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Kapitel 4

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»Liegt schon eine Rückmeldung von Dr. Luhrmaier im Fall Münkel vor?«, erkundigte sich Uwe, als er am nächsten Morgen das Büro betrat und sich auf seinem Bürostuhl niederließ. »Was ist denn mit meinem Stuhl passiert? Der ist total verstellt! Das war bestimmt wieder diese neue Reinigungskraft«, grummelte er vor sich hin und nahm die Einstellungen an seinem Stuhl vor.

»Hast du schlechte Laune?«, fragte Nick nach.

»Nein, ich habe nur noch nix gefrühstückt«, erwiderte er. »So, passt wieder alles.« Uwe wippte mit der Rückenlehne mehrmals hin und her. Dann raschelte er mit einer Papiertüte vom Bäcker, aus der er ein braun glänzendes Rosinenbrötchen hervorzauberte. »Also, weiter im Text. Gibt es Neuigkeiten?«

»Du kommst just in time. Der vorläufige Obduktionsbericht ist eben per Mail eingegangen«, erwiderte Nick, der konzentriert auf seiner Tastatur herumtippte.

»Das ging aber fix. Und was steht drin?«

»Ich hatte noch keine Zeit, ihn ausführlich zu lesen. Dr. Luhrmaier hat um sofortigen Rückruf gebeten, da er uns wie üblich zu seinem Bericht das ein oder andere erläutern möchte«, fügte Nick hinzu, während er zeitgleich die Nummer des Rechtsmediziners wählte und die Lautsprechertaste betätigte. Die Verbindung war kaum hergestellt, da ertönte bereits die resolute Stimme Dr. Josef Luhrmaiers.

»Guten Morgen, meine Herren!«, begrüßte er die beiden Polizisten wie immer. »Haben Sie sich zwischenzeitlich meinen Bericht ansehen können?«

»Ich habe ihn kurz überflogen«, bestätigte Nick. »Wie ich Ihren Ausführungen entnehmen kann, gehen Sie weder von einer natürlichen Todesursache noch von einem Unfall aus.«

»Korrekt, beides können wir definitiv ausschließen, ebenso einen Suizid.«

»Da sind Sie absolut sicher?«, hakte Uwe vorsichtig nach, was er im selben Moment bereits bereute.

Am anderen Ende der Leitung konnte man hören, wie der Rechtsmediziner die Luft scharf einsog, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

»Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, Herr Wilmsen, kann ich Ihnen mit an 100 Prozent grenzender Sicherheit sagen, dass im vorliegenden Fall von einem Fremdverschulden auszugehen ist.«

»Bitte, Herr Dr. Luhrmaier, ich wollte Ihre Expertise in keiner Weise infrage stellen«, versuchte Uwe, die Wogen zu glätten.

»Das Opfer ist nicht ertrunken, was man auf den ersten Blick hätte vermuten können, sondern war bereits tot, als er ins Wasser gelangte«, präzisierte Dr. Luhrmaier, ohne auf Uwes Einwand näher einzugehen. »An seinem Körper befinden sich zudem eindeutige Schleifspuren, was den Schluss zulässt, dass er eine erhebliche Strecke über harten Untergrund gezogen wurde, bevor er im Wasser gelandet ist. Druckstellen an den Handgelenken unterstreichen diese Annahme.«

»Hm. Als er gefunden wurde, trieb er bäuchlings im Hafenbecken«, resümierte Uwe vor sich hin, während er vergeblich an der Verpackung eines Schokoriegels zerrte. Das Rosinenbrötchen gehörte längst der Vergangenheit an.

»Natürlich tat er das. Eine Wasserleiche schwimmt niemals auf dem Rücken. Mir war nicht bewusst, dass Ihnen diese Tatsache neu ist, Herr Wilmsen.« Die Genugtuung in Dr. Luhrmaiers Stimme war unüberhörbar. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »wäre der Mann beim Kontakt mit dem Wasser am Leben gewesen, hätte ich eine starke Überdehnung der Lungenbläschen feststellen müssen, die auf extreme Atembewegungen zurückzuführen sind. Dies ist aber definitiv nicht der Fall, da er – wie ich bereits erwähnte – schon tot war. Darüber hinaus waren keinerlei Überbleibsel des sogenannten Schaumpilzes in den Atemwegen festzustellen, der bei einer Wasserleiche üblich sind. Normalerweise …«

»Klingt nicht besonders appetitlich, daher verzichten wir gern auf nähere Details, wenn es nicht unbedingt notwendig ist«, unterbrach ihn Uwe, dem es endlich gelungen war, den Schokoriegel aus seiner widerspenstigen Ummantelung zu befreien.

»Ist es nicht.« Es entstand eine kurze Pause, wobei neuerlich unverkennbar war, dass nach Uwes Bemerkung eine leichte Verstimmung in Dr. Luhrmaiers Tonfall mitschwang. Nick schenkte seinem Kollegen umgehend einen strafenden Blick, den dieser jedoch lediglich mit einem müden Schulterzucken erwiderte.

»Wussten Sie übrigens, dass man in Salzwasser langsamer ertrinkt als in Süßwasser? Im Grunde unerheblich, das Ergebnis ist dasselbe«, meldete sich ihr Gesprächspartner zurück. Doch seine Worte klangen, als spräche er eher zu sich selbst als mit den Beamten.

»Nein, das wussten wir nicht. Klingt auf jeden Fall interessant. Doch was hat in unserem Fall zum Tode geführt?«, erkundigte sich Nick, um einen versöhnlichen Ton bemüht.

»Genickbruch«, erhielt er die prompte Antwort.

»Genickbruch? Daran bestehen keine Zweifel?«, wiederholte Nick überrascht.

»Nicht die geringsten. Es stehen zwar noch einige Laboruntersuchungen aus, aber die ändern nichts an der Todesursache. Tut mir leid, wenn ich Sie mit dieser schnöden Tatsache enttäuscht haben sollte. Womit haben Sie denn gerechnet?«

»Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht«, gab Nick zu und rieb sich den Nacken.

»Der Tote war übrigens Raucher, doch das ist in diesem Fall unerheblich. Genickbruch ist eindeutig die Todesursache. Jemand muss mit brachialer Gewalt gehandelt haben. Das Opfer muss sich gewehrt haben, denn ich habe erhebliche Abwehrmerkmale an dessen Oberkörper und außerdem Würgemale entdeckt sowie winzige Mengen von Fremd-DNA unter den Fingernägeln. Sie stammen vermutlich vom Täter. Der Tote hat nicht allzu lange im Wasser gelegen, denn die Nägel haben noch nicht begonnen, sich abzulösen.«

Uwe hielt mitten im Kauen inne, verzog angewidert das Gesicht und legte den angebissenen Schokoriegel beiseite. Angesichts dieser Vorstellung war ihm der Appetit gründlich vergangen.

»Dann könnte es im Vorfeld zu einem Streit gekommen sein, der anschließend in einer handgreiflichen Auseinandersetzung endete, in dessen Verlauf wiederum der tödliche Genickbruch erfolgte«, versuchte Nick, den Tathergang zu rekonstruieren.

»So könnte es gewesen sein, jedenfalls klingt es plausibel, wenn man die Verletzungen betrachtet«, stimmte Dr. Luhrmaier Nicks Theorie zu.

»Können Sie uns nähere Angaben zum Todeszeitpunkt geben?«, wollte Uwe wissen.

Dr. Luhrmaier antwortete nicht sofort, stattdessen konnte man im Hintergrund deutlich das Rascheln von Papier hören. »Meinen Untersuchungen zufolge ist der Tod in der Frühe eingetreten, ungefähr gegen fünf Uhr morgens. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Ansonsten finden Sie alles ausführlich beschrieben in meinem Bericht, der Ihnen vorliegt. Wenn Sie für den Moment keine dringenden Fragen haben, würde ich unser Gespräch an dieser Stelle gern beenden. Ich muss gleich in die Klinik.«

»Oh, ich hoffe, Sie sind nicht erkrankt?«, bemerkte Uwe.

»Ich?« Dr. Luhrmaier gab einen kurzen Lacher von sich. »Nein. Ich muss ein Gutachten zu einem angeblichen Arbeitsunfall anfertigen.«

»Angeblich?«

»Richtig gehört, Herr Wilmsen. Die Verletzungen des Opfers stimmen nicht mit seiner Aussage überein.«

»Vermutlich will er die vereinbarte Versicherungssumme kassieren«, warf Nick ein.

»Möglich, in diesem Punkt sind die Leute erschreckend erfinderisch, daher ist an dieser Stelle meine Expertise gefragt. Im Übrigen habe ich nicht ausschließlich mit Toten zu tun, wenn Sie das bislang angenommen haben sollten. Zu meiner Klientel gehören sowohl die Lebenden als auch die Toten. Das bringt Abwechslung in den Alltag!« Ein erneuter Lacher entsprang seiner Kehle. »Nun dann. Viel Erfolg bei der Verbrecherjagd, die Herren!« Ehe die beiden Beamten etwas erwidern konnten, hatte Dr. Luhrmaier das Gespräch für beendet erklärt und aufgelegt.

»Was war denn mit unserem Doktor heute los?«, fragte Uwe verdutzt.

»Du kennst ihn doch, manchmal ist er eben etwas seltsam.«

»Etwas? Mir geht seine Besserwisserei auf die Nerven.« Uwe zog eine Grimasse und stopfte sich anschließend vor lauter Frust den Rest seines Schokoriegels in den Mund, den er mit einem Schluck Kaffee hinunterspülte.

»Wenden wir uns lieber unserem Fall zu.«

»Gute Idee. Was wissen wir bislang über das Opfer?«

»Der Mann heißt Richard Münkel, ist 47 Jahre alt, lebte in einer kleinen Wohnung zur Miete am Rande von Westerland. Vor ungefähr vier Monaten hat er sich arbeitslos gemeldet«, zählte Nick mit Blick auf seine Notizen die Fakten der Reihe nach auf.

»Familienstand?«, unterbrach ihn Uwe. »Vielleicht stammt der Täter aus dem familiären Umfeld?«

»Ich war noch nicht fertig. Münkel ist ledig und hat keine Kinder, die Eltern sind beide vor Jahren verstorben. Eine Lebensgefährtin oder -gefährten konnte ich ebenfalls nicht ausfindig machen. Keine Vorstrafen. Das ist alles, was sich in der Kürze der Zeit zusammentragen ließ.«

»Gut, gut«, grummelte Uwe vor sich hin und spielte gedankenverloren mit einem Kugelschreiber in seiner Hand. »Wovon hat er zuletzt gelebt? Gibt es Informationen zu seinem Job oder letzten Beschäftigungsverhältnis?«

»Und ob! Da kommst du nie drauf!«

»Nun lass die Ratespielchen, Nick, und komm auf den Punkt!«

»Er hat eine Ausbildung zum Butler absolviert.«

»Wie bitte?«

»Du hast richtig gehört, Richard Münkel ist von Beruf Butler, beziehungsweise er war es.«

»Das hätte ich in der Tat nicht erwartet. Ist dieser Beruf nicht längst aus der Mode gekommen?«, fragte Uwe, dem die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand.

»Im Gegenteil. Butler sind momentan im Kommen, besonders in Nobelhotels und gut situierten Privathaushalten.«

»Echt? Ich weiß ja nicht«, erwiderte Uwe mit skeptischer Miene. »Ich mache mir meinen Kaffee lieber selbst.«

»Ich bezweifle, dass du dir von deinen Bezügen überhaupt einen Hausangestellten leisten könntest«, bemerkte Nick amüsiert. Dann wurde er ernster. »Zuletzt war Münkel bei einem Ehepaar in Kampen beschäftigt, sie heißen Insa und Gunnar Schröder.«

»Gunnar Schröder? Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört. Ist gar nicht lange her. Das fällt mir sicherlich noch ein«, grübelte Uwe angestrengt.

»Im Zuge der Wohnungsdurchsuchung gestern Nachmittag haben wir einige der Nachbarn gesprochen. Allerdings ist dabei nichts Verwertbares herausgekommen. Niemand konnte nähere Angaben zu Münkel machen. Offenbar war er an einem nachbarlichen Austausch nicht sonderlich interessiert und hat sehr zurückgezogen gelebt. Besuch gab es nach Aussage einer aufmerksamen Nachbarin ebenfalls nicht, weder männlichen noch weiblichen«, setzte Nick nach und erntete ein Stirnrunzeln seines Kollegen.

»Klingt nach dem traurigen Leben eines Einsiedlerkrebses.«

»Die Fingerspuren, die die Kollegen gefunden haben, unterstreichen diese Annahme, denn außer seinen eigenen wurde keine Fremd-DNA gefunden. Allerdings waren die Kollegen überrascht, wie penibel aufgeräumt und sauber die Wohnung war. Der Mann hatte einen ausgeprägten Sinn für Sauberkeit und Ordnung.«

»Das ist vermutlich eine Grundvoraussetzung für seinen Job. Oder nimmst du an, jemand hat nach seinem Tod versucht, Spuren zu beseitigen, indem er Großreinemacht?«

Nick schüttelte den Kopf. »Nein. Irgendwelche Spuren hinterlässt jeder, da kann er noch so gründlich vorgehen, sei es bloß ein einzelnes Haar oder winzige Faserspuren der Kleidung. In solch einem Fall hätte die Spurensicherung etwas finden müssen. Zudem wurde nicht eingebrochen, da nichts entwendet oder durchwühlt wurde. Jedenfalls der Laptop und ein paar kleinere Wertgegenstände waren an ihrem Platz. Den Laptop haben die Kollegen übrigens mitgenommen. Mal sehen, ob sich darauf ein Hinweis auf den Täter finden lässt.« Nicks Telefon klingelte. Er sah kurz auf das Display und nahm das Gespräch an.

»Wer war das?«, drängelte Uwe, nachdem Nick aufgelegt hatte.

»Ich hatte die Kollegen gebeten, Münkels Vermögensverhältnisse zu durchleuchten. Dabei haben sie ein weiteres Mal seine Wohnung aufgesucht.«

»Und? Ist etwas Bahnbrechendes dabei herausgekommen?«, wollte Uwe wissen. »Hat unser reinliches Opfer eventuell doch ein Staubkorn übersehen?«

»Du wirkst irgendwie so gereizt heute. Was ist los mit dir? Hast du Hunger? Dann solltest du lieber was essen, bevor es mit deiner Laune weiter bergab geht«, schlug Nick vor.

Uwe winkte ab. »Erzähle ich dir später. Also, was haben unsere Leute herausgefunden?«

»Tatsächlich haben die Kollegen eine interessante Entdeckung gemacht. Auf seinen Konten sieht es nicht besonders rosig aus, aber in seiner Wohnung wurde eine stattliche Summe Bargeld gefunden.«

»Sag schon, Nick! Wie viel? Spann mich nicht länger auf die Folter!«

»10.000 Euro!«

Uwe stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. »Das klingt allerdings interessant! Wir sollten seinen ehemaligen Arbeitgebern, den Schröders, einen Besuch abstatten. Hast du die Adresse?«

»Habe ich. Let’s go!«

»Moin, mein Name ist Anna Scarren. Ich habe einen Termin bei Herrn Kelsterbach«, begrüßte ich die Frau hinter dem Schreibtisch. Sie trug eine dünne Strickjacke über ihrem bunt gemusterten Sommerkleid. Um ihren Hals hing eine Kette mit einem schlichten Kreuz.

Sie sah mich kurz durch ihre runden Brillengläser an, dann wanderte ihr Blick auf ihren Terminkalender, bevor sie antwortete. »Stimmt. Guten Morgen, bitte nehmen Sie einen Moment Platz. Herr Kelsterbach befindet sich augenblicklich in einem Gespräch.« Sie deutete auf eine moderne Sitzgruppe bestehend aus einem Sofa und zwei Sesseln auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. »Darf ich Ihnen derweil einen Kaffee oder ein Glas Wasser anbieten?«

»Nein, haben Sie vielen Dank«, erwiderte ich freundlich und nahm in einem der Designersessel Platz.

Man konnte ihnen auf den ersten Blick ansehen, dass sie vermutlich sehr teuer gewesen sein mochten, die Sitzqualität allerdings war alles andere als exquisit. Das erinnerte mich an ein Paar Schuhe, das ich neulich erstanden hatte. Sie sahen super aus, der Nachteil war, man konnte nicht sehr lange damit laufen. Während ich wartete, fielen mir einige große Werbeplakate von Sportveranstaltungen an den Wänden auf, dazwischen waren vereinzelt gerahmte Fotografien von Prominenten platziert, mit denen der Agenturinhaber vor der Kamera mit strahlendem Lächeln posierte. Plötzlich öffnete sich eine der Bürotüren und eine schlanke, attraktive Frau kam heraus, gefolgt von einem dunkelhaarigen, sportlichen Mann.

»Wir hören wieder voneinander!«, verabschiedete er die Frau, brachte sie zum Ausgang und richtete sogleich sein Augenmerk auf mich.

»Sie müssen Frau Scarren sein. Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Kommen Sie doch bitte mit in mein Büro«, forderte er mich auf und ließ mir den Vortritt. »Hähnchen, bitte stellen Sie keine Anrufe durch«, wies er die Sekretärin an, die daraufhin pflichtbewusst nickte.

»Hähnchen? Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name«, konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen, als er die Tür hinter uns geschlossen hatte.

»Das ist lediglich ein Kosename. Richtig heißt sie Dorit Hähnel«, erklärte er und setzte ein Lächeln auf. »Aber nun zu Ihnen und Ihrem Anliegen.«

»Zunächst danke ich Ihnen, dass Sie sich trotz Ihres vollen Terminkalenders Zeit für mich nehmen«, begann ich.

»Einer schönen Frau kann ich nichts abschlagen!«

Arno Kelsterbach stützte die Ellenbogen auf der Schreibtischplatte auf und unterzog mich einem musternden Blick, nachdem ich ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Was kann ich für Sie tun? Am Telefon sprachen Sie davon, dass Ihrer Website neuer Schwung verliehen werden soll? Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, in meinem Kopf herrscht gerade ein wenig Chaos. Sie machen beruflich was genau?« Seine wachen Augen ruhten auf mir. Mit diesem intensiven Blick und den markanten Gesichtszügen war es ihm in der Vergangenheit sicherlich des Öfteren gelungen, einige Frauenherzen höher schlagen zu lassen. Ich musste innerlich schmunzeln, als mir Nicks Warnung diesbezüglich einfiel.

»Ich bin Landschaftsarchitektin und betreibe auf der Insel ein eigenes Büro«, konzentrierte ich mich auf unser Gespräch. »Die Auftragslage ist ausgesprochen gut, und ich möchte expandieren beziehungsweise mein Angebot erweitern. Bei dieser Gelegenheit muss unbedingt mein Internetauftritt professioneller gestaltet werden, doch ich selbst stoße diesbezüglich an meine Grenzen, fachlich wie zeitlich.«

»Da sind Sie bei uns genau an der richtigen Adresse. Wir gestalten Webseiten, Broschüren, Flyer und Werbematerialien jeglicher Art. Wenn Sie mögen, bekommen Sie bei uns auch einen Imagefilm«, zählte er auf.

»Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein. Mir genügt ein neuer Internetauftritt.«

»Wie ich bereits am Telefon erwähnte, geht es bei uns momentan ziemlich turbulent zu. Der Kitesurf-Cup startet in Kürze, und wir haben alle Hände voll zu tun. Wann soll denn Ihr neuer Auftritt online gehen? Haben Sie in dieser Hinsicht eine Zeitangabe für mich, an der ich mich orientieren kann?« Er veränderte seine Sitzposition, und augenblicklich wehte ein feiner Hauch seines männlich dezenten Eau de Toilette zu mir herüber.

»Ehrlich gesagt, so schnell wie möglich«, gestand ich nach anfänglichem Zögern und steckte mir eine Strähne hinters Ohr. »Ich habe ein paar Ideen und Vorschläge zusammengetragen. Vielleicht können Sie sich daran orientieren.«

Ich reichte Arno Kelsterbach meine Unterlagen, die er neben sich legte, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Stattdessen verzog er grüblerisch den Mund und ließ mich dabei nicht aus den Augen.

»Lassen Sie mich kurz nachdenken. Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden.« Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Heute fängt eine Praktikantin bei uns an. Vielleicht kann ich sie mit dieser Aufgabe betrauen. Ich werde sehen, was sich machen lässt«, ließ Arno Kelsterbach mich mit einem charmanten Lächeln wissen. Augenscheinlich konnte er mir meine Enttäuschung vom Gesicht ablesen, denn er ergänzte unmittelbar: »Seien Sie unbesorgt, Frau Scarren. Selbstverständlich geht nichts ohne meine vorherige Freigabe ins Netz. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.« Er war aufgestanden, da er es offenbar eilig hatte. Mir war der mehrmalig verstohlene Blick auf seine Armbanduhr nicht entgangen. »Da fällt mir ein, ein guter Freund von mir beabsichtigt, seinen Garten umgestalten zu lassen. Hätten Sie Interesse, sich das Ganze unverbindlich anzusehen und ihm gegebenenfalls ein Angebot zu unterbreiten?«, bemerkte er auf dem Weg zur Tür.

»Herzlich gern, davon lebe ich«, erwiderte ich und setzte ein freundliches Lächeln auf. Ich zog meine Geldbörse hervor und reichte ihm eine meiner Visitenkarten. »Ihr Freund kann mich gerne anrufen, damit wir einen Besichtigungstermin vereinbaren können. Ich würde mich freuen.«

Arno Kelsterbach überflog die Karte und reichte mir dann die Hand. »Prima, ich lass es ihn wissen. Wegen Ihres Internetauftrittes melde ich mich so schnell wie möglich bei Ihnen«, sicherte er mir zu und verschwand in seinem Büro.

Ich verabschiedete mich von seiner Sekretärin und verließ mit einem zuversichtlichen Gefühl die Agentur. Draußen vor der Tür wurde ich von lautem Möwengeschrei und herrlichstem Postkartenwetter empfangen. Daher beschloss ich aus einer spontanen Laune heraus, einen Abstecher zur Strandpromenade zu machen. Vielleicht hatte ich Glück und würde irgendwo ein freies Plätzchen ergattern können, um in Ruhe ein Eis zu essen und die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen.

Syltwind

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