf. Sie umgarnte den Mann, streichelte seine Wangen und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. Eine zufällige Berührung an seinem Schritt, ein Augenaufschlag, ein viel zu lautes Lachen – die typischen Merkmale einer Verführung.
Ich musste in mich hineinschmunzeln, beobachtete die Szenerie und parkte meinen Wagen etwas abseits. Zu Fuß verfolgte ich die beiden. Er trug einen Anzug, war ein sehr attraktiver, blonder Mann, der wahrscheinlich eine Freundin hatte, oder vielleicht sogar schon verheiratet war und sich ein wenig Abwechslung vom Eheleben versprach. Leider war er nicht an eine der unzähligen New Yorker Prostituierten geraten, sondern ausgerechnet an sie – einen Nachtgeist, der sich von den Seelen der Menschen ernährte. Nach dieser Nacht würde er nie wieder fremdgehen, dessen war ich mir sicher.
Händchenhaltend schlenderten die beiden durch die Nacht. Der Mond zauberte sein trübes Licht auf die Straße, als sie innehielten und in ein exklusives Wohnhaus schritten. Der rote Backstein war gerade erneuert worden und ein eleganter Portier, daneben zwei Securitymänner, öffnete den beiden die Tür.
Ich runzelte die Stirn, wartete, bis die beiden eingetreten waren und pfiff schließlich anerkennend. Nur weil man nicht mehr lebte, hieß das nicht, dass man keinen Stil besaß. Wie oft musste die Vilja schon mit fremden Männern diese Wohnung betreten haben? Bestimmt waren ihre Seelen nicht das Einzige, was sie von den gut betuchten Freiern nahm. Ob der Portier sich nie gewundert hatte, warum sie niemals die Wohnung verließen?
In Gedanken machte ich mir eine Notiz, ihn ebenfalls mal überprüfen zu lassen, als ich an dem dicklichen Mann mit den roten Wangen vorbeischritt und ihn höflich anlächelte. Leider machte er keine Anstalten, mir die Tür zu öffnen.
»Sie wünschen?« Seine Stimme war freundlich, aber bestimmt. Natürlich – er kannte die Bewohner.
Ich versuchte, Unschuld in meinen Blick zu legen. »Meine Freundin hat mich angerufen, einer unserer Klienten wünscht eine Doppelbehandlung.«
Einen Herzschlag lang konnte ich sehen, wie sein Kopf arbeitete, dann erhellte sich seine Miene und er verstand. Sofort hielt er mir die Tür auf und deutete eine Verbeugung an. »Dritter Stock. Ich wünsche bestes Gelingen.«
Das Wohnhaus strotzte nur so vor Exklusivität. Alte Gemälde, traumhafte Sitzgelegenheiten und verspielte Wandteppiche präsentierten sich meinem Auge. Ich fuhr direkt in den dritten Stock, entschied mich für die linke der beiden Türen und legte mein Ohr an das Holz. Erneut drang das schrille Lachen der Schönheit an mich heran. Es war definitiv die richtige Tür. Dann entfernte das Lachen sich. Sie mussten nun im Schlafzimmer sein. Mit einem Entriegelungszauber, den man bereits im ersten Jahr lernt, öffnete ich die Tür und trat auf den weißen Teppich. Stöhnende Geräusche wurden durch die weitläufige Wohnung getragen. Ich hielt den Atem an, während ich mich den beiden näherte. Ein kurzer Blick in das Schlafzimmer genügte, um die Situation richtig einzuordnen. Die Gliedmaßen des Mannes waren mit mehreren Seilen gefesselt und an alle vier Bettpfosten geknotet. Er war gut gebaut, hatte einige wenige Narben auf der Brust und sein kurzes, blondes Haar wurde mit Gel in Form gehalten. Obwohl seine Hand- und Fußgelenke schmerzen mussten, brannte in seinen Augen ein unendliches Verlagen, als die Schönheit ihr Top abstreifte. Sie wiegte sich in einer Melodie, die nur sie hören konnte, ihr Busen wippte mit jeder Bewegung. Als sie sich über ihn lehnte, hatte sein Penis bereits die volle Größe erreicht. Rötlich schimmerte die Eichel im fahlen Licht der abgedunkelten Lampen, während ihre Knospen über seine Brust streichelten. Sie deutete einen Kuss an, zog den Kopf jedoch immer wieder zurück. Dann leckte sie über seine Lippen, zog ihn an den Haaren zurück und drückte ihr Becken auf seine Taille. Ich konnte den schwarzen Slip unter ihrem Rock blitzen sehen. Einer Katze gleich richtete sie sich auf. Die Gier des Mannes wuchs mit jeder Sekunde, als sie den Reißverschluss ihres Rockes öffnete und ihn langsam runtergleiten ließ. Sie thronte nun über dem Mann, nur bekleidet mit Slip und den schwarzen Stiefeln. Mit wissendem Lächeln schmiegte sie sich an seinen Körper, streichelte seine Haare und drückte einen Kuss auf seine Wangen, während ihre Stiefel über seinen Penis rieben. Ein lustvolles Seufzen entrang sich seiner Kehle. Auch ich bemerkte, wie mir ihr Spiel gefiel und machte mir eine weitere Gedankennotiz – diesmal allerdings privater Natur.
Dann fasste die Schönheit sein Gesicht mit beiden Händen, küsste ihn tief und holte anschließend eine Mundfessel aus dem Nachttisch. Sie drückte den Ball zwischen seine Lippen, und zog das Lederband hinter seinem Kopf fest.
»Entspann dich«, flüsterte sie verführerisch, während ihre Hand herabglitt. Die Finger streichelten über die empfindliche Eichel, es waren leichte Bewegungen um den Schaft, um ihn weiter zu reizen. Erbarmungslos streichelte sie das dünne Bändchen, flüsterte ihm dabei Worte ins Ohr, die zu leise gehaucht waren, als dass ich sie hätte verstehen können. Immer wenn der Mann sein Becken durchdrückte, stoppte sie und wartete, bis er sich beruhigt hatte. Dann begann die Tortur von Neuem. Ihre Fingernägel kratzten über seine Brust, die Seiten seines Körpers, die Innenschenkel, bis sie wieder seinen Penis erreicht hatten.
Sie war talentiert – ohne Frage. Warum mit den Männern um ihre Seele kämpfen, wenn diese sie freiwillig hergaben ... Geschickte kleine Vilja. Aber es dauerte auch einige Zeit, bis sie die Seele, seinen Willen, ja die gesamte Lebenskraft aus ihm herausgezogen hatte. Und wann konnte man das besser, als wenn das Opfer wehrlos vor einem lag.
Gerade, als ich diesen Gedanken beendet hatte, setzte sie sich auf ihn, legte die Hände flach auf seine Brust und begann in einer zischenden Sprache mit dem Ritual. Ihre Augen waren geschlossen, die beiden Zöpfe wiegten in leichten Bewegungen vor ihrem üppigen Busen. Es dauerte interessanterweise nur ein paar Wimpernschläge, bis der Mann erkannt hatte, dass etwas nicht stimmte. Sein Körper wand sich, jeder Muskel spannte, als er versuchte, sie von sich zu stoßen. Doch es war zwecklos. Die Fesseln waren so eng, dass er keinen Zentimeter gewann und durch ein paar wippende Bewegungen war die Vilja nicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Die gezischte Sprache wurde lauter, sie war nun tief in Trance – der Augenblick, auf den ich gewartet hatte. Doch als ich auf die Vilja zuschritt, in meiner rechten Hand formte ich bereits eine Druckwelle, passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Eine leichte Erschütterung durchzog den Raum, ich ging in die Knie, beobachtete, wie eine Vase einige Zoll vom Boden abhob und auf die Vilja geschleudert wurde. Das Porzellan zerbrach an ihrer Schulter, sie hielt kurz inne, machte dann jedoch mit dem Ritual weiter, bis die Erschütterung des Raumes schließlich nachließ, genau, wie das Zappeln des Mannes. Ich erhob mich wieder und blickte zu meinem Entsetzen in die geöffneten Augen der Frau. Sie verstummte augenblicklich und schoss auf mich zu. Noch bevor ich die Druckwelle schleudern konnte, hatte sie mich erreicht. Ihr Tritt saß genau in meiner Magengrube. Ein dumpfer Schmerz presste mir die Luft aus den Lungen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ging ich in die Knie. Ich spürte, wie sie meine Haare ergriff und meinen Kopf gegen die Wand schleuderte. Meine Kopfhaut schien zu brennen. Wieder ein dumpfer Schmerz. Ihre helle Stimme schrie Flüche, als sie mein Gesicht erneut gegen die Wand donnern wollte. Doch diesmal stützte ich mich ab und kämpfte den Schmerz in meinem Kopf herunter. Ich legte so viel Energie in die Druckwelle, wie ich nur konnte.
»Robur!«
Sofort wurde die Schönheit auf die andere Seite des Raumes geschleudert. Es dauerte keine Sekunde, da war sie wieder auf den Beinen und starrte mich aus hasserfüllten Augen an. Dies war keine Wald- und Wiesen-Vilja. Sie war mächtig und hatte sich bereits viele Seelen einverleibt. Wieder schoss sie auf mich zu. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit holte sie aus, doch diesmal konnte ich mich wegducken. Eine weitere Druckwelle schleuderte sie an die Decke – und wieder stand sie auf. Ohne auch nur einen Kratzer an ihrem bleichen Körper zu haben, hechtete sie zum Nachttisch. Ich erkannte den Lauf der Pistole zu spät, um noch ein Schutzschild zu formen. Es kostete mich beinahe alle Kraft, um die Patronen abzuwehren. Die Querschläger pfiffen durch den Raum. Sie verschoss ihr ganzes Magazin und als ich das erlösende Klicken hörte, versagten meine Beine ihren Dienst. So würde ich diesen Kampf verlieren und sie hatte die Möglichkeit, sich heute Nacht noch zwei neue Seelen einverleiben zu können. Ihr Blick brannte auf mir, als sie mit langen Schritten auf mich zustampfte. In letzter Sekunde bekam ich einen Bilderrahmen in die Hand und schlug ihn gegen ihren Kopf. Sie taumelte und verdrehte die Augen. Ich konzentrierte mich noch einmal, legte all die mir verbliebene Energie in den Kraftzauber und zog diesem Geist alle Macht aus dem Körper. Sie schrie, wand sich, klappte schließlich zusammen, als der Zauber meine Finger verließ und sich weißlich über ihren Körper legte. Noch einige Sekunden hielt ich die Magie aufrecht, ging ein paar Schritte auf sie zu.
Auf einmal wurde ihr Blick fest.
»Es wird kommen«, zischte sie mit hoher Stimme. »Es rumort bereits, es brodelt.«
Ich konnte nicht glauben, dass jetzt noch Worte ihren Mund verließen. Angestrengt verstärkte ich den Zauber und die weißen Strahlen aus meinen Fingern wurden breiter.
Doch sie lachte nur. »Eine neue Macht wird sich erheben. Die Welle baut sich bald schon auf, türmt sich langsam zu einer Woge, die alles Gekannte wegspülen wird!« Ein schmerzdurchzogenes Lachen folgte. Wieder verstärkte ich den Zauber, stand nun über ihr, meine Zähne mahlten aufeinander.
»Die Umwälzung wird kommen. Bald ist es soweit. Bald!«
Endlich waren die Schreie verstummt und dort, wo eben noch die Vilja gelegen hatte, war ein dunkler Fleck auf dem Teppich. Der Nachtgeist war verschwunden. Ihre Seele hatte endlich Ruhe. Tief atmend sackte ich auf das Bett und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Die Einrichtung lag wild zerstört im Raum, Einschusslöcher waren überall, die vormals schöne Wohnung, ein stummer Zeuge des Kampfes um die Freiheit der Menschen.
Ich hatte noch nie eine so starke Vilja gesehen – und vor allem gespürt. Mit einer Hand löste ich den Mundknebel des unversehrten Mannes, nahm mit der anderen einen Handspiegel vom Boden und betrachtete mein blaues Auge. Es passte gar nicht zu meinen blassen Teint.
»Vielen Dank, Hexe.«
Mein Blick schoss zum Bett. Die Augen des Mannes waren ruhig, er zitterte nicht, musterte mich kühl. Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen.
»Du bist ein Reaper.«
Voller Scham senkte er den Kopf.
Jetzt wurde mir alles klar. »Die Vase eben, das warst du. Es war dein letzter, verzweifelter Versuch, dich zu wehren.«
Obwohl das Duell mich viel Kraft gekostet hatte, drehte ich mein Handgelenk und seine Fesseln lösten sich magisch. Augenblicklich zog er sich Hose und Hemd an und wählte mit seinem Handy die Notrufnummer des Zirkels. In wenigen Minuten würde es hier vor Hexen und Reapern nur so wimmeln. Hätten sie gewusst, dass es sich um eine starke Vilja mit außerordentlichen Kräften gehandelt hatte, hätten sie mich nie allein losgeschickt. Doch was ich nicht verstand, war, warum ein Soldat des Zirkels auf so etwas hereinfallen konnte. Und warum trug er seine Ritterlilie nicht. Sie hätte ihn vor solch magischer Intervention geschützt.
Die Reaper waren groß gewachsene Kerle mit mürrischen Blicken. Wenn man ein Problem hatte, das mit Waffengewalt gelöst werden musste, dann sollte man sie anfordern. Wenn es allerdings um Barrieren, Schutzzauber oder magische Wesen ging, denen konventionelle Waffen nichts anhaben konnten, kamen sie genervt aus den Untergeschossen in die oberen Büros geschlichen und forderten jemanden wie uns an.
Ich legte mich aufs Bett und atmete mehrmals tief durch.
»Wo ist deine Lilie?«
Als ob er meinen Gedankengang bestätigten wollte, fasste er sich an die Brust. Die Reaper trugen Amulette in Form einer Ritterlilie, die alle magischen Einflüsse verhindern sollten. Eigentlich.
»Sie muss sie mir abgenommen haben«, stammelte er peinlich berührt und ließ seinen Kopf wieder aufs Bett zurücksinken.
»Du hättest merken müssen, dass sie eine Vilja ist.« Langsam kam die Kraft in meine Stimme zurück. »Selbst wenn ihr nur wenig magische Begabung habt, müsst ihr so was erkennen.«
Er schwieg, eine größere Schmach gab es für die stolzen Soldaten des Zirkels nicht, als von einer Hexe gerettet zu werden. Das Donnerwetter von seinem Chef Myrs würde wahrscheinlich Tage dauern. Wir waren ihnen in Magie überlegen, zumindest sollten wir es sein. Haushoch. Ein Grund, warum wir keine Lilien trugen. Ganz davon abgesehen, dass der magische Schutz der Amulette nicht bei Hexen funktionierte.
Wortlos warteten wir auf die Einheiten des Zirkels. In bester Militärmanier stürmten nach wenigen Minuten die Reaper das Haus. Als Myrs den Raum betrat, sich das Protokoll durchlas und die Vene an seiner rechten Schläfe gefährlich zu pochen begann, verließ ich das Gebäude.
***
Dumpf hämmerte der Schmerz in meinem Kopf, als ich im Fahrstuhl stand. Ich schloss die Augen. Die Worte der Vilja ließen mich nicht mehr los. Eine Umwälzung? Zugegeben, es war nicht die erste Drohung, die ein Geist, Dämon oder Halbwesen vor seinem Dahinscheiden ausstieß. Allerdings hinterließ diese einen faden Beigeschmack in meinem Verstand, als würde sich der Gedanke in mir festbeißen.
»Entschuldigen Sie«, sprach mich der Portier mit unsicherem Blick an, als ich aus dem Fahrstuhl gestiegen war und an ihm vorbeiging. »Wann wird dieser ... Einsatz beendet sein? Es verstört die anderen Gäste.«
»Es wird nicht mehr lange dauern«, versicherte ich. Eigentlich hätte ich in seinen Geist eindringen und seine Gedanken lesen können. Zumindest, wenn er ein Mensch gewesen wäre. Doch dafür war ich jetzt zu schwach und außerdem gab es Spezialisten für derlei Aufgaben. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht stimmte. Ich entfernte mich einige Schritte, holte mein Handy raus und berichtete von meinen Beobachtungen. Wenn die Reaper schon mal da waren, konnten sie den Typen auch direkt mal überprüfen. Dann stieg ich in meinen Benz und fuhr langsam an dem Gebäude vorbei.
Vielleicht war es eine Vorahnung, doch ich war nicht allzu überrascht, zuckte nicht zusammen, als sich Schüsse in der Nacht brachen und eine Staubwolke für einige Sekunden mein Fahrzeug umwehte. Dachte ich es mir doch – Vampire! Gut, dass ich mich auf meinen Instinkt verlassen konnte. Nachdenklich auf meiner Unterlippe kauend, lenkte ich das Fahrzeug in Richtung Downtown, in den Financial District, wo das Hochhaus des Zirkels in die Wolken ragte. Getarnt als eine Investmentbank, taten die Schutz- und Gleichgültigkeitszauber ihr Übriges, damit keine dummen Fragen gestellt wurden. Von den meisten Menschen wurde das Gebäude einfach nicht wahrgenommen. Und diejenigen, die genau wussten, wer hier eigentlich residierte, machten einen großen Bogen um den Komplex. Zu ihrer eigenen Sicherheit natürlich.
Ich atmete tief. Unbehagen kroch in mir hoch und nistete sich in meinem Verstand ein. Ich hatte das Gefühl, dass mein eigentlich freier Tag noch nicht beendet sein würde. Noch lange nicht.