Читать книгу Verhasst - Shino Tenshi - Страница 4

2. Kapitel

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Ich wagte kaum, daran zu denken, doch irgendwie hatte das Gespräch richtig gut getan. Es war wunderschön zu spüren, dass man doch geachtet wurde, weshalb ich mit einem leichten Gefühl in der Brust nach Hause gehen konnte.

Irgendwie freute ich mich sogar auf die nächste Sitzung. Dr. Kreuz hatte mir sogar versichert, dass es in meinem Fall die Krankenkasse übernahm, worüber ich mehr als nur froh war. So konnte ich mir sicher sein, dass durch meine Besuche bei ihm, meine Eltern nicht finanziell belastet wurden.

„Hallo, Felix.“ Die Stimme ließ einen eisigen Schauer über meinen Rücken gleiten, als ich mich schon umdrehte und in das Gesicht von Robert sah. Er war der Letzte, den ich jetzt sehen wollte und dennoch stand er vor mir. Wenigstens war er alleine.

„Hallo.“ Meine Stimme war sehr leise und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich das Wort wirklich ausgesprochen hatte, wobei ich zurückwich, als sich Robert mir näherte, was ihn kehlig auflachen ließ.

„Du hast aber ganz schön Angst vor mir. Was treibst du hier?“ Ich sah den Spott in seinen Augen und wünschte mir, dass er einfach verschwinden würde. Einfach nicht hier vor mir stehen würde. Doch er wollte nicht weggehen, wodurch ich trocken schluckte und dann belanglos mit den Schultern zuckte: „Hatte hier einen Termin.“

Robert sah sich kurz suchend um, doch er schien keinen Anhaltspunkt zu finden, wo man hier einen Termin haben könnte, sodass er mich wieder skeptisch musterte: „So? Wo denn?“

„Das geht dich nichts an. Lass mich einfach nur in Ruhe“, begehrte ich auf und wandte mich ab, um dann davon zu gehen. Es war mir egal, was er tat. Ich wollte nur weg von ihm und so möglichen Schmerzen entkommen.

Doch er ließ mich nicht, denn im nächsten Moment spürte ich seine starke Hand auf meiner Schulter, die mich verkrampfen ließ, wobei ich seinen Atem über mein Ohr streifen fühlte. „Wir sind doch Freunde, Felix. Willst du wirklich, dass ich einfach so verschwinde und dich in Ruhe lasse? Dann wärst du doch ganz alleine.“

Alleine sein war besser, als dauernd geschlagen und gedemütigt zu werden, wodurch ich sicher nickte: „Wir sind keine Freunde mehr. Du hast mir die Freundschaft gekündigt und selbst wenn, auf einen Freund wie dich kann ich ganz gut verzichten.“

Woher nahm ich nur die Stärke, um ihm plötzlich zu widersprechen? War es das Gespräch oder einfach die Tatsache, dass er mir alleine gegenüberstand und ich somit zumindest den Hauch einer Chance gegen ihn hatte.

„Oh ha, da hat aber jemand ganz schön an Mut gewonnen. Egal wo du warst, das hat dir anscheinend sehr gut getan.“ Er musterte mich skeptisch und ich wich wieder einen Schritt zurück. Ich wollte nicht, dass er mir zu nah kam.

Dieses Zurückweichen ließ Robert erneut auflachen, wobei er mir erneut an die Schulter fasste und ich mich instinktiv verkrampfte. Er sollte einfach verschwinden.

Geh weg! Geh endlich weg! Du bist der Grund, warum es mir so schrecklich geht. Verschwinde einfach!

„Ist doch egal. Du hast dein Spiel lange genug gespielt. Lass mich einfach in Ruhe. Ich habe dir nie etwas getan“, protestierte ich sofort und erneut umspielte seine Lippen nur ein ekelhaftes Lächeln: „So? Hast du das wirklich nicht? Denk noch einmal genau darüber nach, Felix. So unschuldig, wie du gerne tust, bist du nämlich nicht.“

Er tätschelte noch einmal meine Schulter und ging dann einfach davon. Ich konnte es gar nicht glauben, dass ich wirklich in Ruhe gelassen wurde. Das war ja der Wahnsinn. Was war nur in Robert gefahren? Hatte er vielleicht auch eine Therapie gehabt?

Ungläubig sah ich ihm hinter und wandte meinen Blick erst ab, als er in der Masse verschwunden war. Warum musste er mich jetzt hassen? Wir hatten so vieles zusammen erlebt. So vieles durchgemacht. War ihm das Alles gar nichts mehr wert? Aber was meinte er damit, dass ich nicht unschuldig war?

Ich verstand das Verhalten von Robert nicht. Er hatte nicht versucht mich niederzumachen. Hatte mich nicht angespuckt oder irgendwas anderes. Er war fast beängstigend normal gewesen. Ich möchte nicht freundlich sagen, denn das wäre zu viel gesagt, aber er war auch nicht brutal. Er war neutral und das machte mir mehr Angst als irgendein anderes Verhalten.

Was war geschehen? Was genau hatte ich nicht mitbekommen? Ich wollte es verstehen, doch ich wusste, dass ich Robert danach nicht fragen konnte. Wer wusste, wann wir wieder so miteinander reden konnten, ohne dass er mir eine Faust in den Magen rammte?

Ich seufzte und fuhr mir durchs Haar, bevor ich mich dann einfach weiter auf den Weg nach Hause machte. Dieses Rätsel würde sich irgendwann auch noch lösen. Doch im Moment hatte ich zu wenig Puzzleteile, um irgendwas bewerkstelligen zu können, wodurch ich das Gespräch in eine dunkle Ecke meines Gedächtnisses schob und lieber wieder an die aufbauende Unterhaltung mit dem Therapeuten zurückdachte. Irgendwann würde es sich schon wieder einrenken. Irgendwann…


Ich ließ meine Tür zufallen und war froh, dass meine Eltern irgendwo waren nur nicht Zuhause, denn auf die Fragen, wie es war und wie es mir jetzt ging, hatte ich gerade wirklich keine große Lust. Wenn ich ehrlich war, dann wusste ich im Moment nicht einmal die Antworten darauf.

Ging es mir wirklich gut? War das Gespräch hilfreich gewesen? Im Moment fühlte sich das Alles so an, doch ich wusste nicht wirklich, ob es auch noch in zwei Stunden so sein würde. Zumal wenn ich an das Treffen mit Robert zurückdachte, dann schien es mir irgendwie nichtig zu sein.

Ein Seufzer stahl sich über meine Lippen, als ich an seine letzten Worte dachte. Woran sollte ich schuld sein? Ich hatte nichts gemacht. Nur ihm erzählt, wie ich wirklich empfand. Was war daran ein Fehler?

Kurz nahm ich mein Handy in die Hand und drehte es ein wenig in den Fingern. Sollte ich ihm eine Nachricht schreiben? Ich hatte seine Nummer noch, denn auch wenn er grausam zu mir war, so konnte ich sie noch nicht löschen. Irgendwie tat ich mir generell schwer, Kontaktdaten von anderen Menschen zu löschen. Vielleicht wollte man später ja noch einmal mit ihnen darüber reden.

Erneut musste ich seufzen und strich mir durchs Haar. Warum musste mein Leben nur so kompliziert sein? Wieso konnte ich nicht einfach glücklich werden? Warum ließ man mich nicht in Frieden leben?

Ich steckte das Telefon weg und stand auf, um an meinen Rechner zu gehen. Mein Therapeut hatte mir eine Internetadresse gegeben, wo ich Gleichgesinnte treffen würde. Er war der Meinung, dass es mir durchaus helfen könnte, wenn ich mit Leuten reden würde, die das Selbe wie ich durchmachten. Vielleicht konnte ich daraus noch einmal zusätzliche Kraft schöpfen.

Als der Rechner fertig hochgefahren war, nahm ich Platz und öffnete den Internetbrowser. Schnell war die Adresse eingetippt und ich verschaffte mir einen kurzen Überblick. Das Design wirkte gemütlich mit seinen sanften Pastellfarben und vermittelte mir das Gefühl hier geborgen zu sein.

Es gab einige Bereiche und viele User, wie ich sehen konnte. Im Moment waren sogar ein paar online, wodurch ich allen Mut zusammen nahm und mich anmeldete. Was konnte ich schon verlieren? Niemand musste meine wahre Identität erfahren, wenn ich es nicht wollte. Vielleicht gab es mir wirklich Kraft, mit Gleichgesinnten zu sprechen.

Schnell war ein Nick gefunden: Aijo. Ich lud als Avatar ein Bild von einer Gestalt hoch, die in einer Ecke kauerte, weil dies gerade meine Gefühlswelt am besten beschrieb. Ich fühlte mich verlassen und weinte stumm für mich in dunklen Ecken. Das war mein Leben und ich wünschte mir, dass es anders wäre.

„Hallo zusammen, ich bin Aijo. Fünfzehn Jahre alt“, was sollte ich noch schreiben? Ich wusste gar nicht, was ich wirklich von mir preisgeben wollte, wodurch ich mich einfach dazu entschloss die anderen Beiträge zu lesen. Sie alle schrieben ihr Alter und ihren Namen, warum sie hier waren und was sie sich von der Seite erhofften. Alle ungefähr gleich. Sie wurden fertig gemacht, weil sie anders waren und hofften sich Freunde zu finden, die ihnen Kraft gaben.

Meine Gedanken schweiften zu Alex. Er wäre ein solcher Freund, wenn ich es zugelassen hätte. Und ich spürte, wie sehr mir meine Ablehnung Leid tat. Vielleicht sollte ich doch noch einmal mit ihm reden. Mich mit ihm treffen. Er hatte mir beistehen wollen, obwohl er gewusst hatte, was man mir antat und was ihn treffen könnte.

Ein sanftes Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an ihn dachte, wie er mir aufgeholfen und mit mir gesprochen hatte. Wie ich gesehen hatte, dass er auf mich gewartet und mich verteidigt hatte. Das Alles hat er getan, obwohl er gewusst hatte, was mit mir los war. Sie hatten es ihm gesagt und es war ihm egal gewesen.

Ja, vielleicht war er ein Mensch, der mir helfen konnte, die letzten vier Jahre zu überleben. Ich musste ihm nur die Gelegenheit dazu geben und das würde ich. Morgen würde ich zu ihm gehen. Hoffentlich wollte er noch etwas mit mir zu tun haben.

Mit diesem Entschluss wandte ich mich noch einmal zu meinem Anfangsbeitrag, um ihn weiterzuschreiben: „und schwul. Ich habe mich vor einiger Zeit bei meinem besten Freund geoutet und seitdem macht er mich fertig, verprügelt mich und schikaniert mich, wo es nur geht. Immer wieder versucht er mich fertig zu machen. Meine Eltern haben mich zu einem Therapeuten geschickt und dieser hat mir die Adresse von diesem Forum gegeben. Ich hoffe mir durch meine Mitgliedschaft Halt und Kraft zu finden, um mein Leben irgendwie zu überstehen. Mit freundlichen Grüßen Aijo.“

Ich schickte ihn ab und musste lächeln. So schwer war es ja nicht gewesen. Niemand kannte mich und würde auf mich zurückkommen. Ich konnte mir dort Rat holen, ohne jemals zu zeigen, wer ich wirklich war. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob dieses Forum mir wirklich Kraft geben konnte. Denn es waren alles Fremde. Sie würden mir Mut zusprechen und mir vielleicht zuhören. Doch sie konnten die Prügel nicht stoppen und mich nicht halten, wenn ich am Verzweifeln war.

Sofort unterbrach ich meine negativen Gedanken und schüttelte meinen Kopf, bevor ich mich dann ein wenig weiter in dem Forum umsah. Jeder hatte einen Thread eröffnet, wo er über seine aktuelle Situation berichtete und man eine kurze Rückmeldung geben konnte, wie es einem gerade erging.

So einen besaß nun auch ich und ich wollte noch gar nicht nachlesen, wie es den anderen ging. Wollte nicht sehen, was mir noch alles passieren könnte, wenn die Meute erst einmal richtig Blut geleckt hatte.

Doch ein Thread fiel mir fast augenblicklich ins Auge: „RIP, wir konnten es nicht verhindern.“ Sofort bildete sich ein Kloß in meiner Kehle, den ich nicht herunterschlucken konnte, egal, wie sehr ich es versuchte. Dennoch konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und klickte darauf. Es waren so viele Beiträge und ich scrollte entlang.

So viele Bilder. So viele Gedenkschreiben, die mir die Tränen in die Augen trieben. Sie alle hofften, dass derjenige oder diejenige jetzt Frieden hatte und glücklich wäre und dass sie sie niemals vergessen würde. Manche von denjenigen, die ihr Bedauern aussprachen, tauchten später selbst als Tote auf.

So viele starben. Nahmen sich selbst das Leben oder wurden umgebracht. Ein eisiger Schauer glitt über meinen Rücken und ich entschloss mich aufzuhören. Ich wollte nicht weitergehen und weiterlesen. Schließlich kannte ich sie doch gar nicht und dennoch gingen mir ihre Schicksale nahe. Ich könnte auch irgendwann dort stehen.

Auch wenn ich nicht vorhatte, mich selbst umzubringen, so konnte ich mir nicht sicher sein, dass man mich nicht doch irgendwann aus Hass töten würde. Alex selbst hatte so etwas auch schon angedeutet. Hatte er dies schon einmal erlebt? Irgendwann einmal?

Ich schüttelte den Kopf und zwang mich etwas anderes zu tun, wodurch ich wahllos durch das Internet surfte. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder zu diesem Abschiedsthread zurückkehrten. Sie waren alle so jung und sie waren alle in irgendeiner Weise auch wie ich…


„Alex?“ Meine Stimme war leise, als ich zögerlich meine Hand nach ihm ausstreckte. Er sprach mit unbekannten Gestalten und schien nicht auf mich zu reagieren. Ich wünschte mir, dass er mich ansah. Noch einmal ein Lächeln schenkte.

„Alex?“ Ich wollte ihn berühren, doch er verschwand, als meine Finger durch seinen Körper glitten. Was passierte hier?

„Du bist widerlich“, hörte ich die Stimme von Robert, „warum hast du mir das gesagt? Hättest du nicht einfach weiter schweigen können? Ich hasse dich!“

Immer wieder drehte ich mich um die eigene Achse, doch alles um mich herum war schwarz. Ich wünschte mir, dass ich ihn sehen und um Verzeihung bitten konnte. Auch wenn ich nicht wusste, was ich ihm eigentlich getan hatte. Was wollte er von mir hören? Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Oh Gott, wenn ich das könnte, hätte ich es doch schon längst getan.

„Perversling! Du bist so ein Egoist!“, hörte ich weiter seine Anschuldigungen, ohne ihn zu sehen. Wo war er? Warum zeigte er sich nicht? Und wovon sprach er?

„Ich… ich liebe doch niemanden von euch. Ihr seid nicht mein Typ. Glaubt mir doch, ich will nichts von euch“, begehrte ich auf, doch ich hörte nur das höhnische Lachen. Es wurde lauter und kam von überall her.

Warum ließen sie mich nicht in Ruhe? Was hatte ich nur getan? Ich will das nicht mehr. Verdammt ich will es nicht!

„Hört auf!“, schrie ich in die Dunkelheit und hoffte, dass sie mich endlich in Frieden ließen. Ihr Lachen verstummte. Warum wollten sie mich ärgern? Was war ihr wahres Ziel?

„Du hast mit deinem Outing mein Leben zerstört.“ Erneut war dort Robert und jetzt trat er aus der Dunkelheit auf mich zu. Er blieb vor mir stehen und sah mich mit einer Kälte in den Augen an, dass ich mich am Liebsten in irgendein Loch verkrochen hätte.

„Das… das stimmt doch nicht“, begehrte ich auf, wenngleich ich es kaum wagte, ihn anzusehen. Ich wollte diesen Hass nicht visuell aufnehmen. Es reichte schon, dass ich ihn hörte. Bitte, bitte, lass mich gehen.

„Was macht dich da so sicher?“ Seine Stimme war so eiskalt. Ich hasste ihn für das. Nein, das konnte ich nicht. Er war mein bester Freund gewesen. Wir hatten so viel Spaß zusammen. So oft haben wir gelacht. Wieso warf er das weg? Warum?

„Weil ich dir niemals schaden wollte“, erklärte ich mich und schluckte schwer, „du bist mein bester Freund, Robert. Ich… ich sehne mich danach, dass wir wieder zusammen sitzen und einfach über alles reden.“

„Das ist vorbei!“ Roberts Stimme war schneidend und sie ließ mich unbewusst zusammen zucken. Warum war er so grausam zu mir? Ich… ich hatte doch gar nichts getan.

„Warum?“ Die Worte kamen zittrig über meine Lippen und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, wobei ich es wagte zu ihm hochzusehen. Warum konnte er so grausam sein, obwohl wir beste Freunde gewesen waren? Wieso sah er mich so kalt an? Das war einfach nicht fair.

„Weil du es kaputt gemacht hast“, sprach er ruhig weiter und erneut spürte ich, wie ich zitterte, während ich verzweifelt meine Hände ineinander krallte. Ich konnte seine Worte nicht verstehen. Schließlich hatte ich mit jemanden darüber reden müssen, weil ich sonst das Gefühl gehabt hätte, dass ich irgendwann platzen würde.

„Das… das wollte ich nicht“, widersprach ich erneut und ich wünschte mir, dass meine Stimme nur ein bisschen fester wäre, doch dies war leider nicht der Fall. Sie zitterte und flatterte wie eine Kerze im Wind. Wieso konnte ich nicht einfach mehr Selbstbewusstsein haben?

„Dennoch hast du es getan.“ Wie konnte er so kalt zu mir sein? Hatte er die gemeinsame Zeit denn wirklich schon vergessen? War sie ihm gar nichts mehr wert?

Ich sah ihn an. Mit großen Augen und einem Flehen im Blick, dass dies alles endlich aufhören möge. Wir konnten doch immer noch Freunde sein. Einfach nur Freunde sein. Ich wollte doch nicht mehr. Nur die Zeit zurück, als wir gemeinsam Karten gespielt oder zusammen die Mädchen geärgert haben.

„Das wollte ich nicht. Sag mir, wie kann ich es wieder gut machen?“ Ich würde alles tun. Alles, damit er mich nicht mehr hasste und dieser Albtraum endlich aufhörte. Es sollte einfach nur enden. Ich hatte das Gefühl, dass ich es sonst nicht überstehen würde.

Ein paar Atemzüge vergingen und im nächsten Moment trat er näher an mich heran. Er griff nach meiner Hand und drückte etwas Kaltes in sie hinein, legte meine Finger darum und gab mir nur einen kurzen Befehl: „Töte dich.“


Ich starrte an die Decke. Sie war weiß. Immer noch. So rein und unschuldig. Ich hasste sie, weil sie so war und sie mir auch nicht dabei half, den Traum zu vergessen. Das Gefühl der Klinge in meiner Hand und der Klang des Befehls in meinem Ohr verschwanden einfach nicht.

Ich war mitten in der Nacht aufgewacht und jetzt ging die Sonne langsam auf. Ich konnte nicht schlafen. Wollte nicht mehr, weil ich Angst hatte, dass der Traum weitergehen könnte. Dachte Robert wirklich so? War das sein Wunsch? Wollte er, dass ich starb?

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Nein, ich sollte nicht so darüber denken. Niemals hatte ich wirklich sein Leben zerstört. Das redete er sich nur ein. Sonst nichts.

Erschöpft fuhr ich mir durchs Gesicht, wobei mein Blick zu meinem Handy glitt und ich das kleine Gerät in die Hand nahm, bevor ich dann doch eine Nachricht schrieb:

Hallo, Robert. Mir geht unser gestriges Treffen nicht mehr aus dem Kopf und ich wollte dich fragen, was du damit meinst, dass ich dein Leben zerstört hätte. Bitte, antworte mir. Felix

Noch einmal überlegte ich kurz, bevor ich dann auf Senden drückte. Wahrscheinlich würde ich nur eine Hassantwort zurückbekommen, doch es war mir egal. Ich wollte, dass er wusste, dass es mir nicht egal war, wenn es ihm schlecht ging.

Klar, ich sollte mich freuen. Schließlich versuchte er doch selbst, mein Leben zu zerstören. Aber das war lächerlich. Dadurch wäre ich keinen Deut besser als er. Und ich wollte nicht so sein wie er. Hier ging es um Ehre und sonst nichts anderes.

Es war zu früh, um auf irgendeine Antwort zu hoffen, wodurch ich mich einfach dazu entschloss duschen zu gehen. Heute war Wochenende, wodurch ich nicht einmal in die Schule musste und meine Eltern wohl auch noch schliefen.

Kurz überlegte ich, ob es eine gute Idee war, jetzt zu duschen. Ich hatte Angst, dass ich sie damit aufwecken könnte, doch dann zuckte ich nur mit den Schultern. Das ging ja ganz schnell. Sie würden es wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen.

Mit diesen Gedanken huschte ich über den Flur und schließlich unter die Dusche. Alles war gut, wenn ich hier in meinem Zuhause war. Einfach nur perfekt. Niemand hasste mich. Aber auch kannte mich niemand.

Ich seufzte schwer. Wie gerne würde ich es meinen Eltern erzählen. Ihnen einfach die Wahrheit über alles sagen. Dass man mich auf Grund meiner Sexualität in der Schule fertig machte und Robert der Drahtzieher war. Wie gerne würde ich ihnen sagen, dass ich Männer liebte.

Doch ich wusste, dass ich dann keinen Ort mehr hätte, an dem ich nicht beschimpft und geschlagen wurde. Vater würde es niemals akzeptieren. Er würde mich verstoßen und verachten. So wie es alle anderen Männer taten. Alle außer Alex und der Therapeut.

Erneut musste ich an ihn denken, wie er sich für mich eingesetzt hatte. Er für mich da gewesen war und mir eine Stütze sein hatte wollen. Warum hatte ich ihn nur von mir gestoßen? Wieso hatte ich nicht die Stärke beweisen können und seine Hilfe annehmen? So etwas konnte man alleine nicht durchstehen. Das war einfach nicht möglich.

Ich spürte, wie sich mein Körper unter den Gedanken leicht verkrampfte und wie sich erneut Tränen in meine Augen fraßen, als ich an die Schule dachte und wie ich Narr wohl einen guten Freund verschmäht hatte. Warum war ich nur so dumm gewesen?

Langsam sank ich zu Boden, als mich die Verzweiflung weiter überrannte. Ich krallte mich fester in meine Arme und ignorierte das Wasser, wie es auf mich niederschlug. Es war mir egal. Ich war so ein Narr gewesen.

Meine Gedanken schlichen zurück zu dem Abschiedsthread im Forum und erneut spürte ich das kalte Metall von meinem Traum zwischen den Fingern. Es war verlockend und es wäre so einfach.

Aber ich hatte mich nicht dafür geoutet, um dann daran zu sterben. Ich hatte es getan, um endlich frei leben zu können. Ja, ich wollte frei sein. Mich nicht mehr verstecken und zu dem stehen, was ich war. Nein, jetzt deswegen zu sterben, war keine Option. Ich wollte endlich als der leben, der ich nun einmal war.

Schließlich zwang ich mich zur Ruhe und rappelte mich auf. Es war mir egal, was ich dafür tun musste, um endlich Beachtung zu bekommen. Ja, es war mir sogar egal, wenn sie mich erneut verprügeln würden. Irgendwann… und daran glaubte ich wirklich sehr stark, werde ich glücklich sein.

Ja, wahrscheinlich nicht morgen und auch nicht in einem Monat oder gar einem Jahr. Aber irgendwann würden die Schläge aufhören und man würde mich als der Mensch nehmen, der ich war. Darauf wollte ich hinarbeiten, wodurch ich mich nur kurz einseifte und dann schließlich nach dem Abspülen aus der Dusche trat.

Nachdem ich mich einigermaßen abgetrocknet und auch meine Haare ein wenig Nässe verloren hatten, wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüfte, um dann schließlich über den Flur zurück in mein Zimmer zu gehen.

Kurzerhand ließ ich mich wieder auf mein Bett fallen und erkannte, dass ich eine Nachricht bekommen hatte, die ich auch sogleich überrascht öffnete. Wer war denn um diese Uhrzeit schon wach?

Doch auch wenn ich damit nicht gerechnet hatte, so war dies die Antwort von Robert, die mich trocken schlucken ließ:

Lass mich einfach in Ruhe und lösche meine Nummer. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Verpiss dich einfach! Denn wer will schon mit einer Schwuchtel wie dir befreundet sein?


Ich hielt es nicht mehr in meinem Zimmer aus. Es war grauenhaft. Immer wieder schallten die Worte aus dem Traum in meinem Gedächtnis wider und die weißen Wände verspotteten mich. Zeigten wie wertlos ich doch eigentlich war. Es war zum Haare raufen.

So lief ich nun durch die Straßen der Stadt. Ignorierte die Blicke der Passanten. Verließ mich auf mein Bauchgefühl. Ich musste mich bewegen. Einfach laufen und vielleicht so den Schuldgefühlen entkommen. Diesem Empfinden der Wertlosigkeit. Ich hasste mich für das, was ich war, obwohl ich doch eigentlich gar nichts dafür konnte und was würde ich alles geben, um diesen Umstand zu ändern. Aber es ging einfach nicht.

„Felix?“, drang eine bekannte Stimme zu mir durch, die überrascht wirkte, wodurch ich mich zu ihrem Besitzer umdrehte und in die sanften Augen von Alex sah. Ihn hatte ich hier als Allerletzten erwartet, wobei ich ein Lächeln nicht verhindern konnte, als er freundlich auf mich zukam.

„Was treibst du denn hier?“, fragte ich ihn, wobei ich einen Schritt Abstand nahm, als er mich berühren wollte. Ich wusste noch nicht, ob es gut war, wenn ich wieder den Kontakt zu ihm aufnahm. Warum konnte ich mich nicht einmal entscheiden? Jedes Mal wenn es mir schlecht ging, nahm ich mir vor, dass ich zu ihm gehen und sein Hilfsangebot annehmen wollte. Doch wenn er mir dann gegenüber stand, wünschte ich mir, dass er nicht hier wäre.

„Ich wollte ein wenig einkaufen gehen. Einfach mal schauen, was es so gibt und ob irgendwas Interessantes dabei ist. Und du?“ Er lächelte mich sanft an und erneut spürte ich den Drang, mich einfach in seinen Armen zu verkriechen und nie wieder daraus empor zu klettern. Oh Gott, wie sehr wünschte ich es mir, dass man mich einfach nur in den Arm nahm und mich so akzeptierte, wie ich war.

„Na ja, ich brauchte ein wenig frische Luft.“ Ich zuckte mit den Schultern und im nächsten Moment umfasste Alex sanft meinen Unterarm, wobei er mich schon mit sich zog: „Na, dann können wir ja gemeinsam ein wenig shoppen gehen.“

Sein Lächeln war so sanft und ehrlich. Ich liebte es dafür, dass es einfach da war und mir zeigte, dass man mich auch mögen konnte, obwohl man wusste, wie ich empfand und wen ich begehrte. Alex würde mir so gut tun, wenn ich es nur einmal zulassen würde. Aber ich hatte Angst. So unvorstellbare Panik, dass ich damit sein Leben zerstören könnte.

„O-okay.“ Ich stockte und stolperte ein wenig neben ihm her, bevor ich mich fing und dann sanft lächelte und neben ihm herging. Es war ein komisches Gefühl, obwohl ich so schon öfters mit Robert durch die Straßen gezogen war. Robert… er würde mir niemals verzeihen und vor allem würde er mich nie wieder in Frieden leben lassen.

„Warum weichst du mir aus?“, durchbrach Alex nach einer Weile die Stille, wobei ich kurz stockte und ihn überrascht ansah, was ihn erneut dazu verleitete ein wenig zu lächeln: „Ja, ich hab das sehr wohl gemerkt, dass du mir bewusst aus dem Weg gegangen warst. Ich würde nur gerne wissen, warum du das getan hast.“

„Es… ich… ich wollte einfach nicht, dass man dir weh tut. Nein, das hätte ich mir einfach nicht verzeihen können. Alex, du bist ein netter Mensch und vor allem tust du mir gut, aber ich will nicht schuld daran sein, wenn sie dich ebenfalls verprügeln. Ich… ich will nicht, dass du mich dadurch dann hasst.“ Ich sah ihn mit großen Augen an und erneut lächelte er nur, bevor er mir dann sanft gegen den Oberarm schlug: „So ein Quatsch. Ich könnte dich doch niemals dafür hassen, was mir andere antun würden. Schließlich weiß ich, was bei euch los ist und ich finde das einfach nur erbärmlich. Du kannst für deine Empfindungen nichts. Darum werde ich auch bei dir bleiben, wenn du es willst.“

Wie gerne hätte ich in diesem Moment einfach nur laut zugestimmt, doch ich brachte nur ein nervöses Nicken zusammen, was Alex erneut auflachen ließ. Er war so wundervoll. Warum sah ich ihn erst jetzt? Wäre er damals mein bester Freund gewesen, dann würde ich jetzt nicht so nah am Abgrund stehen. Aber mein Leben sollte nicht so sein.

„Schön!“ Er strahlte weiter und wir gingen von einem Laden in den nächsten. Unterhielten uns über alle möglichen Dinge. Es tat gut, endlich einmal wieder so mit einem anderen Menschen zusammen zu sein. Einfach zu lachen und fröhlich zu sein. Es war ein so unbeschreiblich gutes Gefühl, dass ich spürte, wie mir richtig leicht um die Brust wurde.

„Was hältst du davon, wenn wir ab sofort gemeinsam zur Schule gehen?“, schlug Alex plötzlich etwas vor, was ich mir niemals zu träumen gewagt hätte, weshalb ich ihn eine Weile irritiert ansah. Wir hatten vor ein paar Minuten festgestellt, dass wir eigentlich gar nicht so weit auseinander wohnten, dennoch hatten wir uns so gut wie nie gesehen. Schon komisch.

„Ähm, wenn du das gerne möchtest.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich irgendwie nervös wurde, denn endlich schien ich wieder einen richtigen Freund zu haben. Einen Menschen, der es genoss mit mir zusammen zu sein. Vor allem obwohl er wusste, wen ich liebte und mit wem ich gerne mein Bett teilen würde. Ging es jetzt endlich einmal bergauf?


„Na, wen haben wir denn hier?“ Ich hatte gehofft, dass ich diese Stimme nie wieder hören würde. Dennoch war sie da und als ich mich umdrehte, erblickte ich das hämische Grinsen von Robert, wobei sein Blick gefror, als er Alex erkannte. „Und der Spinner ist direkt nicht alleine.“

„Was willst du, Robert?“ Alex’ Stimme war eiskalt und ich sah, wie sich sein Körper anspannte, was Robert nur zum Lachen brachte. Es war ein ekelhafter Laut – kehlig und gemein. Wieso konnte er mir kein Glück gönnen? Warum wollte er alles zerstören?

„Ich habe hier nur den kleinen Perversen gesehen und wollte schauen, ob er dich nicht belästigt.“ Seine Stimme war voller Verachtung und Hohn, wobei ich meinen Blick nur senkte und schwer schluckte. Warum hasste er mich so sehr?

„Felix ist nicht pervers“, widersprach Alex und erneut lachte Robert auf: „Was willst du schon wissen? Hast du keine Angst, dass er sich in dich verliebt? Was machst du, wenn er sich plötzlich an dich schmiegt und mehr will als Freundschaft? Diesen Schwuchteln kann man doch nicht trauen. Alles nur Perverslinge.“

„So ein Blödsinn!“ Das Schnauben von Alex ließ mich zusammenzucken, wobei ich meine Finger zu kneten begann und nicht wusste, was ich sagen sollte, als ich schon spürte, wie sich jemand mir näherte. Warmer Atem strich über meine Wange und ich erschauderte. Was geschah nun?

„Du bist einfach nur widerlich und krank.“ Die Stimme von Robert war leise und ging direkt in mein Ohr, mein Herz und meinen Verstand. Ich spürte, wie mir ein Schluchzen entglitt und wünschte mich irgendwo anders hin, doch er stoppte nicht und blieb so dicht bei mir: „Niemand wird dich mehr mögen. Du wirst für immer alleine sein. Weil das, was du bist, einfach nur abstoßend ist.“

Plötzlich wurde Robert von mir weggerissen und als ich meinen Blick hob, erkannte ich, dass sich Alex auf ihn gestürzt hatte. Sie begannen sich zu prügeln. Wegen mir? Das durfte doch nicht wahr sein. Nein, das war nur ein Trugbild. Verdammt! Alex durfte nicht verletzt werden.

„Hört auf.“ Meine Stimme war zu leise. Sie ging im Tumult, der um uns ausgebrochen war, unter. Sie blieb schwach und ich fühlte mich hilflos. Immer wieder trafen sie sich und wälzten sich über den Boden. Was war nur geschehen? Warum tat Alex das für mich?

„Bitte.“ Ich spürte, wie sich Tränen in meine Augen fraßen und ich mir wünschte, dass sie einfach nur aufhörten. Sie mussten sich nicht wegen mir streiten. Ich war es doch gar nicht wert, dass man sich so stark für mich einsetzte. Verdammt, Alex!

Sie waren sich ebenbürtig. Keiner gab nach und egal, wie viele Treffer kassiert wurden, sie ließen nicht voneinander ab. Worte wurden gewechselt, die ich nicht hören konnte. Ich sah nur die Bewegungen ihrer Lippen und den Hass in ihren Augen. Warum taten sie das? Das war doch nicht richtig!

„Verdammt… ich bin es doch gar nicht wert.“ Die Verzweiflung stürmte immer wieder meine Gedanken und ich krallte mich Halt suchend in meine Hose. Wieso ging niemand dazwischen? Das war doch nicht richtig.

Ich versuchte zu Alex durchzudringen und berührte ihn an seiner Schulter, doch im Affekt schlug er mich von sich und ich spürte, wie meine Lippen unter der Wucht aufplatzten. Blut lief in meinen Mund und ich tastete verwirrt danach.

Alex stoppte dadurch und sah mich entsetzt an. Er wollte etwas sagen, doch Robert nutzte seine Abwesenheit und schlug hart zu, wodurch Alex zu Boden ging und röchelnd liegen blieb. Mein ehemals bester Freund trat noch zweimal voller Wucht zu, wodurch sich Alex zusammenkrümmte und immer wieder hustete.

„Merk dir das. Er ist es nicht wert, beschützt zu werden. Das nächste Mal kommst du nicht zu glimpflich davon.“ Robert spuckte auf den am Boden liegenden Jungen und ich spürte, wie ich mich schuldig fühlte. Warum hatte ich mich eingemischt? Das war doch nicht richtig gewesen. Nur wegen mir hatte Alex jetzt verloren.

Sofort robbte ich zu ihm und berührte ihn vorsichtig am Oberarm, wobei ich in sein schmerzverzerrtes Gesicht sah: „Es… es tut mir Leid.“

Ein quälendes Lächeln legte sich auf die Lippen meines neuen Freundes, wobei er erneut kurz hustete, weil er noch nicht schmerzfrei Luft bekam, doch dann winkte er ab: „Es war meine Entscheidung und irgendwer muss sich für dich einsetzten. Niemand sollte alleine auf weiter Flur stehen.“

Es war eine angenehme Wärme, die sich in meinem Inneren ausbreitete und Tränen in meine Augen trieb. Wie konnte man nur so aufopfernd sein? Alex kannte mich doch nicht einmal. Er hatte mich vorher nie bemerkt und jetzt prügelte er sich für mich. Warum tat er das?

„Komm, ich bring dich zu dir. Wir müssen uns um deine Verletzungen kümmern.“ Ich half ihm, sich aufzurichten und stützte ihn. Ich hatte wieder einen Freund. Einen richtigen Freund. Mein Herz machte Freudensprünge und überschlug sich eifrig. Immer wieder aufs Neue. Ich war einfach nur glücklich. Unsagbar glücklich…


Wir saßen auf seinem Bett, während ich seine Schrammen notdürftig versorgte. Darin hatte ich mittlerweile ein wenig Erfahrung, auch wenn es mir lieber wäre, dass es nicht so wäre, doch daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern.

Immer wieder zog er scharf die Luft ein, wenn ich falsch an eine Stelle kam und ich entschuldigte mich auch immer dafür. Aber dann wurde es wieder still im Raum. Ich lauschte unseren Atem und versuchte so wenig Schmerzen wie möglich anzurichten. Schließlich mochte ich ihn und er war nur in dieser Lage, weil er sich für mich eingesetzt hatte. Da war es nicht fair, wenn ich ihn dafür bestrafte. Definitiv nicht.

„Du, Alex?“, unterbrach ich nach einer Weile die meditative Stille zwischen uns, wobei ich von seiner Seite nur ein kurzes Brummen bekam, was mich kurz schlucken ließ. Ich musste all meinen Mut sammeln, um die nächste Frage stellen zu können, obwohl ich eigentlich keine Angst haben müsste. Alex war auf meiner Seite. Er würde mir nichts tun, dennoch war die Furcht da, dass er mich von sich stoßen könnte.

„Warum hast du das getan?“ Meine Stimme zitterte und ich musste öfters die Wörter neu beginnen, doch als es draußen war, fühlte ich mich unendlich frei und entspannte mich ein wenig. Es tat gut, sich so zu fühlen.

„Na, um dich zu verteidigen.“ Er schien die Frage nicht zu verstehen, doch dadurch, dass der Knoten jetzt gelockert war, fiel es mir leichter weiter nachzubohren und nicht klein beizugeben: „Ja, das weiß ich doch. Aber warum tust du das? Ich war für dich eigentlich immer ein Fremder. An dem Tag, als ich auf dem Pausenhof lag, da kanntest du mich gar nicht. Dennoch bist du stehen geblieben. Das hat sonst niemand getan.“

„Ich habe halt einen starken Beschützerinstinkt.“ Er zuckte mit den Schultern und ich wünschte mir, dass ich es glauben könnte, doch irgendwie spürte ich, dass dort mehr war. Um so vieles mehr. Als er mich angesehen hatte, war es, als wäre es ihm bekannt und er ertrug diesen Anblick nicht.

„Ich glaube, dass da mehr dahinter steckt“, sprach ich dann meine Vermutung aus und erneut verspannte er sich. Ich hoffte, dass ich mit dieser Aussage nicht zu weit gegangen war. Schließlich hatte ich ihn gerade erst für mich gewinnen können und ich wollte ihn nicht sofort wieder verlieren. Das war nicht gut. Einfach nicht gut.

„Da täuschst du dich.“ Seine Stimme wurde bedrohlich leiser und ich stockte kurz. All die Wärme verschwand gerade und sein Körper verkrampfte sich vor mir. Was ging in seinem Kopf vor? Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Er verheimlichte mir etwas. Irgendwas trieb ihn dazu mir zu helfen. Aber was?

„Warum reagierst du dann so angespannt?“, bohrte ich nach. Sah nicht das große, rote Stoppschild blinken und hörte auch kurz auf seine Wunden zu versorgen, um nachzusehen, ob ich überhaupt etwas übersehen hatte.

„Ich bin nicht angespannt.“ Ich sah, wie er zwanghaft versuchte sich zu entspannen, doch es misslang ihn. Seine Schultern blieben verkrampft und er presste auch seinen Kiefer aufeinander. Was beschäftigte ihn? Wieso handelte er so, wie er es tat? Warum konnte er es mir nicht sagen?

„Bist du sehr wohl?“ Ich tastete nach seinen Schultern und wollte sie ein wenig massieren, doch in diesem Moment schlug er mit einem „Fass mich nicht an“ meine Hände einfach weg. Er sprang förmlich Abstand nehmend von mir und funkelte mich an.

Ich sah das feuchte Glänzen in seinen Augen und spürte, dass ich zu weit gegangen bin, wodurch ich bedrückt meinen Kopf hängen ließ und auf meine Hände starrte: „Es… es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht nerven.“

Ein Seufzer glitt über seine Lippen und hang wie ein dichter Nebel im Raum. War ich dabei meinen Freund schon wieder zu verlieren? Wie widerlich musste ich sein, dass es niemand mit mir lange aushielt? Was machte ich nur immer wieder falsch?

Nun spürte ich selbst die Tränen in meinen Augen, die ich verzweifelt runter schluckte und prophylaktisch über mein Gesicht mit meinem Ärmel strich. Ich wollte jetzt nicht vor Alex weinen. Ihm nicht zeigen, wie kaputt meine Seele von all dieser Tyrannei schon war. Nein, ich wollte einfach kein Mitleid von ihm.

„Es ist nicht wichtig, warum ich dir helfe. Das Einzige, was zählt, ist die Tatsache, dass ich es tue. Was bringt es dir, wenn du meine Motive kennst? Daran wird sich an der aktuellen Situation nicht viel ändern. Warum willst du es also unbedingt wissen?“ Ich spürte, wie er sich leicht auf dem Bett bewegte, und ich unterdrückte das Zittern, als ich die Trauer in seiner Stimme hörte.

„Ich würde dich besser verstehen“, flüsterte ich und hob erst jetzt meinen Blick wieder, um Alex anzusehen, wobei ich sah, dass ihm vereinzelte Tränen über die Wangen liefen. Was bewegte ihn? Dieser bodenlose Schmerz, der sich durch seine sonst so sanften Augen zog, tat mir in der Seele weh und ich wünschte mir, dass ich ihm irgendwie helfen konnte. Ihm irgendwie diese Trauer nehmen konnte.

„Das wirst du auch so. Du musst nicht alles von Anfang an wissen. Irgendwann wirst du es verstehen. Kommt Zeit, kommt Verständnis.“ Er lächelte mich über den Schmerz hinweg an und ich versuchte es zu erwidern.

Die Spannung zwischen uns löste sich langsam auf und ich wagte es wieder normal zu atmen. Mit dem festen Vorsatz, dass ich ihn nie wieder nach seinen Motiven fragen würde, entspannte ich mich. Wenn er der Meinung war, dass die Zeit gekommen war, dann würde er es mir schon erzählen. Da war ich mir mehr als sicher…


Verhasst

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