Читать книгу Syltwind - Sibylle Narberhaus - Страница 6

Kapitel 2

Оглавление

»Worüber amüsierst du dich so königlich?«

Nick stand mit dem Rücken gegen den Kühlschrank gelehnt und beobachtete mich mit einem Grinsen im Gesicht, wie ich den Geschirrspüler ausräumte. In einer Hand hielt er trotz der späten Stunde einen Kaffeebecher, die andere steckte in der Hosentasche seiner Jeans.

»Du läufst seit einer halben Stunde wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her.« Er setzte den Becher an die Lippen und trank einen Schluck.

»Ich habe eben viel zu erledigen«, gab ich zurück. »Und außerdem …«

»Außerdem?« Er sah mich mit prüfendem Blick von der Seite an.

»Meinst du, es wird alles problemlos laufen?«

»Ach, Anna.« Nick stellte seine Tasse ab. Dann nahm er mir die Plastikschüssel, die ich fest umklammert in der Hand hielt, ab und stellte sie zur Seite.

»Mach dir nicht so viele Sorgen, Sweety!« Er zog mich an sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Christopher wird es hervorragend gehen, und ihm wird es an nichts fehlen, davon bin ich überzeugt. Deine Eltern freuen sich seit Wochen auf diesen Urlaub mit ihrem Enkel. Gönn’ ihnen den Spaß! In zehn Tagen sind sie zurück.«

»Du hast ja recht, und Amrum liegt auch nur einen Katzensprung von Sylt entfernt. Trotz allem, es ist das erste Mal, dass er für so lange Zeit von uns getrennt ist. Vermisst du ihn denn gar nicht?«

»Natürlich vermisse ich ihn. Was denkst du denn?« Eine gehörige Portion Empörung schwang in seiner Stimme mit. »Ich bin sicher, unser Kleiner wird viel Spaß haben.«

»Hoffentlich wird es meiner Mutter nicht zu viel. Sie ist ein Kleinkind um sich herum nicht mehr gewohnt.«

»Zu viel?« Nick lachte. »Da kennst du deine Mom aber schlecht. Sie wird in ihrer Rolle als Oma zur Höchstform auflaufen. Daran bestehen keinerlei Zweifel, den stolzen Opa nicht zu vergessen!«

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab ich mit einem Seufzer zurück. Es bestand tatsächlich nicht der geringste Grund, mir den Kopf zu zerbrechen.

»Bestimmt sogar. Und jetzt komm, lass uns vor dem Schlafengehen eine Runde mit Pepper drehen«, forderte er mich auf und reichte mir seine Hand.

Etwas Kaltes kitzelte mich am Fuß. Reflexartig zog ich ihn unter die Bettdecke. Dann öffnete ich die Augen und blinzelte ins helle Sonnenlicht, das unser Schlafzimmer flutete. Winzige Staubpartikel tanzten im Licht wie Mücken über dem Wasser. Gleich darauf entdeckte ich Pepper neben mir, der mir mit einem Schwanzwedeln und seinem treuen Blick einen guten Morgen wünschte. Ich kraulte ihn hinterm Ohr, was er mit einem wohligen Grunzen, schief gelegtem Kopf und halb geschlossenen Augen honorierte. Nach der Streicheleinheit trottete er zufrieden davon. Aus dem angrenzenden Badezimmer konnte ich das Rauschen des Wassers in der Dusche hören. Nick war bereits auf den Beinen, was für einen Frühaufsteher wie ihn nicht verwunderlich war. In dieser Hinsicht hätten wir nicht gegensätzlicher sein können, denn ich schlief für mein Leben gerne lang. Seit Christopher jedoch auf der Welt war, konnte ich die Tage, an denen ich ausgiebig ausschlafen konnte, an einer Hand abzählen. Schweren Herzens schälte ich mich aus meinem warmen Nest und schlurfte ins Badezimmer.

»Guten Morgen, Sweety! Gut geschlafen?«, wurde ich von Nick begrüßt, der mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt vor dem großen Spiegel stand und sich rasierte.

»Wie ein Stein«, bestätigte ich mit einem Gähnen und schmiegte mich an ihn. Seine Haut war warm und roch verführerisch nach seinem Duschgel. Hier und da auf seiner Haut schimmerten vereinzelt Wasserperlen in der Morgensonne.

»Frühstücken wir gleich zusammen?«, fragte er.

»Ja, sollten wir nicht?«, erwiderte ich überrascht über seine Frage und löste mich von ihm.

»Ich hatte angenommen, du seist in Eile, da um 8.30 Uhr dein Segelkurs beginnt. Das steht jedenfalls auf unserem Kalender in der Küche.«

»Mist! Das ist ja heute! Das habe ich vollkommen vergessen«, fiel es mir siedend heiß ein.

»Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass du dir gestern nicht den Wecker gestellt hast. Dann gib mal Gas!«

In Windeseile machte ich mich fertig und griff beim Verlassen des Hauses nach dem Thermobecher mit Tee, den mir Nick freundlicherweise reichte.

»Viel Spaß und fahr vorsichtig!«, rief er mir nach. »Auf fünf Minuten früher oder später kommt es nicht an.«

»Ja, danke! Bis später!«

Ich sprang in meinen Wagen und fuhr auf schnellstem Weg nach Hörnum zum Hafen, wo sich auch vor Ort der Segelclub befand. Meine Eltern hatten mir zu meinem letzten Geburtstag auf Initiative meiner Mutter hin einen Segel-Schnupperkurs geschenkt, da sie der Ansicht waren, dass es in Anbetracht der Tatsache, dass ich auf einer Insel lebte, zwingend notwendig sei, sich im Notfall auch auf dem Wasser bewegen zu können. Dieser Kurs umfasste neben einer kurzen theoretischen Einführung einen praktischen Teil, einen kleinen Törn auf dem Meer, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Ehrlicherweise musste ich gestehen, dass ich selbst nie auf die Idee gekommen wäre, einen entsprechenden Kurs zu belegen, und es nicht für überlebensnotwendig hielt, dennoch wollte ich meine Eltern nicht enttäuschen. Meine beste Freundin Britta, die seit vielen Jahren auf Sylt lebte, hatte zum zehnten Hochzeitstag von ihrem Mann Jan ein Segelboot geschenkt bekommen und zählte von nun an zur Gruppe der begeisterten Segler. Bei mir war diesbezüglich bis jetzt kein Funke übergesprungen, ich bevorzugte eher festen Boden unter den Füßen.

In Hörnum angekommen, parkte ich meinen Wagen auf dem großen Parkplatz direkt am Hafen. Von dort aus trennten mich nur wenige Gehminuten vom Segelclub. Obwohl sich das Wetter von seiner besten Seite zeigte, waren bislang wenige Urlauber rund um den Hafen auf den Beinen. Um diese Zeit saßen die meisten von ihnen noch beim Frühstück, mutmaßte ich. Mein Ziel befand sich am hinteren Ende des Hafens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Golfplatz »Budersand« und dem gleichnamigen Luxushotel. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichte ich das graue Gebäude des Sylter Yachtclubs, das als Treffpunkt genannt wurde. Bereits von Weitem erkannte ich eine wartende Gruppe Personen, die offensichtlich dasselbe Ziel hatte wie ich.

»Moin«, grüßte ich in die Runde und erntete ein mehr oder weniger freundlich gemurmeltes »Guten Morgen«.

Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein sportlicher, junger Mann mit kurz geschnittenem blonden Haar, in dem eine Sonnenbrille steckte, kam auf uns zu. In seinem sonnengebräunten Gesicht blitzte neben zwei blauen Augen eine Reihe strahlend weißer Zähne. Mir blieb das leise Raunen der vornehmlich weiblichen Anwesenden nicht verborgen.

»Moin und herzlich willkommen! Mein Name ist Bastian.« Er strahlte in die Runde. »Ich bin Segellehrer und führe euch heute durch den Segel-Schnupperkurs.« Dann begann er, die Teilnehmerliste durchzugehen und rief jeden namentlich auf. Im Anschluss schilderte Bastian den geplanten Ablauf des ersten Tages im Detail.

»Okay, das wär’s fürs Erste. Wenn für den Moment von eurer Seite keine weiteren Fragen bestehen, würde ich euch gern als Erstes den Bootsanleger zeigen und euch mit den geltenden Sicherheitsbestimmungen auf dem Gelände vertraut machen. Wenn ich bitten darf!«

Er machte eine ausholende Handbewegung, und wir folgten ihm die Stufen hinunter zu den Stegen, an denen die Boote angelegt hatten.

»Machst du Urlaub auf der Insel?«, fragte er mich auf dem Weg dorthin.

»Nein, ich habe das Glück, hier zu wohnen und zu arbeiten, bin jedoch keine echte Sylterin«, stellte ich klar.

»Das sind mittlerweile die wenigsten. Das ist erst mein zweiter Sommer auf Sylt, aber mir gefällt es ausgesprochen gut hier. Unsere Segelschule hat übrigens auch Einzelstunden im Angebot, falls du Interesse haben solltest«, ließ er mich mit einem schelmischen Grinsen wissen.

»Was du nicht sagst«, erwiderte ich amüsiert über diesen offensichtlichen Flirtversuch.

»Gerade für Berufstätige wie dich kann das durchaus von Vorteil sein. Ich kann im Anschluss gern nach einem Termin sehen, wenn du magst«, legte er nach.

»Sehr entgegenkommend.« Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn mit seinem Verhalten war exakt das eingetreten, was Britta prophezeit und ich als überholtes Klischee abgetan hatte. Der Punkt ging eindeutig an meine Freundin. Gedanklich sah ich sie bereits vor mir mit zufriedener Miene und Siegerfaust.

»Bastian, fahren wir heute noch mit dem Boot raus?«, erkundigte sich eine Teilnehmerin und sah ihn verzückt an.

»Nein, das steht erst morgen auf dem Stundenplan. Heute machen wir nur Trockenübungen an Land.« Er zwinkerte ihr zu, was augenblicklich eine Gesichtsrötung bei ihr auslöste.

Wir folgten im Gänsemarsch unserem charmanten Segellehrer den schmalen Weg direkt am Wasser entlang. Dabei war zu erkennen, dass jede der Anlegestellen über einen kleinen Steg, der ein Stück ins Wasser reichte, verfügte und mit einer Nummer versehen war. Schließlich blieb Bastian an einem Boot stehen und wandte sich an die Gruppe.

»So, ich erkläre euch kurz, was ihr im Vorfeld wissen müsst, wenn ihr euch an Bord eines Bootes begebt. Bei Fragen meldet euch bitte.«

Während ich Bastians Ausführungen lauschte, wanderte mein Blick immer wieder zwischen den vertäuten Booten hin und her. Das Wasser schwappte in mehr oder weniger gleichmäßigen Bewegungen gegen den Rumpf eines der Segelboote unmittelbar neben mir. Allein bei dem Anblick des schaukelnden Gefährts bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Sofort erwachte die Erinnerung an einen Mallorca-Urlaub mit meinen Eltern, bei dem ich auf der Luftmatratze seekrank geworden war, und fragte mich, ob die Teilnahme an einem Segelkurs tatsächlich eine gute Idee war.

»Gibt es hierzu Fragen?« Bastians Stimme holte mich schlagartig zurück in die Gegenwart.

»Wo sind denn hier die Toiletten, junger Mann?«, erkundigte sich eine Mittfünfzigerin mit ausgeprägt hessischem Dialekt.

»Im Clubhaus. Durch den Haupteingang, dann ist es ausgeschildert«, erklärte Bastian und deutete zu dem grauen Holzbau. »Wenn keine weiteren Fragen bestehen, schlage ich vor, wenden wir uns dem theoretischen Teil zu. Dazu folgt mir bitte alle nach drinnen ins Clubhaus.«

Auf dem Weg dorthin sah ich aus dem Augenwinkel etwas im Wasser liegen. Ich blieb stehen und lehnte mich neugierig ein Stück nach vorne, um besser sehen zu können, als beinahe mein Herzschlag aussetzte.

»Pass auf, Anna! Sonst fällst du womöglich ins Wasser, und ich muss dich gleich retten, was ich natürlich gern tue«, witzelte Bastian neben mir.

»Wir müssen sofort die Polizei rufen«, sprach ich so leise, dass die anderen mich nicht hören konnten.

»Hey, war nur Spaß, deswegen …« Er sprach nicht weiter, sondern starrte auf die Stelle im Wasser, auf die ich deutete.

»Scheiße!«, presste er leise hervor.

Neben dem Segelboot trieb eine leblose Person im Wasser.

»Was ist denn los?«, erkundigte sich ein Mann aus der Gruppe und reckte neugierig den Kopf.

»Nichts weiter, geht schon mal alle vor, wir kommen gleich nach«, versuchte Bastian, weitere Gruppenmitglieder davon abzuhalten, von unserer Entdeckung Kenntnis zu erlangen. Doch es war zu spät. Der spitze Aufschrei einer Teilnehmerin ließ den Rest der Gruppe aufhorchen. In Windeseile scharten sie sich um die Fundstelle am Steg. Bastian hatte alle Hände voll zu tun, seine Segelschüler zum Gehen zu bewegen.

»Bitte geht zum Clubhaus! Wir werden umgehend die Polizei verständigen, sie wird sich um alles kümmern«, versuchte er dem drohenden Chaos Herr zu werden und schenkte mir einen verzweifelten Blick.

»Bastian hat recht. Wir sollten dort warten und keine eventuell wichtigen Spuren vernichten«, versuchte ich mich in Überzeugungsarbeit.

Während sich die Gruppe tatsächlich zurückzog, holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte Nicks Nummer. Es dauerte nicht lange, bis er abnahm.

»Sweety, bist du in Seenot geraten und brauchst Hilfe?«, scherzte er, bevor ich etwas sagen konnte.

»Nein. Ich fürchte, in diesem Fall kommt ohnehin jede Hilfe zu spät.«

Kurze Zeit später hatte sich ein Großaufgebot der Polizei am Hörnumer Hafen eingefunden, und der Fundort der Leiche war großräumig abgesperrt worden. In der Zwischenzeit hatte sich zudem eine größere Ansammlung Schaulustiger gebildet, die das Geschehen mit neugierigen Blicken und gereckten Hälsen interessiert verfolgte. Der Tote war aus dem Wasser geborgen worden und lag nunmehr auf einem der Stege. Ein Notarzt beugte sich gerade über ihn. Ich stand in unmittelbarer Nähe und wartete auf Nick, während Uwe und er mit dem Arzt sprachen.

»Der Mann ist tot, da kann ich nichts mehr machen«, hörte ich den Notarzt in sachlichem Ton sagen und konnte erkennen, dass er im Begriff war, seine Sachen zusammenzupacken.

»Das ist unschwer zu erkennen«, brummte Uwe missmutig vor sich hin, den Blick auf den Toten gerichtet.

»Vermutlich«, fuhr der Notarzt ungefragt fort, »ist er ins Wasser gefallen und ertrunken. Ich habe keine auffälligen Wunden feststellen können. Die Schramme im Gesicht stammt vermutlich von dem Sturz ins Wasser. Bestimmt hat er heute Nacht ordentlich gefeiert und ist anschließend betrunken dort drüben ins Hafenbecken gefallen.« Er deutete in südliche Richtung. »Die Strömung hat den Leichnam dann bis hierher getrieben. Das wäre nicht das erste Mal, dass solche Missgeschicke vorkommen. Die Leute sind einfach zu leichtsinnig im Umgang mit Alkohol. Das erleben wir während der Saison öfter, als uns lieb ist.« Die Verbitterung in seiner Stimme war unverkennbar.

»Die Obduktion wird eine eindeutige Klärung ergeben«, überging Nick den Einwand des Arztes.

»Er könnte ebenso vollkommen nüchtern gewesen sein und ist versehentlich gefallen. Vielleicht ist er aber auch absichtlich gestoßen worden?«, stellte ich zur Diskussion.

Der Arzt fixierte mich einen kurzen Augenblick lang mit seinem bohrenden Blick, doch dann winkte er resigniert ab. »Sie lesen zu viele Krimis, junge Frau«, konterte er. »Was meinen Sie, was ich in meiner Laufbahn alles schon erlebt habe. Ich könnte ein Buch darüber schreiben.« Dann zog er mit einem Ruck den Reißverschluss seiner Tasche zu und richtete sich schwerfällig auf. Sein linkes Knie machte ihm beim Aufstehen erkennbar zu schaffen. »So, ich glaube, meine Anwesenheit ist nicht länger erforderlich. Ich widme meine Zeit lieber lebendigen Patienten. Viel Erfolg bei der Ursachenforschung!« Mit diesen Worten trottete er zu seinem Wagen, wobei er das linke Bein leicht schonte, was ein humpelndes Gangbild vermittelte.

»Komischer Kauz«, bemerkte Uwe und blickte ihm mit gerunzelter Stirn nach. »Wie beurteilst du die Situation, Nick? Haben wir es mit einem Verbrechen zu tun?« Er sah seinen Freund und Kollegen erwartungsvoll an.

»Auf Anhieb schwer zu sagen. Siehst du die Verletzung an der Schläfe?«

Ich hatte mich auf einer Treppenstufe niedergelassen, da meine Knie sich anfühlten, als seien sie aus Pudding. Der Mann war zwar nicht der erste Tote, den ich in natura gesehen hatte, trotz allem konnte und wollte ich mich nicht an derartige Anblicke gewöhnen müssen. Ich war Landschaftsarchitektin und keine Kripobeamtin. Wie auch bei meinem letzten Kontakt mit einem Toten – damals hatte Pepper eine Leiche buchstäblich ausgegraben – verspürte ich zunehmend ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend aufsteigen.

»Du hast recht, die Verletzung ließe sich auf einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand zurückführen«, mutmaßte Uwe und kratzte sich nachdenklich den Vollbart.

»Die Tatwaffe zu finden, könnte sich als schwierig erweisen«, stellte Nick fest.

»Da stimme ich dir vollkommen zu. Sieh dir das Hafengelände an!« Er machte eine ausholende Armbewegung. »Hier wimmelt es förmlich von potenziellen Tatwaffen, wenn ich mich so umsehe. Das gleicht einer Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.«

»Die Verletzung könnte ebenso beim Sturz ins Wasser entstanden sein. Vielleicht ist er gegen einen harten Gegenstand gestoßen, den Steg vielleicht, daraufhin ist er ohnmächtig geworden, ins Wasser gefallen und schließlich ertrunken. Oder er war bereits tot, als er ins Wasser geworfen wurde«, meldete ich mich zu Wort.

»Willst du für uns die Ermittlungen übernehmen?«, fragte Uwe und legte den Kopf leicht schief.

Ich merkte, wie mir augenblicklich die Röte ins Gesicht schoss. »Entschuldigt bitte, ich wollte mich nicht einmischen.« Hilfe suchend sah ich zu Nick, dessen Mundwinkel amüsiert zuckten.

»Das war nicht böse gemeint, Anna. Dieselben Fragen stellen wir uns natürlich auch«, zeigte sich Uwe versöhnlich.

»Über den genauen Tathergang wird uns letztendlich der Rechtsmediziner aufklären«, fügte Nick hinzu. »Wichtiger wäre momentan zu wissen, um wen es sich bei dem Toten handelt.«

»Ansgar!«, rief Uwe einen der uniformierten Polizisten zu uns herüber.

»Moin, zusammen. Uwe, was gibt’s?«

»Habt ihr mittlerweile etwas über die Identität des Toten herausfinden können? Kennt ihn zufällig jemand auf dem Hafengelände?«

»Fehlanzeige. Von den Befragten vor Ort kennt ihn niemand. Papiere hatte er nicht bei sich, jedenfalls haben wir nichts dergleichen gefunden. Die können natürlich irgendwo auf dem Meeresgrund liegen«, überlegte er.

»Schade, das hätte uns einiges an Arbeit erspart.« Uwe strich sich resigniert über den Bart.

»Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr bieten kann. Vielleicht ist er draußen vor der Küste von einem der Schiffe über Bord gegangen. Wäre immerhin ein Szenario. Ich kann mich bei den Reedereien umhören, ob ein Passagier oder ein Besatzungsmitglied seit Kurzem vermisst wird«, schlug Ansgar vor.

»Wie ein Fischer oder Hafenarbeiter sieht er seinem Kleidungsstil nach zu urteilen nicht unbedingt aus. Tja, wer weiß. Ich wäre dir jedenfalls dankbar, wenn du das übernehmen könntest. Danke, Ansgar.« Dann wandte sich Uwe seinem Kollegen Nick zu, der den Toten nachdenklich betrachtete und sich den Nacken rieb. »Was geht dir durch den Kopf?«

»Seinem Zustand nach zu urteilen, liegt er noch nicht allzu lange im Wasser«, vermutete Nick.

»Ich bin gespannt, was Dr. Luhrmaier und sein Team herausfinden werden«, warf Uwe ein.

»Das ist der Rechtsmediziner, den ich im Fall des ermordeten Bauunternehmers kennengelernt habe, oder?«, fragte ich nach.

»Ja, er ist ein Genie auf seinem Gebiet, menschlich gesehen kann er allerdings verdammt anstrengend sein«, erwiderte Uwe und zog eine vielsagende Grimasse.

»Dann will ich euch nicht länger aufhalten«, beschloss ich, verabschiedete mich von den beiden Männern und brach auf zu meinem Auto.

Aufgrund des Leichenfundes und der damit einhergehenden Maßnahmen wie Spurensicherungen und Zeugenbefragungen war der heutige Segelkurs abgesagt und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Als ich mich dem Parkplatz näherte, blieb mein Blick an einem dunkelblauen Golf hängen, vor dessen Fahrertür etwas Längliches auf dem Boden lag. Neugierig ging ich darauf zu und erkannte im Näherkommen, dass es sich um eine Parkscheibe handelte. Vermutlich befand sie sich im Ablagefach der Tür und war dem Fahrer beim Aussteigen herausgefallen. Ich hob sie auf und bemerkte dabei, dass die Tür nicht fest verschlossen war. Daraufhin warf ich einen Blick ins Innere des Wagens und erkannte im Fußraum und auf dem Beifahrersitz unzählige leere Getränkeflaschen aus Kunststoff, die alle fein säuberlich in Einkaufsbeuteln aus Baumwolle verpackt waren. Ansonsten befand sich der Wagen innen wie außen in einem sehr gepflegten Zustand. Kurzerhand umfasste ich den Türgriff der Fahrertür, die sich ohne Weiteres öffnen ließ. Als ich gerade die Parkscheibe auf den Fahrersitz legen wollte, bemerkte ich, dass der Schlüssel im Zündschloss steckte, und fragte mich, warum jemand sein Fahrzeug unverschlossen auf einem großen Parkplatz inmitten des belebten Hafenviertels abstellte. Der Besitzer musste doch befürchten, sein Wagen könnte gestohlen oder zumindest beschädigt werden. Ich sah mich nach dem Fahrer um, konnte jedoch niemanden weit und breit entdecken, der sich dem Fahrzeug zugehörig fühlte. Die Situation erschien mir zusehends suspekter, und plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.

Syltwind

Подняться наверх