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2. Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Herr Anthoine de Charreard hatte sich das Leben eines deutschen Gutsherrn sehr viel leichter, viel heiterer und abwechslungsreicher gedacht. Er spürte es bald, Arbeit würde seine Tage ausfüllen, rastlose Arbeit, die ihn frühe rief und ihn bis zum Abend begleitete.

Das Kirchlehen Pösen, einst ein stattlicher Besitz, auf dem die ritterlichen Herren von Scheiding gesessen hatten, war halb verfallen. Die Ställe schadhaft, einer ganz niedergebrannt, zum Dach regnete es herein oder schien die Sonne ins Haus, je nach des Wetters Laune. Vieh stand nur wenig in den Ställen; es waren nur ein paar magere, kümmerliche Tiere, es fehlte an Futter- und Brotgetreide, es fehlte eigentlich an allem. Und wie im Haus und auf dem Hofe, so sah es auch auf den Feldern aus. Vor drei Jahren war in der Gegend eine große Wasserflut niedergegangen, die hatte Schutt und Steine auf die Felder gespült, hatte vernichtet, was in den letzten Jahren nach dem großen Kriege mühsam aufgebaut worden war.

Ein Landsitz für heitere Feste, frohe Gesellschaft war das Gut wahrlich nicht. Es war wie ein Hohn, wenn die junge Hausfrau in dem kleinen Saal, in dem die seidenüberzogenen Stühle standen, auf und ab ging, nachsinnend, womit sie in aller Welt nur in den nächsten Wochen den Tisch bestellen sollte.

Dazu war Herr de Charreard kein Landwirt. Er konnte fechten, reiten, jagen, verstand sich auf die Kriegskunst und konnte zierliche Wortgewinde flechten, wenn es galt, ein Hoffest zu verschönen, doch von Ackerbau und Viehzucht verstand er kein Tipfelchen. Auch fehlte es an Geld, um die Schäden auszubessern. Der Geheime Rat Ries hatte seiner Tochter den Leinenschrank gefüllt, er hatte ihr dürftigen Hausrat mitgegeben und fünfundzwanzig Taler für Not- und Sorgentage, damit meinte er genug getan zu haben.

An einem warmen Sommerabend nun ging ein schweres Gewitter über dem stillen Tal nieder. Sophia Christine verschlief Donner und Blitz, so müde war sie von ungewohnter Arbeit, aber als sachte von der Decke herab ein Rinnsälchen in ihr Bett lief und der Regen dachte, nach dem Hausboden muß es doch noch eine Stube zum Hineinlaufen geben, da weinte die junge Frau bitterlich.

Und Herr Anthoine seufzte und schrieb am nächsten Tag einen beweglichen Bittbrief an seinen Schwiegervater, und Sophia Christine fügte an den hochzuverehrenden, hochgeliebten Herrn Vater die alleruntertänigste Bitte um Hilfe hinzu.

Die Antwort kam bald, sie brachte bittere Enttäuschung.

Der Geheime Rat Ries gedachte sich nochmals zu vermählen mit einer Frau Sibylle von Hellfeld. Diese hatte Sophia Christine schon in deren Kindheit alles gebrannte Herzeleid zugefügt. Er bedauerte sehr, nicht helfen zu können, schrieb aber, er hätte submissest dero Gnaden der Frau Herzogin das Schreiben alleruntertänigst überreicht und allergnädigst Hilfe versprochen bekommen.

Noch am gleichen Tage überbrachte ein reitender Bote dem Herrn de Charreard zweihundert Taler, der Brief dazu war aber so demütigend für den stolzen Herrn, daß dieser das Geld seiner Frau in den Schoß warf und davonrannte. Marie de Tremouville rächte sich dafür, daß Anthoine de Charreard zu stolz gewesen war, ihren Pudel und Hausnarren zu spielen. Sie sandte ihm das Geld wie ein Almosen.

Sophia Christine hörte zitternd den Zorn ihres Mannes toben. Das war nicht mehr der feine, höfliche Herr, und sie spürte zum ersten Mal: sie war nicht seines Stammes.

Und dann verging Stunde um Stunde und Herr Anthoine kehrte nicht heim. Über dem stillen Tal glühte schon die Abendsonne, als Frau Sophia Christine ihren Mann suchen ging. Der Weg führte sie durch den Leutragrund, und dabei gelangte sie an das einzige noch stehende Bauernhaus; auf halbem Wege zum Walde lag es. An dem kleinen Haus verließ die junge Frau der Mut, so allein weiterzugehen in den sinkenden Abend hinaus. Scheu klopfte sie bei den Bauersleuten an, die sie erst einmal flüchtig gesehen hatte.

In der niederen, holzgetäfelten Stube saß der Rabenvater, er las in einer Bibel, und neben ihm saß stille die Rabenmutter und spann.

Die alten Leute wurden nach ihrem Namen so genannt, denn Rabeneltern waren sie, weiß der allmächtige Himmel, nicht gewesen. Nur schwer geprüfte, hart geschlagene, arme Eltern. Drei schöne, blühende Kinder hatten die Soldaten aus Übermut mit fortgeschleppt. Wohin? Niemand wußte es. Nur den Jüngsten, der damals ein Büblein von fünf Jahren gewesen war, den hatte die Mutter im Hühnerstall bergen können.

»Herr erhöre mein Gebet und vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen,« tönte die Stimme des Bauern drinnen in der dämmrigen Stube.

Und draußen am Fenster stand holdselig wie der Frühling Sophia Christine in ihrer Herzensnot, und ihr zages Klopfen wurde noch einmal von dem dröhnenden Wort übertönt: »Erlöse mich um deiner Gerechtigkeit willen!«

»O du lieber Heiland,« rief innen plötzlich die Rabenmutter, »da steht ja die gnädigste Frau vom Schlosse und weint.«

Ja, Sophia Christine weinte, und es erschien ihr auf einmal ganz selbstverständlich, daß sie all ihre Not der alten, schlichten Frau in den Schoß schüttete, so wie ein Kind sein zerbrochenes Spielzeug: »Nun hilf mir du.«

Sophia Christine war nach dem frühen Tode ihrer Mutter ein einsames Kind gewesen und durch die Strenge des Vaters ein verschüchtertes Kind geworden. Ihr Seelchen war immer verschlossen geblieben, nie hatte eine Frau sie mütterlich im Arm gehalten, wie es jetzt die alte Bäuerin tat. Und der Madame de Charreard kam das gar nicht seltsamlich vor, daß sie der alten Bäuerin ihre große, große Angst um den Gemahl verriet.

Die Rabeneltern hatten ihn reiten sehen, und der große, blonde Bursche, der als Büblein im Hühnerstall gesteckt hatte, erbot sich, gleich nach dem Walde zu gehen. Vielleicht fand er die Pferdespur.

»Ich gehe mit,« rief Sophia Christine in ihrer großen Herzensangst.

»Das is niche gut. Der Christian setzt seine Beine schneller, das schafft besser.« Der Rat der Frau war verständig, und die Jüngere fügte sich der klugen Rede. Sie ließ sich in die Stube führen, und wie sie den alten Bauer am Tisch stehen sah, seine Hände fest über der Bibel gefaltet, und er sie mit seinen eigentümlich hellen Falkenaugen ansah, bat sie unwillkürlich: »Ach, lest doch weiter.« Sie schluckte an ihren Tränen.

Der Rabenvater nickte. Seine Stimme dröhnte, er las den Psalm bis zum elften Vers und Sophia Christine saß still neben der alten Frau und ihre Tränen waren versiegt, als der Bauer schloß: »Herr, erquicke mich um Deines Namens willen; führe meine Seele aus der Not, um Deiner Gerechtigkeit willen. Amen!«

»Amen.« Sophia Christines Stimme klang mit denen der alten Leute zusammen, da fiel ein Schatten dunkel in die Stube, draußen stand Anthoine de Charreard. Der junge Christian hielt sein Pferd.

Ein Lächeln lief über das Gesicht des Mannes, als er den Freudenblick seines Weibes sah. Er grüßte ganz heiter, als wäre nichts gewesen, und er, der sich bisher etwas kühl von diesen Leuten zurückgehalten hatte, trat auch in die niedrige Stube. Freilich, seine Stimme klang herablassend, er nahm den angebotenen Platz auf der langen Bank ein, trank auch die Milch, die die Rabenmutter ihm reichte, es war zu spüren, es war ein Fremder in der Stube. Immerhin fragte er höflich nach Leben und Sitten, der Rabenvater gab Antwort.

Knapp die Fragen, karg die Gegenrede. Dann lief das Gespräch aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Da stand die Rabenmutter auf und ging still hinaus. »Sie kann's niche ertragen,« murmelte der Alte.

»Was denn?«

»Das von den Kindern.« Kaum ein Dutzend Worte brauchte der Alte und schauernd durchlebten Anthoine de Charreard und sein junges Weib die Nacht mit, in der rote Glut über dem Tal gelegen und die Soldaten die schönen, jungen Töchter und blonden Buben mitgenommen hatten. Wohin, Gott wußte es! In Elend und Verderben hinein. Sechzehn Jahre waren es her, seit der schreckliche Wrangel das Thüringer Land durchzogen hatte nach Franken hinein. Der Schluß war's, aber unser Gott im Himmel weiß es, ein höllischer Schluß.

Schweigen herrschte in der Stube. Bis sich die Türe auftat und die Bäuerin hereintrat. Anthoine de Charreard, der es besser gelernt hatte, als sein tieferbleichtes Weib, ein Gespräch in ein anderes Rinnsal zu lenken, begann von Feld- und Hauswirtschaft zu reden. Ein wenig obenhin nur. Was konnte ihm der alte Bauer auch sagen. Doch er stutzte bald. Er merkte es, er war an einen gekommen, der mehr wußte als was ein Pferd und ein Pflug ist. Der Rabenvater wußte Bescheid. Nicht auf den paar Stücken Land allein, die ihm gehörten, sondern auch auf der Pösener Gemarkung. Der alten Frau von Nesselrode hatte er oft mit Rat beigestanden. Aber er drängte seinen Rat nicht auf und Herr Anthoine de Charreard mußte manche Frage tun. Der Rabenvater ließ sich die Worte aus dem Munde ziehen. Zäh, bedachtsam, mit Pausen setzte er eins neben das andere und nach einer Stunde wußte Herr Anthoine de Charreard, daß er noch weniger von der Landwirtschaft verstand, als er geahnt hatte. Es war beschämend. Aber als er in die falkenhellen Augen des Rabenvaters blickte, da las er darin nicht Spott über sein Nichtwissen, sondern den ehrlichen Willen, zu helfen.


»Wir müssen gehen, Sophia Christine, es ist spät geworden.« Der Gutsherr stand auf, er streckte dem Alten die Hand hin und sagte ganz einfach: »Jetzt weiß ich, wo ich mir Rat holen kann, wenn ich den brauche.«

»Wenn der gnädige Herr mich braucht, ich bin alleweil bereit,« gab der Rabenvater zurück.

»Auf gute Nachbarschaft!« Sophia Christine wunderte sich selbst über ihr Wort, aber da ihr Mann lächelte, kam wieder das frohe Läuten in ihr junges Herz, das sie zuerst vernommen, als sie beide unter der blühenden Linde gestanden hatten am Tage des Einzuges. –

Die Sonne war gesunken, aber noch lag das Tal in warmem, rotem Glanz. Die Grillen zirpten, der Abendwind harfte lind in den Bäumen und ferne glänzte das Haus herüber, das die Leute Schloß nannten, und das doch nur ein gutes, festes Familienhaus war.

Herr de Charreard und seine Frau gingen Hand in Hand ihrer Heimat zu. Unterwegs erzählte der Mann, wo er gewesen war. An einer Wassermühle im Grund war er vorbeigeritten, einen einsamen Waldweg entlang, bis zu einem Dorf. »Dürrenkleina« hatten es seine Bewohner genannt, von da hatte er den Blick frei gehabt nach dem Saaletal hinab.

»Ich sah auch nach Jena hin, meine liebe Hausfrau du,« schloß er die Erzählung.

»Mit Sehnsucht?« fragte Sophia Christine scheu.

»Nein, die empfand ich nicht.« Anthoine de Charreard atmete tief auf. »Es ist ein schönes Stück Land, das uns gehört, Sophia Christine,« sagte er ernst. »Aber es ist Land, das harte Arbeit braucht. In Arkadien leben wir nicht, mein Weib. Lust und Freude wird uns karg bemessen sein. Arme Sophia Christine, es ist ein rechtes Bettelbrot, das du erheiratet hast.«

»Gott segne uns das liebe Brot!« Sophia Christine rief es froh. »Ich heiratete die Armut nicht. Wir haben eine Heimat und – es ist Friede.« Ihre Stimme sank, sie hörte wieder den alten Bauern erzählen. Und halb zu sich selbst sprach sie: »Wir müssen sehr gut sein zu den Leuten, die zu uns gehören, sie haben sehr viel gelitten.«

Herr Anthoine de Charreard hörte an dem Wort vorbei. Das Gutsein war Frauensache. Seine Gedanken umspannten die Arbeit. Er baute, säete, pflanzte, legte Gärten an, richtete alles stattlich in Gedanken auf. Es war ihm dabei zumute wie als ganz jungen Burschen im ersten Gefecht, eine Lust zur Tat schrie in ihm. Damals hatte er zerstört, gedankenlos, und er hatte das Zerstören als Wonne empfunden, jetzt dachte er an ein Aufbauen, und er spürte, die Freude würde stärker sein. Er nahm ein kleines Jagdhorn, das er beim eiligen Fortreiten unwillkürlich über seine Schulter gehängt hatte, und blies hinein. Das Pferd hob den Kopf und wieherte. Da schwang sich Herr Anthoine in den Sattel, hob seine Frau zu sich empor und blies wieder in das Horn. Wie Jubel klang es, so ritten sie beide zum Hof hinein und es war ihnen beiden wie eine rechte Heimkehr.

Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie

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