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Die Übersetzung

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Wer Pāli kann braucht kein geborgtes Licht; wenn die Sonne scheint vermissen wir nicht den Mond. Um Pāli wirklich zu verstehn sind aber, meines Erachtens, vorerst zwei Dinge unerlässlich: 1) eine möglichst gründliche Kenntniss der besten Saṃskṛt-Texte und wiederholte Beschäftigung mit ihnen, und 2) jahrelang geübtes Studium der Pāli-Urkunden. Den Kampf mit dem spröden Stoffe ohne dieses nothwendigste Rüstzeug aufnehmen verspricht geringen Erfolg, wie viele, oft redlich beflissene Übersetzungen intra et extra muros deutlich darthun. Man ist nur allzu geneigt die verhältnissmäßig leichte Zugänglichkeit der Pāli-Texte sogleich auch für leichte Schmelzbarkeit zu halten. Man zerlegt ein dutzend Perioden, giebt den ungefähren Inhalt an und glaubt schon, dies wäre, im Großen und Ganzen, alles. Ein ehrenwerther Rechtsanwalt in Kandy, Siṇhalo-Holländer, der mich einmal mit einem Mönche reden gehört hatte, meinte nachher: ›Wenn ich nur die Zeit hätte! In drei Monaten würd' ich das ganze Pāli bemeistert haben.‹ Er ließ sich von gelegentlichen Anklängen ans Siṇhalesische bestechen. Wie mancher Biedermann bei uns gleicht mit seinem bischen Saṃskṛt diesem würdigen Holländer: nur mit dem Unterschied, dass er sich keine drei Monate Zeit nimmt, zur »Meisterung«. Er betreibt sie sein ganzes Leben lang, so nebenher.

Schön und gut sind nun wohl die zwei genannten unerlässlichen Eigenschaften, doch reichen sie zu einer Übersetzung keineswegs hin. Am Schlusse der Anmerkungen zum West-östlichen Divan stellt Goethe drei Arten von Übersetzungen auf, die prosaische, die parodistische und die identische. Die beiden ersten seien in ihrem Sinne recht brauchbar und verdienstlich, wahre Befriedigung könne nur die letzte gewähren. »Eine Übersetzung, die sich mit dem Original zu identifizieren strebt, nähert sich zuletzt der Interlinearversion und erleichtert höchlich das Verständniss des Originals; hiedurch werden wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben, und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten bewegt.« Sollte in den folgenden Blättern jene Identität auch nur hier und da zum kleinsten Theile sichtbar werden, dann wäre das Verständniss des Grundtextes allerdings wesentlich leichter, obgleich nicht mühelos geworden. Die Reden stammen zwar aus dem 6. Jahrhundert vor Christus: aber sie machen zuweilen den Eindruck als gehörten sie ins 6. Jahrhundert nach Schopenhauer.

Wien, im Herbst 1895.

Karl Eugen Neumann

Die Reden Gotamo Buddhos

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