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3. Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Sophia Christine brauchte das Gutsein gegen die Leute, gegen die Bewohner der nachbarlichen Dörfer Bucha und Schorba nicht zu lernen, sie, die Scheue, fand auf einmal die Sprache, die die Leute verstanden. Sie redete mit ihnen von vergangener Qual und gegenwärtiger Not, von den kargen Freuden ihres bäuerlichen Lebens, und ihr Wort war Hoffnung, ihr Blick Zuversicht, ihr Lächeln Trost, ihr Kommen Freude. Und so ausgefüllt mit Arbeit auch ihre Tage waren, immer gelang es ihr noch ein Einschiebsel an Zeit zu machen, um eine Klage zu hören, einen Rat zu geben. Die Ratlose, die kleine, scheue Frau wurde bald Beraterin. Wie sie es fertig brachte, war selbst ihrem Mann ein Rätsel.

Sophia Christine ließ ihr Herz raten, und wo das versagte, den einzigen Freund, den sie in Jena besaß, den Magister Albertinus. Der war einst ihr Lehrer gewesen für eine kurze Spanne Zeit, er war der einzige, der ihrem liebearmen Leben ein wenig Glanz und Freude gegeben hatte. An ihn schrieb die kleine Frau eines Tages, als in Pösen eine Kuh erkrankt war, denn ihrer Meinung nach wußte Magister Albertinus alles, was einer nur wissen kann. Und der Magister sandte ihr eine Flasche Lebenselixier, das half der Kuh auf die Beine, ob sie nicht von selbst aufgestanden wäre, wußte niemand.

Wenige Tage später kam der Magister anspaziert, er trug in einem Felleisen eine ganze Apotheke zusammen. Seltsame Mittel, auch ein Büchlein Rezepte brachte er der Madame de Charreard und dazu die Neuigkeit, daß man im Schloß Monsieur Anthoine arg vermisse. Die Neuigkeit warf Sophia Christine zum Fenster hinaus, die mochte sie gar nicht hören, aber die Fläschchen und Büchsen stellte sie in den alten Schrank der Nesselrodes und das kleine Buch nahm sie mit warmem Danke an.

Der Hausherr lachte ein wenig über diese Alchymisterei, wie er es nannte, aber seine Frau ließ sich nicht beirren. Sie gab da ein Tränklein, dort eine Latwerge, und weil die Bauern ein eisenfester Schlag waren, schadeten die Mixturen nichts und der gute Glaube half zum Gesundwerden.

Monsieur de Charreard hatte über den Heilkram des Magisters gelacht, das Wort, man vermisse ihn im Schloß, warf er nicht wie seine Frau zum Fenster hinaus. Er dachte daran, dachte mehr und mehr darüber nach, und eines Tages ritt der Herr von Pösen, von einem Reitknecht begleitet, nach Jena. Die junge Frau stand unter der Linde und ihre Augen waren dunkel von Tränen.

Und wie sie so stand und in die Ferne sah und ihre Sehnsucht auf grauem Rößlein dem Gatten nachritt, kam der Hofverwalter, er wollte dies und das wissen, wie die Arbeit eingerichtet werden sollte, und Frau de Charreard wußte es nicht.

Da dachte sie an den Rabenvater, und wie sie ging und stand lief sie den Wiesenabhang hinab und kam bald heiß und verwirrt auf dem stillen Hofe an.

Vieler Worte brauchte es nicht. Der alte Bauer mit den eigentümlich hellen Augen verstand sie gleich, er hatte Zeit, er hatte den Willen zu helfen, und er half.

Fünf Tage lang war das Haus ohne Herrn, und niemand merkte es. Nach fünf Tagen kam Herr de Charreard zurück, ein wenig blaß und müde und herzhaft verdrossen. Des Herzogs Bernhard Bruder war da gewesen, und es hatte ein scharfes Trinken gegeben. Und als der Hausherr heimritt, wieder unter den nun längst verblühten Linden dahin, kam ihm sein Einzug in den Sinn, und er fühlte, er hatte seine junge Hausfrau zu bald alleingelassen. Auch an die Arbeit dachte er, und daß nun wohl eine ziemliche Verwirrung entstanden sein würde.

Er hielt sein Pferd an. Sein Diener war noch ein gutes Stück zurück und mit leiser Trauer über sich selbst sah der Mann in das friedliche Tal hinab. Da kam ihm des Wegs der alte Rabenvater entgegen. Der grüßte ehrerbietig und doch mit viel Würde in seiner Haltung.

»Wo kommt Er her?« Des Gutsherrn Stimme klang mißmutig. Der Alte hatte etwas in Blick und Gebärde, das ihn reizte. Wie der Werktag selbst, der vollgerüttelte ehrliche Arbeitstag sah er aus, und da er nicht gleich antwortete und doch über Pösener Grund ging, herrschte Monsieur Anthoine ihn schärfer an: »Wo kommt Er her, rede Er doch?«


»Vom Mähen drüben am Hähnchen,« antwortete der Alte gelassen und zeigte mit der Hand nach dem Waldberg hinüber. Wirklich, da stand das Kornfeld nicht mehr in goldner Flut, in Garben stand es aufgeschichtet.

Dem Gutsherrn stieg es heiß ins Gesicht. »Wer hat's Ihm geheißen?« schrie er den Bauer an.

»Die gnädige Frau!« Der Rabenvater sah mit seinen hellen Augen klar dem Herrn ins Gesicht. »Gnaden haben nicht gewußt, was zu tun war für die Knechte, und da haben Gnaden mich geholt, wie mich die gnädige Frau von Nesselrode oft geholt haben.«

Anthoine de Charreard sah verlegen an dem alten Bauern vorbei. Er wußte es plötzlich, es war jetzt keine Zeit für einen Landmann, davonzureiten; schon wollte er dem Pferde die Sporen geben und ohne Wort und Gruß an dem Alten vorbeitraben, doch es war, als hielten dessen helle Augen ihn fest, er sagte: »Also Dank für die Hilfe – ich frage morgen mal bei Ihm nach.« Er nickte dem Bauern zu und ritt heimwärts. Sein Reitknecht hatte ihn inzwischen erreicht und als er vor das Haus ritt, meinte er, die Türe müsse sich auftun und Sophia Christine ihm mit Jubel entgegeneilen. Doch nichts geschah, im Haus blieb es still, auf dem Hof gackerten nur ein paar Hühner. Er stieg ab und öffnete die Haustüre, kühl wehte es ihm entgegen und seine Stimme dröhnte im weiten Flur.

Da öffnete sich denn freilich flugs die Seitentüre, zwei Mägde kamen angelaufen, sie knixten, sahen verlegen drein, eine hielt die Schürze vor das Gesicht, denn sie alle hatten eine ungeheure Ehrfurcht vor dem feinen und schönen Gutsherrn.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Herr Anthoine aus dem Gestammel heraushörte, seine Frau wäre in der kleinen Hauskapelle. Ach so, es war ja morgen Sonntag und der, an dem der Prediger aus Bucha die Andacht hier hielt. Das kam ihm in den Sinn, als er mit gedämpftem Schritt zu der Kapelle ging. Als er die Tür zu der Empore auftat, sah er seine Frau auf den Altarstufen sitzen. In ein paar Zinnkannen blühten die letzten lichtroten Malven auf dem kleinen Altar, sie standen im Glanz der hereinfallenden Sonne, und auch das Gesicht Frau Sophia Christines war vom hellen Licht umflossen. Herr Anthoine de Charreard staunte seine junge, zarte Frau an. Es lag ein fremder, schöner Ausdruck auf ihren Zügen, das Kindhafte, Scheue war verschwunden, als lägen Jahre zwischen ihrem letzten Zusammensein, nicht fünf Tage, so war es.

Sophia Christine hob den Kopf. Sie hatte die Schritte vernommen und wußte, wer da kam. Ein Lächeln grüßte den Mann. Kein Mißmut, kein Ärger über sein langes Fortbleiben, und als er, beschämt fast von der sanften Güte, die Treppe hinabstieg und sich eilte, die Frau zu grüßen, strahlten ihm ihre Augen entgegen, und sie sagte schlicht und fromm: »Gott will uns ein großes Glück geben, lieber Mann, er will uns ein – Kind schenken.«

Das einfache Wort zwang den Mann auf die Knie neben seine Frau. Sie sprachen froh zusammen von kommenden Tagen, von ihrer Lust und ihrer Freude, und Herr Anthoine sagte: »Gibt Gott uns einen Sohn, so wird er hoffentlich heimkehren können nach Frankreich.«

Sophia Christine schüttelte sacht den Kopf, sie antwortete sanft, ohne Widerspruch in der Stimme: »Ich wünsche meinen Kindern keine schönere Heimat als dieses stille Tal.«

»Du kennst sie nicht, die schönen Ufer der Loire, du kennst nicht meine schöne Heimat. Du würdest sie diesem –« er stockte – sein Blick ging zur offenen Türe hinaus und er sagte das Wort ›armselig‹ nicht. Er sah drüben den Berg ansteigen, oben von dunklem Wald gekrönt, er hörte den Bach klingen und sah den Himmel blau über dem Tale stehen, und er dachte an die Flucht und an die Heimatlosigkeit seiner Jugend, und er umschloß nur fest die Hand Sophia Christines. Schweigend saßen sie beisammen im Glanz der Sonne, sie hörten ihre Herzen reden. –

Es rann noch mancher Tropfen Regen in das einsame Tal hinab und schwellte den Bach, noch viele Arbeitsstunden kamen und noch mancher Sorgentag. Es wurde Herbst, der Winter kam, endlose Wochen, in denen Pösen eingeschneit lag. Endlich brausten die Frühlingsstürme um das Haus, und Herr de Charreard ging über den Speicher mit dem alten Rabenvater und der sagte: »Knapp wird's zulangen.«

Der goldene Feldsegen war nicht allzu reich gewesen, es galt zu sparen an allem, was zu des Lebens Notdurft gehörte. Noch hatte der neue Besitzer nicht mehr Vieh anschaffen können, und es gehörte der ganze hoffnungsfrohe Mut Sophia Christines dazu, um jeden Morgen heiter zu grüßen. Ihr Mann verzagte leichter. Ein paarmal ritt er im Mißmut nach Jena, doch war seine Abwesenheit immer nur kurz, und wenn er wiederkam und von den Linden aus das Haus im Grunde liegen sah, war es doch immer Heimatfreude, die ihn bewegte. Und dann kam er einmal von einem Hoffeste heim, zu dem der Herzog ihn so dringlich geladen hatte, daß er nicht fern bleiben konnte, und als er in sein Horn blies um seine Ankunft zu melden, kam Sophia Christine nicht wie sonst, ihn zu grüßen.

Es war schon Frühling. Grüne Seidenfahnen wehten über Baum und Sträucher. Die Schwalben tanzten in der silberklaren Luft, die Erde strömte erfrischten Atem aus und Herr Anthoine de Charreard vergaß ganz die grünen Loireufer, so stark war das Gefühl: »Hier bist du zu Hause.«

Aber seine Frau kam nicht. Und in den Augen der Dienstleute las er sorgenvolles Teilnehmen.

Da fragte er nicht, er suchte und fand Sophia Christine im Prunkgemach des Hauses. Vor ihr auf dem Tisch standen zwei silberne Becher, lag bescheidener Schmuck und ein paar Gevattergulden. Alles in allem kein Reichtum, ein dürftiges Silberschätzlein, und die Stirne der jungen Frau war sorgenvoll gekraust. Doch brach die helle Freude hervor, als sie den Heimgekehrten erblickte. »Ist meine liebe Hausfrau eine Schatzsucherin geworden?« fragte der Gutsherr heiter, »was soll die Aufhäufung unseres Silberschatzes?«

Es waren keine Kinderaugen mehr, Sorgenaugen waren es, die den Mann anschauten. »Wir müssen das verkaufen,« flüsterte Sophia Christine. Sie legte flink noch einen goldenen Ring dazu, den sie von ihrer Mutter hatte. »Wir reichen nicht mit dem Brotgetreide bis zur Ernte und –« Es war eigentlich viel, was im Hause fehlte. Zu viel für das armselige Schätzlein. Doch diesmal wußte der Herr de Charreard besseren Rat. Er hatte des Herzogs Erlaubnis erhalten, auf das Gut zweihundert Taler aufzunehmen. Freilich das Geld mußte verzinst werden, immerhin, der Rabenvater hatte gesagt, es würde ein gutes Jahr werden, alle Zeichen dafür wären vorhanden. Da kamen die Eheleute wohl aus der Not heraus. Der Geheime Rat Ries hatte versprochen, sich nach einem umzutun, der wohl das Geld geben würde. Er hatte gemeint, der Amtsschosse der Leuchtenburg, die bei dem Städtchen Kahla lag, Herr Heinrich Rudolph, würde es leihen können und es auch gerne tun.

Das war freilich Trost. Und frohgemut packte Frau Sophia Christine ihr Silberschätzlein wieder zusammen, und als ihr Mann wehmütig sagte: »Arme Frau,« da rief sie: »Reich, nenn mich doch reich.«

Herrn de Charreards deutsche Kinder: Die Geschichte einer Familie

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