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Dabeisein ist nicht alles
Оглавление23.12.2019, Missy Magazine
Es ist kein Geheimnis, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und jene, die von Rassismus betroffen sind, in deutschen Medien unterrepräsentiert sind. Der sogenannte Migrationshintergrund, der allerdings keine Auskunft darüber gibt, ob eine Person auch von Rassismus betroffen ist, beträgt in Deutschland 25 Prozent. Dieser Anteil lässt sich aber in der deutschen Medienlandschaft nicht wiederfinden.
In einem ZEIT-Streitgespräch, das am 17. Dezember veröffentlicht wurde, sagte der ZDF-Chefredakteur Peter Frey, dass Björn Höcke kein möglicher Talkshowgast für den Sender sei. Er erinnerte an seinen Kommentar zur Thüringenwahl, in dem er sagte, wer dem AfD-Politiker im Oktober bei der Landtagswahl die Stimme gegeben hat, habe bewusst rechtsextrem gewählt. Aber Frey sagte im Streitgespräch auch was anderes – und zwar, dass das ZDF nicht alle Gäste mit Migrationshintergrund, die sie gern bei ihren Talkshows dabeihätten, bekomme: „Manche schlagen unsere Einladung aus, weil sie nach Auftritten schon viele Anfeindungen erlebt haben.“
Ebenso kein Geheimnis (lässt sich zumindest hoffen): Wer als betroffene Person öffentlich über gesellschaftliche Probleme spricht, wird in der Regel zur Zielscheibe gemacht. Die Ursache könnte darin liegen, dass die Hemmschwelle, benachteiligte Menschen anzugreifen, niedriger ist als bei privilegierten Menschen. Das hängt zum einen mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zusammen – wer kann sich eher wehren, wer verfügt über ausreichend Ressourcen, für wessen Schicksal interessiert sich die Mehrheit, mit wem zeigt sie sich solidarisch?
Zum anderen hängt das auch damit zusammen, dass von marginalisierten Menschen erwartet wird, dankbar für ihr bloßes Existenzrecht zu sein, dafür, überhaupt in dem betreffenden Land leben zu dürfen und sich nicht über Missstände zu beschweren. Woran liegt es, dass Menschen, die ihre Diskriminierung öffentlich problematisieren, als Nestbeschmutzer*innen abgestempelt werden? Für mich nicht auszuschließen, dass das ein Erbe der Nazizeit sein könnte, in der diese Gruppen ja nicht existieren durften. Existieren zu dürfen, nicht getötet zu werden, wird heute als Beweis genommen, dass es nichts mehr gebe, worüber man sich beklagen könne. Nun, nur weil Nazideutschland besiegt wurde, heißt das nicht, dass die Bundesrepublik kein Demokratieproblem hat.
Die Konsequenz des Hasses ist für viele betroffene Menschen, sich lieber zurückzuziehen. Das ist nicht nur die Erfahrung von Peter Frey, sondern geht auch aus einer Studie von Amnesty International aus dem Jahr 201716 hervor. Diese Entscheidung ist jedem betroffenen Menschen selbst überlassen. Sie müssen sich schützen und sie schulden der Mehrheitsgesellschaft nichts, vor allem, wenn ihr Engagement mit Gewalt bestraft wird und die Mehrheit das übersieht oder ignoriert. Allerdings ändert ihr Recht auf Rückzug nichts an der Tatsache, dass dadurch bestimmte Perspektiven, die ohnehin kaum hör- und sichtbar sind, noch weniger gesehen und gehört werden. Wenn deutsche Medien oder die Zivilgesellschaft betroffene Menschen für ihre Talkshows, Gastbeiträge oder Podiumsdiskussionen gewinnen möchten und einladen, denken sie auch an Schutzmechanismen? Wenn diese eingeladenen Gäste später angefeindet, angegriffen und bedroht werden – was machen sie? Wie gehen sie damit um? Bleiben sie dran? Fragen sie die betroffenen Menschen, was sie brauchen, was sie für sie machen können? Unterstützen sie sie mit Rat und Tat? Vernetzen sie sie mit Beratungsstellen, stellen ihnen juristische Unterstützung zur Verfügung? Greifen sie ihnen unter die Arme? Zumindest nicht flächendeckend. Die Abbildung der gesellschaftlichen Realität in Talkshows, Podiumsdiskussionen oder Zeitungen besteht nicht nur darin, durch ein Quotensystem bestimmte Gruppen dabeizuhaben. Dabeisein ist nicht alles, kann sogar unter Umständen zur Benachteiligung von marginalisierten Personen führen. Darin besteht auch das Quotendilemma. Unterschiedliche Gruppen haben unterschiedliche Probleme und Bedürfnisse, die in den meisten Fällen nicht beachtet werden. Nicht alle haben dieselben Startbedingungen und nicht alle müssen mit den gleichen Konsequenzen rechnen. Dieselbe Aussage kann drastisch unterschiedliche Reaktionen auslösen, wenn sie von einem weißen, heterosexuellen, cisgeschlechtlichen, nicht behinderten Mann aus dem Mittelstand kommt oder aber von einer Schwarzen trans Frau, die im Rollstuhl sitzt. Diese beiden mögen in demselben Land leben, dennoch haben sie grundverschiedene Realitäten. Das Publikum filtert und bewertet ihre Aussagen nicht nach denselben Maßstäben.
Ich begrüße es, dass Peter Frey weiß, dass beim ZDF Bedarf an mehr unterschiedlichen Realitäten und Perspektiven besteht. Immerhin – auch wenn 2019 ein bisschen spät ist. Die Frage der Absagen dürfte sich höchstwahrscheinlich von alleine klären, wenn sich deutsche Medien und die Zivilgesellschaft, die marginalisierte Gruppen bei ihren Diskussionen über gesellschaftspolitische Themen dabeihaben möchten, auch für die Folgen ihrer Teilnahme verantwortlich fühlen und Maßnahmen ergreifen, um diese zu schützen. Alleingelassen zu werden, ist nämlich bisher so ziemlich das größte Problem.