Читать книгу Ein Flaschengeist in Wanne-Eickel - Sieglinde Breitschwerdt - Страница 5
Die vermopsten Würstchen
ОглавлениеDie Sonne sandte ihre Strahlen aus und schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte jemand an so einem schönen Morgen noch schlafen? Sie warf ein paar Strahlen direkt in Fabians Gesicht und kitzelte seine Nase. Na endlich! Der Junge wachte auf. Fabian gähnte, streckte sich, ließ den Kopf über die Bettkante hängen, stemmte die Hände auf den Boden und schlug einen Purzelbaum.
„Fabian, steh auf!", rief Tante Eulalia, die in der Küche werkelte.
Er brummte zurück. Fröhliche Menschen am frühen Morgen fand er furchtbar, total ätzend. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick auf die Flasche. Ich werd' wahnsinnig, dachte er, ich hab' also nicht geträumt!
Er nahm die Flasche, klemmte sie zwischen die Knie und versuchte, den Stöpsel herauszuziehen.
„Bamase, hilf mir!", hörte er ein leises Wispern. „Ich kann den Festhaltel nicht mehr stöpseln ...!"
„Ach, so ist das", grinste Fabian. „Der Kleine will nicht raus? Na, der wird sich wundern."
Ohne zu zögern drehte er die Flasche auf den Kopf und klopfte kräftig auf den Boden. Mit einem lauten "Plopp" fiel der Stöpsel heraus.
„Nun, komm schon", lockte Fabian. „Ich tu' dir nix!"
Mit einem dumpfen Pfiff schwebte Tanball aus der Flasche, und Bamase flog hinterher. Er setzte sich zwischen Daumen und Zeigefinger auf Fabians Hand. Mit verschränkten Ärmchen verneigte er sich.
„Guten Morgen, Meister! Hast du gut geschlafen?"
„Sag nicht immer Meister zu mir! Ich heiße Fabian!", brummte der Junge verlegen.
Da war auch wieder diese komische Fliege.
Sie surrte erst um seinen Kopf, dann setzte sie sich auf Fabians Daumenspitze. Fabian stutzte und murmelte: „Das ist aber eine drollige Fliege!"
Der kleine Flaschengeist verbeugte sich.
„Das ist meine Freundin Bamase!", erklärte er. „Bamase, begrüße meinen Meister!"
Die Fliege senkte ihre Fühler und summte: „Guten Morgen!"
Fabian war völlig perplex. Zuerst ein Geist, der in einer Flasche wohnt, und dann noch eine sprechende Fliege.
„Das ist ja cool", grinste Fabian und verließ mit Tanball auf der Schulter sein Zimmer. Das musste er unbedingt Tante Eulalia zeigen.
„O Bamase, wo geht er nur mit mir hin?"
„Wart's ab!", gab die Fliege zur Antwort und flog neugierig hinter den beiden her. Verängstigt klammerte sich der Kleine am Ohr seines neuen Meisters fest.
Fabian stieß die Küchentür auf.
Ein wunderbares Duftgemisch von brutzelnden Würstchen, Kaffee, Kakao und frisch getoastetem Brot kroch in die luftige Flaschengeisternase. Tanball schnüffelte begeistert.
Der Frühstückstisch war schon gedeckt. Die Kaffeemaschine gurgelte und spukte einen Tropfen Kaffee nach dem anderen in die Glaskanne.
„Morgen", grunzte Fabian.
„Morgen is' gut", lächelte die Tante und steckte zwei Weißbrotscheiben in den Toaster, dann widmete sie sich wieder ihrer Pfanne auf dem Herd.
„Es ist gleich halb zwölf. Deshalb mach' ich uns so ein... na, so ein Dings zwischen Frühstück und Mittagessen!"
„Brunch!", half er ihr auf die Sprünge.
„Genau so wat!"
Luzimops saß demonstrativ vor seinem leer gefressenen Futternapf. Er miaute so steinerweichend, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu fressen bekommen.
„Luzimöpschen, nu' hör auf zu nerven! Du kriegst ja gleich was!"
„O Meister, sieh doch nur, das ungeheuerliche Schreckgeheuer, die schreckliche Bestie von heute Nacht!"
„Luzimops, eine Bestie?", kicherte Fabian. „Keine Sorge, der tut dir nichts!"
„Ehrenwort?"
„Großes Ehrenwort!"
Herrlicher Würstchenduft strömte in Tanballs Näschen. Neugierig schwebte er auf Tante Eulalias Schulter. Entzückt verdrehte er die Augen, als er in die Pfanne sah, und vor lauter Vorfreude schmatzte er laut vor sich hin.
„Luzimöpschen, hör auf zu gieren", tadelte Tante Eulalia. „Es sind genügend Würstchen für alle da!"
Flugs schwebte der Kleine vor Eulalia Mehlmanns große Nase, rieb sich erwartungsvoll die Händchen und fragte: „Auch für mich?"
Vor Entsetzen taumelte die alte Dame und schnappte nach Luft. Erschöpft lehnte sie sich an die Spüle und griff sich ans Herz.
„Wa... wa... was is'n das?"
„Aber Tante, hast du's vergessen? Das ist Tanball!"
„Es... es war also kein Traum?", stammelte sie tonlos. „Ich habe heute Nacht tatsächlich..."
„... meine Wüste verwohnt, und jetzt stinkt's dort!", ereiferte sich der kleine Geist und ballte die Fäustchen.
Das war zu viel! Energisch stemmte Tante Eulalias die Arme in die Hüften und keifte entrüstet: „Flaschen, die ich ausspüle, stinken nicht mehr!"
Sie scheuchte den Kleinen mit einer herrischen Handbewegung zur Seite.
„Da macht man wat sauber, und dann soll et stinken", brabbelte sie beleidigt vor sich hin.
Tanball setzte sich wieder auf Fabians Schulter und wisperte: "O Meister, deine Zürne ist ertantet. Ob sie trotz allem meines Hungers gnädig ist?"
Verschwörerisch zwinkerte ihm Fabian zu und flüsterte: „Ganz bestimmt!"
„Fabian", knurrte die Tante. „Hol noch ein Tellerchen für den Dingsbums aus dem Schrank. Und der Senf fehlt auch noch."
Neugierig betrachtete Tanball das Treiben seines Meisters. Als er im geöffneten Kühlschrank die vielen Lebensmittel sah, geriet er völlig aus dem Häuschen. Er schwebte erneut vor Eulalia Mehlmanns große Nase, setzte sein allerschönstes Lächeln auf und schmeichelte: „O große Meistertante, kann man das da im Schrank wirklich alles essen?"
Bevor sie ihm antworten konnte, maulte Fabian: „Wir haben keinen Senf mehr!"
„So was Dummes!", knurrte die Tante ärgerlich. „Den hab' ich doch glatt vergessen! Geh mal rüber zu Frau Würggriff und frag sie, ob sie uns etwas Senf leiht!"
„Mach ich", sagte Fabian und verließ die Küche.
„Senf?", staunte Tanball . „Was ist denn das?"
„Das ist eine Paste aus Senfkörnern! Aber ohne Senf schmecken die Würstchen nur halb so gut!", erklärte Tante Eulalia ihm.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Tante Eulalia nahm die Pfanne vom Herd und sagte: „Pass auf, dass Luzimöpschen von den Würstchen weg-bleibt!", und verließ die Küche.
Der Kater kauerte vor seinem Fressnapf, Pfote neben Pfote, den Schwanz darum geschlungen. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er den kleinen blauen Wicht. Mit kleinen schlitzigen Augen schien er vor sich hinzudösen. Diesem Flaschenheini werde ich's zeigen, überlegte er böse. Wehe, wenn er mir in die Quere kommt, dann fress' ich ihn samt seinem dämlichen Käppi.
Der kleine Flaschengeist setzte sich aufs Küchenradio. Neugierig guckte er aus dem Fenster und staunte. Auf der Straße fuhren so viele Autos - manche sehr groß, andere wieder klein und bunt. Solche Autos hatte er noch nie gesehen. Eigentlich hatte er bis zum heutigen Tage nur ein einziges Auto gesehen. Das war riesig und wurde von einem Chauffeur gefahren. Aber das war vor vielen, vielen Jahren gewesen, als er der Dshinni eines reichen Ölscheichs war...
Mitten auf der Wiese stand ein großer Kasten mit Sand gefüllt. Kleine Kinder spielten und tobten darin. Der Sand erinnerte ihn an die Wüste. Herrliche Sonnenuntergänge gab es dort ..., Oasen mit Dattelhainen, Palmen und...
Ein lautes Schmatzen riss ihn aus seinen Träumereien. Verdattert drehte er sich um. Wie von der Tarantel gestochen sauste er zur Pfanne. Sechs Würstchen! Zwei fehlten!
Fuzziluzzi! Wo war diese verfressene Bestie? Wo steckte dieses alles verschlingende vierbeinige Ungeheuer? Tanball spitzte die Ohren und lauschte. Aha, das Monstrum hockte unterm Küchentisch.
„Du... du verfressiger Flohsack!", kreischte Tanball außer sich.
Der Kater hielt im Kauen inne. Ein kleiner Wurstzipfel hing noch aus seiner Schnauze.
„Rück sofort die Würstchen raus!", schrie der Flaschengeist so laut er konnte.
Doch für Luzimops Öhrchen war dies nur ein sanftes Säuseln. Wenn sein Frauchen mit ihm schimpfte, klirrten mitunter die Fensterscheiben. Hastig verschluckte er den Wurstzipfel und fauchte: „Hau bloß ab, du Pimpf!"
Heimtückisch funkelten seine Augen. Blitzschnell schlug er mit einer Pfote nach Tanball, der zornbebend vor seiner Schnauze schwebte.
„Aua! Mein Kopf! Das sag' ich meinem mistigen Großen! Dann kriegst du nix mehr zu fressen!"
Wutentbrannt wetterte er weiter:
„Lass mich bloß in Ruhe, du... du katzige Blöde! Oder ich werde ich dich verzaubern. Ich werde ...", er war so wütend, dass er anfing zu stottern, "ich werde dich in eine Gurkenmarmelade verwandeln oder... oder..."
Laut schnaubend wirbelte er um Luzimops Kopf herum.
„He, bist du jetzt total durchgeknallt?", kicherte der Kater hämisch. „Lass das sein, sonst musst du kotzen!"
Doch Tanball ließ sich nicht stören, sondern sauste immer schneller und schneller um den dicken Katzenschädel.
Luzimops glotzte irritiert, versuchte den Geist zu schnappen und drehte sich dabei wie ein Kreisel um sich selbst. Mit einem Mal stöhnte er auf, verdrehte die Augen und plumpste auf die Seite.
Bamase hatte Tanballs Treiben von der Lampe aus beobachtet. Mutig flog sie auf Luzimops Nase. Triumphierend hob sie ein Vorderbein.
„Er ist k.o.!", surrte sie anerkennend. „Du hast ihn besiegt!"
Vorsichtig schwebte der Kleine näher. Misstrauisch beäugte er den ohnmächtigen Kater. Er traute ihm zu, dass er sogar Bamase austrickste. Bamase hieß nicht umsonst Bamase, denn das bedeutete auf Persisch schließlich "klug". Und die Fliege war klug - sehr klug sogar.
Luzimops rührte sich nicht. Ganz allmählich bekam der Kleine seine blaue Flaschengeisterfarbe zurück. Mit stolz geschwellter Brust rieb er sich freudestrahlend die Händchen und sang: „Ich habe den Sieg gemopst! Ich habe den Mops besiegt! Ich habe..."
„Welchen Mops?", ertönte Eulalia Mehlmanns Stimme. „Was singst du denn da für einen Blödsinn?"
Ihr Gesicht erschien unter dem Küchentisch.
„Luzimöpschen!", kreischte sie auf, "mein kleinet süßet Schnuckelchen, was hasse denn auf einmaa? Gehet dir nicht gut?"
„Oh, mein Süßklöpschen!", äffte Tanball die alte Dame nach. „Oh, wat hat et denn? Diese katzige Blöde! Ha! Der Dicke hat nix! Rein gar nix!", rief er entrüstet und schnellte vor Eulalia Mehlmanns große Nase. Demutsvoll verschränkte er seine Ärmchen und säuselte: „O mistige Meistertante! Ihr Nuckelchen... also, dieser bescheuerte Flohsack hat Ihren ganzen Mist verbraucht, ich meine Ihr Misstrauen... Auf alle Fälle hat er Ihre vorzüglichen Würstchen, auf die ich Acht geben sollte, einfach verzupft und vermopst! Er hat sie einfach verschluckt! Ratzefatz! Und er hat mir nix abgegeben! Nicht ein stückiges Winzchen! Jawohl!"
Vor lauter Zorn verfärbte sich seine Geisterbläue in giftgrün.
Eulalia Mehlmanns Gesicht verfärbte sich ebenfalls. Sie lief knallrot an und glich einem Feuermelder. Luzimops, dem es nur ein bisschen schwindelig gewesen war, verhielt sich ganz still. Er genoss es, dass Eulalia voller Sorge um ihn war. Ein klägliches Miau zitterte zwischen seinen Schnurbarthärchen hervor und stahl sich in ihr großes Herz.
„Oh, mein Schnuckelchen, das ist aber schön, dass es dir wieder besser geht! Was hat er dir nur angetan, mein armes süßes Häschen! Och, mein Schimmeräffchen!"
„Miau", wimmerte Luzimops, verdrehte die Augen und schenkte Eulalia ein wehleidiges Blinzeln. Liebevoll drückte sie ihn an ihren mächtigen Busen und kraulte sein Köpfchen. Selbstgefällig spreizte er seine linke Pfote und zeigte dem Geist hemmungslos die Mittelkralle.Tanball war außer sich.
„O bitte, eulige Tante, Ihr Schnuckelchen verdings—bumst...!"
„Halt die Klappe, du nichtsnutziger Wicht!", wetterte Eulalia Mehlmann und erwischte den Flaschengeist am Kragen.
Tanball zappelte erbittert mit seinen Beinchen. „Das werd' ich meinem Meister melden!", kreischte er.
„Tu das!", schrie sie, stand abrupt auf und watschelte zum Kühlschrank. „So, da hinein, bis deine Bosheit erfroren ist!"
Sie knallte die Kühlschranktür so heftig zu, dass die Kochbücher im Regal zitterten. In diesem Augenblick betrat Fabian die Küche.
„Wir sollen ihr die Tube Senf nach dem Essen wieder-bringen, hat Frau Würggriff gesagt!"
Die Tante hatte sich auf den Küchenstuhl gesetzt. Luzimops kauerte auf ihrem Schoß und schnurrte. Hingebungsvoll sah er sein Frauchen an und zwinkerte von Zeit zu Zeit. Er wusste: Sein sanftes Schnurren und sein verschämtes Blinzeln wirkten auf Eulalia unwiderstehlich!
Suchend sah sich Fabian um und fragte: „Wo ist Tanball?"
Sofort keifte die Tante los: „Der hat so lange Hausarrest, bis seine Boshaftigkeit erfroren ist!"
Sprachlos starrte Fabian seine Tante an. Er konnte es nicht glauben und stammelte: „Du hast ihn doch nicht etwa in den Kühlschrank...?"
„Hab' ich!", schnitt sie ihm das Wort ab.
Fabian riss die Kühlschranktür auf. Bamase, die die ganze Zeit wie eine Wahnsinnige vor der Tür auf und ab und rauf und runter gebrummt war, landete im Sturzflug auf seiner Nase.
„O heiliger Oberdshinni! Tanball ist wahrscheinlich schon erfroren."
„Er hätte beinahe Luzimöpschen umgebracht!", verteidigte sich die alte Dame.
„Miau", trumpfte Luzimops auf und fand es großartig, dass ihn Eulalia gegen diesen grässlichen Pimpf in Schutz nahm.
Genervt fegte Fabian die Fliege zur Seite.
„Tanni, komm raus! Ich bin's!"
Ein blaues bibberndes Etwas kroch mit steifen Bewegungen hinter dem Joghurtbecher hervor. Hastig nahm ihn Fabian in beide Hände und rieb ihn.
„Oh, brrh... Meisterrrr... du hast mich gerettet!", zitterte der Kleine und genoss die warmen Hände seines Meisters. „Was machst du bloß für Sachen!", seufzte Fabian, nahm das Geschirrhandtuch, das über der Heizung hing, und wickelte den kleinen Wicht darin ein.
„Mirr... isss... soooho... kaaakaakalt...", schnatterte Tanball, und Fabian hauchte ihn wärmend an.
„Und dieser Dingsbums", keifte Tante Eulalia, „bekommt zur Strafe kein Würstchen! Das kriegt mein armes Schnuckelchen!"
Zärtlich kraulte sie Luzimops unterm Kinn. Der Kater schnurrte erfreut und streckte Tanball die Zunge heraus.
Bevor sich der Flaschengeist erneut aufregte,rief Fabian: „Aber Tante, das kann doch nur ein Missverständnis..."
„Ist es auch!", ereiferte sich Tanball. „Diese katzige Blöde hat nämlich..."
„Nun ist aber Schluss! Basta!", wetterte Eulalia Mehlmann.
Fabian seufzte. Wenn die Tante diesen Ton anschlug, war es besser, ihr nicht zu widersprechen. Schweigend verließ er die Küche und ging in sein Zimmer. Flink brummte Bamase hinterher.
„Oh, mein mistiger Großer", murmelte Tanball. „Ich habe diesen fressigen Flohsack, diese katzige Blöde..., ich..."
„Erzähl mal ganz in Ruhe", beruhigte Fabian das aufgeregte Kerlchen und hörte ihm schmunzelnd zu.
„Alles klar", kicherte er. „Und jetzt ab in die Flasche! Später, wenn die Luft rein ist, bring' ich dir ein Würstchen!"
Gerührt verschränkte der kleine Flaschengeist seine Ärmchen vor der Brust und verneigte sich. Mit einem Luftzug verschwand er in der Flasche. Bamase folgte ihm mit einem eleganten Looping.