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MORGEN

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Als Kara erwachte, schien die Morgensonne goldgelb durch die Vorhänge. Sie musste nicht überlegen um zu wissen, wo sie war. Die Decke aus Daunenfedern schmiegte sich weich an ihre nackte Haut und sie bewegte sich genießerisch zwischen den Stoffen.

Dann fiel ihr ein, dass sie nicht erwartet hatte, die Nacht zu überleben.

Sie richtete sich auf und blickte sich um. Es war sein Schlafzimmer, doch er war nicht da. Nach der Helligkeit zu schließen war der Morgen bereits fortgeschritten. Sie spürte leichten Hunger. Kaum zu glauben, nach dem reichlichen Dinner, das sie am Vorabend genossen hatte.

Sollte sie hier warten oder den Raum verlassen? Das Kleid war im Rauchzimmer zurückgeblieben und ihre eigenen Sachen im Bad, doch über dem Sessel lag ein heller Hausmantel, was sie als Aufforderung verstand.

Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte hinaus. Niemand war auf dem Flur zu sehen. Ihre nackten Füße machten kein Geräusch, als sie hinaustrat und leise die Tür schloss. Sie folgte dem Gang bis zu der Treppe, die in die Eingangshalle führte, und stieg die Stufen hinab, die Master Ash sie gestern Abend hinaufgetragen hatte. Als sie sich daran erinnerte, wie sie ihn auf seinem Bett zu einem weiteren Höhepunkt geritten hatte, atmete sie tief ein.

Sie war eine Hure, doch auch in ihren Kreisen hielt man sich zumeist an das, was die Gesellschaft für akzeptabel erachtete: eine schnelle, verschämte Vereinigung im Dunkeln, sie unten, er oben. Die Frauen warnten einander vor den „Perversen“ und Kara erinnerte sich an Agnes‘ Belehrungen an ihrem ersten Abend am Trevelyan Square. „Der dort will in deinen Mund kommen, halt dich lieber fern. Der da steckt sein Ding in deinen Hintern, als wüsste er nicht, wie’s richtig geht!“

Nichts von dem, was sie gestern Nacht getan hatten, war im Geringsten gesellschaftlich akzeptabel gewesen, und dennoch, als Perversen würde sie Master Ash niemals bezeichnen. Was er war, dafür kannte sie kein Wort.

Rechts von ihr befand sich das Zimmer, in dem er sie gestern empfangen hatte. Wie weit schien das zurück zu liegen! Ihr war, als sei sie seitdem eine Andere geworden. Sachte drückte sie die Klinke und öffnete die Tür.

Ein Gespräch stockte. Master Ash saß hinter seinem Schreibtisch, zwei Fremde, die nichts von seiner ruhigen, vornehmen Ausstrahlung hatten, saßen im gegenüber. Kara kannte diese wieseläugigen Fabrikaufseher, die sich etwas darauf einbildeten, sich über die anderen hinaus gearbeitet zu haben; nicht durch Fleiß oder Können, sondern durch Falschheit und Intrigen. Es war die Art von Männern, die sie keuchend in schmutzigen Zimmern genommen hatten, die sie in der Dunkelheit gegen die Wand gedrückt und sich an ihr befriedigt hatten – Männer, die sie im Hellen als Hure beschimpften.

Dem einen blieb vor Staunen der Mund offen stehen, der andere stieß hervor: „Eine Frau? Hier?“

Kara hatte offenbar einen Fehler begangen und wandte sich um, doch sein Befehl hielt sie zurück. „Bleib!“

Zögernd drehte sie sich wieder in den Raum hinein.

Einer der Männer zog unwillig die Stirn kraus. „Du hast sie behalten? Warum? Wieso ist sie noch hier?“ Offenbar war er nicht sicher, ob er aussprechen durfte, was mit den anderen Frauen geschehen war.

„Komm her!“, forderte Master Ash.

Zögernd trat sie näher und er erhob sich vom Stuhl hinter dem Schreibtisch.

„Hier her!“ Er deutete auf den Boden vor sich.

Folgsam stellte sie sich zwischen ihn und den Schreibtisch.

„Dreh dich um!“

Sie schaute jetzt auf die beiden Männer, die vor ihr saßen, schäbige Hüte in den Händen, das fettige Haar in der Mitte gescheitelt.

Hinter sich fühlte sie Master Ashs Wärme. Er schob ihre Füße schulterbreit auseinander und dann hörte sie seinen Befehl: „Mach den Gürtel auf.“

Für einen kurzen Moment zögerte sie. Wollte er sie vorführen, um sie diesen Männern zu verkaufen? Irgendetwas sagte ihr, dass es nicht so war. Sie traute ihm vieles zu, sogar ihren Tod – doch das nicht.

Sie löste den Gürtel und der Hausmantel öffnete sich. Sie spürte die kühle Luft an ihrem Bauch.

„Zeig dich ihnen!“

Kara zog den Mantel langsam auf, bis der Stoff ihre Brüste nicht mehr bedeckte. Die Blicke der beiden Männer klebten an ihrem Körper, und verwirrt stellte sie fest, dass sie das erregte. Dann spürte sie, wie Master Ash den Saum des Mantels anhob. Zwei Finger schoben sich zwischen ihre Beine und sie machte einen überraschten Laut. Als er begann, sie zu massieren, hätte sie sich ihm am liebsten entgegen gestreckt, doch sie blieb gerade aufgerichtet stehen. Die Blicke der Männer waren gebannt auf ihre Spalte gerichtet, wo zweifellos das Reiben seiner Finger zu beobachten war. Karas Hüfte bewegte sich leicht, und dumpfe Laute der Lust kamen über ihre Lippen, während seine Hand rau über ihr erregtes Knötchen rieb.

„Sei still!“ befahl er.

Sie presste die Lippen aufeinander und für eine Weile war nichts anderes zu hören als ihr eigenes, erregtes Atmen. Sie wusste, dass die wachsende Lust sich in ihrem Gesicht widerspiegelte, doch die Männer sahen nur ihren Körper: ihre Brüste, deren Spitzen sehnsüchtig aufgerichtet waren, ihre Möse, deren Falten unter seiner Berührung anschwollen. Auch die Hosen der beiden Betrachter waren inzwischen prall ausgebeult und Kara erkannte die Qual der unbefriedigten Lust in ihren Mienen. Schmutzige Finger kneteten verzweifelt die Hutkrempen.

Viel zu früh hörte er auf und zog seine Hand zurück. Beinahe hätte Kara aufgestöhnt vor Enttäuschung, doch sie blieb seinem Befehl folgend stumm.

„Sie ist hier“, sagte Master Ash ruhig, „weil sie tut, was ich sage – wie ihr. Und sie wird sterben, sobald sie damit aufhört – wie ihr.“

Die Männer schluckten hart, aber Kara war nicht sicher, ob sie die Worte in ihrer Erregung überhaupt begriffen hatten.

Sie selbst hatte verstanden. Gehorsam war die Garantie für ihr Leben. Doch er bot ihr mehr an als reines Überleben. Es würde ein Leben in diesem Haus, an seiner Seite bedeuten.

„Ihr könnt jetzt gehen.“

Die Männer erhoben sich und strebten mit steifem Gang zur Tür, die sich hinter ihnen schloss.

Weder Kara noch Master Ash hatten sich gerührt. Noch immer spürte sie seine Wärme an ihrem Rücken, und obwohl niemand mehr da war, der sie sehen konnte, fühlte sie sich in dem offenen Mantel merkwürdig ausgeliefert.

„Du wirst dieses Zimmer nie wieder ohne Aufforderung betreten, ist das klar?“ Seine Stimme, direkt an ihrem Ohr, war leise aber bestimmt.

Sie senkte gehorsam den Kopf. „Völlig klar.“

Plötzlich fühlte Kara seine Hände nach ihren Brüsten greifen und biss sich dabei auf die Lippen, um nicht überrascht aufzustöhnen.

„Hat dir das gereicht?“, fragte er leise, während seine Hände fester zupackten und sie den Duft ihrer eigenen Wollust an seinen Fingern roch.

„Nein, Herr“, sagte sie leise. Seine Hände hielten kurz inne. Sie hörte geradezu, dass er lächelte.

„Dann beug dich nach vorn.“ Langsam hob er den Mantelsaum über ihren Hintern.


Als der Butler kam, saß Kara mit züchtig geschlossenem Mantel auf dem Sessel.

„Zeig ihr das Zimmer, John.“

„Selbstverständlich.“ Der Butler verneigte sich knapp. „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Miss.“

Neugierig stieg sie hinter John die Treppe hinauf. Es erinnerte sie an die Weihnachtsmorgen ihrer Kindheit, als sie aus ihrem Zimmer geschlichen und zu den am Kamin aufgehängten Socken gelaufen war. Obwohl ihre Eltern nicht reich gewesen waren, war Kara doch nie von ihnen enttäuscht worden.

John führte sie bis hinauf in das Dachgeschoss, öffnete dort eine Tür und ließ sie eintreten.

Mit offenem Mund schaute Kara sich um.

Es störte sie nicht, dass es ein Dienstmädchenzimmer war, mit Dachschrägen und einem kleinen Gaubenfenster. Es war ihr Reich, ihr neues Zuhause. Eine Quiltdecke lag auf dem Bett, ein Stuhl und ein Tisch standen unter dem Fenster. Ein Nachttisch mit Kerze und eine Kommode mit Waschschüssel und Krug vervollständigten die Einrichtung.

An einem Wandhaken hing auf einem Bügel ein schwarzes Kleid mit weißer Schürze. Die Arbeitskleidung eines Dienstmädchens. Kara fragte sich, wohin ihre eigenen Kleider verschwunden waren.

„Ich erwarte Sie dann in der Küche“, sagte John. „Den Morgenmantel bringen Sie bitte mit.“ Damit schloss er die Türe.

„Gefällt Ihnen Ihr Zimmer?“, fragte John später, als sie in die Küche kam und den weichen Mantel über eine Stuhllehne legte.

„Er ist ganz wunderbar. Das Kleid und die Schuhe passen perfekt. Nur …“ Sie beugte sich zu ihm hinüber und senkte die Stimme. „Ich finde keinerlei Unterwäsche. Weder Mieder noch Hosen.“

John räusperte sich. „Es mag Ihnen bereits aufgefallen sein, dass Master Ash sein weibliches Personal gerne … verfügbar hat.“

„Sie meinen, es gibt keine Unterwäsche?“

„Ich fürchte nein.“

„Oh“, sagte Kara verblüfft. „Und wenn ich meine Monatsblutungen habe?“

Sie sah, wie John für einen Augenblick die Kontrolle über seine Mimik verlor. „Ich werde diese Frage Master Ash vorlegen. Steht eine solche Zeit denn unmittelbar bevor?“

„Nicht in den nächsten Tagen“, sagte sie leichthin und unterdrückte ein Kichern darüber, dass ein so gewöhnlicher Vorgang den Butler derart verunsichert hatte.


Liz stand nicht an der üblichen Stelle. Blackwell schaute sich um und ging dann auf zwei Frauen zu, die unter einer Gaslaterne herumlungerten. Die eine kannte er als Maggie, die andere war neu. Völlig überschminkt und vorne flach wie ein Brett.

„Wo ist Liz?“, fragte er gerade heraus. „Hat sie schon zu tun?“

Die Neue, sie mochte kaum siebzehn sein, drehte den Oberkörper hin und her wie ein Mädchen auf dem Schulhof.

„Was willst du denn mit der Fetten?“, fragte sie. „Ich bin nicht so schnell außer Puste wie die!“

Ihre Begleiterin beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin die Neue reservierter wurde und ihn scheu musterte.

„Stimmt“, sagte er trocken, „ich bin Coroner und schneide Leichen auf. Wo ist Liz?“

„Sie sitzt noch im Pub“, sagte Maggie und zeigte mit dem Daumen über die Schulter. „Hinten im Nassen Dackel.“

„Danke, und gute Geschäfte, Maggie.“

Er tippte sich an den Hut und ging zu der Kneipe hinüber.

Sie saß tatsächlich dort, ganz allein an einem Tisch, die Wand im Rücken, und las irgendetwas. Allein ihr Anblick ließ ihm warm werden. Seine Handflächen juckten bei dem Gedanken, sie zu berühren. Ihr Körper war überall weich, warm und nachgiebig, sie war überall Brust. In seinen Fantasien wurde er klein wie ein Däumling und ließ sich ganz in sie hinein sinken wie in ein Daunenbett.

Aber es war nicht nur das, was ihn zum Stammkunden hatte werden lassen. Er mochte ihren Humor, den sie trotz allem Elend nicht verloren hatte. Er brachte sie gerne zum Lachen und beobachtete dann, wie ihr Körper Wellen schlug. Sie besaß ein feines Gespür für Menschen und eine Gradlinigkeit, die klar zwischen Gut und Böse unterschied, ohne die Moral bemühen zu müssen.

Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, und er nutzte die Gelegenheit, sie ganz unbefangen zu beobachten. Wie meistens trug sie ein weißes Kleid, das irgendwie mit zu vielen Rüschen versehen war. Das blondierte Haar hatte sie hochgesteckt und mit bonbonfarbenen Perlen geschmückt. Üppige Glasimitate von Edelsteinen baumelten an ihren Ohren und reflektierten das künstliche Licht. Er musste lächeln. In all der Routine und der Kaltschnäuzigkeit, mit der hier das Fleisch gehandelt wurde, hatte sie sich die unschuldige Sehnsucht des kleinen Mädchens bewahrt, Prinzessin zu sein.

„Hallo Coroner!“ Es war der Bartender, der ihn an der Tür entdeckt hatte. „Kommen Sie doch rein!“

Liz blickte bei der Begrüßung auf und mit Bestürzung sah er den Ausdruck in ihrem Gesicht. Drei Schritte brachten ihn an ihren Tisch.

„Was ist passiert?“, fragte er.

Sie faltete verlegen das Papier zusammen. „Ach nichts, Coroner. Ich bin ganz bei Ihnen. Gehen wir rüber ins Hotel?“

Heute war ihr Lächeln so unecht wie ihr Schmuck. Er setzte sich ihr gegenüber und nahm ihre Hand. Ihre Finger waren eiskalt.

„Was ist, Liz? Du weißt, du kannst mit mir reden.“

Wortlos reichte sie ihm das Papier und er faltete es auf.

Es war ein Brief, geschrieben von einer gewissen Agnes. Sie berichtete darin, wie ihre Freundin Kara vor ein paar Tagen in den schwarzen Wagen gestiegen war und sie, Agnes, dafür eine stattliche Summe erhalten hatte. Offenbar war sie klug genug gewesen, damit nicht zu ihrem Zuhälter zurückzugehen, sondern die Stadt zu verlassen. Er schaute auf.

„Es ist der gleiche Wagen, in den Mira eingestiegen ist“, flüsterte Liz.

„Mira ist in einen Wagen gestiegen?“ Wie nachlässig hatten die Kollegen ihre Verhöre durchgeführt, wenn das nicht in den Akten stand? „Und dieses Mädel, Kara, auch? Hatte sie Todessehnsucht?“

Liz kaute an ihrer Unterlippe. „Ich denke, ja.“ Sie schaute ihn an. „Ich wusste es an dem Abend noch nicht, aber Vince, ihr Lude, hat ihr und einem anderen Mädchen so schlimm mitgespielt, dass die andere sich aufgehängt hat. Ich denke, Kara wollte auch nicht mehr.“ Liz war erschreckend blass. „Ich hätte es erkennen müssen“, sagte sie leise. „Dieser Blick. Ich wusste gleich, dass etwas nicht stimmte. Aber ich hätte doch nie gedacht …“

„Warte hier.“ Er ging an den Tresen und kam mit zwei Ale zurück. Sie griff dankbar danach und nahm einen tiefen Schluck.

„Es war ihre eigene Entscheidung“, sagte er. Inzwischen erinnerte er sich an Kara – ausdrucksstarke Augen, ein Gesicht wie eine griechische Göttin. Er würde es hassen sie auf seinem Seziertisch vorzufinden. „Mach dir keine Vorwürfe, Liz. Wir wissen ja nicht, ob der Wagen wirklich etwas damit zu tun hatte.“ Dass der Wagen nach dem Leichenfund wieder aufgetaucht war, sprach tatsächlich dagegen. „Kommt er immer noch?“

„Nein, nicht mehr seit Agnes und Kara verschwunden sind. Aber nach den ersten Mädchen hat es auch immer ein paar Wochen gedauert …“

„Nach den ersten Mädchen?“ Blackwell setzte das Bier so heftig auf den Tisch, dass der Schaum über den Rand schwappte. „Wie viele hat er denn mitgenommen, vor Mira?“

„Zwei“, antwortete Liz.

„Und das hat niemand der Polizei gemeldet?“

Liz zuckte die Schultern. „Es hat keinen sonderlich interessiert.“

Ein Mann kam vom Billardtisch herüber und baute sich neben dem Tisch auf. „Seid ihr zwei bald handelseinig?“, fragte er herausfordernd. „Vom Biertrinken verdien ich nämlich nichts!“

Blackwell hob den Blick und schaute den Mann drohend an. Es war ein mageres Bürschlein mit dem Gesicht einer Ratte. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und stand, die schmale Brust eingefallen, die knochige Hüfte nach vorne gedrückt, wie ein Fragezeichen da. Blackwell fragte sich nicht zum ersten Mal, wie solche Männer ihre Macht erlangen und halten konnten. Vermutlich war es einfach ihre Rücksichtslosigkeit, der die Frauen nichts entgegenzusetzen hatten.

„Was kostet die ganze Nacht?“, fragte er. Der Zuhälter nannte einen Preis und der Coroner blätterte die Scheine ohne zu handeln hin. „Und jetzt verpiss dich.“

Liz schaute ihn dankbar an.

„Komm“, sagte er. „Lass uns rüber ins Hotel gehen. Dort kannst du mir alles erzählen.“

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