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Einleitung: Warum Förderung von Veränderungskompetenz?

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»Das Ziel besteht darin, …Menschen aktiv und produktiv

zu befähigen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.«

Frei nach Yvonne M. Dolan (*1951)

Vertreterin Lösungsorientierter Kurzzeitberatung

Dieses Buch ist geschrieben für Professionals, die in ganz unterschiedlichen Kontexten und Funktionen mit Menschen in Veränderungssituationen arbeiten. Und die wissen wollen, wie sie Veränderungskompetenz fördern bzw. Menschen gewinnen können, sich offen, selbstverantwortlich und mit Vertrauen auf Veränderung einzulassen. Und mit Erfolg.

Unter »Veränderungskompetenz fördern« verstehe ich, Menschen zu befähigen, unterschiedlichsten Situationen auf eine Weise zu begegnen, hinter der sie selbst stehen und die positive Resultate ermöglicht.

Warum Förderung von Veränderungskompetenz? Und warum ein Buch für Professionals zu dieser Thematik? Folgende Überlegungen und Beobachtungen in der Arbeit mit Professionals veranlassten mich dazu:

Wenn Sie mit Menschen in Veränderungssituationen arbeiten, liegt der Fokus auf dem Fachlichen. Sie haben einen Fachauftrag. Es geht etwa darum, Mitarbeitende für eine Reorganisation zu gewinnen, stellensuchende Personen in die Lage zu setzen, einen neuen Job zu finden, Herzpatienten in gesunden Lebensstil einzuführen oder Klienten effektive Schritte zum Abbau von Schulden umsetzen zu lassen. Auch wenn Sie in einem weiteren Sinn mit Menschen in Veränderungssituationen zu tun haben, etwa als Makler oder Architekt ein Paar beim Wechsel in eine andere Wohnform begleiten, liegt der Fokus darauf, dass andere von Ihrem Fachwissen profitieren und dieses Wissen in ihre Situation übertragen können.

Zugleich ist entscheidend, ob Ihr Fachwissen ankommt. Dies hängt wesentlich davon ab, wie diese Menschen ihrer Situation begegnen. Hier kommt die Thematik von Veränderungskompetenz ins Spiel. Die beste Fachkompetenz kann nicht greifen, wenn Menschen Sicht-, Denk- und Verhaltensweisen pflegen, die produktiven Umgang mit einer Situation beeinträchtigen. Wenn ein Mitarbeiter jede Neuerung ablehnt, hilft die Fachkompetenz einer Führungsperson nicht weiter. Wenn ein Arbeitsintegrationsprofessional einer stellensuchenden Kundin Wege aufzeigt und diese bei jedem sagt »Das geht in meiner Situation nicht«, werden weitere Vorschläge kaum weiterführen. Wenn ein Physiotherapeut einen Herzpatienten für ein Fitnesstraining gewinnen will, dieser aber nicht dahintersteht, ist die Chance groß, dass das Training abgebrochen wird. Wenn eine Juristin die Mediation in einem Scheidungsprozess übernimmt, aber die Ex-Partnerin dabeibleibt, Opfer zu sein, hört jeder produktive Prozess auf. Wenn ein Lehrer die Talente eines Jugendlichen sieht und fördern will, sich dieser aber wenig zutraut, sind Erfolgserlebnisse gefährdet. Wenn eine Person nach einer Krankheitsdiagnose keinen Lebenssinn mehr sieht, werden realistische Therapiemöglichkeiten beeinträchtigt. In solchen Situationen ist es entscheidend, zu wissen, wie Veränderungskompetenz gezielt stimuliert werden kann. Doch auch bei Menschen, die von sich aus produktiv mit Veränderung umgehen, können Sie mit entsprechendem Know-how Vorhandenes stärken und befähigen, Ressourcen bewusster zu nutzen.

Fachbezogene Arbeit und Förderung von Veränderungskompetenz gehen fließend ineinander über und verstärken einander. Wenn Sie fachlich top arbeiten, erhöht sich die Chance, dass Menschen gut mit Situationen umgehen. Wenn Sie Veränderungskompetenz fördern, erhöht sich die Chance, dass Ihr Fachwissen greifen kann.

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen – als Ergänzung zu Ihrer fach-/kontextspezifischen Kompetenz – Wissen und praktische Anregungen vermitteln, wie Sie Veränderungskompetenz stimulieren können. Der Fokus liegt nicht auf spezifischen Kontexten oder Umständen wie Veränderung am Arbeitsplatz, Karrieregestaltung, Änderung des Lebensstils, Umgang mit einer Krankheit, Bewältigung einer Partnerschaftskrise oder dem Wunsch, das Leben befriedigender zu gestalten. Der Fokus liegt darauf, wie Menschen in solchen Situationen angeregt werden können, Haltungen und Verhaltensweisen zu pflegen bzw. zu entwickeln, die sie vorwärtskommen lassen.

In Teil I geht es um die Frage »Was führt im Umgang mit Veränderung vorwärts?« Was ist im Umgang mit Veränderung essenziell und warum? Hier wird die konzeptuell-theoretische Basis gelegt, die ermöglicht, Veränderungskompetenz zu fördern. Dazu werde ich Ihnen den Veränderungskreis © vorstellen, mein Konzept zu den drei Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung. Im Sinne eines »reduce to the max« habe ich darin Faktoren, die im Umgang mit Veränderung entscheidend sind, gebündelt. Mit Bezügen zu neueren psychologischen und neurobiologischen Ansätzen stelle ich den Veränderungskreis in einen breiteren Rahmen; dies ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Relevanz der drei Schlüsseldimensionen. Ziel von Teil I ist es, dass Sie mit dem Veränderungskreis einen konzeptuellen, theoretisch reflektierten Orientierungsrahmen erhalten, der Sie in die Lage setzt, der Vielfalt individueller Situationen, Haltungen und Verhaltensweisen offen zu begegnen und zugleich rasch auf das in einer konkreten Situation Wesentliche zu fokussieren.

In Teil II geht es um die Frage »Wie kann Veränderungskompetenz gefördert werden?« Sie werden wissen wollen, wie Sie in Orientierung am Veränderungskreis in Ihrem Kontext Veränderungskompetenz fördern können. Da die Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung universal sind, lässt sich der Veränderungskreis flexibel in ganz unterschiedliche Kontexte übertragen – ohne bewährte Konzepte oder vorgegebene Prozeduren über Bord werfen zu müssen. Sie können den Veränderungskreis implizit als inneren Bezugsrahmen und explizit als gemeinsames Arbeitsinstrument einsetzen. Dies sowohl in längeren Prozessen als auch in Situationen, in denen Sie eine Person nur einmal sehen. Der Veränderungskreis lässt sich in verschiedene Settings übertragen: In die klassische 1:1 Beratung ebenso wie in ein Case Management, wo Sie in einem interdisziplinären Team mit einer Person z. B. nach einem Unfall gesundheitliche, berufliche und finanzielle Strategien entwickeln. Der Veränderungskreis bewährt sich auch bei Führungspersonen, die die Veränderungskompetenz ihrer Mitarbeitenden stimulieren bzw. Veränderungskompetenz in ihrer Organisationskultur verankern wollen, weil sie wissen, dass dies auch für den Erfolg der Organisation essenziell ist. Ziel von Teil II ist es, dass Sie wissen, wie Sie Veränderungskompetenz in Orientierung am Veränderungskreis kompetent und effektiv fördern können. So können Ihr Fachwissen optimal zum Tragen kommen und Prozesse erfolgreich verlaufen.

In Teil III geht es um die Frage »Wie vorgehen bei Stolpersteinen?« Wer täglich mit Menschen arbeitet, weiß, dass produktiver Umgang mit Veränderung oft nicht ohne Weiteres gelingt. Es kann Schwierigkeiten geben. Reale Schwierigkeiten. Es ist anspruchsvoll, sich als Parkinsonpatient auf ein Leben mit dieser Krankheit einzustellen. Es ist nicht einfach, als 50+er eine Stelle zu finden. Die größte Schwierigkeit ist es jedoch oft, dass Menschen auf Denk- und Verhaltensmuster zurückgreifen, die verhindern, sich produktiv auf Neues einzulassen: Sie sind in Stress kaum ansprechbar. Sie verharren im Vertrauten. Sie bleiben mental hängen bei dem, was war oder machen sich Sorgen über das, was kommt. Sie sind mutlos oder stürzen sich ins Abenteuer. Sie fühlen sich als Opfer von Umständen oder erwarten Lösungen von anderen. Sie sehen den Sinn nicht ein, Veränderung anzugehen, tun sich schwer damit, Verantwortung zu übernehmen, trauen sich Schritte nicht zu oder verstricken sich in Entscheidungsblockaden. Sie haben wenig Zugang zu sich selbst und wissen beim besten Willen nicht, was sie wollen und können. Sie pflegen Wunschdenken oder sind neidisch auf andere, die es scheinbar besser haben. Anhand ausgewählter Situationen möchte ich Ihnen zeigen, wie Sie dann vorgehen können. Ziel von Teil III ist es, dass Sie Stolpersteine im Umgang mit Veränderung auf natürliche, pragmatische Weise einbeziehen und deren Beseitigung anregen können – im Wissen darum, dass sich dies nicht erzwingen lässt.

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen nicht einfach ein weiteres Modell oder methodisches Instrument an die Hand geben. Ich verstehe den Veränderungskreis als universalen Orientierungsrahmen, der hilft, Wesentliches im Umgang mit Veränderung rasch zu erkennen und entsprechend zu intervenieren und der dabei sehr flexibel in bestehende Konzepte und Vorgehensweisen integriert werden kann. Ich lade Sie daher ein, Bezüge herzustellen zu Ihren eigenen Konzepten, Vorgehensweisen, Prämissen, Haltungen und Ihren ganz eigenen Weg zu finden, wie Sie das Gelesene in Ihre Arbeit integrieren wollen und können. Sie können die gezielte Förderung von Veränderungskompetenz umso glaubhafter und effektiver in Ihre Arbeit integrieren, je mehr Ihr eigener Zugang zum Thema »Umgang mit Veränderung«, Ihr Menschenbild und Rollenverständnis dies zulassen. Daher gewichte ich diesen Aspekt insbesondere in Teil II. Wo der Veränderungskreis nicht auf ein methodisches Instrument reduziert, sondern sozusagen gelebt wird, kann er am besten dazu beitragen, dass es zu Erfolgserlebnissen kommt.

In diesem Buch werden Praxiserfahrung mit theoretischer Reflexion und wissenschaftlichen Einsichten verknüpft.

Seit 1995 begleite ich Menschen in eingreifenden Veränderungssituationen. Geprägt haben mich die ersten zehn Jahre, während derer ich zwei Arbeitsintegrationsfirmen aufgebaut, geführt und in dieser Funktion ca. 400 Menschen bei der Stellensuche begleitet habe. Auftrag war es, diese Menschen innerhalb eines halben Jahres in den Arbeitsmarkt zurückfinden zu lassen. In einem solchen Zeitrahmen muss man rasch auf Wesentliches fokussieren. Fasziniert von dieser Arbeit und motiviert, mich auch wissenschaftlich damit zu beschäftigen, wie ich diese Menschen effizient und erfolgreich begleiten konnte, entwickelte ich im Rahmen meiner Dissertation ein Modell Lösungsorientierter Kurzberatung für Menschen in beruflichen Übergängen (Tobler, 2004). Ich habe mich dazu intensiv mit Psychologischer Arbeitslosigkeitsforschung, Ansätzen Lösungsorientierter Kurzberatung in der Tradition Steve de Shazers und Konzeptionen von Hoffnung als Ausdruck positiver Erwartungshaltung auseinandergesetzt. Das ist die wissenschaftliche Basis meiner Arbeit.

Immer mehr begann mich zu interessieren, was im Kern im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt und wie dies in der Begleitung von Menschen angeregt werden kann. Beobachtungen in der Praxis, dass es Menschen gibt, die in sehr schwierigen Umständen den »Dreh« finden, während andere in überschaubaren Situationen ins Schleudern geraten, haben mich dazu veranlasst. So entwickelte ich auf der Grundlage meiner Praxiserfahrungen und meiner Dissertation den Veränderungskreis, mein Konzept zu den drei Schlüsseldimensionen erfolgreichen Umgangs mit Veränderung (Tobler, 2019b). Auf dieser Basis arbeite ich seither in eigener Firma als Referentin und Beraterin mit Organisationen, Führungspersonen und Professionals zusammen, deren Kunden oder Mitarbeitende Veränderungssituationen angehen wollen oder müssen.

In diesem Buch steht der Veränderungskreis zentral. Ich möchte Ihnen damit einen in der Praxis entstandenen und bewährten Orientierungsrahmen in die Hand geben, der in die Lage setzt, rasch auf Wesentliches zu fokussieren, wenn es um Umgang mit Veränderung geht. Zugleich verknüpfe ich den Veränderungskreis mit psychologischen und neurobiologischen Ansätzen und Erkenntnissen, die mir zur Zeit dessen Entstehung noch nicht bekannt waren oder noch nicht existierten. Sie vermitteln wichtige Einsichten insbesondere zu Entstehen und Veränderbarkeit von Haltung und Verhalten, einem Kernthema in Veränderungssituationen und auch »roter Faden« im Veränderungskreis. Sie ermöglichen ein vertieftes Verständnis, was im Umgang mit Veränderung vorwärtsführt, und untermauern zugleich die Relevanz des Veränderungskreises.

Mit diesem Buch möchte ich mein Wissen und meine Erfahrung mit Ihnen teilen, sodass Sie Ihre eigenen Konzepte und Vorgehensweisen bei Bedarf erweitern und optimieren können.

Dies ist verbunden mit Dank an alle, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Ich danke allen Professionals, die mich teilhaben lassen an ihren Erfahrungen, Fragen und Erfolgen: Sie inspirieren und motivieren mich. Ich danke allen Menschen, die den Mut haben, Schwieriges zu meistern: Anonymisierte Beispiele in diesem Buch ermutigen andere. Ich danke Herrn Weigert, Frau Grupp, Frau Kastl und Frau Pervanidis vom Kohlhammer Verlag: Sie haben stimuliert und ermöglicht, dass es zu diesem Buch gekommen ist. Und erneut danke ich meinem Mann, Bert Wenkenbach: Du inspirierst und ermutigst mich jeden Tag.

Es freut mich, wenn Sie die gezielte Förderung von Veränderungskompetenz in Ihre Arbeit integrieren und erfahren, dass dies zu win-win-win Situationen führt: Ihre Kunden oder Mitarbeitenden erfahren, dass sie selbst zum positiven Verlauf von Situationen beitragen können, ihre Selbstwirksamkeit wird gestärkt. Sie selbst können Ihren Fachauftrag effektiver – und befriedigender! – erfüllen. Und: Energie, Zeit und Geld werden effizient eingesetzt. Jeder Mensch, der lernt, produktiv mit Veränderung umzugehen, ist ein Gewinn. Für alle.

Viel Lesevergnügen!

Veränderungskompetenz fördern

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