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TRAUMREIZE UND TRAUMQUELLEN
ОглавлениеWas man unter Traumreizen und Traumquellen verstehen soll, das kann durch eine Berufung auf die Volksrede »Träume kommen vom Magen« verdeutlicht werden. Hinter der Aufstellung dieser Begriffe verbirgt sich eine Theorie, die den Traum als Folge einer Störung des Schlafes erfaßt. Man hätte nicht geträumt, wenn nicht irgendetwas Störendes im Schlaf sich geregt hätte, und der Traum ist die Reaktion auf diese Störung.
Die Erörterungen über die erregenden Ursachen der Träume nehmen in den Darstellungen der Autoren den breitesten Raum ein. Daß das Problem sich erst ergeben konnte, seitdem der Traum ein Gegenstand der biologischen Forschung geworden war, ist selbstverständlich. Die Alten, denen der Traum als göttliche Sendung galt, brauchten nach einer Reizquelle für ihn nicht zu suchen; aus dem Willen der göttlichen oder dämonischen Macht erfloß der Traum, aus deren Wissen oder Absicht sein Inhalt. Für die Wissenschaft erhob sich alsbald die Frage, ob der Anreiz zum Träumen stets der nämliche sei oder ein vielfacher sein könne, und damit die Erwägung, ob die ursächliche Erklärung des Traumes der Psychologie oder vielmehr der Physiologie anheimfalle. Die meisten Autoren scheinen anzunehmen, daß die Ursachen der Schlafstörung, also die Quellen des Träumens, mannigfaltiger Art sein können und daß Leibreize ebenso wie seelische Erregungen zur Rolle von Traumerregern gelangen. In der Bevorzugung der einen oder der anderen unter den Traumquellen, in der Herstellung einer Rangordnung unter ihnen je nach ihrer Bedeutsamkeit für die Entstehung des Traumes gehen die Ansichten weit auseinander.
Wo die Aufzählung der Traumquellen vollständig ist, da ergeben sich schließlich vier Arten derselben, die auch zur Einteilung der Träume verwendet worden sind: 1) Äußere (objektive) Sinneserregung. 2) Innere (subjektive) Sinneserregung. 3) Innerer (organischer) Leibreiz. 4) Rein psychische Reizquellen.
49 Ad 1) Die äußeren Sinnesreize
Der jüngere Strümpell, der Sohn des Philosophen, dessen Werk über den Traum uns bereits mehrmals als Wegweiser in die Traumprobleme diente, hat bekanntlich die Beobachtung eines Kranken mitgeteilt, der mit allgemeiner Anästhesie der Körperdecken und Lähmung mehrerer der höheren Sinnesorgane behaftet war. Wenn man bei diesem Manne die wenigen noch offenen Sinnespforten von der Außenwelt abschloß, verfiel er in Schlaf. Wenn wir einschlafen wollen, pflegen wir alle eine Situation anzustreben, die jener im Strümpellschen Experimente ähnlich ist. Wir verschließen die wichtigsten Sinnespforten, die Augen, und suchen von den anderen Sinnen jeden Reiz oder jede Veränderung der auf sie wirkenden Reize abzuhalten. Wir schlafen dann ein, obwohl uns unser Vorhaben nie völlig gelingt. Wir können weder die Reize vollständig von den Sinnesorganen fernhalten noch die Erregbarkeit unserer Sinnesorgane völlig aufheben. Daß wir durch stärkere Reize jederzeit zu erwecken sind, darf uns beweisen, »daß die Seele auch im Schlaf in fortdauernder Verbindung mit der außerleiblichen Welt« geblieben ist. Die Sinnesreize, die uns während des Schlafes zukommen, können sehr wohl zu Traumquellen werden.
Von solchen Reizen gibt es nun eine große Reihe, von den unvermeidlichen an, die der Schlafzustand mit sich bringt oder nur gelegentlich zulassen muß, bis zum zufälligen Weckreiz, welcher geeignet oder dazu bestimmt ist, dem Schlafe ein Ende zu machen. Es kann stärkeres Licht in die Augen dringen, ein Geräusch sich vernehmbar machen, ein riechender Stoff die Nasenschleimhaut erregen. Wir können im Schlaf durch ungewollte Bewegungen einzelne Körperteile entblößen und so der Abkühlungsempfindung aussetzen oder durch Lageveränderung uns selbst Druck-und Berührungsempfindungen erzeugen. Es kann uns eine Fliege stechen, oder ein kleiner nächtlicher Unfall kann mehrere Sinne zugleich bestürmen. Die Aufmerksamkeit der Beobachter hat eine ganze Reihe von Träumen gesammelt, in welchen der beim Erwachen konstatierte Reiz und ein Stück des Trauminhalts so weit übereinstimmten, daß der Reiz als Traumquelle erkannt werden konnte.
Eine Sammlung solcher auf objektive – mehr oder minder akzidentelle – Sinnesreizung zurückgehender Träume führe ich hier nach Jessen (1855, 527 f.) an: »Jedes undeutlich wahrgenommene Geräusch erweckt 50 entsprechende Traumbilder, das Rollen des Donners versetzt uns mitten in eine Schlacht, das Krähen eines Hahns kann sich in das Angstgeschrei eines Menschen verwandeln, das Knarren einer Tür Träume von räuberischen Einbrüchen hervorrufen.«
»Wenn wir des Nachts unsere Bettdecke verlieren, so träumen wir vielleicht, daß wir nackt umhergehen oder daß wir ins Wasser gefallen sind. Wenn wir schräg im Bett liegen und die Füße über den Rand desselben herauskommen, so träumt uns vielleicht, daß wir am Rande eines schrecklichen Abgrundes stehen oder daß wir von einer steilen Höhe hinabstürzen. Kommt unser Kopf zufällig unter das Kopfkissen, so hängt ein großer Felsen über uns und steht im Begriff, uns unter seiner Last zu begraben. Anhäufungen des Samens erzeugen wollüstige Träume, örtliche Schmerzen die Idee erlittener Mißhandlungen, feindlicher Angriffe oder geschehender Körperverletzungen…«
»Meier (1758, 33) träumte einmal, daß er von einigen Personen überfallen würde, welche ihn der Länge nach auf den Rücken auf die Erde hinlegten und ihm zwischen die große und die nächste Zehe einen Pfahl in die Erde schlugen. Indem er sich dies im Traum vorstellte, erwachte er und fühlte, daß ihm ein Strohhalm zwischen den Zehen stecke. Demselben soll nach Hennings (1784, 258) ein anderes Mal, als er sein Hemd am Halse etwas fest zusammengesteckt hatte, geträumt haben, daß er gehenkt würde. Hoffbauer träumte in seiner Jugend, von einer hohen Mauer hinabzufallen, und bemerkte beim Erwachen, daß die Bettstelle auseinandergegangen und daß er wirklich gefallen war… Gregory berichtet, er habe einmal beim Zubettegehen eine Flasche mit heißem Wasser an die Füße gelegt und darauf im Traum eine Reise auf die Spitze des Ätna gemacht, wo er die Hitze des Erdbodens fast unerträglich gefunden. Ein anderer träumte nach einem auf den Kopf gelegten Blasenpflaster, daß er von einem Haufen von Indianern skalpiert werde; ein dritter, der in einem feuchten Hemde schlief, glaubte durch einen Strom gezogen zu werden. Ein im Schlaf eintretender Anfall von Podagra ließ einen Kranken glauben, er sei in den Händen der Inquisition und erdulde die Qualen der Folter (Macnish).«
Das auf die Ähnlichkeit zwischen Reiz und Trauminhalt gegründete Argument läßt eine Verstärkung zu, wenn es gelingt, bei einem Schlafenden durch planmäßige Anbringung von Sinnesreizen dem Reiz entsprechende Träume zu erzeugen. Solche Versuche hat nach Macnish schon Girou de Buzareingues angestellt. »Er ließ seine Knie unbedeckt und träumte, daß er in der Nacht 51 auf einem Postwagen reise. Er bemerkt dabei, daß Reisende wohl wissen würden, wie in einer Kutsche die Knie des Nachts kalt würden. Ein anderes Mal ließ er den Kopf hinten unbedeckt und träumte, daß er einer religiösen Zeremonie in freier Luft beiwohne. Es war nämlich in dem Lande, in welchem er lebte, Sitte, den Kopf stets bedeckt zu tragen, ausgenommen bei solchen Veranlassungen wie die eben genannte.«
Maury (1878) teilt neue Beobachtungen von an ihm selbst erzeugten Träumen mit. (Eine Reihe anderer Versuche brachte keinen Erfolg.)
1) Er wird an Lippen und Nasenspitze mit einer Feder gekitzelt. – Träumt von einer schrecklichen Tortur; eine Pechlarve wird ihm aufs Gesicht gelegt, dann weggerissen, so daß die Haut mitgeht.
2) Man wetzt eine Schere an einer Pinzette. – Er hört Glocken läuten, dann Sturmläuten und ist in die Junitage des Jahres 1848 versetzt.
3) Man läßt ihn Kölnerwasser riechen. – Er ist in Kairo im Laden von Johann Maria Farina. Daran schließen sich tolle Abenteuer, die er nicht reproduzieren kann.
4) Man kneipt ihn leicht in den Nacken. – Er träumt, daß man ihm ein Blasenpflaster auflegt, und denkt an einen Arzt, der ihn als Kind behandelt hat.
5) Man nähert ein heißes Eisen seinem Gesicht. Er träumt von den »Heizern«, die sich ins Haus eingeschlichen haben und die Bewohner zwingen, ihr Geld herauszugeben, indem sie ihnen die Füße ins Kohlenbecken stecken. Dann tritt die Herzogin von Abrantès auf, deren Sekretär er im Traume ist.
8) Man gießt ihm einen Tropfen Wasser auf die Stirne. – Er ist in Italien, schwitzt heftig und trinkt den weißen Wein von Orvieto.
9) Man läßt wiederholt durch ein rotes Papier das Licht einer Kerze auf ihn fallen. – Er träumt vom Wetter, von Hitze und befindet sich wieder in einem Seesturm, den er einmal auf dem Kanal La Manche mitgemacht.
Andere Versuche, Träume experimentell zu erzeugen, rühren von d’Hervey, Weygandt (1893) u. a. her.
Von mehreren Seiten ist die »auffällige Fertigkeit des Traumes bemerkt worden, plötzliche Eindrücke aus der Sinneswelt dergestalt in seine Gebilde zu verweben, daß sie in diesen eine allmählich schon 52 vorbereitete und eingeleitete Katastrophe bilden« (Hildebrandt, 1875). »In jüngeren Jahren«, erzählt dieser Autor, »bediente ich mich zuzeiten, um regelmäßig in bestimmter Morgenstunde aufzustehen, des bekannten, meist an Uhrwerken angebrachten Weckers. Wohl zu hundertmalen ist mirs begegnet, daß der Ton dieses Instrumentes in einen vermeintlich sehr langen und zusammenhängenden Traum dergestalt hineinpaßte, als ob dieser ganze Traum eben nur auf ihn angelegt sei und in ihm seine eigentliche logisch unentbehrliche Pointe, sein natürlich gewiesenes Endziel fände.«
Ich werde drei dieser Weckerträume noch in anderer Absicht zitieren.
Volkelt (1875, 108 f.) erzählt: »Einem Komponisten träumte einmal, er halte Schule und wolle eben seinen Schülern etwas klarmachen. Schon ist er damit fertig und wendet sich an einen der Knaben mit der Frage: ›Hast du mich verstanden?‹ Dieser schreit wie ein Besessener: ›Oh ja.‹Ungehalten hierüber verweist er ihm das Schreien. Doch schon schreit die ganze Klasse: ›Orja.‹ Hierauf: ›Eurjo.‹ Und endlich: ›Feuerjo.‹ Und nun erwacht er von wirklichem Feuerjogeschrei auf der Straße.«
Garnier (1872) bei Radestock berichtet, daß Napoleon I. durch die Explosion der Höllenmaschine aus einem Traum geweckt wurde, den er im Wagen schlafend hatte und der ihn den Übergang über den Tagliamento und die Kanonade der Österreicher wieder erleben ließ, bis er mit dem Ausruf aufschreckte: »Wir sind unterminiert.«
Zur Berühmtheit gelangt ist ein Traum, den Maury erlebt hat (1878, 161). Er war leidend und lag in seinem Zimmer zu Bett; seine Mutter saß neben ihm. Er träumte nun von der Schreckensherrschaft zur Zeit der Revolution, machte greuliche Mordszenen mit und wurde dann endlich selbst vor den Gerichtshof zitiert. Dort sah er Robespierre, Marat, Fouquier-Tinville und alle die traurigen Helden jener gräßlichen Epoche, stand ihnen Rede, wurde nach allerlei Zwischenfällen, die sich in seiner Erinnerung nicht fixierten, verurteilt und dann, von einer unübersehbaren Menge begleitet, auf den Richtplatz geführt. Er steigt aufs Schafott, der Scharfrichter bindet ihn aufs Brett; es kippt um; das Messer der Guillotine fällt herab; er fühlt, wie sein Haupt vom Rumpf getrennt wird, wacht in der entsetzlichsten Angst auf – und findet, daß 53 der Bettaufsatz herabgefallen war und seine Halswirbel, wirklich ähnlich wie das Messer der Guillotine, getroffen hatte.
An diesen Traum knüpft sich eine interessante, von Le Lorrain (1894) und Egger (1895) in der Revue philosophique eingeleitete Diskussion, ob und wie es dem Träumer möglich werde, in dem kurzen Zeitraum, der zwischen der Wahrnehmung des Weckreizes und dem Erwachen verstreicht, eine anscheinend so überaus reiche Fülle von Trauminhalt zusammenzudrängen.
Beispiele dieser Art lassen die objektiven Sinnesreizungen während des Schlafes als die am besten sichergestellte unter den Traumquellen erscheinen. Sie ist es auch, die in der Kenntnis des Laien einzig und allein eine Rolle spielt. Fragt man einen Gebildeten, der sonst der Traumliteratur fremd geblieben ist, wie die Träume zustande kommen, so wird er zweifellos mit der Berufung auf einen ihm bekanntgewordenen Fall antworten, in dem ein Traum durch einen nach dem Erwachen erkannten objektiven Sinnesreiz aufgeklärt wurde. Die wissenschaftliche Betrachtung kann dabei nicht haltmachen; sie schöpft den Anlaß zu weiteren Fragen aus der Beobachtung, daß der während des Schlafes auf die Sinne einwirkende Reiz im Traume ja nicht in seiner wirklichen Gestalt auftritt, sondern durch irgendeine andere Vorstellung vertreten wird, die in irgendwelcher Beziehung zu ihm steht. Die Beziehung aber, die den Traumreiz und den Traumerfolg verbindet, ist nach den Worten Maurys »une affinité quelconque, mais qui n’est pas unique et exclusive« (1853, 72). Man höre z. B. drei der Weckerträume Hildebrandts (1875, 37 f.); man wird sich dann die Frage vorzulegen haben, warum derselbe Reiz so verschiedene und warum er gerade diese Traumerfolge hervorrief:
»Also ich gehe an einem Frühlingsmorgen spazieren und schlendre durch die grünenden Felder weiter bis zu einem benachbarten Dorfe, dort sehe ich die Bewohner in Feierkleidern, das Gesangbuch unter dem Arm, zahlreich der Kirche zuwandern. Richtig! Es ist ja Sonntag, und der Frühgottesdienst wird bald beginnen. Ich beschließe, an diesem teilzunehmen, zuvor aber, weil ich etwas echauffiert bin, auf dem die Kirche umgebenden Friedhofe mich abzukühlen. Während ich hier verschiedene Grabschriften lese, höre ich den Glöckner den Turm hinansteigen und sehe nun in der Höhe des letzteren die kleine Dorfglocke, die das Zeichen zum Beginn der Andacht geben wird. Noch eine ganze 54 Weile hängt sie bewegungslos da, dann fängt sie an zu schwingen – und plötzlich ertönen ihre Schläge hell und durchdringend – so hell und durchdringend, daß sie meinem Schlaf ein Ende machen. Die Glockentöne aber kommen von dem Wecker.«
»Eine zweite Kombination. Es ist heller Wintertag; die Straßen sind hoch mit Schnee bedeckt. Ich habe meine Teilnahme an einer Schlittenfahrt zugesagt, muß aber lange warten, bis die Meldung erfolgt, der Schlitten stehe vor der Tür. Jetzt erfolgen die Vorbereitungen zum Einsteigen – der Pelz wird angelegt, der Fußsack hervorgeholt – und endlich sitze ich auf meinem Platze. Aber noch verzögert sich die Abfahrt, bis die Zügel den harrenden Rossen das fühlbare Zeichen geben. Nun ziehen diese an; die kräftig geschüttelten Schellen beginnen ihre wohlbekannte Janitscharenmusik mit einer Mächtigkeit, die augenblicklich das Spinngewebe des Traumes zerreißt. Wieder ist’s nichts anderes als der schrille Ton der Weckerglocke.«
»Noch das dritte Beispiel! Ich sehe ein Küchenmädchen mit einigen Dutzend aufgetürmter Teller den Korridor entlang zum Speisezimmer schreiten. Die Porzellansäule in ihren Armen scheint mir in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. ›Nimm dich in acht‹, warne ich, ›die ganze Ladung wird zur Erde fallen.‹ Natürlich bleibt der obligate Widerspruch nicht aus: man sei dergleichen schon gewohnt usw., während dessen ich noch immer mit Blicken der Besorgnis die Wandelnde begleite. Richtig, an der Türschwelle erfolgt ein Straucheln, – das zerbrechliche Geschirr fällt und rasselt und prasselt in hundert Scherben auf dem Fußboden umher. Aber – das endlos sich fortsetzende Getön ist doch, wie ich bald merke, kein eigentliches Rasseln, sondern ein richtiges Klingeln – und mit diesem Klingeln hat, wie nunmehr der Erwachende erkennt, nur der Wecker seine Schuldigkeit getan.«
Die Frage, warum die Seele im Traum die Natur des objektiven Sinnesreizes verkenne, ist von Strümpell (1877) – und fast ebenso von Wundt (1874) – dahin beantwortet worden, daß sie sich gegen solche im Schlaf angreifende Reize unter den Bedingungen der Illusionsbildung befindet. Ein Sinneseindruck wird von uns erkannt, richtig gedeutet, d. h. unter die Erinnerungsgruppe eingereiht, in die er nach allen vorausgegangenen Erfahrungen gehört, wenn der Eindruck stark, deutlich, dauerhaft genug ist und wenn uns die für diese Überlegung erforderliche Zeit zu Gebote steht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so verkennen wir das Objekt, von dem der Eindruck herrührt; wir bilden auf Grund desselben eine Illusion. »Wenn jemand auf freiem Felde 55 spazierengeht und einen entfernten Gegenstand undeutlich wahrnimmt, kann es kommen, daß er denselben zuerst für ein Pferd hält.« Bei näherem Zusehen kann die Deutung einer ruhenden Kuh sich aufdrängen, und endlich kann sich die Vorstellung mit Bestimmtheit in die einer Gruppe von sitzenden Menschen auflösen. Ähnlich unbestimmter Natur sind nun die Eindrücke, welche die Seele im Schlafe durch äußere Reize empfängt; sie bildet auf Grund derselben Illusionen, indem durch den Eindruck eine größere oder kleinere Anzahl von Erinnerungsbildern wachgerufen wird, durch welche der Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Aus welchem der vielen in Betracht kommenden Erinnerungskreise die zugehörigen Bilder geweckt werden und welche der möglichen Assoziationsbeziehungen dabei in Kraft treten, dies bleibt auch nach Strümpell unbestimmbar und gleichsam der Willkür des Seelenlebens überlassen.
Wir stehen hier vor einer Wahl. Wir können zugeben, daß die Gesetzmäßigkeit in der Traumbildung wirklich nicht weiter zu verfolgen ist, und somit verzichten zu fragen, ob die Deutung der durch den Sinneseindruck hervorgerufenen Illusion nicht noch anderen Bedingungen unterliegt. Oder wir können auf die Vermutung geraten, daß die im Schlaf angreifende objektive Sinnesreizung als Traumquelle nur eine bescheidene Rolle spielt und daß andere Momente die Auswahl der wachzurufenden Erinnerungsbilder determinieren. In der Tat, wenn man die experimentell erzeugten Träume Maurys prüft, die ich in dieser Absicht so ausführlich mitgeteilt habe, so ist man versucht zu sagen, der angestellte Versuch deckt eigentlich nur eines der Traumelemente nach seiner Herkunft, und der übrige Trauminhalt erscheint vielmehr zu selbständig, zu sehr im einzelnen bestimmt, als daß er durch die eine Anforderung, er müsse sich mit dem experimentell eingeführten Element vertragen, aufgeklärt werden könnte. Ja man beginnt selbst an der Illusionstheorie und an der Macht des objektiven Eindrucks, den Traum zu gestalten, zu zweifeln, wenn man erfährt, daß dieser Eindruck gelegentlich die allersonderbarste und entlegenste Deutung im Traume erfährt. So erzählt z. B. Simon (1888) einen Traum, in dem er riesenhafte Personen bei Tische sitzen sah und deutlich das furchtbare Geklapper hörte, das ihre aufeinanderschlagenden Kiefer beim Kauen erzeugten. Als er erwachte, hörte er den Hufschlag eines vor seinem Fenster vorbeigaloppierenden Pferdes. Wenn hier der Lärm der Pferdehufe gerade Vorstellungen aus dem Erinnerungskreis von Gullivers56 Reisen, Aufenthalt bei den Riesen von Brobdingnag und bei den tugendhaften Pferdewesen wachgerufen hat – wie ich ohne alle Unterstützung von Seite des Autors etwa deuten möchte –, sollte die Auswahl dieses für den Reiz so ungewöhnlichen Erinnerungskreises nicht außerdem durch andere Motive erleichtert gewesen sein? Die obige Deutung auf eine Reminiszenz aus Gullivers Reisen ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie eine Deutung nicht sein soll. Der Traumdeuter soll nicht seinen eigenen Witz spielen lassen und die Anlehnung an die Einfälle des Träumers hintansetzen.
Ad 2) Innere (subjektive) Sinneserregung
Allen Einwendungen zum Trotz wird man zugeben müssen, daß die Rolle objektiver Sinneserregungen während des Schlafs als Traumerreger unbestritten feststeht, und wenn diese Reize ihrer Natur und Häufigkeit nach vielleicht unzureichend erscheinen, um alle Traumbilder zu erklären, so wird darauf hingewiesen, nach anderen, aber ihnen analog wirkenden Traumquellen zu suchen. Ich weiß nun nicht, wo zuerst der Gedanke aufgetaucht ist, neben den äußeren Sinnesreizen die inneren (subjektiven) Erregungen in den Sinnesorganen in Anspruch zu nehmen; es ist aber Tatsache, daß dies in allen neueren Darstellungen der Traumätiologie mehr oder minder nachdrücklich geschieht. »Eine wesentliche Rolle spielen ferner, wie ich glaube«, sagt Wundt (1874, 657), »bei den Traumillusionen jene subjektiven Gesichts-und Gehörsempfindungen, die uns aus dem wachen Zustande als Lichtchaos des dunkeln Gesichtsfeldes, als Ohrenklingen, Ohrensausen usw. bekannt sind, unter ihnen namentlich die subjektiven Netzhauterregungen. So erklärt sich die merkwürdige Neigung des Traumes, ähnliche oder ganz übereinstimmende Objekte in der Mehrzahl dem Auge vorzuzaubern. Zahllose Vögel, Schmetterlinge, Fische, bunte Perlen, Blumen u. dgl. sehen wir vor uns ausgebreitet. Hier hat der Lichtstaub des dunkeln Gesichtsfeldes phantastische Gestalt angenommen, und die zahlreichen Lichtpunkte, aus denen derselbe besteht, werden von dem Traum in ebenso vielen Einzelbildern verkörpert, die wegen der Beweglichkeit des Lichtchaos als bewegte Gegenstände angeschaut werden. – Hierin wurzelt wohl auch die große Neigung des Traumes zu den mannigfachsten Tiergestalten, deren Formenreichtum sich der besonderen Form der subjektiven Lichtbilder leicht anschmiegt.«
57 Die subjektiven Sinneserregungen haben als Quelle der Traumbilder offenbar den Vorzug, daß sie nicht wie die objektiven vom äußeren Zufall abhängig sind. Sie stehen sozusagen der Erklärung zu Gebote, sooft diese ihrer bedarf. Sie stehen aber hinter den objektiven Sinnesreizen darin zurück, daß sie jener Bestätigung ihrer Rolle als Traumerreger, welche Beobachtung und Experiment bei den letzteren ergeben, nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Den Haupterweis für die traumerregende Macht subjektiver Sinneserregungen erbringen die sogenannten hypnagogischen Halluzinationen, die von Joh. Müller (1826) als »phantastische Gesichtserscheinungen« beschrieben worden sind. Es sind dies oft sehr lebhafte, wechselvolle Bilder, die sich in der Periode des Einschlafens, bei vielen Menschen ganz regelmäßig, einzustellen pflegen und auch nach dem Öffnen der Augen eine Weile bestehen bleiben können. Maury, der ihnen im hohen Grade unterworfen war, hat ihnen eine eingehende Würdigung zugewendet und ihren Zusammenhang, ja vielmehr ihre Identität mit den Traumbildern (wie übrigens schon Joh. Müller) behauptet. Für ihre Entstehung, sagt Maury, ist eine gewisse seelische Passivität, ein Nachlaß der Aufmerksamkeitsspannung erforderlich (1878, 59 f.). Es genügt aber, daß man auf eine Sekunde in solche Lethargie verfalle, um bei sonstiger Disposition eine hypnagogische Halluzination zu sehen, nach der man vielleicht wieder aufwacht, bis das sich mehrmals wiederholende Spiel mit dem Einschlafen endigt. Erwacht man dann nach nicht zu langer Zeit, so gelingt es nach Maury häufig, im Traum dieselben Bilder nachzuweisen, die einem als hypnagogische Halluzinationen vor dem Einschlafen vorgeschwebt haben (ibid., 134 f.). So erging es Maury einmal mit einer Reihe von grotesken Gestalten mit verzerrten Mienen und sonderbaren Frisuren, die ihn mit unglaublicher Aufdringlichkeit in der Periode des Einschlafens belästigten und von denen er nach dem Erwachen sich erinnerte geträumt zu haben. Ein andermal, als er gerade an Hungergefühl litt, weil er sich schmale Diät auferlegt hatte, sah er hypnagogisch eine Schüssel und eine mit einer Gabel bewaffnete Hand, die sich etwas von der Speise in der Schüssel holte. Im Traume befand er sich an einer reichgedeckten Tafel und hörte das Geräusch, das die Speisenden mit ihren Gabeln machten. Ein andermal, als er mit gereizten und schmerzenden Augen einschlief, hatte er die hypnagogische Halluzination von mikroskopisch kleinen Zeichen, die er mit großer Anstrengung einzeln entziffern mußte; nach einer Stunde aus dem Schlafe geweckt, erinnerte er sich an einen Traum, in dem ein aufgeschlagenes Buch, mit sehr 58 kleinen Lettern gedruckt, vorkam, welches er mühselig hatte durchlesen müssen.
Ganz ähnlich wie diese Bilder können auch Gehörshalluzinationen von Worten, Namen usw. hypnagogisch auftreten und dann im Traum sich wiederholen, als Ouvertüre gleichsam, welche die Leitmotive der mit ihr beginnenden Oper ankündigt.
Auf den nämlichen Wegen wie Joh. Müller und Maury wandelt ein neuerer Beobachter der hypnagogischen Halluzinationen, G. Trumbull Ladd (1892). Er brachte es durch Übung dahin, daß er sich zwei bis fünf Minuten nach dem allmählichen Einschlafen jäh aus dem Schlaf reißen konnte, ohne die Augen zu öffnen, und hatte dann die Gelegenheit, die eben entschwindenden Netzhautempfindungen mit den in der Erinnerung überlebenden Traumbildern zu vergleichen. Er versichert, daß sich jedesmal eine innige Beziehung zwischen beiden erkennen ließ in der Weise, daß die leuchtenden Punkte und Linien des Eigenlichts der Netzhaut gleichsam die Umrißzeichnung, das Schema für die psychisch wahrgenommenen Traumgestalten brachten. Einem Traum z. B., in welchem er deutlich gedruckte Zeilen vor sich sah, die er las und studierte; entsprach eine Anordnung der leuchtenden Punkte in der Netzhaut in parallelen Linien. Um es mit seinen Worten zu sagen: Die klar bedruckte Seite, die er im Traum gelesen, löste sich in ein Objekt auf, das seiner wachen Wahrnehmung erschien wie ein Stück eines reellen bedruckten Blattes, das man aus allzu großer Entfernung, um etwas deutlich auszunehmen, durch ein Löchelchen in einem Stück Papier ansieht. Ladd meint, ohne übrigens den zentralen Anteil des Phänomens zu unterschätzen, daß kaum ein visueller Traum in uns abläuft, der sich nicht an das Material der inneren Erregungszustände der Netzhaut anlehnte. Besonders gilt dies für die Träume kurz nach dem Einschlafen im dunkeln Zimmer, während für die Träume am Morgen nahe dem Erwachen das objektive, im erhellten Zimmer ins Auge dringende Licht die Reizquelle abgebe. Der wechselvolle, unendlich abänderungsfähige Charakter der Eigenlichterregung entspricht genau der unruhigen Bilderflucht, die unsere Träume uns vorführen. Wenn man den Beobachtungen von Ladd Bedeutung beimißt, wird man die Ergiebigkeit dieser subjektiven Reizquelle für den Traum nicht gering anschlagen können, denn Gesichtsbilder machen bekanntlich den Hauptbestandteil unserer Träume aus. Der Beitrag von anderen Sinnesgebieten bis auf den des Gehörs ist geringfügiger und inkonstant.
59 Ad 3) Innerer, organischer Leibreiz
Wenn wir auf dem Wege sind, die Traumquellen nicht außerhalb, sondern innerhalb des Organismus zu suchen, so müssen wir uns daran erinnern, daß fast alle unsere inneren Organe, die im Zustande der Gesundheit uns kaum Kunde von ihrem Bestand geben, in Zuständen von Reizung – die wir so heißen – oder in Krankheiten eine Quelle von meist peinlichen Empfindungen für uns werden, welche den Erregern der von außen anlangenden Schmerz-und Empfindungsreize gleichgestellt werden muß. Es sind sehr alte Erfahrungen, welche z. B. Strümpell zu der Aussage veranlassen (1877, 107): »Die Seele gelangt im Schlaf zu einem viel tieferen und breiteren Empfindungsbewußtsein von ihrer Leiblichkeit als im Wachen und ist genötigt, gewisse Reizeindrücke zu empfangen und auf sich wirken zu lassen, die aus Teilen und Veränderungen ihres Körpers herstammen, von denen sie im Wachen nichts wußte.« Schon Aristoteles erklärt es für sehr wohl möglich, daß man im Traum auf beginnende Krankheitszustände aufmerksam gemacht würde, von denen man im Wachen noch nichts merkt (kraft der Vergrößerung, die der Traum den Eindrücken angedeihen läßt, siehe oben S. 30), und ärztliche Autoren, deren Anschauung es sicherlich fernelag, an eine prophetische Gabe des Traumes zu glauben, haben wenigstens für die Krankheitsankündigung diese Bedeutung des Traumes gelten lassen. (Vgl. M. Simon, 1888, 31, und viele ältere Autoren. Außer dieser diagnostischen Verwertung der Träume (z. B. bei Hippokrates) muß man ihrer therapeutischen Bedeutung im Altertum gedenken.
Bei den Griechen gab es Traumorakel, welche gewöhnlich Genesung suchende Kranke aufzusuchen pflegten. Der Kranke ging in den Tempel des Apollo oder des Äskulap, dort wurde er verschiedenen Zeremonien unterworfen, gebadet, gerieben, geräuchert, und so in Exaltation versetzt, legte man ihn im Tempel auf das Fell eines geopferten Widders. Er schlief ein und träumte von Heilmitteln, die ihm in natürlicher Gestalt oder in Symbolen und Bildern gezeigt wurden, welche dann die Priester deuteten. Weiteres über die Heilträume der Griechen bei Lehmann (1908, Bd. 1, 74), Bouché-Leclerq (1879–1882), Hermann (1858, § 41, 262 ff., und 1882, § 38, 356), Böttinger (1795, 163 ff.), Lloyd (1877), Döllinger (1857, 130).
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Es scheint an beglaubigten Beispielen für solche diagnostische Leistungen des Traumes auch aus neuerer Zeit nicht zu fehlen. So z. B. berichtet Tissié (1898) nach Artigues (1884) die Geschichte einer dreiundvierzigjährigen Frau, die durch einige Jahre in scheinbar voller Gesundheit von Angstträumen heimgesucht wurde und bei der ärztlichen Untersuchung dann eine beginnende Herzaffektion aufwies, welcher sie alsbald erlag.
60 Ausgebildete Störungen der inneren Organe wirken offenbar bei einer ganzen Reihe von Personen als Traumerreger. Allgemein wird auf die Häufigkeit der Angstträume bei Herz-und Lungenkranken hingewiesen, ja diese Beziehung des Traumlebens wird von vielen Autoren so sehr in den Vordergrund gedrängt, daß ich mich hier mit der bloßen Verweisung auf die Literatur (Radestock, Spitta, Maury, M. Simon (1888), Tissié) begnügen kann. Tissié meint sogar, daß die erkrankten Organe dem Trauminhalt das charakteristische Gepräge aufdrücken. Die Träume der Herzkranken sind gewöhnlich sehr kurz und enden mit schreckhaftem Erwachen; fast immer spielt im Inhalt derselben die Situation des Todes unter gräßlichen Umständen eine Rolle. Die Lungenkranken träumen vom Ersticken, Gedränge, Flucht und sind in auffälliger Zahl dem bekannten Alptraum unterworfen, den übrigens Börner (1855) durch Lagerung aufs Gesicht, durch Verdeckung der Respirationsöffnungen experimentell hat hervorrufen können. Bei Digestionsstörungen enthält der Traum Vorstellungen aus dem Kreise des Genießens und des Ekels. Der Einfluß sexueller Erregung endlich auf den Inhalt der Träume ist für die Erfahrung eines jeden einzelnen greifbar genug und leiht der ganzen Lehre von der Traumerregung durch Organreiz ihre stärkste Stütze.
Es ist auch, wenn man die Literatur des Traumes durcharbeitet, ganz unverkennbar, daß einzelne der Autoren (Maury, Weygandt, 1893) durch den Einfluß ihrer eigenen Krankheitszustände auf den Inhalt ihrer Träume zur Beschäftigung mit den Traumproblemen geführt worden sind.
Der Zuwachs an Traumquellen aus diesen unzweifelhaft festgestellten Tatsachen ist übrigens nicht so bedeutsam, als man meinen möchte. Der Traum ist ja ein Phänomen, das sich bei Gesunden – vielleicht bei allen, vielleicht allnächtlich – einstellt und das Organerkrankung offenbar nicht zu seinen unentbehrlichen Bedingungen zählt. Es handelt sich für uns aber nicht darum, woher besondere Träume rühren, sondern was für die gewöhnlichen Träume normaler Menschen die Reizquelle sein mag.
Indes bedarf es jetzt nur eines Schrittes weiter, um auf eine Traumquelle zu stoßen, die reichlicher fließt als jede frühere und eigentlich für keinen Fall zu versiegen verspricht. Wenn es sichergestellt ist, daß das Körperinnere im kranken Zustande zur Quelle der Traumreize wird, und wenn wir zugeben, daß die Seele im Schlafzustande, von der 61 Außenwelt abgelenkt, dem Innern des Leibes größere Aufmerksamkeit zuwenden kann, so liegt es nahe anzunehmen, daß die Organe nicht erst zu erkranken brauchen, um Erregungen, die irgendwie zu Traumbildern werden, an die schlafende Seele gelangen zu lassen. Was wir im Wachen dumpf als Gemeingefühl nur seiner Qualität nach wahrnehmen und wozu nach der Meinung der Ärzte alle Organsysteme ihre Beiträge leisten, das würde nachts, zur kräftigen Einwirkung gelangt und mit seinen einzelnen Komponenten tätig, die mächtigste und gleichzeitig die gewöhnlichste Quelle für die Erweckung der Traumvorstellungen ergeben. Es erübrigte dann noch die Untersuchung, nach welchen Regeln sich die Organreize in Traumvorstellungen umsetzen.
Wir haben hier jene Theorie der Traumentstehung berührt, welche die bevorzugte bei allen ärztlichen Autoren geworden ist. Das Dunkel, in welches der Kern unseres Wesens, das »moi splanchnique«, wie Tissié es nennt, für unsere Kenntnisse gehüllt ist, und das Dunkel der Traumentstehung entsprechen einander zu gut, um nicht in Beziehung zueinander gebracht zu werden. Der Ideengang, welcher die vegetative Organempfindung zum Traumbildner macht, hat überdies für den Arzt den anderen Anreiz, daß er Traum und Geistesstörung, die soviel Übereinstimmung in ihren Erscheinungen zeigen, auch ätiologisch vereinigen läßt, denn Alterationen des Gemeingefühls und Reize, die von den inneren Organen ausgehen, werden auch einer weitreichenden Bedeutung für die Entstehung der Psychosen bezichtigt. Es ist darum nicht zu verwundern, wenn die Leibreiztheorie sich auf mehr als einen Urheber, der sie selbständig angegeben, zurückführen läßt.
Für eine Reihe von Autoren wurde der Gedankengang maßgebend, den der Philosoph Schopenhauer im Jahre 1851 entwickelt hat. Das Weltbild entsteht in uns dadurch, daß unser Intellekt die ihn von außen treffenden Eindrücke in die Formen der Zeit, des Raums und der Kausalität umgießt. Die Reize aus dem Inneren des Organismus, vom sympathischen Nervensystem her, äußern bei Tag höchstens einen unbewußten Einfluß auf unsere Stimmung. Bei Nacht aber, wenn die übertäubende Wirkung der Tageseindrücke aufgehört hat, vermögen jene aus dem Innern heraufdringenden Eindrücke sich Aufmerksamkeit zu verschaffen – ähnlich wie wir bei Nacht die Quelle rieseln hören, die der Lärm des Tages unvernehmbar machte. Wie anders aber soll der Intellekt auf diese Reize reagieren, als indem er seine ihm eigentümliche Funktion vollzieht? Er wird also die Reize zu raum-und zeiterfüllenden Gestalten, die sich am Leitfaden der Kausalität bewegen, 62 umformen, und so entsteht der Traum. In die nähere Beziehung zwischen Leibreizen und Traumbildern versuchten dann Scherner (1861) und nach ihm Volkelt (1875) einzudringen, deren Würdigung wir uns auf den Abschnitt über die Traumtheorien aufsparen.
In einer besonders konsequent durchgeführten Untersuchung hat der Psychiater Krauß die Entstehung des Traumes wie der Delirien und Wahnideen von dem nämlichen Element, der organisch bedingten Empfindung, abgeleitet. Es lasse sich kaum eine Stelle des Organismus denken, welche nicht der Ausgangspunkt eines Traumes oder Wahnbildes werden könne. Die organisch bedingte Empfindung »läßt sich aber in zwei Reihen trennen: 1) in die der Totalstimmungen (Gemeingefühle), 2) in die spezifischen, den Hauptsystemen des vegetativen Organismus immanenten Sensationen, wovon wir fünf Gruppen unterschieden haben, a) die Muskelempfindungen, b) die pneumatischen, c) die gastrischen, d) die sexuellen und e) die peripherischen«.
Den Hergang der Traumbilderentstehung auf Grund der Leibreize nimmt Krauß folgendermaßen an: Die geweckte Empfindung ruft nach irgendeinem Assoziationsgesetz eine ihr verwandte Vorstellung wach und verbindet sich mit ihr zu einem organischen Gebilde, gegen welches sich aber das Bewußtsein anders verhält als normal. Denn dies schenkt der Empfindung selbst keine Aufmerksamkeit, sondern wendet sie ganz den begleitenden Vorstellungen zu, was zugleich der Grund ist, warum dieser Sachverhalt so lange verkannt werden konnte. Krauß findet für den Vorgang auch den besonderen Ausdruck der Transsubstantiation der Empfindungen in Traumbilder.
Der Einfluß der organischen Leibreize auf die Traumbildung wird heute nahezu allgemein angenommen, die Frage nach dem Gesetz der Beziehung zwischen beiden sehr verschiedenartig, oftmals mit dunkeln Auskünften, beantwortet. Es ergibt sich nun auf dem Boden der Leibreiztheorie die besondere Aufgabe der Traumdeutung, den Inhalt eines Traums auf die ihn verursachenden organischen Reize zurückzuführen, und wenn man nicht die von Scherner (1861) aufgefundenen Deutungsregeln anerkennt, steht man oft vor der mißlichen Tatsache, daß die organische Reizquelle sich eben durch nichts anderes als durch den Inhalt des Traumes verrät.
Ziemlich übereinstimmend hat sich aber die Deutung verschiedener 63 Traumformen gestaltet, die man als »typische« bezeichnet hat, weil sie bei so vielen Personen mit ganz ähnlichem Inhalt wiederkehren. Es sind dies die bekannten Träume vom Herabfallen von einer Höhe, vom Zahnausfallen, vom Fliegen und von der Verlegenheit, daß man nackt oder schlecht bekleidet ist. Letzterer Traum soll einfach von der im Schlaf gemachten Wahrnehmung herrühren, daß man die Bettdecke abgeworfen hat und nun entblößt daliegt. Der Traum vom Zahnausfallen wird auf »Zahnreiz« zurückgeführt, womit aber nicht ein krankhafter Erregungszustand der Zähne gemeint zu sein braucht. Der Traum zu fliegen ist nach Strümpell das von der Seele gebrauchte adäquate Bild, womit sie das von den auf-und niedersteigenden Lungenflügeln ausgehende Reizquantum deutet, wenn gleichzeitig das Hautgefühl des Thorax schon bis zur Bewußtlosigkeit herabgesunken ist. Durch den letzteren Umstand wird die an die Vorstellungsform des Schwebens gebundene Empfindung vermittelt. Das Herabfallen aus der Höhe soll darin seinen Anlaß haben, daß bei eingetretener Bewußtlosigkeit des Hautdruckgefühls entweder ein Arm vom Körper herabsinkt oder ein eingezogenes Knie plötzlich gestreckt wird, wodurch das Gefühl des Hautdrucks wieder bewußt wird, der Übergang zum Bewußtwerden aber als Traum vom Niederfallen sich psychisch verkörpert (Strümpell, ibid., 118). Die Schwäche dieser plausibeln Erklärungsversuche liegt offenbar darin, daß sie ohne weiteren Anhalt die oder jene Gruppe von Organempfindungen aus der seelischen Wahrnehmung verschwinden oder sich ihr aufdrängen lassen, bis die für die Erklärung günstige Konstellation hergestellt ist. Ich werde übrigens später Gelegenheit haben, auf die typischen Träume und ihre Entstehung zurückzukommen.
M. Simon hat versucht, aus der Vergleichung einer Reihe von ähnlichen Träumen einige Regeln für den Einfluß der Organreize auf die Bestimmung ihrer Traumerfolge abzuleiten. Er sagt (1888, 34): Wenn im Schlaf irgendein Organapparat, der normalerweise am Ausdruck eines Affektes beteiligt ist, durch irgendeinen anderen Anlaß sich in dem Erregungszustande befindet, in den er sonst bei jenem Affekt versetzt wird, so wird der dabei entstehende Traum Vorstellungen enthalten, die dem Affekt angepaßt sind.
Eine andere Regel lautet (ibid., 35): Wenn ein Organapparat sich im Schlafe in Tätigkeit, Erregung oder Störung befindet, so wird der Traum Vorstellungen bringen, welche sich auf die Ausübung der organischen Funktion beziehen, die jener Apparat versieht.
64 Mourly Vold (1896) hat es unternommen, den von der Leibreiztheorie supponierten Einfluß auf die Traumerzeugung für ein einzelnes Gebiet experimentell zu erweisen. Er hat Versuche gemacht, die Stellungen der Glieder des Schlafenden zu verändern, und die Traumerfolge mit seinen Abänderungen verglichen. Er teilt folgende Sätze als Ergebnis mit.
1) Die Stellung eines Gliedes im Traum entspricht ungefähr der in der Wirklichkeit, d. h. man träumt von einem statischen Zustand des Gliedes, welcher dem realen entspricht.
2) Wenn man von der Bewegung eines Gliedes träumt, so ist diese immer so, daß eine der bei ihrer Vollziehung vorkommenden Stellungen der wirklichen entspricht.
3) Man kann die Stellung des eigenen Gliedes im Traum auch einer fremden Person zuschieben.
4) Man kann auch träumen, daß die betreffende Bewegung gehindert ist.
5) Das Glied in der betreffenden Stellung kann im Traum als Tier oder Ungeheuer erscheinen, wobei eine gewisse Analogie beider hergestellt wird.
6) Die Stellung eines Gliedes kann im Traum Gedanken anregen, die zu diesem Glied irgendeine Beziehung haben, so z. B. träumt man bei Beschäftigung mit den Fingern von Zahlen.
Ich würde aus solchen Ergebnissen schließen, daß auch die Leibreiztheorie die scheinbare Freiheit in der Bestimmung der zu erweckenden Traumbilder nicht gänzlich auszulöschen vermag.
Ad 4) Psychische Reizquellen
Als wir die Beziehungen des Traums zum Wachleben und die Herkunft des Traummaterials behandelten, erfuhren wir, es sei die Ansicht der ältesten wie der neuesten Traumforscher, daß die Menschen von dem träumen, was sie bei Tag treiben und was sie im Wachen interessiert. Dieses aus dem Wachleben in den Schlaf sich fortsetzende Interesse wäre nicht nur ein psychisches Band, das den Traum ans Leben knüpft, sondern ergibt uns auch eine nicht zu unterschätzende Traumquelle, die neben dem im Schlaf interessant Gewordenen – den während des Schlafes einwirkenden Reizen – ausreichen sollte, die Herkunft aller 65 Traumbilder aufzuklären. Wir haben aber auch den Widerspruch gegen obige Behauptung gehört, nämlich daß der Traum den Schläfer von den Interessen des Tages abzieht und daß wir – meistens – von den Dingen, die uns bei Tag am meisten ergriffen haben, erst dann träumen, wenn sie für das Wachleben den Reiz der Aktualität verloren haben. So erhalten wir in der Analyse des Traumlebens bei jedem Schritt den Eindruck, daß es unstatthaft ist, allgemeine Regeln aufzustellen, ohne durch ein »oft«, »in der Regel«, »meistens« Einschränkungen vorzusehen und auf die Gültigkeit der Ausnahmen vorzubereiten.
Wenn das Wachinteresse nebst den inneren und äußeren Schlafreizen zur Deckung der Traumätiologie ausreichte, so müßten wir imstande sein, von der Herkunft aller Elemente eines Traums befriedigende Rechenschaft zu geben; das Rätsel der Traumquellen wäre gelöst, und es bliebe noch die Aufgabe, den Anteil der psychischen und der somatischen Traumreize in den einzelnen Träumen abzugrenzen. In Wirklichkeit ist diese vollständige Auflösung eines Traums noch in keinem Falle gelungen, und jedem, der dies versucht hat, sind – meist sehr reichlich – Traumbestandteile übriggeblieben, über deren Herkunft er keine Aussage machen konnte. Das Tagesinteresse als psychische Traumquelle trägt offenbar nicht so weit, als man nach den zuversichtlichen Behauptungen, daß jeder im Traum sein Geschäft weiter betreibe, erwarten sollte.
Andere psychische Traumquellen sind nicht bekannt. Es lassen also alle in der Literatur vertretenen Traumerklärungen – mit Ausnahme etwa der später zu erwähnenden von Scherner – eine große Lücke offen, wo es sich um die Ableitung des für den Traum am meisten charakteristischen Materials von Vorstellungsbildern handelt. In dieser Verlegenheit hat die Mehrzahl der Autoren die Neigung entwickelt, den psychischen Anteil an der Traumerregung, dem so schwer beizukommen ist, möglichst zu verkleinern. Sie unterscheiden zwar als Haupteinteilung den Nervenreiz— und den Assoziationstraum, welch letzterer ausschließlich in der Reproduktion seine Quelle findet (Wundt, 1874, 657 f.), aber sie können den Zweifel nicht loswerden, »ob sie sich ohne anstoßgebenden Leibreiz einstellen« (Volkelt, 1875, 127). Auch die Charakteristik des reinen Assoziationstraumes versagt: »In den eigentlichen Assoziationsträumen kann von einem solchen festen Kern nicht mehr die Rede sein. Hier dringt die lose Gruppierung auch in den Mittelpunkt 66 des Traumes ein. Das ohnedies von Vernunft und Verstand freigelassene Vorstellungsleben ist hier auch von jenen gewichtvolleren Leib-und Seelenerregungen nicht mehr zusammengehalten und so seinem eigenen bunten Schieben und Treiben, seinem eigenen lockeren Durcheinandertaumeln überlassen.« (Volkelt, ibid., 118.) Eine Verkleinerung des psychischen Anteils an der Traumerregung versucht dann Wundt (1874, 656–7), indem er ausführt, daß man die »Phantasmen des Traumes wohl mit Unrecht als reine Halluzinationen ansehe. Wahrscheinlich sind die meisten Traumvorstellungen in Wirklichkeit Illusionen, indem sie von den leisen Sinneseindrücken ausgehen, die niemals im Schlafe erlöschen.« Weygandt hat sich diese Ansicht angeeignet und sie verallgemeinert (1893, 17). Er behauptet für alle Traumvorstellungen, daß »ihre nächste Ursache Sinnesreize sind, daran erst schließen sich reproduktive Assoziationen«. Noch weiter in der Verdrängung der psychischen Reizquellen geht Tissié (1898, 183): »Les rêves d’origine absolument psychique n’existent pas«, und anderswo (ibid., 6): »Les pensées de nos rêves nous viennent du dehors…«
Diejenigen Autoren, welche wie der einflußreiche Philosoph Wundt eine Mittelstellung einnehmen, versäumen nicht anzumerken, daß in den meisten Träumen somatische Reize und die unbekannten oder als Tagesinteresse erkannten psychischen Anreger des Traumes zusammenwirken.
Wir werden später erfahren, daß das Rätsel der Traumbildung durch die Aufdeckung einer unvermuteten psychischen Reizquelle gelöst werden kann. Vorläufig wollen wir uns über die Überschätzung der nicht aus dem Seelenleben stammenden Reize zur Traumbildung nicht verwundern. Nicht nur daß diese allein leicht aufzufinden und selbst durchs Experiment zu bestätigen sind; es entspricht auch die somatische Auffassung der Traumentstehung durchwegs der heute in der Psychiatrie herrschenden Denkrichtung. Die Herrschaft des Gehirns über den Organismus wird zwar nachdrücklichst betont, aber alles, was eine Unabhängigkeit des Seelenlebens von nachweisbaren organischen Veränderungen oder eine Spontaneität in dessen Äußerungen erweisen könnte, schreckt den Psychiater heute so, als ob dessen Anerkennung die Zeiten der Naturphilosophie und des metaphysischen Seelenwesens wiederbringen müßte. Das Mißtrauen des Psychiaters hat die Psyche gleichsam unter Kuratel gesetzt und fordert nun, daß keine ihrer Regungen ein ihr eigenes Vermögen verrate. Doch zeugt dies Benehmen von nichts anderem als von einem geringen Zutrauen in die Haltbarkeit 67 der Kausalverkettung, die sich zwischen Leiblichem und Seelischem erstreckt. Selbst wo das Psychische sich bei der Erforschung als der primäre Anlaß eines Phänomens erkennen läßt, wird ein tieferes Eindringen die Fortsetzung des Weges bis zur organischen Begründung des Seelischen einmal zu finden wissen. Wo aber das Psychische für unsere derzeitige Erkenntnis die Endstation bedeuten müßte, da braucht es darum nicht geleugnet zu werden.